Bestsellerautorin Chantelle Shaw - griechisches Schicksal

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KÖNIGIN FÜR EINE NACHT?

Immer schon stand die scheue Prinzessin Kitty im Schatten ihrer glamourösen Schwester, und ihre besten Freunde sind die Bücher der Palastbibliothek. Eine Romanze? Undenkbar! Bis ihr beim abendlichen Bad am Privatstrand der Reeder Nikos Angelaki begegnet, Geschäftspartner ihres Bruders in Aristo. Nikos erkennt sie nicht. Aber in seinen Augen liest Kitty die Bewunderung, nach der sie sich so lange vergeblich gesehnt hat! Atemlos schmiegt sie sich an ihn, und noch am Strand wird aus der vergessenen Prinzessin eine Königin für eine Nacht. Mit skandalösen Folgen …

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  • Erscheinungstag 18.11.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773083
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Chantelle Shaw

Bestsellerautorin Chantelle Shaw - griechisches Schicksal

Chantelle Shaw

Königin für eine Nacht?

IMPRESSUM

JULIA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2009 by Harlequin Books S.A.
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 1921 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Gudrun Bothe

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86295-461-2

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

1. KAPITEL

Nikos Angelaki stand am Rande des Ballsaales und ließ seinen gelangweilten Blick über die annähernd fünfhundert Gäste schweifen, die im Schein der prächtigen Kristalllüster tanzten oder am perlenden Champagner nippten.

Die Männer trugen Uniform und Smoking, während sich die Frauen in exklusiven Designerroben zur Schau stellten und mit schillernden, kostbaren Juwelen geschmückt wie bunte Schmetterlinge über die Tanzfläche schwirrten.

Betont lässig schob er den Ärmel des Dinnerjacketts hoch, schaute auf seine Rolex und durchquerte den Saal mit geschmeidigem Raubtiergang, sich der neugierigen Blicke, die ihm folgten, durchaus bewusst. Mit zweiunddreißig Jahren war er längst an die Aufmerksamkeit gewöhnt, die man ihm aufgrund der äußeren Attribute und seines ungeheuren Reichtums zollte.

Eine attraktive Blondine im provozierend knappen Mini erregte so weit sein Interesse, dass er ihr einen kurzen taxierenden Blick gönnte, bevor er in das Foyer hinaustrat.

Es war das erste Mal, dass er bei einem Ball im Königshaus anwesend war oder überhaupt den Palast von Aristo besuchte. Von der eleganten Ausstattung der riesigen Räume war er ebenso beeindruckt wie von den unbezahlbaren Meisterwerken berühmter Künstler aus den verschiedensten Epochen, die an mit Seide bespannten Wänden hingen.

Die herrschende Königsfamilie Karedes gehörte zu den reichsten Europas, und auf der Gästeliste fanden sich Vertreter des Hochadels neben Staatsoberhäuptern und anderen wichtigen Würdenträgern, die alle keine Ahnung davon hatten, dass der Ehrengast des Prinzregenten seine Kindheit in den Slums von Athen verbracht hatte.

Mit zynischem Lächeln fragte sich Nikos, ob der steifnackige Butler ihn ebenso ehrerbietig in den offiziellen Salon geführt hätte, um Prinz Sebastian zu begrüßen, wenn er ahnte, dass seine Mutter einst als Küchenmädchen in diesem Palast angestellt gewesen war. Davon wusste nicht einmal Sebastian etwas, trotz der engen Freundschaft, die sich zwischen ihnen entwickelt hatte.

Mit langen Schritten durchquerte Nikos die Eingangshalle und stieß versuchsweise eine Tür auf. Dahinter befand sich eine Art Servier- und Abstellraum. Er war leer, bis auf eine Kellnerin, die am anderen Ende des Raumes gegen einen Tisch gelehnt stand und mechanisch weiße Servietten faltete.

Da sein Flieger mit Verspätung gelandet war, hatte Nikos das große Festbuffet leider verpasst. Der Anblick der noch reichlich gefüllten Platten mit köstlich aussehenden Kanapees brachte seinen Magen zum Knurren.

Erst die Pflicht, dann das Vergnügen, ermahnte er sich. Hier in Aristo war es bereits Abend, aber an Amerikas Ostküste erst früher Nachmittag, und Nikos hatte für diese Zeit ein Telefonat mit einem seiner Klienten in New York vereinbart.

Langsam schlenderte er auf die junge Kellnerin zu, die sich seiner Anwesenheit offensichtlich nicht bewusst war. „Können Sie mir einen Ort nennen, an dem ich ungestört bin? Ich muss einen dringenden Geschäftsanruf machen.“

Beim Klang der tiefen, etwas rauen Stimme stellten sich automatisch Kittys Nackenhärchen auf. Und als sie den Kopf wandte, setzte auch noch ihr Herz einen Schlag aus. Wie betäubt starrte sie den Mann an, der den Raum unbemerkt betreten hatte. Sie hatte ihn sofort wahrgenommen, als er im Ballsaal erschien – Nikos Angelaki, millionenschwerer Reeder, notorischer Playboy und einer der engsten Vertrauten ihres Bruders.

Sebastian hatte der Familie erklärt, er habe Nikos in geschäftlicher Funktion in Griechenland kennengelernt. Wie sich schnell herausstellte, teilten beide Männer eine ausgesprochene Vorliebe fürs Glücksspiel, wie Poker und Roulette, und für elegante Nachtclubs in Aristo und Athen.

Fotos von Nikos Angelaki waren Kitty schon vorher in sämtlichen Hochglanzmagazinen begegnet, doch die wurden seiner charismatischen Ausstrahlung in keinster Weise gerecht, wie sie jetzt feststellen musste, da sie ihm live gegenüberstand. Sein Sex-Appeal stand dem weltmännischen Auftreten in nichts nach. Größer, als man von den Fotos her hätte vermuten können, war er. Und er hatte lange Beine und einen muskulösen, geradezu athletischen Körperbau.

Doch was ihre Aufmerksamkeit in erster Linie weckte, war das klassisch geschnittene Gesicht. Gut aussehend wäre keine adäquate Bezeichnung gewesen für die Perfektion der markanten Wangenknochen, des festen Kinns, der dunklen Brauen über den fast schwarzen Augen und des großzügig geschnittenen Mundes, um den immer ein sardonisches Lächeln zu spielen schien.

Erst als er arrogant die Brauen hob, wurde ihr bewusst, dass er immer noch auf eine Antwort wartete, während sie ihn nur stumm anstarrte. Normalerweise hätte eine derart zur Schau gestellte Selbstsicherheit sie abgestoßen, doch was sie in diesem Moment fühlte, war eine so intensive sexuelle Wahrnehmung, wie Kitty sie nie zuvor in der Gegenwart eines Mannes verspürt hatte.

„Da hinten ist ein kleiner Salon, in den Sie sich zurückziehen können“, murmelte sie errötend und wies mit dem Finger auf eine Tür an der gegenüberliegenden Wand.

„Danke.“

Anstatt zu gehen, maß er sie kurz von Kopf bis Fuß und begutachtete ihr schlichtes schwarzes Cocktailkleid, was in ihr den albernen Wunsch wachrief, sie hätte sich doch die Zeit genommen, ein neues Balloutfit zu kaufen. Irgendetwas Mondänes, raffiniert Geschnittenes, das ihr vielleicht seine männliche Bewunderung gesichert hätte statt des eher gelangweilten Blickes.

Dabei interessierte sich Kitty eigentlich nicht besonders für Mode und vergrub sich lieber in ihren Recherchen für Aristos bekanntes Museum, anstatt die Boutiquen nach aufregenden Designermodellen zu durchforsten. So war ihr erst in der Sekunde, als sie den Punkt Ballkleid kaufen auf ihrer To-do-Liste für die Organisation des Balles sah, bewusst geworden, dass sie nichts Passendes für Aristos wichtigstes gesellschaftliches Ereignis anzuziehen hatte. Davon abgesehen verfügte sie ohnehin nicht über genügend Selbstbewusstsein, sich in sexy Outfits zu kleiden, die einem Mann wie Nikos Angelaki gefallen würden.

Seiner unbewegten Miene nach konnte er sie wohl nicht einordnen. Ohnehin erforderte das Palastprotokoll, dass sie, als Mitglied der Königsfamilie, sich ihm zuerst vorstellen müsste.

Die Erkenntnis reichte, um Kitty gleich wieder in die quälende Schüchternheit und Unsicherheit zu stürzen, die sie schon seit ihrer Kindheit gefangen hielt. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, mit dem unerschütterlichen Selbstvertrauen und der funkelnden Persönlichkeit ihrer Schwester ausgestattet zu sein. Bei Lissa wirkte alles so leicht und selbstverständlich.

Ich bin Prinzessin Katarina Karedes, Vierte in der Linie der Thronanwärter von Aristo, versuchte Kitty, sich selbst Mut zu machen.

Dabei war sie von klein auf darauf trainiert, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Trotzdem wurde ihr das Kennenlernen neuer Leute nie zur Routine. Also stählte sie sich innerlich, zauberte ein freundlich-neutrales Lächeln auf die Lippen und wollte Nikos Angelaki die Hand zur formellen Begrüßung reichen. Doch dazu kam es nicht.

„Ich könnte mir vorstellen, dass man Sie im Ballsaal braucht, um den Gästen Champagner nachzuschenken“, sagte Nikos fast tadelnd. „So wie ich Prinz Sebastian verstanden habe, sind einige Mitarbeiter des Catering-Teams unverhofft erkrankt, und damit herrscht ein Mangel an Servicekräften. Selbst mir ist aufgefallen, dass etliche Gäste mit leeren Gläsern in der Hand dastehen.“

Sein dünnes Lächeln schien mit der Erwartung einherzugehen, dass sie wie ein aufgescheuchter Hase davonlaufen müsse, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. Doch in der nächsten Sekunde wandte er sich auch schon ab und zog sein Handy hervor.

Kitty blieb allerdings wie festgefroren auf der Stelle stehen und schnappte hörbar nach Luft. Natürlich wusste sie um das Problem mit den Catering-Kräften, immerhin war sie es gewesen, die den Service als Verstärkung der Palastangestellten-Riege gebucht hatte. Aber niemals wäre sie auf die absurde Idee verfallen, irgendjemand könne sie für ein Mitglied der Crew halten!

Normalerweise hatte sie auch nichts mit der Organisation derartiger Events zu tun. Doch da Königin Tia nach dem unerwarteten Tod ihres Gatten, König Aegeus, ihre Trauer noch nicht überwunden hatte, war Kitty Sebastians’ Bitte gefolgt, ihrer Mutter, als offizielle Initiatorin des Balles, unterstützend zur Seite zu stehen.

Eigentlich hätte Sebastian ja längst der neue König sein sollen. Damit wäre er der offizielle Gastgeber gewesen. Doch schockierenderweise war der unschätzbar wertvolle halbe Stefani-Diamant, der das Herzstück der Krone von Aristo bildete, verschwunden und durch ein Duplikat ersetzt worden. Ohne ihn musste die Krönung verschoben werden, und Sebastian hatte nur Anspruch auf den Titel Kronprinz von Aristo.

Völlig in ihre eigenen Gedanken versunken, registrierte Kitty erst jetzt, dass Nikos sie erneut mit einem Anflug von Ungeduld musterte. „Lassen Sie sich durch mich nicht von Ihrer Arbeit abhalten“, riet er ihr spöttisch. „Oder noch besser, bringen Sie mir doch bitte ein Glas Champagner in den kleinen Salon. Ich muss jetzt wirklich dringend telefonieren.“

Damit schritt er in Richtung der Tür davon, die sie ihm gezeigt hatte.

„Ach, und noch etwas …“, rief er ihr über die Schulter zu, „… wenn Sie schon dabei sind, machen Sie mir doch auch noch einen Teller vom Buffet zurecht. Die dolmathakia sieht gut aus … dazu Brot und Oliven.“

Er ist ein Gast, erinnerte sich Kitty mit zusammengebissenen Zähnen. Und ihre Aufgabe als Hausherrin war es, dafür zu sorgen, dass die Gäste den Ballabend genossen und sich wohlfühlten … alle!

Doch sein kühler Befehlston machte ihr zu schaffen. Normalerweise war sie es gewohnt, von fremden Personen mit Königliche Hoheit angesprochen zu werden. Da Nikos sie wie eine Bedienstete behandelte, beeindruckten ihn Adelstitel entweder nicht besonders, oder er hatte tatsächlich keine Ahnung von ihrer wahren Identität.

„Sie wünschen, dass ich Sie bediene?“, vergewisserte die Prinzessin sich vorsichtshalber noch einmal.

Ihr scharfer Ton weckte seine Aufmerksamkeit. Nikos machte kehrt und kam tatsächlich wieder auf sie zugeschlendert, irritiert von dem missbilligenden, fast arroganten Blick, mit dem die Kellnerin ihn bedachte. Bisher hatte er sie nur flüchtig als ziemlich farbloses junges Ding mit schlecht sitzendem Kleid wahrgenommen. Doch im Näherkommen wurde ihm bewusst, dass sie weder schlicht noch uninteressant wirkte.

Beim genauen Hinschauen fielen ihm besonders ihre herausfordernden Kurven ins Auge, die in dem unauffälligen Outfit nicht wirklich zur Geltung kamen. Doch mit etwas Fantasie … die runden Brüste und weiblichen Hüften im Kontrast zur schmalen Wespentaille bewirkten, dass ganz unerwartet seine Männlichkeit erwachte und er nur zu gern auf der Stelle erforscht hätte, was für sinnliche Überraschungen sich sonst noch unter der langweiligen Verpackung versteckten.

Sie ist nicht dein Typ!, versuchte er seine Erregung zu dämpfen.

Nikos hegte eine Vorliebe für große, schlanke Blondinen, nicht für kleine, kurvige Brünette. Ihre Brille mit der dunklen Fassung wirkte viel zu dominant, doch die Haut schimmerte wie kostbare Seide in einem sanften Ton, der zwischen dunklem Gold und Olive changierte. Auf den hohen Wangenknochen lag ein pinkfarbener Hauch, und die weichen vollen Lippen reizten unbedingt zum Küssen.

Zur Hölle! Offenbar lebe ich schon viel zu lange enthaltsam!, rief Nikos sich zur Ordnung.

Er war ein überzeugter Workaholic, der sich immer wieder Höchstleistungen abforderte. Das führte dazu, dass sich der Profit von Petridis Angelaki Shipping unter seiner Führung kontinuierlich steigerte. Er arbeitete voller Leidenschaft und lebte auch sonst nach diesem Motto. In der letzten Zeit allerdings viel zu wenig. Es war Zeit, wieder eine gesunde Balance herzustellen.

Doch Nikos bezweifelte, dass es Prinz Sebastian gefallen würde, wenn er eine der Palastangestellten verführte.

„Fühlen Sie sich damit etwa überfordert?“, fragte er sarkastisch. „Immerhin ist es Ihr Job.“

Kitty dachte an die unzähligen Stunden, die sie in die Vorbereitung des Balles investiert hatte, und spürte, wie heiße Wut in ihr entbrannte. Seit Wochen verwandte sie all ihre Kraft darauf, Bruder und Mutter zu unterstützen und ihnen so viel wie möglich abzunehmen. Aber sich von arroganten Gästen vorführen und beleidigen zu lassen, gehörte ganz sicher nicht dazu!

Auf ihren Wangen erschienen zwei rote Flecken, und mit in die Hüften gestemmten Fäusten baute sie sich empört vor Nikos auf. Leider musste sie den Kopf in den Nacken legen, um ihm in die Augen schauen zu können, was die Wirkung ihres Auftritts natürlich schmälerte.

„Was ein Buffet in erster Linie ausmacht, ist die Idee, dass sich jeder Gast nach seinem Gusto selbst bedienen kann“, teilte sie ihm kühl mit.

Nikos schob die dunklen Brauen zusammen, und unter seinem verächtlichen Blick wurde sich Kitty noch viel mehr ihrer unglücklichen äußeren Erscheinung bewusst. Das hochgeschlossene, langärmelige schwarze Kleid, das vorn mit winzigen Kugelknöpfen geschlossen wurde, hatte sie in der vorletzten Saison erstanden, weil sie hoffte, Farbe und Schnitt würden streckend wirken und sie vielleicht etwas schlanker und zierlicher erscheinen lassen.

Allerdings musste sie diesem arroganten Kerl innerlich recht geben. Es war dem Outfit des Servicepersonals tatsächlich sehr ähnlich.

Ihr Job!

Langsam dämmerte Kitty, dass Nikos wohl wirklich nicht wusste, wen er vor sich hatte. Persönlich getroffen hatten sie sich nie, und anders als Lissa, die häufig in den Gesellschaftsspalten der Hochglanzgazetten zu sehen war, hielt sie selbst sich, so gut es eben ging, aus dem Schussfeld der Paparazzi.

Kitty wusste nicht, ob sie über seinen Irrtum amüsiert oder verärgert sein sollte, entschied sich dann aber dafür, es mit Humor zu nehmen. Sie öffnete den Mund, um Nikos Angelaki zu informieren, dass sie Prinzessin Katarina und nicht irgendein Dienstmädchen sei, schloss ihn aber gleich wieder, weil eine innere Stimme sie davon abhielt. Stattdessen haderte sie noch mehr mit ihrer Entscheidung, keinen gesteigerten Wert auf ihre äußere Erscheinung zu legen und darauf zu vertrauen, wie meistens unbemerkt im Hintergrund zu bleiben.

Doch das war ihr von Beginn des Balles an schon nicht vergönnt gewesen …

Als Gastgeberin, an der Seite ihres Bruders, des Prinzregenten, hatten die Gäste sie natürlich wahrgenommen, aber anders, als Kitty es sich gewünscht hätte. Im Laufe des Abends blieb es ihr nicht erspart, die eine oder andere wenig schmeichelhafte Bemerkung aufzuschnappen. Und alle hatten den gleichen Tenor: Schon sechsundzwanzig? Und noch keinen Mann? Muss hart für die Arme sein, immer im Schatten ihrer schönen Schwester zu stehen … sie soll ja intelligenter sein, aber was nützt ihr das, ohne das entsprechende Äußere …?

Kitty fragte sich, wie Nikos reagieren würde, sollte sie sich als Prinzessin zu erkennen geben. Ob er die allgemeine Meinung teilte, dass es sich bei ihr um das hässliche Entlein der Familie handelte? Dass er selbst umwerfend attraktiv war, empfand sie dabei nicht gerade als hilfreich.

Ihn anzuschauen ließ ihr dummes Herz schneller schlagen und davon träumen, mit den Fingern durch sein schimmerndes schwarzes Haar zu fahren, das ihm ungezähmt in die Stirn fiel und ein fast piratenhaftes Aussehen verlieh. Obwohl sie Angst hatte, er könne ihre Gedanken lesen, brachte sie es einfach nicht fertig, den Blick von ihm loszureißen.

Irgendetwas entspann sich zwischen ihnen und lag wie ein elektrisches Feld in der Luft. Zu ihrem Entsetzen spürte Kitty, wie sich ihre Brustspitzen aufrichteten und das Blut plötzlich schneller durch die Adern floss. Mit brennenden Wangen verschränkte sie die Arme vor dem Oberkörper und erwiderte fast trotzig seinen wissenden Blick.

Natürlich blieb ihr Zustand einem Frauenkenner wie Nikos nicht verborgen. Was ihn allerdings irritierte, war seine eigene körperliche Reaktion auf die sichtbare Erregung der üppigen Schönheit. Dabei war seine Zeit wahrlich zu kostbar, um sie mit einer aufmüpfigen Kellnerin zu vertändeln, so heiß und willig die auch sein mochte.

„Da Sie sich so überaus sensibel zeigen, nehme ich an, dass Sie nicht zum Catering-Personal, sondern zum Palast gehören“, stellte er arrogant fest. „Ich bin sicher, Prinz Sebastian bezahlt seine Angestellten außerordentlich generös und wäre hocherfreut, wenn Sie jetzt meinem Wunsch ohne weitere Einwände nachkommen könnten.“

Damit hatte er sich endgültig in das avisierte Zimmer zurückziehen wollen, um seinen Geschäftsanruf zu erledigen, aber aus einem ihm unerfindlichen Grund blieb er stehen und wartete fast neugierig auf die Reaktion der Kellnerin. Doch warum er dieses trotzige Mädchen am liebsten in seine Arme gerissen und bis zur Besinnungslosigkeit geküsst hätte, konnte er sich absolut nicht erklären.

Nicht Mädchen, sondern Frau!, korrigierte Nikos sich im Stillen. Und was für ein Prachtweib! Diese aufregend weibliche Figur, die großen schimmernden Augen, der weiche Mund mit der bebenden Unterlippe, über die sie jetzt auch noch mit der rosa Zungenspitze fuhr …

„Wie ist dein Name?“, fragte er brüsk.

„Ich … Rina.“ Die Worte kamen über ihre Lippen, ohne dass Kitty es geplant hatte, und als sie es registrierte, war es bereits zu spät. Was trieb sie nur dazu, ihre wahre Identität vor Nikos zu verbergen? War es vielleicht die Angst, auch er könne sie mit ihrer attraktiven Schwester vergleichen? Dass er Lissa im letzten Jahr auf einer Party in Paris kennengelernt hatte, wusste sie.

„Ich bin neu hier …“, plapperte Kitty weiter und redete sich ein, ihm damit nur die Peinlichkeit ersparen zu wollen, unbewusst ein Mitglied des Königshauses brüskiert zu haben.

„Verstehe …“ Nikos kam quer durch den Raum auf sie zu, und Kitty spürte, wie sich ihr Herzschlag mit jedem seiner langen, geschmeidigen Schritte beschleunigte. Sie konnte kaum den Drang bezwingen, sich einfach umzudrehen und zu fliehen, doch als er dicht vor ihr stehen blieb, bannte das kaum verhohlene Verlangen in seinen dunklen Augen sie auf der Stelle.

Irrte sie sich auch nicht? Oder war vielleicht nur ihr Wunsch Vater oder Mutter des Gedankens, und sie bildete sich sein Interesse an ihr als Frau nur ein?

Bestimmt! Nikos Angelaki konnte unter den Schönsten der Schönen wählen. Hatte sie nicht gerade erst etwas von einer heißen Affäre zwischen ihm und einer berühmten Hollywood-Schauspielerin munkeln hören? Shannon March!

„Irgendetwas sagt mir, dass du noch eine Menge zu lernen hast, Rina.“

So unerfahren in puncto Männern die Prinzessin auch war … der neckende Tonfall täuschte sie nicht darüber hinweg, worauf seine Bemerkung tatsächlich abzielte. Und dass er durchaus willens war, ihren Lehrer zu spielen, wenn sie ihm auch nur den leisesten Wink gab.

„Ich … ich gehe jetzt lieber und hole Ihnen den gewünschten Champagner, Mr. Angelaki“, sagte sie atemlos und zog sich zurück, bevor der Drang, sich in seine Arme zu stürzen und sich von ihm küssen zu lassen, noch übermächtiger wurde.

„Ja, das ist wohl besser“, stimmte Nikos ihr mit einem amüsierten Auflachen zu und zerriss damit das sinnliche Netz, in das ihn die aufreizende kleine Kellnerin zu verstricken versucht hatte. „Nur interessehalber … woher kennst du meinen Namen?“

Kitty schluckte. „Ich habe Ihr Bild in einer Illustrierten gesehen“, gestand sie völlig aufrichtig. „Und den dazugehörigen Artikel gelesen.“

„Hoffentlich nur Schmeichelhaftes.“

Kitty dachte an das geradezu legendäre Glück, das man Nikos Angelaki sowohl beim Roulette wie im Business und bei den Frauen nachsagte. Die gängigsten Attribute, um ihn und seinen Lebensstil zu beschreiben, waren: risikofreudig, leidenschaftlich, eiskalt, rücksichtslos, getrieben …

Bei Nikos Angelaki schien das eine das andere nicht auszuschließen.

„Reden Sie von Ihrem Image als millionenschwerer Playboy, der jeden Tag mit einer anderen bildschönen Blondine am Arm abgelichtet wird?“, fragte Kitty spitz und war sofort erschrocken über die Missbilligung, die sie selbst in ihren Worten vernahm.

Doch Nikos zuckte nur achtlos die breiten Schultern. „Du solltest nicht alles für bare Münze nehmen, was in diesen Klatschblättern gedruckt wird, Rina“, empfahl er ihr grinsend. „Einige der zitierten Blondinen haben es eine ganze Woche lang bei mir ausgehalten, andere sogar Monate. Dabei bin ich immer noch der Meinung, dass mein Privatleben niemanden etwas angeht als mich selbst.“

„Absolut“, bestätigte die Prinzessin mit stoischer Miene.

„Mir ist es nämlich völlig egal, ob Sie Ihre Frauen wechseln wie andere Männer ihre Socken.“

Dieser Dreistigkeit folgte eine lange Pause, in der Kitty bewusst wurde, wie sich ihr Statement für ihn anhören musste, wenn sie tatsächlich die Kellnerin wäre, für die er sie hielt. Doch ehe sie sich eine Erklärung ausdenken konnte, überraschte Nikos sie damit, dass er den Kopf in den Nacken legte und schallend lachte.

„Ob Prinz Sebastian überhaupt weiß, dass sich eine kleine Rebellin unter seinem Personal befindet?“, zog er sie auf. „Wenn du nicht aufpasst, wird dir dein loses Mundwerk irgendwann richtigen Ärger bescheren, Rina.“

Er stand jetzt so dicht vor ihr, dass sie seine Körperwärme spürte, trotzdem brachte sie es nicht fertig, sich zurückzuziehen. Stattdessen hielt Kitty den Atem an, hin und her gerissen zwischen Angst, Faszination und dem nebulösen Wunsch, er möge sie doch endlich küssen. Als Nikos einen Arm um ihre Taille legte und den Kopf neigte, schloss sie die Augen … und hätte fast vor Enttäuschung aufgeseufzt, weil er sie mit einem unterdrückten Fluch abrupt freigab.

Himmel noch mal! Was ist denn nur in mich gefahren?, fragte Nikos sich frustriert. Natürlich habe ich nie vorgehabt, sie zu küssen! Dumm von ihr, das auch nur einen Moment anzunehmen.

Ob sie überhaupt wusste, wie leicht er ihre Gedanken lesen konnte? Oder wie versucht er gewesen war, ihre unausgesprochene Einladung anzunehmen?

Es kostete ihn seine ganze Selbstbeherrschung, sich von Rina zurückzuziehen. Abrupt wandte er sich um und strebte nun bereits zum dritten Mal auf den kleinen Salon zu, um endlich zu Ende zu bringen, weshalb er überhaupt den Ballsaal verlassen hatte.

„Geh jetzt, bevor ich mich noch entschließe, Prinz Sebastian davon zu unterrichten, dass du deinen Job offensichtlich nicht besonders ernst nimmst“, fuhr er sie barsch an. „Und, Rina … vergiss meinen Champagner nicht!“

Seine Arroganz verschlug ihr den Atem. Es lag Kitty auf der Zunge, Nikos Angelaki davon zu unterrichten, dass ihn ein derart despektierliches Verhalten einer Prinzessin gegenüber, zumindest in früheren Zeiten, den Kopf gekostet hätte.

Er kann froh sein, wenn ich nicht die Palastwachen ordere, um ihn hinauszuwerfen!, schimpfte sie leise vor sich hin. Eigentlich war sie für ihr ruhiges, ausgeglichenes Wesen bekannt, aber dieser Mann hatte es tatsächlich fertiggebracht, sie bis zur Weißglut zu reizen!

Dabei war es im Grunde genommen ihr eigener Fehler, dass er sie irrtümlicherweise für eine Kellnerin hielt, gestand sich Kitty widerwillig ein, ließ einen wenig damenhaften, unterdrückten Fluch hören und rauschte hocherhobenen Hauptes aus dem Zimmer.

2. KAPITEL

Für den Rest des Abends vermied Kitty es, Nikos Angelakis Weg zu kreuzen. Doch vergessen konnte sie ihn nicht. Ebenso wenig wie die fast magische Anziehung, die er auf sie ausübte, oder die beunruhigende Spannung, die zwischen ihnen aufgetreten war, als sie und er so dicht voreinander gestanden hatten.

Kein Mann hatte sie je so angesehen wie er … hungrig und voller Verlangen. Seine Blicke riefen ein heftiges Echo in ihr wach und ließen sie wünschen, Nikos hätte sie gleich an Ort und Stelle, direkt auf dem Tisch, verführt und leidenschaftlich geliebt.

Unfähig, diese schockierende Fantasie aus ihrem Kopf zu verbannen, war Kitty viel zu beschämt, um ihm noch einmal gegenüberzutreten. Deshalb hatte sie jemand vom Personal beauftragt, ihm den gewünschten Champagner und das bestellte Essen zu bringen. Später verbarg sie sich hinter einer der Marmorsäulen und beobachtete, wie er sich mit einer blendenden Schönheit nach der anderen auf dem Tanzparkett amüsierte.

Und damit saß Kitty in einer Zwickmühle.

Wegen der dummen Lüge hatte sie sich selbst die Chance verbaut, Nikos Angelaki von Sebastian vorgestellt und vielleicht sogar von ihm zum Tanz aufgefordert zu werden. Und deckte sie ihre Identität nachträglich selber auf, würde sie sich vor beiden Männern lächerlich machen und wie eine Idiotin oder zumindest wie ein albernes Schulmädchen dastehen.

Außerdem … worüber hätten Nikos und sie überhaupt reden sollen? Im Umgang mit Menschen, die ihr nicht besonders vertraut waren, erwies sie sich meist als hoffnungsloser Fall. Die wenigen Verabredungen und Romanzen während ihrer Studentenzeit konnten durchweg als Fiasko bezeichnet werden. Und dass ihre Familie ihre Fähigkeit anzweifelte, jemals einen Mann zum Heiraten zu finden, war kein Geheimnis.

Kitty seufzte leise auf und fühlte sich wie so oft als kompletter Versager. Ihr Kleid war unangenehm eng und zwickte an allen Enden, die ungebärdigen dunklen Locken lösten sich nach und nach aus der komplizierten Hochsteckfrisur, die eine der Zofen in letzter Sekunde gezaubert hatte, und kringelten sich um ihr erhitztes Gesicht.

Verzweifelt wünschte sie sich, der Ball wäre endlich vorüber. So glücklich sie auch über den Erfolg war, konnte sie es kaum noch abwarten, sich endlich in die Abgeschiedenheit der Palastbibliothek zu ihren geliebten Büchern zurückzuziehen.

Ihr Vater, König Aegeus, hatte ihre Vorliebe für die Geschichte des ehemaligen Königreiches Adamas geteilt. So gehörten die gemeinsamen Abende, die sie in der Bibliothek mit Recherchen über ihre Vorfahren verbracht hatten, zu Kittys kostbarsten Erinnerungen.

Ohne König Aegeus war nichts mehr wie vorher. Eines Tages würde Sebastian den Thron besteigen und konnte sich ihrer Loyalität und Unterstützung absolut sicher sein. Trotzdem vermisste sie ihren Vater sehr. Eine Welle von Trauer überflutete sie und trieb heiße Tränen in ihre Augen. Kitty blinzelte sie tapfer zurück und dachte an Königin Tia, ihre Mutter. Sie war ihr Vorbild darin, wie man als Mitglied des Königshauses mit privaten Gefühlen in der Öffentlichkeit umging.

Um sich zu fassen und ein wenig frische Luft zu schöpfen, trat Kitty durch die hohen, verglasten Türen auf die Terrasse hinaus. Die Nacht war warm, und in der Luft lag der schwere, süße Duft von Jasmin. Nach dem Stimmengewirr im Ballsaal legte sich die Stille hier draußen wie Balsam auf die Seele der Prinzessin.

„Sieh an … Kitty Karedes! Ich habe dich zuerst gar nicht erkannt. Ich sah nur eine Frau verstohlen aus dem Ballsaal schlüpfen und nahm an, sie wäre zu einem Tête-à-Tête mit ihrem heimlichen Liebhaber unterwegs. Aber wenn meine Eisprinzessin seit unserem letzten Zusammentreffen keine Metamorphose durchlaufen hat, ist das wohl mehr als unwahrscheinlich, oder?“

„Vasilis! Ich würde lügen, wenn ich behaupte, es sei mir ein Vergnügen, dich zu sehen“, erwiderte Kitty trocken. „Aber deine Ausrede, hier draußen ein harmloses Liebespaar ausspionieren zu wollen, erscheint mir absolut glaubhaft.“

Während sie Vasilis Sarondakos mit kühlem Blick musterte, fühlte Kitty den vertrauten Widerwillen in sich aufsteigen, der sie jedes Mal in seiner Anwesenheit überfiel. Demonstrativ wandte sie dem Mann den Rücken zu, in der Hoffnung, er würde den Wink verstehen und sie allein lassen. Doch Vasilis war nicht gerade für seine Sensibilität bekannt.

Die Sarondakos-Familie gehörte zu der High Society Aristos, und Vasilis’ Vater, Constantin, war ein enger Freund des verstorbenen Königs gewesen.

Kitty war gerade achtzehn geworden und hatte noch nie einen Freund gehabt, als ihr Vater sie ermutigte, mit Vasilis auszugehen. Leider bescherte ihr diese Erfahrung ein nachhaltiges Trauma, als er ihr unter erheblichem Alkoholeinfluss viel zu dicht auf die Pelle rückte. Seine gelallte Versicherung, ihr üppiger Körper sei wie geschaffen für leidenschaftlichen Sex, hatte sie tief getroffen, doch damals war sie zu beschämt gewesen, um sich ihrer Familie anzuvertrauen. Insgeheim befürchtete sie sogar, Vasilis hätte recht mit seiner Behauptung, ihr dezent ausgeschnittenes Minikleid, auf das sie so stolz gewesen war, sei ein eindeutiges Indiz für seine Theorie.

Die Erinnerung an seinen heißen, alkoholgeschwängerten Atem auf ihrer Haut und die schwitzigen Hände, die an ihrem Ausschnitt zerrten und ihre Brüste berührten, verfolgte sie immer noch. Und als König Aegeus seiner sonst so fügsamen Tochter vor einigen Jahren den Vorschlag machte, den Sohn seines guten Freundes Constantin Sarondakos zu ehelichen, war er mehr als verblüfft über ihre vehemente Weigerung gewesen.

„Also immer noch kein Ehemann in Sicht, Kitty?“, neckte Vasilis und rückte so dicht an sie heran, dass sie sich zwischen ihm und der Terrassenbalustrade gefangen sah. „Du hättest mich heiraten sollen, als du noch die Chance dazu hattest.“

„Lieber schlucke ich freiwillig Gift“, murmelte die Prinzessin verdrossen und versuchte, von Vasilis abzurücken, was ihn dazu veranlasste, die Hände rechts und links von ihr auf die steinerne Brüstung aufzustützen.

Keine zehn Meter von ihr entfernt tummelten sich fünfhundert Gäste im riesigen Ballsaal, inklusive ihrer Brüder. Ernsthaft zu befürchten hatte Kitty von Vasilis also nichts, trotzdem wurde ihr übel von seinem schleimigen Lächeln und der Art und Weise, wie er sie mit Blicken auszog.

„Tatsächlich?“ Er ließ ein hässliches Lachen hören. „Vielleicht solltest du mit derartigen Versprechen nicht zu leichtsinnig sein, meine kleine Eisprinzessin. Erst vor Kurzem habe ich mich mit Sebastian unterhalten, und er hat mir seine Besorgnis darüber mitgeteilt, dass du dich langsam zur einsamen alten Jungfer entwickelst, die nur noch ihre verstaubten Bücher zur Gesellschaft um sich hat.“

„Ich bin gerade mal sechsundzwanzig, nicht sechsundneunzig!“, wehrte Kitty sich empört. „Und ich glaube nicht eine Sekunde, dass mein Bruder ein so privates Thema ausgerechnet mit dir besprechen würde.“

„Worüber sollte er sich auch auslassen können, willst du sagen?“, meinte Vasilis gehässig. „Du hast ja keine Affären aufzuweisen, oder? Ich wette, du bist noch Jungfrau!“ Er lachte über seinen eigenen Geistesblitz. „Viele sind ja sogar der Überzeugung, du wärst lesbisch. Vielleicht möchte dich Sebastian auch deshalb so schnell wie möglich verheiratet sehen. Was meinst du?“, fragte er in leichtem Konversationston.

Da Kitty keine Reaktion zeigte, fabulierte Vasilis munter weiter.

„Und dann noch die Gerüchte über den falschen Stefani-Diamanten und Sebastians aufgeschobene Krönung. Es heißt, dass Scheich Zakari entschlossen sei, das verschollene Juwel zu finden und deinem Bruder die Krone streitig zu machen. Die Bevölkerung von Aristo ist jedenfalls ziemlich beunruhigt und könnte keinen weiteren Skandal verdauen.“

„Es gibt gar keinen Skandal!“, widersprach Kitty ihm hitzig. „Sebastian ist der rechtmäßige König und wird so bald wie möglich gekrönt werden. Scheich Zakari Al’Farisi ist König von Calista und hat weder Anspruch auf die Krone von Aristo noch auf die Herrschaft über ein neues Adamas!“

Mehr wollte die Prinzessin auch gar nicht preisgeben, weil sie nicht wusste, wie viel Vasilis tatsächlich über den gefälschten Stefani-Diamanten wusste.

„Auf jeden Fall müssen sich die Menschen in Aristo absolut keine Sorgen machen. Und was die Wahrscheinlichkeit einer Heirat zwischen uns beiden betrifft …“, Kitty machte eine wirkungsvolle Pause, ehe sie fortfuhr, „… eher würde die Hölle zufrieren!“ Dann nahm sie alle Kraft zusammen und stieß ihren Peiniger mit geballten Fäusten gegen die Brust, um freizukommen. „Lass mich endlich in Ruhe, Vasilis!“, forderte sie kalt. „Du widerst mich an. Aus Respekt vor meinem Vater habe ich meiner Familie nie erzählt, was damals zwischen uns vorgefallen ist. Aber jetzt ist er tot, und wenn du mir jemals wieder zu nahe kommst, werde ich meine Brüder informieren.“

„Dann würde dein Wort gegen meines stehen“, murrte Vasilis, zeigte sich aber erstmals verunsichert durch ihre Kälte und Entschlossenheit. „Außerdem … wer sagt dir denn, dass ich überhaupt scharf auf eine Ehefrau mit der Leidenschaft eines Eisberges bin? Du hast meiner Ansicht nach ernsthafte Probleme, was das Thema Sex betrifft, Kitty. Vielleicht solltest du dir einen fähigen Therapeuten suchen.“

„Ich habe absolut keine …!“, setzte Kitty voller Empörung an und brach gleich wieder ab, als sie Vasilis’ widerliches Grinsen sah. Mit einem letzten triumphierenden Blick wandte er sich ab und kehrte in den Ballsaal zurück.

Kitty schaute ihm wütend hinterher und überlegte, dass auch sie sich eigentlich wieder ihren Gästen widmen müsste. Doch Vasilis’ grausame Sticheleien hatten sie tiefer getroffen, als ihr lieb war. Trotz besseren Wissens machte sich in ihr einmal mehr die Überzeugung breit, dass sie ein hoffnungsloser Fall war …

Als Prinzessin wurde von ihr erwartet, schön, strahlend und glamourös zu sein, auf gesellschaftlichen Events zu brillieren und jedermann mit ihrer Souveränität und Weltgewandtheit zu bezaubern.

Doch anstatt die Ballkönigin zu sein, hielt man sie für eine Kellnerin!

Ob Vasilis mit seinen Unkenrufen möglicherweise gar nicht so unrecht hatte und sie tatsächlich eines nicht zu fernen Tages als alte Jungfer zwischen ihren geliebten Büchern enden würde? Ohne einen Hauch von Liebe und Leidenschaft in ihrem Leben? Angewiesen auf die Erinnerungen an eine Ballnacht, in der ein griechischer Gott sie fast geküsst hätte …?

Mit einem erstickten Laut hastete sie die breiten Stufen zum Garten hinunter, nur weg von dem ganzen Trubel! Gerade heute Abend, während sie hinter einer der Säulen verborgen gestanden und nicht nur Nikos Angelaki und seine Tanzpartnerinnen, sondern auch andere glückliche Paare beobachtet hatte, war ihr bewusst geworden, wie einsam und allein sie tatsächlich war.

Eine jungfräuliche Prinzessin, gefangen im goldenen Käfig hoher Erwartungen und königlicher Pflichten …

Ihre Brüder und Schwestern empfanden das offenbar anders und gingen jeder seiner Wege, doch Kitty fühlte sich auf einmal unglaublich eingeengt. Sie war im Palast geboren worden, hatte ihn immer geliebt und als Schutzmauer gegen die bedrohliche Außenwelt angesehen. Doch plötzlich erschien er ihr wie ein Gefängnis, dem sie verzweifelt zu entfliehen versuchte, um die Kitty Karedes zu finden, die sich hinter der prüden, farblosen Maske verbarg.

Immer weiter rannte Kitty in die Einsamkeit des nächtlichen Gartens, weg von den Lichtern, dem Lachen und der Musik.

Die Mauern, die das Palastgrundstück befriedeten, waren über drei Meter hoch und aus massivem Stein, doch Kitty wusste natürlich von dem geheimen Tor, das sich hinter einer anscheinend undurchdringlichen Kletterrosenhecke verbarg. Im silbernen Mondlicht fand sie den versteckten Schlüssel ohne Schwierigkeiten, und Sekunden später lief sie aufatmend den schmalen Weg zu einer kleinen Bucht am Fuße des Kliffs entlang, das sich hoch über das Meer erhob.

Verwünscht sei Vasilis und sein hassenswertes loses Mundwerk!

Wütend rieb Kitty sich die brennenden Augen. Sie hatte keine Probleme mit Sex! Und was war schon Besonderes an einer sechsundzwanzigjährigen Jungfrau? Deswegen musste sie doch nicht weniger Frau sein als ihre Geschlechtsgenossinnen, oder?

Mit einer ungeduldigen Geste streifte sie ihre Pumps ab, tauchte die schmerzenden Füße ins kühlende Salzwasser und ließ sich vom trägen Wellenschlag berauschen. Hier würde sie wenigstens niemand stören. Die Bucht war Privatbesitz, und der einzige Weg hierher führte über den versteckten Pfad, den niemand außer den Mitgliedern ihrer Familie kannte.

Der Mond spiegelte sich im Meer wider, das wie flüssiges Silber wirkte. Sie war hier ganz allein. Niemand konnte sie sehen. Impulsiv lief Kitty zurück auf den trockenen Strand, hangelte nach dem Reißverschluss in ihrem Rücken, zog ihn auf und streifte das verhasste schwarze Kleid über die Hüften nach unten, bis es auf dem Sand in sich zusammenfiel.

Dann nahm sie ihre Brille ab und legte sie zusammen mit den Haarnadeln, die sie ungeduldig aus ihrer Hochsteckfrisur zog, auf den Stoffhaufen. Ihr walnussbraunes Haar fiel frei über den Rücken bis fast zur Hüfte herab. Mit jedem weiteren Kleidungsstück befreite sie sich innerlich von einer weiteren hässlichen Stichelei.

Was machte es schon, dass sie keine gertenschlanke Modelfigur hatte? Volle Brüste galten schließlich als typisch weibliches Attribut, und ihrer Oberweite brauchte sie sich bestimmt nicht zu schämen.

Nackt, wie Gott sie geschaffen hatte, stellte Kitty sich auf die Zehenspitzen, streckte die Arme gen Himmel, atmete wie befreit durch und rannte mit fliegender Mähne erneut auf das verlockend glitzernde Wasser zu. Sie konnte es kaum noch erwarten, ins kühle Nass einzutauchen.

Nikos kam es sehr entgegen, dass sich der königliche Ball langsam dem Ende zuneigte. Nach einer Woche anstrengender Verhandlungen in Dubai war er extra zu diesem Event angereist, und die aufreibenden Achtzehnstundentage in nüchternen Konferenzräumen wirkten noch nach.

Aristo gefiel ihm, und Prinz Sebastian bewunderte und mochte er. Doch das seichte Geplapper der Ballgäste und die wilden Spekulationen, wer gerade mit wem liiert war, langweilten ihn ebenso wie die kaum zu übersehenden Winke einer Reihe durchaus attraktiver Frauen, die ohne Zweifel auf der Stelle bereit wären, mit ihm ins Bett zu gehen.

Vielleicht habe ich einfach auch nur diese faden blonden Modeltypen satt, überlegte Nikos, während er mit einer halben Flasche Champagner und einem Glas bewaffnet aus dem überfüllten Ballsaal auf die nächtliche Terrasse hinaustrat.

Den ganzen Abend über wollte es ihm nicht gelingen, seine Gedanken von der vorlauten Kellnerin Rina abzulenken. Seit ihrer Konfrontation im Servierraum hatte er sie nicht mehr gesehen. Dennoch war er sich ganz sicher, dass auch sie die prickelnde Anziehung zwischen ihnen gespürt hatte. Sie reizte ihn mehr als jede andere Frau, mit der er seit geraumer Zeit zusammengetroffen war. Und so ertappte er sich immer wieder dabei, den Ballsaal mit den Augen nach ihr abzusuchen, und dass er sie nirgendwo entdecken konnte, frustrierte ihn mehr, als er zugeben mochte.

Jetzt schlenderte er, sein Dinnerjackett lässig um die Schultern gelegt, müßig durch den prachtvollen Palastgarten, der im fahlen Mondlicht unwirklich und geheimnisvoll wirkte. Seine Mutter hatte ihm als Kind häufig von diesem Kleinod erzählt. In ihrer Zeit als Küchenmädchen am Hof von Aristo war der Garten für sie Zufluchtsort und Traumoase gewesen.

Er hatte ihre Geschichten vom königlichen Palast mit seinen riesigen Räumen und opulenten Dekors geliebt, sich in dem schäbigen kleinen Apartment umgeschaut, in dem sie damals lebten, und nicht fassen können, dass woanders etwas so Wundervolles tatsächlich existieren sollte.

Inzwischen war Nikos am Ende des Gartens angekommen und schon drauf und dran, umzukehren, da flackerte eine fast vergessene Erinnerung an einen versteckten Mauerdurchgang in ihm auf. Damals hatte die Geschichte von der geheimen Pforte, die zu einer traumhaften Meeresbucht führte, zu seinen Lieblingserzählungen gehört.

Ob es sie wirklich gab? Oder war sie nur ein Fantasieprodukt seiner romantisch veranlagten Mutter gewesen?

Mit einem schiefen Lächeln ob seiner eigenen romantischen Anwandlung schnappte sich Nikos eine der Laternen, die den Pfad durch den Garten beleuchteten, und hielt sie hoch, während er sich auf die Suche machte.

Überraschend schnell wurde er fündig. Hinter einer Kletterrose versteckt entdeckte er tatsächlich eine alte Pforte im Mauerwerk und stieß versuchsweise dagegen. Zu seiner Überraschung schwang sie auf. Neugierig folgte er dem Pfad, der zunächst abwärts und dann mitten durch zwei massive Felsbrocken, die sich gegenseitig zu stützen schienen, zum Strand führte.

Nikos musste sich ducken, während er den höhlenartigen Gang durchquerte. Im Schein der Laterne konnte er sehen, dass es im Innern trocken war. Offenbar stieg das Wasser nicht bis hier hoch. Es roch nach Meer, und durch die Öffnung zur Strandseite hin sah er die Wasseroberfläche im Mondschein silbern glitzern.

Gemächlich lief er über den Sand zum Ufer hinunter, blieb dann abrupt stehen und spürte, wie sein Puls sich beschleunigte. Spielte ihm seine Fantasie einen Streich? Nur wenige Meter von ihm entfernt stand eine Frau aus Fleisch und Blut, deren herausfordernd weibliche Formen er auf den ersten Blick wiedererkannte – nur dass sie jetzt kein schwarzes langweiliges Kleid trug, sondern so gut wie nackt war …

Kitty durchpflügte mit langen, kräftigen Schwimmstößen das silbrige Wasser. Mehrfach durchquerte sie die kleine Bucht, bis sich der Sturm in ihrem Innern legte und sie das Gefühl hatte, alles Bedrückende und Widerwärtige im kühlen Nass abgestreift zu haben. Dann drehte sie sich auf den Rücken, schaute zum blassen Mond und den schimmernden Sternen am Nachthimmel empor und ließ sich auf den sanften Wellen treiben.

Jetzt fühlte sie sich wieder sauber und mit neuer Energie erfüllt. Unbefangen in ihrer Nacktheit wie Eva im Garten Eden. Es lag etwas sehr Sinnliches im seidigen Streicheln der sanften Wellen auf ihrer bloßen Haut.

Das Wasser war ihr Element. Wenn Kitty im offenen Meer schwamm, fühlte sie sich schwerelos und graziös wie eine Wassernymphe. Versöhnt mit ihrem Körper, der sich weder durch regelmäßigen Sport noch durch eiserne Disziplin oder diverse Diäten jemals dazu hatte überreden lassen, Modelmaße anzunehmen.

Könnte Vasilis mich jetzt sehen, würde er vielleicht nicht so vorschnell mit seinem Urteil über meine sexuelle Kühle sein!, dachte Kitty trotzig, drehte sich wieder auf den Bauch und ließ sich von den Wellen zurück zum Ufer treiben.

Der dunkle Strand wirkte irgendwie geheimnisvoll und die beiden aufragenden Felsen wie gesichtslose Riesen. Kitty spürte ein angenehmes Schaudern, das sich sehr schnell in aufsteigende Panik verwandelte, als sie, trotz ihrer Kurzsichtigkeit, die dunkle Silhouette eines Mannes ausmachte, der am Ufer stand und aufs Meer hinausschaute.

Lieber Himmel! War dieser Widerling von Vasilis ihr etwa heimlich gefolgt? Eisige Furcht krampfte ihren Magen zusammen, und sie überlegte verzweifelt, was sie jetzt tun sollte, als eine Welle über ihren Kopf schwappte und sie unter Wasser drückte. Ein Schwimmstoß, und sie durchbrach die Wasseroberfläche, ängstlich darum bemüht, nicht hörbar nach Luft zu schnappen, um nicht die Aufmerksamkeit des Eindringlings zu erwecken.

Es musste Vasilis sein. Nur wenige der Ballgäste wussten von dieser Bucht. Doch Vasilis kannte sie, da er in der Vergangenheit öfter mit ihren Brüdern zusammen hier war. Die Aussicht, sich noch einmal mit ihrem Peiniger auseinandersetzen zu müssen, und dann auch noch am dunklen Strand, ließ die Prinzessin erneut schaudern.

Wer sollte sie hören oder ihr zu Hilfe kommen können?

Da sich in diesem Moment dunkle Wolken vor den Mond schoben, nutzte Kitty geistesgegenwärtig die Gelegenheit, ans Ufer zu hasten und sich hinter einem der größeren Felsbrocken zu verstecken. Mit aller Kraft versuchte sie, ihren fliehenden Atem zu kontrollieren, und presste eine Hand auf ihr wild hämmerndes Herz.

Als der Mond wieder hinter den Wolken hervorkam, hätte sie vor Panik fast laut aufgeschrien, denn die schattenhafte Gestalt stand plötzlich ganz in ihrer Nähe.

„Hallo, Rina … dies ist bereits das zweite Mal, dass ich dich dabei ertappe, deine Pflichten zu vernachlässigen …“

Sekundenlang war sie vor Schock sprachlos.

„Sie!“, stieß sie anklagend hervor, sobald sie wieder zu Atem kam. Angriff erschien ihr plötzlich als die beste Verteidigung, und obwohl ihre Nacktheit sie zwang, in ihrem Versteck hinter dem Felsen zu bleiben, war ihre Stimme rasiermesserscharf, als sie weitersprach. „Wissen Sie eigentlich, dass Sie sich widerrechtlich auf privatem Terrain befinden?“

„Und ob ich das weiß. Diese hübsche kleine Bucht ist im Besitz der königlichen Familie, und ich habe die persönliche Erlaubnis von Prinz Sebastian, mich hier aufzuhalten“, erklärte er arrogant. „Der einzige Eindringling bist du, meine Schöne. Es sei denn, der Prinz hätte den Strand unerwartet fürs Personal freigegeben. Hast du vielleicht auch eine persönliche Erlaubnis von ihm bekommen, hier zu sein, Rina?“

Kitty biss sich auf die Lippe und wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, ohne ihre wahre Identität preiszugeben. Jetzt war sie sich ihrer Nacktheit voller Scham bewusst und wünschte, der Boden zu ihren Füßen würde sich auftun und sie verschlingen.

„Der Ball ist noch nicht zu Ende“, stellte sie brüsk fest. „Was haben Sie überhaupt hier verloren?“

„Im Ballsaal war es mir viel zu heiß, deshalb bin ich zum Stand hinuntergewandert, um frische Luft zu schnappen. Und als ich aus dieser Felsenhöhle trat, wagte ich kaum, meinen Augen zu trauen …“

„Sie hätten sich bemerkbar machen müssen!“, giftete Kitty und war nur froh, dass dieser dreiste Kerl ihre brennenden Wangen nicht sehen konnte. Oder noch mehr! Innerlich flehte sie, dass Nikos Angelaki den Strand erst erreicht hatte, nachdem sie im Wasser war.

„Ich wollte dich nicht erschrecken …“, kam es gedehnt zurück. „Außerdem … welcher Mann aus Fleisch und Blut hätte sich die Aussicht auf ein derartiges Schauspiel freiwillig verdorben? Ich war so darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, dass ich kaum gewagt habe zu atmen …“

Kitty schloss gepeinigt die Augen.

„Zuschauen zu dürfen, wie du deinen prachtvollen Körper Stück für Stück entkleidet hast, war das sinnlichste Erlebnis, an das ich mich seit Ewigkeiten erinnern kann.“

Trotz Scham und Wut registrierte Kitty, dass der neckende Ton aus seiner dunklen, samtenen Stimme verschwunden war. Und der sanfte Schauer, der ihr jetzt über den Rücken lief, bestätigte diese Empfindung nur noch.

„Sie sind kein Gentleman, Mr. Angelaki!“, hielt sie ihm heiser vor. „Denn sonst hätten Sie sich umgedreht und wären gegangen.“

Sein lautes Lachen schallte über den einsamen Strand. „Ich habe nie behauptet, ein Gentleman zu sein. Ich bin ein Pirat, Rina … ein Opportunist, und tue grundsätzlich nur, was mir gefällt …“ Seine Stimme wurde mit jedem Wort weicher und rauer. „Und du gefällst mir sehr, agapi mou …“

Darauf wusste sie zunächst gar nichts zu sagen. Instinktiv verschränkte die Prinzessin die Arme vor der nackten Brust, richtete sich langsam auf und spähte vorsichtig über den Felsen hinweg.

Verführerisch wie die Sirenen aus der griechischen Mythologie, schoss es Nikos durch den Kopf, während er wie gebannt auf ihre nackten Schultern und die wilde Lockenmähne starrte, die über ihren Rücken herabfiel.

Nikos verzichtete darauf, der aufmüpfigen Kellnerin zu gestehen, wie angetörnt er von ihrem selbstvergessenen Striptease und besonders ihren graziösen, sinnlichen Bewegungen gewesen war. Anfangs hatte er noch geglaubt, sie sei zu einem Tête-à-Tête mit ihrem Liebhaber an den einsamen Privatstrand gekommen, doch als auch nach geraumer Zeit niemand auftauchte, berauschte ihn die Erkenntnis, als einziger Zuschauer dieses unglaublich erotische Schauspiel genießen zu dürfen.

Unter seinem hungrigen Blick hatte Rina ein Teil nach dem anderen abgelegt, während die silbrigen Mondstrahlen jede bezaubernde Kurve ihres weiblichen Körpers streichelten. Als sie die Nadeln aus ihrem Haar löste und die seidig schimmernde Flut ungehindert den Rücken herabfiel, stockte ihm der Atem. Und als sie dann auch noch ihren BH ablegte und die prallen, runden Brüste seinem hungrigen Blick darbot, wuchsen seine innere Anspannung und sexuelle Erregung fast ins Unerträgliche.

Vergessen war alles, was er bisher für ein befriedigendes Liebesabenteuer als notwendig erachtet hatte: schlanke, mondäne Blondinen und den Luxus eines komfortablen Liebesnestes.

Rina hatte sich von der ersten Sekunde an in sein Bewusstsein eingebrannt. Und dass die körperliche Anziehung zwischen ihnen nicht einseitig war, dafür hätte Nikos seine Hand ins Feuer gelegt. Das erotische Knistern war unverkennbar gewesen.

Doch jetzt begehrte er sie mit einem primitiven, verzehrenden Hunger, der sein Blut wie flüssige Lava durch die Adern rauschen ließ. Er wollte sie hier, unterm nächtlichen Sternenzelt, auf dem bloßen Sand lieben. Mit einer Leidenschaft, die so gewaltig und unbezwingbar war wie das Meer …

3. KAPITEL

Nicht die laue Nachtluft war schuld daran, dass Kitty wie Espenlaub zitterte, sondern der Schock, Nikos Angelaki so unverhofft wieder gegenüberzustehen. Allein am Strand, und dann noch splitterfasernackt!

Deshalb fiel es ihr auch schwer, sich einzureden, ihre steil aufgerichteten Brustspitzen seien auf keinen Fall ein Indiz dafür, dass ihr Körper auf die beunruhigende Nähe des attraktivsten Mannes reagierte, der ihr je im Leben begegnet war. Als sie noch einmal vorsichtig über die Kante des Felsens spähte, war er so nahe herangekommen, dass sie seine angespannte Miene sehen konnte … und etwas anderes, das sie nicht deuten konnte.

Wenn sie doch nur nicht in dieser misslichen Lage wäre! Nackt, wie Gott sie schuf, fühlte sie sich schrecklich ausgeliefert und noch unsicherer als ohnehin in seiner beunruhigenden Gegenwart.

Ihre Sachen lagen weit außerhalb ihrer Reichweite irgendwo auf dem Sand, doch eher würde sie sterben, als freiwillig hinter ihrem Versteck hervorzukommen und sich ihm noch einmal nackt zu präsentieren! Beim ersten Mal war es ihr nicht bewusst gewesen, dennoch trieb ihr der Gedanke daran erneut heiße Schamesröte in die Wangen.

„Hier, zieh das über, während ich nach deinen Kleidern suche.“ Nikos war an den Felsen herangetreten und warf ihr im hohen Bogen sein Jackett zu, in das sie sich dankbar einhüllte und es mit zittrigen Fingern zuknöpfte. Natürlich war es viel zu groß, aber das konnte Kitty nur recht sein. Die Ärmel fielen zwar weit über ihre Hände, aber dafür reichte es unten bis zu ihren Knien. Das glatte Seidenfutter, immer noch warm von seinem Körper, fühlte sich wundervoll auf ihrer nackten Haut an und verströmte einen dezenten herben Duft, den sie tief inhalierte.

Kitty war schon ihr Leben lang etwas kurzsichtig gewesen. Doch als wollte das Schicksal dieses kleine Manko korrigieren, waren ihre anderen Sinne dafür umso mehr ausgeprägt, und so konnte sie das verführerisch männliche Odeur umso intensiver wahrnehmen und sich daran berauschen.

Bei der Vorstellung, anstatt von seinem Jackett von Nikos’ Armen umschlungen zu sein, floss das Blut wie heiße Lava durch Kittys Adern. Augenblicklich erinnerte sie sich an ihre verwegene erotische Fantasie, von ihm direkt auf dem Tisch geliebt zu werden. Doch anstatt das plastische Bild entsetzt wieder in den Hinterkopf zu verdrängen, malte sie sich lustvoll aus, wie Nikos seine eigenen Kleider abstreifte, sie neben ihre auf den Sand warf und zu ihr kam, um …

„Du hättest inzwischen lieber in die Höhle gehen sollen …“, riss seine tiefe Stimme sie aus den wilden Träumen, „… da ist es wesentlich geschützter und wärmer.“

Wie aus dem Boden gewachsen stand er neben ihr, und selbst im schwachen Schein des Mondes konnte Kitty sein grimmiges Gesicht sehen, das perfekt zu dem brüsken Ton passte, in dem er mit ihr sprach. Ärgerte er sich etwa über sie?

Warum? Sie hatte ihn nicht gebeten, ihr nachzuspionieren und sie in der selbst gewählten Einsamkeit zu stören.

Allerdings glaubte sie, noch etwas anderes in den dunklen Augen gesehen zu haben, aber das bildete sie sich wahrscheinlich nur ein. Warum sollte ein Mann wie Nikos Angelaki sie begehren?

„Hier!“ Erneut zuckte Kitty zusammen und starrte auf seine ausgestreckte Hand. „Ich nehme an, du brauchst die hier …“ Ehe sie zugreifen konnte, faltete er ihre Brille auseinander und setzte sie Kitty ziemlich unsanft auf die zierliche Nase.

„Danke“, murmelte sie verstört und kam sich plötzlich vor wie ein unmündiges Kind. Kein Wunder, wenn du dich auch nicht anders als ein dummes, naives Schulkind aufführst!, haderte sie mit sich. Wo bleibt dein Stolz? Deine Souveränität?

Durch die Brille waren seine dunklen, herben Züge noch klarer zu sehen, und Kitty konnte sich von dem faszinierenden Anblick kaum losreißen. Als sie hörte, wie Nikos scharf den Atem einsog, senkte sie rasch den Kopf, um sich nicht noch zu verraten. Doch in der nächsten Sekunde spürte sie seine Finger unter ihrem Kinn, als er ihr Gesicht wieder zu sich anhob.

„Hat dir denn niemand gesagt, wie gefährlich es ist, hier zu schwimmen? Und dann auch noch nachts, in der Dunkelheit! Du hättest in eine gefährliche Unterströmung geraten und aufs Meer hinausgezogen werden können. Schwimmst du etwa öfter nackt im Mondschein?“ Frustriert musste Nikos feststellen, dass seine Stimme bei den letzten Worten seltsam belegt geklungen hatte, aber seine beunruhigend freiheitsliebende Kellnerin schien das zum Glück nicht registriert zu haben.

Wie ein gereiztes Fohlen warf sie den Kopf auf und schüttelte das nasse lange Haar. „Nein, natürlich nicht“, entgegnete sie kühl. „Aber wie Sie weiß ich, dass dies ein privater Strand ist, und habe deshalb nicht damit gerechnet, gestört zu werden. Ich brauchte frische Luft, und als ich hier ankam, wirkte das Wasser so verlockend kühl und klar, dass ich nicht widerstehen konnte. Also habe ich einem verrückten Impuls nachgegeben, mich ausgezogen und bin einfach hineingelaufen …“

Ihre Stimme verebbte, als ihr bewusst wurde, dass er sie längst nicht mehr verärgert, sondern weich und fast sehnsüchtig musterte.

„So war das also …“, raunte er heiser, streichelte mit seinem Blick die bebende Gestalt in dem kuriosen Outfit und verharrte dann kurz auf den nackten Füßen, ehe er wieder in ihr reizendes Gesicht schaute.

Kittys Herz schlug bis zum Hals. „Was … was tun Sie da?“, fragte sie atemlos, als Nikos ihr die Brille wieder abnahm, sie zusammenfaltete und in die Brusttasche seines Jacketts steckte, was Kitty ein leises Aufkeuchen entlockte.

„Einem verrückten Impuls nachgeben“, murmelte er heiser und riss sie in seine Arme. „Dem verrückten, berauschenden Gefühl, gegen das wir beide schon den ganzen Abend über ankämpfen, agapi mou. Nein, versuche gar nicht erst, es zu leugnen, Rina“, warnte er rau, als Kitty heftig den Kopf schüttelte.

Doch eingedenk ihrer heißen Fantasien noch vor wenigen Minuten schwand plötzlich jeder Widerstand und machte sie in seinen starken Armen so nachgiebig wie Wachs in der Sonne. Nikos neigte seinen dunklen Kopf, und Kitty war es, als geschähe alles wie in Zeitlupe. Automatisch versteifte sie sich, hin- und hergerissen zwischen Verlangen und Scham, und befeuchtete dennoch ihre trockenen Lippen mit der Zungenspitze.

Nikos, der sie fasziniert beobachtete, fühlte, wie sein Magen sich zusammenzog. Auf diesen Moment hatte er den ganzen Abend gewartet. Eine derart heftige sexuelle Erregung hatte er seit Ewigkeiten bei keiner anderen Frau mehr verspürt.

Bedächtig und voller Genuss fuhr er mit seinen Lippen die aufreizenden Linien ihres großzügigen, weichen Mundes nach, bis er sich nicht länger beherrschen konnte und ihn mit einem hungrigen Kuss eroberte.

Kitty, die sich bis zuletzt nicht sicher war, ob er sie tatsächlich küssen würde, ließ einen kleinen erstickten Laut hören und überließ sich hilflos und mit wachsender Hingabe einem berauschenden Gefühl, das noch kein Mann zuvor in ihr geweckt hatte.

Nikos legte eine Hand um ihren Nacken, vergrub seine Finger in ihrem dichten Haar und brachte ihren Kopf sanft in eine Position, die es ihm ermöglichte, die leidenschaftliche Liebkosung noch zu vertiefen. Ihre Reaktion erfolgte prompt und so stürmisch, dass seine Libido außer Kontrolle zu geraten drohte. Mit einem dumpfen Aufstöhnen schlang er den anderen Arm um ihre schmale Taille und presste sie so fest an sich, dass ihr seine Erregung unmöglich verborgen bleiben konnte.

Rina war so klein und weich. Unter seiner Jacke konnte er ihre verführerischen Kurven ertasten, die ihn fast in den Wahnsinn getrieben hatten, während er wie gebannt zuschaute, als sie sich im silbernen Mondschein dem Meer entgegenstreckte. Sie war ihm wie eine Nixe, ein Naturwesen erschienen. Beneidenswert frei, ungehemmt und eins mit den Elementen.

Er war an Frauen in Designer-Outfits gewohnt, deren Haut nach teuren Parfums roch, doch der salzige, frische Duft, der Rinas samtener Haut entströmte, verwirrte seine Sinne und weckte eine Sehnsucht in ihm, die er nicht benennen konnte. Sie war so unglaublich feminin, und sein Instinkt sagte ihm, dass sie eine leidenschaftliche Geliebte sein würde.

Nikos’ Blick wurde von dem geheimnisvollen Tal zwischen ihren Brüsten angezogen, und mit einem unartikulierten Laut bemächtigte er sich erneut ihrer sinnlichen Lippen, während er seine Hand unter das Jackett gleiten ließ und die prallen Rundungen liebkoste, die sich ihm wie reife Pfirsiche darboten.

Er musste sie mit seiner Spontaneität erschreckt haben, denn schlagartig versteifte sich ihr Körper. Sofort zog Nikos seine Hand zurück, obwohl es ihm ungeheuer schwerfiel, der stummen Einladung ihrer steil aufgerichteten Brustspitzen zu widerstehen.

Theos! Sie war tatsächlich eine kleine Meerhexe, die ihn verzaubert und fast willenlos gemacht hatte. Doch Nikos hatte noch nie in seinem Leben eine Frau zu etwas gezwungen, was sie ihm nicht freiwillig zu geben bereit war. Außerdem ertrug er es nur schwer, sich manipuliert zu fühlen.

„Dies hier ist absoluter Wahnsinn!“, erklärte er brüsk und gab Kitty so abrupt frei, dass sie taumelte. „Wenn wenigstens einer von uns bei Verstand wäre, dann würden wir jetzt augenblicklich in den Palast zurückkehren. Aber dank deiner Verführungskünste ist mein Geist völlig umnebelt, also liegt die Entscheidung bei dir, Rina. Willst du gehen? Oder bleibst du und trinkst mit mir ein Glas Champagner im Mondschein?“

Kitty zitterte am ganzen Körper, doch frieren tat sie jetzt noch weniger als zuvor. Himmel noch mal! Er lud sie doch nur zu einem Schluck Champagner ein! Warum hatte sie dann das Gefühl, vor einer der wichtigsten Entscheidungen ihres Lebens zu stehen?

Noch nie hatte sie jemand zu einem Drink am mondbeschienenen Strand eingeladen. Und noch nie hatte ein Mann sie geküsst, wie er es getan hatte. Oder diese verzweifelte Sehnsucht und Leidenschaft in ihrem Innern ausgelöst, die sie gerade zu verbrennen drohte. Nach einem öden Leben zwischen Pflicht und Protokoll wirkte seine Einladung wie eine frische Brise, auf die sie nicht verzichten wollte. Nicht mehr verzichten konnte.

Nikos Angelaki war ein dunkler, gefährlicher Freibeuter, den jede anständige Frau meiden sollte, doch das Feuer in seinen Augen ließ sie sich zum ersten Mal schön und begehrenswert fühlen.

„Ich liebe Champagner …“, flüsterte sie rau.

Nikos antwortete nicht, und einen verstörenden Moment lang befürchtete Kitty, er könne sein Angebot zurückziehen und einfach weggehen. Doch dann entspannte sich seine Miene, und er streckte die Hand nach ihr aus.

„Na, dann komm.“ Seine Finger schlossen sich warm um ihre, und selbst diese unverfängliche Geste war für die Prinzessin etwas Neues, ungeheuer Aufregendes. Sie war sechsundzwanzig Jahre … und noch nie mit einem Mann Hand in Hand am Strand entlanggegangen.

Die Jahre waren in einem Einheitstrott von Erziehung, Gehorsam und Verpflichtungen gegenüber der privilegierten Position vergangen, für die sie als eines der Mitglieder des Königshauses von Aristo immer dankbar sein musste. In einer Sekunde war sie noch ein Kind gewesen, in der nächsten eine erwachsene Frau, die sich ihrem Studium und der anschließenden Arbeit im Museum so ausschließlich gewidmet hatte, dass kaum Zeit für Romanzen blieb.

Doch Nikos wusste nicht, dass sie eine Prinzessin war, und als Rina, der Kellnerin, wurde ihr die einzigartige Chance geboten, sich wenigstens für ein paar Stunden wie eine ganz normale junge Frau mit Sehnsüchten und Bedürfnissen zu fühlen, deren Unterdrückung ihr längst zur Gewohnheit geworden war.

Die Höhle zwischen den beiden Felsgiganten wurde durch eine Lampe erhellt, die Nikos mitgebracht haben musste. In ihrem schwachen Lichtschein wirkte sein dunkles Gesicht noch konturierter und maskuliner, und Kitty spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Unschlüssig blieb sie stehen, als er sich lässig auf dem trockenen Sand niederließ. Noch konnte sie einen Rückzieher machen und fliehen, ehe sie etwas tat, was sie hinterher bereuen könnte. Doch ihre Füße wollten ihr nicht gehorchen, und als Nikos auffordernd auf den Boden neben sich klopfte, kam sie folgsam näher.

„Hier …“ Anstatt des Glases, das er irgendwo abgestellt hatte und im Dunkeln nicht wiederfand, hielt er ihr die offene Champagnerflasche hin. „Du zitterst ja schon wieder. Ein Brandy wäre sicher angebrachter, um dich zu wärmen. Aber du wirst mit einem Jahrgangs-Bollinger Vorlieb nehmen müssen.“ Sein weißes Hemd stand am Hals offen und ließ den Ansatz schwarzer gelockter Härchen auf der muskulösen gebräunten Brust sehen, die ihr auch schon auf den kräftigen Unterarmen aufgefallen waren.

Er wirkte so männlich und vital, das Kitty gar nicht anders konnte, als sich neben ihn auf den kühlen Sand sinken zu lassen, aus Angst, ihre zitternden Beine würden sie nicht länger tragen.

„Es … es erscheint mir irgendwie dekadent, den Champagner direkt aus der Flasche zu trinken“, murmelte sie unsicher.

„Dekadent?“ Nikos lachte laut auf. „Was bist du nur für ein kurioses Geschöpf, Rina! Du hörst dich ja plötzlich wie eine zimperliche Gouvernante aus der viktorianischen Zeit an. Und das, nachdem du eben erst wie eine stolze griechische Göttin den kühlen Fluten entstiegen bist! Muss ich dich etwa daran erinnern, dass du immer noch nackt unter meinem Jackett bist?“

Er überlegte amüsiert, wann er das letzte Mal eine Frau hatte erröten sehen. Gedankenvoll musterte er die zusammengekauerte Gestalt neben sich, die tapfer die Champagnerflasche an die Lippen setzte und einen gehörigen Schluck nahm. Was für eine faszinierende Mischung. Scheu wie ein Reh in der einen Sekunde und herausfordernd sexy in der nächsten.

Als er sie vorhin geküsst hatte, kam es ihm fast so vor, als sei es für Rina eine völlig neue Erfahrung, doch im nächsten Moment erwiderte sie seinen Kuss mit so viel Leidenschaft und Inbrunst, dass sich dieser Eindruck gleich wieder verwischte.

Sie daran zu erinnern, dass sie unter seinem Jackett nackt war, erschien ihm noch nachträglich als grob fahrlässig und war schlicht ein Eigentor. Denn die Jacke war so groß, dass Rina ihm bei jeder Bewegung einen unbewussten Einblick auf ihre aufregenden Kurven gewährte. Er konnte sich wahrhaftig nicht erklären, was ihn geritten hatte, sie zum Bleiben zu überreden, wenn ihm sein gesunder Menschenverstand signalisierte, dass er sich so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone begeben sollte.

Stattdessen beherrschte ihn ein einziger Gedanke. Er wollte unbedingt noch einmal ihre süßen Lippen küssen und niemals damit aufhören …

„Also, Rina …“, begann Nikos mit belegter Stimme. „Was hat dich dazu gebracht, Kellnerin zu werden?“

Grundgütiger! Was sollte sie ihm darauf antworten?

„Ich … ich brauchte einfach eine Arbeit“, stammelte Kitty errötend. „Wie die meisten Menschen muss ich mir meinen Lebensunterhalt selbst verdienen und habe nichts anderes gelernt.“ Noch während sie sprach, dachte sie an ihr intensives Studium und die ungezählten Stunden, Tage und Nächte, die sie der Ahnenforschung in der Palastbibliothek und Aristos Museum gewidmet hatte.

Gleichzeitig versuchte sie, sich vorzustellen, wie sich ihr Leben ohne das Privileg einer exzellenten Ausbildung gestalten würde. Ihre Vorstellungen, wie es außerhalb des goldenen Käfigs, der von jeher ihr Zuhause gewesen war, zuging, waren sehr begrenzt. Die einzige Erfahrung dieser Art war eine freiwillige Zeit als Helferin im Hospital von Aristo gewesen, die ihr sehr gefallen hatte. Leider wurde sie von ihrem Vater – angeblich aus Sicherheitsgründen – abrupt beendet.

„Hast du schon immer in Aristo gelebt?“

Das war zum Glück leichter zu beantworten.

Kitty nickte. „Ich bin hier geboren worden und möchte auch nirgendwo anders leben. Aristo ist für mich der schönste Platz auf der Welt.“

Nikos lachte erneut. „Hast du mit deinem Gehalt als Kellnerin überhaupt schon die Möglichkeit gehabt, andere Länder zu besuchen, um vergleichen zu können?“

„Nun … natürlich nicht“, murmelte sie verlegen, weil sie schlecht zugeben konnte, ein ganzes Jahr in Europa unterwegs gewesen zu sein, um sich Städte wie London, Paris, Rom, Florenz oder Venedig anzuschauen. Danach schlossen sich noch sechs Monate in einer exklusiven Schule in der Schweiz an. Sie war Gast in verschiedenen Königshäusern und Luxuslandsitzen gewesen, hatte die berühmtesten Kunstgalerien aufgesucht und etliche Sehenswürdigkeiten bestaunt.

Trotzdem war ihre Aussage ganz ernst gemeint.

„Aristo ist meine Heimat, die ich über alles liebe …“, wiederholte sie noch einmal mit weicher Stimme.

Ihre Leidenschaft für die Insel, die auch das Juwel des Mittelmeeres genannt wurde, berührte Nikos, und er fragte sich, warum Rina so sehr daran hing.

„Lebt deine Familie auch hier?“, fragte er neugierig.

Was er wohl sagen würde, wenn sie ihm erklärte, dass ihre Familie den Inselstaat regierte? Kitty schauderte unwillkürlich, als ihr bewusst wurde, dass sie sich immer tiefer in ein Lügennetz verstrickte.

„Ich habe eine Mutter … drei Brüder, eine Schwester …“, gestand sie stockend und spürte, wie sich ihr Herz bei der Aufzählung zusammenkrampfte. „Mein Vater ist vor ein paar Monaten gestorben.“

„Das tut mir leid.“

Es schien nicht nur so dahin gesagt. Kitty meinte, echte Anteilnahme in der gewohnten Floskel wahrgenommen zu haben, und spürte plötzlich heiße Tränen aufsteigen. „Ich … ich vermisse ihn ganz schrecklich“, bekannte sie ehrlich. „Manchmal sehe ich sein Gesicht ganz deutlich vor mir … höre seine Stimme. Ich kann es noch gar nicht glauben, dass ich ihn nie wiedersehen soll.“ Verlegen wischte sie mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen und zuckte zusammen, als Nikos ihre Hand einfing und wie ein kleines ängstliches Tier zwischen seinen schlanken, kräftigen Fingern festhielt.

„Verzeihung, ich habe sonst nicht so nah am Wasser gebaut“, erklärte Kitty gewollt burschikos. Die Trauer um ihren geliebten Vater war ihre Privatangelegenheit, die sie mit niemandem teilen wollte. Nicht einmal mit ihrer Familie. Sie war ihm viel näher gewesen als ihre anderen Geschwister. Er hatte sie immer neckend sein kleines Täubchen genannt.

Doch wie alle Mitglieder des Königshauses war auch sie dazu erzogen worden, keine privaten Gefühle zu zeigen. Beschämt über ihre ungewohnte Schwäche, versuchte Kitty, Nikos ihre Hand zu entziehen. Er gab sie frei, rückte aber stattdessen näher an sie heran, legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie sanft, aber bestimmt an seine Brust.

„Sei nicht traurig“, murmelte er leise. „Ich weiß sehr gut, wie schmerzhaft es ist, ein Elternteil zu verlieren. Meine Mutter ist bereits vor vielen Jahren gestorben, trotzdem werde ich sie nie vergessen. Du wirst deinen Vater auch nicht vergessen, Rina, aber die Erinnerungen werden mit der Zeit weniger niederdrückend, und irgendwann wirst du nur noch mit dankbarem und fröhlichem Herzen an ihn denken können.“

Während er sprach, strich er ihr immer noch feuchtes Haar aus dem Gesicht. Kitty schloss die Augen und gab sich ganz dem beseligenden Gefühl hin, das seine warmen Finger auf ihrer Haut auslösten. Es war so stark, so lebendig, und sie wünschte sich nichts mehr, als dass etwas von seiner Energie auf sie überginge und die Schwäche, Traurigkeit und Einsamkeit in ihrem Innern auslöschen würde.

In der Höhle war es ganz still. Sogar das Meeresrauschen war so gedämpft, dass man den Eindruck haben konnte, von der Welt abgeschnitten zu sein. Zwei Menschen … allein im Universum. Kitty lauschte träge Nikos’ Atemzügen, die sich plötzlich beschleunigten, ebenso wie sein kräftiger Herzschlag unter ihrer Wange …

Irritiert hob sie den Kopf und schaute forschend in sein männlich schönes Gesicht, das ihr so unglaublich vertraut erschien, obwohl sie sich erst seit wenigen Stunden kannten.

Nikos wusste, dass er aufstehen und dadurch den Zauber brechen sollte, der sie beide gefangen hielt, doch er brachte es nicht fertig. Im schwachen Lampenschein glitzerten Rinas wundervolle Augen wie kostbare Diamanten, und der schmerzvolle Ausdruck in ihren Tiefen rührte an sein Herz.

Fünfzehn Jahre war es her, dass seine Mutter gestorben war. Und so war er mit gerade einmal sechzehn Jahren von einem auf den anderen Tag gezwungen worden, erwachsen zu werden. An den wütenden Schmerz in seinem Innern erinnerte er sich noch sehr gut. Auch daran, wie schwer es gewesen war zu akzeptieren, dass der einzige Mensch, den er je geliebt hatte, für immer gegangen war.

Rinas Verlust war noch ganz frisch, und er hätte alles darum gegeben, ihr den Schmerz abzunehmen oder wenigstens erleichtern zu können.

Seltsam, bei seinen früheren Geliebten waren ihm solche Gedanken nie in den Sinn gekommen. Allerdings konnte er sich auch nicht daran erinnern, sich je für ihre familiären Hintergründe interessiert zu haben.

Nikos drückte Rina sanft auf den Boden, senkte den Kopf und küsste bedächtig ihre Lippen, die sie ihm nach einem Moment des Zögerns bereitwillig darbot. Unversehens fühlte er sich von einer Zärtlichkeit erfüllt, wie er sie noch nie empfunden hatte und die ihn zutiefst verstörte.

Kitty konnte später den Moment, in dem sich seine tröstliche Liebkosung zu einem verzehrenden Kuss voller Leidenschaft und Begehren wandelte, nicht nachvollziehen. Sie erinnerte sich nur noch vage an die kleine Stimme in ihrem Hinterkopf, die sie gewarnt hatte, sich zurückzuziehen, solange sie noch die Kraft dafür hatte.

Doch anstatt zu fliehen, drängte sie sich nur noch dichter an ihn, um seine Körperwärme und Muskeln an ihrem zitternden Leib zu spüren. Angesichts Nikos’ spürbarer Erregung meldete sich die kleine Stimme noch einmal, doch Kitty brachte sie energisch zum Schweigen. Nur ein paar weitere Minuten in seinen starken Armen, dann sage ich Stopp!, versprach sie sich selbst. Das war doch wirklich nicht zu viel verlangt, ehe sie sich wieder in ihr einsames Leben zurückziehen würde …

Theos, Rina!“, hallte plötzlich Nikos’ heisere Stimme in der Höhle wider und riss sie brutal aus ihrer Verzauberung. „Das ist verrückt! Du solltest gehen, solange ich auch nur noch einen Funken Selbstkontrolle aufbringe! Wenn du bleibst, kann ich für nichts mehr garantieren!“

4. KAPITEL

Nikos’ Worte empfand Kitty als unwillkommene Unterbrechung, die wie ein harter, kalter Lichtstrahl in den rosa Nebel ihres umwölkten Bewusstseins drang und die bislang romantische Situation plötzlich ganz anders erscheinen ließ.

Sie wünschte sich nichts mehr, als von Nikos in eine neue, fremde Welt atemberaubender Emotionen entführt zu werden, und jetzt ließ er ihr die Wahl, durch die Tür ins Paradies zu gehen oder sie zuzuschlagen.

Ihre Gedanken flogen zurück zu dem Ball, und sie spürte erneut die Verlorenheit und Einsamkeit, die sie überfallen hatten, während sie sehnsuchtsvoll den tanzenden Paaren zugeschaut hatte. Jeder schien einen Partner zu haben, außer ihr. Alle ehemaligen Schul- und Studienkolleginnen waren inzwischen verheiratet und dabei, eigene Familien zu gründen, während sie nicht einmal einen Freund aufweisen konnte.

Autor

Chantelle Shaw
<p>Chantelle Shaw ist in London aufgewachsen. Mit 20 Jahren heiratete sie ihre Jugendliebe. Mit der Geburt des ersten Kindes widmete sie sich ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, ein Vollzeitjob, da die Familie bald auf sechs Kinder und verschiedene Haustiere anwuchs. Chantelle Shaw entdeckte die Liebesromane von Mills &amp; Boon,...
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Michelle Reid
Michelle Reid ist eine populäre britische Autorin, seit 1988 hat sie etwa 40 Liebesromane veröffentlicht. Mit ihren vier Geschwistern wuchs Michelle Reid in Manchester in England auf. Als Kind freute sie sich, wenn ihre Mutter Bücher mit nach Hause brachte, die sie in der Leihbücherei für Michelle und ihre Geschwister...
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