Baccara Weekend Band 38

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  • Erscheinungstag 01.06.2024
  • Bandnummer 38
  • ISBN / Artikelnummer 9783751527477
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maureen Child, Ann Major, Leanne Banks

BACCARA WEEKEND BAND 38

1. KAPITEL

Eileen Ryan schaute ihre Großmutter kampfeslustig an, obwohl sie genau wusste, dass sie diese Schlacht letztlich verlieren würde, denn ihre Großmutter ging aus allen Gefechten als Siegerin hervor. Wenn sie etwas wollte, dann fand Margaret Mary, die von allen Freunden nur Maggie genannt wurde, immer einen Weg, es zu bekommen. Aber Eileen war entschlossen, ihre Position standhaft zu vertreten. „Granny, ich bin keine Sekretärin mehr.“

Sonnenlicht durchflutete das kleine Wohnzimmer. Das winzige Häuschen am Strand, seit mehr als vierzig Jahren Maggie Ryans Zuhause, war voller Erinnerungsstücke, aber immer tadellos aufgeräumt. Maggie, deren graues Haar perfekt frisiert war, trug ein helles pfirsichfarbenes Kleid und bequeme schwarze Schuhe. Ihr faltiges Gesicht verzog sich zu einem geduldigen Lächeln, und ihre Arme ruhten auf den Lehnen ihres Lieblingssessels. Sie sah geradezu königlich aus, was einer der Gründe war, warum wirklich niemand jemals einen Streit mit ihr gewann.

„Ja, aber mit einem Job ist es ist wie mit dem Radfahren“, konterte Maggie. „Man verlernt es nie.“

„Doch, wenn man hart genug daran arbeitet“, erklärte Eileen stur.

Sie hatte wahrlich alles getan, um zu vergessen, dass sie Sekretärin gewesen war. Es war jetzt drei Jahre her, dass sie zuletzt in einem Büro gearbeitet hatte, und sie vermisste es kein bisschen.

Sie hatte es immer gehasst. Zum einen, weil sie sich hinter ihrem Schreibtisch stets gefangen vorgekommen war, zum anderen, weil sie es fürchterlich fand, dass der Chef ihr ständig über die Schulter geschaut hatte. Doch das Schlimmste an der Arbeit für sie war, vom Chef als Dummkopf behandelt zu werden, während sie genau wusste, dass sie die Klügere war. Ihr letzter Chef, Joshua Payton, hatte vorgegeben sie zu lieben und sie zu brauchen. Bis er die Beförderung bekommen hatte, die ihn die Erfolgsleiter hinaufkatapultiert hatte, während sie zurück in den Sekretärinnen-Pool gewandert war.

Nun, sie würde sich nicht wieder benutzen und abschieben lassen. Sie war geflüchtet und hatte nicht vor, wieder zurückzukehren. Nicht einmal zeitweise.

„Quatsch“, meinte Maggie nur.

„Quatsch?“, wiederholte Eileen.

Maggie rümpfte die Nase. „Es ist ja nicht so, dass ich dich den Löwen zum Fraß vorwerfe.“

„Es kommt dem aber nahe.“

„Ich bitte dich nur, Rick zwei Wochen lang auszuhelfen. Seine Sekretärin ist im Mutterschutz und …“

„Auf keinen Fall, Granny.“ Wieder in ein Büro zu gehen, wäre ein Schritt zurück in eine Vergangenheit, die sie endgültig hinter sich lassen wollte.

Maggie zuckte nicht mit der Wimper. Sie starrte Eileen einfach an und wartete.

Eileens Widerstand bröckelte. „Komm schon, Granny. Es ist mein Urlaub.“

„Dein Urlaub wurde abgeblasen.“

Das stimmte. Sie und ihre Freundin Tina hatten eigentlich zwei Wochen nach Mexiko fahren wollen. Doch dann hatte Tina überraschend beschlossen, ihren langjährigen Freund heimlich zu heiraten und mit ihm in die Flitterwochen zu fahren. Sie hatte lediglich eine kurze Entschuldigung auf Eileens Anrufbeantworter hinterlassen. Die stand jetzt mit ihrem Pass in der Hand da, ohne richtige Lust, ganz allein in die Sonne zu fahren.

Was ziemlich frustrierend war, zumal sie sich solche Mühe gemacht hatte, alles so zu arrangieren, dass ihr Blumenladen während ihrer Abwesenheit reibungslos weiterlief. Sie hatte ihre Angestellten instruiert, ihre stellvertretende Geschäftsführerin eingewiesen und ihren Schreibtisch leer geräumt, um endlich einmal in den wohlverdienten Urlaub zu fahren. Anfang Oktober war die beste Zeit, um sich freizunehmen, da es die einzige Zeit war, in der bei den Blumenläden das Geschäft ohnehin nur schleppend lief. Danach ging es mit der Weihnachtszeit wieder voll los, und bis zum Valentinstag hätte sie keine ruhige Minute.

Fast glaubte sie, schon den Stress zu spüren. Die freie Zeit lief ihr davon. „Die Reise ist abgesagt, aber ich habe immer noch meine zwei freien Wochen.“

„Und nichts zu tun“, erinnerte ihre Großmutter sie.

Das stimmte auch. Verflixt, ihre Großmutter kannte sie einfach zu gut. Ja, sie würde wahrscheinlich wirklich verrückt werden, wenn sie nichts zu tun hatte. Aber sie war bereit, das Risiko einzugehen. „Das kann man nie wissen. Vielleicht finde ich ja sogar Gefallen am Nichtstun.“

Maggie lachte. „Du nicht, Liebling. Du hast noch nie still gesessen, wenn du auf den Beinen sein und herumlaufen konntest.“

„Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich mal ein bisschen ruhiger werde“, erklärte Eileen und ging im Zimmer auf und ab. „Ich könnte lesen. Oder ins Kino gehen. Oder einfach am Strand sitzen und den Wellen zusehen.“

Maggie machte eine abwehrende Handbewegung. „Das würdest du keine vierundzwanzig Stunden durchhalten.“

„Rick Hawkins ist eine Nervensäge, Granny, und das weißt du.“

„Das sagst du nur, weil er dich früher immer ein wenig aufgezogen hat.“

Eileen schnaubte. „Von wegen ‚ein wenig‘! Jedes Mal, wenn er kam, um mit Bridget auszugehen, hat er mich geärgert. Er hat mich regelmäßig auf die Palme gebracht.“

„Du warst ein kleines Mädchen, und er war der Freund deiner großen Schwester. Es war sozusagen sein Job, dich zu necken.“

„Pah.“

Maggie kniff die Augen zusammen. „Seine Großmutter ist eine sehr gute Freundin von mir.“

„Wunderbar“, unterbrach Eileen sie, „dann helfe ich ihr.“

„Netter Versuch, aber Loretta braucht keine Sekretärin, sondern ihr Enkel.“

„Was macht er denn überhaupt?“ Eileen ließ sich auf einen Sessel fallen. „So gemein, wie er immer zu mir war, ist er bestimmt irgend so ein kriminelles Genie.“

„Er ist Finanzberater“, erklärte Maggie. „Und nach dem, was Loretta sagt, ziemlich erfolgreich.“

Eileen war nicht beeindruckt. „Sie ist seine Großmutter. Natürlich übertreibt sie maßlos.“

„Eileen …“

„Okay. Also ist er reich. Hat er inzwischen die fünfte Frau?“

„Du bist ganz schön neugierig.“

„Eine schlechte Angewohnheit von mir.“

Maggies Mundwinkel zuckten. „Eine Exfrau, keine Kinder. Anscheinend war die Frau ein Barrakuda.“

„He, selbst ein Barrakuda hat keine Chance gegen einen Hai.“ Eileen hasste es zuzugeben, dass sie auch nur einen Hauch von Mitgefühl für diesen Mann aufbrachte, den sie seit Jahren nicht gesehen hatte, aber Scheidungen waren immer hässlich. Nicht, dass sie aus eigener Erfahrung sprechen konnte. Dazu hätte sie ja verheiratet sein müssen. Und ihre einzige Verlobung war zum Glück aufgelöst worden, bevor sie vor den Altar getreten war.

„Ehrlich, Eileen“, sagte ihre Großmutter. „Du tust so, als wäre der Mann grässlich.“

„Na ja …“

Maggie sah sie böse an. „Rick ist der Enkel meiner besten Freundin.“

Die Falle begann zuzuschnappen. Doch noch immer wehrte Eileen sich. „Rick hat mich auch nie sonderlich leiden können.“

„Sei nicht albern.“

„Er würde wahrscheinlich gar nicht wollen, dass ich ihm helfe.“

„Loretta sagte, er sei dankbar für dein Angebot.“

Eileen traute ihren Ohren nicht. „Er weiß es bereits?“, fragte sie entgeistert. So viel zu ihrer Entscheidungsfreiheit.

„Ich musste doch irgendetwas sagen, oder?“

„Und meine Dienste anzubieten war das Erste, was dir in den Sinn kam?“ Wie konnte es angehen, dass man von der eigenen Familie so verraten wurde?

„Du bist ein gutes Mädchen. Ich dachte nicht, dass du etwas dagegen hättest.“

„Rick Hawkins“, murmelte Eileen und schüttelte den Kopf. Sie hatte ihn zuletzt vor sechs Jahren auf der Beerdigung ihres Großvaters gesehen. Sechs Jahre waren eine lange Zeit. Und das war okay für sie. Der kurze Blick, den sie von ihm erhascht hatte, als sie ihn in einem dunklen Anzug während der Trauerfeier gesehen hatte, konnte die Erinnerungen an ihn nicht auslöschen. Für Eileen war und blieb er ein Rüpel, der kleine Mädchen ärgerte, die ihn anhimmelten. Und für solch einen Mann sollte sie arbeiten? „Ich werde es nicht tun.“

Maggie stützte die Ellenbogen auf den Sessellehnen auf und verschränkte die Finger. Ernst schaute sie ihre Enkelin an. „Als du zehn Jahre alt warst, hast du die Tasse aus Urgroßmutter O’Haras Porzellanservice zerbrochen.“

„Oh nein …“ Lauf, Eileen, dachte sie. Verschwinde, bevor es zu spät ist.

„Soweit ich mich erinnere, sagtest du daraufhin etwas wie: ‚Es tut mir so leid, Granny. Ich tue alles, um es wieder gutzumachen. Alles.‘“

„Ich war zehn“, protestierte Eileen und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. „Das war vor siebzehn Jahren.“

Maggie seufzte theatralisch und legte eine Hand auf ihr vermeintlich gebrochenes Herz. „Ach, gibt es jetzt eine Zeitbegrenzung für Versprechen in diesem Haus?“

„Nein, aber …“ Die Falle schnappte weiter zu. Eileen bekam kaum noch Luft.

„Es war die letzte Tasse von dem Service, das meine Großmutter aus der alten Heimat mitgebracht hat.“

„Granny …“ Schuldgefühle machten sich in Eileen breit und drohten sie zu erdrücken.

Ihre Großmutter blickte gen Himmel. „Ihre Großmutter schenkte ihr das Service zur Hochzeit. Es sollte ein Andenken an die alte Heimat sein.“

Wenn sie jetzt wieder mit dem Zwischendeck anfängt, dann ist alles verloren, dachte Eileen. „Ich weiß, aber …“

„Sie hat diese Tassen auf dem Schiff wie einen Augapfel gehütet. Es war nicht einfach. Urgroßmutter war im Zwischendeck und …“

Schnapp!

„Ich gebe mich geschlagen“, stöhnte Eileen und hob ergeben die Hände. Es hatte keinen Zweck, auch wenn sie partout nicht für Rick arbeiten wollte, ihre Großmutter erreichte immer ihr Ziel. „Ich werde es tun. Aber nur für zwei Wochen. Keinen Tag länger.“

„Wunderbar, Liebes.“ Maggie griff nach der Teetasse auf dem Tisch neben ihr. „Sei morgen früh um acht in seinem Büro. Ich habe Rick gesagt, dass er dich dann erwarten soll.“

„Du wusstest die ganze Zeit, dass ich es tun würde, stimmt’s?“

Maggie lächelte lediglich.

„Nur damit du es weißt, ich habe dir die Sache mit der Barbiepuppe immer noch nicht verziehen.“

Rick Hawkins betrachtete die große elegante Rothaarige, die in seinem Vorzimmer stand. Ihre Miene drückte Missmut aus, doch das tat ihrer Schönheit keinen Abbruch. Die leuchtend grünen Augen waren zusammengekniffen, doch nicht so weit, um den Glanz zu verbergen. Sie hatte einen sinnlichen Mund mit vollen Lippen, und ihre Augenbrauen waren hübsch geschwungen. Das rotblonde Haar war gewellt und schulterlang. Sie trug eine weiße Bluse zu einer schwarzen Hose und glänzende schwarze Stiefel. Kleine silberne Ringe baumelten in ihren Ohrläppchen, doch außer einer silbernen Armbanduhr trug sie sonst weiter keinen Schmuck. Sie sah geschäftsmäßig aus und wirkte sehr stolz.

Er hätte niemals auf seine Großmutter hören sollen.

Das würden wohl zwei lange Wochen werden.

„Du warst elf“, erinnerte er sie schließlich.

„Und du warst fast sechzehn“, konterte sie.

„Du warst eine Plage.“ Doch wenn er sie jetzt anschaute, hatte er nicht das Gefühl, dass ihre Gegenwart ihn stören würde. Doch gerade das bereitete ihm ein wenig Sorge, denn er war schon einmal auf ein hübsches Gesicht hereingefallen. Er hatte Allison vertraut. An sie geglaubt. Und dann war sie gegangen. So wie alle anderen Frauen in seinem Leben auch – mit Ausnahme seiner Großmutter, die ihn großgezogen hatte, nachdem seine Mutter entschieden hatte, dass sie lieber frei sein wollte, statt an ein Kind gebunden zu sein.

Eileen nickte. „Stimmt. Aber deshalb hättest du meine Barbiepuppe nicht köpfen müssen.“

Er lächelte. „Vielleicht nicht, aber danach hast du mich wenigstens in Ruhe gelassen.“

„Na ja.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wippte mit einer Schuhspitze auf dem stahlblauen Teppich auf und ab. „Das waren schließlich die ersten Anzeichen eines Serienkillers, und mit dem wollte ich nichts mehr zu tun haben.“

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Ich habe keine schaurige Vergangenheit. Ich bin lediglich Geschäftsmann.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Das kommt aufs Gleiche heraus.“

Rick schüttelte den Kopf. Sie besaß noch das gleiche feurige Temperament wie als Kind. Immer bereit zu einem Kampf. Es lag wohl an den roten Haaren. „Wird das Büro in den nächsten zwei Wochen zum Kriegesgebiet? Wenn ja, dann …“

„Nein“, erwiderte sie und warf die Handtasche auf den Schreibtisch, der während der Zeit, die sie hier war, ihr gehören würde. „Ich bin nur sauer. Und es ist nicht einmal dein Fehler.“

„Wofür ich sehr dankbar bin.“

„Sehr witzig.“

„Friede, okay? Ich bin wirklich froh, dass du mir helfen willst, Eileen.“ Das war er tatsächlich. Er brauchte ihre Hilfe. Was er nicht brauchte, war die Art von Ablenkung, die sie zweifellos darstellen würde.

Sie zog die Augenbrauen hoch. „He“, meinte sie lächelnd, „das ist ja ein Fortschritt. Immerhin hast du mich nicht mehr Fratz genannt.“

„Nein“, meinte er und musterte sie eingehend. Obwohl sie noch immer kratzbürstig zu sein schien, hatte sie ansonsten nichts mehr mit dem schlaksigen kleinen Mädchen mit den langen Zöpfen und den aufgeschrammten Knien gemeinsam. Diese Frau war nicht mehr zu vergleichen mit dem Kind, dem er den Spitznamen Fratz gegeben hatte. „Jetzt bist du eindeutig erwachsen.“

Sie neigte den Kopf zu einem stillen Danke, und es schien, als hätten sie einen vorübergehenden Waffenstillstand geschlossen.

„Es ist eine ganze Weile her“, stellte Eileen fest.

„Ja.“ Es war ungefähr sechs Jahre her, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Als Kinder waren er und die Ryan Schwestern häufig zusammen gewesen, weil ihre Großmütter schon damals gut befreundet gewesen waren. Aber nach der Schule – genauer gesagt, nachdem er und Eileens Schwester Bridget sich getrennt hatten – war er nicht mehr bei ihnen aufgetaucht.

Und während seiner Abwesenheit hatte Eileen Ryan sich gewaltig gemausert. Was seinem Seelenfrieden nicht unbedingt zuträglich war.

„Wie geht es deiner Großmutter?“, fragte er.

„Sie ist noch genauso rüstig und manipulativ wie immer“, antwortete Eileen mit einem kleinen Grinsen, das ihn ganz benommen machte. „Ich stehe hier als lebender Beweis. Granny ist wahrscheinlich der einzige Mensch, der mich dazu überreden konnte, diesen Job bei dir zu übernehmen, obwohl ich eigentlich Urlaub habe.“

„Im Überreden war sie schon immer gut.“

„Das kann man wohl sagen.“ Eileen strich sich eine Locke aus dem Gesicht, und ihre Ohrringe funkelten im Sonnenschein. „Sie vermisst dich. Du solltest mal bei ihr vorbeischauen.“

„Das werde ich“, erklärte er und meinte es auch. Maggie Ryan war eine zweite Großmutter für ihn gewesen. Er schämte sich dafür, dass er sich so lange nicht bei ihr hatte blicken lassen.

„Wie geht’s deiner Granny?“

„Sie ist in Florida“, meinte er grinsend. „Um den Start der Raumfähre mitzuerleben.“

Eileen drehte sich um und lehnte sich mit der Hüfte gegen den Schreibtisch. „Sie hat immer irgendetwas Aufregendes getan, soweit ich mich erinnere.“

Rick lächelte. Seine Großmutter war stets unternehmungslustig gewesen. „Ich glaube, in Wirklichkeit ist sie eine Zigeunerin und wurde als Baby an eine normale Familie verkauft.“

Eileen zuckte mit den Schultern, und ihr herrliches Haar schien tatsächlich Funken zu sprühen. „Was ist schon normal?“

„Keine Ahnung“, gab er zu. Er hatte einmal gedacht, er wüsste, was normal sei. Es war alles, was er nicht hatte. Eine richtige Familie mit einer Mom und einem Dad. Ein Haus mit weißem Gartenzaun und ein großer Hund, mit dem man spielen konnte. Dazu gehörten Träume und Pläne und alles andere, woran er so hart gearbeitet hatte, um es zu erreichen. Aber jetzt war er sich nicht mehr so sicher.

Für einige Menschen, dachte Rick, gibt es einfach keine Normalität. Und das war okay für ihn, jetzt wo er sich damit arrangiert hatte, dass er zu dieser Gruppe von Menschen gehörte. Einmal hatte er versucht, diese Normalität zu erreichen. Er hatte eine Frau geheiratet, von der er geglaubt hatte, sie würde ihn so lieben wie er sie. Als er schließlich herausfand, wie sehr er sich geirrt hatte, war sie verschwunden gewesen und mit ihr die Hälfte seiner Firma. Und seine Fähigkeit, jemandem zu vertrauen.

„So.“ Eileens Stimme unterbrach seine düsteren Gedanken, und er wandte ihr dankbar seine Aufmerksamkeit zu. „Was genau soll ich hier tun?“

„Pass auf.“ Gute Idee, dachte er. Konzentriere dich auf das Geschäftliche. Nur weil ihre Großmütter miteinander befreundet waren, bedeutete das ja nicht, dass sie diese Situation anders als rein professionell behandeln sollten. Das ist auf jeden Fall besser, redete er sich ein, während er noch einmal den Blick über Eileen gleiten ließ. Ja, es würden zwei lange Wochen werden.

Er ging zum Schreibtisch und blieb dahinter stehen. „Hauptsächlich müsstest du dich um das Telefon kümmern, Nachrichten entgegennehmen und hin und wieder ein paar Berichte für mich tippen.“

„Im Grunde willst du also, dass ich meinen Finger in das Rohr stecke und verhindere, dass das Büro überflutet wird, bis du jemanden gefunden hast, der dauerhaft hier arbeiten kann.“

„So könnte man es auch umschreiben, ja.“ Rick steckte die Hände in die Hosentaschen. „Da Margo schon unerwartet früh in den Mutterschutz gehen musste, herrscht hier das große Chaos, und die Zeitarbeitsagentur kann mir frühestens in zwei Wochen jemanden schicken.“

„Wie bitte?“ Eileen hob eine Hand, während sie ihn anstarrte. Okay, sie musste zugeben, dass Rick Hawkins ein bisschen mehr war, als sie erwartet hatte. Aus irgendeinem Grund hatte sie ihn trotz des Wiedersehens vor sechs Jahren immer so in Erinnerung, wie er mit sechzehn ausgesehen hatte. Groß und schlaksig, mit zerzausten braunen Haaren und einem schiefen Lächeln. Das Lächeln war noch immer da, aber er war nicht mehr schlaksig. Er besaß die Statur eines Mannes, der regelmäßig ins Fitness-Center ging.

Und seine Stimme klang so toll, wie geschmolzene Schokolade schmeckte.

Na gut, sie war Frau genug, um sich von einem Mann wie ihm ablenken zu lassen. Sehr sogar. Bis er das Wort „frühestens“ benutzt hatte. Sie war nicht willig, mehr als die vereinbarte Zeit für ihn zu erübrigen.

„Frühestens?“, wiederholte sie. „Ich kann nur für zwei Wochen bleiben, Rick. Dann verwandele ich mich wieder in einen Kürbis und gehe zurück zu ‚Rittersporn‘.“

„Was ist das?“

„Mein Laden.“ Ihr Stolz und ihre Freude. Der Laden, für den sie so hart gearbeitet hatte.

„Oh ja, richtig. Granny erzählte, dass du jetzt in einem Blumenladen arbeitest.“

„Ich besitze einen Blumenladen. Klein, aber exklusiv, wobei wir sehr viel Wert auf besondere Blumenarrangements legen.“ Sie griff nach ihrer Tasche, wühlte kurz darin herum und zog eine kleine Messingdose heraus, aus der sie eine Visitenkarte nahm. Die Karte, die sie Rick reichte, war aus edlem hellblauem Papier, an dessen linker Seite der Stiel einer einzelner zarten Blume emporrankte und sich um den Namen „Rittersporn“ schlang. Eileens Name und Telefonnummer waren diskret weiter unten aufgedruckt.

„Sehr hübsch“, meinte Rick und sah wieder zu Eileen, als er die Karte automatisch in seine Brusttasche steckte.

„Danke. Wir leisten gute Arbeit. Du solltest uns mal antesten.“

„Das werde ich.“ Eine Sekunde oder zwei verstrichen, und das Schweigen zwischen ihnen bekam eine andere Note. Es knisterte zwischen ihnen, und Rick ermahnte sich, das sofort zu unterbinden. Er hatte noch nie mit einer Angestellten angebändelt, und jetzt war ganz sicher nicht der richtige Zeitpunkt, um damit anzufangen. Das brächte ihm nur zwei Großmütter auf den Hals, wenn Eileen sich beschwerte.

„Wie auch immer“, sagte er lauter als beabsichtigt, „zwei Wochen sind hervorragend. Ich bin sicher, dass die Zeitarbeitsfirma mir dann jemanden schicken kann.“

„Es gibt doch genug Firmen dieser Art. Warum wendest du dich nicht an eine andere?“

„Ich habe schon viele ausprobiert. Diese hier schickt immer gute Leute. Die meisten anderen nicht. Also warte ich lieber.“

„Warum hast du dich nicht darum gekümmert, bevor Margo gegangen ist?“

„Gute Frage“, entgegnete er trocken. „Ich war so beschäftigt damit, alles zu arrangieren und vorzubereiten, bevor sie ging, dass mir die Zeit nur so durch die Finger geronnen ist. Hinzu kam, dass Margo während der letzten Wochen einfach nicht mehr so gut organisiert war wie sonst.“

„Wahrscheinlich hatte sie wichtigere Dinge im Kopf.“

„Vermutlich.“ Seine treue Sekretärin hatte ihn schon vor ihrem letzten Arbeitstag auf dem Trockenen sitzen lassen. Margos sonst so brillanter Verstand schien sich in einem See von Schwangerschaftshormonen aufgelöst zu haben. Er konnte es kaum erwarten, dass sie ihr Kind bekam, damit alles wieder normal wurde. „Ich bin nur froh, dass sie wieder anfangen wird zu arbeiten, wenn das Kind da ist.“

„Das ist eine Schande“, meinte Eileen.

„Was?“ Er schaute sie an. „Wieso?“

„Wenn ich ein Baby hätte, dann würde ich zu Hause bleiben wollen und mich selbst darum kümmern.“ Eileen stellte ihre Tasche wieder weg, kam um den Schreibtisch herum und schob ihn aus dem Weg, damit sie sich auf den blauen Lederschreibtischstuhl setzen konnte. „Ich meine, ich weiß, dass viele Frauen arbeiten müssen, aber wenn es nicht unbedingt sein muss …“

„Margo würde verrückt werden, wenn sie nichts zu tun hätte“, argumentierte er. „Sie hat gern viel um die Ohren.“

„Ich habe gehört, dass Babys einen ziemlich auf Trab halten können.“

Er erschauerte bei dem Gedanken, dass Margo sich für ein Dasein als Vollzeit-Mutter entscheiden könnte. „Sag das nicht. Sie muss wieder herkommen. Ohne sie läuft hier gar nichts.“

„Dann wird sie wohl wiederkommen“, sagte Eileen und öffnete die oberste Schublade, um sich mit den Gegebenheiten vertraut zu machen. „Ich sage ja nur …“

„Sag es bloß nicht noch einmal. Das bringt Unglück.“

„Das klingt ja sehr erwachsen.“ Sie schob die Schublade wieder zu und öffnete die nächste. Beim Durchstöbern fand sie eine Tüte mit Schokobonbons, die Margo liegen gelassen hatte. Sie nahm sich einen und steckte ihn in den Mund. „Gibt es hier eine Kaffeemaschine?“

„Da drüben.“ Er wandte den Blick ab, um nicht mit ansehen zu müssen, wie ihre Zunge auf der Suche nach dem letzten Schokoladenkrümel über die Unterlippe glitt.

„Ein Glück“, murmelte Eileen und sprang wieder auf. Vom Sideboard aus warf sie ihm einen Blick über die Schulter zu. „Da dies mein erster Tag ist, bringe ich dir sogar eine Tasse mit. Danach musst du dich selbst bedienen. Ich bin keine Kellnerin, sondern Sekretärin. Und das auch nur auf Zeit.“

Auf Zeit, erinnerte er sich, während er gebannt auf ihre ausgesprochen wohlgerundeten Hüften schaute, deren Schwung den Puls jedes Mannes um einige Grade nach oben getrieben hätte. Himmel, jede Beziehung war letztlich zeitlich begrenzt. Diese hier war zumindest von Anfang an richtig definiert.

Es würde doch nur Probleme geben, dachte er und fragte sich, wie zum Teufel er die nächsten zwei Wochen mit Eileen überstehen sollte.

Am dritten Tag wusste Eileen genau, warum sie der Geschäftswelt den Rücken gekehrt und sich den Blumen zugewandt hatte. Blumen verursachten keine Kopfschmerzen. Blumen erwarteten nicht, dass man auf alles eine Antwort wusste. Blumen sahen in Anzügen nicht umwerfend gut aus.

Okay, Letzteres war keiner ihrer Gründe gewesen, das Büro zu verlassen. Aber jetzt stand es auf ihrer Liste.

Die Arbeit war nicht schwer, sondern sogar ziemlich interessant, obwohl Eileen das gegenüber Rick niemals zugeben würde. Und nachdem sie die letzten zwei Jahre hauptsächlich Jeans und T-Shirts getragen hatte, war es ganz nett, sich zur Abwechslung mal wieder herauszuputzen. Zum Glück hatte sie ihre Garderobe damals aufbewahrt – Hosen, Blusen, Kostüme, Pumps und ihre Stiefel. Sie trug sogar Make-up und frisierte sich jeden Morgen. Sonst genügte es ihr, sich einen Pferdeschwanz zu machen und ein bisschen Lippenstift aufzutragen. Doch all das wog nicht auf, dass sie einfach zu viel Zeit damit verbrachte, Rick anzustarren.

Sie war in ihn verschossen gewesen, als sie ein Kind gewesen war. Zumindest bis zu jenem unglücklichen Zwischenfall mit der Barbiepuppe. Er und Bridget hatten sie meistens ignoriert, und wenn sie einmal gezwungen gewesen waren, sich mit ihr abzugeben, dann hatte Rick Eileen so lange geärgert, bis sie ihn am liebsten geschlagen hätte.

Aber jetzt … sie drehte ihren Kopf ein wenig, sodass sie durch die halb geöffnete Tür in sein Büro schauen konnte.

Rick hatte die Krawatte gelöst, sein dunkelbraunes Haar war zerzaust, weil er mit den Fingern frustriert hindurchgefahren war, und er sah zum Anbeißen aus.

Ach herrje.

Das war eine Komplikation, die sie weder wollte noch brauchte.

Sie konnte nicht anfangen, für Rick Hawkins zu schwärmen. Zum einen würde sie nach Ablauf der zwei Wochen wieder in ihre Welt zurückkehren und ihn seiner Welt überlassen, und sie würden sich wahrscheinlich nie wiedersehen. Zum anderen war er überhaupt nicht ihr Typ. Sie stand mehr auf die künstlerischen Typen, die man unten am Strand traf. Die gebräunten und entspannten Jungs, die sich nicht darum scherten, was morgen war. Bei solchen Männern gab es keine Schwierigkeiten. Man wusste, eine Beziehung mit ihnen führte nirgendwo hin. Ihr Ausblick in die Zukunft beschränkte sich auf die nächste Welle. Oder auf den nächsten Gehaltsscheck. Sie besaßen keine Portfolios.

Himmel, die meisten von ihnen besaßen nicht einmal Schuhe, die das Tragen von Socken erforderten.

Warum verbrachte sie also plötzlich so viel Zeit damit, an einen überaus erfolgreichen Geschäftsmann zu denken?

2. KAPITEL

Rick lehnte sich in seinem Stuhl zurück und beobachtete Eileen, die an der Tür stehen blieb. Sie tat das jetzt seit drei Tagen. Sie machte ihre Arbeit. Sie war effizient, klug, durchorganisiert. Aber sie hielt ihn auf Distanz. Und wenn er schlau war, wusste er das zu schätzen.

Stattdessen frustrierte es ihn.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass er sich so zu ihr hingezogen fühlen würde. Als seine Großmutter anfangs vorgeschlagen hatte, Eileen als Vertretung einzustellen, hatte Rick sich das absolut nicht vorstellen können. Die Eileen, die er von früher kannte, entsprach überhaupt nicht seiner Vorstellung von einer guten Sekretärin. Aber er war verzweifelt gewesen und bereit, alles zu versuchen. Jetzt, da sie hier war, konnte er kaum noch an etwas anderes als an sie denken.

Was ganz sicher kein gutes Zeichen war.

„Hallo? Erde an Rick.“

Er blinzelte und schreckte aus seinen Gedanken auf wie ein Mann, der aus dem Koma erwachte. „Was ist?“

„Ich weiß nicht. Du hast mich gerufen, erinnerst du dich?“ Eileen stand immer noch an der Tür, aber jetzt sah sie ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Und wer weiß, vielleicht stimmte das sogar.

Er stand auf. Im Stehen hatte er schon immer besser denken können. „Ach ja, ich möchte dich bitten, heute ein wenig länger zu bleiben …“ Er brach ab, weil das Telefon im Vorzimmer klingelte.

„Moment.“ Eileen drehte sich um und ging zu ihrem Schreibtisch.

Er zwang sich dazu, nicht auf ihren Hüftschwung zu achten. Was wahrlich nicht einfach war.

Beim dritten Klingeln nahm Eileen ab. „Hawkins Finanzberatung.“

Rick beobachtete sie, als sie über den Schreibtisch nach einem Stift langte. Der Saum ihres Rockes rutschte verführerisch weit hoch, und wieder ermahnte er sich, nicht hinzusehen. Aber verflixt, er war ein Mann, richtig? Es war unmöglich, nicht hinzuschauen. Das hatte gar nichts zu bedeuten.

„Gloria Taylor?“ Eileen wandte sich mit fragendem Blick an ihn.

Verdammt.

Er formte ein Nein mit den Lippen und schüttelte vehement den Kopf. Das fehlte ihm gerade noch. Gloria, die über Cocktailpartys plauderte, zu denen er sie begleiten sollte. Er hatte sie schon seit Wochen nicht mehr angerufen, doch Gloria ging selbstverständlich davon aus, dass jeder Mann, der ihren Weg kreuzte, ihr Liebessklave wurde. Rick glaubte jedoch weder an Liebe noch an Sklaverei.

Sag ihr irgendetwas, bedeutete er Eileen und hoffte, sie war gut im Lippenlesen. Er kam sich vor wie ein Pantomime. Aber er konnte nicht einmal ein Flüstern riskieren. Gloria hatte ein Gehör wie eine Fledermaus. Sie würde wissen, dass er da war und darauf bestehen, mit ihm zu sprechen, und er war einfach nicht interessiert.

Himmel, er war nicht einmal interessiert gewesen, als sie noch miteinander ausgegangen waren.

Irgendetwas? formte Eileen mit den Lippen. Ihre Augen funkelten. Als er nickte, lächelte sie verschmitzt und sagte: „Es tut mir leid, Miss Taylor, aber Rick kann im Moment nicht ans Telefon gehen. Die Ärzte haben ihm geraten, nicht zu reden, bis die Fäden gezogen sind.“

Was? Rick kam näher.

Eileen richtete sich auf. „Oh, Sie haben es noch nicht gehört? Ein kleiner Unfall“, sagte sie mit gespieltem Mitleid in der Stimme. „Ich bin sicher, die Verunstaltungen sind nicht für immer.“ Eine Sekunde später riss Eileen den Hörer vom Ohr und zuckte zusammen. „Wow. Sie hat den Hörer so heftig aufgeknallt, dass ich jetzt bestimmt taub bin.“

Rick starrte sie an. „Ich bin verunstaltet? Warum hast du das gesagt?“

„Wie bitte?“ Eileen legte eine Hand hinter ihr Ohr und neigte fragend den Kopf.

„Sehr witzig, Eileen.“ Er betrachtete sie mit finsterem Blick, schob die Hände in die Hosentaschen und wippte auf den Fersen. „Was sollte das?“

„Du hast gesagt, ich sollte ihr irgendetwas sagen.“

„Richtig. Etwas Vernünftiges.“

„Niemand hat etwas von Vernunft gesagt.“

Rick zog die Hände aus den Taschen und verschränkte die Arme vor der Brust. Eileen überraschte ihn immer wieder. Was ihn faszinierte. Und was ihm ziemliche Sorgen bereitete. „Ich wusste nicht, dass ich ausdrücklich auf Vernunft bestehen muss. Beim nächsten Mal bin ich gewarnt.“

Sie lachte leise.

„Dir hat das auch noch Spaß gemacht.“

„Oh ja.“ Eileen lehnte sich gegen den Schreibtisch. „Ich glaube, deine Gloria ist nicht besonders tiefschürfend. Allein das Wort ‚Verunstaltung‘ reichte, um sie in die Flucht zu schlagen.“ Sie betrachtete ihn mit amüsiertem Blick. „Du schwimmst wohl in ziemlich seichten Gewässern, was?“

Eine gute Beschreibung von Gloria und ihresgleichen. Aber er war ja auch nicht an ernsthaften Beziehungen interessiert. Er hatte lediglich eine Begleitung zum Essen und eine Frau, die sein Bett wärmte, gewollt. Gloria war für beides nicht sonderlich gut zu gebrauchen gewesen. Aber das stand jetzt nicht zur Debatte.

„Redest du mit all deinen Arbeitgebern so offen?“

Sie trat vom Schreibtisch weg. „Ich habe keinen Arbeitgeber. Ich bin mein eigener Chef.“

„Was wahrscheinlich ein weiser Schritt war.“

„Was soll das heißen?“

„Du bist kein Typ für Teamwork, stimmt’s?“

„Ich habe gute Arbeit geleistet, oder nicht?“

„Sicher“, sagte Rick und kam näher. Er konnte ihren Duft wahrnehmen und atmete tief ein. „Wenn man dein Murren nicht in Betracht zieht und die Weigerung, Anweisungen entgegenzunehmen, …“

„Ich brauche keine Anweisungen. Ich weiß, wie man ein Büro organisiert …“

Himmel, sie war noch genauso reizbar wie früher. Das irische Temperament brodelte immer direkt unter der Oberfläche. Und es in ihren Augen aufblitzen zu sehen, war faszinierend. Die smaragdgrünen Tiefen wirkten aufgewühlt und gefährlich, und Rick wurde immer mehr in ihren Bann gezogen.

„Aber das ist mein Büro“, konterte er und provozierte sie damit noch mehr. Sie errötete, und ihr Atem beschleunigte sich. Dabei wirkte sie wie eine zusammengedrückte Feder, die jede Sekunde auseinanderschnellen konnte. Und er war mehr als fasziniert. Verflixt, er steckte in ernsthaften Schwierigkeiten. Er konnte sich nicht erinnern, wann er je eine Frau so sehr begehrt hatte.

„Oh, ich weiß, dass es dein Büro ist“, sagte sie und kam noch einen Schritt näher. „Es trägt deinen langweiligen, unoriginellen Stempel. Jeder andere hätte ein bisschen Farbe hineingebracht. Aber nicht der große Rick Hawkins. Oh nein. Für den seriösen Geschäftsmann muss es überall Schlachtschiffgrau sein, nicht wahr? Du bist auch nur einer von vielen und zeichnest dich nicht gerade durch Originalität aus.“

„Originalität?“ Sie konnte über die Inneneinrichtung sagen, was sie wollte, denn es war ihm ziemlich egal, wie das Büro aussah, solange es Seriosität und Erfolg vermittelte. Glaubte sie wirklich, er wäre die Art von Mann, der mit Farbmustern durch die Gegend lief?

Aber er wollte verdammt sein, wenn er sich von ihr als Herdentier beschimpfen ließ. Er hatte im letzten Jahr mehr Erfolg gehabt als alle seine Konkurrenten, und seine Firma war während der vergangenen drei Jahre eine der am schnellsten wachsenden an der Westküste gewesen, was nicht geschehen war, weil er blindlings irgendjemandem gefolgt war.

„Na, schau dich doch um“, rief sie aus. „Das ganze Gebäude gleicht einem Kaninchenbau. Und jedes von euch Karnickeln ist in seiner kleinen grauen Welt eingesperrt.“ Eileen machte eine weit ausholende Bewegung und zeigte auf die grauen Wände, die stahlblaue Auslegeware und die wenigen Bleistiftzeichnungen an den Wänden. „Ich wette, derselbe Innenarchitekt hat sämtliche Räume in diesem Gebäude eingerichtet. Ihr habt wahrscheinlich alle die gleichen furchtbaren Bilder am gleichen Platz an den gleichen grauen Wänden.“

„Weil ich in einem Bürogebäude arbeite, bin ich unoriginell?“

Eileen nickte heftig. „Ist ja auch schwierig, sich einen freien Geist zu bewahren, wenn man in absoluter Eintönigkeit und Gleichmacherei lebt.“

Er musste trotz ihres beleidigenden Tons lachen. Sie übertrieb maßlos und kam ihm vor wie ein moderner Hippie, der sich der Rettung der Seelen verschrieben hatte. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn sie angefangen hätte, zu singen und die Sonne anzubeten.

Insgeheim musste er zugeben, dass er schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt hatte.

„Was du brauchst, ist …“ Sie schlug sich eine Hand auf ihr linkes Auge und rief: „Stehen bleiben!“

„Was?“ Instinktiv trat er einen Schritt näher.

„Weißt du nicht, was stehen bleiben heißt? Beweg dich nicht.“ Sie funkelte ihn wütend mit dem rechten Auge an.

„Wovon redest du?“

Langsam ging sie in die Hocke. „Meine Kontaktlinse. Ich habe eine verloren.“

„Soll das ein Witz sein?“

„Sehe ich so aus?“ Sie legte den Kopf zurück, um ihn anzustarren.

„Du trägst Kontaktlinsen?“

Sie kniff das eine Auge zusammen. „Offensichtlich.“

Rick schaute zum Boden und ließ sich dann vorsichtig auf die Knie nieder. „Ich wusste, dass deine Augen nicht von Natur aus so grün sein konnten.“

„Pass auf, wo du dich hinkniest!“, rief sie wütend, bevor sie ihn noch einmal aus einem Auge böse ansah und hinzufügte: „Und es sind keine getönten Linsen, falls du es wissen willst.“

Er schaute sie an. „Beweise es.“

Sie öffnete ihr linkes Auge. Es war genauso grün wie das rechte. Tief, rein und klar, hatten sie die Farbe von Gras im Frühling. Oder die eines beleuchteten Smaragds im Schaukasten eines Juweliers. Er starrte in Eileens Augen und verlor sich für einen Moment in deren Tiefen. Es ist fast wie ertrinken, dachte er, bevor er sich zusammenriss und den Blick abwandte. Er würde nie wieder in den Augen einer Frau versinken. Nie wieder.

„So.“ Sie schluckte, holte tief Luft und sagte dann hastig: „Lass die Finger vorsichtig über den Teppich gleiten.“

„Passiert dir das häufig?“, wollte er wissen.

„Meist nur, wenn ich mich aufrege.“

„Also ziemlich oft.“

Sie stieß ihm einen Ellenbogen in die Rippen. „Sehr witzig.“

„Das hat man mir schon öfter gesagt.“

„Gloria auch?“

„Gloria war eine Kundin“, erklärte er, während er den Fußboden absuchte. „Wir sind ein paar Mal essen gegangen, mehr nicht.“

„Anscheinend ist sie immer noch hungrig.“

„Pech für sie“, murmelte er und erinnerte sich daran, wie langweilig Gloria war, „denn ich hatte genug.“

„Oho.“ Eileen wandte ihm den Kopf zu. „Hört sich an, als gäbe es hier eine Geschichte zu erzählen.“

Er schaute sie an, und als sie ihr Haar zur Seite strich und lächelte, geschah etwas mit ihm. Auf einmal bekam er ein merkwürdiges Herzflimmern. Und als Eileen mit ihren Fingern ganz sacht seine berührte, während sie den Teppich absuchte, spürte er eine eigenartige Hitze, die sich in seinem ganzen Körper ausbreitete. Das hatte er bei Gloria nie gefühlt. Auch nicht bei seiner Exfrau. Genau genommen noch bei keiner Frau.

Verdammt, Eileen ging ihm unter die Haut. Und das durfte er nicht zulassen. Er musste sich stets vor Augen halten, dass sie nur eine alte … Ja, was eigentlich? Eine Freundin war sie nicht gerade, aber auch keine Feindin. Und sicherlich nicht alt. Was war sie also? Abgesehen natürlich von einer erstklassigen Versuchung?

„Hallo?“, murmelte sie und wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht herum.

„Was? Auch so, Geschichte. Nein. Gloria war nur …“ Er dachte einen Moment lang darüber nach. Er schuldete weder Eileen noch sonst wem eine Erklärung. Aber da sie ihn forschend anstarrte, wusste er, dass er nicht so davonkommen würde. Schließlich sagte er einfach nur: „Vorübergehend.“

Eileen zog die Augenbrauen hoch. „Du scheinst eine Vorliebe für befristete Arrangements zu haben.“

„Nichts hält ewig.“ Seine Stimme klang angespannt und hart, selbst in seinen Ohren.

„Na, das ist ja eine positive Sicht der Dinge“, meinte sie ironisch und krabbelte vorsichtig vorwärts.

„Einfach nur realistisch.“ Er wusste das besser als jeder andere. Liebe, Freundschaft, Beziehungen, sie alle endeten. Und zwar meistens dann, wenn man es am wenigsten erwartete. Schon vor langer Zeit hatte Rick beschlossen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Jetzt beendete er die Dinge, bevor sie kompliziert wurden. Er war derjenige, der ging. Er würde nie wieder derjenige sein, der mit einem gebrochenen Herzen allein zurückblieb.

Er kroch neben ihr her. „Wie weit können diese Dinger überhaupt rollen?“, fragte er, um das Thema zu wechseln.

„Ziemlich weit“, erwiderte sie. „Und wieso klingt ‚realistisch‘ aus deinem Mund so zynisch?“

Er hob den Blick. Verflixt, sie war ihm viel zu nahe. So nahe, dass er die Sommersprossen auf ihrer Nase zählen konnte. Es gab sechs. Nicht, dass es ihn etwas anging, trotzdem fiel es ihm schwer, sich auf ihre Unterhaltung zu konzentrieren. „Warum bist du so interessiert?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Tu einer halbblinden Frau einfach einen Gefallen.“

Rick schmunzelte vor sich hin. Sie brachte ihn zum Lachen. Schon vom ersten Tag an, seit sie hier war. Und das war etwas, was er viel zu selten tat. Er war zu beschäftigt damit gewesen, seine Firma aufzubauen, um sich die Zeit zu nehmen, das zu genießen, was er geschaffen hatte. Zu beschäftigt, allen – eingeschlossen sich selbst – zu beweisen, dass er es bis an die Spitze schaffen konnte. Aber irgendwie gelang es Eileen, alles ein wenig aufzuheitern, selbst wenn sie mit ihm stritt.

Sie war unmöglich zu ignorieren, aber es war gefährlich, ihr allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken.

Er zuckte mit den Schultern. „Es gibt keine tiefgründige Erklärung“, sagte er und weigerte sich, die lange, traurige Geschichte seiner vergangenen Beziehungen zu erläutern. Erstens ging es Eileen nichts an, und zweitens hatte er gelernt, es zu vergessen. Es war sinnlos, darüber zu brüten. „Gloria und ich waren lediglich zwei Schiffe, die sich in der Nacht kurz gekreuzt haben, bevor jeder wieder seines Weges zog. Das ist realistisch, nicht zynisch. So zu tun, als wäre es etwas anderes gewesen, wäre reine Zeitverschwendung.“

Schiffe, die sich in der Nacht getroffen haben? So, so. Eileen dachte über seine Wortwahl nach. Das bedeutete wohl, dass sie miteinander geschlafen hatten. Was wiederum bedeutete, dass diese Gloria Rick nackt gesehen hatte. Sofort schoss Eileen ein Bild durch den Kopf. Dasselbe Bild, das sie schon seit Tagen verfolgte.

Sie stellte sich vor, wie Rick nass aus der Dusche trat, nur mit einem um die Hüften geschlungenen Handtuch bekleidet, während noch Wassertropfen an den Haaren auf seiner Brust glitzerten. Sie malte sich aus, dass er den Kopf schüttelte und winzige Wassertropfen wie Diamanten aus seinem Haar fielen. Dann stellte sie sich vor, dass das Handtuch herunterfiel und er auf sie zukam, um sie in die Arme zu schließen. Das Bild war so deutlich, so verführerisch, dass sie seine nasse Haut geradezu spüren konnte. „Er würde den Kopf senken, seine Lippen würden Millimeter über ihren kurz verharren, und dann …“

„Ich habe sie!“

Eileen zuckte zusammen. „Was?“

„Deine Kontaktlinse“, sagte Rick und hielt sie ihr hin. „Ich habe sie gefunden.“

„Oh. Gut.“ Sie schluckte und versuchte ihr Gleichgewicht wieder zu finden. Musste es hier im Zimmer so verflixt heiß sein? Sie hatte das Gefühl, in ihrem Körper wütete ein Fieber. Sie schaute in Ricks Augen und verlor sich in deren braunen Tiefen. Sein triumphierendes Lächeln brachte ihren Puls zum Rasen, als wäre sie gerade auf den letzten Metern eines Marathonlaufes.

Noch nie hatte sie so heftig auf einen Mann reagiert. Sicher, es gab Männer, die ein gewisses Kribbeln in ihrem Bauch auslösten, und ab und zu konnte ein herrlicher Mund sie ein wenig verrückt machen. Aber niemals hatte sie sich Fantasien hingegeben, die ihren ganzen Körper vor Hitze und Verlangen erzittern ließen.

Weder bei ihrem verflossener Verlobten noch bei ihrem letzten Chef … der mit den vielen Versprechungen und dem ausgesprochen schlechten Gedächtnis, was diese Versprechen anging.

Nein. Rick löste ganz neue Gefühle in ihr aus. Sie steckte wahrlich in Schwierigkeiten.

„Danke“, sagte sie und nahm die Kontaktlinse aus seiner Handfläche. Die Berührung sandte erneut einen Wonneschauer über ihren Rücken, doch Eileen kämpfte dagegen an. Sonst geriet sie womöglich noch in Versuchung, sich auf den Rücken zu rollen und zu rufen: „Nimm mich!“

Verflixt, es wurde ja immer schlimmer mit ihr.

Eileen riss sich zusammen und stand hastig auf. „Okay, ich kümmere mich besser mal darum. Ich will das Leben ja nicht wie ein Zyklop betrachten.“

Unsicher ging sie Richtung Tür. Rick blieb ihr auf den Fersen, doch Eileen drehte sich nicht um. Das Wort „Salzsäule“ hallte durch ihren Kopf.

„Kann ich helfen?“

„Nein, danke.“ Sie machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich mache das schon seit Jahren.“

„Ich wusste gar nicht, dass du Kontaktlinsen trägst.“

„Woher auch? Wir haben uns ja seit sechs Jahren nicht gesehen.“

Der Flur war furchtbar lang. Die Wand zu ihrer Rechten war im allgegenwärtigen Grau gestrichen, doch zur anderen Seite hin ließ eine große Fensterfront die Nachmittagssonne hinein, die sich fünf Stockwerke unter ihnen auch auf den Windschutzscheiben der Autos spiegelte, die Stoßstange an Stoßstande über den Highway krochen. Allein der Gedanke, sich in diese endlose Schlange einzureihen, machte Eileen dankbar, dass Rick sie gebeten hatte, länger zu bleiben. Auch wenn er sie eindeutig nervös machte.

„Du meine Güte“, sagte Rick hinter ihr, als könnte er ihre Gedanken lesen. „Auf dem Highway ist die Hölle los.“

„Ich habe es bemerkt.“ Sie bog nach rechts ab, wo sich die Damentoilette befand.

„Später wird es wohl besser werden. Wir könnten uns etwas zu essen bestellen, während wir arbeiten.“

Essen. Sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt etwas herunter bekäme. Eileen schaute in den Spiegel und starrte auf Ricks Spiegelbild. Er war hier. Direkt hinter ihr. Im Vorraum der Damentoilette, du lieber Himmel! Zwei Vinylstühle waren rechts und links von einem niedrigen Tisch gruppiert, auf dem eine Vase mit frischen Blumen stand. Eileen schaute in den Spiegel, ignorierte die Möbel und starrte stattdessen Rick entgeistert an. „Essen?“

„Wieso? Isst du nicht?“

„Natürlich esse ich. Ich bin es nur nicht gewöhnt, dass Männer mir in die Damentoilette folgen, um mich einzuladen.“

Er nahm den Blick von ihr und schaute sich überrascht um. Dann sah er wieder in den Spiegel und verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. „Ups.“

In Eileens Magen begannen Schmetterlinge zu tanzen, und sie stellte fest, dass sein Lächeln sie immer noch nicht kalt ließ. Anscheinend war sie tief in ihrem Herzen noch immer dieses elfjährige Mädchen, das ein wenig in ihn vernarrt war.

Er deutete mit dem Daumen zur Tür hinter sich. „Ich warte draußen.“

„Gute Idee.“

Nachdem er gegangen war, stieß Eileen den Atem aus, den sie unbewusst angehalten hatte. Sie beugte sich vor und starrte auf ihr Spiegelbild. „Dieser Aushilfsjob war eine schlechte Idee, Eileen Ryan. Eine sehr schlechte.“

3. KAPITEL

Rick hatte zwar schon lange kein mexikanisches Essen mehr gegessen, doch er konnte sich nicht erinnern, dass Tacos und Nachos je so gut geschmeckt hatten. Aber er hatte ja auch noch nie daran gedacht, ein Picknick auf dem Fußboden in seinem Büro zu veranstalten. Und vielleicht lag es auch gar nicht am Essen. Vielleicht lag es daran, dass Eileen ihm Gesellschaft leistete. Sie ärgerte ihn, sie irritierte ihn, doch sie war unterhaltsamer, als er je vermutet hätte.

Als er sie jetzt betrachtete, während sie über einige ihrer Kunden sprach, sah er, dass ihre Augen humorvoll aufleuchteten.

„Da ist dieser eine Stammkunde“, erzählte sie, bevor sie von ihrem Taco abbiss. Sie kaute, schluckte hinunter und fuhr fort: „Er kauft jede Woche ein Dutzend Rosen.“

„Wohl ein guter Ehemann, was?“, vermutete Rick.

„Kaum“, erwiderte sie kopfschüttelnd. „Nein, der Strauß ist für die Dame der Woche. Immer jemand anderes, immer eine andere Rosenfarbe – je nach Persönlichkeit, sagt er. Aber einmal hat er die Bestellung geändert und verlangt, dass wir die hässlichsten Blumen, die wir haben, zu der Dame schicken.“

Rick zog eine Augenbraue hoch. „Da wundert man sich.“

„Ich wundere mich vor allem darüber, wo er so viele Frauen findet, die mit ihm ausgehen.“ Eileen seufzte und lehnte sich zurück, wobei sie sich mit den Händen auf dem Boden hinter sich abstützte. „Sein Schlafzimmer hat anscheinend Ähnlichkeit mit einem Fließband.“

„Und da hältst du mich für zynisch?“ Rick zog die Knie an und stützte sich darauf ab.

„Eins zu null für dich.“

„Und“, wechselte er nach einem Moment des Schweigens das Thema, „was macht Bridget denn so?“

Eileen lächelte. „Meiner großen Schwester geht’s gut. Dreieinhalb Kinder und ein Ehemann, den sie vergöttert. Sie ist geradezu grässlich glücklich.“

„Dreieinhalb Kinder?“

„Sie ist gerade wieder schwanger“, erklärte Eileen und schüttelte den Kopf. „Kaum vorstellbar, aber Bridget liebt es, schwanger zu sein, und Jefferson, ihr Mann, ist genauso verrückt nach Kindern wie sie.“ Eileen schaute Rick an. „Wenn ihr euch damals nicht getrennt hättet, könntest du jetzt ein viel beschäftigter Vater sein.“

Rick runzelte die Stirn, griff nach seinem Mineralwasser und trank einen großen Schluck. „Nein, danke.“ Er stellt den Becher wieder auf den Teppich. „Ich habe mich als Ehemann versucht, und es hat nicht funktioniert. Außerdem tauge ich nicht als Vater.“

„Da ist er ja wieder, der positive Ausblick aufs Leben, den ich inzwischen schon so gut kenne“, meinte Eileen.

„Diesmal geht der Punkt an dich“, gab er zu. Dann fragte er: „Und was ist mit dir?“

„Was soll mit mir sein?“

„Bist du mit jemandem zusammen?“ Was geht dich das an? fragte Rick sich. Eigentlich gar nichts. Er hatte nur eine höfliche Frage stellen wollen, oder? So oder so, es war ihm ohnehin egal. Auf jeden Fall versuchte er sich das einzureden.

Eileen setzte sich wieder auf und begann, den Müll zusammenzusammeln und in eine Papiertüte zu stopfen. „Im Moment nicht.“

Gut, dachte er, obwohl er wusste, es wäre besser gewesen, wenn sie verlobt gewesen wäre. Oder verheiratet. Oder am besten Nonne. „Kaum zu glauben.“

„Warum?“ Sie schaute ihn fragend an.

Er zuckte mit den Schultern. „Weil, na ja …“ Er deutete mit der Hand auf sie. „Ich meine …“

Sie lächelte. „Willst du mir etwa ein Kompliment machen?“

Stirnrunzelnd zerknüllte Rick seinen Müll, riss Eileen die Tüte aus der Hand und stopfte ihn hinein. „Es sollen schon merkwürdigere Dinge vorgekommen sein.“

„In Science-Fiction-Filmen.“

„Du bist wirklich kein einfacher Mensch, weißt du das, Fratz?“

Sie bewarf ihn mit dem zusammengeknüllten Einwickelpapier eines Tacos. Es prallte von seiner Stirn ab. „Granny sagte immer, von nichts kommt nichts.“

„Ja, aber wer wusste, dass sie von dir sprach?“

Sie verfielen in Schweigen. Während draußen die Sonne gerade langsam unterging und die wenigen Wolken in unterschiedlichen Violett- und Rosatönen leuchteten, schauteRick Eileen fasziniert an und ertappte sich dabei, dass er sich überlegte, wie ihre Lippen wohl schmecken würden. Und er fragte sich, ob er nach einem Kuss aufhören könnte. Doch das durfte nicht passieren. Er durfte sich nicht mit ihr einlassen. Abgesehen davon, dass sie viel zu heftige Gefühle in ihm wachrief, war sie auch noch die Enkelin der besten Freundin seiner Großmutter.

Sie war keine Frau für eine lockere Affäre. Zu ihr passten Heim und Herd und Essen im Kreis einer Familie. Mit einem Wort, sie war absolut tabu für ihn.

Wenn er schlau war, hielt er sich daran.

„Wir sollten lieber die Sache mit dem Vertrag zu Ende bringen“, sagte sie schließlich ein wenig atemlos, während sie seinen Blick gefangen hielt.

„Ja.“ Rick nickte und holte tief Luft. „Sonst sitzen wir die ganze Nacht hier.“

„Was wahrscheinlich keine gute Idee wäre“, meinte Eileen leise und glitt mit der Zunge über ihre Lippen.

„Ja“, stimmte er zu, während er versuchte, das Kribbeln in seinem Körper zu ignorieren. „Überhaupt keine gute Idee.“

Am Donnerstagabend bereute Eileen, dass sie jemals zugestimmt hatte, für Rick zu arbeiten. Sie kam sich vor wie eine Seiltänzerin, die über eine Löwengrube balancierte. Ein falscher Schritt, und sie wäre nichts weiter als eine schnelle Mahlzeit.

Was sie brauchte, war das Wochenende. Zeit, die sie in ihrem eigenen Haus verbringen konnte. Um zum Beispiel die Stühle zu lackieren, die sie letzten Monat auf dem Flohmarkt erstanden hatte. Oder um die Küchenwände zu streichen und mit einem hübschen Muster zu versehen. Das hatte sie wirklich schon seit Ewigkeiten aufgeschoben. Irgendwie hatte sie nie genügend Zeit, um all die handwerklichen Dinge zu tun, die sie gerne machen wollte. Sie war einfach immer zu sehr mit ihrem Blumenladen beschäftigt. Deshalb hatte sie sich ja so auf ihren Urlaub gefreut. Und bei Paula, ihrer neuen stellvertretenden Geschäftsführerin, wusste sie den Laden in guten Händen. Sie konnte sich also entspannen.

Da sie nun schon ihren Urlaub in den Wind schreiben musste, wollte sie wenigstens die Wochenenden für sich nutzen. Sie brauchte mal wieder Luft zum Atmen. Sie musste Abstand zu Rick bekommen. Und sie musste sich möglichst beschäftigt halten, damit sie aufhörte, davon zu träumen, was sie gerne mit Rick tun würde. Eileen stöhnte innerlich. Sie brauchte nur noch den heutigen Abend und morgen durchzustehen, dann hatte sie zwei Tage Zeit, sich zu erholen.

„Eileen?“

„Ja, Chef?“ Sie wandte den Kopf, als er aus seinem Büro kam.

Er runzelte die Stirn, als sie aufstand und sich an ihre Handtasche und die Autoschlüssel klammerte wie an einen Rettungsring. „Gehst du schon?“

„Was heißt hier schon?“, antwortete sie und schnappte sich ihre schwarze Strickjacke. „Es ist nach fünf, und ich gehe jetzt nach Hause.“ Es glich eher einer Flucht, aber das brauchte sie ihm ja nicht unbedingt auf die Nase zu binden. Sie flüchtete in ihr kleines, leeres Häuschen, wo sie nicht in Ricks braune Augen schauen musste. Wo sie sich nicht ständig daran erinnern musste, dass sie nicht daran interessiert war, sich mit jemandem einzulassen, schon gar nicht mit dem Fluch ihrer Kindheit.

Sie zog sich die Jacke über und deutete auf die Unterschriftsmappe auf ihrem Schreibtisch. „Die letzten Briefe, die du wolltest, sind da drin. Wenn du sie unterschreibst, gehen sie morgen früh gleich raus.“

„Gut, aber …“

„Bis dann.“

„Eileen.“

Seine Stimme hielt sie drei Schritte vor der Tür auf. Sie schenkte dem magischen Portal noch einen letzten sehnsüchtigen Blick, bevor sie tief Luft holte und sich zu Rick umdrehte. Sein Haar war zerzaust, seine Krawatte gelockert und sein Hemdkragen geöffnet. Er sah viel zu gut aus. Sollte er wieder vorschlagen, Essen zu bestellen und noch länger zu arbeiten, dann würde sie Ja sagen müssen. Sie würde ihn während der ganzen Mahlzeit anhimmeln und dann frustriert allein nach Hause fahren. Aber wenn er sie nicht bitten wollte, länger zu bleiben und mit ihm zusammen zu essen, dann wäre sie enttäuscht, weil sie dann keine Gelegenheit hätte, ihn anzuhimmeln. Oje, bald würde sie wirklich psychologische Hilfe brauchen.

„Was ist?“ Die Worte kamen ein wenig harscher als beabsichtigt heraus.

„Hast du am Wochenende schon etwas vor?“

Wow. Ihr wurde ein wenig schwindelig. Fragte er sie das, was sie glaubte, dass er sie das fragte? Offerierte er nicht nur ein Fastfood-Abendessen und Arbeit, sondern eine richtige Verabredung? Vielleicht ein Kinobesuch oder etwas ähnlich Unpassendes in Anbetracht der Tatsache, dass sie zusammen arbeiteten? In Anbetracht der Tatsache, dass ihre Großmütter das alles arrangiert hatten? In Anbetracht der Tatsache, dass sie gar nicht vorhatte, sich im Moment mit einem Mann einzulassen? Himmel, ihr Magen kribbelte nervös. „Warum?“

„Ich habe ein paar Termine.“

Okay, keine Verabredung. Arbeit.

„Das ist Pech für dich“, sagte sie und machte einen Schritt auf die Tür zu.

„Ich brauche eine Sekretärin.“

Niemals. Sie hatte schon zwei Wochen Urlaub in den Sand gesetzt. Sie würde nicht auch noch ihr Wochenende opfern. „Rick …“

„Ein Termin ist morgen am späten Vormittag, ein paar sind über den ganzen Samstag verteilt. Vielleicht noch einer am Sonntagmorgen.“

„Aber ich …“

„Ich bezahle dir auch die Überstunden.“

Sie umklammerte ihre Handtasche. „Darum geht es nicht.“

„Worum dann?“, fragte er und verschränkte die Arme vor der Brust, die sie sich in den letzten Tagen schon zu häufig nackt vorgestellt hatte. „Hast du Angst, mit mir wegzufahren?“

Sie lachte kurz verächtlich und hoffte, dass es überzeugend klang. „Ja, das wird es sein – wegfahren? Wohin?“

„Nach Temecula.“

„Im Riverside Distrikt?“

„Gibt es noch ein anderes Temecula?“

„Nein, aber …“

Rick ging zum Fenster und starrte einen Moment lang hinaus, bevor er sich wieder zu ihr umdrehte. „Edward Harrington war mein erster Kunde, als ich meine Firma gegründet habe.“ Rick zuckte mit den Schultern. „Er hat mir eine Chance gegeben. Zwei Mal im Jahr fahre ich zu ihm, um mir sein Portfolio anzuschauen und mit ihm über seine Anlagen zu sprechen.“

„Du fährst zu ihm?“

Rick lächelte. „Die meisten unabhängigen Berater fahren zu ihren Kunden.“

„Trotzdem. Ein einziger Kunde, und dafür veranschlagst du das ganze Wochenende?“

„Nein, aber Edward hat mich einigen seiner Golffreunde empfohlen, und die besuche ich alle, wenn ich da bin. Der Termin mit Edward ist morgen, die anderen habe ich auf den Samstag gelegt.“

„Also arbeitest du die ganze Woche durch und sogar noch am Wochenende.“

Er nickte und betrachtete sie eine Weile nachdenklich, bevor er abwinkte. „Weißt du was? Es ist egal. Du hast recht.“

Misstrauisch sah Eileen ihn an. Es war nicht seine Art, so abrupt die Taktik zu ändern. „Womit habe ich recht?“

„Ich kann dich nicht bitten mitzukommen.“

„Das hast du schon.“

„Ich nehme es zurück.“

„Was?“, sagte sie.

Rick drehte sich um und ging wieder in sein Büro. Sie folgte ihm dicht auf den Fersen. Er lächelte insgeheim über ihre eiligen Schritte, als sie versuchte, ihn einzuholen.

„Du nimmst es zurück?“, wiederholte sie. „Wo sind wir hier, in der dritten Klasse?“

„Nein.“ Er nahm hinter seinem Schreibtisch Platz und wühlte in einem Aktenstapel, ohne Eileen anzusehen. In dem Moment, als er sie gebeten hatte mitzukommen, hatte er gewusst, dass sie sich weigern würde. Und vielleicht hätte er es lieber dabei belassen sollen. Es wäre ganz sicher vernünftiger gewesen. Aber verflixt, er wollte sie dabeihaben. Wollte sie … Verdammt!

„Ich bin nur logisch“, erklärte er. „Ich kann es auch ohne dich schaffen. Und du würdest es ohnehin hassen, was ich dir nicht einmal verübeln kann. Du würdest dich langweilen.“

„Langweilen?“

„Sicher.“ Er warf ihr einen kurzen Blick zu. Ihre Augen funkelten. Es klappte. Sie hatte sich wirklich nicht verändert. Einen winzigen Augenblick lang wünschte er, er hätte sich getäuscht und sie hätte einfach gesagt: „Okay, in Ordnung. Bis dann.“ Dann war das Gefühl verschwunden, und er fuhr, sie aus der Reserve zu locken. „Außerdem, wie ich schon sagte, schaffe ich es auch allein. Ich nehme den Laptop mit und tippe meine Notizen gleich ein.“

Sie schnaubte.

„Ich brauche nicht unbedingt eine Sekretärin“, fuhr er fort und erwärmte sich immer mehr für das Thema. Eileen reagierte genau so, wie er es erwartet hatte. Wenn man ihr sagte, sie solle etwas nicht tun, gab es nichts, was sie davon abhalten konnte. So wie damals als Zehnjährige, als ihre Großmutter ihr verboten hatte, sich auf ihrem Skateboard an die Stoßstange eines Autos zu hängen. Natürlich hatte sie es trotzdem getan, der Wagen war scharf nach rechts abgebogen, und Eileen hatte sich das Handgelenk gebrochen, als sie gegen Mrs. Murphys Mülleimer geknallt war.

Vielleicht war es ein Fehler, sie so sehr herauszufordern, dass sie übers Wochenende mitkommen würde, aber er konnte einfach nicht widerstehen. Die Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte, übertraf alles, was er bisher erlebt hatte, und es war unmöglich, das zu leugnen.

Ihre grünen Augen funkelten, und er konnte geradezu sehen, wie ihre Gedanken in ihrem Kopf umherwirbelten. Himmel, manchmal war sie so leicht zu durchschauen. Und er genoss es, denn in den vergangenen Jahren hatte er Frauen angesehen und sich gefragt, was sie wohl hinter ihrer kühlen, höflichen Fassade verbargen, während sie ihm Interesse vorheuchelten.

„Du brauchst keine Sekretärin?“, fragte sie. „Du, der du mit zwei Fingern tippst?“

„Schnelligkeit ist nicht gefragt, nur Genauigkeit.“

Sie runzelte die Stirn und verzog ihre süßen Lippen zu einem Schmollmund, der mehr als einladend war. Oh ja, es wäre viel besser – und viel sicherer – wenn sie Nein sagte. Aber Rick hoffte, dass sie es nicht tat. „Ich kriege das mit den Notizen hin. Ich nehme einfach ein Diktiergerät mit. Du kannst dann am Montag alles abtippen.“

„Ich könnte dich begleiten.“

„Natürlich könntest du das“, antwortete Rick und beobachtete sie, als sie beide Hände auf dem Schreibtisch abstützte. Der Kragen ihrer Bluse öffnete sich ein wenig, und er erhaschte einen kleinen, verführerischen Blick auf ihr Dekolleté. Aber selbst dieser kurze Blick reichte, um ihn in Erregung zu versetzen, und er war froh, dass er hinter dem Schreibtisch saß. Er räusperte sich und fuhr fort: „Ich sage ja nur, dass es keinen Grund dafür gibt. Ich möchte dir keine Unannehmlichkeiten bereiten.“

Sie richtete sich wieder auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich arbeite für dich. Es ist Teil des Jobs.“

„Ich kann dich nicht zwingen, mit mir über das Wochenende wegzufahren.“ Er widersprach ihr, weil er genau wusste, dass es in ihrer Natur lag, es dann erst recht zu wollen. Sie war die widerspenstigste Frau, die er kannte. Und sie faszinierte ihn über alle Maßen. „Das wäre nicht fair.“

„Fair?“, wiederholte sie. „Was heißt hier fair?“

„He.“ Rick lehnte sich zurück. „Ich versuche nur vernünftig zu sein.“

„Ach ja?“, fragte sie und tippte ungeduldig mit einem Fuß auf den Boden.

Er musste ein Lächeln unterdrücken. Eigentlich müsste er sich schuldig fühlen, weil er sie so manipulierte, aber er tat es nicht. „Eileen, es ist wirklich nicht nötig, dass du mitkommst.“

„Ich komme a...

Autor

Maureen Child
<p>Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal. Ihre liebste...
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Ann Major

Ann Major wird nicht nur von ihren Leserinnen sehr geschätzt, sondern bekommt auch von anderen Romance-Autorinnen wie Nora Roberts und Sandra Brown tolle Kritiken.

Aber ihr Erfolg ist hart erarbeitet, denn sie sagt von sich selbst, dass sie keine Autorin ist, der alles zufliegt. Sie braucht die täglichen kleinen Rituale...

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Leanne Banks
<p>Mit mehr als 20 geschriebenen Romanen, ist Leanne dafür geschätzt Geschichten mit starken Emotionen, Charakteren mit denen sich jeder identifizieren kann, einem Schuss heißer Sinnlichkeit und einem Happy End, welches nach dem Lesen noch nachklingt zu erzählen. Sie ist die Abnehmerin der Romantic Times Magazine’s Awards in Serie. Sinnlichkeit, Liebe...
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