Begehren, süßer als jede Rache

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Eigentlich will Milliardär Luke Xenakis sich bloß einen Drink genehmigen und dann seinen lang ersehnten Vergeltungsschlag alleine auskosten. Endlich konnte er Rache üben an dem Mann, der vor Jahren seine Familie zerstört hat! Doch ein Blick auf die schöne Fremde an der Bar genügt, und er spürt ein Verlangen wie noch nie zuvor in seinem Leben. Er will diese Frau, unbedingt. Und die umwerfende Talia scheint seine Gefühle zu erwidern. Gemeinsam verbringen sie eine Nacht ohne Tabus oder unnötige Fragen. Erst am nächsten Morgen erfährt Luke, wer Talia wirklich ist …


  • Erscheinungstag 02.06.2020
  • Bandnummer 2443
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714178
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Die Morgendämmerung verbarg sich hinter dicken Vorhängen. In dem luxuriösen Hotelzimmer war es ganz dunkel, als Talia sich auf Füßen, die sie kaum vorwärts trugen, zur Tür schleppte. Jede Zelle ihres Körpers schrie in stillem Protest, doch Talia zwang sich zu tun, was sie tun musste.

Zu gehen.

Den Mann, von dem sie nichts als den Vornamen kannte, im Bett der Suite zurückzulassen. Luke, den hinreißenden Fremden, der noch tief unter den halb heruntergerutschten Seidenlaken schlief.

Talia warf einen letzten Blick auf den nackten, muskulösen Oberkörper, den sie in Ekstase gestreichelt hatte. Emotionen stachen auf sie ein wie ein Messer, das ihr Inneres ausweiden wollte. Weil sie sich dazu zwingen musste, den ersten Mann zu verlassen, der ihr jemals nah gewesen war. Der sie in ein Paradies gebracht hatte, von dem sie nie gedacht hätte, dass es existierte. Den Mann, der ihr in ein paar wunderbaren Stunden die Hoffnung auf etwas gegeben hatte, wovon sie kaum zu träumen wagte.

Zuflucht – glückselige, wunderschöne Zuflucht vor dem Leben, in dem sie gefangen war.

Vor dem Gefängnis, in das sie jetzt zurückkehrte.

Es blieb ihr keine Wahl.

Als sie den Türgriff so leise wie möglich drehte, vibrierte ihr Handy ein paar Mal in ihrer Handtasche. Es rief sie zurück in ihr Gefängnis – nach Hause.

Das Messer bohrte sich tiefer. Es verhöhnte die Wunder der Nacht, die Talia gerade in den Armen dieses Mannes erlebt hatte. Den Moment, als sich ihre Blicke zum ersten Mal begegnet waren. Den Moment, in dem sie wusste, dass sie etwas tun würde, was sie in ihrem ganzen Leben noch nie getan hatte: sich ohne Zögern und Zweifel einem Mann voll und ganz hinzugeben. Ebenso wie den Moment, als sie und Luke von der Party verschwunden waren, weil sie nur noch Augen füreinander gehabt hatten. Und den Moment, in dem Talia von einem sinnlichen Verlangen verzehrt worden war, das sie nie für möglich gehalten hatte.

Die nächste Drehung des Messers war noch schmerzhafter. Es hatte eine Verbindung zwischen Luke und ihr gegeben, die sie zueinander hingezogen hatte wie ein Magnet. Eine Leichtigkeit im Gespräch, eine natürliche Kommunikation, eine Wärme und Nähe, die mehr als die Vereinigung ihrer Körper gewesen war …

Die letzte Drehung des Messers brachte Talia fast dazu, vor Schmerz aufzuschreien. Doch sie schlich nur leise zur Tür des Hotelzimmers hinaus, unfähig, ihre Augen von dem Mann zu lösen, den sie nie wiedersehen würde.

Den sie nie wieder sehen konnte.

Beim bloßen Gedanken daran wurde das Blut in ihren Adern zu Eis, in dem Talia zu erfrieren drohte. Niemals würde sie tun können, wovon sie im Zauber der letzten Nacht gesprochen hatten.

„Komm mit mir!“, hatte Luke mit leuchtenden Augen gesagt. „Diese Nacht ist nur der Anfang von dem, was wir zusammen erleben können! Komm mit mir in die Karibik, dort gibt es Tausende von traumhaften Inseln zu erkunden! Wir werden sie alle besuchen! Und jede einzelne wird für uns sein! Komm mit mir …“

Wie ein Echo hörte sie seine Stimme, ein warmer und tröstender Schutz gegen die Kälte in ihrem Körper

„Komm mit mir!“

Talia drückte sich die Finger ihrer linken Hand vor den Mund, um das Schluchzen zu ersticken, das tief aus ihrer Seele drang. Unmöglich! Es war unmöglich für sie, mit dem wunderschönen Mann zu gehen, der sie für ein paar Stunden zur glücklichsten Frau der Welt gemacht hatte.

Unmöglich, irgendetwas anderes zu tun, außer dem, was ihr jetzt bevorstand: ihn zu verlassen.

1. KAPITEL

Am Abend zuvor …

Luke Xenakis blickte auf das viktorianische Lagerhaus in den Londoner Docklands, das jetzt zu hochmodernen Loftwohnungen umgebaut war. Er war aus der Innenstadt hierhergekommen, direkt von dem Treffen mit seinem Makler, auf das er die letzten zehn Jahre gewartet hatte.

Heute, endlich – Thee mou! – hatte er getan, was getan werden musste.

Harte, bösartige Emotionen ergriffen Besitz von ihm. Endlich schloss sich die tödliche Schlinge um den Hals seines Feindes.

Ein Leben für ein Leben.

Seine Vorfahren hätten diese bittere Wahrheit ohne zu zögern wörtlich genommen. Luke presste die Lippen zusammen, als er das Gebäude betrat. In diesen zivilisierteren Tagen gab es andere Wege, um Vergeltung im Namen derjenigen zu üben, für die seine Hilfe zu spät kam. Heute Abend würde dem ärgsten Feind seiner Familie Gerechtigkeit widerfahren.

Innerhalb von vierundzwanzig Stunden würde der Mann vernichtet sein.

Finanziell ausgelöscht. Ruiniert.

Luke atmete tief durch, als er die widerhallende Eisentreppe zum obersten Stockwerk des Hauses hinauflief, wo für geladene Gäste die Einweihungsparty des noblen Gebäudes stattfand. Hämmernde Musik tönte aus den neu renovierten Räumen, so laut, dass alle anderen Gedanken aus Lukes Kopf vertrieben wurden.

Es war genau das, was er jetzt wollte.

Inmitten einer fröhlichen Menschenmenge den Beginn seines neuen Lebens feiern …

Talia hielt in der Eingangshalle des neu renovierten Hauses inne und zögerte. Sollte sie sich wirklich unter die Partygäste mischen? Sie schob ihre Zweifel beiseite.

Ich brauche das hier.

Heute Abend, zumindest für ein paar Stunden, würde sie sich verlieren. Den Druck ihres Lebens vergessen, der von Tag zu Tag zunahm.

Sie seufzte innerlich. Die Nerven ihrer armen Mutter waren so dünn wie nie zuvor, und die Unbeherrschtheit ihres Vaters hatte sich in den letzten Monaten ebenfalls verschlimmert. Warum? Talia hatte keine Ahnung, und sie wollte es auch nicht wissen. Sie brauchte all ihre Energie, um ihre nervöse Mutter zu beruhigen und ihren tyrannischen Vater zu besänftigen, sodass er seinen Ärger nicht jedes Mal an ihrer Mum auslassen würde.

Es war ermüdend und Energie raubend, aber ich habe keine andere Wahl, dachte Talia bitter, als sie über die Türschwelle in das riesige Loft trat. Sie war verpflichtet das zu tun, was ihr Vater von ihr wollte. Sonst müsste ihre Mutter allein den Preis für seine Übellaunigkeit und seinen Unmut zahlen.

Also muss ich weiter Natasha Grantham sein, die Mustertochter des erfolgreichen Immobilienmagnaten Gerald Grantham, Vorstandsvorsitzender von Grantham Land. Es ist meine Pflicht, Teil des Theaterstücks zu sein, das er der Welt vorspielt. Ich bin ebenso ein Accessoire wie seine elegante und perfekt zurechtgemachte Frau, seine riesige Villa am Flussufer der Themse und die Ferienvilla in Marbella. Wie die Luxusappartements auf der ganzen Welt, die Flotte von teuren Autos, der Jacht und dem Privatjet. Damit andere ihn um seinen Erfolg beneiden können, um seinen Reichtum und seine Leistung.

Sein Erfolg und sein Image waren für ihren Vater das Wichtigste. Nicht seine Frau oder seine Tochter.

Am traurigsten daran ist, dachte Talia düster, dass ihre Mutter darauf beharrte, der Fiktion dieser perfekten Idylle zu glauben. Sie fand endlose Ausreden für die schlechte Laune ihres Mannes – den Druck bei der Arbeit oder die Anforderungen seines Unternehmens. Und sie war sicher, dass er alles im Leben für seine Familie tat. Aber Talia wusste, dass ihrem Vater nur eine Person und eine Sache wichtig war: er selbst.

Sie und ihre Mutter waren Requisiten, um Gerald Grantham gut aussehen zu lassen. Von seiner Ehefrau Maxine erwartete er, eine strahlende Gastgeberin von eleganten Partys zu sein. Von seiner Tochter Natalia verlangte er pflichtbewusste Arbeit – als Innenarchitektin, die die Renovierung seiner Immobilienkäufe in seinem Namen überwachte. Die verfügbar war für die endlosen gesellschaftlichen Verpflichtungen, deren Besuch er ihr auferlegte, wenn er selbst Besseres zu tun hatte. Im Gegenzug durfte sie mietfrei in einer seiner Londoner Wohnungen leben, mit einer finanziellen Aufwandsentschädigung, um die Kosten für ihre Garderobe zu decken.

Dunkle Schatten traten in Talias Augen. Die Welt sah sie als verwöhnte Prinzessin und Liebling ihres Vaters, aber die Realität hätte nicht weiter davon entfernt sein können. Talia war eine Schachfigur in dem rücksichtslosen Machtspiel, bei dem ihr Vater so gut war, weil er jeden seiner Züge mit eiserner Faust dirigierte.

Sich irgendwann aus diesem Spiel zu befreien war ihr größter Wunsch. Und bis dieser Tag kam, würde sie für kostbare Momente wie diesen Abend leben. Auf einen Impuls hin hatte sie die beiläufig ausgesprochene Einladung einer Architektenkollegin akzeptiert. Es entsprach ganz und gar nicht ihrem üblichen Verhalten. Normalerweise blieb sie in den seltenen Nächten, die sie frei hatte zu Hause oder ging gelegentlich in ein Konzert oder ins Theater, entweder allein oder mit einer Freundin.

Niemals mit einem Mann.

Sie hatte nie einen festen Freund gehabt. Nur ein einziges Mal hatte sie sich vor ein paar Jahren in eine heimliche Affäre gestürzt, aber ihr Vater hatte unerbittlich seinen Einfluss in der Geschäftswelt genutzt, um die Karriere des jungen Mannes zu ruinieren. Schließlich hatte er Talia erklärt, dass er jeden Menschen ruinieren würde, der ihr zu nahe käme. Und sie hatte ihre Lektion gelernt: Solange sie und ihre Mutter unter Gerald Granthams Obhut standen, waren sie sein Eigentum.

Heute, mit sechsundzwanzig, war ihr schmerzhaft bewusst, dass sie bis zum Tag ihrer Flucht aus dem goldenen Käfig keinerlei Freundschaft oder Beziehung ihrer Wahl beginnen konnte.

Überall um sie herum knüpften Partygäste neue Kontakte, tanzten, flirteten und verabredeten sich. Unruhe erfüllte Talia.

Wie lange kann ich mein Leben noch so aushalten wie es ist?

Niemals hatte der goldene Käfig, in dem sie lebte, unerträglicher gewirkt als in diesen Tagen. Noch nie hatte sie sich so gefangen und erstickt gefühlt. Noch nie hatte sie sich so verzweifelt gewünscht, fliehen zu können.

Doch heute Abend würde sie für kurze Zeit entkommen. Sie würde sich unter die feiernden Menschen mischen und die ganze Nacht lang tanzen. Ihre Mutter war allein in der Londoner Villa und an diesem Abend nicht in Gefahr, den Zorn des Vaters spüren zu müssen. Denn Gerald Grantham war im Ausland – wahrscheinlich mit einer seiner Geliebten.

Je länger er weg war, desto besser!

Talia atmete tief durch und ging an ein paar Gästen vorbei, um sich in dem riesigen Raum umzusehen. Das gläserne Dach vermittelte den Eindruck, sich unter freiem Himmel zu befinden und die Sterne über London berühren zu können. Ein ungewohntes und beinahe beängstigendes Gefühl für jemanden, der daran gewöhnt war, eingesperrt zu sein.

Hinter den Eisen- und Stahlträgern im Zentrum des Loftes erkannte Talia eine eigens für die Party aufgebaute Bar und beschloss, sich mit einem kleinen Willkommensdrink zu ermutigen.

Als sie sich auf den Weg dorthin machte, konnte sie die neugierigen Blicke der Anwesenden auf sich spüren. Ein alltägliches Gefühl, denn ihr ganzes Leben lang hatte man ihr beigebracht, ihr kastanienbraunes Haar und die braunen Augen so zu betonen, dass sie Bewunderung auf sich zog, wo immer sie hinkam. Noch bewahrten ihre sehr schlanke Figur und makellose Haut sie davor, dieselben Schönheitsbehandlungen und Diäten nutzen zu müssen, wie ihre Mutter. Doch wie lange würde es dauern, bis ihr Vater auch Talias Aussehen kritisierte? Etwas anderes als Perfektion ließ er nicht zu. Und das beeindruckende Aussehen seiner Frau und Tochter war ein fester Bestandteil des Bildes, das ihr Vater der Welt zu präsentieren liebte – indem er sie wie Trophäen an seiner Seite platzierte.

Normalerweise kleidete Talia sich nach seinen Vorgaben: in Hosenanzügen, Kostümen und Kleidern, die zu extravagant für ihren eigenen Geschmack waren. Aber heute hatte sie sich über seine Regeln hinweggesetzt. Sie schüttelte den Kopf ein wenig, und fühlte ihr langes Haar, das sie für diesen besonderen Abend aus der gewohnten Hochsteckfrisur gelöst hatte, in ihr Gesicht und über ihren nackten Rücken fallen. Sie hatte mehr Make-up benutzt als sonst, um nicht nur ihre Augen, sondern auch ihre Wangenknochen und Lippen zu betonen.

Das trägerlose bordeauxfarbene Kleid war kürzer und deutlich figurbetonter als die Kleider, die Talia normalerweise trug. Es war an diesem Nachmittag ein Impulskauf gewesen, in einer Second-hand-Designerboutique, die Talia bevorzugte, weil sie ihr half, weniger von ihrem Taschengeld auszugeben als ihr Vater ahnte. Und so hatte Talia nach und nach auf einem geheimen Bankkonto, das ihr Dad nicht überwachen konnte, etwas ansparen können. Nur für den Fall, dass ihre Mutter und sie eines Tages in die Freiheit auszubrechen vermochten …

Sie löste ihre Gedanken von diesem fernen Traum und richtete ihre Konzentration darauf, sich mit ihren schwindelerregenden 5-Zoll-Absätzen den Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Sie konnte spüren, wie ihre Hüften dabei aufgrund der hohen Schuhe schwangen, und fühlte noch mehr Blicke als gewöhnlich auf ihrem Körper. Als sie die Bar erreichte, hielt sie inne und legte ihre mit kleinen Goldarmreifen geschmückten Handgelenke auf die kühle Oberfläche. Sie wollte einen Drink. Nicht um betrunken zu werden, sondern um sich selbst zu signalisieren, dass sie heute Abend an nichts als die Party denken musste. Daran, Spaß zu haben. Loszulassen. Den endlosen, zermürbenden Druck ihres Lebens wenigstens für ein paar Stunden zu vergessen.

Für sich selbst zu leben, nur einen einzigen Abend lang.

„Eine Weißweinschorle, bitte“, sagte sie und lächelte dem Barkeeper zu.

„Und Gin für mich, wenn die junge Dame nichts gegen meine Gesellschaft einzuwenden hat.“

Die Stimme, die hinter ihr gesprochen hatte, war tief und leicht akzentuiert. Talia wandte sich um und erstarrte.

Der Mann, der da stand, war groß – bestimmt einen Meter neunzig. Und ohne es zu wollen fühlte Talia, wie ihre Augen sich anerkennend weiteten. Eine instinktive weibliche Wertschätzung dessen, was sie im schwachen Licht des Barbereichs sehen durfte: dunkle Haare, dunkle Augen, Kiefer, Nase und Mund, die sie an eine klassische Skulptur erinnerten, breite Schultern, eine starke Brust, schmale Hüften, und lange, lange Beine …

Der Blick des Mannes glitt betont langsam über sie, und eine noch eindringlichere Reaktion durchströmte sie. Weil sie am ganzen Körper fühlte, was sie im wunderschönen Gesicht des Fremden las: Ihm gefiel, was er sah. Und er machte keinen Versuch, es zu verstecken. Er ließ seine dunklen goldgefleckten Augen auf Talia ruhen, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sie fühlte, wie dabei ein Zittern durch sie rann, dessen Intensität ihr den Atem raubte.

Es war, als wusste der Fremde, dass sein unverhohlenes Interesse ihr alles andere als unwillkommen war. Dass Talia es erwiderte, auch wenn sie sich die größte Mühe gab, unbeeindruckt zu wirken. Zudem schien der Fremde keine Ahnung zu haben, dass er Gerald Granthams Tochter vor sich hatte – die Frau, die niemals ihren eigenen Wünschen folgen durfte. Auch wenn ein Mann wie dieser nur einen einzigen Wunsch in ihr wachrief.

Talia fühlte, wie ein weiteres Zittern durch sie hindurchrann und eine plötzlich erwachende Hitze ihre Haut wie Feuer brennen ließ. Auf seltsame Weise war sie sich plötzlich nur noch ihres Körpers bewusst, der vom dunklen, anerkennenden Blick des Fremden wie ein Magnet angezogen wurde. Sie fühlte seine Augen über ihre Brüste wandern, über ihre Hüften und Beine. Dann war es, als streichelte sein Blick die nackte Haut an ihren Armen, an ihrem Hals und ihren Schultern. Und schließlich das lange Haar, das in weichen Wellen über ihren Rücken fiel …

Sie spürte, wie ihr Atem stockte, eine unkontrollierbare Reaktion darauf, wie dieser Mann sie ansah. Fühlte, dass ihre Augen sich in einer überwältigenden Reaktion auf die körperlichen Reize des Fremden weiteten. Und wusste, dass es nichts gab, das sie tun konnte, um all das zu verbergen.

Was passierte hier?

Die Worte brannten in ihrem Bewusstsein. Nie zuvor hatte sie etwas Vergleichbares erlebt! Nicht einmal mit dem jungen Mann, mit dem sie die kurze Affäre gehabt hatte.

Sie merkte, wie der Fremde kurz seinen Blick von ihr löste, um sein Getränk entgegenzunehmen. Dann sah er zurück zu ihr, schloss seine schlanken Finger um sein eisgekühltes Glas und führte es gedankenverloren an seine Lippen.

„Auf einen plötzlich interessanten Abend“, sagte er schließlich und nickte Talia zu.

Das Leuchten in seinen Augen offenbarte seine Absichten, das Lächeln, das seine Lippen umspielte, zeigte Zufriedenheit.

Für eine Sekunde fühlte Talia, wie etwas tief in ihrem Innern zum Leben erweckt wurde – etwas, das es ihr unmöglich machte, sich von dem intensiven Leuchten in den Augen des Fremden zu lösen.

Oh Gott, was hat er getan, damit ich so reagiere?

Nur mit größter Anstrengung schaffte sie, ihren Blick von ihm loszureißen und sich auf den Barkeeper zu konzentrieren, der ihr die bestellte Weinschorle überreichte. Doch da der Fremde ihr buchstäblich den Atem raubte, war sie nicht in der Lage, irgendetwas zu sagen. Sie blickte noch einmal kurz zu ihm auf, bevor sie ihr Glas erhob und inständig hoffte, dass ihr gut aussehendes Gegenüber nicht merkte, wie sehr ihre Hände zitterten.

Sie nahm einen Schluck Schorle – viel mehr als sie beabsichtigt hatte. Aber sie fühlte, dass sie es brauchte. Sehr sogar.

Der Fremde, der nun seine rechte Hand in Talias Richtung ausstreckte, trug eine dunkle Hose und ein weißes Hemd, das maßgeschneidert sein musste. Zu perfekt betonte es seinen durchtrainierten Oberkörper und die muskulösen Arme. Die drei oberen Knöpfe des Hemdes waren geöffnet und die Ärmel ein wenig nach oben gekrempelt, sodass seine gebräunten Handgelenke enthüllt wurden, ebenso wie die sportliche Armbanduhr eines Luxuslabels. Talia war sicher, dass selbst von den elitären Anwesenden hier nur wenige über den finanziellen Freiraum verfügten, sich diese seltene Uhr leisten zu können.

Die dunklen Augen des Mannes ruhten noch immer auf ihrem Körper. Das Leuchten darin war mittlerweile so stark, dass Talia das Gefühl hatte, sich darin zu spiegeln.

„Luke“, hörte sie ihn sagen, während er ihr seine Hand entgegenstreckte.

Er wartete offensichtlich darauf, dass sie ihm auch ihren Namen verriet. Und er schien die Gewissheit zu haben, dass sie es tun würde.

Als sie ihn berührte, spürte Talia die Kühle seiner Finger, die Kraft in ihnen. Eine Tür schien sich zu öffnen – eine Tür, hinter der ein Hoffnungsstrahl hervorschimmerte.

„Talia.“ Sie lächelte ihre neue Bekanntschaft an.

Ganz bewusst benutzte sie den Namen, den sie angenommen hatte wie ihren eigenen. Ihr Vater nannte sie immer Natasha, anstelle ihres Vornamens, Natalia, den ihre Mutter bevorzugt nutzte. Doch Talia war weder die pflichtbewusste Tochter des Vaters noch der schützende Vormund der Mutter. Talia war sie selbst, und heute Abend, bei dieser kurzen, seltenen Gelegenheit, authentisch zu sein, war es der einzig passende Name.

„Talia …“

Sie hörte, wie Luke ihren Namen wiederholte. Exotischer und sinnlicher als sie je für möglich gehalten hätte. Seine leise Stimme hatte die Spur eines Akzents, ein Timbre, das bis in Talias Innerstes zu dringen schien und dort widerhallte.

Sie drohte, im Leuchten seiner Augen zu versinken, sich in dem Lächeln zu verlieren, das noch immer seine perfekten Lippen umspielte. Er nahm einen weiteren nachdenklichen Schluck aus seinem Glas, bevor er es auf den Tresen stellte und seinen linken Unterarm auf der kühlen Oberfläche ruhen ließ. Seine Körperhaltung war vollkommen entspannt.

Irgendetwas aber sagte Talia, dass seine Gedanken ganz und gar nicht entspannt waren. Denn gerade wegen seiner äußerlichen Ruhe erinnerte der Fremde sie an einen Panther, der versuchte, seine Beute nicht zu verschrecken, bevor er bereit war, sich auf sie zu stürzen.

„Also Talia, erzählen Sie mir von sich!“

Die Aufforderung wirkte beiläufig, fast wie ein Spielzug, um ihr näherzukommen. Eine Nähe, die Talia so noch nie erlebt hatte, weil sich die Verbundenheit nicht darüber definierte, wie gut sie ihr Gegenüber kannte, sondern über die elektrische Spannung und den Magnetismus zwischen ihnen.

Sie hielt einen Moment inne und nahm noch einen Schluck Wein. Sollte sie das Spiel mitspielen? Trotz des mächtigen Einflusses, den dieser Luke auf ihr Unterbewusstsein hatte? Oder gerade deshalb?

Noch während sie zögerte, hin- und hergerissen zwischen der gewohnten Vorsicht und der berauschenden Hoffnung auf mehr, hörte sie sich selbst wie von weit her sagen: „Ich bin Innenarchitektin.“

Sie war froh, dass sie es irgendwie schaffte, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. Denn diese Ruhe stand in vollkommenem Widerspruch zu dem, was sie tatsächlich fühlte, als sie einen weiteren Schluck ihrer Schorle nahm. Sie sah, wie ihr gegenüber fragend eine Augenbraue hob. „Haben Sie dieses Loft designt?“

Talia schüttelte den Kopf. „Nein, das ist überhaupt nicht mein Geschmack!“

Sie blickte auf die blanken Ziegelmauern, die sie umgaben. Die Industriestahlträger die unter den hohen Decken frei lagen, die auf Hochglanz polierten Retro-Holzböden und die moderne Kunst, die die indirekt beleuchteten Wände zierte.

Etwas an diesem Anblick machte sie traurig. Obwohl dieses sehr nüchterne Interieur ihr eigentlich nicht gefiel, schien es zumindest der Ausdruck des eigenen Stils des Innenarchitekten zu sein. Talia jedoch waren eigene Elemente in ihrer Arbeit nie erlaubt gewesen. Ihr Vater diktierte stets genau, was er sich unter einem Auftrag vorstellte: überladene Einrichtungen, die so aussahen, als ob sie eine Menge Geld kosteten. Und von Talia erwartete er, dass sie diese Gestaltung mit einem winzigen Budget durchführte, um den Gewinn des Vaters aus dem Weiterverkauf zu maximieren.

Sie hasste alles, was sie für ihren Vater entwarf.

Nein!

Sie würde jetzt weder an ihren Vater denken, noch an das Gefängnis, in das er sie sperrte. Nicht wenn dieser erstaunliche Mann vor ihr all seine Aufmerksamkeit auf sie konzentrierte und ihr Herz dazu brachte, sich beinahe zu überschlagen. Wenn sie sich nichts mehr wünschte, als hier stehen zu bleiben und Luke anzustarren, bis sie in seinen wunderschönen Augen ertrank.

„Und was ist mit Ihnen?“, hörte sie sich fragen, und versuchte, sich seine markanten Wangenknochen einzuprägen, die durch Lukes dunkle Augen und das schwarze Haar so perfekt akzentuiert wurden. Sie wollte dieses Bild nie wieder vergessen. Ebenso wenig wie diesen Moment und diese eigenartige Nähe zwischen ihnen …

Luke zuckte leicht mit den Schultern. „Kapitalanlagen“, antwortete er schließlich. Er hatte das Wort unbekümmert ausgesprochen. Doch etwas im Klang seiner Stimme erinnerte Talia an ein scharfkantiges Messer. Unsicher sah sie zu Boden.

„Sie müssen gut darin sein“, sagte sie, als ihr Blick zu der maßgefertigten Uhr an seinem schlanken Handgelenk glitt. Ihm schien sofort klar zu sein, dass sie den Wert der Uhr erkannte. „Ein Geschenk für mich selbst heute“, sagte er leise.

„Ein sehr schönes Geschenk“, murmelte Talia, noch leiser. „Haben Sie Geburtstag?“

„Besser“, antwortete er und nahm einen weiteren Schluck von seinem Getränk. „Ich habe gerade etwas erreicht, woran ich mehr als zehn Jahre lang gearbeitet habe. Und jetzt kann ich mich anderen Dingen im Leben widmen.“

Da war er wieder, dieser messerscharfe Unterton in seiner Stimme. Nur noch intensiver als ein paar Sekunden zuvor. Und es entging Talia nicht, wie angespannt Luke wirkte, seit sie ihn nach seinem Beruf gefragt hatte.

Es war beinahe … beunruhigend.

„Sie klingen sehr engagiert“, sagte sie vorsichtig.

Er starrte auf das Glas in seiner linken Hand. „Engagiert? Oh, ja …“ Für einen Moment schien er weit weg zu sein, dann konzentrierte er seinen Blick wieder auf die Frau vor sich. „Also, was führt Sie heute Abend hierher, Talia?“

Der beunruhigende Ton in seiner Stimme war verschwunden, als der seltsame Magnetismus zwischen ihnen erneut die Überhand gewann. Während Luke einen weiteren Schluck aus seinem Glas nahm, schien die plötzliche Anspannung aus seinem Körper zu weichen.

Talia beobachtete ihn gebannt, bevor sie wieder einen Blick in seine dunklen Augen wagte, die von den dichtesten Wimpern gerahmt waren, die sie je an einem Mann gesehen hatte. Das Leuchten darin war durch die beunruhigenden Momente nicht getrübt worden. „Was führt jemanden zu einer Party?“, entgegnete sie, um dem wahren Grund für ihre Anwesenheit auszuweichen.

Luke blickte sie durch seine dichten Wimpern an. „Wollen Sie, dass ich Ihnen das erkläre?“, fragte er amüsiert.

Unausgesprochen stand die Antwort bereits zwischen ihnen. Der Grund, warum so viele Leute auf Partys gingen, war neben sehen und gesehen werden vor allem … die Nacht nicht alleine verbringen zu müssen.

Hitze schoss in Talias Wangen. Schnell nahm sie ebenfalls einen weiteren Schluck aus ihrem Glas. Und dann, fast als hätte der Wein sie ermutigt, blickte sie Luke herausfordernd an. „Vielleicht will ich das.“

Auch Lukes markante Wangen durchzog eine leichte Spur von Röte. Doch er hielt Talias Blick stand: „Vielleicht“, murmelte er.

Das Leuchten in seinen Augen erklärte ihr alles. Und Talias Körper, ebenso wie ihr Herz drohte in Flammen aufzugehen.

Das passiert alles zu schnell! Ich sollte von dieser Bar verschwinden und mich unter die anderen Partygäste mischen …

Doch als Luke sein Glas leerte und auf den Tresen stellte, wobei er seine Augen nicht eine einzige Sekunde lang von Talias löste, verflog die ganze Vorsicht in ihr. Sie fühlte, wie ihr Puls raste, ihre Wangen tiefrot wurden und ihre Lippen sich leicht öffneten. Viel mehr als der Alkohol ermutigte sie ein berauschendes Gefühl von Freiheit und Hoffnung. Was diesen Mann für sie so besonders machte, wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass sie nie zuvor in ihrem Leben einen Menschen getroffen hatte, der ihr derart unter die Haut gegangen war wie dieser Fremde.

Autor

Julia James
<p>Julia James lebt in England. Als Teenager las sie die Bücher von Mills &amp; Boon und kam zum ersten Mal in Berührung mit Georgette Heyer und Daphne du Maurier. Seitdem ist sie ihnen verfallen. Sie liebt die englische Countryside mit ihren Cottages und altehrwürdigen Schlössern aus den unterschiedlichsten historischen Perioden...
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