Begehren gegen jede Vernunft

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Sex ist tabu! Da sind Lizzie und Max sich einig. Schließlich ist der attraktive Milliardär seit Jahren ihr bester Freund - bis es immer häufiger verlockend knistert. Doch wenn Lizzie gegen jede Vernunft Max’ Anziehungskraft nachgibt, riskiert sie alles zwischen ihnen!


  • Erscheinungstag 11.07.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747848
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Lizzie McQueen zog sich mit einer anmutigen Bewegung aus Max Marquez’ schwarzgrundigem Swimmingpool. Wassertropfen glitzerten auf ihrem makellosen Körper.

Wie sie sich aufrichtete und nach einem Handtuch griff, erinnerte an eine Zeitlupenszene in einem Film. Max beobachtete jeden Schritt, den sie mit ihren langen Beinen machte. Während sie sich abtrocknete, nahm er einen ordentlichen Schluck von seinem Ginger Ale und tat, als würde ihn weder der Körper in dem knappen Bikini interessieren noch das traumhafte Dekolleté oder der Bauchnabel mit dem goldenen Piercing oder …

„Max, hör auf, mich mit diesem Blick anzusehen.“

Erwischt. Er verschluckte sich, musste husten und das blöde Ginger Ale lief ihm übers Kinn. Lizzie schüttelte den Kopf und warf ihm ihr Handtuch zu. Leise fluchtend fing er es auf und wischte sich das Gesicht ab.

Dieser Blick war das Schlüsselwort, wenn einer von ihnen den anderen auf unangebrachte Weise beäugte. Vor langer Zeit waren sie übereingekommen, dass Sex – und alles, was möglicherweise dahinführen konnte – absolut tabu war. Sie mochten sich zu sehr, als dass sie ihre Freundschaft mit einer heißen Bettgeschichte ruinieren wollten. Mittlerweile waren sie dreißig, hielten aber noch immer an ihrer platonischen Freundschaft fest.

Sie strich sich ihr feuerrotes Haar zurück, setzte einen großen Schlapphut auf und streckte sich auf dem Liegestuhl neben seinem aus. Max lebte in einer Villa aus den Dreißigerjahren in Beachwood Canyon, Lizzie wohnte in einer ultramodernen Eigentumswohnung. Ihm zuliebe verbrachte sie mehr Zeit bei ihm als er bei ihr, außerdem war seine Behausung in Los Angeles größer, schöner und viel privater.

Er reichte ihr die Sonnencreme. „Reib dich besser ein.“

Sie seufzte. „Ich und meine empfindliche Haut.“

Er mochte ihre helle Haut. Aber er hatte bei ihr auch schon fürchterliche Sonnenbrände gesehen. Darum beneidete er sie nicht. Während sie sich eincremte, dachte er daran, wie sie sich im letzten Jahr an der Highschool kennengelernt hatten. Sie hatten zusammen an einem Chemieprojekt gearbeitet, und schon damals war sie für ihn das typische High-Society-Mädchen gewesen.

Später erfuhr er dann, dass sie ursprünglich aus Savannah in Georgia stammte. Alter Geldadel, in der Hinsicht war seine Einschätzung richtig gewesen. Schon ihre Nähe reichte aus, dass seine jugendlichen Hormone verrücktspielten. Sie war nicht nur wunderschön. Sie war alles, was er sein wollte: reich, angesehen, beliebt.

Max war das genaue Gegenteil. Er stammte von amerikanischen Ureinwohnern ab und war in einer Pflegefamilie aufgewachsen. Damals war er rappeldürr gewesen. In Kombination mit seinem hohen IQ und seiner kümmerlichen Sozialkompetenz hatte ihm das nur Gespött und Geringschätzung eingebracht.

Sicher, Lizzies Leben war nicht so faszinierend, wie er geglaubt hatte. Das wusste er, seit sie sich besser kannten und einander ihre tiefsten und dunkelsten Geheimnisse anvertrauten.

Angeblich war sie zu jener Zeit auch ein wenig in ihn verliebt gewesen. Doch bis heute fiel es ihm schwer, das zu glauben. Seit wann verliebten sich Ballköniginnen in verpeilte Typen wie ihn?

Sie sah ihn unter der breiten Krempe ihres modischen beigefarbenen Hutes hinweg an. Das Leopardenmuster ihres Bikinis schimmerte in Kupfertönen, und ihre gepflegten Fingernägel waren in einem warmen Rosa lackiert. Alles an ihr säuselte „reiche Erbin“, und genau das war sie auch.

„Woran denkst du?“, fragte sie.

„Daran, was ich für ein furchtbarer Nerd war.“

Sie lächelte ihn an. „Im Gegensatz zu dem sexy Milliardär, der du heute bist?“

„Richtig.“ Er lachte. „Denn nichts steht mehr für ein Muskelpaket als ein Software-Designer und Internet-Unternehmer.“

Sie ließ ihren Blick über seinen muskulösen Körper wandern. „Du hast einiges für dich getan.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Wer sieht nun wen mit diesem Blick an?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Du hättest kein so scharfer Typ werden sollen, wenn du nicht beachtet werden willst.“

Das war nicht der Grund, weshalb er Muskelmasse aufgebaut hatte, und das wusste sie verdammt gut. Natürlich hatte er sein Nerd-Image loswerden wollen, aber er war nicht nur aus ästhetischen Gründen nach der Highschool ins Fitnesscenter gegangen. Sein Lieblingssport war Boxen. Manchmal vergnügte er sich mit Schattenboxen, und manchmal boxte er wie wild gegen einen schweren Boxsack. Aber fast immer tat er es, um auf die Dämonen einzuschlagen, die ihn quälten. Und er joggte, genau wie Lizzie. Sie rannten, als würde ein Tornado sie jagen. Oder ihre Vergangenheit, was so ziemlich dasselbe war.

„Die Schöne und die Intelligenzbestie“, bemerkte er. „Wir waren ein echtes Teenagerklischee.“

„Warum? Weil du angeboten hast, mir Nachhilfeunterricht zu geben, als ich ihn brauchte? Das macht uns nicht zu einem Klischee. Ohne deine Hilfe hätte ich es nie geschafft, auf die Uni zu kommen.“

Max nickte stumm. Mit seiner Hilfe war sie auf die Universität gekommen, die auch schon ihre Mutter besucht hatte. Noch dazu war sie in dieselbe Verbindung aufgenommen worden wie ihre Mutter, was eines ihrer Ziele gewesen war. Doch nichts davon hatte ihr den Trost gebracht, den sie gesucht hatte.

„Der zwanzigste Jahrestag naht“, sagte sie.

Der Tag des Selbstmords ihrer Mutter, dachte er. Lizzie war zehn gewesen, als ihre Mutter eine ganze Packung Schlaftabletten geschluckt hatte. „Tut mir leid, dass du das immer wieder durchlebst.“ Sie erwähnte es jedes Jahr um diese Zeit, und er konnte sehen, wie sehr sie noch immer darunter litt.

Sie legte die Sonnencreme auf den Tisch neben ihren Eistee. „Ich wünschte, ich könnte sie vergessen.“

„Ich weiß.“ Er konnte seine Mom auch nicht vergessen. Vor allem nicht den Tag, an dem sie ihn in dem heruntergekommenen Apartment allein gelassen hatte. Sie hatte ihn vor den Fernseher gesetzt und ihm aufgetragen, dort sitzen zu bleiben, bis sie zurückkehrte. Nur ein paar Stunden wollte sie fortbleiben, gerade lange genug, um sich das Zeug zu besorgen, das sie regelmäßig rauchte. Max hatte auf ihre Rückkehr gewartet, doch sie hatte sich nicht mehr blicken lassen. Nach drei Tagen hatte er endlich die Nachbarn um Hilfe gebeten. „Auch mich werden meine Erinnerungen vermutlich mein Leben lang verfolgen.“

„Tja, wir haben beide an unserer Vergangenheit zu knabbern.“

„Ja, das haben wir.“ Max war in einem Heim untergekommen, und seine Mutter wurde per Haftbefehl gesucht. Doch als die Polizei sie gefunden hatte, war sie schon an einer Überdosis gestorben.

„Was würdest du zu deiner Mutter sagen, wenn sie noch lebte?“, fragte Lizzie.

„Nichts.“

„Du würdest ihr nicht deine Meinung sagen?“

„Nein.“ Nicht ein einziges Wort würde Max mit ihr reden.

„Du würdest sie nicht einmal fragen, warum sie dich misshandelt hat?“

Max schüttelte den Kopf. Für ihn hätte keine Antwort der Welt Sinn ergeben. Warum hätte er also fragen sollen? Wenn seine Mom ihn nicht geschlagen hatte, dann hatte sie ihn mit Zigarettenkippen verbrannt und ihm befohlen, nicht zu weinen. Ihre gängigste Bestrafung war jedoch gewesen, ihn in seinen Schrank einzuschließen und ihm zu sagen, dass dort das Lakota-Monster mit den zwei Gesichtern hauste.

Die Mythen, die sich um diese menschenähnliche Kreatur rankten, variierten. In einigen Geschichten war es eine Frau, die in ein solches Wesen verwandelt worden war, nachdem sie versucht hatte, den Sonnengott zu verführen. Das eine Gesicht war hübsch, das andere fratzenhaft. In anderen Geschichten war es ein Mann mit einem zweiten Gesicht am Hinterkopf. Wenn man Blickkontakt mit ihm hatte, wurde man gequält und getötet. Kannibalismus und Kindesentführungen gehörten ebenfalls zu seinen Missetaten. Mit boshafter Freude jagte er Kinder, die ungezogen waren.

Die Stunden in dem dunklen Schrank würde Max nie vergessen.

„Moms schlimmstes Verbrechen war, dass sie darauf beharrte, mich zu lieben. Aber du kennst die ganzen Geschichten ja.“ Er kippte den Rest seines Ginger Ales hinunter und zerdrückte die Dose in der Hand. Er wiederholte noch etwas, was sie bereits wusste. „Ich schwöre, das will ich nie wieder von einer Frau hören.“

„Ich muss es auch nicht haben. Okay, Liebe soll das Allheilmittel sein, aber nicht für …“

„Menschen wie uns?“

Sie nickte, und er dachte daran, wie sie beide von einer Affäre zur nächsten wechselten. Max fand und verließ eine Frau nach der anderen, und auch Lizzie ging keine Beziehungen mit ihren Bettgefährten ein.

„Zumindest haben wir unsere Wohltätigkeitsarbeit“, sagte sie.

„Meinst du, das reicht?“

„Was?“ Sie zog die elegant gezupften Augenbrauen hoch. „Anderen Menschen zu helfen? Natürlich.“

„Warum bin ich dann immer noch so unzufrieden?“ Er musterte ihre strahlend blauen Augen und das rote Haar, das in feuchten Wellen auf ihre Schultern fiel. „Und warum beschäftigt dich der Todestag deiner Mutter immer noch so?“

Sie nahm ihren Eistee, trank einen Schluck und stellte das Glas wieder ab. „Wir sind auch nur Menschen.“

„Ich weiß. Aber ich sollte mich schämen, dass ich so empfinde. Ich habe alles bekommen, was ich mir je erträumt habe. Ich meine, wirklich, sieh dir diesen Fleck Erde doch nur an.“ Er blickte finster auf die wunderschöne Umgebung. Wie reich und privilegiert und verwöhnt er doch war.

„Ich dachte, das Sabbatjahr hätte dir geholfen.“

Auf der Suche nach innerem Frieden war Max fast ein Jahr um die Welt gereist. Dabei hatte er Krankenhäuser, Kinderheime und Orte besucht, an denen er hoffte, etwas bewegen zu können. „Der bedeutsamste Teil dieser Zeit war der Monat in Nulah. Das ist ein kleiner Inselstaat im Südpazifik. Ich war nie zuvor dort gewesen, deshalb wusste ich nicht, was mich erwartet. Was mich berührt hat, war ein Kind, das ich dort in einem Kinderheim kennengelernt habe. Ein fünfjähriger Junge namens Tokoni.“

„Das hast du bisher nie erwähnt.“

„Ich weiß.“ Er beschwor das Bild des Kindes mit den großen braunen Augen und dem hinreißenden Lächeln herauf. „Vielleicht habe ich versucht, ihn so etwas länger für mich zu behalten und ihn mir mit der Familie vorzustellen, die seine Mutter sich für ihn gewünscht hat. Als er zwei war, hat sie ihn ins Kinderheim gegeben in der Hoffnung, dass ihn jemand adoptieren und ihm ein besseres Leben ermöglichen würde. Sie hat ihn nicht misshandelt. Aber sie wusste, dass sie sich nicht richtig um ihn kümmern konnte. Nulah ist einerseits sehr traditionell mit altertümlichen Ansichten, andererseits rau und gefährlich. Das Land war nicht immer so geteilt, aber es hat unter den Einflüssen von außen gelitten.“

„Wie Drogen und Prostitution und solchen Dingen?“

„Ja, und Tokonis Mutter wohnte in einem heruntergekommenen Stadtviertel und hatte Probleme, Arbeit zu finden. Ihre Familie hatte sie bei einem Bootsunfall verloren, es gab also niemanden, der ihr helfen konnte.“

„Was ist mit dem Vater des Jungen?“, fragte Lizzie. „Welche Rolle spielt er?“

„Er war ein amerikanischer Tourist, der ihr alles Mögliche versprochen hat. Er hat gesagt, er wollte sie nach Amerika holen und heiraten. Am Ende hat er nichts getan, außer das Kind und sie im Stich zu lassen.“

„Wie schrecklich. Und wie traurig für sie, dazusitzen mit ihrem geplatzten Traum und auf den Mann zu warten, der sie aus dem Elend holt.“

„Eine Zeitlang ist sie mit dem Kinderheim in Kontakt geblieben, aber dann bekam sie eine Lungenentzündung und starb. Die alte Lady, die das Kinderheim führt, hat mir die Geschichte erzählt. Es ist eine private Einrichtung, die von Spenden lebt. Ich habe bereits eine ordentliche Summe gespendet, damit es dort weitergeht.“

Lizzie nickte nachdenklich. „Wenn du möchtest, schreibe ich einen Artikel über das Kinderheim, damit es mehr Unterstützung bekommt.“

„Das wäre großartig.“ Lizzie schrieb als Bloggerin über alle möglichen Wohltätigkeitsveranstaltungen und – projekte. Sie war recht erfolgreich und hatte unzählige großzügige Follower. „Ich wünschte, irgendjemand würde Tokoni adoptieren. Er ist absolut cool, immer fröhlich.“ Ganz anders, als er selbst als Kind gewesen war. „Inzwischen ist er in einem Alter, in dem er darüber spricht, adoptiert zu werden. Er glaubt fest daran, dass es geschehen wird. Er hat ein kleines Buch mit Zeichnungen von den Eltern, die er mal haben möchte. Es sind nur Strichmännchen mit lächelnden Gesichtern, aber für ihn sind sie real. Er ist davon überzeugt, dass sie ihn irgendwann aufnehmen.“

Sie legte die Hand auf ihr Herz. „Das ist ja süß.“

„Er ist ein süßes Kind. Ich möchte noch einmal zu der Insel reisen und ihn besuchen. Nur damit er weiß, dass ich ihn nicht vergessen habe.“

„Dann solltest du bald eine Reise planen.“

„Ja, das sollte ich.“ Er konnte ohne Probleme ein paar Termine umlegen. „Hey, ich habe eine Idee. Hast du nicht Lust, mit mir nach Nulah zu reisen und ihn kennenzulernen?“ Er wusste, dass Lizzie frei über ihre Zeit verfügte und jederzeit eine Reise antreten konnte. Sie war schon immer eine Jetsetterin gewesen, ein reiches Mädchen, jederzeit bereit, die Stadt zu verlassen. Meistens reiste sie aus humanitären Gründen, deshalb war dies genau das Richtige für sie. „Du könntest die Heimleiterin für dein Feature interviewen.“

„Klar, ich kann mitkommen. Ich würde gern das Kinderheim besichtigen und mich dort ein bisschen umhören. Am besten verbringe ich die Zeit mit der Heimleiterin und du mit Tokoni. Du weißt, dass ich mit Kindern nicht so gut umgehen kann.“

„Du musst einfach etwas geduldiger mit ihnen sein. Ich glaube, du und Tokoni, ihr würdet euch sehr gut verstehen. Ich denke, er wird von dir beeindruckt sein.“

„Glaubst du?“ Sie setzte sich etwas aufrechter hin. „Wie kommst du darauf?“

„In seiner Kultur glaubt man, dass Rothaarige von einem göttlichen Herrscher abstammen, der mit dem Feuer tanzt. Und dein Haar ist feuerrot.“ Max setzte sich ebenfalls auf und beugte sich zu ihr. „Er wird dich für eine Prinzessin oder so etwas halten. Und immerhin warst du mal Ballkönigin, du hast also Erfahrung.“

„Das zählt nicht.“

Er erinnerte sich, dass er an jenem Abend zu dem Footballspiel gegangen war. Er hatte allein auf der nicht überdachten Tribüne gesessen und beobachtet, wie sie die Krone bekommen hatte. Zu dem anschließenden Ball war er nicht gegangen. Er hätte nicht dorthin gepasst. Außerdem hatte er keine Begleiterin gehabt. Lizzie war mit dem großen braungebrannten Star des Schwimmteams zum Ball gegangen. „Damals hat es gezählt.“

„Nicht für mich, nicht so wie es hätte zählen sollen. Es war nicht fair, dass meine anderen Freunde dich nicht akzeptiert haben.“

„Nun, ich hab’s allen gezeigt. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.“

Sie nickte, doch sie lachten beide nicht.

Bevor die Stimmung kippte, streckte er die Hand aus und zog an einer Strähne ihres Haars. „Hey, jetzt mach dir keine Gedanken, dass ich dich als Königin betrachten könnte. Das einzige rothaarige Wesen, das meine Kultur beeinflusst hat, war ein Specht.“

Sie brach in Gelächter aus und schlug seine Hand weg. „Danke für diese interessante Information.“

„Das ist eine der alten Geschichten meines Stammes. Ich habe sie Tokoni erzählt, während er ein Puzzle mit Vögeln zusammengesetzt hat.“ Max hörte auf zu lächeln. „In der Originalgeschichte geht es auch um Liebe. Aber den Teil habe ich für Tokoni ausgelassen.“

Anmutig griff sie nach ihrem Glas und trank einen Schluck Eistee. „Du machst mich neugierig auf die Originalgeschichte. Wie schmalzig ist sie?“

„Ich glaube, es ist eine ganz typische Geschichte. Es geht um einen Jäger, der ein Mädchen aus seinem Dorf liebt, das ihn aber nicht einmal bemerkt. Er denkt die ganze Zeit an sie. Er hat sogar Schlafprobleme, weil er sie nicht aus dem Kopf bekommt. Also geht er in den Wald, um allein zu sein. Dort hört er ein wunderschönes Lied, das ihn in den Schlaf lullt. In der Nacht träumt er von einem Specht, der zu ihm sagt: ‚Folge mir, und ich zeige dir, wie dieses Lied entsteht.‘ Am Morgen sieht er einen echten Specht und folgt ihm. Der Vogel klopft gegen einen Ast, und das Lied erklingt. Später kehrt der Jäger mit dem Ast nach Hause zurück und versucht, das Lied zu spielen, indem er den Ast durch die Luft schwingt, aber es funktioniert nicht.“

Lizzie nahm ihren Hut ab. Die Sonne war hinter die Bäume gewandert, sodass sie nun im Schatten saßen. Fasziniert stellte er fest, wie gespannt Lizzie dem dummen Mythos lauschte. Oder kam die Spannung von der Energie, die immer zwischen ihnen zu knistern schien? Dieser erotischen Anziehung?

Er ignorierte das Gefühl und fuhr fort. „Der Jäger hat noch einen Traum. Darin zeigt ihm der Specht, wie man in das Holzstück hineinbläst und Töne erzeugt. Es ist eine Flöte.“

„Was ist mit dem Mädchen passiert?“

„Als sie das wunderschöne Lied des Jägers hört, sieht sie ihm in die Augen und verliebt sich sofort in ihn. Aber wie ich schon sagte, Tokoni habe ich die Legende ohne die Liebesgeschichte erzählt.“

Sie sah ihn an, fast wie das Mädchen in der Geschichte – außer, dass Liebe in ihrem und seinem Leben keine Rolle spielte.

Aber Begierde. Wenn Lizzie nicht seine beste Freundin gewesen wäre, dann hätte er sie jetzt in seine Arme gezogen und sie geküsst. Und so, wie sie ihn ansah, hätte sie sich von ihm küssen lassen. Aber das würde ihrer Freundschaft schaden.

„Ich finde es toll, dass du mit nach Nulah kommst.“ Er versuchte, die heftige Begierde abzuschütteln. „Das bedeutet mir eine Menge.“

„Ich weiß.“ Sie griff nach seiner Hand.

Doch es blieb bei einer flüchtigen Berührung, und sie zog ihre Hand schnell wieder zurück. Entschlossen, so schien es, auch ihr Verlangen nach ihm unter Kontrolle zu halten.

Unzählige Gedanken schossen Lizzie durch den Kopf. Heute würden sie und Max ihre Reise antreten. Eigentlich hätte sie mit dem Packen längst fertig sein sollen, denn er würde sie gleich abholen. Doch sie war noch dabei, wahllos Kleidung in den Koffer zu werfen. Normalerweise war sie besser organisiert. Heute allerdings konnte sie nicht klar denken.

Sie hasste es, wie diese magische Anziehungskraft sie immer wieder in Max’ Bann zog – in letzter Zeit mehr denn je. Dabei hatten sie eigentlich beide gelernt, damit umzugehen. Trotzdem kämpfte sie jetzt mit den Gefühlen, die seine Zuneigung zu Tokoni in ihr auslöste. Trotz seiner problematischen Kindheit fiel Max der Umgang mit Kindern leicht. Sie dagegen war wegen des Treffens mit dem Jungen schrecklich aufgeregt. Kinder fanden zu ihr nicht so leicht Zugang wie zu Max. Und wenn sie sich dann reserviert verhielt, trug das auch nicht gerade zu einem besseren Verhältnis bei. Sie konnte mit Kindern einfach nicht locker umgehen.

Nach dem frühen Tod ihrer Mutter hatte sie viel zu schnell erwachsen werden müssen. Ihr trauernder Vater hatte sich seiner Verantwortung entzogen und ihre Erziehung den Nannys und Köchen überlassen. Während er sich ganz seinem Job widmete und auf Geschäftsreisen ging, wuchs sie in einem großen einsamen Haus mit lauter Fremden auf. Heute, nach all den Jahren, hatte sie kaum Kontakt zu ihrem Vater.

Die Erinnerungen an ihre Mutter waren skurril. Vereinzelte Bilder einer wunderschönen, zierlichen Blondine, die sich mit starrem Blick im Spiegel betrachtete. Bilder einer Frau, die verschwenderische Partys gab und Lizzie sagte, wie wichtig es für eine junge Dame sei, eine gute Gastgeberin zu sein. Einer Frau, die plötzlich laut auflachte und genauso plötzlich weinte. Ihr größter Traum war es gewesen, den Pulitzer-Preis zu gewinnen. Doch meistens warf sie ihre Artikel weg. Manche verbrannte sie sogar, warf sie in den Kamin und sprach dabei auf Französisch, in der Sprache ihrer Vorfahren, mit sich selbst.

Ihre Mom hatte unter einer Vielzahl seltsamer Emotionen gelitten, sich verrückt benommen, aber sie war auch warmherzig und liebevoll gewesen und hatte abends mit Lizzie gekuschelt.

Nach ihrem Selbstmord hatte Lizzies Dad das Haus in Savannah verkauft, einen neuen Job in Los Angeles angenommen und Lizzie erklärt, dass sie von jetzt an ein kalifornisches Kind war.

Sie hatte ihrer Mutter nachgeeifert und dem Bild des reichen Mädchens entsprochen. Sie wurde beliebt. Trotzdem log sie ihre neuen Freunde an und erzählte, dass ihre Mutter an einem Aneurysma gestorben war.

Bis sie Max kennenlernte.

Ihm hatte sie die Wahrheit erzählt. Denn er war anders als die anderen an ihrer Schule – ein schüchterner, einsamer Junge, der genauso traumatisiert war wie sie.

Lizzie hielt den Atem an, als es klingelte.

Schnell lief sie zur Tür, und da stand er, Max Marquez. Er hatte rabenschwarzes, glänzendes Haar und tiefliegende braune Augen, die manchmal so schwarz schimmerten wie sein Haar. Sein Gesicht war kantig, sein Körper sportlich und muskulös. Der schlaksige Teenager von damals war fort. Vor ihr stand ein extrem attraktiver Mann.

„Bist du fertig?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. „Entschuldige. Ich packe noch.“

Er betrat ihre Wohnung. „Kein Problem. Ich schicke meinem Piloten eine Nachricht, dass wir uns verspäten.“

Sie nickte. Der Erfolg bescherte ihm den Luxus eines Privatjets. Zwar hatte Lizzie Geld von ihrer Mutter geerbt, aber so reich wie er war sie längst nicht. Max stand seinen beiden Pflegebrüdern sehr nah, die ebenfalls Milliardäre geworden waren. Er hatte ihnen das nötige Startkapital für ihre Unternehmensgründungen geliehen.

Er folgte Lizzie ins Schlafzimmer. Der Koffer lag auf dem Bett, ringsherum Kleidung, die sie nun sortierte.

Er hob ein Kleid mit Blumenmuster von dem Haufen auf. „Das ist hübsch.“ Dann blickte er auf einen Spitzen-BH und ein dazu passendes Höschen. „Das auch.“

„Lass das.“ Sie nahm die Dessous und stopfte sie in den Louis-Vuitton-Koffer, froh, dass er ihre Wäsche nicht berührt hatte. Das Kleid nahm sie ihm aus der Hand.

„Hast du in der Highschool wirklich mal auf mich gestanden?“, fragte er.

Um Gottes willen! Musste er jetzt davon anfangen? „Ja.“ Sie hatte tatsächlich einen leichten Anflug von Verliebtheit verspürt. Richtig umgehauen hatte es sie erst, als sie nach dem Studium zurückgekehrt war und seine körperliche Veränderung gesehen hatte. Doch nicht nur körperlich hatte er sich verändert. Während sie in die Bücher vertieft gewesen war, hatte er bereits seine erste Million verdient, indem er eine App verkaufte, die er konzipiert hatte. Heute investierte er in Start-up-Unternehmen und verdiente ein Vermögen damit.

„Es hätte nie mit uns funktioniert“, sagte er.

Kurz spielte Lizzie mit dem Gedanken, ihm ihr Schminktäschchen an den Kopf zu werfen. „Das habe ich auch nie behauptet.“

„Du hattest viel zu viel Klasse für einen Kerl wie mich.“ Er sah sie an. „Manchmal denke ich, das ist immer noch so.“

Ihr wurde heiß. „Das ist Unsinn. Du gehst mit Klassefrauen aus. Sie sind dein Typ.“

„Weil du den Maßstab gesetzt hast. Wie könnte ich mit dir befreundet sein und diesen Typ nicht wollen?“

„Hör auf, Max.“ Das waren längst keine Scherze mehr. „Du solltest nicht einmal in meinem Schlafzimmer sein, geschweige denn solche Dinge sagen.“

„Quatsch.“ Er winkte ab. „Ich war schon oft in deinem Schlafzimmer. Erinnerst du dich an letztes Jahr Silvester? Ich habe dich ins Bett gebracht, weil du so betrunken warst, dass du nicht mehr stehen konntest.“

Sie sah ihn an, als wäre er verrückt geworden. „Was redest du da? Ich war nicht betrunken. Ich hatte mir eine Grippe eingefangen.“

„Das sagst du.“ Er warf ihr einen vielsagenden Blick zu. „Ich glaube, es waren all die Cosmopolitans, die dein toller Lover dir gemixt hatte.“

Meinte er das ernst? So schlecht konnte seine Erinnerung doch gar nicht sein. „Du warst an dem Abend der Barkeeper.“ Hier in ihrem Haus, mit ihren Gästen.

„War ich das? Bist du sicher? Ich dachte, es war dieser Grand-Prix-Fahrer, den du in Monte Carlo kennengelernt hast. Der, hinter dem alle Frauen her waren.“

„Mit dem war ich damals schon nicht mehr zusammen.“ Sie drohte ihm mit dem Finger. „Du warst derjenige, der immer einen Extraschuss Wodka in meine Drinks gegeben hat.“

„Ich muss Mitleid mit dir gehabt haben, weil der Kerl dich verlassen hatte.“

„Wenn ich mich recht erinnere, war es etwa zur selben Zeit, als diese Kaufhauserbin dich verlassen hat.“

„Die war sowieso langweilig.“

„Ich fand sie nett. Allerdings war sie auf der Jagd nach einem Ehemann.“

„Ja, und damit war ich raus. Ich würde nie heiraten, selbst wenn das Ende der Welt auf dem Spiel stünde.“

„Ich auch nicht. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass wir es jemals tun müssen, um die Welt zu retten?“

„Sehr unwahrscheinlich. Aber ich behaupte immer noch, dass du letztes Jahr am Silvesterabend betrunken warst, und ich war der Gentleman, der dich in dieses Bett gebracht hat.“ Er klopfte bekräftigend auf ihr Kopfkissen. „Bitte, gern geschehen.“

Autor

Sheri White Feather
Sheri WhiteFeather hat schon viele Berufe ausprobiert: Sie war Verkaufsleiterin, Visagistin und Kunsthandwerkerin. All das gibt ihr für ihre Romances Anregungen, aber am meisten wird sie von ihrem Ehemann inspiriert. Er stammt von den Muskogee-Creek-Indianern ab und ist Silberschmied. Er ist sehr tierlieb, so dass in ihrem Haushalt eine ganze...
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