Bianca Exklusiv Band 186

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

SEHNSUCHT LIEGT IN DEINEM BLICK von BRETTON, BARBARA
Wie schwer fällt es der schönen Nanny Jeannie Ross, sich nicht zu verraten! Sie liebt die kleine Daisy wirklich sehr. Aber eben auch den Mann, der sie ihr anvertraut hat, den attraktiven Werbemanager Hunter Phillips. Doch ihr Traum von einer Familie ist nicht seiner …

TRAUMTAGE DER LEIDENSCHAFT von WOOD, SARA
Auf der Luxusyacht ihres Mannes Dimitri! Leidenschaftlich von ihm geliebt! Im Rausch der Gefühle! Fast hätte Olivia vergessen, dass sie nach Griechenland gekommen ist, um mit ihrem untreuen Ehemann die Scheidung zu besprechen. Einen neuen Anlauf sollte es nie geben …

HILFE! ICH BRAUCHE EINEN MANN ... von DOUGLAS, CHARLOTTE
Die Journalistin Devon soll in einer Talkshow glaubwürdig ihre berühmte Ratgeberseite "Rund ums Baby" vertreten. Das geht nur mit Mann und Kind! Doch Devon hat keines von beiden. Also muss der attraktive Colin aushelfen. Nur erfüllt der so gar nicht seine Rolle …


  • Erscheinungstag 05.05.2009
  • Bandnummer 186
  • ISBN / Artikelnummer 9783862955947
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

BABARA BRETTON

Sehnsucht liegt in deinem Blick

Hunter bleibt keine Wahl: Will der erfolgreiche Werbemanager seinen Job nicht verlieren, muss ihm jemand die Betreuung seiner kleine Nichte Daisy abnehmen – am liebsten die bezaubernde Jeannie Ross! Wie sehr der hübschen Nanny diese Aufgabe zu Herzen geht, sieht Hunter nicht. Wohl aber, dass er diese Frau gerne mal zu einem zärtlichen Rendezvous treffen würde …

SARA WOOD

Traumtage der Leidenschaft

Seit Jahren haben sich die heißblütige Olivia und ihr griechischer Ehemann Dimitri nicht gesehen. Und auch jetzt an Bord seiner luxuriösen Jacht soll es eigentlich nur um ihre Scheidung gehen – aber sie erleben Traumtage der Leidenschaft! Doch so sehr sie sich begehren, so sehr misstrauen sie sich auch. Gibt es da für ihre Ehe wirklich noch eine zweite Chance?

CHARLOTTE DOUGLAS

Hilfe! Ich brauche einen Mann …

Plötzlich hat sie ein Kind! Ein Anwalt drückt es der bekannten Journalistin Devon Clarke an der Haustür einfach in die Hand. Schließlich ist sie für ihre Ratgeberseite „Rund ums Baby“ berühmt. Für einen Talkshowauftritt passt das Baby perfekt zu ihr. Nun fehlt nur noch ein Mann. Der smarte Colin soll den geliebten Gatten spielen. Wirklich nur spielen!

PROLOG

Hunter Phillips hatte einen Sturzflug über der Wüste Arizonas gemacht, sich hungrigen Haien an der mexikanischen Küste gegenübergesehen und war abseits der Pisten in Klosters Ski gefahren, aber solche Angst hatte er noch nie gehabt.

Seit drei Wochen hangelte er sich mit nachbarschaftlichen Ratschlägen, Ambulanzbesuchen und entsprechenden Videobändern durch. Jetzt war er jedoch aufgeschmissen.

„Wein doch nicht“, sagte er zu dem schreienden Säugling in seinen Armen. „Es gibt keinen Grund zum Weinen.“ Die Kleine war trocken. Sie war satt. Sie war warm verpackt. So weit, so gut.

„Komm, Daisy“, sagte er und begann, mit ihr auf und ab zu gehen. „Ich habe genauso wenig Erfahrung wie du. Gib mir wenigstens irgendeinen Hinweis … einen Tipp.“

Daisy verzog ihr winziges Gesicht und schrie noch lauter.

„Ich bin beeindruckt“, sagte er und zuckte zusammen. Sie hatte unglaublich kräftige Lungen. Ihm wäre jedoch ein klarer Satz lieber gewesen. Oder ein halber. Ein Wort hätte ihm schon gereicht, wenn er dann gewusst hätte, womit er die Kleine beruhigen konnte.

Hunter war nie damit fertig geworden, wenn weibliche Wesen weinten. Wenn dieses weibliche Wesen dazu noch blond und blauäugig war und kaum über sechs Pfund wog, wurde die Angelegenheit richtig nervenaufreibend.

Als er Daisy das erste Mal im Arm gehalten hatte, war er sich plump und ungeschickt vorgekommen, wie ein Bär, der versucht, einen Schmetterling in seinen Tatzen zu halten. Seine Muskeln verspannten sich jedes Mal, wenn er sie hochnahm, aber wenigstens schaffte er es jetzt, ohne das Gefühl zu bekommen, sie könnte ihm entgleiten.

Aber dieses Schreien war etwas anderes. Es klang so, als trüge sie die Sorgen der ganzen Welt auf ihren kleinen Schultern. Gleichgültig wie sehr er sich auch bemühte, er konnte nicht verstehen, was sie wollte.

„Mir gefällt das alles nicht besser als dir, Daisy“, sagte er zu dem Säugling. Er war nicht als Vater geeignet. Es hatte auch nicht so kommen sollen. Er hatte sich sein Leben eingerichtet, sich um sich gekümmert und wumms! Plötzlich war sie da, ein kleiner Mensch, ganz allein auf der Welt und vollkommen auf ihn angewiesen.

Daisy hatte etwas Besseres verdient. Sie hätte in eine richtige Familie gehört, zu Eltern, die sie liebten und umsorgen wollten. Auf jeden Fall hatte sie keinen zielstrebigen Werbefachmann verdient, der nur stehen bleiben und an Rosen riechen würde, wenn er daraus einen sechzig Sekunden langen Werbespot fürs Fernsehen entwickeln konnte.

Er legte seinen Handrücken gegen ihre Stirn. Ihre Temperatur erschien ihm normal, aber wie sollte er das beurteilen? Es war erst zwei Uhr nachmittags. Der Kinderarzt würde noch in seiner Praxis sein. Vielleicht sollte er sich ein Taxi kommen lassen und mit Daisy zum Arzt fahren.

„Na gut, Daisy“, entschied er und wickelte sie in eine Decke, um sie vor der kühlen Luft Ende September zu schützen. „Wenn du mir nicht sagen willst, was du hast, sagst du es vielleicht dem Doktor.“ Das sollte sie lieber machen und zwar schnell, denn Hunter war mit seinen Nerven wahrlich am Ende. Nichts und niemand hatten ihn jemals so hilflos gemacht wie Daisys Schreien.

Das Taxi wartete bereits unten am Straßenrand auf ihn. Eine schlanke, schwarzhaarige Frau um die fünfzig beugte sich herüber, um ihm die Tür zu öffnen.

„Vierundfünfzigste und Dritte“, sagte er und schnallte Daisy in dem Kindersitz an, den er mit heruntergeschleppt hatte. Daisys Geschrei klang in dem engen Wagen noch lauter.

„Die arme Kleine“, sagte die Fahrerin und reihte sich in den fließenden Verkehr ein. „Ist sie krank?“

Hunter zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Sie weint schon seit zwei Stunden so. Irgendetwas muss sie haben.“

„Sie ist ein Baby“, meinte die Frau schmunzelnd. „Liegt wohl daran.“

„Niemand würde so schreien, wenn er nichts hätte.“

„Vielleicht wollte sie nur eine Runde durch die Stadt drehen.“

Hunter schnaubte. „Das wäre ja noch schöner“, brummte er.

Die Taxifahrerin lachte leise. „Sie weint nicht mehr, oder?“

Er richtete sich auf und starrte Daisy an. „Sie haben recht. Sie hat sich beruhigt.“ Nicht nur das, ihr fielen sogar die Augen zu.

„Passiert immer wieder“, tröstete die Frau. „Ich habe selbst drei von der Sorte großgezogen, und ich kann Ihnen nicht sagen, was Eltern gemacht haben, ehe das Auto erfunden wurde.“ Sie hielt an. Die Ampel zeigte Rot. „Wollen Sie immer noch zur Dritten und Vierundfünfzigsten?“

„Nein“, sagte er. „Fahren Sie einfach ein bisschen herum.“ Sie lächelte ihn im Rückspiegel an. „Sie sind ein kluger Mann.“ Nein, dachte er, als sie zum Riverside Drive hinunterfuhren. Ein kluger Mann hätte sich das alles gar nicht erst aufgehalst.

1. KAPITEL

„Wo ist das Kind?“, schrie der Regisseur, ein Neurotiker höchsten Grades mit vierfachem Magengeschwür. „Das Model kann ohne das Kind nicht arbeiten.“

Hunter Phillips konnte sich lebhaft vorstellen, was Custer am Little Big Horn gefühlt haben musste. „Wo ist das Kind?“, erkundigte er sich bei der Produktionsassistentin, die ihm am nächsten stand. „Das ist eine Werbung für Windeln. Die kann man nicht ohne Kind machen.“

Die Augen der Assistentin weiteten sich. Sie musterte Hunter überrascht. „Ich dachte, das wäre das Kind.“

„Das ist mein Kind“, antwortete er und hob die acht Monate alte Daisy von seiner linken Schulter auf die rechte. „Wo ist das Berufsmodel?“

Die Assistentin drückte ihr Klemmbrett an sich und holte tief Luft. „Weiß ich nicht.“

„Was ist nun, Phillips?“ Der Regisseur sah aus, als würde ihm gerade das fünfte Magengeschwür wachsen. „Zeit ist Geld.“

Das hat man denen in Yale beigebracht?, dachte Hunter. „Denise sieht mal nach. Sie wissen doch, wie das mit dem Verkehr so ist. Wahrscheinlich stecken sie irgendwo im Midtown Tunnel fest.“

Der Produzent warf einen interessierten Blick auf Daisy. „Was ist mit ihr?“

Daisy wählte genau den Moment, um Apfelsaft auf Hunters letzte gute Armani-Jacke zu spucken. Alles hatte ein Ende …

„Vergessen Sie, dass ich etwas gesagt habe“, brummte der Produzent. „Wir brauchen ein Berufsmodel.“

„Genau, verdammt!“, fluchte Hunter. Nie würde er zulassen, dass Daisy in dieses Affentheater hineingezogen würde, nur weil irgendwer irgendwo Mist gebaut hatte. Amanda Bennett, das beste Babymodel im Land, war für die Rolle engagiert worden. Bloß Amanda war nirgends zu sehen, und man konnte nun mal schlecht einen dreißig Sekunden Werbespot für umweltfreundliche Wegwerfwindeln ohne die Hauptperson, die sie tragen sollte, drehen.

Die junge Produktionsassistentin legte den Hörer des Wandtelefons auf und drehte sich zu den versammelten Angestellten von Crosse, Venner und Saldana, einer bekannten Werbeagentur, um. „Die Mutter hat ihre Meinung geändert“, sagte sie mit Tränen in den Augen. „Sie hat einen Exklusivvertrag mit Pampers unterschrieben. Pech für uns.“

Alle Blicke richteten sich auf Hunter und Daisy. „Vergessen Sie es!“, wandte er sofort ein. „Sie ist kamerascheu.“

„Das ist Schicksal“, erwiderte der Regisseur. „Karma. Sie müssen sie uns testen lassen. Wenn wir dem Alten bis fünf nichts liefern, rollen sämtliche Köpfe.“

Mit anderen Worten, er sollte das geringere der beiden Übel wählen. Daisy war vergangene Nacht sechsmal aufgewacht, und Hunter hatte kaum mehr als eine Stunde Schlaf gehabt. Das mochte ihm mit zweiundzwanzig gereicht haben, aber mit vierunddreißig war es nicht einmal annähernd genug. Es war erst zehn Uhr morgens, und er fühlte sich schon gerädert.

„Lasst mir ein paar Minuten Zeit“, sagte er und ging zur Tür. „Ich hole mein Adressbuch und sehe nach, was ich tun kann.“ Er war nicht bereit, ihnen seine Tochter so einfach auszuliefern.

Er stieß die Schwingtür auf, trat in den Flur hinaus und stand direkt vor einer blendend aussehenden Frau. Das Fotomodel lehnte an einer Leiter, rauchte lässig eine Zigarette und hatte den Blick wie einen Laserstrahl auf ihn gerichtet. Sie war eine jener großen, schlanken Blondinen, die davon lebten, dass sie anderen Menschen Sachen verkauften, die diese nicht wollten. Es hatte mal eine Zeit gegeben – als er noch Liebeskraft besessen hatte –, da hätte eine Frau wie sie ihn magisch angezogen.

Hunter grinste. Die Schöne erwiderte huldvoll sein Lächeln. Es war schon länger her, dass er mit irgendjemand geflirtet hatte. Frisch gebackene Väter fanden nicht viel Zeit zum Flirten.

„Hallo!“, sagte sie.

„Hallo“, antwortete er und bemühte sich um einen Ton, der leicht an Rambo erinnern sollte.

„Sie sind ganz nass.“ „Wie bitte?“ Er hatte eine Reihe verrückter Annäherungsversuche erlebt, aber das war schon einmalig.

Sie ließ ihren Blick tiefer gleiten und wandte sich dann ab.

„Ihre Hose. Sie sind ganz nass.“

Er stöhnte. Die Bilder eines romantischen Erlebnisses zerplatzten wie eine Seifenblase. Daisy sabberte glücklich und zog mit ihren patschigen Fingern an seinem Ohr. Das Fotomodel kehrte ins Studio zurück und ließ ihn mit Ei im Gesicht, Apfelsaft auf seiner Schulter und dem üblichen Nass auf der Hose stehen. Es gab nichts Besseres als eine triefende Windel, um einen Mann auf den Boden der Wirklichkeit zurückzuholen.

„Danke, Daisy“, brummte er und sah das rosige, hellhaarige Baby mit den blauen Augen betrübt an. „Du hast wohl etwas gegen langbeinige Blondinen, was?“

„Sie war nicht Ihr Typ.“

Er blinzelte. Bisher hatte Daisy noch kein Wort gesagt. Das wäre ein schrecklicher Anfang.

„Hier oben“, meldete sich eine leise weibliche Stimme. „Auf der Leiter.“

Er schaute hoch und sah eine kleine Gestalt in schwarzen Leggings und einem knallroten Pullover. Ein weißes T-Shirt lugte aus dem V-förmigen Ausschnitt hervor, und große glänzende Goldreifen hingen an ihren Ohren. Sie hockte auf der obersten Sprosse der Leiter.

„Vergessen Sie die Fotomodeltypen“, sagte sie vergnügt und schüttelte ihr kurzes, schwarzes glattes Haar nach hinten. „Sie wissen nie, was man im Notfall macht.“

„Ich nehme an, Sie wissen es aber?“

„Soda. Es kann Wunder wirken.“

„Ich werde daran denken.“

„An Ihrer Stelle würde ich nicht zu lange warten. Wenn die Flecken erst einmal getrocknet sind, kann man nichts mehr machen.“

„Wissen Sie, ich weiß guten Rat zu schätzen“, entgegnete er und wurde ein wenig ungeduldig. „Nur im Moment habe ich wichtigere Dinge im Kopf, als Flecken auszuwaschen.“

„Ich weiß“, erwiderte sie trocken. „Sie sah gut aus, aber sie ist nach drinnen gegangen.“

„Vergessen Sie Marcy“, meinte er. „Ich suche jemand Jüngeres.“

„Seien Sie vorsichtig“, riet sie ihm über die Schulter und stieg von der Leiter herunter. „Damit könnten Sie rasch in Schwierigkeiten geraten.“

„Ein Baby“, erklärte er ihr und hob Daisy wieder auf die andere Schulter. „Sie wissen nicht zufällig, wo ich eines finden kann, oder?“

„Also ist es doch wahr“, sagte sie und schaute ihn an. Sie hatte genauso blaue Augen wie Daisy. „Ich habe so ein Gerücht gehört, Amanda sei zur Konkurrenz übergelaufen.“

„Hat ihre Trainingshosen genommen und ist auf und davon.“ Er warf ihr einen zweiten Blick zu. „Sind Sie von Fancy Pants Windeln?“

„Ich bin die Kinderbetreuerin.“

Seine Augen weiteten sich. „Ach ja?“

„Ich entlocke den Kleinen das entzückende Lächeln vor der Kamera.“

„Sie vollbringen solch ein Wunder“, meinte er und schmunzelte. „Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“

„Hatte nicht viel Sinn“, antwortete sie in ihrer leisen Art. „Ohne das Baby bin ich nichts.“

„Mir geht es genauso. Wenn ich nicht rasch für Ersatz sorge, kann ich Steine klopfen gehen.“

Sie kam näher, und er nahm den Duft nach frischen Blumen wahr, der von ihr ausging, als sie nach Daisys kleiner Hand griff. „Sie ist hübsch.“ Sie sah ihn an. „Ich glaube, sie könnte es wie von selbst.“

„Kommt nicht infrage!“, wehrte er ab. „Suchen Sie sich ein anderes Baby.“

„Hören Sie, Mr. …“ Sie hielt inne.

„Hunter.“

„Hören Sie, Mr. Hunter, ich …“

„Hunter ist mein Vorname.“

Daisy produzierte kleine Bläschen mit ihren Lippen. Hunter und die Frau lachten auf.

„Jeannie Ross.“ Sie reichte ihm die Hand. Ihr Griff war fest und ihre Hand zierlich.

„Hunter Phillips.“

„Ich habe keinen Vorteil davon, Hunter. Ich bekomme mein Geld, ob wir drehen oder nicht.“

Daisy streckte ihre kleinen Arme nach Jeannie aus.

„Was ist denn das?“, wollte Hunter wissen. „Eine Verschwörung?“

„Darf ich?“ Jeannie griff nach Daisy, und die Kleine ließ sich gern von ihr auf den Arm nehmen. „Sie ist so hübsch.“

Hunter bemerkte sofort, wie geübt Jeannie Daisy auf dem Arm hielt und den seligen Blick seiner Tochter, als sie mit ihren patschigen Händen an den glänzenden Ohrringen zupfte.

„Ich möchte mein Kind nicht ins Showgeschäft lassen.“

„Aus einem Drehtag ist noch keine Karriere geworden“, erwiderte Jeannie Ross. „Was bleibt Ihnen denn anderes übrig? Wenn Sie nicht bald jemanden finden, ist für Sie Feierabend. Sie sagten es eben selbst.“

Er zuckte zusammen. „Sind Sie immer so offen?“

Ihr Lächeln schwächte ihre Worte ab. „Ich habe gelernt. Es spart Zeit.“

„Eine Stunde“, sagte er. „Wenn sie den Streifen nicht in sechzig Minuten fertig haben, ist sie wieder draußen.“

„Einverstanden.“ Sie musterte Hunter und schüttelte den Kopf. „Jetzt beruhigen Sie sich, ja? Ich verspreche Ihnen, es wird ihr gefallen. Ich sorge dafür.“

Es war das übliche Gedränge.

Hunter hatte nie besonders darauf geachtet, aber heute kam es ihm so vor, als hätte er nie in seinem Leben eine abscheulichere Gruppe Menschen zusammen gesehen.

Der Gedanke, dass sein kleines Mädchen von ihnen begrapscht wurde, jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Wenn Jeannie Ross nicht da gewesen wäre, hätte er Daisy geschnappt und wäre gleich auf Jobsuche gegangen.

Daisy weinte nur einmal, als die Assistentin mit der Regieklappe dicht vor ihr herumfuchtelte, um die nächste Szene zu markieren. Sofort war Jeannie da, beruhigte das kleine Mädchen und achtete darauf, dass ihr niemand mehr die Klappe so dicht vor das Gesicht hielt.

Hunter schaute dem ganzen Geschehen mit gemischten Gefühlen zu. Er war bestürzt und stolz zugleich, wie leicht die Kleine das Drehen hinter sich brachte. Selbst der Regisseur, so hartgesotten wie er war, konnte sich bei Daisys Charme ein Schmunzeln nicht verbeißen.

Hunter war überrascht, dass es ihn schmerzte, wie gut seine Kleine ohne ihn zurecht kam. Aber nachdem er das überwunden hatte, fiel ihm auf, wie hübsch Jeannie anzusehen war. Sie war auch ein Naturtalent, wenn man sah, wie sie mit kleinen Kindern umgehen konnte. Sie hockte am Rand, schnitt Grimassen, machte Seifenblasen und tat einfach alles, was Daisy zum Lachen brachte und glücklich machte.

Vielleicht gab es doch so etwas wie Mutterinstinkt, überlegte Hunter. Denn selbst nach acht Monaten verstand er nicht immer sofort, was Daisy wollte oder brauchte.

Das arme Kind. Fremde verstanden es besser als er. Jeannie verlangte von ihr nichts, was die Kleine nicht von sich aus ganz natürlich geben konnte.

„Sie ist die Beste im Geschäft“, flüsterte die junge Produktionsassistentin, als Jeannie Daisy ein Lachen für die Kamera entlockte.

„Daisy?“

Die Assistentin schüttelte den Kopf. „Jeannie. Ich möchte wetten, sie könnte jeden Tag mehrere Aufträge haben, wenn sie wollte.“

Hunter widersprach ihr da nicht. Babys waren zurzeit groß im Geschäft. Jeder Geschäftsmann von der Madison Avenue bis Hollywood verlangte nach Kleinkindern, um seine Waren anzupreisen. Jeannie war eine der wenigen, die es verstand, schreiende Kleinkinder in ausgereifte Berufsmodels zu verwandeln.

„Sie kann so gut mit Kindern umgehen“, raunte die Assistentin neben ihm. „Es ist eine Schande, dass sie keine eigenen hat.“

Er blickte auf Jeannies Ringfinger und bemerkte, dass er bloß war. Es ging ihn zwar nichts an, ob sie verheiratet war oder nicht, doch es überraschte ihn, dass sie ungebunden war.

Sie strahlte eine Wärme, eine Zärtlichkeit gemischt mit einer schlummernden Sexualität aus, die stärker war als der zur Show getragene Sexappeal so mancher Models, mit denen er sich früher getroffen hatte. Obwohl Jeannie recht klein war, besaß sie eine wohlproportionierte Figur, was nicht weniger anziehend wirkte.

Genau wie Jeannie versprochen hatte, war die Arbeit für Daisy nach knapp einer Stunde vorbei. Hunter fühlte sich fast enttäuscht.

„Die Kleine ist großartig, Phillips“, sagte der Regisseur, nachdem er die Sache für erledigt erklärt hatte. „Sie kann eine Menge Arbeit bekommen, wenn Sie wollen.“

„Vergessen Sie es“, brummte Hunter. „Das war das erste und letzte Mal.“

„Ihr Pech“, erwiderte der Regisseur. „Es gibt nicht viele Kinder in dem Alter mit so einer starken Persönlichkeit.“

Jeannie Ross kam mit Daisy auf Hunter zu. „Ihre Tochter ist ein Traumkind“, sagte sie lächelnd. Ihre blauen Augen strahlten. „Ich wünschte fast, die Dreharbeiten hätten länger gedauert.“

Hunter nahm ihr seine Tochter ab. Daisy fing sofort an zu weinen, als Jeannie sie losließ. „Zumindest versteht sie es, sich den richtigen Zeitpunkt auszusuchen“, bemerkte er über Daisys Jammern hinweg. „Sie hat gewartet, bis sie von der Bühne ist.“

Jeannie klopfte Daisy auf den Po. „Ich glaube, es gibt da ein kleines Problem.“

Hunter verzog das Gesicht. Es gab ein paar Dinge, an die er sich als Vater noch immer nicht ganz gewöhnt hatte. „Vielleicht sollte ich mir das Honorar in Windeln auszahlen lassen.“

„Kinder bleiben nicht für immer Babys“, bemerkte Jeannie. Ihre Stimme klang noch immer fröhlich, aber das Strahlen in ihren Augen verschwand. „Genießen Sie es, solange sie so klein ist.“

Er hob Daisy auf den anderen Arm. „Sie waren großartig heute Morgen. Ich bin beeindruckt.“

Sie senkte den Kopf. „Danke. Manche Frauen sind Raketenforscherinnen, andere Kinderbetreuerinnen.“

„Ich habe gehört, Sie sind eine der besten im Geschäft.“

„Kleinigkeit“, antwortete sie. „Wenig Konkurrenz.“

„Sie sollten lernen, ein Kompliment anzunehmen, Ross. Ich schmeiße damit nicht so um mich.“

„Dann geben Sie es an Ihren Boss weiter“, erwiderte sie fröhlich. „Die Arbeit kann ich immer gebrauchen.“ Jetzt strahlten ihre Augen wieder. „Aber sagen Sie ihm auch, dass ich ab heute Abend Ferien habe.“ Sie hatte noch einen Auftrag heute Nachmittag, anschließend sechs Wochen frei, und danach sollte sie für einen Auftrag nach Maui fliegen.

„Ich muss Daisy eben die Windeln wechseln. Aber dann könnten wir irgendwo etwas zusammen essen gehen. Ich bin Ihnen schließlich etwas dafür schuldig, dass sie meine Haut gerettet haben.“

Sie zögerte. Ihr Blick ruhte auf Daisy. „Es ist nicht so, als würde ich Ihr Angebot nicht schätzen, Hunter, aber ich glaube nicht, ich …“

„Schon gut“, unterbrach er sie. Offenbar war Daisy hier die ganze Anziehungskraft. „Danke, dass Sie so gut auf sie aufgepasst haben.“

Sie drückte der Kleinen sacht einen Fuß. „Gern geschehen. Sie ist süß.“

Daisy schrie erneut auf, und Hunter bekam sofort ein schlechtes Gewissen. „Ich wechsle ihr besser die Windel.“

Jeannie nickte. „Bis dann, Hunter.“

Er sah ihr nach, wie sie den Flur hinunterlief. „Das wars mit Flirten“, sagte er zu Daisy auf dem Weg zu seinem Büro, wo er einen Windelkarton aufbewahrte. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten sich die Frauen um ihn gerissen. Jetzt kam es ihm jedoch so vor, als wäre Daisy die einzige weibliche Person, die sich um ihn riss.

Nicht allzu viele Frauen, die er kannte, waren bereit, eine fertige Familie in Kauf zu nehmen. Selbst ein Baby zu bekommen, war eine Sache, jedoch ein fremdes Kind großzuziehen, war etwas anderes. Das wusste er aus eigener Erfahrung.

Vor fünf Monaten war er das letzte Mal verabredet gewesen, und es sah nicht so aus, als würde er in naher Zukunft noch einmal so ein Glück haben. Wahrscheinlich war das gut so, da er oft kaum morgens Zeit hatte, sich die Zähne zu putzen, geschweige denn sich um noch jemanden zu kümmern.

Sie war sowieso nicht mein Typ, sagte er sich. Ihm gefielen schlanke langbeinige Blondinen. Jeannie Ross erreichte wohl knapp einmeterfünfzig, und ihr Haar war so schwarz wie die Nacht.

Dennoch konnte er sich des merkwürdigen Gefühls nicht erwehren, als wäre das nur der Anfang ihrer Bekanntschaft …

Jeannie stand an dem Abend an einem Imbissstand Schlange. Da sah sie ihn. Zuerst war sie sich nicht ganz sicher, dass der erschöpfte Mann mit dem schlafenden Baby auf dem Arm wirklich derselbe Werbemensch war, mit dem sie sich am Vormittag so nett unterhalten hatte. Doch sein markantes Profil verriet ihn. Es gab nicht allzu viele Männer in New York, die aussahen, als wären sie geradewegs einer Marlboro-Reklame entsprungen. Er lehnte am anderen Ende der langen Theke, hatte die Augen halb geschlossen und wartete offenbar auf das, was er bestellt hatte.

„Das übliche, Jeannie?“ Thunfischbrot mit Mayonnaise, sauren Gurken und eine Diätcola.

„Und ein Brötchen. Heute war ein langer Tag.“

Al schüttelte den Kopf. „Glauben Sie mir, ich finde Ihre Arbeit gut, Jeannie, aber wann kochen Sie sich mal eine richtige Mahlzeit?“

„Ach, Sie wissen ja, wie das ist, Al“, sagte sie und warf eine verstohlenen Blick zu Hunter Phillips, der im Stehen zu schlafen schien. „Es bleibt nie genug Zeit, noch einkaufen zu gehen.“ Nicht ganz richtig, aber fast wahr.

Was Jeannie betraf, so gab es wochentags keinen einsameren Ort als einen Platz in der abendlichen Warteschlange an der Kasse. Man konnte eine Menge über einen Menschen erfahren, wenn man ihm in den Einkaufswagen guckte. Die Suppendosen für eine Person ließen eindeutige Schlüsse zu.

Al war noch mit ihrer Bestellung beschäftigt. Jeannie wandte sich leicht um und schaute sich mindestens zum dritten Mal nach Hunter um. Beim Anblick des hübschen blondhaarigen Babys auf seinem Arm fiel ihr das Schlucken schwer. Wenn Männer wüssten, welche Wirkung sie so auf eine weichherzige Frau hatten, würde sich manch ein Junggeselle ein Baby mieten, umso anziehend und verletzlich zugleich auszusehen.

Ich kann ja zu ihm gehen, dachte Jeannie.

Sie zögerte jedoch. Sie war ihm erst einmal begegnet, und das war schließlich rein geschäftlich gewesen.

Das Baby mochte ich aber gleich. Wäre es nicht schön, es noch einmal auf den Arm nehmen zu können?

Sie wich einen Schritt zurück. Umso mehr ein Grund, von ihm wegzubleiben. Sie konnte es sich nicht leisten, sich auch nur für einen Augenblick an seine kleine Tochter zu gewöhnen.

Ich brauche ihn mir ja nur genau anzusehen. Er sieht richtig bemitleidenswert aus.

Gut aussehende dunkelhaarige Männer mit kräftigen Schultern konnten nicht bemitleidenswert sein, selbst wenn sie sich anstrengten. Wahrscheinlich wartete zu Hause eine ebenso gut aussehende Frau auf ihn und noch drei weitere, nette Kinder.

„Hier ist Ihr Sandwich, Jeannie.“ Al beugte sich vor und reichte ihr eine braune Papiertüte. „Bon appétit.“

„Bis morgen, Al.“ Sie nahm die Tüte und ging zur Kasse. Sie war sicher, sie würde hier wegkommen, ehe Hunter Phillips sie entdeckte.

Sie wollte ihr Wechselgeld gerade einstecken und nach draußen huschen, als es geschah.

„Jeannie? Sind Sie’s?“

Langsam drehte sie sich um. „Hunter.“ Sacht berührte sie den Fuß der schlafenden Kleinen. „Hallo, Daisy.“

Aus der Nähe sah er noch erschöpfter aus. Dunkle Ringe zeigten sich unter seinen braunen Augen. Er musste ein Gähnen unterdrücken. Seine elegante Krawatte sah aus, als wäre sie in eine Dreschmaschine geraten, und seine Hose hatte sich nicht mehr retten lassen nach dem kleinen Zwischenfall von heute Morgen.

Seltsamerweise störte sie das alles nicht. Ihr kam es eher so vor, als sähe er so müde und zerknittert noch anziehender aus als mancher Bräutigam am Tag seiner Hochzeit.

„Wohnen Sie hier in der Nähe?“, fragte er und hob Daisy etwas höher.

Jeannie nickte und bemühte sich, nicht hinzusehen, wie die patschigen Hände der Kleinen auf der Wange ihres Vaters ruhten. „Der alte Bau aus der Vorkriegszeit auf der anderen Straßenseite.“

Er gab einen leisen Pfiff von sich. „Das Haus kenne ich. Hohe Decken, großartiger Ausblick … Wie haben Sie das geschafft?“

„Pures Glück. Ich kam in die Stadt, als eine alte Bekannte von mir ihre Collegeausbildung beendet hatte. Ich wohne zur Untermiete.“ Na gut, jetzt bin ich an der Reihe. „Sind wir Nachbarn?“

Er nannte eine Adresse zwei Häuserblöcke weiter. „Nicht so beeindruckend wie ihr Haus, aber es gefällt uns.“

Uns. Hunter und Daisy? Hunter und Frau und Daisy? Ich brauche ihn nur zu fragen, ich Närrin. Das ist schließlich kein Verbrechen.

„Frikadelle mit Brot, Extraportion Senf, Kohlsalat“, rief jemand hinter der Theke.

„Hier“, meldete sich Hunter. „Ich komme sofort.“

„Hören Sie, ich will Sie nicht aufhalten“, sagte Jeannie.

Er suchte nach seiner Brieftasche und versuchte, dabei seine Aktentasche, den Windelkarton sowie das schlafende Kind zu balancieren.

„Kommen Sie her, ich helfe Ihnen“, sagte Jeannie und wollte ihm Aktentasche und Windelkarton abnehmen. Er reichte ihr stattdessen die Kleine.

Daisy machte die Augen auf. Sie sah Jeannie halb verschlafen an, wie Kinder das so gut können, steckte dann den Daumen in den Mund und schlief prompt wieder ein. Im ersten Augenblick hätte Jeannie die Kleine am liebsten der Kassiererin übergeben und wäre um ihr Leben gerannt, doch dann setzte die Vernunft ein.

Ich arbeite acht Stunden am Tag mit Babys, sagte sie sich, nehme sie auf die Arme, spiele mit ihnen und trockne ihnen die Tränen. Das ist nichts anderes.

War es aber doch. Jeannie wusste nicht wie oder warum, aber vom ersten Moment an, als sie Daisy und Hunter gesehen hatte, hatte sie das Gefühl gehabt, ihr Leben würde nie wieder so sein wie vorher.

„Albern“, sagte sie laut und rieb ihre Nase an Daisys gut duftendem Hals. Sie war müde und hungrig und konnte nicht klar denken. Ein Baby war ein Baby. Morgen würde sie mit Amanda oder Troy arbeiten, und Daisy würde nicht mehr als irgendeines der knuddeligen kleinen Gesichter in ihrem Erinnerungsalbum sein. „Was braucht dein Vater so lange?“ Sie wandte sich zur Theke um, wo Hunter in eine Unterhaltung mit Al vertieft war. Hunter hatte eine braune Papiertüte in der Hand, nicht größer als ihre, und nahm noch eine zweite doppelt so große entgegen.

„Sie haben einen ganz schönen Appetit“, bemerkte sie, als er wieder zurückkam.

„Die ist für mich“, sagte er und hielt die kleinere der beiden Tüten hoch. „Die andere ist für uns beide.“

Sie war zu überrascht, um sofort zu antworten. „Für uns beide?“, brachte sie schließlich über die Lippen.

„Ja“, antwortete Hunter, als hätten sie das schon hundertmal durchgesprochen. „Ich wollte Sie für heute Nachmittag zum Essen einladen.“

„Und ich hatte abgelehnt.“ Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass Daisy das Gesichtchen an ihre Wange gelehnt hatte. „Ich trenne Arbeit und Vergnügen sorgfältig.“

„Wir haben geschäftlich nichts mehr miteinander zu tun. Daisy ist im Ruhestand.“

„Möglich“, entgegnete Jeannie. „Aber Sie nicht.“

„Keine Sorge. Die Chance, dass wir beide zusammen arbeiten müssen, steht eine Million zu eins.“ Er hatte selten etwas mit Werbeaufträgen zu tun, für die Kinder oder Tiere gebraucht wurden. Sie jedoch arbeitete nur in solchen Fällen.

„Woher wissen Sie, dass zu Hause nicht ein Ehemann auf mich wartet?“

Sein Gesichtsausdruck verriet ihr, dass er seine Einladung gar nicht von der romantischen Seite betrachtet hatte. „Er kann gern mitkommen.“ Er hielt für einen Atemzug inne. „Sind Sie verheiratet?“

Sie schüttelte den Kopf. „Sie?“

„Nein. Daisy und ich sind allein.“

Er hatte dieses Lächeln, das eine Frau ungewollt körperlich spürte. Nicht dass es Jeannie etwas ausmachte. Sie war nicht mehr an ihm interessiert als er an ihr.

„Na, was sagen Sie, Jeannie? Abendessen ohne irgendwelche Verpflichtungen. Bei mir sieht es zwar aus wie im Schweinestall, aber ich kann uns am Tisch etwas Platz machen.“

Sie dachte an ihre makellose, saubere Wohnung. Ruhig. Aufgeräumt. Einsam.

„Warum kommen Sie mit Daisy nicht zu mir?“ Die Worte rutschten ihr heraus, ehe sie merkte, was sie da sagte.

„Klingt prima.“ Er tauschte seine Papiertüten gegen seine Tochter aus. „Lassen Sie mich meine Sachen nach Hause bringen, etwas für Daisy einpacken, und wir sind bei Ihnen.“

„Klingeln Sie zweimal, dann lasse ich Sie rein“, sagte sie. „Der Pförtner hat Urlaub.“

„In einer halben Stunde?“, fragte Hunter.

Sie nickte. „In Ordnung.“

2. KAPITEL

Es dauerte eine Weile, bis Jeannie zur Tür kam. Hunter und Daisy warteten geduldig, während sie die verschiedenen Schlösser, Ketten und Riegel öffnete, die in einer Stadtwohnung notwendig waren.

„Hallo“, sagte sie und zog die Tür weit auf. „Kommen Sie herein.“

„Woher wussten Sie, wer es ist?“, fragte er. Seine Stimme klang ungemein fürsorglich. „Sie haben nicht zuerst durch den Spion geguckt.“

Sie lachte, bat ihn herein und schloss hinter ihm die Tür. „Sie haben zweimal geklingelt, wie abgemacht.“

„Jeder andere hätte auch zweimal schellen können. Das ist nicht gerade ein Geheimcode.“

„Sie überraschen mich, Hunter“, meinte sie und streckte ihre Arme nach Daisy aus. „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie der Typ sind, der sich Sorgen macht.“

„Was glauben Sie, was einem nach achtmonatiger plötzlicher Vaterschaft übrig bleibt“, erwiderte er und übergab ihr Daisy.

Jeannie sah ihn an, als wollte sie etwas sagen, schien es sich jedoch dann anders zu überlegen. „Die Garderobe ist links neben der Tür“, sagte sie bloß.

Er streifte seine abgetragene Lederjacke ab, eines der wenigen Kleidungsstücke, das Daisy noch nicht gekennzeichnet hatte. „Schon gut. Ich hänge sie einfach über einen Stuhl.“

„Haben Sie auch etwas für Daisy mitgebracht?“

Er deutete auf eine große Reisetasche zu seinen Füßen. „Alles, bis auf ihre Nachtlampe.“

Jeannie hantierte mit dem Baby herum wie jemand, der viel Übung darin hat. Hunter beneidete sie, wie leicht sie Daisy auf einer Hüfte balancieren konnte, während sie in der Tasche herumstöberte. Ehe es ihm richtig bewusst wurde, hatte Jeannie auf dem Boden neben dem Esstisch über einem hübschen handgeknüpften Teppich eine Decke ausgebreitet. Seltsam, aber Daisys farbenfrohes Spielzeug wirkte, als passe es genau hierher.

Genau wie Daisy. Jeannie zeigte keine Regung, als die Kleine über die Decke krabbelte, den teuren Teppich erreichte und munter vor sich hin sabberte.

„Keine Sorge“, sagte Jeannie, als Hunter sich bückte, um seine Tochter wegzuziehen. „Der Teppich gehört mir, nicht Clare. Er hat schon Schlimmeres überstanden.“

Hunter konnte an ihrer offenen, ehrlichen Art erkennen, dass sie meinte, was sie sagte. Babys wurden nun mal mit gewissen Fehlern geboren. Nassen Windeln. Sabbern. Klebrigen Fingern. Es wunderte ihn nicht, dass Freunde sich mit ihm nur an öffentlichen Plätzen trafen.

„Ich fürchte, die Wohnung ist für Babys nicht ganz sicher. Lassen Sie Daisy nicht aus den Augen“, bat sie. „Ich decke eben den Tisch.“

Fünf Minuten später saßen Jeannie und er am Tisch. Er hatte einen tragbaren Babysitz eingepackt, und Daisy thronte stolz zwischen ihnen. Mit ihren patschigen Händen hämmerte sie in ihrem eigenen Rhythmus auf dem Plastikteller herum, der vor ihr stand. Jeannie hatte noch ein rot-weiß und blau gestreiftes Lätzchen gefunden, das einer ihrer Neffen bei einem Besuch vergessen hatte, und Hunter hatte es Daisy umgebunden.

„Greifen Sie zu“, sagte Jeannie und deutete auf das Essen. „Ich möchte Daisy gern füttern.“

„Da fühle ich mich ja wie im Urlaub. Ich habe gedacht, Sie hätten bei der Arbeit genug mit Kindern zu tun.“

„Das ist etwas anderes“, antwortete Jeannie. „Daisy ist ein Sonderfall.“

Hunter lebte davon, dass er den Menschen Dinge verkaufte, die sie nicht brauchten. Er kannte sich aus mit Schmeicheleien.

Er merkte, ob sie ehrlich gemeint waren oder nicht. Doch wenn er Jeannie so zusah, wie sie Daisy fütterte, konnte er nicht anders, als ihr zu glauben, dass sie es wirklich ehrlich meinte.

Zumindest hoffte er, dass es ehrlich war, obwohl er nicht sagen konnte, warum ihm das wichtig war. Sie waren nicht einmal Freunde – verdammt, sie kannten sich kaum.

Allerdings hätte er nichts dagegen gehabt, daran etwas zu ändern. Ihr T-Shirt lag so eng an ihren Brüsten, dass er sehen konnte, wie rund und fest sie waren. Sie trug keinen BH, und sein Blick glitt mehrmals wie magisch angezogen zu den schemenhaften Umrissen ihrer Knospen.

Jeannie rutschte leicht zur Seite und griff nach einem Lappen, um Daisy den Mund abzuwischen. Ihr T-Shirt glitt hinten im Rücken etwas hoch, sodass er ihre schmale Taille sehen konnte. Er zweifelte nicht daran, dass er sie leicht mit den Händen umfassen könnte.

Ich muss mich zusammenreißen, hielt er sich vor. Eine farbige Parade erotischer Bilder zog blitzschnell an seinem geistigen Auge vorbei. Wie ihre Wangen glühen würden vor Leidenschaft … Wie weich ihre Haut sein mochte … Wie herrlich ein Kuss schmecken würde … Wie sie sich ihm hingeben würde …

„Hunter?“ Jeannie riss ihn aus dem Nebel sexueller Erregung. „Haben Sie was?“

„Nein, nein“, murmelte er und wandte sich dem Essen zu.

„Alles in Ordnung.“

Er vertilgte die Frikadellen und ein halbes Thunfischsandwich. „Greifen Sie zu, Jeannie, solange noch etwas da ist“, sagte er.

Sie lachte und wischte Daisy das Gesicht ab. „Das müssen Sie gerade sagen. Ihre Tochter hat einen ganz hübschen Appetit.“

„Das hat sie von ihrer Mutter geerbt“, antwortete Hunter und war erleichtert, dass er sich auf neutralem Boden bewegen konnte. „Callie konnte essen wie ein Holzfäller.“

Sie hatte sich schon gefragt, wann sie auf dieses Thema kommen würden. „Sind Sie Witwer?“

Er schüttelte den Kopf. „Bin nie verheiratet gewesen.“

„Ach so.“ Sie streute Pfeffer auf ihr Thunfischsandwich und rückte die Gurkenstreifen zurecht. Wir leben immerhin in den neunziger Jahren, ermahnte sie sich. Familien entstanden nicht mehr nur nach dem Mutter-Vater-Kind-Ideal. Sie hätte allerdings gern gewusst, wer die Mutter war und … wo sie war.

„Keine weiteren Fragen?“

Ihre Wangen röteten sich. „Das geht mich ja nichts an.“

„Callie war meine Schwester.“ Er holte tief Luft und wehrte sich gegen den Schmerz, den er jedes Mal wieder von neuem empfand, wenn er darauf zu sprechen kam. „Sie ist bei Daisys Geburt gestorben.“

„Oh, nein … Hunter.“ Sofort stand sie neben ihm und legte ihm leicht die Hand auf die Schulter. „Das tut mir leid.“

„Mir auch“, flüsterte er. Er würde nie den nächtlichen Anruf vergessen … oder die schrecklichen Worte. „Sie hat in Tokio gelebt und als Übersetzerin dort gearbeitet. Ich wollte zu ihr fliegen, sobald das Baby geboren war, aber …“ Er konnte plötzlich kaum schlucken. „Als das Telefon nachts schellte, wusste ich Bescheid. Der Arzt brauchte es mir nicht mehr zu sagen.“ Es tut mir leid, Mr. Phillips. Sehr leid.

„Und was ist mit Daisys Vater?“

Er hob die Schultern an. „Eine von Callies Freundinnen meinte, es könnte ein Engländer sein, der dort mit ihr zusammengearbeitet hat, aber wir wissen es nicht genau.“ Sein Lachen klang bitter. „Ihre biologische Uhr hat so laut getickt, sie konnte an nichts anderes mehr denken. Sie wollte unbedingt ein Baby vor ihrem vierzigsten Geburtstag, egal was kommen mochte. Der Vater war Callie unwichtig.“

Jeannie verstand seinen Schmerz besser, als er es sich jemals würde vorstellen können. „Der Wunsch nach Mutterschaft kann sehr stark sein, Hunter. Die meisten Frauen würden alles für ihre Kinder geben.“

Er schaute ihr in die Augen. „Sogar ihr Leben?“

„Wenn das Schicksal es so will.“

Hier geschah irgendetwas. Hunter merkte nicht immer gleich alles, aber er wusste, dass plötzlich etwas anders war. Nach außen hin sprachen sie von Callie, aber er spürte, dass Jeannie mit ihren Gedanken woanders weilte.

Ausgerechnet in dem Moment drehte Daisy ihren Teller mit dem restlichen Brei um.

„Das ist typisch meine Kleine“, sagte er, griff nach einer Serviette, um den Brei aufzuwischen. „Immer im Mittelpunkt.“

Jeannie verschwand in die Küche und kam mit einer Rolle

Papiertücher zurück. „Zum Glück gibt es diese hier. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Mutter gibt, die sie nicht zu schätzen …“ Sie brach ab und wischte den Brei von Daisys Fuß.

„Hören Sie“, sagte Hunter und hockte sich auf die Fersen. „Sie brauchen nicht erst zu überlegen, was Sie sagen. Das Leben geht weiter. Ich kenne das.“ Um ehrlich zu sein, es half ihm, über Callie zu sprechen. Bis auf die erforderlichen Behörden, was das Sorgerecht für Daisy betraf, hatte er weder mit Freunden noch mit sonst jemandem über seine Situation gesprochen und schon gar nicht über seine Gefühle.

Allerdings hatte ihn auch niemand gefragt.

„Was ist mit Ihren Eltern?“, wollte Jeannie wissen und strich mit den Fingern über die Ecke des Teppichs. „Fühlten Sie sich zu alt, um einen Säugling zu versorgen?“

Hunter spürte, wie sein Kinn sich verspannte. „Sie sind noch nicht zu alt“, fuhr er sie an.

„Entschuldigung.“ Jeannie richtete sich auf. „Es geht mich sowieso nichts an.“

„Es macht mir nichts aus, darüber zu sprechen.“

„Tatsächlich?“ Sie zog die Brauen hoch. „Sie hätten mich glatt täuschen können.“

„Es ist eine lange Geschichte.“

Jeannie warf die verbrauchten Papiertücher in den Abfalleimer hinter der Küchentür. „Ich gehe nirgendwohin.“

Es kam ihm so vor, als hätte er acht Monate darauf gewartet, dass das jemand zu ihm sagen würde. „Meine Eltern haben Daisy nur einmal gesehen. Sie waren auf dem Weg zu den Bahamas und haben Zwischenrast gemacht, um ihre Enkelin kennenzulernen.“ Der ganze Besuch hatte gut fünfzehn Minuten gedauert. Daisy, blondhaarig, blauäugig und fröhlich, war Callie wie aus dem Gesicht geschnitten. Es war mehr gewesen, als sie ertragen konnten. „Auf dem Rückweg sind sie nicht vorbeigekommen.“

„Haben sie das gewollt, oder lag das an Ihnen?“

„Sie haben es so gewollt.“

Jeannie hatte das Gefühl, sie bahne sich einen Weg durch ein Minenfeld. „Manche Leute haben feste Ansichten, wie man ein Kind großziehen soll.“

Ganz kurz schilderte er Jeannie, wie seltsam abweisend seine Eltern sich verhielten, nachdem er sie vom Tod ihrer Tochter verständigt hatte. Er hatte sie gebeten, ihn nach Tokio zu begleiten, doch sie hatten abgelehnt.

„Daisy war achtundzwanzig Stunden alt, als ich im Krankenhaus ankam.“ Die bittersüße Erinnerung zerriss ihm fast das Herz. „Ich habe sie auf den ersten Blick gehasst.“

Jeannie hielt die Luft an und strich der Kleinen unwillkürlich liebevoll übers Haar.

„Ich hätte Daisy sofort eingetauscht, wenn ich dadurch meine Schwester wiederbekommen hätte.“Von Trauer benommen hatte er sich mit einem Berg auszufüllender Formulare auseinandersetzen müssen. „Es hat drei Tage gedauert, bis ich schließlich alles geklärt hatte und Callie überführen lassen konnte. Ich war schon auf dem Weg zum Flughafen, als mir einfiel, was ich vergessen hatte – Daisy.“ Callies Tod hatte alles andere aus seinem Gedächtnis verdrängt. „Daisy lag noch auf der Kinderstation des Krankenhauses.“ Die Versuchung, einfach davonzulaufen, war groß gewesen. „Ich wollte kein Kind. Ich mochte mein Leben wie es war. Bei CV & S hatte ich einige Fortschritte gemacht und gute Aussichten auf eine steile Karriere. Aber es gab nur mich, sonst niemanden.“

Jeannie kannte Hunter kaum, konnte ihn aber gut verstehen. Zorn. Schmerz. Das furchtbare Bedürfnis jedes Detail zu rekapitulieren. Sie hatte vor nicht allzu langer Zeit etwas Ähnliches durchgemacht.

Sie setzte sich hin und stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch. Daisy spielte mit ihren bunten Plastikschlüsseln. Hunter schien sich ganz in den Erinnerungen zu verlieren.

„Daisy hat mich irgendwo zwischen Japan und Hawaii das erste Mal nass gemacht. Da wusste ich ganz genau, wir würden uns miteinander abfinden müssen.“ Seine Eltern waren in ihrer Trauer unerreichbar. Er hatte keine anderen Geschwister. „Ich habe mit dem Gedanken gespielt, ein nettes junges Paar zu suchen, das sie adoptieren würde. Ich habe sogar mit ein paar Anwälten gesprochen, die ich kannte, aber als es dann zum endgültigen Schritt kam, bin ich davor zurückgeschreckt.“ Daisy war die Tochter seiner Schwester. Callie lebte in dem hilflosen Säugling weiter, und in gewisser Weise auch er. Nur ein kaltherziger Mensch hätte ihr den Rücken zukehren können. Selbst wenn er manchmal glaubte, dass er nicht viel besser sei, hatte er das nicht übers Herz gebracht.

„Ich bin nicht direkt der geeignete Vater“,behauptete er ehrlich. „Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals eine feste Bindung eingehen würde, viel weniger ein Kind großziehen.“

„Sie haben das Richtige getan“, sagte Jeannie leise. „Sie haben auf Ihr Herz gehört.“

Der Blick, den er ihr zuwarf, war mehr als skeptisch. „Wir haben in den ersten sechs Wochen fünf Haushälterinnen gehabt …“

„Haben Sie jetzt eine Haushälterin?“

Er schüttelte den Kopf. „Die letzte ist nach Irland gegangen, um ihrer Tochter zu helfen. Was mir fehlt ist eine Leih-Ehefrau.“

„Wie schaffen Sie das nur? Ich habe für so viele Werbeagenturen gearbeitet, ich weiß, wie wenig mitfühlend man da bei familiären Problemen ist.“ Wie oft hatte sie es miterlebt, dass Babys und Kleinkinder nachlässig behandelt wurden!

„Ich schaffe es auch nicht“, gab Hunter zu. „Wenigstens in letzter Zeit nicht mehr. Daisy teilt sich seit zwei Wochen mein Büro mit mir.“

„Die Bosse müssen ja richtig begeistert sein.“

„Es wird allmählich knifflig“, gestand Hunter. „Tragbare Autositze und Wiegen passen nicht ganz in die Vorstellungswelt der Agentur. Und jetzt wo sie mich zusätzlich unter Druck setzen, weiß ich nicht, wie lange ich es noch aushalten kann.“ Von seinem Ehrgeiz, den er hatte verdrängen müssen, ganz zu schweigen.

„Was meinen Sie mit ‚unter Druck setzen‘?“ Sie winkte ihm, ihr in die Küche zu folgen, wo sie Kaffee kochen wollte.

Hunter lehnte sich gegen den Türrahmen zwischen Küche und Esszimmer, sodass er Daisy im Auge behalten und mit Jeannie reden konnte. „Grantham schickt mich ab Donnerstag auf eine viertägige Kreuzfahrt. Ich soll die Werbekampagne für die Schiffsfirma ausarbeiten.“

„Schwere Aufgabe“, sagte Jeannie und maß das Kaffeepulver ab. „Ich fühle mit Ihnen.“

Er warf ihr einen wenig begeisterten Blick zu. „Sie können das gern für mich tun, zusammen mit einem acht Monate alten Kleinkind.“

Sie stellte den Kaffeeautomaten an und schwang sich auf die Anrichte. „Kennen Sie niemanden, der für die Zeit auf Daisy aufpassen könnte?“

„Niemanden, dem ich sie so lange anvertrauen würde.“

„Freunde? Familie?“

„Meine Familie wohnt in Kalifornien, und für meine Freunde existieren Babys nur in Werbespots. Ich sitze zwischen zwei Stühlen, genau wie Grantham das gern sieht.“

Ich könnte es tun, ging es Jeannie durch den Kopf, ich hätte am Wochenende Zeit. Doch sie bemühte sich sofort, den Gedanken zu verdrängen, und räusperte sich. „Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen, aber …“ Sie ließ ihren Satz unvollendet. Gefährlicher Boden war das. Es war so lange her, dass sie sich um jemanden hatte sorgen können. Und es war das Letzte, was sie jetzt brauchte.

„Ich würde Sie auch nicht danach fragen.“ Er sagte es ganz offen und entschieden. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund fühlte es sich an wie eine Ohrfeige. „Ich bin verantwortlich für Daisy. Ich werde sie keinem Fremden aufhalsen, damit ich die Kreuzfahrt machen kann.“

Eine befangene Stille senkte sich zwischen sie.

Im Nebenzimmer kaute Daisy glücklich auf ihren Plastikschlüsseln herum.

„Ich habe noch nie ein so ausgeglichenes Baby gesehen“, bemerkte Jeannie und versuchte, die Stille zu unterbrechen. „Ist sie immer so ruhig?“

„Meistens. Man hat mir erzählt, wenn die Zähne kommen, ist das zu Ende.“

Wieder stockte ihre Unterhaltung. Das Telefon schellte, und Jeannie griff nach dem Hörer. Sicher war Hunter genauso dankbar für diese Unterbrechung wie sie.

Hunter hob Daisy aus ihrem Stuhl und ging mit ihr ins Wohnzimmer, damit Jeannie ungestört telefonieren konnte. Es war nicht seine Art, so offen mit einem Fremden zu reden. Nicht einmal seine engsten Kollegen auf der Arbeit kannten die ganze Geschichte über Callie und seine Eltern.

Wo er herkam, sprach man nicht über seine Gefühle. Er trat ans Fenster und schaute auf die von Bäumen eingesäumte Straße hinunter. Daisy gähnte und lehnte ihr Köpfchen an seine Schulter.

Jeannies Lachen drang von der Küche zu ihm herüber. Es kam ihm so vor, als erlebte er eine Szene aus einer Fernsehserie der Fünfzigerjahre. Mom kocht Kaffee. Dad entspannt sich nach dem Abendessen. Baby schläft schon.

Er hatte sich nie nach Heim und Herd gesehnt. Vielleicht, weil er als Kind das Gefühl gehabt hatte, dass diese Art von Leben seltsam leer sei.

Das Aroma des frischen Kaffees wehte zu ihm herüber. Jeannie hatte ihr Telefongespräch beendet, und er hörte sie mit Tassen und Tellern in der Küche herumhantieren. Eigentlich hatte er über Jeannie gestaunt. Er hätte sie sich in einer weniger aufwendigen Umgebung vorgestellt. Stattdessen musste er sich eingestehen, dass er ihre Wohnung sehr gemütlich fand.

Auch hatte er sich während des Essens Gedanken über ihre körperlichen Vorzüge gemacht, die Form ihrer Brüste, ihre Taille und ihr seidiges Haar bewundert. Aber ihre erotische Anziehungskraft ging noch weit darüber hinaus. Sie fühlte sich ganz offensichtlich wohl in ihrer Haut. Sie konnte freizügig geben und gehörte wohl zu jenen Frauen, bei denen ein Mann vergisst, wie kalt und einsam es auf der Welt ist.

Schade, dass sie nicht sein Typ war.

„Entschuldigen Sie, dass es so lange gedauert hat.“ Sie kam mit einem Tablett in der Hand ins Wohnzimmer. „Ich wollte mich mit meiner Freundin Kate zum Essen getroffen haben. Das war mir ganz entfallen.“

Er blickte auf seine Uhr. „Es ist noch nicht einmal acht Uhr. Wenn das so ist, können Daisy und ich uns sofort verabschieden, damit Sie …“

„Seien Sie nicht albern!“ Sie stellte das Tablett auf den Sofatisch und setzte sich auf die Couch. „Ich habe Urlaub, schon vergessen? Sechs Wochen, in denen ich nichts anderes tun kann als mich entspannen.“

Er rückte für Daisy ein paar Kissen aneinander, dann nahm er Jeannie gegenüber Platz. Sie bewegte sich lässig-elegant, als sie den Kaffee in die zwei dicken roten Tassen einschenkte.

„Ich kann Ihnen Sahne, Zucker und was ihr Herz sonst noch begehrt anbieten.“

„Schwarz.“

„Aha, sie lieben ihn pur.“ Sie reichte ihm eine Tasse und rührte sich Zucker in ihre. „Ich kann nicht auf Zucker verzichten.“

„Und ich nicht auf Pizza“, sagte Hunter und lachte. „Mit viel Käse, Zwiebeln und Peperoni. Sobald Daisy Zähne hat, werde ich ihr das erste Stück kaufen.“

Sie nippte an ihrem Kaffee. „Sie sind gern Vater, nicht wahr?“

„Ich liebe Daisy“, gestand er ihr und griff nach den Schokoladenplätzchen. „Ich bin nicht ihr Vater.“

„Sie stehen aber an der Stelle.“

„Vielleicht, doch das ändert nichts an der Tatsache, dass sie meine Nichte ist und nicht meine Tochter.“

„Für die Kleine sind Sie aber Daddy.“

„Der Gedanke erschreckt mich“, sagte er nach einer Weile. „Neuerdings fühle ich mich glücklich, wenn ich zwei passende Socken finde.“ Die Verantwortung, die er mit dem Großziehen des Kindes auf sich genommen hatte, war überwältigend. „Wer weiß? Eines Tages könnte ihr richtiger Vater vor der Tür stehen und sie zu sich holen wollen.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass das passieren sollte.“

„Wer weiß“, seufzte Hunter. „Ich habe jedenfalls aufgegeben zu raten, was die Zukunft mir bringt.“

„Wissen Sie, trotz allem können Sie sich wirklich glücklich schätzen. Aus etwas Schrecklichem ist etwas Wunderbares erwachsen. Das passiert nicht alle Tage. Es geht eher andersherum.“

Ihr Ton hatte sich leicht verändert. Er klang etwas wehmütig. Hunter überlegte, ob sie wohl tiefen Kummer kennengelernt hatte. Sie schien in seinem Alter zu sein. Es war ziemlich wahrscheinlich, dass sie in den Jahren den einen oder anderen Sturm erlebt hatte. Sie war jedoch nicht so davon gezeichnet, dass man es ihr anmerken konnte.

Daisy wachte auf, und Hunter machte ihr eine frische Windel, während Jeannie ihr eine Flasche wärmte. Sie bestand darauf, Daisy zu füttern. Hunter sah ihr zu, wie geschickt sie dem Baby die Flasche gab.

„Sie können das aber sehr gut“, lobte er. „Gehört das auch zu ihren Aufgaben im Beruf?“

„Manchmal“, antwortete sie und zog das Handtuch zurecht, das sie sich über die Schulter gelegt hatte. „Das hängt ganz von dem Auftrag ab. Ich könnte alles – angefangen von Ersatzmutter bis zum Verkehrspolizisten – sein.“

Daisy machte ein Bäuerchen, und sie mussten beide lachen.

„Was machen Sie denn in Ihren sechs freien Wochen?“, wollte Hunter wissen, während Daisy schon wieder die Augen zufielen.

„Nicht viel“, erwiderte Jeannie und seufzte. „Ich wollte auf die Bermudas fahren, aber ich habe bis jetzt noch nicht gebucht. Ich glaube, ich werde die Wohnung gründlich aufräumen und zur Abwechslung einmal lesen.“

In dem Moment kam ihm die Idee.

„Warum kommen Sie nicht mit mir mit?“

„Auf die Bermudas?“

„Irgendwohin.“

„Wie bitte?“

„Eine Kreuzfahrt mit unbestimmtem Ziel. Je mehr ich darüber nachdenke, desto vernünftiger erscheint es mir. Ich weiß nicht, warum mir das nicht eher eingefallen ist. Meine Probleme wären dann gelöst.“

„Ich kann Ihnen nicht folgen, Hunter. Fangen Sie noch einmal von vorne an.“

„Ich muss arbeiten. Sie haben Ferien. Daisy braucht jemanden, der auf sie aufpasst. Es ist doch ganz einfach.“

„Für mich nicht.“

„Es ist doch so.“ Er beugte sich vor, stützte die Ellenbogen auf die Knie und schaute ihr in die Augen. „Ich kann Daisy nicht zu Hause lassen. Sie möchten für ein paar Tage verreisen. Die Agentur hat für mich eine Zweizimmer-Kabine auf dem Kreuzfahrtenschiff, für das wir arbeiten, gebucht.“ Er lehnte sich vollkommen zufrieden zurück. „Besser kann es doch gar nicht passen.“

„Ihnen kann es nicht besser passen“, entgegnete Jeannie und stand auf. „Ich weiß zwar nicht, was für einen Handel Sie machen wollen, Hunter, aber ich weiß jetzt wenigstens, warum sie mit mir essen wollten.“ Sie sah ihn recht vorwurfsvoll an. „Danke, nein. Suchen Sie sich eine andere Babysitterin. Ich habe Urlaub.“

„Vielleicht habe ich mich nicht richtig ausgedrückt.“ Hunter suchte nach einem anderen Aspekt. „Die Werbekampagne für die ‚Star des Atlantik‘ muss vollkommen sein, oder ich bin Geschichte.“

„Wir alle haben unsere Probleme. Heutzutage ist niemand mehr sicher, ob er morgen noch seinen Job hat.“

„Stimmt“, erwiderte er und war froh, dass er wenigstens so weit gekommen war. „Es ist ja nicht das Ende der Welt, wenn man nur für seinen eigenen Kopf zu sorgen hat. Hören Sie, ich erwarte nicht, dass Sie mich verstehen, aber wenn man auch an ein Kind denken muss, ist das wirklich die Hölle.“

Jeannie spürte, wie ihre Abwehr sank. Das hatte ihr ausgerechnet noch gefehlt, dass sie sich gefühlsmäßig an Daisy oder ihren Vater binden würde. Er sah sie so herzlich bittend an, sie hätte fast vergessen, dass er ein erfahrener Werbemann war. „Natürlich verstehe ich Sie, aber ich weiß nicht, was ich davon habe.“

„Eine Kreuzfahrt“, antwortete er, und seine Begeisterung wuchs. „Sie können sich wunderbar entspannen. Neue Leute kennenlernen.“

„Werbeleute? Nein, danke.“ Sie konnte sich bildhaft vorstellen, wie die Gerüchteküche auf Hochtouren laufen und ihnen ein Verhältnis andichten würde.

„Ich bin der einzige Werbemensch“, sagte er. „Alle Kosten sind gedeckt, Jeannie. Es ist wirklich wie Urlaub.“

„Stimmt. Ein Urlaub mit einem acht Monate alten Kleinkind.“

„Ich bin auch noch da“, erinnerte er sie. „Wenn ich nicht arbeiten muss, passe ich selbstverständlich auf Daisy auf. Sie können dann tun, was Sie wollen.“ Jeannie sah gut aus. Er wollte nicht ihre ganze Freizeit in Anspruch nehmen, besonders da sie es deutlich gemacht hatte, dass er nicht ihr Typ war. „Es erwachsen keine Verpflichtungen für Sie daraus, wenn Ihnen das Sorgen macht. Ich bin abends so müde, ich würde mich nicht einmal mehr an Miss World ranmachen.“

„Danke für das Kompliment“, erwiderte sie und lächelte ein bisschen. Sie erinnerte sich an die vollbusige Blondine, die er am Morgen in der Agentur abschätzend angeschaut hatte. Kleine Brünette waren wohl nicht sein Geschmack. „Ich überlege mir ihr Angebot.“

„Mehr kann ich wohl nicht verlangen, nicht wahr?“

„Wahrscheinlich schon“, antwortete sie. „Aber ich würde es Ihnen nicht raten.“

„Sie finden, dass ich Sie bedränge, oder?“

„Sie rücken mir unangenehm nah, auch wenn Sie recht charmant sein können.“

„Das liegt am Beruf“, erwiderte er und hob seine breiten Schultern. „Bei C V & S überleben nur die, die es am besten können. Ob Sie es glauben oder nicht, ich kann unter normalen Umständen ein ganz netter Mensch sein.“

„Da muss ich mich wohl auf Ihre Worte verlassen.“

Hunter leerte seine zweite Tasse Kaffee, dann stand er auf. „Ich habe ein bisschen übertrieben“, sagte er und begann, Daisys Sachen einzusammeln. „Vergessen Sie, worum ich Sie gebeten habe. Ich greife dieser Tage nach jedem Strohhalm.“ Er stopfte die leere Flasche und die Decke in seine Reisetasche. „Ich schulde Ihnen immer noch ein Essen, so wie Sie sich heute Morgen um Daisy gekümmert haben.“

„Mich um Kinder zu kümmern, ist mein Beruf“, erwiderte sie. „Dafür brauchen Sie sich nicht zu bedanken.“

Hunter merkte, wann etwas aussichtslos war. Die Lady war nicht interessiert. Es war an der Zeit, sich zu verabschieden. Sie hob Daisy aus den Kissen und drückte sie an sich. Er beobachtete, wie sie die Kleine liebkoste, und sah den Kuss, den sie Daisy auf die Wange drückte, als sie sich unbeobachtet glaubte.

„Passen Sie auf sich auf, Jeannie“, sagte er und nahm seine Tochter an der Tür an sich.

„Sie auch, Hunter.“

Das war es dann wohl, dachte er.

3. KAPITEL

Das wäre es wohl auch gewesen, wenn da nicht die Schlüssel zurückgeblieben wären.

Ein paar Stunden später wollte Jeannie zu Bett gehen. Ehe sie das Wohnzimmer verließ, sah sie etwas unter dem Sofa hervorgucken. Daisys bunte Plastikschlüssel.

Sie lächelte, bückte sich und griff danach.

„Oh, Daisy“, sagte sie laut und rasselte mit den Schlüsseln.

„Was wirst du nur ohne dein Spielzeug machen?“

Sie schaute auf die Uhr. Kurz nach elf. Hunter mochte inzwischen schlafen. Daisy wohl auch. Morgen früh würde sie ihn als Erstes im Büro anrufen und ihm bestellen, dass Daisys Schlüssel sicher bei ihr aufgehoben wären.

Wenn sie nur Platz hätte für jedes gerettete Lieblingsspielzeug der Kleinen, die sie in den vergangenen Jahren in Obhut gehabt hatte. Stoffhunde mit Schlappohren, große Pandabären, kleine Decken, Silberrasseln und Puppen jeder Größe und Art.

Christy und Sara waren nicht anders gewesen. Wenn Jeannie die Augen zumachte, konnte sie sich den großen, alten Dinosaurier aus Frottee, den die beiden so heiß und innig geliebt hatten, vorstellen. „Nein, Mommy, nein!“, hatten sie jedes Mal geschrien, wenn sie ihnen Dino wegnehmen wollte, um ihn zu waschen.

„Er ist ja nicht lange weg“, hatte sie dann gesagt und gelacht. „Hat Daddy euch nicht …“

Sie blinzelte und zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren. Daisy und Hunters missliche Lage berührte sie tiefer, als sie sich das hätte vorstellen können. Erinnerungen aus einer lang vergessenen Zeit ihres Lebens wurden geweckt. Hunter konnte gar nicht ahnen, wie sehr seine Erzählung sie berührte. Niemand hätte das vorhersehen können. Sie hatte ihm arg zugesetzt, als er vorhin vorschlug, sie solle ihn auf seiner Kreuzfahrt begleiten. Allerdings nicht aus dem Grund, den sie ihm angegeben hatte. In Wahrheit wollte sie nichts lieber, als jegliche Vernunft vergessen und zustimmen.

Etwas sehr Seltsames war ihr passiert, als sie ihn heute Morgen zum ersten Mal gesehen hatte. Sie hatte oben auf der Leiter gesessen und auf Amanda Bennett und deren Mutter gewartet, als Hunter mit Daisy auf dem Arm aus dem Aufnahmeraum gestürmt kam. Was sie da empfunden hatte, hatte sie richtig im Herzen gespürt. Sein dunkles Haar reichte im Nacken bis auf den Kragen. Seine Krawatte hing schief. Ein großer nasser Fleck hatte sich auf seiner Hose ausgebreitet. Zweifellos war daran das bildhübsche Baby auf seinem Arm schuld.

Sie hatte den Atem angehalten. Bei der Arbeit sah sie jeden Tag hübsche Babys und gut aussehende Männer. Aber die beiden hatten etwas an sich, was sie tief in der Seele berührte. Es war ihr so vorgekommen, als erwache sie aus einem langen Schlaf.

Eigentlich spielt es keine Rolle, sagte sie sich. Kluge Frauen verreisen nicht mit fremden Männern. Hunter war unverfroren, starrsinnig und überheblich wie alle guten Werbeleute. Überhaupt nicht ihr Typ. Und doch besaß er etwas, eine gewisse Grundanständigkeit, die alles andere unwichtig erscheinen ließ. Er mochte sich nicht wie ein Vater fühlen, doch als sie gemerkt hatte, wie er sich um die Kleine sorgte, wusste sie, dass er sich wie einer benahm.

Ihr Verstand sagte ihr, dass es verrückt sei, mit Hunter zu verreisen. Er und Daisy waren acht Monate ohne sie ausgekommen. Die vier Tage auf See würden die beiden es auch noch schaffen.

Ihr Herz wollte sie jedoch zu etwas anderem bewegen.

Tu es, Jeannie. Vergiss die Vernunft und ergreif die Chance, flüsterte ihr eine leise Stimme zu.

Sie war es leid, allein zu sein … Leid, ihrem Herzklopfen nachts in der stillen Wohnung zu lauschen … Leid, darüber nachzudenken, warum das Schicksal sie verschont hatte und nicht die, die sie liebte.

Es würde ihr nicht alle Tage so eine Gelegenheit in den Schoß fallen, überlegte sie. Vielleicht sollte sie aufhören, anderen Leuten zuzuschauen, wie sie sich vergnügten, und einmal an sich selbst denken.

Am nächsten Morgen rief Hunter bei Baby Minders, Nannies-To-Go und sogar bei einer Schwester eines Basketballkameraden an, jedoch ohne Erfolg. Es wäre leichter gewesen, das Bernsteinzimmer zu finden als jemanden, der am kommenden Wochenende bei der Kreuzfahrt auf Daisy aufpassen wollte. Sobald die Damen hörten, dass er alleinstehend war, machten sie einen Rückzieher.

Daisy hatte mittags einen Termin beim Kinderarzt zur Vorsorgeuntersuchung, deshalb war es bereits nach zwei, als Hunter ins Büro zurückkehrte.

Lisa, seine Assistentin, schaute von ihrem Computer auf. „Haines hat zweimal angerufen“, berichtete sie und schob ihre modische Brille ins Haar. „Er will die Berechnungen für die Sache mit Amstar sehen.“

Hunter stöhnte und bückte sich für Lisa, damit sie Daisy aus der Trage heben konnte. „Wer will das nicht? Rufen Sie die Buchhaltung an, und prüfen Sie nach, was die wissen.“ Er wollte in sein Büro gehen.

„Jeannie Ross hat angerufen.“ Mit glänzenden Augen reichte sie ihm Daisy. „Sollte ich etwas darüber wissen?“

„Gehen Sie wieder an ihre Arbeit, Lisa.“ Er betrat sein Büro und schloss die Tür hinter sich. Es dauerte ein paar Minuten, bis er Daisy in ihren tragbaren Autositz verpackt hatte, und dann noch ein paar Minuten, ehe er Jeannie erreichte.

„Ich habe Daisys Schlüsselring“, sagte sie nach den üblichen Höflichkeitsfloskeln.

Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch. „Großartig. Ich habe die ganze Wohnung dafür auf den Kopf gestellt.“

„Wenn Sie möchten, gebe ich sie bei Ihrem Pförtner ab.“

„Ich hole sie mir nach der Arbeit“, erwiderte er und freute sich aufrichtig, ihre Stimme zu hören.

„Hören Sie“, begann sie behutsam. „Ich habe noch einmal über das nachgedacht, was Sie gestern Abend gesagt haben.“

In seinem Büro holte Hunter die Beine vom Tisch und richtete sich gerade auf. „Über die Kreuzfahrt?“

„Ja“, antwortete Jeannie. Einen Herzschlag lang herrschte Pause. „Suchen Sie noch jemanden, der auf Daisy aufpasst?“

„Mehr als je zuvor.“ Er berichtete ihr vom Besuch beim Kinderarzt und sagte, bei Daisy könne jeden Tag der erste Zahn durchstoßen.

„Halten Sie mich für verrückt“, antwortete Jeannie. „Aber Sie können mit mir rechnen.“

„Sie kommen mit?“

Ihr Lachen klang so angenehm in seinem Ohr. Leise, sexy, weiblich. Vergiss es, ermahnte er sich, sie ist nur Babysitterin und an mir nicht interessiert.

„Ich kann es selbst noch nicht glauben, aber ich komme mit.“

„Wir müssen noch über das Finanzielle sprechen. Ich will nicht, dass Sie es umsonst machen.“

„Da werden wir uns schon einig“, erwiderte sie leichthin. „Im Augenblick ist mir wichtiger, dass ich weiß, wann und wo die Reise losgeht.“

Er kramte in den Unterlagen auf seinem Schreibtisch herum und fand den Reiseplan.

„Donnerstagmorgen am Pier“, wiederholte sie seine Instruktion. „Bis dann.“

„Na, Daisy“, meinte Hunter, nachdem er aufgelegt hatte. „Es sieht ganz so aus, als würde das Leben interessanter werden.“

Jeannie war in den nächsten Tagen sehr beschäftigt. Sie musste waschen, Sachen aus der Reinigung holen und letzte Besorgungen machen. Sie hatte so viel zu tun, dass sie kaum Zeit hatte, über irgendetwas nachzudenken. Und das war wahrscheinlich gut so. Hätte sie es sich nämlich noch einmal gründlich überlegen können, wäre sie von ihrem Versprechen zurückgetreten.

Den Abend vor der Abreise schleppte sie sogar ihre Freundin Kate Mullen mit in eine Boutique ganz in der Nähe von Bloomingdales. Sie sollte ihr beim Aussuchen eines Cocktailkleides helfen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal ein Kleid gekauft hatte, nur weil es ihr gefiel. Das Erlebnis war berauschend.

„Sieh dir das an!“, sagte Jeannie und drehte sich vor dem Ankleidespiegel. „Mit Spaghettiträgern, eng in der Taille und einem weiten Rock.“

„Das Kleid ist recht auffallend“, bemerkte Kate. „Ich dachte, du wärst nicht an ihm interessiert.“

„Darf ich mir nicht ein Kleid kaufen, nur weil es gut aussieht?“

„Nicht so ein Kleid. Auf dem steht ja schon in großen Buchstaben ‚Verführ mich‘ drauf.“

Ein Schauer der Erregung lief Jeannie über den Rücken. „Ich bin nicht sein Typ, Kate. Er mag sie jung, blond und hirnlos.“

„Du sagst das nicht einfach nur, damit ich mir keine Sorgen um dich mache?“

Jeannie drehte sich erneut vor dem Spiegel. „Er war wild auf das aufgetakelte Fotomodel, das für die Windelwerbung engagiert wurde.“ Aber er hat mich zum Essen eingeladen, ging es ihr durch den Kopf. Und ich werde auch mit ihm auf Kreuzfahrt gehen.

„Du bist verrückt“, sagte Kate. „Nur ein verrückter Mensch kann so etwas machen.“

„Dann bin ich eben verrückt.“ Jeannie genoss die Vorstellung.

„Jeder hat das Recht, einmal im Leben verrückt zu sein.“

„Der Mann arbeitet in der Werbebranche“, erinnerte Kate sie. „Er lebt davon, dass er sich Lügen ausdenkt.“

„Dann ist es ja doppelt gut, dass ich nicht auf der Suche nach einem Mann bin“, meinte sie und griff nach dem Reißverschluss des Kleides.

Kate runzelte die Stirn. „Warum kaufst du dann das Kleid?“

„Weil es aus schwarzer Seide ist, viel Geld kostet und mir gefällt.“

„Hoffnung währet ewiglich“, zitierte Kate und seufzte. „Selbst für diejenigen von uns, die über dreißig sind und noch nie verheiratet waren.“

Jeannie warf ihrer Freundin einen durchdringenden Blick zu und wandte sich dann rasch ab. Wenn du nur die ganze Geschichte kennen würdest, Kate

„Mr. Phillips, ich fürchte, wir können einfach nicht länger warten.“

„Noch fünf Minuten“, bat Hunter und spähte zur Anlegestelle hinunter. „Sie wird jeden Moment hier sein.“

Der Zahlmeister, ein schlanker Mann um die fünfzig, musterte Hunter mit einem etwas geringschätzigen, aber auch mitleidsvollen Blick. „Ich werde mit dem Hafenmeister über die Verspätung sprechen. Garantieren kann ich allerdings nichts – bei den Gezeiten und so.“ Er eilte davon.

„Sie hätte uns nicht im Stich gelassen, ohne uns zu benachrichtigen nicht wahr, Daisy?“, fragte er die Kleine, die in der Trage auf seinem Rücken saß. Soviel wusste er über Jeannie Ross, dass sie genauso verantwortungsbewusst wie hübsch war – eine Seltenheit in Werbekreisen. Wenn Jeannie Ross einen Auftrag übernahm, so konnte man sicher sein, dass sie nicht nur pünktlich erschien, sondern zehn Minuten vor der Zeit da war.

In der Ferne heulte die Sirene eines Unfallwagens. Wenn ihr etwas passiert war? New York war eine raue Stadt, und sie war noch nicht so lange hier. Wenn sie sich nun entschieden hatte, etwas Verrücktes zu tun und den langen Weg durch den Central Park gewählt hatte?

Er wirbelte herum, wollte den unzugänglichen Zahlmeister suchen und ihn bitten, bei der Polizei und im Krankenhaus anzurufen. Stattdessen sah er sich plötzlich Jeannie gegenüber. Sie war bepackt mit Koffern, und eine riesige Ledertasche hing ihr über der Schulter.

„Wo zum Teufel waren Sie?“, fuhr er sie an und fühlte sich ungeheuer erleichtert. „Auf dem ganzen verdammten Schiff wird nach Ihnen gesucht.“

Sie stellte ihre Taschen hörbar laut auf Deck ab. „Kein Wunder“, entgegnete sie genauso kurz angebunden. Die Frau mochte klein sein, aber sie konnte ganz schön dreist werden. „Sie hätten mir die richtige Nummer der Anlegestelle geben sollen.“

Er ließ sich von ihrer Logik nicht beeindrucken. „Die Abfahrt ist extra Ihretwegen verschoben worden. Ich sollte dem Zahlmeister ganz schnell Bescheid sagen, dass Sie endlich da sind.“

„Machen Sie sich keine Mühe. Ich bin ihm in der Nähe der Fallreeps begegnet. Es ist alles in Ordnung.“

Sie zuckten beide zusammen, als das Schiffshorn ertönte.

„Gut, dass Sie sich gefunden haben“, bemerkte der Zahlmeister, als er mit einem Klemmbrett in der Hand an ihnen vorbeikam. „Wir haben abgelegt.“

Jeannie und Hunter musterten einander mit wachsendem Entsetzen. Für die nächsten Tage mussten sie sich miteinander abfinden. Schweigend sahen sie zu, wie der Schlepper das Schiff aufs offene Meer hinauszog.

„Warum schauen wir uns nicht nach unseren Zimmern um?“, schlug er vor, als es zu regnen anfing.

„Gute Idee“, stimmte Jeannie ihm zu. „Ich möchte gern auspacken, und Daisy kann sich vor ihrem Mittagsschlaf an ihr neues Bett gewöhnen.“

Um den Weg durch das Labyrinth an Fluren zu finden, hätten sie glatt einen Kompass und einen Führer brauchen können.

„Wir sind auf dem verkehrten Deck“, behauptete Jeannie und überprüfte ihr gelbes Ticket. „Das ist Deck B. Wir wollen aber auf C.“

„Das ist C“, widersprach Hunter ihr. „Die Wände sind grün.“

„Auf Deck B sind die Wände grün. C hat gelbe Wände.“ Sie fuchtelte ihm mit ihrem Ticket unter der Nase herum. „Sehen Sie? Beides ist farblich aufeinander abgestimmt.“

Hunter murmelte eine Verwünschung.

„Ich wünschte, Sie würden damit aufhören“, erklärte Jeannie, während sie die Treppe zu Deck C hinaufstiegen.

„Womit aufhören?“

„Irgendetwas vor sich her zu brummen. Das ist unhöflich.“

Er hielt ihr die Tür auf. „Übertreiben Sie es nicht, Ross. Wir haben noch vier Tage vor uns.“

Sie blieb im Türrahmen stehen. „Was soll das denn heißen?“

„Fragen Sie mich nicht.“

„Ich frage Sie aber. Es ist nicht meine Schuld, dass ich zu spät war. Es ist Ihre.“

Er erwiderte nichts. In Wirklichkeit brachte ihn ihre Figur in dem kurzen roten Rock und dem weißen Top zum Schwitzen. Wer hätte denn gedacht, dass eine so zierliche Frau so lange Beine haben konnte? Und wer hätte sich schon ausgemalt, dass sie das knappe Top so aufregend ausfüllen konnte?

In den vergangenen Tagen hatte er sich eingeredet, dass Jeannie Ross eine ganz alltägliche Durchschnittsfrau wäre. Er hatte es sogar schon geglaubt. Er hatte sich gesagt, ihr Haar sei von einem ganz gewöhnlichen Braun und glänze nicht seidig schwarz, ihre Augen wären einfach nur blau, würden aber nicht strahlen wie Saphire. Regentropfen schimmerten auf ihren Wangen und hingen in ihren Wimpern. Er hätte gern gewusst, was sie tun würde, wenn er sie mit der Zunge ableckte.

Sie ging vor ihm den Flur entlang. Ihre Hüften schwenkten von einer Seite zur anderen und lockten ihn mit Versprechungen, von denen sie nicht einmal etwas ahnte.

Hoffentlich ist die Kabine groß, dachte er. Mit Stahltüren zwischen den Schlafzimmern. Getrennte Badezimmer, damit er nicht ihre hauchdünnen Strumpfhosen auf der Duschkabine hängen sehen musste.

Allerdings war es durchaus möglich, dass sie keine Strumpfhose trug. Vielleicht hatte sie einen dieser mit Spitzen verzierten Miedergürtel und glatte schwarze Seidenstrümpfe an, die einen Mann …

„Daah?“ Daisy zupfte ihn kräftig am Ohr. Das war fast so wirkungsvoll wie eine kalte Dusche.

„Hier ist es.“ Jeannie blieb vor einer Tür stehen. „Haben Sie den Schlüssel?“

Er griff in seine Hemdtasche und holte den kreditkartenähnlichen Schlüssel heraus. Er steckte ihn in den vorgesehenen Schlitz, wartete einen Moment auf das grüne Licht und stieß die Tür auf.

„Ach, du je!“ Jeannies Stimme klang genauso, wie er sich fühlte.

„Wir haben ein Problem“, bemerkte Hunter.

Jeannie schaute sich um. „Das würde ich auch sagen.“

„Ich habe gestern noch einmal sichergestellt, dass wir kein … Ich meine, dass wir nicht …“ Zusammen schlafen. Warum konnte er es nicht einfach aussprechen?

„Ich weiß, was Sie meinen“, antwortete Jeannie und hob Daisy aus der Trage. „Zu dumm, dass man sich nicht an Ihre Anweisung gehalten hat.“

Die winzige Kabine war eindeutig für ein Ehepaar gedacht, das sich im biblischen Sinne bereits kannte oder kennenlernen wollte. Rauer Seegang könnte sie in sehr kompromittierende Stellungen bringen.

Er ließ sich auf einen der kleinen Sessel fallen, die neben einer noch kleineren Couch standen. „Was haben die geglaubt, wer es sich hier drinnen gemütlich machen wollte … Puppen?“

Jeannie strich mit der Hand über den kleinen Tisch, der an der Wand unter dem Bullauge befestigt war. „Wenigstens Daisy wird sich wie zu Hause fühlen.“ Sie sah Hunter fragend an. „Was machen wir jetzt? Wir können doch nicht beide hierbleiben.“

Die Kabine hatte zwei Schlafzimmer, aber sie hätten die dünne Wand dazwischen auch wegnehmen können, es hätte keinen Unterschied gemacht. Sie und Hunter würden sich ja förmlich während der ganzen Zeit auf die Füße treten.

„Ich werde mit dem Zahlmeister sprechen. Es muss ja noch etwas anderes frei sein.“

Das war aber nicht der Fall.

„Wir haben Ihnen die beste Unterkunft zur Verfügung gestellt, die wir haben“, erklärte der Zahlmeister, ohne von seinem Computer aufzusehen.

„Das habe ich schon gemerkt“, erwiderte Hunter und bemühte sich, seine Wut im Zaum zu halten. „Vielleicht könnten Sie uns zwei billige Räume nebeneinander geben.“

„Wir sind ausgebucht“, entgegnete der Zahlmeister in entschiedenem Ton. „Die Kreuzfahrt mit unbekanntem Ziel ist am beliebtesten.“

Hunter bot dem Mann einen frischen Hundert-Dollar-Schein an, aber der Zahlmeister blieb unnachgiebig. Hunter hätte ihm gern mehr geboten, hatte jedoch das vage Gefühl, der Mann ergötze sich nur an Hunters misslicher Lage.

Großartig, dachte Hunter auf dem Rückweg zur Kabine, wo Jeannie und Daisy ihn ungeduldig erwarteten. Da hatte er ihr erzählt, die Reise sei rein geschäftlich, und nun sah es ganz anders aus, bei der winzigen Kabine …

„Nichts zu machen“, sagte er, als er den Aufenthaltsraum betrat. „Ich könnte es Ihnen nicht übel nehmen, wenn Sie über Bord springen würden.“

Sie starrte ihn entsetzt an. „Soll das heißen, wir müssen in dieser schwimmenden Telefonzelle bleiben?“

„Ich fürchte ja.“

Sie sank auf den Stuhl zurück, während Daisy glücklich auf dem Boden herumkrabbelte.

„Ich bin am Ende“, gestand er ihr und blieb im Türrahmen stehen. „Ich benutze die Kabine tagsüber und schlafe nachts im Gesellschaftsraum.“

Autor

Barbara Bretton
Barbara Betton verkaufte ihr erstes Buch am Montag, dem 2. Februar 1982 als Vivian Stephens die magischen Worte aussprach, „wir wollen dein Buch kaufen“, daraufhin machte ihr Leben eine 360 Grad Wendung. Zu der Zeit war sie 31 Jahre alt nicht vertraut mit allem was das Verlagswesen und Büchergeschäft angeht....
Mehr erfahren
Charlotte Douglas
Die Autorin Charlotte Douglas wurde in Kings Mountain im Bundesstaat North Carolina geboren. Schon im Alter von drei Jahren konnte Sie lesen und steckte von da an ihre kleine Nase fast nur noch in Bücher – so war es unausweichlich, dass sie eines Tages selbst eins schreiben würde. Als Sie...
Mehr erfahren
Sara Wood
Sara Wood wurde in England geboren. An ihre Kindheit hat sie wundervolle Erinnerungen. Ihre Eltern waren zwar arm, gaben ihr jedoch das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Ihr Vater kannte seine Eltern nicht, deshalb war er so glücklich über seine eigene Familie. Die Geburtstagsfeiern, die er gestaltete, waren sensationell: Er...
Mehr erfahren