Begegnungen auf der Via Veneto

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Als Annabel den einflussreichen Andrew in Rom wiedersieht, stürzt sie sich in eine leidenschaftliche Affäre mit ihm. Doch dann erfährt sie von seiner Beteiligung an der Trennung zwischen Ihr und ihrem Verlobten. Liebt Andrew sie so sehr?


  • Erscheinungstag 17.06.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776572
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Die Mittagszeit war fast vorbei, trotzdem saßen in dem ruhigen, in einer Seitenstraße gelegenen Restaurant noch viele Gäste.

Bel Grant hatte gerade ihre Rechnung bezahlt und wollte aufbrechen, als sie Mortimer Harmen, den Leiter der Finanzabteilung ihrer Firma, an einem Ecktisch sitzen sah und sich schnell abwandte. Sie konnte Harmen nicht leiden und mied ihn nach Möglichkeit, zumal sie ihm auch nicht traute.

Frauen, die für starke, muskulöse Männer schwärmten, fanden ihn gut aussehend. Bel gehörte nicht zu ihnen. Ihr war sein Lächeln zu siegesgewiss, seine ganze Art zu arrogant. Offensichtlich hielt er sich für unwiderstehlich. Vor ihm grauste es ihr.

Wenn sie geschäftlich miteinander zu tun hatten und er sie mit seinen blassblauen Augen anschaute, hatte sie jedes Mal das Gefühl, er würde sie mit Blicken ausziehen. Falls er sie hier entdecken sollte, bliebe ihr nichts anderes übrig, als sich von ihm zur Firma zurückbegleiten zu lassen. Eine schreckliche Vorstellung!

Bei einem verstohlenen Blick in seine Richtung stellte sie fest, dass er eine Tasse Kaffee vor sich hatte und sich angeregt mit seinem Gegenüber unterhielt, einem dunkelhaarigen Mann, der ihr den Rücken zugewandt hatte.

Bel griff nach ihrer Tasche und ging zur Tür, als sie aus dem Augenwinkel bemerkte, dass Harmen aufstand. Er schien in ihre Richtung zu schauen. „Verflixt!“, schimpfte sie leise vor sich hin und flüchtete schnell in die Damentoilette.

Während sie darauf wartete, unbemerkt zu entkommen, betrachtete sie sich kritisch im Spiegel. Eine schlanke Geschäftsfrau in dunkelgrauem Kostüm und weißer Bluse sah ihr entgegen. Das seidige, aschblonde Haar ordentlich zu einem Chignon hochgesteckt, die grünen Augen leicht mandelförmig, das ebenmäßige, ovale Gesicht mit den dichten Augenbrauen und den dunklen Wimpern ungeschminkt.

Sie arbeitete zwar in der Kosmetikfirma ihres Vaters, verwendete selbst jedoch nur Make-up, wenn sie abends ausging oder tagsüber etwas Besonderes vorhatte.

Nachdem sie einige Minuten ungeduldig abgewartet hatte, kam Bel wieder heraus. Wenn sie noch mehr Zeit verlieren würde, käme sie noch zu spät zur Aufsichtsratssitzung, die für vierzehn Uhr angesetzt worden war.

An Harmens Tisch saß niemand mehr, und Harmen war nirgends zu sehen. Bel atmete erleichtert auf und eilte zum Ausgang. Auf dem Weg prallte sie mit einem großen, muskulösen Mann zusammen und strauchelte.

Der Mann umfasste sofort ihre Schultern, um ihr Halt zu geben. Bel schaute in seine blaugrauen Augen und war plötzlich atemlos.

Das kommt vom Zusammenprall, redete sie sich ein und sagte stockend: „Ent… Entschuldigen Sie bitte.“

Er betrachtete sie nur schweigend, in seinen Augen leuchtete es auf.

Bel überlief ein Schauer der Erregung, als sie – wie hypnotisiert – seinen Blick erwiderte.

Dann verschwamm plötzlich alles vor ihren Augen, denn der Unbekannte küsste sie unvermittelt.

Ihre Lippen hatten sich nur flüchtig berührt, und doch war Bel völlig durcheinander, als sie sich befreite und hinauseilte, ohne sich noch einmal umzusehen.

Ein unbefangener Betrachter hätte sie für Liebende halten können, die sich voneinander verabschiedeten, nicht für Fremde, die einander noch nie zuvor begegnet waren.

Bel war wütend, weil sie so heftig auf seine männliche Ausstrahlung reagiert hatte. Schnell durchquerte sie den Hyde Park, um auf kürzestem Weg zum Bürogebäude der Grant Filey Cosmetics zu kommen, das in einer ruhigen Sackgasse in der Nähe des Parks lag. Das Blattwerk der Bäume war staubig, der Rasen teilweise vertrocknet, denn es war ein trockener Sommer gewesen, der sich langsam dem Ende zuneigte.

„Du hast es gerade noch geschafft“, begrüßte sie die junge Sekretärin am Empfang. „Die anderen sind schon im Konferenzraum.“

„Danke, Rosie.“ Bel lächelte ihr zu, betrat das Sitzungszimmer und setzte sich.

Es war ein heißer Spätsommertag, und Harmen, der bereits am Tisch saß, fuhr sich mit einem bunt gemusterten Einstecktuch über das rote Gesicht.

Ein nett aussehender Mann mit grauem Haar erhob sich von seinem Sessel am Kopf des Konferenztisches, um die außerordentliche Aufsichtsratssitzung zu eröffnen. Es war Peter Grant, Bels Vater.

„Wir befinden uns in einer möglicherweise kritischen Situation. Irgendjemand hat einen großen Teil unser Aktien aufgekauft, die sich im Privatbesitz befunden haben, und will weitere Aktienpakete erwerben. Alles deutet auf einen feindlichen Übernahmeversuch hin.“

Bel, die rechts neben ihrem Vater saß, war bereits von ihm ins Vertrauen gezogen worden. Sie wusste auch, dass er sich Vorwürfe machte, nicht eher etwas zum Schutz seiner Firma unternommen zu haben.

Am Abend zuvor hatte er Bel mit seinen braunen Augen besorgt angeschaut und gesagt: „Es war ein Fehler, Ellen zu erlauben, das Aktienpaket zu behalten.“

Ellen war eine blonde, naive und arglose Schönheit in Bels Alter, die bis vor kurzem mit Peter verheiratet gewesen war.

Als Peter sich von seiner zweiten Frau scheiden ließ, steckte er in finanziellen Schwierigkeiten. Deshalb hatte er zugestimmt, dass Ellen das Aktienpaket als Abfindung behalten dürfte. Nun allerdings bereute er den Schritt, denn inzwischen waren die Aktien sehr wichtig für den Erhalt der Firma geworden.

Bel hatte versucht, ihren Vater zu beruhigen. „Sie würde die Aktien doch bestimmt nicht ohne deine Zustimmung verkaufen“, hatte sie gesagt.

Die Ehe war einvernehmlich geschieden worden, Ellen zählte nach wie vor zum Freundeskreis der Grants. Leider hatte sie keine Ahnung vom Geschäft, und wahrscheinlich würde sie sich nichts dabei denken, ihr Aktienpaket an einen Dritten zu verkaufen.

„Wenn ich mir dessen nur sicher sein könnte.“ Peter Grant hatte geseufzt. „Mir wäre wohler, wenn ich mit ihr sprechen könnte. Aber ich kann sie nirgends erreichen.“

„Wie lange wollte sie denn fortbleiben?“

„Keine Ahnung. Sie hat eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen, um mir mitzuteilen, dass sie sich auf einen Kurzurlaub in Paris freue. Sie wolle sich später wieder bei mir melden.“

Bel betrachtete ihren Vater besorgt und seufzte. Die Firma steckte seit über einem Jahr in finanziellen Schwierigkeiten. Und nun auch noch das!

Nach einiger Zeit konnte sie sich nicht mehr auf die Sitzung konzentrieren. Ihre Gedanken kreisten um die ungewöhnlichen blaugrauen Augen, in die sie vor kurzem geschaut hatte.

Der Blick war sinnlich und verlangend gewesen, und sie hatte instinktiv darauf reagiert. Allein bei der Erinnerung durchlief sie ein Schauer der Erregung.

Dabei wusste sie von dem Mann nur, dass er groß und muskulös war. Und er hatte sie geküsst, als wollte er klarstellen, dass sie ihm gehörte. So eine Frechheit!

Das ist ja albern, sagte sie sich. Wahrscheinlich ist er nur einem Impuls gefolgt, hat eine Chance gesehen und sie genutzt. Aber war es nicht unglaublich, dass ein völlig Fremder eine so heftige Reaktion bei ihr hervorrufen konnte?

Bel versuchte, die Erinnerung an den Vorfall zu verdrängen, und betrachtete ihren Verlobungsring mit dem Brillanten. Roderick würde kein Verständnis für ihre Gefühle haben.

Erst vor kurzem hatte er bedauernd gelächelt, als sie seine Annäherungsversuche abgeblockt hatte. „Fällt es dir gar nicht schwer, so kühl und unbeteiligt zu bleiben?“, hatte er gefragt.

Schuldbewusst hatte sie sich eingestehen müssen, dass es ihr überhaupt nicht schwer fiel. Ganz im Gegenteil. Fast fiel es ihr sogar ein wenig zu leicht, unbeteiligt zu bleiben. Besorgt hatte sie ihn gefragt: „Du hältst mich doch nicht für kühl und berechnend, oder?“

„Natürlich nicht, mein Schatz! Dazu ist dein Mund viel zu sinnlich – wie geschaffen zum Küssen. Ich glaube, du weißt um die Tugend der Keuschheit, um es mal ganz altmodisch auszudrücken. Jedenfalls macht es dich nur noch interessanter und begehrenswerter.“

Es gelang Bel, sich eine Weile in Gedanken auf ihren Verlobten zu konzentrieren, doch schon bald musste sie wieder an den beunruhigenden Fremden denken. Die nachhaltige Wirkung der flüchtigen Begegnung machte ihr Angst, und sie war froh, dem Mann niemals wieder begegnen zu müssen.

Als die Aufsichtsratssitzung schließlich zu Ende war und die Direktoren den Konferenzraum verlassen hatten, wandte Bel sich ihrem Vater zu, der zurückgeblieben war. „Sag mal, willst du es dir nicht anders überlegen und doch übers Wochenende mit nach Kent kommen?“, fragte sie.

„Nein, ganz bestimmt nicht.“ Er strich ihr beruhigend über die Hand und fügte hinzu: „Ich möchte lieber in London bleiben, falls Ellen versuchen sollte, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Holt Roderick dich ab?“

„Er ist auf Geschäftsreise. Sowie ich geduscht und mich umgezogen habe, werde ich losfahren.“

„Schön, dann solltest du dich langsam auf den Heimweg machen, sonst bleibst du noch im Feierabendverkehr stecken, wenn du nach Kent fährst.“

„Versprich mir, dir nicht das ganze Wochenende über Sorgen zu machen.“

„Keine Angst“, antwortete er betont unbekümmert. „Solange Ellen ihre Aktien behält, gibt es kaum Grund zur Besorgnis.“

„Sagst du mir Bescheid, wenn du etwas von ihr hörst?“

„Natürlich.“

Nach einem fünfzehnminütigen Fußweg schloss Bel die Haustür auf. Sie wohnte im Erdgeschoss eines Hauses, das man in drei Eigentumswohnungen umgebaut hatte. 10, Clorres Place lautete die Adresse des an einer Grünanlage gelegenen Hauses mit dem schmiedeeisernen Zaun. Sie hatte Pflanzkübel mit orangeroter Kapuzinerkresse aufgestellt, die den Eingang verschönerten. Nun betrat sie die kleine Wohnung und streifte sich die eleganten Pumps ab.

Nach einer kühlen, belebenden Dusche schlüpfte sie in ein dunkelblaues ärmelloses Kleid und zog flache Sandaletten an. Ihr Haar ließ sie offen.

Seit sie mit Roderick liiert war, trug sie fast ausschließlich Schuhe mit flachen Absätzen. Sie war einen Meter siebzig groß, und Roderick war kaum größer. Gleich zu Beginn ihrer Freundschaft war ihr bewusst geworden, wie sehr es ihm missfiel, wenn andere Menschen ihn überragten.

Bel griff nach dem Koffer fürs Wochenende, den sie bereits am Morgen gepackt hatte, und verließ das Haus. Nach kurzem Fußweg erreichte sie ihren weißen BMW, den sie in einer Seitenstraße geparkt hatte. Nur Anwohner mit Berechtigungsschein durften ihre Wagen dort abstellen.

Glücklicherweise entging sie dem Feierabendverkehr gerade noch. Schon bald hatte sie London hinter sich gelassen und war auf dem Weg nach Kent. Während der Fahrt dachte sie über das bevorstehende Wochenende nach.

Der Banker Roderick Bentinck war der einzige Sohn einer wohlhabenden Familie. Er besaß zwar eine Junggesellenwohnung in London, verbrachte aber jede freie Minute auf dem Landsitz seiner Eltern, weil ihm das Stadtleben nicht zusagte.

Seine Eltern freuten sich immer sehr, Bel zu sehen, und sie war ihnen jederzeit willkommen. Nach der Verlobung mit Roderick hatte sie ihn auch fast ausnahmslos begleitet, wenn er seine Eltern besuchte.

Sogar ihr Vater hatte sich einige Male überreden lassen, ein Wochenende in friedlicher, entspannter Atmosphäre auf dem Landsitz zu verbringen, zumal er hier immer einen Tennispartner fand.

An diesem Wochenende würde es allerdings etwas förmlicher zugehen. Die Bentincks feierten nämlich ihren vierzigsten Hochzeitstag und hatten etliche Einladungen verschickt. Das Fest sollte am Freitagabend mit einer Party beginnen, um Verwandte und Freunde willkommen zu heißen.

Bel hatte sich seit Tagen auf das Wochenende gefreut, doch nun war ihre Stimmung durch die Schwierigkeiten in der Firma getrübt.

Sobald der Wagen vor dem mit Efeu bewachsenen Haus hielt, kam Daphne Bentinck heraus, um Bel zu begrüßen. Rodericks Mutter war eine zierliche, fröhliche Frau mit grauem Haar.

„Wie schön, dich zu sehen!“, rief sie, als Bel ausstieg. Sie trug ein lila Twinset, das in der spätsommerlichen Hitzewelle viel zu warm sein musste, und eine Perlenkette. Nachdem Daphne ihre zukünftige Schwiegertochter herzlich umarmt hatte, begann sie, ohne Punkt und Komma auf sie einzureden, wie es ihre Art war.

„Roderick ist leider noch nicht da, und ich muss gleich zum Pfarramt. Zu ärgerlich! Aber du findest dich ja auch allein zurecht, Bel. Oder nicht? Du bist wieder im Rosenzimmer untergebracht. Wie immer. Die Haustür ist offen, dein Wagen kann erst einmal bleiben, wo er ist. Thomas kann ihn später wegfahren. Bitte Maggie, dir eine Kanne Tee und Sandwiches zu machen, damit du mir in der Zwischenzeit nicht verhungerst. So, nun muss ich aber los.“

Sie eilte zu einem Bentley älteren Modells, der vor den ehemaligen Stallungen geparkt war. Inzwischen war der Pferdestall längst zu Garagen umgebaut worden.

Lächelnd holte Bel ihren Koffer aus dem Wagen, ließ den Zündschlüssel stecken und ging ins Haus.

In der weitläufigen getäfelten Eingangshalle wurde sie von Margaret McDougal begrüßt, die sofort freundlich fragte: „Wie wär‘s mit einer Tasse Tee?“

„Sehr gern. Ich bringe nur schnell meinen Koffer hinauf, dann komme ich zu Ihnen in die Küche.“

Sowie Bel das helle, mit Rosenmuster tapezierte Zimmer betreten hatte, in dem sie immer übernachtete, wenn sie auf dem Landsitz der Bentincks zu Besuch war, begann sie ihren Koffer auszupacken. Sie wollte ganz sichergehen, dass ihr Geschenk für die Gastgeber auch unversehrt geblieben war.

Es war eine Jesse-Harland-Figur für Daphne und Roger Bentincks unbezahlbare Sammlung und stellte ein schüchternes, knabenhaftes Mädchen in Jeans dar. Roderick hatte vorgeschlagen, das Geschenk nicht verpacken zu lassen, sondern die Figur am Morgen auf den Frühstückstisch zu stellen. Bel fand die Idee sehr originell.

Vorsichtig stellte sie die Figur auf die Frisierkommode, wusch sich die Hände, kämmte sich und machte sich auf den Weg zur Küche.

Maggie hatte schon eine Kanne Tee, Sandwiches und Gebäck auf dem langen Eichentisch abgestellt, der einem mittelalterlichen Bankettsaal zur Ehre gereicht hätte.

„Das sieht ja wunderbar aus“, sagte Bel dankbar.

„Dann setzen Sie sich bitte.“

„Trinken Sie eine Tasse Tee mit mir?“, fragte Bel.

„Ja, warum eigentlich nicht?“

Maggie schenkte zwei Tassen ein, und die beiden Frauen tranken ihren Tee in einträchtigem Schweigen.

Da Bel mittags nur einen Salat gegessen hatte, war sie sehr hungrig und aß zwei Sandwiches und ein Stück Kuchen. Sie trank bereits ihre zweite Tasse Tee, als die Tür aufging und Roderick die Küche betrat.

Er sah eher interessant als gut aus, hatte feines braunes Haar, ein schmales, intelligentes Gesicht und haselnussbraune Augen.

Leider ging er immer etwas gebeugt; man hätte ihn für einen pedantischen Buchhalter halten können, doch er war alles andere als pedantisch, sondern aufgeschlossen und humorvoll. Es machte Spaß, mit ihm zusammen zu sein. Bel hatte ihn vom ersten Augenblick an gemocht, seit sie sich im Frühjahr bei einer Konferenz kennen gelernt hatten.

„Hier hast du dich also versteckt.“ Er küsste sie flüchtig auf die Wange. „Ich habe deinen Wagen gesehen, und als ich dich nirgends finden konnte, dachte ich, du würdest wahrscheinlich einen Spaziergang unternehmen.“

Er nahm Maggies Platz ein und fragte: „Hast du Mutter schon gesehen? Hat sie dir erzählt, dass sie Suzy übers Wochenende einladen musste?“

Ohne ihre Antwort abzuwarten, fuhr er fort: „Es ist eine etwas merkwürdige Situation, aber ihre Eltern gehören nun einmal zu den ältesten Freunden der Familie. Eigentlich hatten wir gedacht, Suzy wäre noch im Ausland, aber sie ist gestern zurückgekommen, und Mutter blieb nichts anderes übrig, als auch sie einzuladen. Es macht dir doch nichts aus?“

„Natürlich nicht.“ Insgeheim musste Bel allerdings zugeben, dass sie es lieber gesehen hätte, wenn das andere Mädchen im Ausland geblieben wäre.

Eigentlich hatte sie nichts gegen Suzy, aber Suzy hatte etwas gegen sie.

Die zierliche, hübsche Rothaarige war kaum achtzehn Jahre alt und furchtbar verwöhnt. Sie war bis über beide Ohren in Roderick verliebt und am Boden zerstört, weil ihr Held eine andere liebte.

Vor kurzem hatte sie ihnen das ganze Wochenende verdorben, weil sie ihre spitze Zunge nicht im Zaum hatte halten können und jede Gelegenheit genutzt hatte, Bel zu beleidigen. Bel war vernünftig genug gewesen, ihre Sticheleien zu überhören, hatte jedoch keine Lust, sich noch einmal Suzys Hasstiraden auszusetzen. Schon gar nicht, wenn das ganze Haus voller Gäste war.

Roderick schien ihre Gedanken erraten zu haben, denn er fügte beruhigend hinzu: „Sobald sie eintrifft, werde ich sie mir vorknöpfen. Ich habe sie sehr gern, wir waren schon als Kinder befreundet, aber es kommt nicht in Frage, dass sie dich noch einmal beleidigt oder womöglich meinen Eltern den Hochzeitstag verdirbt.“

Inzwischen war es kurz nach acht Uhr am Freitagabend, und die meisten Gäste hatten sich eingefunden, auch Suzy war mit ihren Eltern eingetroffen. Sie liebten ihre Tochter abgöttisch.

Schon bald stellte sich heraus, dass Roderick Wort gehalten hatte, denn als die hübsche Rothaarige sich im schwarzen Minikleid unter die Partygäste mischte, lächelte sie Bel flüchtig zu und ging ihr aus dem Weg.

Bel konnte es nur recht sein.

Sie trug ein bodenlanges weißes Abendkleid mit Spaghettiträgern, was ihren makellosen, sonnengebräunten Teint hervorhob. Das aschblonde Haar war zu einem eleganten Knoten hoch gesteckt. Bel war bildhübsch – kühl, elegant und lässig.

Ihr liebenswürdiger Verlobter, der einen Smoking trug, stellte sie stolz Freunden und Verwandten vor, die sie bislang noch nicht kennen gelernt hatten.

Im geräumigen Wintergarten hatte man eine Bar und ein Buffet aufgebaut, damit sich die Gäste selbst bedienen konnten. Da es ein warmer Spätsommerabend war, konnte auf der von Laternen erleuchteten Terrasse getanzt werden.

Bel fühlte sich sehr wohl. Die gelöste Partystimmung hatte sie allerdings dazu verführt, mehr Champagner zu trinken, als sie es gewohnt war. Plötzlich spürte sie, dass sie beobachtet wurde, und schaute sich um.

Nur wenige Schritte von ihr entfernt stand ein großer, dunkelhaariger Mann, der im eleganten Smoking eine ausnehmend gute Figur machte und starr in Bels Richtung schaute.

Leider stand er mit dem Rücken zu einer Laterne, daher konnte Bel sein Gesicht nur schemenhaft erkennen. Und doch kam er ihr seltsam vertraut vor …

Jetzt kam er lächelnd auf sie zu. „Wie schön, Sie so bald wieder zu sehen“, sagte er mit tiefer, leicht heiserer Stimme. „Kommen Sie, tanzen Sie mit mir.“

Bevor Bel wusste, wie ihr geschah, hatte er sie bereits an sich gezogen und begonnen, sich im Takt der Musik mit ihr zu drehen.

Er war einen guten Kopf größer als sie, breitschultrig und hatte schmale Hüften.

„Ich weiß wirklich nicht …“ Bel verstummte abrupt, als der Schein einer Laterne auf sein markantes Gesicht fiel. Ein Gesicht, das sie nie wieder vergessen würde, seit sie es zur Mittagszeit zum ersten Mal gesehen hatte.

Bel war völlig fassungslos. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt tanzen konnte. „Was … was tun Sie denn hier?“, fragte sie schließlich stockend, nachdem sie sich von ihrem ersten Schock erholt hatte.

Er schien sich köstlich zu amüsieren. „Man hat mich eingeladen“, erklärte er.

„Zufälle gibt es …“ Sie schaute ihn verwirrt an. Ob es wirklich ein Zufall war, ihm auf der Party wieder zu begegnen?

„Ich war wirklich eingeladen“, sagte er ruhig. „Aber unsere Begegnung im Restaurant war ein Zufall. Meine Anwesenheit hier war sorgfältig geplant.“

„Ich kann Ihnen leider nicht folgen.“ Das klang viel zu schüchtern! Mutiger fügte sie hinzu: „Jedenfalls hatten Sie kein Recht, mich so zu küssen.“

Er neigte den Kopf, um sie wieder zu küssen. „Wie denn? So vielleicht?“, fragte er wenig später amüsiert.

Bel war ganz schwindlig geworden. Als sie sich wieder erholt hatte, fing sie Suzys verblüfften Blick auf. Im nächsten Moment war die Rothaarige mit ihrem Tanzpartner im Gedränge verschwunden.

Die besitzergreifende Art des Fremden machte ihr Angst. Viel schlimmer war jedoch ihre Machtlosigkeit dagegen. Bel blieb einfach stehen und versuchte sich von ihm zu lösen.

Doch er umarmte sie nur noch fester.

„Lassen Sie mich los“, forderte sie beunruhigt.

„Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten. Aber nicht in diesem Gedränge.“

Er nahm ihre Hand und zog Bel hinter sich her. Etwas abseits der beleuchteten Tanzfläche auf der Terrasse hatte er auf dem Rasen eine Bank entdeckt.

Bel hätte sich wehren sollen, auch wenn sie dadurch die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich gelenkt hätte, doch sie war völlig durcheinander. Wahrscheinlich hatte sie auch zu viel Champagner getrunken. Jedenfalls folgte sie dem dunkelhaarigen Fremden ohne Widerrede.

Es war ein wunderschöner Abend, der Himmel war sternenklar, zwischen den Baumwipfeln schimmerte eine blasse Mondsichel hindurch. Es war angenehm warm und die Luft von betörendem Blütenduft erfüllt.

Bel nahm nichts davon wahr. Ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf den Mann, der sie jetzt zu sich auf die Bank zog.

Obwohl doch nur wenige Schritte entfernt viele Menschen feierten, fühlte Bel sich seltsam allein und verlassen, als gäbe es nur sie und den Fremden, der sie nun mit seinen silbergrau schimmernden Augen forschend ansah.

Er hielt sie noch immer fest.

Sicher spürt er, wie aufgeregt mein Puls pocht, dachte Bel und versuchte sich zu beruhigen. Doch das war leichter gesagt als getan.

Als wäre er sich seiner Wirkung auf sie nur zu bewusst, sagte er lächelnd: „Sie sind noch bezaubernder, wenn Sie nicht versuchen, sich kühl und gelassen zu geben.“

Sie überhörte sein Kompliment. „Wer sind Sie?“, fragte sie in bestimmtem Tonfall. „Einer von Rodericks Freunden?“

„Wir sind Geschäftsfreunde. Andrew Storm.“

„Andrew Storm“, wiederholte sie langsam. „Der Name passt zu Ihnen.“ Sie hatte ausgesprochen, was sie gerade gedacht hatte.

„Und Ihr Name passt zu Ihnen, ma belle.“

Woher weiß er meinen Namen? überlegte sie verwundert. Wahrscheinlich hatte Roderick ihn erwähnt. „Eigentlich heiße ich Annabel“, erklärte sie. „Aber alle nennen mich nur Bel.“

Er strich zärtlich über ihre Wange. Bel fuhr heftig zurück. „Was bilden Sie sich eigentlich ein?“, fragte sie eher verzweifelt als ärgerlich. „Ich bin Rodericks Verlobte. Wir werden im Oktober heiraten.“

„Tatsächlich?“ Sein Tonfall verriet deutlichen Zweifel.

Um zu demonstrieren, dass sie die Wahrheit gesagt hatte, hob Bel ihre linke Hand, an der sie den Verlobungsring trug.

„Warum haben Sie sich einen Brillantring ausgesucht?“

„Das habe ich ja gar nicht. Roderick hat den Ring ausgewählt.“

Andrew Storm schüttelte verständnislos den Kopf. „Ein Brillant ist zu kalt. Zu Ihnen passt die Wärme eines Topas oder das grüne Feuer eines Smaragds. Hinter der kühlen Maske verbirgt sich nämlich eine leidenschaftliche Frau …“

„Woher wollen Sie das wissen?“ Bel bemühte sich um einen amüsierten, gelassenen Tonfall.

Andrew legte ihr den Arm um die Schultern. „Soll ich es Ihnen beweisen, Bel?“

„Nein!“

„Haben Sie Angst?“

Natürlich hatte sie Angst! „Nein, natürlich nicht. Aber ich bin Rodericks Verlobte.“

Er zuckte nur desinteressiert mit den Schultern, als könnte ihn diese Tatsache überhaupt nicht stören. „Sie wiederholen sich. Wie lange sind Sie eigentlich schon verlobt?“

„Seit drei Monaten.“

„Schlafen Sie mit Bentinck?“

Die Frage überrumpelte sie. „Das geht Sie nichts an“, antwortete Bel ungehalten.

„Es könnte aber für unser Gespräch von Belang sein“, gab er kühl zu bedenken. „Wenn Sie …“

„Nein, wir schlafen nicht miteinander.“ Sowie es heraus war, ärgerte sie sich über sich selbst.

Er lachte leise, als er ihre Verwirrung bemerkte.

Bel war sich bewusst, dass sie diesem gefährlichen Tête-à-tête ein Ende machen musste, und sprang entschlossen auf. „Ich würde mich jetzt gern wieder unter die Gäste mischen“, sagte sie.

Zu ihrer grenzenlosen Überraschung stand auch Andrew auf. Er wirkte sehr selbstzufrieden, als hätte er sein Ziel erreicht. „Wie Sie möchten“, antwortete er, hakte sie unter und kehrte mit ihr zur Terrasse zurück, wo die Party noch in vollem Gang war.

Roderick schien allerdings spurlos verschwunden zu sein.

„Haben Sie schon etwas gegessen?“, fragte Andrew Storm, als er mit Bel auf einen der freien Tische zuging.

Wenn er mich doch endlich in Ruhe lassen würde, dachte Bel und schüttelte den Kopf. „Ich habe keinen Hunger“, behauptete sie. „Außerdem bin ich müde. Ich werde mich jetzt zurückziehen. Letzte Nacht habe ich leider kaum geschlafen.“

Als wüsste er genau, was ihr eine schlaflose Nacht bereitet hatte, fragte er einfühlsam: „Haben Sie Sorgen?“

Ihr Vater wollte nicht, dass der Übernahmeversuch allgemein bekannt wurde, daher schüttelte Bel schnell den Kopf. „Nein, nein, es war nur diese Hitzewelle. Mir ist immer noch schrecklich warm.“

„Dann werde ich Ihnen etwas zu trinken besorgen. Vielleicht ein Glas Champagner?“

Sie hätte gern etwas getrunken, jedoch nicht noch mehr Alkohol. Der bekam ihr nicht. „Lieber Fruchtsaft, vielen Dank.“

Sie ärgerte sich, ihm nicht einfach den Rücken gekehrt zu haben. Aber dazu war sie nun einmal zu gut erzogen.

Andererseits war sie inmitten der anderen Gäste vor weiteren Annäherungsversuchen sicher. Oder nicht? Andrew Storm war der verwirrendste, gefährlichste Mann, dem sie jemals begegnet war. Sie fühlte sich am Ende ihrer Kräfte.

Einer der Gäste, mit denen sie sich zuvor unterhalten hatte, kam auf sie zu und sagte: „Roderick hat Sie gesucht. Er dachte, sie wären vielleicht schon ins Bett gegangen.“

„Oh.“ Bel senkte verlegen den Blick. „Ich war kurz im Garten. Dann werde ich mich jetzt wohl lieber auf die Suche nach Roderick machen.“

In diesem Moment kehrte Andrew Storm jedoch mit einem Krug Fruchtsaft und zwei Gläsern zurück, die er gleich darauf füllte.

„Es ist tropischer Saft. Ich hoffe, Sie mögen ihn.“

„Ja, vielen Dank.“ Das Getränk war kühl und erfrischend. Bel hatte das Glas halb ausgetrunken, als sie plötzlich aufsah. „Der Saft schmeckt irgendwie scharf.“

Andrew trank noch einen Schluck und neigte nachdenklich den Kopf zur Seite. „Wahrscheinlich die Mango. Oder vielleicht die Limonen.“

„Ich bin mir nicht sicher.“ Bel trank ihr Glas aus und sagte unsicher: „Ich werde jetzt lieber gehen. Roderick sucht mich schon.“

Autor

Lee Wilkinson
<p>Lee Wilkinson wuchs im englischen Nottingham als einziges Kind sehr liebevoller Eltern auf. Nach dem Abschluss auf einer reinen Mädchenschule versuchte sie sich in verschiedenen Berufen, u.a. war sie Model für Schwimmbekleidung. Mit 22 traf sie Denis. Sie heirateten ganz traditionell in Weiß, verbrachten ihre Flitterwochen in Italien und führen...
Mehr erfahren