Belüge niemals einen Milliardär!

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"Du hast 48 Stunden Zeit, dich zu entscheiden." Die schöne Chase ist bei diesen eiskalten Worten fassungslos: Der erfolgsverwöhnte Alessandro Moretti lässt sie bei den wichtigen Verhandlungen um ihr Herzensprojekt nur gewinnen, wenn sie seine Geliebte wird! Mit sinkendem Mut sieht sie in die unergründlichen Augen des italienischen Milliardärs. Will er sich mit seinem schamlosen Angebot rächen, weil sie ihn damals verlassen hat? Eine ausweglose Situation für Chase! Was soll sie bloß tun? Sagt sie Nein, ist alles verloren. Sagt sie Ja, ist sie verloren …


  • Erscheinungstag 23.06.2015
  • Bandnummer 2185
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701789
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Chase Evans schob den Ordner beiseite und blickte auf ihre Uhr. Seit fünfundzwanzig Minuten ließ man sie nun schon in diesem Konferenzsaal warten. Als erfahrene Anwältin wusste sie genau, was das zu bedeuten hatte.

Es ging darum, sie einzuschüchtern.

Mit einem unterdrückten Seufzen stand sie auf und trat vor die eindrucksvolle Fensterfront, die einen fantastischen Ausblick über die von Menschen überfüllten Straßen der Stadt bot. Zu dieser Jahreszeit wimmelte London geradezu vor Touristen aus aller Welt. Es gab kein Entkommen vor ihnen und dem geschäftigen Treiben der Metropole. Doch hier, hoch oben in den heiligen Hallen von AM Holding, konnte es einem fast so vorkommen, als sei man Lichtjahre von alldem entfernt. Es war mucksmäuschenstill.

Eine weitere gern genutzte Einschüchterungstaktik.

In den Jahren, in denen sie nun schon als Anwältin praktizierte, hatte sie schon so einiges erlebt. Die Gepflogenheiten dieser Firma hier allerdings schlugen wirklich alles.

Anfangs schien man die Sache nicht besonders ernst genommen zu haben. Sie brauchte nur an das erste Treffen zurückzudenken, zu dem die Verantwortlichen bei AM Holding ihren Junioranwalt Tom Barry geschickt hatten. Offenbar war man überzeugt gewesen, dass es sich beim Kauf des Frauenhauses um eine reine Routineangelegenheit handelte. Ein Kinderspiel, wie man so schön sagte. Als sich jedoch herausstellte, dass dem nicht so war, hatte man ihr beim nächsten Meeting zwei erfahrenere Kollegen gegenübergestellt. Im Gegensatz zu Tom Barry waren Alex Cole und Bruce Robins bestens vorbereitet gewesen.

Ebenso wie Chase selbst, und das aus gutem Grund. Von all den Fällen, die ihre Kanzlei aus gemeinnützigen Gründen kostenlos übernahm, lag ihr dieser Zufluchtsort für Frauen nämlich am meisten am Herzen. Sie war nicht bereit aufzugeben, ehe sie nicht auch ihre letzte Trumpfkarte ausgespielt hatte. Und so hatten auch Cole und Robins sich zu guter Letzt nur ratlos die Haare raufen und erklären können, dass Chase bald wieder von ihnen hören würde.

Was die keine Sekunde bezweifelte.

Das Frauenhaus – Beth’s House, wie es auch genannt wurde –, stand auf einem erstklassigen Grundstück in West London, direkt an einer der beliebtesten Einkaufsstraßen gelegen. Ein Grundstück, mit dem sich, sollte es jemals erschlossen werden, ein Vermögen machen ließ. Und ein Vögelchen hatte Chase gezwitschert, dass die AM Group genau dies plante: den Abriss des Frauenasyls und die Errichtung eines exklusiven Einkaufszentrums an seiner Stelle.

Nur über meine Leiche …

Sie seufzte. Minute um Minute verstrich, doch niemand erschien. Sie fragte sich, ob diese Hinhaltetaktik ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Natürlich konnte es möglich sein, dass sie am Ende doch eine Niederlage erlitt. Darüber aber wollte sie im Augenblick lieber nicht nachdenken.

Das letzte Treffen mit Leslie Swift – AM Holdings Topanwalt – war nicht besonders gut verlaufen. Er hatte jedes einzelne ihrer Argumente entkräftet und Gemeindeverordnungen, Sonderregelungen und Klauseln vorgebracht, die ihr vollkommen den Wind aus den Segeln nahmen.

Jetzt, wo sie allein in dem großen Konferenzraum saß, wurde sie sich immer deutlicher der Tatsache bewusst, dass dies vermutlich ihre letzte Chance war. Eine Erkenntnis, die sie nicht gerade ruhiger stimmte.

Ein weiteres Mal schaute sie auf die Uhr, ehe sie sich wieder zurück an ihren Platz an dem langen Konferenztisch setzte. Sie hatte keine Ahnung, wen man ihr dieses Mal auf den Hals hetzen würde. Vielleicht hatte man längst erkannt, dass sie am Ende war, und schickte ihr wieder den Junioranwalt, der sich ohne Zweifel diebisch über ihr Scheitern freuen würde.

Doch noch hatte sie ein allerletztes Ass im Ärmel – und dieses würde sie ohne zu zögern ausspielen. Sie hatte die Zeiten hinter sich gelassen, in denen sie davor zurückgeschreckt war, für sich selbst und ihre Meinung einzustehen.

Hastig verdrängte sie alle Gedanken an die Vergangenheit und konzentrierte sich stattdessen wieder auf ihre Unterlagen.

„Wie lange wollen Sie Miss Evans noch warten lassen?“

Alessandro Moretti schaute zu seiner Sekretärin auf, die seinen Blick ungerührt erwiderte. Sie hatte ihm vor einer halben Stunde Chase Evans Ankunft verkündet und ihn seitdem schon einmal darauf hingewiesen, dass sie noch immer im Konferenzraum auf ihn wartete. Keiner seiner anderen Angestellten hätte es gewagt, ihn noch ein zweites Mal zu erinnern. Vielleicht war es genau das, was er so an Alicia Brown schätzte.

Seit fünf Jahren arbeitete sie nun schon für ihn. Sie war alt genug, um seine Mutter sein zu können, und hatte von Anfang an klargestellt, dass sie gar nicht daran dachte, ihm einfach nur nach dem Mund zu reden.

Alessandro hatte sie vom Fleck weg eingestellt.

Jetzt seufzte Alicia. „Sie können Miss Evans nicht ewig warten lassen. Das ist schrecklich unhöflich.“

„Sie sollten mich wirklich lange genug kennen, um zu wissen, dass Höflichkeit nicht unbedingt zu meinen größten Tugenden zählt“, entgegnete Alessandro ungerührt. Dennoch stand er nun auf und nahm sein Jackett von der Lehne seines Schreibtischstuhls.

Was er gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Obwohl er erst vierunddreißig war, hatte er sich in der Branche bereits einen Namen gemacht. Eine solche Position erreichte man nicht, indem man die Menschen um sich herum mit Samthandschuhen anfasste. Seine Mitarbeiter fürchteten und respektierten ihn. Er behandelte sie hart, aber fair. Und sie gehörten zu den bestbezahlten Angestellten der ganzen Stadt. Im Gegenzug verlangte er von ihnen, dass sie der Marschrichtung folgten, die er vorgab, ohne Rückfragen zu stellen. Und wenn er etwas erledigt haben wollte, dann erwartete er, dass seine Anweisungen unverzüglich in die Tat umgesetzt wurden.

Zumeist funktionierte das auch recht gut. Umso ärgerlicher war es, dass sein Team von Topjuristen, dem er nebenbei bemerkt ein fürstliches Gehalt zahlte, es bisher nicht geschafft hatte, den Deal um das Frauenhaus unter Dach und Fach zu bringen. An seinen finanziellen Möglichkeiten scheiterte es gewiss nicht. Er besaß genug Geld, um die Immobilie kaufen zu können. Warum sich die ganze Angelegenheit nun trotzdem schon seit mehr als vier Monaten hinzog und er jetzt höchstpersönlich einspringen musste, um den Job seiner Angestellten zu erledigen, war ihm ein Rätsel.

Er hatte bereits sorgfältig ausgearbeitete Pläne zur Umgestaltung des Grundstücks, auf dem das Gebäude stand. Sein Kaufangebot war mehr als fair. Jeder Idiot hätte in der Lage sein sollen, die Verhandlungen zu führen. Doch stattdessen musste er sich nun selbst darum kümmern, was ihn wertvolle Zeit kostete.

Zeit, die er eigentlich für andere Dinge nutzen sollte.

Er verließ sein Büro und steuerte den Konferenzraum an. In weniger als fünfzehn Minuten stand eine Telefonkonferenz mit Hongkong auf dem Programm – bis dahin wollte er die Angelegenheit vom Tisch haben.

Chase hatte jede Menge Zeit gehabt, um nun ihrerseits über Einschüchterungsmaßnahmen nachzudenken, während sie wieder am Fenster stand und auf das gegnerische Anwaltsteam wartete. Barfuß war sie knapp einen Meter achtzig groß. In ihren High Heels überragte sie in der Regel die meisten ihrer Gegenspieler. Der letzte hatte ihr nicht einmal bis zur Schulter gereicht. Und wenn ihre Körpergröße allein nicht ausreichte, um die anderen Anwälte einzuschüchtern, dann konnte sie sie immer noch niederstarren.

Sie schaute gerade zum Fenster hinaus, als sie hörte, wie die Tür des Konferenzraums geöffnet wurde. Langsam drehte sie sich um. Man hatte sie die ganze Zeit in einem Raum warten lassen, der ungefähr so gemütlich war wie eine Gefängniszelle. Unter diesen Umständen sah sie sich nicht veranlasst, sofort Gewehr bei Fuß zu stehen, sobald sich jemand dazu herabließ, sie endlich mit seiner Anwesenheit zu beehren.

Doch zu ihrer Überraschung sah sie sich nun keineswegs den Anwälten gegenüber, die sie eigentlich erwartet hatte. Es waren nicht Tom Barry, Alex Cole, Bruce Robins oder Leslie Swift. Sie schaute den Mann an, der lässig im Türrahmen stand, und spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Wie angewurzelt stand sie da. Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie glaubte, es müsse jeden Augenblick zerspringen.

„Du?“, fragte sie fassungslos, und ihre eigene Stimme erschien ihr vollkommen fremd. Das war nicht die feste, ruhige Stimme der selbstbewussten, achtundzwanzigjährigen Frau, zu der sie geworden war.

Nein, ganz und gar nicht.

„Na, so was …“ Alessandro war ebenfalls schockiert, ihr plötzlich in seinem eigenen Konferenzraum gegenüberzustehen, aber er verstand es wesentlich besser, seine Überraschung zu kaschieren. Und er erholte sich sehr schnell wieder von dem ersten Schreck. Dennoch wagte er es kaum, seinen Augen zu trauen, als er nun langsam auf sie zuging.

Unwillkürlich wanderten seine Gedanken acht Jahre zurück. Zurück zu dem langbeinigen, wunderschönen Wesen, das ihm seit damals einfach nicht mehr aus dem Kopf gegangen war. Sie wirkte verändert, andererseits aber auch nicht. Verschwunden war die hüftlange Mähne, stattdessen war ihr kastanienbraunes Haar zu einem schulterlangen Bob frisiert. Jeans und Sweatshirt hatte sie gegen eine gepflegte Businessgarderobe getauscht. Ihre Augen aber besaßen noch immer dieses katzenhafte Grün, das ihn seit jeher fasziniert hatte. Und ihr Körper war so gertenschlank wie eh und je.

„Lyla Evans …“ Er schüttelte den Kopf.

Hätte es schon beim Nachnamen klingeln müssen? Vielleicht – wenn da nicht der Vorname Chase gewesen wäre … Er stand nun direkt vor ihr. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment die Besinnung verlieren. Hoffentlich erwartete sie nicht von ihm, dass er sie auffing, wenn sie fiel.

„Alessandro!“, stammelte sie nervös. „Niemand hat mir gesagt … Ich habe nicht erwartet, dass …“

„Das ist mir bereits aufgefallen.“ Er lächelte kühl und ohne jeden Anflug von Humor. Wie von selbst wanderte sein Blick zu ihrer Hand. Kein Ehering. Was nichts bedeuten musste, wenn er es recht bedachte.

„Werde ich die Verhandlungen mit dir führen, oder warten wir noch auf den Rest deines Teams?“, fragte Chase und versuchte verzweifelt, ihre Fassung zurückzugewinnen. Erfolglos. Es wollte ihr einfach nicht gelingen. Sie konnte nichts anderes tun, als ihn anzustarren. Er war noch genauso attraktiv, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Mehr noch als das. Mit sechsundzwanzig war er bereits unglaublich sexy gewesen, aber auf eine eher jungenhafte Art und Weise. Nun war er ein Mann – daran konnte kein Zweifel bestehen.

Sein Anzug war maßgeschneidert. Das helle Grau bildete einen aufregenden Kontrast zu seinem olivfarbenen Teint. Ein Effekt, den er, so wie sie ihn kannte, sicherlich beabsichtigt hatte. Auch seine Lederslipper waren sündhaft teuer – natürlich. Ein Mann wie Alessandro Moretti gab sich nicht mit Zweitklassigem zufrieden. Warum sollte er auch? Mit dem goldenen Löffel im Mund geboren, hatte er es nie anders kennengelernt. Auch wenn Chase ihm widerwillig zugutehalten musste, dass er sich nicht auf dem Vermögen ausgeruht hatte, das seine Eltern ihm hinterlassen hatten.

Doch es waren nicht diese materiellen Dinge, die sie damals, vor acht Jahren, so an ihm gefesselt hatten. Geld interessierte sie nicht. Es war die Wärme, die seine dunklen Augen ausgestrahlt hatten, sein wacher Geist und – ja, sie konnte es nicht leugnen – auch sein gutes Aussehen gewesen.

Der Blick, mit dem er sie jetzt abschätzend musterte, war eisig.

„Nun, du wirst mit mir vorliebnehmen müssen. Kuschelig, findest du nicht? So viele Jahre, nachdem wir uns zum letzten Mal begegnet sind, Lyla … oder Chase?“

„Chase. Mein Name war immer schon Chase.“

„Also hast du dir das … Pseudonym nur für mich ausgedacht, ja? Natürlich, das macht ja auch Sinn – angesichts der Umstände damals …“

Chase räusperte sich mühsam. Reiß dich zusammen, um Himmels willen! Du bist keine unsichere Zwanzigjährige mehr …

„Lyla war der Name meiner Mutter. Ich … würde mich gern setzen.“ Sie schwankte leicht, als sie zu ihrem Stuhl ging. Schwer ließ sie sich darauffallen. Der Stapel Papiere vor ihr, die Aktentasche, ihr Laptop – das alles erinnerte sie daran, warum sie sich überhaupt in diesem Konferenzraum aufhielt. Aber sie konnte sich beim besten Willen nicht auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren. Alessandros unerwartetes Auftauchen hatte sie vollkommen unerwartet getroffen. Ihre Gedanken drehten sich wild im Kreis.

„Was meinst du, Lyla? Entschuldige … Chase. Willst du mir nicht erzählen, was du die letzten acht Jahre so getrieben hast?“ Alessandro setzte sich auf den Rand des Konferenztischs und starrte sie an. Die erste und einzige Frau, der er je nachgejagt war – mit dem frustrierenden Ergebnis, dass sie nicht einmal in seinem Bett gelandet war. Schon allein deshalb nahm sie einen ganz besonderen Platz in seinem Leben ein. Normalerweise musste er keinen großen Aufwand betreiben, um eine Frau von seinen Vorzügen zu überzeugen. Doch auch sonst war Chase Evans wirklich unvergleichlich.

Wenn auch nicht unbedingt im positiven Sinne …

„Das würde ich lieber nicht tun“, erwiderte sie steif.

Er schmunzelte. „Habe ich mir fast gedacht. Würde ich an deiner Stelle vermutlich auch nicht.“

„Alessandro, ich weiß, was du von mir denken musst, aber …“

„Ich habe wirklich keine Lust, mir irgendwelche rührseligen Geschichten anzuhören, Lyla.“

„Hör auf, mich so zu nennen. Mein Name ist Chase.“

„Du bist also tatsächlich Anwältin geworden. Respekt. Obwohl … du hast mir ja schon einmal bewiesen, dass du bereit bist, dir zu nehmen, was du willst – ganz gleich, was es auch kostet …“

„Ich …“ Ihr Blick huschte über sein Gesicht. Seine finstere Miene ließ sie innerlich erschaudern – dabei konnte sie ihm sein abweisendes Verhalten ihr gegenüber nicht einmal verübeln. Ihre gemeinsame Zeit war nur kurz gewesen, aber von Missverständnissen, Notlügen und Geheimnissen geprägt.

„Ich kann gar keinen Ehering an deinem Finger entdecken“, sprach er weiter und riss sie damit aus ihren Gedanken. „Hast du dich deines unglücklichen Gatten entledigt, weil er deiner aufstrebenden Karriere im Wege stand?“

Alessandro seufzte. Als er ihr zum ersten Mal begegnet war – in der Universitätskantine, in ein Buch vertieft, die Welt um sich herum vollkommen ausgeblendet –, hatte ihre unglaubliche Ausstrahlung ihn schlichtweg umgehauen. Und auch jetzt fühlte er sie wieder, diese unbeschreibliche Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübte.

Bezeichnenderweise hatte sie damals auch keinen Ehering getragen …

„Ich bin nicht hier, um mich über meine Vergangenheit zu unterhalten“, stellte Chase klar und räusperte sich angestrengt. Sie musste das Gespräch wieder zum eigentlichen Thema zurücklenken. Das war sie nicht nur Beth und den Frauen schuldig, die im Asyl Zuflucht fanden. Auch für sie selbst war es ein Terrain, auf dem sie sich einigermaßen sicher zu bewegen vermochte. Was man von ihrer Vergangenheit nicht sagen konnte. „Ich habe alle Unterlagen bezüglich des Frauenhauses mitgebracht.“

Alessandro setzte sich auf einen der Stühle neben ihr, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und bedachte sie mit einem ausdruckslosen Blick. „Ich bin noch nicht in der richtigen Stimmung, mich mit dir darüber auseinanderzusetzen.“ Ihre verzweifelten Bemühungen, sich zu sammeln, amüsierten ihn. „Nun“, sagte er gedehnt. „Du wolltest mir gerade erzählen, wohin dein Ehering verschwunden ist.“

„Das glaube ich kaum“, entgegnete sie kühl. Sie wusste selbst nicht, wo sie die Beherrschung dafür hernahm, während Augen in der Farbe von Zartbitterschokolade sich in sie hineinbohrten und scheinbar mühelos die Schutzmauern durchdrangen, die sie um sich herum errichtet hatte. „Mag sein, dass du gern wüsstest, was ich in den letzten Jahren erlebt habe, aber ich habe nicht die Absicht, deine Neugier zu befriedigen. Ich möchte einfach nur hinter mich bringen, weswegen ich hergekommen bin.“

„Du bist hergekommen, um dein Scheitern einzugestehen“, entgegnete Alessandro mit einer Arroganz, die Chase den Atem raubte. „Wenn du auch nur einen Funken gesunden Menschenverstand besitzt, wirst du einsehen, dass du verloren hast, und ohne große Diskussion das Handtuch werfen. Solltest du allerdings darauf bestehen, mit mir zu verhandeln, muss ich dich warnen: In diesem Fall wird der Preis, den ich für das Grundstück zu zahlen bereit bin, rapide sinken.“ Er deutete auf die Uhr, die an der Wand hing. „Sagen wir, mit jeder Minute, die verstreicht, um einen Tausender.“

Entsetzt starrte Chase ihn an. „Das kannst du nicht machen!“

„Ich kann tun, was immer ich will, Lyla … Chase … oder soll ich dich lieber Mrs Evans nennen? Oder vielleicht Miss …?“

„Hier geht es nicht um uns, Alessandro.“ Erneut versuchte sie das Gespräch wieder auf eine rein professionelle Ebene zu bringen. „Lass uns vernünftig über Beth’s House sprechen und versuche nicht, mich mit leeren Drohungen …“

„Sieh dich um“, fiel Alessandro ihr ins Wort. „Und sag mir, was du siehst.“

Sie runzelte die Stirn. „Worauf willst du hinaus?“

„Tu einfach, was ich gesagt habe.“

Nervös blickte Chase sich um. Sie hatte keine Ahnung, was er damit erreichen wollte, wurde aber das Gefühl nicht los, geradewegs in eine Falle zu tappen. Doch sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte die Bedrohung nicht erkennen. „Ich sehe einen großen, farblosen Konferenzraum“, entgegnete sie. Während sie sich weiter umschaute, verspürte sie immer wieder den Drang, stattdessen ihn anzusehen, und ihr wurde klar, dass sie ihn nie wirklich hatte vergessen können.

„Ich mag es farblos“, sagte er. „Es zahlt sich nicht aus, für Zerstreuung zu sorgen, wenn man eigentlich will, dass die Leute, die hier sitzen, sich konzentrieren.“

Du magst es farblos …“

„Richtig. Weißt du, ich bin AM Holdings. Mir gehört das alles hier. Jeder einzelne Deal geht über meinen Tisch. Was ich sage, wird gemacht – und niemand widerspricht mir. Wenn ich dir also sage, dass der Preis für das Grundstück mit jeder Minute um tausend Pfund sinkt, dann meine ich es auch so. Wenn du dich allerdings der Hoffnung hingibst, dich gegen mich durchsetzen zu können, ist meine Drohung irrelevant. Anderenfalls solltest du mal nachrechnen, was dir am Ende bleibt, wenn du deine Zeit mit fruchtlosen Einwänden verschwendest.“

Chase konnte ihn einfach nur anstarren. Ihr fehlten die Worte. Angesichts dessen, was zwischen ihnen vorgefallen war – angesichts der Täuschung und der Halbwahrheiten, die ihr schließlich zum Verhängnis geworden waren –, saß sie einem Mann gegenüber, dem sich nun ganz überraschend die Gelegenheit bot, Rache zu nehmen.

Und sie zweifelte keine Sekunde daran, dass er diese Gelegenheit beim Schopfe packen würde.

Chase seufzte. Sie hätte ihre Hausaufgaben gründlicher machen sollen, aber ihr Boss hatte alle Vorbereitungen selbst übernommen. Nur um dann festzustellen, dass er die Verhandlungen aus persönlichen Gründen nicht führen konnte. Sie hatte all ihre Energie darauf verwandt, Schlupflöcher zu suchen, die einen Ausverkauf des Frauenhauses verhindern konnten. Wer hinter AM Holdings steckte, war ihr nicht wichtig gewesen. Sie hatte es in der Regel ohnehin nur mit anderen Anwälten zu tun, nicht mit Firmeninhabern. Ein Fehler, wie sie nun feststellen musste. Denn dieses Mal war alles vollkommen anders.

„Das klingt nicht besonders freundlich, schon klar.“ Alessandro zuckte mit den Schultern, und das Lächeln, mit dem er sie bedachte, war eiskalt. „Aber wenn es ums Geschäft geht, lebe ich nach dem Motto, dass sich keine Dividenden erwirtschaften lassen, indem man sich wie ein Gentleman verhält.“

Chase schüttelte den Kopf. „Warum tust du das? Wie kannst du nur die hilflosen Frauen bestrafen, für die das Asyl die letzte Zuflucht ist, nur weil wir … wir …?“

„Eine unglückselige Affäre miteinander hatten? Weil du mich angelogen, mich betrogen hast? Weiß deine Anwaltsfirma eigentlich, was für ein Mensch du wirklich bist?“

Chase entgegnete nichts. Was sollte sie auch sagen? Stattdessen fragte sie sich, wie weit er in seinem Rachedurst wohl gehen würde. Alessandro Moretti gehörte diese Firma. Er konnte nicht nur seine Drohung wahr machen und das Angebot für das Frauenhaus mit jeder verstreichenden Minute reduzieren – er konnte sie auch als Person ruinieren. Sie zweifelte nicht daran, dass sein Einfluss dazu ausreichte.

„Es war damals nicht so, wie es vielleicht ausgesehen haben mag, Alessandro“, sagte sie schließlich. „Ich …“

„Die Uhr läuft.“ Entspannt lehnte er sich zurück und schenkte ihr ein gelassenes Lächeln. Wider Erwarten stellte er fest, dass er sie auf rein körperlicher Ebene nach wie vor anziehend fand. Er hatte sie nie auch nur angerührt, aber, zum Teufel, er hatte davon geträumt, bis ihm der Kopf schwirrte.

Natürlich war er, bevor er ihr damals begegnete, schon mit anderen Frauen zusammen gewesen, doch so wie zu ihr hatte er sich noch zu keiner zuvor hingezogen gefühlt.

Er war als Gastdozent an der Universität gewesen, weil sein alter Professor ihn darum geben hatte. Es ging um eine Reihe von Vorträgen, um die Studenten zu inspirieren. Nicht mehr, nicht weniger. Dass ihm dort eine Frau vollkommen den Kopf verdrehen würde, war nie Bestandteil des Planes gewesen. Doch am Ende hatte er wegen Lyla – oder Chase, wie sie sich jetzt nannte – seinen Aufenthalt noch um ein halbes Dutzend weiterer Vorträge verlängert. Nur weil er noch nicht bereit gewesen war, sie gehen zu lassen.

Zum ersten Mal in seinem privilegierten Leben hatte er es mit einer Frau zu tun, die er nicht einfach so um den Finger wickeln und kontrollieren konnte, und er beschloss, sich zurückzulehnen und es einfach nur zu genießen. Dass sie die Zurückhaltende spielte, machte die Sache für ihn nur noch interessanter. Natürlich hatte er nicht erwartet, dass er sich an ihr tatsächlich die Zähne ausbeißen würde. Allerdings – was hatte er damals schon über sie gewusst? Fest stand nur eines: Als sie schließlich verschwand, war ein hässlicher Nachgeschmack in seinem Mund zurückgeblieben.

Und nun war sie wieder da.

Er lächelte kühl. „Du bist nicht daran interessiert, unsere … aufregende gemeinsame Vergangenheit zu diskutieren? Fein, dann lass mich deine Argumente hören. Ach, übrigens – eine Minute ist bereits verstrichen.“

Chase hatte das Gefühl, mitten in einem Albtraum festzustecken. Mit zitternden Fingern schlug sie den Aktendeckel auf. Sie verstand ja, dass Alessandro verbittert und verärgert war. Trotzdem hatte sie nicht erwartet, dass seine Wut so tief sitzen würde. Er konnte ihr wirklich schaden und alles zunichtemachen, was sie bisher erreicht hatte.

Sie holte tief Luft und fasste zusammen, was sie mit seinen Untergebenen in den vergangenen drei Meetings besprochen hatte. Er schien ihr aufmerksam zuzuhören – bis er sie mit einer unwilligen Handbewegung zum Schweigen brachte.

„Dir ist schon klar, dass keines deiner Argumente wasserdicht ist?“, fragte er. „Du weichst aus – aber das funktioniert bei mir nicht.“

Frustriert fuhr Chase sich übers Haar. Sie wusste, dass sie sich konzentrieren musste, wenn sie auch nur den Hauch einer Chance gegen ihn haben wollte. Als er sie damals in der Uni-Cafeteria angesprochen hatte, hatte sie instinktiv gewusst, dass er ein gefährlicher Mann war. Liebenswert und charmant, wenn er es sein wollte. Wenn es notwendig war, aber auch unnachgiebig und hart. Vor acht Jahren hatte sie nur eine – die sanfte – Seite von ihm kennengelernt. Doch heute wie damals war es ein Spiel mit dem Feuer, sich auf ihn einzulassen. Mit dem Unterschied, dass sie heute ungleich mehr zu verlieren hatte als in der Vergangenheit …

„In Ordnung“, sagte sie. „Du magst alle juristischen Aspekte auf deiner Seite haben. Aber hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie die Presse mit einem Großunternehmen umspringen wird, das vorhat, ein wohltätiges Frauenasyl dem Erdboden gleichzumachen? Die Öffentlichkeit reagiert nicht gerade wohlwollend auf solche Geschichten, wie du sicher weißt.“ Dies war eine ihrer letzten Trumpfkarten, die sie nun aus dem Ärmel schüttelte. Doch Chase konnte nicht behaupten, dass sie sich besonders siegessicher fühlte. „Ich habe hier eine Liste von Namen“, fuhr sie fort und durchbrach die Stille. Sie wagte nicht, ihn anzusehen. Stattdessen räusperte sie sich und sprach weiter. „Es handelt sich um Journalisten und Reporter, die meiner Sache aufgeschlossen gegenüberstehen werden.“ Sie schob Alessandro das Papier über den Tisch zu, doch er ignorierte es und lächelte nur milde.

„Versuchst du etwa, mir zu drohen?“

Sie zuckte mit den Achseln. „Nun, ich würde es nicht drohen nennen …“

„Nein? Wie würdest du es denn dann bezeichnen?“

„Ich übe Druck aus.“

Es war ihr wie eine gute Idee erschienen, als sie sich vorbereitet hatte. Aber da wusste sie auch noch nicht, in was für einer Situation sie sich wiederfinden würde. Der durchdringende Blick seiner dunklen Augen ließ sie unruhig werden, und sie unterdrückte nur mit Mühe den Drang, auf dem Stuhl hin und her zu rutschen. Die Fassade von Selbstbewusstsein und Beherrschtheit bröckelte mehr und mehr angesichts der Tatsache, dass ihr das Blut ins Gesicht stieg.

„Ich wette, du hast geglaubt, dass meine Anwälte sofort einknicken, wenn du diese Karte aus dem Ärmel ziehst, nicht wahr?“, erwiderte er spöttisch lächelnd. „Ich muss schon sagen, ein ziemlich mieser Trick – aber warum überrascht mich das eigentlich?“ Er lehnte sich über den Konferenztisch hinweg zu ihr vor und schaute ihr unmittelbar in die Augen. „Wie auch immer, lass uns diese Drohung einmal in aller Ruhe gemeinsam durchgehen, und …“

„Es ist keine Drohung.“

Ohne auf ihren Einwand einzugehen, sprach er weiter: „Ich habe einen äußerst guten Preis für den Kauf des Frauenhauses und des dazugehörigen Grundstücks geboten. Mehr als genug, um die Einrichtung an anderer Stelle wieder aufzubauen.“

„Beth will das Asyl aber nicht irgendwo anders aufbauen. Für die Frauen ist es ein Zufluchtsort, ein Zuhause. Sie fühlen sich sicher dort.“

„Du kannst deinen Freunden bei der Presse natürlich vorjammern, dass die Frauen kurzerhand aus ihrer Umgebung gerissen werden. Aber dann sei bitte darauf gefasst, dass meine Leute dem entgegenstellen werden, was von dem Geld, das ich biete, alles erreicht werden könnte. Ein doppelt so großes Asyl. Moderner Komfort. Ein etwa gleich großes Grundstück außerhalb des Zentrums. Zum Teufel, sie könnten sogar einen Swimmingpool, einen Spieleraum und ein Kinderzimmer bekommen – und die Liste ließe sich noch beliebig verlängern.“ Er stand auf und schlenderte gelassen zu dem Fenster, vor dem sie vorhin gestanden hatte. „Also, was denkst du, wer am Ende als Gewinner aus diesem Streit hervorgehen wird? Vor allem, wenn bekannt wird, dass ich auf dem Grundstück ein Einkaufszentrum errichten will und damit dringend benötigte Arbeitsplätze schaffe.“

Autor

Cathy Williams
<p>Cathy Willams glaubt fest daran, dass man praktisch alles erreichen kann, wenn man nur lang und hart genug dafür arbeitet. Sie selbst ist das beste Beispiel: Bevor sie vor elf Jahren ihre erste Romance schrieb, wusste sie nur wenig über deren Inhalte und fast nichts über die verschiedenen Schreibtechniken. Aber...
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