Baccara Weihnachten Band 2

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VORSICHT, VIEL ZU VERFÜHRERISCH! von SARA ORWIG
Grace verspürt ein erregendes Prickeln, sobald Nick Rafford in ihre Nähe kommt. Dabei hat er es womöglich auf den kleinen Michael abgesehen, um den sie sich kümmert. Trotzdem kann sie Nick einfach nicht widerstehen – zu verführerisch sind seine Küsse unter dem Mistelzweig …

DU HAST DAS FEUER ENTFACHT von SHAWNA DELACORTE
Wie kommt dieser Mann dazu, sie hemmungslos zu küssen? Empört mustert Marcie den Übeltäter: ziemlich unverschämt, der Typ – und unverschämt sexy! Noch immer glüht ihr Gesicht, und ihr Herz klopft wie wild. Natürlich nur, weil sie so wütend ist …

HEISSE KÜSSE – NUR ZUM SCHEIN? von MARGARET ALLISON
Er will die Firma erhalten, und dafür ist Rick zu allem bereit. Auch dazu, der Konkurrenz vorzuspielen, dass seine Kollegin Lessa und er ein Paar sind. Mit vorgetäuschter Leidenschaft küsst er sie – und stellt erstaunt fest, dass er Lessa niemals wieder loslassen will!


  • Erscheinungstag 28.09.2021
  • Bandnummer 2
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508025
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sara Orwig, Shawna Delacorte, Margaret Allison

BACCARA WEIHNACHTEN Band 2

1. KAPITEL

Festliche Lichter funkelten am Reunion Tower und überall in der Metropole Dallas. Nick Rafford jedoch nahm den Ausblick kaum wahr. Zwar bewirtete er Gäste zur Feier seiner Rückkehr nach drei Wochen an der Côte d’Azur, doch seine Aufmerksamkeit galt allein Grace Wayland, seinem Caterer.

Vor dem heutigen Abend hatte er sie niemals zuvor gesehen. Seine Sekretärin hatte sich um den Partyservice für diese Weihnachtsfeier gekümmert. Schon auf den ersten Blick hatte Grace Wayland ihn überrascht.

Erneut musste er daran denken, wie sein Butler Grace’ Ankunft verkündet und sie in das Arbeitszimmer seines Penthouses geführt hatte.

Als er in diese meergrünen Augen geschaut hatte, war er regelrecht zusammengezuckt. Für einen Moment schien sie ebenso perplex zu sein wie er, denn sie wurde blass und sah ihn erstaunt an. Doch gleich darauf hatte sie ihre Fassung wiedergewonnen.

In ihrem schlichten schwarzen Kleid hätte Grace Wayland eigentlich nicht weiter auffallen dürfen. Nick war trotzdem hingerissen, als sie durch den Raum auf ihn zuging, um ihre schmale Hand in seine zu legen.

Als sie ihm die Hand schüttelte, verspürte er ein elektrisierendes Kribbeln und fühlte sich sofort heftig zu ihr hingezogen. Nur Sekunden oder höchstens eine Minute – er wusste einfach nicht, wie lange – schauten sie sich in die Augen. Dann brach sie den Bann, indem sie sagte: „Ich bin Grace Wayland.“

Ihr Name riss ihn aus seiner Benommenheit und sorgte für die zweite Überraschung des Abends. In ihren leuchtend grünen Augen spiegelte sich sein eigener Zorn wider. Er hatte eine andere Reaktion erwartet, vielleicht dass sie sich bei ihm einschmeichelte und alles tat, damit er mit dieser Party zufrieden war. Neugierig wegen ihrer kühlen Reaktion, musterte er sie.

„Da lerne ich tatsächlich mal einen der Raffords kennen“, sagte sie.

„Sie wussten, wer ich bin, bevor meine Sekretärin Sie wegen dieser Party angerufen hat?“

„Selbstverständlich“, erwiderte sie und zog die Hand zurück. „Ich kann mir vorstellen, dass Sie auch schon von mir gehört haben. Wir haben etwas gemeinsam – Michael. Um den geht es hier doch, oder?“

Nick ließ sich nicht anmerken, wie verblüfft er von ihrer Direktheit war. „Ich dachte, ich würde derjenige sein, der Michael zur Sprache bringt. Meine Party ist weder der geeignete Ort noch der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch dieser Art. Werden Sie da sein, wenn ich Sie Montag in Ihrem Büro aufsuche?“

„Ich werde ab neun Zeit haben. Passt das?“

„Ich kann um neun da sein“, erwiderte er und hatte in Gedanken schon sämtliche Termine am Montag verschoben, um sie treffen zu können.

„Ich nahm an, Michael ist der Grund, weshalb Sie diese enorme Summe gezahlt haben, um meinen Partyservice heute Abend in Anspruch nehmen zu können. Sie hätten sich das Geld sparen und selbst zu mir kommen können, um die Party direkt bei mir zu buchen.“

Er zuckte die Schultern. „Sie wurden mir wärmstens empfohlen, und ich hielt es für einen guten Weg, sich kennenzulernen. Heute Abend gilt meine ganze Aufmerksamkeit der Party“, erklärte er, wohl wissend, dass es schwierig werden würde, sich auf die Party oder die Gäste zu konzentrieren, solange Grace da war. Schon während er ihr antwortete, registrierte er ihre rosigen vollen, einladenden Lippen.

„Wenn es um Michael geht, um mein Kind, glaube ich nicht, dass wir irgendetwas zu besprechen haben“, stellte sie klar.

Sein Erstaunen über ihre Reaktion nahm zu. Er hatte gemischte Gefühle. Einerseits wollte er sie daran erinnern, dass die Bemerkung über „ihr Kind“ unrichtig sei. Aber er verzichtete darauf, sie unnötig vor den Kopf zu stoßen. Seine Verärgerung lag im Widerstreit mit der Anziehungskraft, die sie ausstrahlte. Erneut trafen sich ihre Blicke, und auch dieser knisternde Moment zog sich in die Länge.

„Ich habe Ihre Anweisungen für die Party“, erklärte sie schließlich. „Meine Helfer warten im Van und sind bereit, das Essen hereinzubringen und alles vorzubereiten.“

„Ich spüre, dass es Ihnen widerstrebt, den Partyservice für mich zu machen“, bemerkte er.

„Dieser Auftrag wird meinem Unternehmen guttun“, entgegnete sie, noch immer kühl und distanziert.

„Holen Sie Ihre Helfer. Jemand wird Ihnen alles zeigen“, sagte er, während er gleichzeitig über ihre unverbindliche, professionelle Antwort nachdachte. Nick ging zur Gegensprechanlage und gab seinem Butler eine kurze Anweisung, worauf dieser innerhalb von Sekunden reagierte. Als Grace mit ihm verschwand, schaute Nick ihr hinterher und betrachtete unverhohlen ihre langen Beine und die schmale Taille.

Während die Gäste eintrudelten, überprüfte er beiläufig die Arrangements. Alles war tadellos, sowohl das Essen als auch die gesamte Vorbereitung.

Später am Abend stand er mit seinen zwei engsten Freunden zusammen. Er hörte ihrer Unterhaltung nur mit halbem Ohr zu und beobachtete, wie Grace eine Schüssel auf seinem Esstisch auffüllte.

„Ich kann es dir nicht verübeln, dass du uns keinerlei Aufmerksamkeit schenkst“, meinte Tony Ryder, ein großer Kerl mit lockigem Haar. „Wo hast du sie entdeckt? Die Horsd’œuvres sind ausgezeichnet, aber ich nehme an, es ist egal, wie das Essen schmeckt, solange sie dabei ist. Ist sie die Managerin?“

„Managerin und Besitzerin. Es ist ein kleines Unternehmen, von dem ich gehört habe, deshalb wollte ich es mal ausprobieren.“

„Klar“, sagte Jake Benton und richtete seine blauen Augen von Grace auf Nick. „Wann gehst du mit ihr aus?“

Nick winkte ab. „Vermutlich gar nicht. Also, wie lief das Basketballspiel, als ich nicht da war?“

„Das Team hat dich vermisst“, antwortete Jake. „Ich hoffe, du bist nach einem Monat Pause nicht allzu sehr aus der Form.“

„Da wir bloß Amateure sind und höchstens zweimal im Monat spielen, werden die paar verpassten Spiele wohl nicht ins Gewicht fallen, außer vom Punktestand her“, konterte Nick, und seine Freunde lachten.

„Großartige Party, Nick“, bemerkte ein großer Mann mit blauen Augen, der sich zu ihnen gesellte. „Hab dich beim letzten Spiel vermisst.“

„Siehst du, Gabe gibt uns recht. Das Team braucht dich“, warf Jake ein.

Nick wandte sich an Jakes jüngeren Bruder. „Ich glaube nicht, dass ich so wichtig bin. Jedenfalls werde ich meine Reisen nicht dafür aufgeben, mit euch drei Basketball zu spielen“, fügte er hinzu, und die anderen grinsten.

Das Gespräch drehte sich nun um ihr gemeinsames Hobby, und Nick gab sich Mühe, ihnen zuzuhören. Die anderen kannten ihn lang genug, um es sofort zu bemerken, falls er Grace weiterhin beobachtete. Tony und Jake standen ihm nahe wie Brüder. Gabe stand ihm ebenfalls nah, da er mit ihm aufgewachsen war. Nick wusste, dass er allen dreien vertrauen konnte, wenn er ihnen von Grace erzählte, nur wollte er mit niemandem über Michael sprechen.

Auch mit Grace wollte er nicht über seinen Neffen sprechen, doch ihm blieb gar nichts anderes übrig. Irgendwann im Verlauf der Party traf er sie in der Küche, wo sie ein Tablett mit Horsd’œuvres auffüllte.

Nach einem kurzen Blick auf ihn widmete sie sich wieder ganz ihrer Tätigkeit. „Ich hoffe, alles ist zu Ihrer Zufriedenheit.“

„Bestens“, erwiderte er und schaute zu, wie sie geschickt Bruschetta, Mini-Quiches und andere köstliche Häppchen arrangierte. Sie trug keinen Ring, aber er wusste ohnehin, dass sie Single war. Ein ihm unbekannter exotischer Parfümduft stieg ihm in die Nase. Sie war so verlockend, dass er seine Mission zeitweise ganz vergaß.

Wann hatte er sich jemals so von einer Frau ablenken lassen?

„Sie sind sehr gut in Ihrem Job, obwohl Sie das erst seit ein paar Jahren machen“, sagte er und nahm sich eine köstliche Käseteigtasche, die sie gerade erst auf dem Silbertablett platziert hatte. Grace ersetzte sie sofort und arbeitete weiter.

„Wie nicht anders zu erwarten, haben Sie Erkundigungen über mich eingeholt“, sagte sie, ohne aufzusehen. Das Licht hob goldene Strähnen in ihrem seidigen brauen Haar hervor, das sie zu einem lockeren Knoten hochgesteckt hatte. „Ich habe seit der Highschool in Restaurants oder bei verschiedenen Partyservice-Unternehmen gearbeitet.“ Ihre Augen blieben hinter den langen Wimpern verborgen.

„Dann ist dieser Partyservice also ein Kindheitstraum von Ihnen?“

„Nicht ganz, aber es kommt der Sache schon ziemlich nahe“, antwortete sie und warf ihm ein weiteres Mal einen Blick aus ihren großen grünen Augen zu – einen unterschwellig feindseligen Blick. Er musste sich eingestehen, dass ihre Schönheit seine Mission komplizierter machte, auch wenn sie mit dem Problem zwischen ihnen nichts zu tun hatte.

„Sie haben heute Abend exzellente Arbeit geleistet. Meine Freunde waren beeindruckt.“

„Danke“, sagte sie.

Nick verließ die Küche, obwohl er am liebsten mit Grace geflirtet hätte. Aber die Katastrophe wäre vorprogrammiert. Ihre reservierte Art erstaunte ihn nach wie vor. Damit hatte er nicht gerechnet und sah sich veranlasst, seine bisherige Einschätzung von ihr zu überdenken. Ihr Selbstbewusstsein täuschte über ihre Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen hinweg. Sie zeigte keinerlei Dankbarkeit für seinen Auftrag, doch der Service war perfekt. Offenbar war sie ein härterer Gegner, als er vermutet hatte.

„Ich habe keine Ahnung, was da los ist, Nick“, bemerkte Jake, der auf ihn zukam. „Jeder sieht, dass es zwischen dir und der Dame vom Partyservice mächtig funkt. Doch die Art, wie sie dich ansieht, sagt etwas anderes.“

„Ich habe dir doch von meinem Bruder und dem Baby erzählt, dessen Vater er angeblich ist“, erklärte Nick.

„Ja, ich erinnere mich“, sagte Jake und schaute erneut zu Grace. „Und diese Frau ist also der Vormund?“

„Ja. Ich hoffe einfach weiterhin, dass Dad wieder der Alte wird und seinen unsinnigen Wunsch nach einem Enkelkind in der Familie vergisst. Bisher ist das leider noch nicht passiert. Er will, dass das Baby unseren Namen trägt und an seinem Leben teilhat. Das volle Sorgerecht erwartet und will er gar nicht.“

„Er ist älter geworden und beginnt, sich mit dem Sterben zu beschäftigen. Das kann einen Mann verändern.“

„Es ist trotzdem so vollkommen untypisch für ihn. Dads Verstand ist nicht mehr so klar wie vor dem letzten Herzanfall.“

Jack nahm einen Schluck von seinem Drink und fragte skeptisch: „Nur in diesem Punkt oder auch in anderen?“

„Hauptsächlich in diesem. Aber ich wiederhole – dieses Interesse an dem Baby passt überhaupt nicht zu ihm.“

Als ein gemeinsamer Freund zu ihnen trat, wechselten sie das Thema und sprachen über Golf. Nick blieb sich Grace’ Gegenwart jedoch weiter sehr bewusst. Hin und wieder sah er in ihre grünen Augen, und jedes Mal durchzuckte es ihn. Seine Recherche hatte ergeben, dass es keinen Mann in ihrem Leben gab. Das erstaunte ihn.

Ebenso ihre frostige Art. Dabei hatte er geglaubt, sie würde vom Reichtum seiner Familie beeindruckt sein. Sein störrischer Vater würde nicht nachgeben. Wenn sie nicht kooperierte, würde es zur Auseinandersetzung kommen. Und Nick stünde zwischen den Fronten und müsste die Verhandlungen führen. Normalerweise war er immer gern dabei, wenn irgendwo eine schöne Frau im Spiel war. Doch in diesem Fall standen er und sein Vater auf unterschiedlichen Standpunkten. Vielleicht würde Grace selbst für Klarheit sorgen und der alte Mann zum ersten Mal in seinem Leben akzeptieren müssen, dass er nicht das bekam, was er wollte.

Nicks Stimmung wurde nur geringfügig besser. Er hasste es, seinem Vater die Neuigkeiten überbringen zu müssen, da dessen Gesundheit so angegriffen war. Eli würde die Sache nicht gut aufnehmen. Am Montagmorgen würden sie alle wissen, wo sie standen.

Ein Klavierspieler sorgte für Musik, und nachdem alle gegessen hatten, wurden die Gespräche lebhafter und lauter.

Nick behielt Grace, die im Hintergrund half und ihren Mitarbeitern Anweisungen beim Aufräumen gab, weiterhin im Auge. Er sah sie mit einem ihrer Mitarbeiter sprechen, wurde jedoch von einem seiner Gäste abgelenkt. Und als er das nächste Mal hinsah, war sie verschwunden. Alle anderen vom Partyservice auch. Nick entschuldigte sich, bahnte sich einen Weg durch die Menge und betrat die leere Küche.

Auf der Arbeitsfläche entdeckte er einen Umschlag, auf dem in ordentlicher Maschinenschrift sein Name stand. Nachdenklich klopfte er mit dem Umschlag gegen seine Handfläche. Sie war nicht die Frau gewesen, die er erwartet hatte. Was würde das Treffen am Montag mit ihr bringen?

Grace fröstelte in der kalten Winternacht, als sie von dem Hochhaus in der exklusiven, bewachten Wohngegend von Dallas, in der Nicks Eigentumswohnung lag, Richtung Innenstadt fuhr. Sie seufzte erleichtert. Die Erinnerung an diese dunkelbraunen Augen verfolgte sie. Nick Rafford war charismatisch, überwältigend und daran gewöhnt, seinen Willen durchzusetzen. Wann immer sie an diesem Abend in seiner Nähe gewesen war, hatte sie ein beunruhigendes Knistern verspürt. Aber welche Frau würde durch einen so attraktiven Mann nicht in Versuchung geraten?

Sie hatte versucht, den anfänglichen Schock zu verbergen, als sie sein Arbeitszimmer betreten hatte. Es war das erste Mal, dass sie einen der Rafford-Männer persönlich zu Gesicht bekam. Sie hatte Fotos gesehen und wusste, dass Michael das schwarze Haar und die dunklen Augen von ihnen hatte. Doch als sie Nick von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hatte, war ihr noch mehr aufgefallen. Michael und sein Onkel hatten die gleiche gerade Nase und die dicken Wimpern sowie das Grübchen in der rechten Wange. Das sieben Monate alte Baby, dessen Vormund sie war, sah seinem Onkel sehr ähnlich. Michael hatte gute Gene.

Während sie fuhr, dachte sie daran, wie sie Nick immer wieder verstohlen beobachtet hatte. Er hatte mit Freunden gelacht, Hände geschüttelt, sich ernst unterhalten. Und bei alldem sah er verboten gut aus. Sein weißes Hemd mit den funkelnden goldenen Manschettenknöpfen und die dunkelblaue Hose unterstrichen seine Autorität und Arroganz. Der Mann ließ keinen Zweifel daran, dass er es gewohnt war, seine Vorstellungen durchzusetzen.

Was wollte Nick wirklich? Hatte er es auf Michael abgesehen? Sie fröstelte immer noch, doch ihr wurde wärmer, je länger sie an Nick dachte.

Sie wollte nicht, dass die Raffords in Michaels Leben eine Rolle spielten. Ja, sie hatte Angst, man könnte ihr diesen liebenswerten Jungen wegnehmen. Er war bei ihr, seit er kurz nach seiner Geburt das Krankenhaus verlassen hatte, und sie liebte ihn wie ihr eigenes Kind.

Ihre Ängste waren stärker geworden, als sie Nicks Luxuspenthouse mit seinen Glaswänden und dem Panoramablick auf die Stadt, den teuren Möbeln und Lampen betreten hatte. Die Küche war natürlich topmodern. Grace hatte einmal einen Zeitschriftenartikel über seine Wohnung in Dallas gelesen, daher wusste sie von dem importierten Marmor, dem New Yorker Innenarchitekten, den kostbaren Antiquitäten, den echten Ölgemälden. Dieser Luxus unterstrich seine Macht und seinen Reichtum.

Sie wünschte, sie müsste nicht ständig an Nick denken, und hoffte, ihn nie wiedersehen zu müssen.

Als sie ihre kleine Erdgeschosswohnung betrat, begrüßte sie ihre Tante, die auf Michael aufpasste.

Clara Wayland, in Nachthemd und Bademantel, strich sich die Haare aus dem verschlafenen Gesicht. „Wie war es?“

„Der Job lief gut. Er schien zufrieden zu sein.“

„Und?“

„Und ich habe am Montagmorgen eine Verabredung mit ihm in meinem Büro. Bis dahin weiß ich genauso wenig wie vorher, was er will. Na ja, möglicherweise weiß ich ein bisschen mehr, nachdem ich ihn kennengelernt habe. Ich erzähle dir davon, sobald ich mich umgezogen und nach Michael gesehen habe. Wie war er heute Abend?“

„Ein Engel. Ein glückliches Baby, das gegen neun eingeschlafen ist.“

„Ich habe ihn vermisst.“

„Das tust du immer“, sagte ihre Tante, während Grace in ihr Schlafzimmer ging, wo sie sich auszog, um in einen Baumwollpyjama zu schlüpfen, über den sie sich einen Bademantel zog. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Wiege und widerstand dem Impuls, das schlafende Baby auf den Arm zu nehmen. Ein kalter Angstschauer überlief sie. Es konnte nichts Gutes bedeuten, dass Nick Rafford sich mit ihr treffen wollte. Am liebsten wäre es ihr, wenn er nicht einmal in Michaels Nähe kam. Sie betrachtete das Baby und war sich der Ähnlichkeit mit Nick bewusst. Trotzdem beugte sie sich hinunter und gab dem schlafenden Kind einen Kuss auf die Wange. „Du gehörst jetzt mir“, flüsterte sie, den Duft nach Babypuder einatmend. „Nicht den Raffords.“

Dann kehrte sie zu Clara zurück, die inzwischen zwei Becher heiße Schokolade zubereitet hatte. „Du kannst deinen Anwalt anrufen, damit er Montagmorgen dabei ist“, schlug ihre Tante vor.

„Für ein Gespräch mit diesem Mann brauche ich keinen Anwalt. Wir sind uns heute Abend ja zum ersten Mal begegnet.“

Clara seufzte. „Lass dich bloß nicht von ihm einschüchtern und zu irgendetwas drängen, was du nicht tun musst.“

„Das wird schon nicht passieren“, erwiderte Grace. „Er war höflich. Offenbar will er mich wegen Michael sprechen. Er hat meinen Partyservice beauftragt, um sich ein Bild von mir zu machen.“

„Beschwöre keinen Ärger herauf“, warnte Clara sie.

„Als Bart Rafford Alicia hinausgeworfen hat, hat er eindeutig klargemacht, dass er nichts mit dem Baby zu tun haben will. Er hat bestritten, dass das Kind von ihm ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Onkel, dieser Jetset-Multimillionär, Interesse an Michael hat. Sein Bruder hatte jedenfalls keines. Bart kam ums Leben, da war Michael drei Monate alt. Hätte er das Kind sehen wollen, hätte er die Gelegenheit dazu gehabt.“

„Hat dieser Onkel Frau und Kinder?“, wollte Clara wissen.

„Nein, Nick ist Single.“ Grace musste wieder an seine dunkelbraunen Augen denken. „Manchmal steht etwas über ihn in der Klatschpresse, deshalb weiß ich das. Er genießt den Ruf, ein kluger Geschäftsmann zu sein. Laut Alicia hatte auch der Großvater kein Interesse an Michael. Nach allem, was ich gehört habe, scheint dieser Großvater in letzter Zeit gesundheitlich angegriffen zu sein. Ein kränkelnder Großvater, ein alleinstehender Onkel – das sind die einzigen Verwandten. Ich weiß zwar nicht, was sie von mir wollen, aber es hat etwas mit Michael zu tun. Na ja, Montagmorgen bin ich schlauer.“

„Bitte ruf mich gleich an, denn ich werde mir Sorgen machen.“

„Musst du nicht“, gab Grace zurück. „Vom Gesetz her gehört Michael zu mir.“

„Die Raffords besitzen ein enormes Vermögen. Du hättest keine Chance gegen sie, wenn …“

„Denk einfach nicht daran“, unterbrach Grace sie.

„Du hast recht.“ Clara lächelte. „Ich gehe ins Bett. Willst du nicht lieber in deinem Zimmer schlafen und mich die Couch benutzen lassen?“

„Nein, das geht schon. Danke, dass du heute Nacht hierbleibst.“

„Ich freue mich, Michael zu sehen. Du bist für mich wie die Tochter, die ich nie hatte. Meine Jungs sind in alle Winde verstreut und alle noch Single. Chet ist in Deutschland, Miles in Japan. Ich habe die Hoffnung auf eigene Enkelkinder aufgegeben. Umso dankbarer bin ich, mit Michael zusammen sein zu können.“

„Chet hat dir ein Flugticket geschickt. Du wirst ihn Weihnachten in Deutschland besuchen.“

„Das ist nicht dasselbe, wie ihn hierzuhaben“, erwiderte Clara. „Außerdem lasse ich dich und Michael Weihnachten nicht gern allein.“

„Sei nicht albern. Du wirst eine wundervolle Zeit haben. Glenda hält sich schon bereit als Babysitterin. Wenn Michael mit einer von euch beiden zusammen ist, mache ich mir überhaupt keine Sorgen.“

„Ja, sie ist zuverlässig und liebt den Kleinen. Glenda und ich sind seit unserem fünften Lebensjahr befreundet. Sie ist wie eine Schwester für mich.“ Clara wiederholte damit nur, was Grace schon oft von ihr zu hören bekommen hatte.

„Ihre Familie kommt zu Weihnachten, das wäre also geklärt“, fügte Clara hinzu. „Ich bin wirklich froh, dass ich dich und Michael habe.“ Sie umarmte Grace und verschwand in ihrem Zimmer. An der Tür blieb sie noch einmal stehen. „Bart Rafford ist bei einem Skiunfall ums Leben gekommen. Man fragt sich, was passiert wäre, wenn er am Leben geblieben wäre.“

„Ich glaube, dass alles genauso gekommen wäre.“

„Er hat seinen Sohn nie gesehen.“ Kopfschüttelnd zog Clara sich zurück.

Innerhalb weniger Minuten hatte Grace sich unter mehreren Decken auf dem Sofa ausgestreckt. Sie lag im Dunkeln, dachte an Nicks Party und erinnerte sich an den Moment, als sie Nick zum allerersten Mal gegenübergestanden hatte. Es gelang ihr nicht, ihn oder irgendein Detail an ihm zu vergessen. Ebenso wenig konnte sie aufhören, sich wegen seiner Absichten, die hinter der Verabredung am Montag steckten, Sorgen zu machen. Was auch kommen mochte, sie würde Michael nicht mehr hergeben. Die Raffords und besonders Nick galten jedoch als rücksichtslos, wenn es darum ging, ihre Interessen durchzusetzen.

Um neun Uhr am Montagmorgen wurde Nick in Grace’ schlichtes kleines Büro geführt. Er wirkte dynamisch und schien den Raum mit seiner unglaublichen Präsenz komplett auszufüllen. Sein Auftreten ließ Grace’ Herz schneller klopfen.

Als sie ihm in die Augen sah, durchfuhr es sie bis hinunter zu den Zehen. Er sah sündhaft gut aus, und sie hatte am Freitagabend selbst erlebt, wie er seinen Charme spielen lassen konnte. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich von seinem Anblick loszureißen.

Während er sich umsah, schämte sie sich prompt ein wenig für ihr enges kleines Büro und die alten Möbel. Ihr Unternehmen warf nicht viel ab, aber es wuchs.

„Guten Morgen“, begrüßte sie ihn, ohne ihm die Hand zu geben.

„Guten Morgen.“ Ein schwaches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Rot steht Ihnen.“

„Danke“, erwiderte sie. Wahrscheinlich machte er ganz automatisch Komplimente. Trotzdem freute es sie. Er reichte ihr den Umschlag, in dem sie ihre Rechnung hinterlassen hatte.

„Hier ist Ihr Geld für die Party. Sie haben einen tollen Job gemacht, es gab viel Lob für Ihr Essen. Wahrscheinlich werden einige meiner Freunde Sie demnächst buchen.“

„Ja, ein paar haben schon während der Party nach meiner Karte gefragt. Aber setzen Sie sich doch.“

Er nahm in einem der kleinen Sessel Platz. Grace zog einen zweiten Sessel heran, sodass sie sich ihm gegenübersetzen konnte. Sie war sich seiner Nähe viel zu bewusst.

„Ich bin gekommen, um mit Ihnen über Michael zu sprechen.“

Sie sog rasch die Luft ein. „Ja, ich dachte mir gleich, dass Sie mich deswegen treffen wollten.“

„Der Gesundheitszustand meines Vaters ist schlecht. Im vergangenen Jahr hat er zwei Herzinfarkte erlitten. Die Krankheit hat seine Lebenseinstellung verändert. Er möchte Sie und Michael kennenlernen.“

Ein ungutes Gefühl beschlich sie. Die Macht der Raffords wirkte plötzlich bedrohlich. Vermutlich war der Vater noch einschüchternder als der Sohn. Grace versuchte äußerlich ganz ruhig zu bleiben.

„Ihnen ist hoffentlich klar, dass Ihr Bruder per Unterschrift auf seine Rechte an Michael verzichtet hat?“

„So wurde es mir gesagt.“

„Das alles geschah in den letzten Wochen vor Alicias Tod. Sie wollte alles geregelt haben, damit Michael finanziell versorgt ist und einen Vormund hat, bis er erwachsen ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr Vater nur das Baby sehen will. Ich befürchte, es steckt mehr dahinter.“ Sie hoffte, dass Nick das sofort bestritt. Als er es nicht tat, nahm ihre Angst weiter zu.

„Er beabsichtigt nicht, Ihnen Michael wegzunehmen. Aber er will seinen Enkel kennenlernen“, erklärte Nick. „Wie gesagt, die Krankheit hat ihn verändert. Plötzlich ist ihm sein Enkel wichtig. Ich würde gern ein Treffen arrangieren. Für meinen Dad wäre es leichter, wenn es in seinem Haus stattfinden könnte.“

Grace betrachtete seinen sinnlichen Mund. Wie würde es wohl sein, diese Lippen auf ihren zu spüren?

Sie erschrak über ihre eigenen Gedanken und riss sich zusammen. Nicks Worte schürten ihre Hoffnung. „Wenn Ihr Vater so schwach ist, wird er Michael nicht oft sehen wollen. Es hört sich nicht so an, als wäre er in der Verfassung, sich groß um ein Baby zu kümmern.“

„Das nicht, doch kann er es sich leisten, eine Hilfskraft einzustellen. Mal ehrlich“, meinte er und schaute sich noch einmal in ihrem Büro um, das sicher einen ziemlichen Gegensatz zu seinem oder dem seines Vaters darstellte. „Ihr Unternehmen scheint zwar zu wachsen, aber mein Vater kann finanziell viel mehr für Michael tun.“

„Geld ist nicht alles“, konterte sie, doch ihr Unbehagen nahm weiter zu. Nick hingegen saß ganz entspannt da und sah aus, als hätte er hier das Kommando. In seinem Ton schwang eine gewisse Unnachgiebigkeit mit, die andeutete, dass ihr unter Umständen ein bitterer, hässlicher Kampf mit einem mächtigen Mann bevorstand.

„Ich liebe Michael, und wenn ich nicht mit ihm zusammen bin, passt meine Tante oder deren Freundin auf ihn auf. Meine flexiblen Arbeitszeiten ermöglichen es mir, viel Zeit mit Michael zu verbringen. Haben Ihre Eltern viel Zeit mit Ihnen verbracht?“

„Touché“, meinte Nick leicht amüsiert. „Nein, haben sie nicht.“

„Ich habe über Sie und Ihren Vater in den Klatschseiten gelesen. Ihr Vater war mehrmals verheiratet, und es gab eine ganze Reihe von Frauen in seinem Leben. Das Gleiche galt für Ihren Bruder. Haben sich Kindermädchen um Sie gekümmert?“

„Kindermädchen, der Chauffeur, später das Internat“, antwortete Nick. „Wie dem auch sei, Sie sollten mal darüber nachdenken, was Sie da ablehnen. Mein Dad wünscht, dass ich ein Treffen arrangiere, bei dem er mit Ihnen über Michael sprechen kann. Er will nur reden. Dazu sollten Sie bereit sein, denn es ist nichts Bedrohliches daran.“

„Ihr Bruder wollte nichts mit dem Baby zu tun haben“, entgegnete sie aufbrausend. „Wo war Ihr Vater damals?“

„Ich habe Ihnen doch schon erklärt, dass er nicht mehr derselbe ist.“

„Die Veränderung kommt ein bisschen spät. Mir fällt es auch schwer, zu glauben, dass er sich wirklich verändert hat. Michaels Mutter, Alicia Vaughan, war meine beste Freundin. Vor ihrem Tod hat sie mir von Bart erzählt. Als sie schwanger war, hat er sie grob und kaltherzig behandelt. Am Ende beschimpfte er sie und verkündete, er wolle mit dem ‚Balg‘ nichts zu tun haben. Dann hat er sie in Tränen aufgelöst und in einem schlimmen Unwetter einfach weggeschickt. In jener Nacht geschah das Unglück, das ihrem Leben letztlich ein Ende setzte und das beinah auch Michael umgebracht hätte. Um es kurz zu machen: Nach allem, was passiert ist, sehe ich keinen Grund, Michael Ihrem Vater vorzustellen.“

Nick lehnte sich nach vorn und stützte die Ellbogen auf die Knie. Seine Nähe lenkte Grace mit lauter flüchtigen Gedanken über seine Attraktivität ab. Außerdem fiel ihr Blick unwillkürlich immer wieder auf seinen sinnlichen Mund.

„Mein Vater ist im vergangenen Jahr sehr gealtert. Sein Gesundheitszustand lässt rapide nach, und ich glaube, er klammert sich an die Hoffnung, Weihnachten seinen Enkel zu sehen. Können Sie sich nicht wenigstens mit ihm treffen? Was kann es denn schaden? Denken Sie darüber nach, denn Sie und das Baby würden ganz bestimmt davon profitieren. Mein Vater ist sehr reich. Berauben Sie Michael nicht der Chance auf ein besseres Leben.“

Er sprach so überzeugend, dass sie für einen Moment Sympathie empfand, die jedoch gleich wieder verflog, als sie sich an Alicia erinnerte, wie sie schluchzend in ihrem Krankenhausbett lag, an Schläuche angeschlossen, sich mit letzter Kraft ans Leben klammernd. Michael, der wegen des Autounfalls einen Monat zu früh auf die Welt gekommen war, hatte sich auf der Frühgeborenenstation befunden. Das alles war zum großen Teil Bart Raffords Schuld gewesen.

„Michael wurde wegen Ihres Bruders zur Waise. Alicia flehte ihn an, seine Vaterschaft anzuerkennen. Er hätte es ablehnen können, ohne verletzend zu sein. Wie gesagt, ich sehe keinen Sinn darin, Michael Ihrem Vater vorzustellen. Er hatte die Chance, Anteil am Leben des Babys zu nehmen. Er hätte sich melden können, als Alicia schwanger war oder gleich nach dieser letzten Begegnung zwischen ihr und Bart.“

Grace stand auf, und Nick tat es ihr gleich. Sie war sich seiner Größe und Ausstrahlung sehr bewusst. Seine Miene war jedoch ausdruckslos, sodass Grace keine Ahnung hatte, ob er verärgert oder enttäuscht war oder ob er seinen nächsten Schritt plante.

„Nur weil mein Bruder verletzend war, sollten Sie es nicht auch sein. Sie müssen wegen Michael nicht besorgt sein. Mein Vater kann Ihnen das Kind nicht wegnehmen, sein Gesundheitszustand lässt das nicht zu.“

„Ich glaube, ich habe meine Einstellung deutlich gemacht“, sagte sie. Weder konnte sie Alicia vergessen noch die Sorge, dass Eli Rafford trotz seines schlechten Gesundheitszustandes mächtig genug war, um seine Ziele zu erreichen.

„Macht Ihnen Ihr Gewissen da nicht zu schaffen?“

„Weniger als wenn ich mich einverstanden erklären würde, Ihrem Vater das Baby vorzustellen. Weiß er überhaupt, wie grausam sein Sohn zu meiner Freundin war? Oder interessiert es ihn vielleicht gar nicht, was mit Alicia passiert ist? Bart hat sie benutzt und dann einfach fallen lassen.“

„Ich glaube, die meisten Frauen haben sich nur allzu gern von meinem Bruder ‚benutzen‘ lassen“, erwiderte er trocken. „Niemand hat Ihre Freundin dazu gezwungen, eine Affäre mit ihm anzufangen.“

„Letztlich musste sie erkennen, was für einen Fehler sie begangen hat.“ Grace ging zur Tür. „Unser Gespräch ist beendet.“

„Werfen Sie Michaels Zukunft nicht leichtfertig weg. Nehmen Sie nur mal an, Ihr Partyservice geht pleite. Was dann?“ Mit diesem Szenario zielte Nick direkt auf ihre tief sitzende Angst ab. „Falls Sie Ihre Meinung ändern, wissen Sie ja, wie Sie mich erreichen können“, sagte er.

„Ich werde meine Meinung nicht ändern.“

Ein kühles, zufriedenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, als rechne er fest damit, dass sie sich seinen Wünschen doch noch beugte. „Rufen Sie mich an, wenn Sie in Ruhe über Michaels Zukunft nachgedacht haben.“ Nick zögerte, und der Ausdruck in seinen Augen veränderte sich. Ein sinnlicher Schauer überlief Grace.

„Schade, dass wir uns nicht unter anderen Umständen kennengelernt haben“, fügte er hinzu, und diesmal klang seine Stimme ganz tief und sanft.

„Haben wir aber nicht“, murmelte Grace, nachdem er gegangen war. Seine letzte Bemerkung hatte sie verblüfft und sie einen Moment vom eigentlichen Problem abgelenkt. Dass Nick charismatisch und sexy war, machte die Situation nicht unbedingt leichter.

Grace war erschöpft, als hätte sie mit einem mächtigen Feind gerungen. Und sie bezweifelte, dass sie zum letzten Mal von den Raffords gehört hatte. Derartig reiche Männer akzeptierten eine Abfuhr nicht so ohne Weiteres.

Enthielt sie Michael eine Vielzahl wunderbarer Möglichkeiten vor, die Eli Rafford ihm bieten konnte? Genau das hatte Alicia dazu bewogen, sich an Bart zu wenden. Hätte Alicia diese Gelegenheit genutzt und Grace für einen schlechten Vormund gehalten, wenn sie es nicht tat? Grace befürchtete nun einmal, der Patriarch könnte ihr das Kind wegnehmen. Vielleicht sollte sie noch einmal in Ruhe über Nicks Bitte nachdenken, ehe sie den Raffords endgültig die Tür vor der Nase zuschlug. Eli Rafford konnte Michaels Zukunft absichern. Auch in ein paar Tagen würde es noch nicht zu spät sein, Kontakt zu Nick aufzunehmen und sich seinen Wünschen zu beugen.

Der Gedanke ließ sie frösteln.

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Eli Rafford sich damit begnügen würde, seinen Enkel bloß ein paarmal zu sehen. Er würde ihm das Leben bieten wollen, das er Nick geboten hatte – eines mit Chauffeur, Kindermädchen und Internaten. Doch mit ihrer Liebe und Aufmerksamkeit konnte sie Michael viel mehr geben.

Grace setzte sich wieder hinter den Schreibtisch und wählte die Nummer ihres Anwalts. In dem bevorstehenden Kampf würde sie Hilfe brauchen. Denn ganz sicher war es noch nicht vorbei, und sie hatte Nick nicht zum letzten Mal gesehen.

2. KAPITEL

In seinem schwarzen Sportwagen fuhr Nick von dem kleinen Einkaufszentrum weg, in dem Grace’ Büroräume lagen. Er war erleichtert, als er auf die Uhr sah. Seine Verabredung zum Lunch mit seinen besten Freunden würde ihn für eine Weile ablenken.

Jake und Tony warteten bereits, und kurz darauf gesellte Gabe Benton sich zu ihnen. Während sie ihre Hamburger aßen, merkte Nick jedoch, dass er sein Problem nicht aus dem Kopf bekam.

„Nick, ich glaube, du hast kein Wort von dem verstanden, was ich gesagt habe“, stellte Jake irgendwann fest.

„Entschuldige“, sagte Nick. „Es geht um Dad und das, was er will. Eine lange Geschichte, aber ihr drei wisst ja von dem Baby, das möglicherweise von Bart ist. Dad hat momentan diesen Tick, dieses Baby in unsere Familie holen zu wollen.“

„Aber das ist nicht das, was der Vormund des Babys will“, vermutete Tony.

„Geld ist Macht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dein Dad ihr noch kein entsprechendes Angebot gemacht hat“, bemerkte Jake. „Das ist doch die übliche Vorgehensweise unserer Väter.“

„Sie ist nicht interessiert.“

„Handelt es sich um diese Frau vom Partyservice, den du neulich engagiert hast?“, wollte Tony wissen.

„Ja.“

„Na, dann ist die Sache ganz einfach: Heirate sie“, schlug Jake belustigt vor.

Nick warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Ich werde niemanden heiraten, nur damit Dad seinen Willen bekommt. Ich heirate überhaupt nicht, Punkt. Ihr werdet alle vor mir unter der Haube sein.“

„Von wegen“, meinte Tony. „Nenn deinen Einsatz, und ich wette, dass du als Erster verheiratet sein wirst.“

Nick entspannte sich und genoss das Geplänkel, denn es brachte ihn auf andere Gedanken. „Ich werde der Letzte sein und setze eine Million.“

„Oh nein, ich werde standhaft bleiben. Ich setze eine Million und gewinne“, verkündete Jake.

„Ich werde gewinnen“, behauptete Tony.

„Leute, ihr wettet eine Million darauf, wer zuerst heiratet“, meldete Gabe sich zu Wort. „Ich könnte sehr gut als Sieger aus dieser Wette hervorgehen, aber streicht mich von der Liste. Ich brauche mein Geld für andere Dinge.“

„Na schön“, erklärte Nick. „Dann steht unsere Wette. Der Letzte, der heiratet, bekommt von den anderen beiden jeweils eine Million Dollar – ich werde das Geld von euch beiden einsammeln.“

„Abgemacht“, erklärte Jake und fügte hinzu: „Gabe ist unser Zeuge. Ich rechne damit, dass diese Wette jahrelang laufen wird.“

„Jedenfalls steht sie jetzt, und ja, sie wird Jahre laufen“, sagte Nick grinsend.

Danach drehte sich die Unterhaltung um Sport, und eine halbe Stunde lang schaffte er es, weder an Grace noch an das Baby oder seinen Vater zu denken. Erst nachdem er sich von seinen Freunden verabschiedet hatte, schwirrten ihm erneut die Forderungen seines Vaters durch den Kopf.

„Ich kann es ebenso gut hinter mich bringen“, sagte er zu sich selbst. Ihm graute davor, seinem Vater die Nachricht zu überbringen. Trotzdem änderte er seine Richtung und fuhr zur palastartigen Villa seines Vaters. Als er das Grundstück erreichte, informierte er die Krankenschwester seines Vaters, dass er vorbeikam.

Nick umrundete plätschernde Springbrunnen, verschiedene Statuen und gepflegte Blumenbeete und fuhr hinter die Villa. Vom Wagen aus rief er im Büro an, um mitzuteilen, wann mit ihm zu rechnen sei.

Er klingelte an der Hintertür, die kurz darauf von einer grauhaarigen uniformierten Frau geöffnet wurde, die er seit seiner Kindheit kannte.

„Guten Morgen, Miss Lou“, begrüßte Nick sie.

„Ihnen auch einen guten Morgen, Mr. Nick. Ihr Vater wird sich freuen, Sie zu sehen.“

„Das bezweifle ich. Ich werde ihm nämlich etwas erzählen, was er nicht hören will.“

Sie lachte. „Keine Ihrer Eskapaden jetzt!“

„Solchen Unsinn hat es nicht gegeben, seit ich aufs College gegangen bin“, erwiderte er, in ihr Lachen einstimmend.

Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Er ist in der Bibliothek. Bestimmt wird er sich freuen, Sie zu sehen. Ich glaube, er ist einsam. Er redet jetzt viel mehr mit mir.“

„Dann dürfte er doch gar nicht einsam sein. Sie sind eine tolle Gesellschaft“, sagte Nick und lächelte ihr zu. Entschlossen ging er durch den breiten Flur mit dem Terrazzo-Fußboden und betrat den großen Raum mit den hohen Regalen voller Bücher und Fotos.

Nicks Vater saß in einem Sessel bei den Erkerfenstern. Die Krankenschwester erhob sich lächelnd, als Nick eintrat.

„Guten Morgen.“

„Hallo, Megan. Guten Morgen, Dad“, begrüßte Nick seinen Vater und ging auf ihn zu. „Megan, Sie können bleiben. Ich werde nicht lange hier sein.“

Sie winkte ab. „Ich habe noch zu tun.“

Nick schaute der zierlichen Krankenschwester mit dem kastanienbraunen Haar hinterher, als sie in den Flur hinaus verschwand. Dann wandte er sich seinem Vater zu, der angezogen und rasiert war, eine Strickjacke über dem Hemd trug und Hausschuhe an den Füßen. Er war dünn geworden, und in seinem vollen schwarzen Haar breiteten sich immer mehr graue Strähnen aus. Da Nick seinem Vater ähnelte, fragte er sich, ob er eines Tages auch so aussehen würde.

„Wie geht es dir heute Morgen?“, erkundigte er sich.

„Genauso wie letzte Woche. Ich nehme an, du hast mit Grace Wayland gesprochen.“

„Ja, habe ich. Ich habe sie heute in ihrem Büro aufgesucht, um mit ihr über Michael zu reden.“

„Also, wann werde ich meinen Enkel sehen?“

„Grace steht uns wegen Alicia sehr ablehnend gegenüber. Sie verurteilt die Art, wie Bart Alicia behandelt hat, besonders bei ihrer letzten Begegnung.“

Mit einem schmerzlichen Ausdruck auf dem Gesicht richtete sein Vater den Blick zu den Fenstern. „Ich bereue, dass ich damals nicht öfter mit Bart gesprochen habe. Es war falsch von mir, dass ich von Anfang an nicht mehr Interesse gezeigt habe.“

„Grace ist wegen ihrer Freundin verbittert. Sie sieht keinen Sinn darin, dass Michael dich besucht.“

„Verdammt, Nick! Du kannst so überzeugend sein. Wieso hast du sie nicht zu einem Besuch überreden können?“

„Tja, vielleicht weil ich selbst nicht hundertprozentig sicher bin. Denk doch mal nach. Wir sind uns ja nicht einmal sicher, dass es Barts Kind ist.“

„Er hat mir gesagt, es sei höchstwahrscheinlich sein Kind. Zuerst war es mir ziemlich egal, doch inzwischen hat sich mein Leben geändert. Ich will meinen Enkel sehen. Das ist für mich unverzichtbar.“ Für einen Moment schwang die alte Stärke in seiner Stimme mit. Er stand auf und ging zum Kaminsims, um den Arm daraufzulegen. „Ich will das Kind in der Familie haben. Und ich beabsichtige, dafür zu sorgen, dass er den Namen unserer Familie trägt.“ Eli starrte Nick an. „Ist ihr denn nicht klar, dass es besser für Michael ist?“

„Ich habe sie darauf aufmerksam gemacht, dass du viel mehr für ihn tun kannst als sie“, erklärte Nick geduldig.

„Sie denkt nicht an das Kind.“

„Das spielt keine Rolle, wenn sie dir den Kontakt verweigert. Bart hat das Sorgerecht abgetreten. Hinzu kommt noch Grace’ Verbitterung über Barts Verhalten gegenüber ihrer Freundin.“

„Ich nehme an, sie gibt Bart die Schuld an Alicias Autounfall.“

„Ja, wahrscheinlich“, pflichtete Nick ihm bei, wohl wissend, dass es tatsächlich so war. „Dad, gib es auf. Eines Tages werde ich dir Enkelkinder schenken. Außerdem hast du mal gesagt, dass du keine Kinder mehr willst. Und das galt auch für die Frauen, die du geheiratet hast. Es ist ein bisschen spät, dass du dich plötzlich an einem Enkelkind erfreuen willst.“

„Verdammt, Nick, ich will, dass mein Enkel den Namen der Raffords trägt, und möchte in gewisser Weise wiedergutmachen, was Bart getan hat.“

„Die Sorge über diese Angelegenheit wird deinen Blutdruck in die Höhe treiben“, warnte Nick seinen Vater. „Du bist nicht gesund und könntest dich gar nicht um einen Enkel kümmern. Du wolltest nie Kinder um dich haben.“

„Stimmt. Trotzdem will ich diesen kleinen Jungen sehen. Ich will, dass er erbberechtigt wird. Du wirst deinen zugesicherten Teil bekommen, aber es ist genug da, um ein Treuhandkonto für ihn einzurichten. Immerhin ist er dein Neffe.“

„Es ist schwer, sich mit einem Kleinkind verwandt zu fühlen, das man nicht kennt. Ich kann mich nicht einmal an eine Begegnung mit der Mutter erinnern.“ Nick streckte die langen Beine aus, faltete die Hände und ließ seinem Vater Zeit, um seinen Frust abzureagieren.

„Bart hat sich katastrophal verhalten, doch ich bin mir der Verantwortung dieser Familie bewusst …“

„Dad, du bist nicht verantwortlich. Und Bart hat seine Verantwortung komplett abgegeben.“

Elis Miene verfinsterte sich. „Ich kann so viel für diesen Jungen tun.“

„Das will Grace Wayland aber nicht. Sie will nicht einmal, dass du ihn kennenlernst. Sie weigert sich, dich zu sehen. Tut mir leid, aber so ist es nun mal.“

„Und du gibst dich einfach so geschlagen? So leicht gibst du doch auch nicht auf, wenn es um deine Interessen geht.“

„Grace war absolut unnachgiebig. Ich fürchte, sie wird sich nicht umstimmen lassen.“

„Dann bestich sie eben. Hast du ihr gesagt, dass ich für Michael ein Treuhandkonto einrichten werde?“

„Ich habe ihr erklärt, dass du viel Gutes für ihn tun kannst – mehr als sie. Das hat sie nicht interessiert. Sie will kein Kindermädchen, keinen Chauffeur und kein Internat für den Kleinen.“

„Was ist denn bloß los mit dieser Frau? Du hast mir erzählt, dass sie aus ärmlichen Verhältnissen kommt. Wie kann sie da Geld für das Kind ablehnen?“

„Sie ist nicht gut auf die Raffords zu sprechen“, sagte Nick.

„Alicia kam ebenfalls aus ärmlichen Verhältnissen, aber sie hat das Geld gern genommen.“

„Kann ich mir vorstellen.“ Nicks Bruder hatte sich häufig mit Frauen eingelassen, die es nur auf sein Geld abgesehen hatten. „Deshalb ist es in gewisser Hinsicht erfrischend, dass für diese Frau das Geld nicht an erster Stelle steht.“

„Erfrischend? Sie ist stur und lässt sich von ihren Gefühlen statt von ihrer Vernunft leiten.“

„Sie hat keinen Millimeter nachgegeben“, sagte Nick. „Vielleicht denkt sie anders darüber, wenn ich in einigen Monaten noch einmal mit ihr spreche.“

„Mir läuft die Zeit davon, Nick.“

„Die Ärzte sagen, es geht dir gut. Warten wir doch einfach noch ein paar Wochen. Weihnachten steht vor der Tür, und vielleicht tragen die Feiertage dazu bei, dass Grace ihre Meinung ändert. Ich werde bald noch einmal mit ihr reden.“ Nick war selbst erstaunt über seine Worte. Er verspürte nicht die geringste Lust auf eine weitere Auseinandersetzung mit Grace Wayland. Aber er fühlte mit seinem Vater. „Ich werde es erneut versuchen. Wir geben nicht auf.“ Er stand auf, und Eli ging zu ihm.

„Ich will nicht aufgeben. Hier geht es um meinen Enkel. Ich will ihn kennenlernen, und er soll den Namen unserer Familie tragen.“

„Ich habe es wirklich versucht, Dad. Jetzt muss ich los. Ich habe um elf einen Termin.“

Auf dem Weg hinaus unterhielt Nick sich noch kurz mit der Krankenschwester und der Hausangestellten, dann verließ er die Villa seines Vaters. Er war froh, seinem Dad die Neuigkeiten übermittelt zu haben, und fragte sich, ob dieser aufgeben würde. Nick wollte keine weitere Auseinandersetzung mit Grace. Mit der Zeit würden die Gefühle seines Vaters für das Baby vielleicht wieder abkühlen. Aber im Grunde war Nick klar, dass das Wunschdenken war. Wenn sein Dad etwas wollte, was er nicht haben konnte, war er hartnäckig wie ein Hund, der es auf den Knochen seines Widersachers abgesehen hatte.

Nick konzentrierte sich auf seine Arbeit, indem er in Gedanken noch einmal die Informationen durchging, die er für seinen Vormittagstermin erhalten hatte, bei dem es um Landerwerb in den Dakotas ging. Darüber grübelnd fuhr er zu dem zwanzigstöckigen Hochhaus in der Innenstadt von Dallas, in dem das Energieunternehmen Rafford seinen Sitz hatte.

Bis zum späten Nachmittag war Nick mit diesem Thema beschäftigt. Dann klingelte das Telefon, und er sah auf dem Display, dass es sich um einen Anruf seines Vaters handelte.

„Ich wusste es“, murmelte er und fragte sich, welchen neuen Plan sein Vater im Lauf des Tages ausgeheckt hatte, um Druck auf Grace auszuüben. Da Eli das aber nicht am Telefon besprechen wollte, versicherte Nick ihm, nach der Arbeit erneut bei ihm vorbeizufahren.

Er legte auf und arbeitete eine weitere Stunde, ehe er Feierabend machte.

Auf dem Weg hinaus verabschiedete er sich von seiner Sekretärin. „Bis morgen, Jeananne.“

„Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend“, erwiderte sie.

Nick fand seinen Vater diesmal an dessen Lieblingsplatz im Wohnzimmer, noch immer in Hausschuhen und Strickjacke.

„Danke, dass du gekommen bist. Ich wollte noch einmal über dieses Problem mit Michael mit dir sprechen.“

„Das habe ich schon vermutet.“

„Möchtest du auch etwas zu trinken? Ich habe eine Flasche ausgezeichneten Rotwein.“

„Ja, gern. Warte, lass mich das machen“, sagte Nick und ging zur Bar, auf deren Tresen schon eine Flasche Rotwein und zwei Kristallgläser standen.

Er entkorkte die Flasche und schenkte den Pinot Noir ein.

„Wie sehen die Profite diesen Monat aus?“, erkundigte Eli sich.

„Besser als letzten Monat“, antwortete Nick und nahm die Gläser. „Ich kann in North Dakota aller Voraussicht nach einen guten Landerwerbsdeal abschließen.“

„Auf den Erfolg“, sagte Eli und hob sein Weinglas.

Nick setzte sich seinem Vater gegenüber in einen dunkelblauen Sessel und hob ebenfalls das Glas. „Darauf trinke ich gern. Also, um was geht es?“

Eli lächelte. „Mir ist durchaus klar, wie überzeugend du sein kannst, wenn du willst. Aber ich fürchte, ich muss dir erst die Pistole auf die Brust setzen. Ich will, dass mein Enkel meinen Namen trägt, und ich werde meinen Willen durchsetzen.“

Nick fragte sich, was genau sein Vater im Sinn hatte.

„Ich habe heute mit meinem Anwalt gesprochen. Harvey kam nach dem Lunch zu mir heraus. Ich tue das nur ungern, Nick, aber ich fürchte, du nimmst mich nicht ernst und machst dir nicht klar, wie sehr ich will, dass mein Enkel Teil meines Lebens wird.“

„Irrtum. Ich nehme dich ganz bestimmt ernst“, versicherte Nick ihm und wappnete sich schon für einen weiteren verhassten Auftrag.

„Gleich ganz bestimmt. Seit heute Nachmittag existieren zwei neue Testamente. In dem einen vermache ich dir den Großteil meines Vermögens und richte Michael ein Treuhandkonto ein. Fünf Millionen bekommt er, wenn er einundzwanzig ist. In dem zweiten Testament vermache ich mein beachtliches Vermögen wohltätigen Zwecken, mit Ausnahme des Hauses und einer Million für dich.“

„Du enterbst mich praktisch“, protestierte Nick erschrocken.

„Ich hoffe, dazu kommt es nicht. Es widerstrebt mir, das Testament als Druckmittel einzusetzen. Bringst du Grace Wayland dazu, dass ich Michael rechtlich zu einem Rafford machen und ihn sehen kann, vernichte ich das zweite Testament, und du bekommst den Löwenanteil von allem. Andernfalls wird dein Erbe bescheiden ausfallen. Du wirst nicht gleich am Hungertuch nagen, schließlich bist du selbst Multimillionär. Aber es wird hoffentlich ein Anreiz für dich sein.“

„Verdammt, ich kann diese Frau nicht dazu bringen, etwas zu tun, was sie nicht tun will und von Rechts wegen auch nicht tun muss“, stieß Nick aufgebracht hervor.

„Denk drüber nach“, meinte Eli lächelnd. „Du hast viel erreicht, und die Frauen mögen dich. Ich verlasse mich auf dich. Aber glaub nicht, dass es mir nicht ernst ist. Harvey hat die Testamente und meine Anweisungen.“

„Und von was genau soll ich sie überzeugen? Gehe ich recht in der Annahme, dass du nicht bloß einen einmaligen Besuch wünschst?“

„Ich will, dass Michael zur Familie gehört. Ich will, dass sie einwilligt, seinen Namen in Rafford ändern zu lassen.“

Nick wusste, dass eine weitere Diskussion sinnlos war, deshalb erhob er sich. „Tja, wenn die Sache so aussieht, fange ich mal lieber an, Pläne zu schmieden. Ich werde über deinen Willen nachdenken.“ Er schaute auf die Uhr. „Jetzt muss ich los. Ich werde sehen, was ich tun kann.“

„Ich bin überzeugt davon, dass du Erfolg haben wirst.“ Eli prostete ihm zu.

„Du kennst Grace Wayland nicht. Sie hegt eine starke Abneigung gegen unsere Familie.“

„Du wirst sie schon irgendwie rumkriegen. Ich habe noch keine Frau erlebt, die du nicht um den kleinen Finger wickeln konntest.“

Kopfschüttelnd verließ Nick seinen Vater. Auf der Fahrt zu seinem Apartment dachte er über diese Wendung in seinem Leben nach. Sein Dad meinte es wirklich ernst. Und Nick hatte nicht vor, ohne Gegenwehr auf dessen Vermögen zu verzichten. Das sah nach einem harten Kampf aus.

Unwillkürlich musste er an Grace’ funkelnde grüne Augen denken und hatte bei der Vorstellung, sie wiederzusehen, gemischte Gefühle. Seit ihrer Begegnung war sie ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Trotzdem war er nicht scharf auf die Konfrontation, die nötig sein würde, um sie zu überzeugen. Außerdem hatte er schon versucht, vernünftig mit ihr zu reden. Jetzt würde er seinen Charme spielen lassen müssen.

Er konzentrierte sich aufs Fahren und fing an, den nächsten Schritt zu planen.

Grace ging die Buchungen für die kommende Woche durch. Weihnachten stand vor der Tür, und die Liste der Partys war lang. Als ihre Assistentin hereinkam, sah sie auf.

„Nick Rafford ist hier“, verkündete Jada.

„Schick ihn herein“, sagte Grace. „Ich werde ihn schnell abwimmeln.“

„Ich glaube, ich hätte es nicht eilig“, meinte Jada grinsend.

Grace war überzeugt, dass Nick sie erneut zu einem Treffen mit seinem Vater überreden wollte. Es ärgerte sie, dass sich schon bei seinem Anruf ihr Puls beschleunigt hatte und sein Erscheinen ein sinnliches Kribbeln in ihr auslöste. Außerdem machte sie sich sofort Gedanken über ihr Aussehen. Sie hatte auch viel zu lange mit ihm telefoniert. Eigentlich hätte das Telefonat nicht länger als fünf Minuten dauern dürfen, doch dann war eine halbe Stunde daraus geworden, ohne dass sie es gemerkt hatte.

Während sie Unterlagen im Aktenschrank verstaute, kündigte Jada Nick an.

„Grace, hier ist Nick Rafford.“

Sie hoffte, dass man ihr die körperliche Reaktion nicht anmerkte – das kurze Stocken ihres Atems bei seinem Anblick. Er war der attraktivste Mann, dem sie je begegnet war. „Bitte nehmen Sie Platz.“

„Danke. Ganz die coole Geschäftsfrau“, bemerkte er und ließ ein Lächeln aufblitzen, das eine Reihe weißer Zähne zeigte, makellos und einnehmend wie seine ganze Erscheinung. Wie schon zuvor hielt er sie mit seinen dunklen Augen in seinem Bann, bis Grace klar wurde, dass sie seinen Blick erwiderte, während die Luft zu knistern schien.

„Was führt Sie zu mir in mein Büro?“, fragte sie brüsk, um nicht atemlos zu klingen. Wie war es möglich, dass dieser Mann durch seine bloße Gegenwart eine solche Reaktion in ihr auslöste? Grace war verblüfft von seiner Wirkung auf sie. Normalerweise bekam sie nicht so schnell Herzklopfen wegen eines Mannes. Dabei hatte Nick noch nicht einmal mit ihr geflirtet.

Plötzlich fand sie ihren blauen Rock, der oberhalb des Knies endete, zu kurz. Und schon wieder war ihr die Enge und Schlichtheit ihres Büros unangenehm.

„Ich nehme an, um diese Jahreszeit haben Sie am meisten zu tun“, bemerkte er. „Es sei denn, die Hochzeiten im Juni verdrängen Weihnachten auf den zweiten Platz.“ Er wirkte vollkommen entspannt, als hätte er die Situation vollkommen im Griff, obwohl er sich bei seinem letzten Besuch eine Abfuhr geholt hatte.

„Gut geraten. Weihnachten ist am meisten los, der Juni steht auf Platz zwei.“

„Dachte ich mir. Bei unserem letzten Treffen habe ich Ihnen mein Anliegen vorgetragen. Nun bin ich aus einem anderen Grund da. Diesmal möchte ich nicht über Familienangelegenheiten reden. Ich tue, was ich getan hätte, wenn wir uns unter anderen Umständen begegnet wären. Ich möchte Sie zum Abendessen einladen – ein Mann und eine wunderschöne Frau, die er besser kennenlernen will. Es soll einfach ein Abend werden, an dem wir ausgehen und uns mal für ein paar Stunden um nichts kümmern.“

Sie lachte. „Sie wollen mich doch nur wegen Michael weichklopfen.“

In seinen Augen spiegelte sich Belustigung wider, was seine ohnehin schon überwältigende Ausstrahlung noch verstärkte. „Kann sein, aber nicht an diesem speziellen Abend. Sie sind eine attraktive Frau“, sagte er sanft und löste damit erneutes Herzklopfen bei ihr aus. „Sie sind Single. Ich möchte mit Ihnen ausgehen. Sind Sie heute Abend frei?“

Am liebsten hätte sie mit Ja geantwortet, seine Einladung angenommen und einen aufregenden Abend mit einem gut aussehenden Mann verbracht, der ein loderndes Feuer in ihr zu entfachen vermochte. Doch ihr gesunder Menschenverstand warnte sie, jeglichen engeren Kontakt zu ihm zu vermeiden. Er wollte das, was ihr am kostbarsten war – Michael.

„Ich kann die kleinen Rädchen in Ihrem Kopf förmlich arbeiten sehen“, sagte er. „Hören Sie auf, sich wegen meiner Motive Gedanken zu machen.“ Er nahm ihre Hand und legte den Daumen auf ihr Handgelenk. „Ihr Puls rast genauso wie meiner.“ Seine starken Finger lagen warm auf ihrer Haut, ein leichter, gleichmäßiger Druck, der ihr Herz schneller schlagen ließ. In seinem Blick lag sinnliche Verheißung. „Sagen Sie Ja, Grace“, lockte er, und seine Stimme klang rau. „Ich bringe Sie nach Hause, wann immer Sie wollen. Lassen Sie uns ein paar Stunden zusammen verbringen. Die Nacht verspricht ein Feuerwerk zu werden. Wie wäre es, wenn ich Sie gegen sieben abhole?“

„Ja“, hauchte sie. „Wenn meine Tante Zeit hat, sich um Michael zu kümmern. Ich werde sie fragen.“ Sie zog ihr Handy aus der Tasche. Nachdem das kurze Gespräch beendet war, nickte sie. „Ja, ich bin frei, aber ich erwarte, dass Sie Ihr Versprechen halten und mich nach Hause bringen, wenn ich Sie darum bitte.“

„Ich schwöre es. Was die Wünsche einer Frau hinsichtlich einer Beziehung angeht, habe ich mich noch nie widersetzt.“

„Ein gemeinsames Abendessen kann man nicht ‚Beziehung‘ nennen. Schließlich kennen wir uns kaum“, gab sie zurück und war sich seines Daumens, mit dem er jetzt sacht ihr Handgelenk und die Handfläche streichelte, nur allzu bewusst.

„Ich habe Ihnen aufrichtig geantwortet. Das sollte Sie beruhigen.“

„Dies ist einer der wenigen Abende in diesem Monat, an denen ich noch frei bin.“ Schnell entzog sie ihm die Hand und stand auf. Er folgte ihrem Beispiel. „Trotzdem sollte ich mich jetzt wieder an die Arbeit machen.“

Er wirkte erneut ein wenig belustigt und stand so nah bei ihr, dass sie den Duft seines Aftershaves wahrnehmen konnte. Sie betrachtete seinen Mund. Würden sie sich an diesem Abend küssen? Bei der Aussicht darauf errötete sie. Es war lange her, seit sie mit jemandem ausgegangen war.

„Ich weiß, es klingt selbstsüchtig, aber ich bin froh, dass es zurzeit keinen Mann in Ihrem Leben gibt.“

„Schon seit einer ganzen Weile nicht. In den vergangenen sieben Monaten war ich zu sehr mit Michael beschäftigt. Und davor habe ich jahrelang das Catering-Business erlernt und mein eigenes Unternehmen gegründet.“

„Das klingt, als sei es überfällig, dass Sie mal wieder ausgehen. Was halten Sie davon, wenn ich Sie schon um sechs abhole? Oder ist das zu früh?“

Ihr Verstand arbeitete fieberhaft, denn sechs bedeutete, dass sie früher Feierabend machen musste. Aber wie lang war es her, dass sie abends mal unterwegs gewesen war – außer mit ihrem Partyservice? Ein paar Stunden mit einem gut aussehenden, sexy Mann. Keine Windeln, keine Verantwortung, kein Druck, eine Party gut über die Bühne zu bekommen. Kribbelnde Vorfreude stieg in ihr auf.

„Sechs Uhr passt mir auch.“

„Also bis dann“, sagte er und ging.

Grace widmete sich wieder ihrer Arbeit, doch ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Nick zurück. Beging sie gerade einen großen Fehler, indem sie ihn besser kennenlernte?

Sie machte sich auf die Suche nach Jada. „Da wir heute Abend nicht gebucht sind, habe ich Nicks Einladung angenommen.“

Jada stieß einen Begeisterungsschrei aus und warf die Arme in die Luft. „Klasse! Du gehst mit Nick Rafford aus! Er ist der am besten aussehende Mann, den ich kenne.“ Ihr Pferdeschwanz wippte, während sie vor Freude herumhüpfte.

„Jada, er ist Michaels Onkel. Wahrscheinlich hat er irgendwelche Hintergedanken.“

Jada winkte ab. „Hat er nicht. Und falls doch, wirst du schon damit fertig werden. Verführe und heirate ihn einfach.“

Grace musste lachen. „Ich kenne ihn ja kaum. Außerdem gilt der Mann als überzeugter Junggeselle. Sein Vater war mehrmals verheiratet. Mal abgesehen davon – ich soll Michaels Onkel heiraten?“

„Du bist nicht verwandt mit ihm, auch wenn du für Michael die Mutterrolle übernommen hast.“

„Ich werde mit Nick essen gehen, wahrscheinlich zum ersten und letzten Mal. Weshalb ich dich sprechen wollte – er will, dass wir uns früh treffen. Also lass uns gegen zwei Feierabend machen. Für morgen Abend ist alles vorbereitet?“

„Ja, und falls er morgen wieder mit dir ausgehen will, kann ich die Party bei den Whitmans auch allein schmeißen. Wir haben genügend Helfer, und die Veranstaltung bei den Lansings kriege ich auch allein hin.“

„Davon bin ich überzeugt, aber ich werde dennoch da sein. Er hat mich nicht gefragt, ob ich morgen mit ihm ausgehe.“

„Das wird er noch“, meinte Jada grinsend. „Da bin ich mir ganz sicher.“

Grace schüttelte den Kopf. „Ich gehe wieder in mein Büro. Deine Begeisterung reicht mir fürs Erste.“ Sie fragte sich, wie Jada sich erst aufführen würde, wenn sie selbst verliebt wäre.

Um zwei war das Büro geschlossen, und Grace fuhr zu ihrer Tante, um Michael wenigstens noch eine Weile zu sehen, ehe sie nach Hause fuhr. Sie war froh, sich kein weiteres Geplapper über ihre Verabredung zum Dinner anhören zu müssen. Ihre Tante würde auf so etwas verzichten.

Grace umarmte Clara und wandte sich dem Jungen zu, der die Ärmchen nach ihr ausstreckte. „Mama.“

Er duftete nach Babypuder und Milch, als er sich an sie klammerte. Er war so warm und weich und brabbelte süß vor sich hin. Sie liebte ihn jeden Tag mehr. „Kannst du heute Abend wirklich auf ihn aufpassen?“, fragte sie ihre Tante.

„Natürlich. Bist du dir denn auch sicher, dass du mit Nick Rafford ausgehen willst? Wenn sie versuchen, dir Michael wegzunehmen, würde ich das nicht ertragen. Er ist für mich wie ein Enkel.“

„Mach dir keine Sorgen. Vergiss nicht, dass Bart mir das Sorgerecht übertragen hat. Ich bin im Besitz seines Briefes an Alicia. Außerdem gibt es da noch Barts beurkundete Aussage, in der er auf die Rechte an seinem Sohn verzichtet. Und ich habe Alicias Testament, aus dem deutlich hervorgeht, was sie sich für Michael wünscht.“

„Zum Glück hat sie noch lange genug gelebt, um diese Arrangements zu treffen.“

„Ich glaube, sie hat sich ans Leben geklammert, weil sie die Versorgung ihres Kindes sicherstellen wollte“, sagte Grace und setzte sich auf den Boden, um mit Michael zu spielen. „Ich werde eine Stunde hier sein, falls du noch etwas zu erledigen hast.“

„Ich könnte rasch zum Supermarkt gehen“, meinte Clara.

„Lass dir Zeit. Michael und ich werden unseren Spaß haben.“ Grace klatschte in die Hände und half dem Jungen, es ihr mit seinen kleinen Händchen nachzumachen.

Auch nach Claras Rückkehr spielte sie weiter mit dem Jungen, bis ihre Tante zur Uhr zeigte. „Ich unterbreche euch nur ungern, aber Michael wird bald Hunger bekommen, und du musst dich zu Hause noch umziehen, wenn du pünktlich zu deiner Verabredung erscheinen willst.“

„Ich habe reichlich Zeit“, erwiderte Grace und stand auf, Michael auf dem Arm haltend. Während sie zur Tür ging, redete sie mit ihm. Dann übergab sie ihn Clara.

In ihrem Apartment duschte sie und zog ein weinrotes Kleid mit tiefem V-Ausschnitt und langen Ärmeln an. Sie steckte sich die Haare hoch und ließ ein paar lose Strähnen herunterhängen. Zum Schluss schlüpfte sie in High Heels und überprüfte ihr Äußeres in dem gesprungenen Spiegel. „Wow, du hast dich selbst übertroffen“, sagte sie und dachte an Nick. Ihr Blick fiel auf das gerahmte Foto von Michael auf dem Tisch. Lächelnd nahm sie es in die Hand. „Ich hab dich lieb“, flüsterte sie. „Und ich will dich auf keinen Fall verlieren.“ Sie küsste das Bild, spürte die kühle Glasscheibe an ihren Lippen und nahm ein Taschentuch, um den entstandenen kleinen Abdruck darauf wegzuwischen.

Als es an der Tür klingelte, nahm sie ihren Mantel und ihre Handtasche und schaute sich noch einmal in dem leeren Raum um, der ihr jetzt wie ein sicherer Hafen vorkam. Mit pochendem Herzen ging sie, um Nick zu öffnen.

3. KAPITEL

Mit seinem Lächeln schaffte Nick es, Grace’ Ängste und Befürchtungen zunichtezumachen. Er sah umwerfend gut aus, wie er da im Schein der Außenbeleuchtung vor ihrer Tür stand. Er trug einen anthrazitfarbenen Anzug, dessen Preis vermutlich höher lag als Grace’ Umsatz im letzten Monat. Gleichmäßige weiße Zähne, Grübchen zu beiden Seiten seiner sinnlichen Lippen und ein verführerischer Ausdruck in den Augen rundeten seine vollkommene Erscheinung ab, während er sie anerkennend musterte. Hinter ihm wartete eine elegante schwarze Limousine.

Angesichts seiner sexy Ausstrahlung bekam Grace weiche Knie.

„Sie sehen toll aus“, sagte er.

„Danke. Sie aber auch, obwohl Sie es vermutlich gewohnt sind, das zu hören.“

„Na ja, von Ihnen höre ich es zum ersten Mal. Und es freut mich“, fügte er hinzu. „Wollen Sie Ihrer Tante und Michael nicht Auf Wiedersehen sagen?“

„Michael ist bei Tante Clara“, entgegnete sie und fragte sich, ob er vorgehabt hatte, den Jungen an diesem Abend zu sehen. Allerdings war sein Vater derjenige, der Michael unbedingt kennenlernen wollte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Nick sich sonderlich für seinen kleinen Neffen interessierte.

„In dem Fall: Sind Sie bereit, heute Abend auszugehen?“

„Ja, das bin ich“, sagte sie aufrichtig und lächelte. Sacht berührte er ihre Wange mit dem Zeigefinger.

„Das ist schon besser. Ich habe Sie noch nicht oft lächeln sehen, und ich beabsichtige, das heute Abend zu ändern.“

„Die Probleme zwischen uns stehen einer fröhlichen Stimmung wohl eher im Weg.“

„Das muss sich unbedingt ändern. Fangen wir gleich damit an.“

Grace schlüpfte in ihren abgetragenen schwarzen Mantel und schloss die Tür hinter sich. Ein kalter Wind wehte ihr entgegen, sodass sie den Mantelkragen fest zuhielt. „Es ist jetzt schon so früh dunkel“, bemerkte sie fröstelnd.

„Gleich wird Ihnen warm.“

„Ich bin noch nie in einer Limousine gefahren, was Sie bestimmt nicht überraschen wird. Sie hingegen fahren wahrscheinlich in solchen Autos, seit Sie denken können.“

Ein Chauffeur öffnete die Tür, und Grace stieg ein. Das luxuriöse Innere der Stretchlimousine kam ihr wie die reinste Verschwendung vor. Nick setzte sich neben sie, legte den Arm auf die Rückenlehne und wandte sich Grace halb zu. Der Wind hatte ihm die schwarzen Haare in die Stirn geweht, was seine maskuline Ausstrahlung noch verstärkte.

„Hier drin ist Platz wie in einem Wohnmobil“, bemerkte sie. „Nur dass es kein Bett und keine Toilette gibt. Jedenfalls verstehe ich jetzt, warum Sie keinen Mantel tragen. Ihre Limousine ist kuschelig warm.“ Sie zog ihren Mantel aus, um ihn sich um die Schultern zu legen. Nick half ihr dabei, mit seinen warmen Fingern berührte er ihren Nacken. Sie erschauerte. „Erzählen Sie mir von Ihrem Leben“, forderte sie ihn auf. „Es unterscheidet sich vollkommen von meinem.“

„Nein, so sehr nun auch wieder nicht. Wir arbeiten beide hart für unsere Ziele. Nur bin ich im Gegensatz zu Ihnen kein Unternehmensgründer.“ Er betrachtete ihr Gesicht, und sein Blick verweilt derart unverblümt auf ihren Lippen, dass sie trotz der Wärme zu frösteln begann. „Wir treffen Entscheidungen, setzen uns mit Leuten und Zahlen auseinander.“ Ihr war klar, dass ihm nicht entging, welche Wirkung er auf sie hatte – allein durch einen sinnlichen Blick. „Und wir sind beide Single und leben in Dallas.“

„Das hört sich ganz unspektakulär an, aber das ist es nicht. Ich habe in den Zeitungen und Zeitschriften über Sie gelesen“, sagte sie und fühlte sich in dem Netz erotischer Spannung gefangen, das er mühelos gesponnen hatte. Sie versuchte sich allein auf das Gespräch zu konzentrieren und wandte den Blick ab.

„Ich gehe auf Partys. Sie vermutlich auch“, fuhr er fort.

Lächelnd erwiderte sie: „Aber wenn ich auf Partys gehe, werde ich nicht fotografiert.“

„Darauf könnte ich gut verzichten“, erklärte er.

Sie schaute aus dem Fenster, während sie durch die Innenstadt von Dallas fuhren, wo die Weihnachtsbeleuchtung die märchenhafte Stimmung noch verstärkte.

„Also, Grace, was erwarten Sie vom Leben? Den größten Partyservice in Dallas aufzubauen? Womöglich eine Kette? Was sind Ihre Ziele?“

„Ich möchte ein eigenes erfolgreiches Restaurant oder mehrere“, antwortete sie. „Ich habe immer wieder in Restaurants gearbeitet. Bei meiner Tante und meinem Onkel, die ein kleines, einigermaßen erfolgreiches Restaurant führten, habe ich angefangen. Als Onkel Pete starb, verkaufte Tante Clara das Restaurant und setzte sich zur Ruhe.“ Grace war sich Nicks ungeteilter Aufmerksamkeit sehr bewusst. Er gab ihr das Gefühl, von jedem ihrer Worte gebannt zu sein. Plötzlich verstand sie, dass seine Konzentration dazu führte, seinem Gegenüber mehr zu entlocken, als dieser unter normalen Umständen preisgegeben hätte.

„Ein Restaurant hat sechs oder sieben Tage die Woche geöffnet, die Arbeitszeit ist lang und anstrengend, stelle ich mir vor.“

„Wie viele Stunden pro Woche arbeiten Sie denn?“, fragte sie, da sie sich nicht vorstellen konnte, dass er immer pünktlich Feierabend machte.

Er lächelte. „Gut gekontert. Wie erholen Sie sich?“

„Momentan bereitet es mir viel Freude, mich um Michael zu kümmern und mit ihm zu spielen. Verglichen mit Ihrem Leben, ist meines schlicht. Wir haben zwar Gemeinsamkeiten, aber wir leben in verschiedenen Welten. Ich fahre zum Beispiel nicht in Limousinen oder jette nach Europa.“

„Sie haben mich von Anfang an erstaunt. Ich habe jemand ganz anderen erwartet.“

„Tja, vielleicht waren Sie Alicia gegenüber ebenso voreingenommen. Sie hingegen entsprechen meinen Erwartungen voll und ganz.“

„Autsch. Das klingt nicht sehr schmeichelhaft.“

„Nicht unbedingt. Aber ich hatte den Vorteil, Sie bereits aus den Medien zu kennen“, sagte sie.

„Glauben Sie der Klatschpresse bloß nicht. Bis auf die Aussage, ich sei überzeugter Junggeselle. Mein Vater hat so oft geheiratet, dass es für den Rest meines Lebens abschreckend auf mich wirkt.“

„Das glaube ich. Wohin fahren wir eigentlich?“, fragte sie und warf erneut einen Blick aus dem Fenster.

„Da Sie schon lange nicht mehr ausgegangen sind, habe ich mir etwas Besonderes einfallen lassen. Wir nehmen mein Flugzeug nach Boston, wo wir an Bord meiner Yacht gehen.“

„Ihre Yacht“, wiederholte sie ungläubig. Ein Abend auf einer Yacht im Golf von Mexiko mit einem attraktiven Multimillionär. Wie war sie nur in diesen magischen Abend gestolpert, den sie vermutlich für den Rest ihres Lebens nicht mehr vergessen würde? „Sie meinten es ernst, als Sie mir etwas Besonderes angekündigt haben.“

„Allein für Ihr Lächeln lohnt es sich“, meinte er. „Leider haben wir auf eine Weise begonnen, die keinem von uns ein Lächeln entlocken konnte.“

„Ich glaube, mit Ihren Schmeicheleien kommen Sie weiter als ich mit meinem Lächeln“, entgegnete sie leichthin und war sich bewusst, dass sie mit diesem lockeren Ton gefährliches Terrain betraten.

„Ich nehme an, Sie haben einen Babysitter für Michael und müssen heute Abend noch nach Hause.“

„Ich muss definitiv heute Abend nach Hause“, versicherte sie ihm und fragte sich, ob er etwa geplant hatte, sie zu verführen.

„Keine Sorge, ich werde Sie nach Hause bringen, wann immer Sie es wünschen. Irgendwann können wir ja etwas unternehmen, was spektakulärer ist und länger dauert.“

„Sie sind sich trotz unserer tiefen Differenzen sicher, dass wir Freunde werden können.“

„Was diese Differenzen angeht, darüber sprechen wir noch. Aber nicht heute Abend. Dieser Abend gehört Ihnen, da sollen Sie sich von den anstrengenden letzten Monaten mit einem Baby erholen. Sie haben es sich verdient.“

Grace erkannte, dass sie den Weg zum Flughafen nahmen. Kurz darauf fuhren sie an Hangars vorbei hinaus aufs Rollfeld. Nick half ihr aus dem Wagen. Auch hier blies ein kalter Wind. Nick half ihr in den Mantel und führte sie zum wartenden Jet. Selbst durch den Mantelstoff hindurch spürte sie die elektrisierende Wirkung seiner Berührung.

Seite an Seite bestiegen sie ein weiteres luxuriöses Beförderungsmittel. Nick setzte sich Grace gegenüber, und als er sich durch die windzerzausten Haare fuhr, malte sie sich unwillkürlich aus, wie es wäre, ihm die Haare zu zerzausen. Wie leicht er es doch fertigbrachte, erotische Fantasien in ihr wachzurufen.

Kopfschüttelnd schnallte sie sich in dem komfortablen Sitz an und übergab ihren Mantel einer Flugbegleiterin, die sich auch nach ihrem Getränkewunsch erkundigte.

Grace entschied sich für ein Glas Pinot Grigio, obwohl sie lieber einen heißen Kaffee genommen hätte. Den schien es jedoch nicht zu geben. Allerdings wurde ihr rasch warm, und als sie die Lichter von Dallas unter ihnen funkeln sah, fröstelte sie schon nicht mehr.

„Sie haben mir vorhin von Ihrem Leben erzählt, ehe wir unterbrochen wurden“, erinnerte er sie.

„Ich habe Ihnen verraten, was meine großen Ziele sind. Welches sind Ihre?“, fragte sie, in der Hoffnung, das Gespräch auf seine Vergangenheit lenken zu können. „Ich frage mich, was sich jemand wünscht, der alles hat.“

„Niemand hat alles. Auch ich habe Ziele – das Unternehmen erfolgreicher zu machen zum Beispiel.“

„Ich glaube, da gibt es konkretere Dinge. Was treibt Sie an, Nick?“

Ein undefinierbarer Ausdruck huschte über sein Gesicht. Belustigung? Verblüffung? „Vielleicht wollen Sie nicht darüber sprechen“, sagte sie schnell, weil sie es nicht gewohnt war, im Leben anderer herumzustochern.

„Ich werde Ihnen jede Frage beantworten, die Sie stellen.“ Die Worte enthielten keinerlei Doppeldeutigkeit, dennoch hatten sie genau diese Wirkung auf Grace.

„Ich will Milliardär werden“, erklärte er in einem Ton, der ihr signalisierte, dass es ihm ernst damit war. „Genau genommen will ich mehr Geld machen als mein Vater. Das klingt vielleicht ehrgeizig, aber so wurde ich erzogen.“

Es entstand eine Gesprächspause, in der die Flugbegleiterin mit einer Flasche Wein zurückkehrte. Sie entkorkte die Flasche, wartete auf Nicks Zustimmung und schenkte dann ein. Sobald sie wieder allein waren, hob Nick das Glas.

„Auf einen tollen Ausflug.“

„Darauf stoße ich gern an“, erwiderte sie und berührte mit ihrem Glas leicht seines. Als jeder sein Glas zum Mund führte, sahen sie einander in die Augen. In seinen las sie das unmissverständliche Versprechen, dass er sie küssen würde. Ihr Herz schlug schneller bei diesem Gedanken, und sie musste sich eingestehen, dass sie genau das wollte. Würde er in diesem Augenblick einen Versuch unternehmen, gäbe sie nur allzu gern nach.

Als könnte er ihre Gedanken lesen, wurde sein Blick sinnlich.

Um den Bann zu brechen, suchte sie fieberhaft nach Bruchstücken ihrer Unterhaltung, um dort anzuknüpfen, wo sie stehen geblieben waren. „Sie waren gerade dabei, mir von Ihrem Lebensziel zu erzählen, das ich überhaupt nicht nachvollziehen kann.“

„Es ist doch eigentlich ganz einfach“, sagte er und lehnte sich zurück.

„Sie sind schon mehrfacher Millionär. Es macht mich sprachlos, dass jemand, der so reich ist, noch mehr will.“

„Ums Geld geht es dabei gar nicht, sondern um den Kampf, der zum Reichtum führt. Ein Vermögen so zu managen, dass es sich vermehrt, darin liegt für mich die Herausforderung.“

„Und die brauchen Sie“, fügte sie hinzu, und mit dieser Erkenntnis kam die Angst. Denn Elis Ziel, was Michael betraf, und Nicks Zurückweisung durch sie, Grace, mussten einfach seinen Ehrgeiz wecken.

„Um etwas zu kämpfen, macht das Leben interessanter. Außerdem gewinne ich gern.“

„Darum geht es wohl hauptsächlich – Sie wollen gewinnen.“

„Absolut. Wer verliert schon gern?“ Er streckte die langen Beine aus, die ihre fast berührten.

„Jetzt mache ich mir doch Sorgen, denn mit diesem Ehrgeiz werden Sie sicher auch die Mission Ihres Vaters unterstützen“, meinte sie ernst.

Nick richtete sich auf und legte die Hände auf ihre Sitzlehnen, sodass er Grace’ ganze Aufmerksamkeit hatte. Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Ihr fiel das Atmen schwer.

„Nicht unbedingt. Heute Abend sicher nicht. Ich habe von meinem Lebensziel gesprochen. An meinen Vater habe ich keinen Gedanken verschwendet. Während unseres Zusammenseins ist mein einziges Ziel, eine verführerische Frau näher kennenzulernen.“ Seine sanfte Stimme ließ sie dahinschmelzen, und die Art, wie er sie ansah, glich einer Liebkosung.

„Na schön, Nick“, flüsterte sie. „Ich glaube Ihnen.“ Sein Mund sah verlockend aus. Sie wollte ihn küssen, wohl wissend, dass sie damit unausweichlich auf eine Katastrophe zusteuerte.

Plötzlich verkündete der Pilot die bevorstehende Landung in Houston und zerstörte damit den Zauber dieses Augenblicks.

Nick warf ihr noch einen wissenden Blick zu und lehnte sich dann wieder zurück.

Grace atmete tief ein. Er verstand es, jemanden mit Worten zu umgarnen. Mühelos hatte er ihren Widerstand überwunden. Sie musste sich unbedingt besser in den Griff bekommen.

Kaum waren sie aus dem Flugzeug gestiegen, zog sie ihren Mantel in der unerwartet warmen Luft wieder aus. Jetzt verstand sie, warum Nick keine Jacke trug.

„Ah, das ist großartig“, sagte sie.

„Ausgezeichnet. Ich will, dass der ganze Abend großartig wird“, erklärte Nick, und sie lächelte ihn an.

Sie stiegen in den Hubschrauber, der sie zu seiner luxuriösen weißen Yacht brachte. Nachdem Nick ihr den Kapitän und einen Teil der Mannschaft vorgestellt hatte, nahm er ihren Arm und sagte: „Gehen wir auf einen Drink aufs Oberdeck, wo wir auch essen werden. Hinterher zeige ich Ihnen das ganze Schiff.“

„Klingt toll“, erwiderte sie.

Sie fuhren in einem gläsernen Fahrstuhl, von dem aus man eine geschwungene Treppe, die wunderschön ausgestatteten Decks und enorme Topfpflanzen bewundern konnte. Als die Fahrstuhltüren sich öffneten, betrat Grace ein Deck, das ihr Gefühl, etwas Magisches und Unwirkliches zu erleben, noch verstärkte. Eine kleine Band spielte vor einem gedeckten Tisch, auf dem eine Kristallvase mit Paradiesvogelblumen, weißen Orchideen und Frangipani stand.

Autor

Margaret Allison
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