Bianca Exklusiv Band 188

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ES SOLLTE DOCH EIN ABSCHIED SEIN von MACOMBER, DEBBIE
Eine letzte Nacht will Molly in Jordans zärtlicher Umarmung verbringen. Dann soll mit der Scheidung endlich der Abschied folgen. So hat sie es sich vorgestellt - und nicht damit gerechnet, ausgerechnet jetzt schwanger zu werden! Von Jordan, der längst eine Andere hat …

MEIN BLONDER DARLING von SPENCER, CATHERINE
Die Ehe des Topmodels Gabriella mit dem Hotelier Max Logan hält gerade mal ein halbes Jahr. Ihren Eltern müssen sie aber weiterhin eine harmonische Beziehung vorspielen. Und seltsam: der Wunsch, sie wären wirklich miteinander glücklich, wird dabei immer stärker …

WENN DIESE KÜSSE EHRLICH SIND von WILSON, MARY ANNE
Der Mann, der sich als ihr Ehemann ausgibt, ist nicht Charles - das spürt die hübsche Sean sofort. Als der "echte" Charles sie vor neun Monaten wegen einer Geliebten verließ, war Sean heilfroh darüber. Aber dieser Mann, der ihm so ähnlich sieht, ist aufregend anders …


  • Erscheinungstag 07.07.2009
  • Bandnummer 188
  • ISBN / Artikelnummer 9783862955961
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

DEBBIE MACOMBER

Es sollt doch ein Abschied sein

Kurzentschlossen fliegt der Bauunternehmer Jordan Larabee nach Afrika, wo er gerade noch rechtzeitig ankommt, um seine Molly aus den Händen von Rebellen zu retten. Eng aneinander geschmiegt verbringen sie die Nacht miteinander. Dabei wollten sie eigentlich über ihre anstehende Scheidung sprechen. Ihr unerwartet inniges Wiedersehen bleibt nicht ohne Folgen …

CATHERINE SPENCER

Mein blonder Darling

Gabriellas Eltern kommen zu Besuch! Auf keinen Fall dürfen sie erfahren, dass die Ehe ihrer Tochter mit dem Multimillionär Max Logan nach nur sechs Monaten gescheitert ist. Deshalb beschließen Gabriella und Max, ihnen eine erfüllte Ehe vorzuspielen. Allerdings wird das Schauspiel für Gabriella schnell ernst: Sie spürt, dass sie Max noch immer begehrt …

MARY ANNE WILSON

Wenn diese Küsse ehrlich sind

Die hübsche Sean ist alles andere als begeistert, als nach neun Monaten Abwesenheit ihr Mann Charles vor der Tür steht. Gerade erst hat sie die Verletzung überwunden, die er ihr zugefügt hatte, als er zu seiner Geliebten zog. Doch irgendetwas ist jetzt anders an Charles. Er ist auf einmal so zärtlich und einfühlsam. Was ist vorgegangen mit diesem Mann?

1. KAPITEL

Jordan Larabee ging ungeduldig auf dem dicken Teppich vor Ian Houghtons Schreibtisch auf und ab. „Wo, zum Teufel, ist sie?“

„Ich nehme an, du meinst Molly.“ Sein Schwiegervater konnte ein richtiger Nervtöter sein, wenn er wollte, und offenbar hatte er das seit ihrem letzten Zusammentreffen zur hohen Kunst erhoben. „Ich darf dich daran erinnern, dass Molly deine Frau ist.“

„Und sie ist deine Tochter“, gab Jordan zurück. „Als sie mich verließ, ist sie zu dir gegangen.“

Ian lehnte sich entspannt in dem Ledersessel zurück und amüsierte sich sichtlich. „Meinem Wissen nach habt ihr euch einvernehmlich getrennt.“

Jordan lachte kurz auf. „Als sie wegging, war zwischen uns gar nichts mehr einvernehmlich. Wir hatten schon tagelang nicht mehr miteinander gesprochen.“

Die Kommunikation zwischen Jordan und Molly war zusammen mit ihrem sechs Monate alten Sohn gestorben. An jenem Vormittag im Herbst hatten sie mit Jeffs kleinem Sarg auch ihre Ehe begraben. Acht Monate hatten sie noch an ihrem gemeinsamen Leben festgehalten. Dann hatten Trauer und Schuldgefühle endgültig alles zerstört.

Ian stand auf, trat ans Fenster und sah ins Freie, als würde ihn der Ausblick faszinieren. Er wirkte älter, als Jordan ihn in Erinnerung hatte. „Wieso willst du das gerade jetzt wissen?“

„Es sind drei Jahre vergangen“, erinnerte Jordan ihn.

„Das ist mir auch klar.“ Ian verschränkte die Hände hinter seinem Rücken.

„Es wird Zeit, dass ich mit meinem Leben weitermache“, erklärte Jordan kühl. „Ich will die Scheidung.“

„Die Scheidung.“ Ian ließ die Schultern hängen.

„Erzähl mir nicht, dass das für dich ein Schock ist. Ich hätte sie schon vor Jahren einreichen sollen.“

Ian wandte sich von dem Fenster ab und betrachtete das Foto auf seinem Schreibtisch. Jordan kannte es gut. Es war kurz nach Jeffs Geburt aufgenommen worden. Da hatten sie noch nicht geahnt, dass ihre Freude sich bald in tiefsten Kummer verwandeln würde.

„Ich habe immer gehofft, es würde sich bei euch alles wieder einrenken“, meinte Ian traurig.

Jordan presste die Lippen aufeinander. Früher wäre eine Versöhnung möglich gewesen, aber jetzt nicht mehr. Je schneller Ian das akzeptierte, desto besser. „Ich habe eine andere kennengelernt.“

Ian nickte. „Das habe ich mir schon gedacht. Aber du kannst einem alten Mann das Wunschdenken nicht verübeln.“

„Wo ist Molly?“

„In Manukua.“

Jordan hob abrupt den Kopf. „In Afrika?“

Ian nickte. „Sie hat sich freiwillig einer kirchlichen Gruppe angeschlossen. Das Land braucht dringend Leute mit medizinischer Erfahrung, und die Arbeit als Krankenschwester dort scheint ihr geholfen zu haben.“

„Wie lange ist sie schon da?“

„Über zwei Jahre.“

„Zwei Jahre?“ Jordan ließ sich in einen Sessel sinken. Es sah Molly ähnlich, so etwas zu tun. Das Fernsehen berichtete fast jeden Abend in den Nachrichten von Aufständen, Dürre und Krankheiten, die dort herrschten.

„Ich habe alles versucht, um sie zur Heimkehr zu bewegen.“ Ian setzte sich ebenfalls. „Aber sie hört nicht auf mich.“

„Was ist los mit ihr?“

„Wahrscheinlich das Gleiche wie mit dir. Du hast dich in deine Arbeit vergraben, und sie will die Welt retten.“

„Jeder Narr weiß, dass es in Manukua nicht sicher ist.“

„Sie behauptet das Gegenteil. Zwei Wochen pro Monat arbeitet sie in einem Krankenhaus in Makua, der Hauptstadt. Die anderen zwei Wochen verbringt sie in einer Krankenstation im Hinterland.“

„Ist sie verrückt, dass sie die Hauptstadt verlässt?“ Er sprang auf.

„Ich bin völlig deiner Meinung. Jemand müsste etwas unternehmen.“ Ian griff lächelnd nach einer kubanischen Zigarre. „Meiner Meinung nach bist du der richtige Mann dafür.“

„Ich? Was kann ich denn machen?“

„Was du machen kannst?“, wiederholte Ian. „Nun, Jordan, du könntest sie holen.“

Die Abende, wenn alle in der Krankenstation schliefen und die Nacht still und kühl anbrach, liebte Molly am meisten. Sie saß auf der Veranda. Die Nachrichten aus dem Hauptquartier in Makua waren schlecht. Das waren sie stets.

An diesem Abend war es nicht anders gewesen. Es gab politischen Unruhen in der Hauptstadt, und vor einem Angriff der Rebellen wurde gewarnt. Das Hauptquartier verlangte, dass sie jederzeit zur Evakuierung bereitstanden.

Die Nacht war erfüllt von gedämpften Geräuschen von dem Wasserloch vor den Mauern der Station. Die Savanne war ein Zufluchtsort für die Wildtiere, unter denen die Dürre genauso viele Opfer gefordert hatte wie unter der einheimischen Bevölkerung.

Molly lehnte sich zurück und blickte zum Himmel, an dem die Sterne einen unbeschreiblichen Anblick boten. Allerdings hätte sie alles für eine Regenwolke gegeben.

Molly konnte nie in die Nacht hinausblicken, ohne ein wenig traurig zu werden. Irgendwo in einer Welt, die weit von ihrem jetzigen Leben entfernt war, hatte sie ihren Ehemann zurückgelassen und ihren Sohn begraben.

Sie versuchte, an keinen von beiden zu denken, um dem dumpfen Schmerz auszuweichen. Drei Jahre war sie davor weggelaufen.

Vertraute Schritte erklangen hinter ihr.

„Guten Abend“, begrüßte Molly ihren Kollegen. Dr. Richard Morton war klein, kahl und liebenswert. Er war über das Ruhestandsalter hinaus, aber er konnte nicht aufhören zu arbeiten, solange die Not so groß war. Molly war schlank und fast einen Kopf größer. Mit ihrem kurzen blonden Haar und den tiefblauen Augen erregte sie bei den afrikanischen Kindern stets Aufsehen.

„Warum schläfst du nicht?“, fragte sie ihren Freund.

„Weiß nicht.“ Der Arzt setzte sich neben sie. „Es liegt etwas in der Luft. Ich habe das im Gefühl.“

„Meinst du, wir sollten von hier verschwinden?“

Richard strich sich über das Gesicht. „Ich weiß es nicht, aber diesmal steckt mehr hinter den Warnungen.“

In der letzten Woche hatten sie wegen einer Grippeepidemie manchmal achtzehn Stunden am Tag gearbeitet. Molly suchte nach einer plausiblen Erklärung für seine Bedenken. „Du bist übermüdet.“

„Das sind wir beide.“ Richard tätschelte ihre Hand. „Geh schlafen. Morgen reden wir weiter.“

Molly folgte seinem Rat, machte aber noch einen Umweg durch die Kinderstation. Die diensthabende Schwester lächelte ihr zu, während sie sich davon überzeugte, dass jedes Kind atmete. Seit dem Krippentod ihres Sohnes verließ die Angst sie nie, dass ein Kind auf diese Weise sterben könnte.

Sobald sie sich davon überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, ging sie in ihr kleines Zimmer, ohne das Licht einzuschalten. Sie zog sich aus und glitt zwischen die kühlen Laken, schloss die Augen und träumte davon, Jeff wäre noch am Leben.

„Tut mir leid, dass ich zu spät komme.“ Jordan küsste Lesley auf die Wange und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. Bei jedem Zusammentreffen mit der erfolgreichen Architektin war er von ihrem Charme und ihrer Schönheit beeindruckt. Er griff nach der Speisekarte und traf rasch seine Wahl.

„Spann mich nicht auf die Folter“, bat Lesley. „Wie lief das Treffen mit Ian?“

Jordan fand es peinlich, über seine Ehefrau mit der Frau zu sprechen, die er heiraten wollte. „Gut.“ Er studierte die Weinkarte.

„Du willst nicht darüber sprechen?“

„Nicht besonders gern.“

„Na schön, ich verstehe das.“ Trotz ihrer Enttäuschung verfolgte sie dieses Thema nicht weiter.

Im letzten Jahr hatten sie gemeinsam an einem großen Bauprojekt auf der East Side von Chicago gearbeitet. Sie war die Architektin, er der Bauunternehmer. Der Himmel wusste, dass er keine neue Beziehung gesucht hatte. Es stimmte, wenn Ian behauptete, er habe sich nach Jeffs Tod in Arbeit vergraben.

„Es ist schwierig für dich“, sagte Lesley mit ihrer sanften Stimme. „Aber du musst auch verstehen, in was für eine unangenehme Situation mich das bringt. Ich treffe mich mit einem verheirateten Mann.“

„Ich verstehe das.“

„Ich will dich allerdings auch nicht zu einer Scheidung zwingen.“

„Diese Ehe ist längst tot.“

„Das hast du mir auch am Anfang gesagt“, erinnerte sie ihn. „Wir sehen uns aber nun schon seit sechs Monaten, und in dieser Zeit hast du kein einziges Mal erwähnt, dass du dich von Molly scheiden lässt.“ Es klang wie ein leichter Vorwurf.

„Ich hätte die Scheidung schon vor Jahren einreichen sollen.“

„Du hast es nicht getan. Weißt du auch, warum?“

„Ich war zu beschäftigt. Außerdem habe ich angenommen, dass Molly das machen wird.“

„Sie hat aber die Scheidung auch nicht eingereicht“, zeigte Lesley auf. „Hast du einmal darüber nachgedacht?“

Er nickte, gab dem Kellner einen Wink, bestellte und hoffte, Lesley würde das Thema Scheidung fallen lassen.

„Du liebst sie noch immer, nicht wahr?“ Sie wurde selten zornig auf ihn, anders als Molly. Lesley war verhalten und sehr besorgt, aber ihre Methoden wirkten Wunder bei ihm. „Das ist völlig verständlich.“

„Dass ich Molly liebe?“

„Ja. Ihr beide habt eine Tragödie erlitten.“

Er spürte einen schmerzlichen Stich in der Brust. „Sie gab sich selbst die Schuld.“ Er umspannte das Weinglas fester als nötig. „Sie meinte, mit ihrer medizinischen Ausbildung hätte sie ihn retten müssen.“

Er hatte Molly damals immer widersprochen. Als er an jenem Tag das Haus verließ, hatten Molly und Jeff noch geschlafen. Jeff war unruhig und schrie einmal, aber es war sehr früh. Molly dachte, sie könnte noch eine Weile schlafen, und ignorierte den einzelnen Schrei. Es war der letzte Laut, den ihr Sohn von sich gegeben hatte. Als Molly eine Stunde später erwachte, war Jeff tot.

Jordan wollte nie wieder einen solchen Schmerz riskieren. Lesley wünschte sich auch keine Kinder. Sie waren wie füreinander geschaffen.

„Ich möchte dich mit diesen unangenehmen Fragen nicht unter Druck setzen“, fuhr Lesley sanft und besorgt fort.

„Das tust du nicht.“

Der Kellner brachte den Salat. Lesley erahnte Jordans Stimmung und ließ ihn in Ruhe.

Irgendwann im Verlauf des Abends musste er ihr eröffnen, dass er zu Molly nach Manukua reisen würde. Es war keine leichte Aufgabe.

„Molly ist in Manukua“, erklärte er ohne Einleitung.

„Manukua!“, stieß sie hervor. „Um Himmels willen, was macht sie denn dort?“

„Sie hat sich freiwillig einem Hilfstrupp angeschlossen.“

„Ist ihr nicht klar, wie gefährlich das ist?“ Lesley griff nach ihrem Weinglas.

„Ich hole sie.“

„Du!“ Sie riss die Augen auf. „Jordan, das ist unsinnig! Wieso ausgerechnet du? Wenn sie in Gefahr ist, muss man das Außenministerium verständigen.“

„Ian ist in den letzten drei Jahren beträchtlich gealtert. Seine Gesundheit ist für eine so anstrengende Reise zu angegriffen. Aber es muss bald etwas unternommen werden, bevor Molly etwas passiert.“

„Es könnte doch sicher jemand anderer reisen.“

„Molly würde auf keinen anderen hören.“

„Was ist mit den nötigen Papieren? Lieber Himmel, niemand kommt im Moment nach Manukua hinein oder aus Manukua heraus! Die Zeitungen schreiben, dass es jederzeit zu einer Katastrophe kommen kann.“

„Ian arrangiert alles für mich. Eigentlich wollte er gegen den Rat der Ärzte selbst fahren. Lesley, ich möchte nicht gern verreisen. Wenn ich mir schon eine Woche freinehme, wäre Manukua der letzte Ort, den ich mir für eine Reise aussuchen würde.“

„Ich verstehe schon, Jordan.“ Sie tastete nach seiner Hand. „Du musst das tun. Wann reist du ab?“ Ihre Stimme bebte leicht.

„Anfang der Woche.“

„So bald?“

„Je schneller, desto besser, meinst du nicht auch?“

Sie nickte und senkte den Blick. „Versprich mir nur eines.“

„Was du willst.“

„Sei bitte vorsichtig, denn ich liebe dich, Jordan Larabee.“

Molly erwachte von fernen Schüssen, setzte sich im Bett auf und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Sie schlug die dünne Decke zurück, stieg aus dem Bett und zog sich rasch an.

Die Morgendämmerung war angebrochen. Menschen liefen planlos durcheinander.

„Was ist los?“ Sie hielt einen Pfleger fest.

Er starrte sie mit großen Augen an. „Die Rebellen kommen! Sie müssen weg! Sofort!“

„Haben Sie Dr. Morton gesehen?“

Er schüttelte heftig den Kopf, riss sich los und lief zu den geparkten Fahrzeugen.

„Richard!“, rief Molly. Sie konnte nicht ohne ihren Freund fort. Er war auf der anderen Seite der Station untergebracht, aber es war nahezu unmöglich, den freien Platz zu überqueren. Menschen schrien in zahlreichen Sprachen durcheinander.

„Molly! Molly!“

Sie wirbelte herum und entdeckte Richard Morton, der hektisch in der Menge nach ihr suchte.

„Hier!“, schrie sie und winkte. Sie musste sich den Weg zu ihm erkämpfen. Für einen Moment klammerten sie sich aneinander.

„Wir müssen sofort weg. Mwanda hat einen Lastwagen für uns.“

Molly nickte und packte Richards Hand. „Was ist mit den Kranken?“, drängte sie. Richard war links von ihr, der fast zwei Meter große Mwanda rechts.

„Wir kümmern uns um sie“, versprach Mwanda. „Aber zuerst müssen Sie fort.“

Richard und Molly wurden im wahrsten Sinn des Wortes auf die Ladefläche des Lastwagens geworfen. Sie drückten sich in eine Ecke und warteten auf die Abfahrt, obwohl der Himmel allein wusste, was unterwegs auf sie wartete.

Der Motor sprang dröhnend an. Ein hochgewachsener hagerer Junge lief auf den Lastwagen zu und rief hastig etwas in seiner Muttersprache. Molly hatte in den letzten zwei Jahren so viel gelernt, dass sie von Angst gepackt wurde, als sie die Worte halbwegs übersetzte.

Sie sah Dr. Morton an. Offenbar hatte auch er die Nachricht verstanden.

Sie konnten jetzt nicht fort. Es war zu spät. Überall schwärmten hasserfüllte und rachedurstige Rebellentruppen herum. Viele Unschuldige waren bereits ermordet worden.

Richard und Molly waren in der Krankenstation gefangen.

Mwanda schaltete den Motor ab und kletterte aus dem Lastwagen. Er blickte starr vor sich hin, als er den beiden beim Aussteigen half.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Molly.

Richard zuckte die Schultern. „Warten.“

Worauf, fragte sie sich. Auf den Tod? Sollten sie darum beten, dass er gnädig kam? Sie wagte nicht, sich vorzustellen, was mit ihr als Frau passierte, wenn sie in Gefangenschaft geriet.

Überraschenderweise hatte sie keine Angst. Stattdessen empfand sie eine unglaubliche Ruhe. Falls die Rebellen die Station stürmten, würde sie nicht in einer Ecke kauern, sondern ihrer täglichen Arbeit nachgehen und ihren Patienten helfen.

„Ich werde meine Runde machen.“ Richards Stimme schwankte leicht.

„Ich begleite dich“, entschied sie.

Mwanda zuckte resigniert die Schultern und entfernte sich. „Ich gehe in die Küche zurück“, verkündete er mit einem tapferen Lächeln.

Die Schüsse kamen allmählich näher. Der Funkkontakt mit Makua war zusammengebrochen, sodass sie nicht wussten, was in der Hauptstadt vor sich ging. Womöglich war bereits das ganze Land gefallen.

Nichts zu wissen, war am schlimmsten. Etliche Patienten verließen die Station und versuchten, ihre Familien zu erreichen. Richard kümmerte sich um die Kranken, die nicht fliehen konnten. Einige Leute wollten Molly und Richard überreden, mit ihnen zu gehen, doch die beiden lehnten ab. Sie gehörten hierher.

Minuten später stellte Molly betroffen fest, dass nur noch eine Handvoll Einheimischer hier war. Molly betete für ihre Sicherheit, doch niemand konnte vorhersagen, wie lange sie hinter den Mauern der Station geschützt waren.

Sie hörte einen Hubschrauber über der Krankenstation. Er kreiste, trug jedoch keine Markierungen, sodass man nicht feststellen konnte, ob es sich um Freund oder Feind handelte.

Der Helikopter ging langsam tiefer. Der Lärm war ohrenbetäubend, und der Wind wirbelte eine dicke rote Staubschicht auf, bis fast nichts mehr zu sehen war.

Molly erhaschte einen Blick auf Soldaten, die in voller Kampfausrüstung aus dem Hubschrauber sprangen. Vermutlich Guerillas.

Sie blieb in dem mittlerweile leeren Krankensaal der Kinderstation. Die Tür flog auf. Vor ihr stand ein Soldat mit einer Maschinenpistole. Der Guerilla stockte, als er sie sah, und rief etwas über seine Schulter zurück. Sie wappnete sich.

Fast im selben Moment stürmte ein anderer Mann in den Raum und riss in seiner Eile fast die Tür aus den Angeln. Molly hielt sich an einem der Kinderbetten fest und blickte in haselnussbraune Augen, die ihr unglaublich bekannt waren.

„Jordan?“, flüsterte sie. „Was machst du hier?“

2. KAPITEL

„Wir verschwinden auf der Stelle von hier!“ Jordan hatte aus der Luft gesehen, dass die Rebellen höchstens noch fünf Kilometer von der Krankenstation entfernt waren und rasch vorankamen. Sie konnten jeden Moment auftauchen.

„Was ist mit Richard?“, rief Molly.

„Wer ist das?“ Jordan packte sie am Arm und zerrte sie zur Tür. Zane und die Männer, die der mit ihm befreundete Söldner angeheuert hatte, umringten mit schussbereiten Maschinenpistolen den Hubschrauber.

„Dr. Morton!“ Molly schrie, um sich über dem Pfeifen der Rotorblätter verständlich zu machen. „Ich kann ohne Richard nicht weg.“

„Wir haben keine Zeit mehr“, widersprach Jordan.

Sie riss sich überraschend kraftvoll los und sah ihn zornig an. „Ich gehe nicht ohne ihn.“

„Verdammt schlechter Zeitpunkt, um sich wegen deines Geliebten Sorgen zumachen, meinst du nicht?“, fauchte Jordan wütend.

„Ich hole ihn.“ Sie schob sich an ihrem Mann vorbei, bevor er sie zurückhalten konnte.

Außerhalb der Station ertönte ein bedrohliches Rattern. Jordans Erfahrungen lagen auf dem Gebiet des Baus von Apartmenthochhäusern und Bürogebäuden. Mit Guerillakriegen hatte er eindeutig nichts zu schaffen. Genau aus diesem Grund hatte er sich mit Zane Halquist in Verbindung gesetzt.

„Molly!“, schrie er. „Es ist keine Zeit mehr!“

Sie konnte oder wollte ihn nicht hören. Er hätte ohne sie starten sollen. Diese Frau war noch sein Untergang. Er hatte sich nie für einen Feigling gehalten, fühlte sich jetzt aber ganz sicher wie einer.

Eine Explosion erschütterte den Boden. Jordan taumelte ein paar Schritte, bevor er sich fing. Er schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu klären. Es half nichts.

Zane schrie ihm etwas zu, aber es dröhnte so in seinen Ohren, dass er es nicht verstand. Er winkte, um Zane das klarzumachen, doch das war nicht mehr nötig. Der Mann, dem er vertrauensvoll ein paar Tausend Dollar übergeben hatte, rannte mit zwei oder drei der Soldaten zum Helikopter.

Jordans Herz hämmerte schwer, als er begriff, was da geschah. Sie ließen ihn, Molly und etliche Söldner zurück. Er fluchte ausgiebig, als er Molly auf der anderen Seite der Anlage mit einem älteren Mann sah. Sie hielt die Hand zum Schutz gegen den Staub vor die Augen und stand wie erstarrt da, während der Hubschrauber abhob.

Der Mann, der Molly im Krankensaal entdeckt hatte, packte Jordan am Arm. „Nehmen Sie die Frau und verstecken Sie sich!“, befahl er rau.

„Ich helfe euch“, widersprach Jordan.

„Verstecken Sie zuerst die Frau!“

Jordan nickte und rannte auf Molly zu, die ihm entgegenkam. Er fing sie auf, als sie stolperte. Sie klammerte sich an ihn, und er schob seine Finger in ihr Haar und presste sie an sich.

Er war noch nie in seinem Leben auf jemanden so wütend gewesen. Gleichzeitig war er so dankbar, dass sie lebte, dass ihm beinahe die Tränen gekommen wären.

„Wo kann ich dich verstecken?“

Sie blickte verstört zu ihm hoch. „Ich … ich weiß es nicht. Im Vorratsgebäude, aber sehen sie da nicht zuerst nach?“

Das stimmte. „Gibt es keinen Keller?“

„Nein.“

„Dann bringe ich dich und Dr. Morton ins Vorratsgebäude.“

„Was ist mit dir?“ Sie klammerte sich an ihn, als wäre er ihr Rettungsanker.

„Ich komme später nach.“

Sie legte die Hände an seine Wangen und sah ihn durch Tränen hindurch an. „Sei vorsichtig! Bitte, sei vorsichtig!“

Er nickte. Er hatte nicht die Absicht, sein Leben zu opfern. Hand in Hand liefen sie zum Vorratsgebäude. Die Männer kümmerten sich um Dr. Morton und brachten den Arzt in ein anderes Versteck.

Die Hütte für die Vorräte war verschlossen, aber Molly hatte den Schlüssel. Jordan fragte sich, welchen Schutz das heruntergekommene Gebäude bot. Wenn die Rebellen auf das Gebiet der Station vordrangen, musste er Molly verteidigen.

„Versteck dich!“, befahl er. „Ich hole dich so schnell wie möglich.“

Sie war blass und verängstigt. Er sah wahrscheinlich nicht viel besser aus. Als er sie verließ, war sein letzter Gedanke, dass jeder, der Molly etwas antun wollte, zuerst ihn umbringen musste.

Entsetzen packte Molly bei jedem Feuerstoß aus den automatischen Waffen. Sie kauerte in einer Ecke, drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand und zog die Knie bis unter das Kinn an. Die Hände presste sie gegen die Ohren und nagte an ihrer Unterlippe, bis sie Blut schmeckte. Es war dunkel im Raum. Nur unter der Tür schimmerte ein Lichtstreifen.

Jemand lief an dem Vorratsgebäude vorbei. Molly hielt den Atem an aus Angst, die Rebellen wären bereits eingedrungen. Das Schlimmste war das Alleinsein. Sie hätte bei Weitem nicht so viel Angst gehabt, wäre Dr. Morton bei ihr gewesen. Oder Jordan.

Nichts hätte ihr einen größeren Schock versetzen können als ihr Ehemann, der mit einem Gewehr in den Krankensaal stürmte, gekleidet, als würde er den Special Forces angehören.

Es wäre ihr lieber gewesen, er wäre in Chicago geblieben. Er war wütend auf sie. Es war nicht immer so gewesen. Am Beginn ihrer Ehe waren sie so ineinander verliebt gewesen, dass nichts sie trennen konnte.

Der Tod hatte es geschafft.

Molly hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als die Tür aufflog. Voll Panik starrte sie in die Helligkeit und entspannte sich, als sie Jordan erkannte.

„Was ist los?“, rief sie ängstlich.

„Der Teufel soll mich holen, wenn ich das weiß.“ Er zog die Tür hart hinter sich zu. Es wurde wieder dunkel im Raum, bis Jordan ein Streichholz anriss. Er lehnte das Gewehr an die Wand und sank schwer atmend neben ihr auf den Lehmboden. „Wie ich Zane kenne, wird er alles tun, um uns zu holen, aber dafür gibt es keine Garantie.“

„Wer ist Zane?“

„Ein alter Freund, den du nicht kennst. Wir haben uns vor Jahren beim Militär kennengelernt.“

Sie fühlte den Druck seiner Schulter, und Entsetzen und Einsamkeit schwanden. „Was ist mit den Rebellen?“

„Zane und die anderen konnten sie offenbar aufhalten. Im Moment ist es ruhig, aber ich rechne nicht damit, dass es lange so bleibt.“

„Was machst du hier in Manukua?“ Die Frage lag ihr auf der Zunge, seit er in die Krankenstation gestürmt war.

„Jemand musste dich von hier wegholen. Ian ist krank vor Sorge. Sollte dir etwas zustoßen, würde er das nie verwinden.“

„Ich habe ganz sicher nicht damit gerechnet, dass es hier so schlimm kommt“, fauchte sie abwehrend.

„Du hättest dich nicht unbedingt für Manukua melden müssen“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Warum warst du nicht damit zufrieden, Schulkindern etwas zu verschreiben? Aber nein, das wäre ja zu einfach gewesen. Du musstest dir natürlich den gefährlichsten Unruheherd der Welt aussuchen.“

Drei Jahre waren sie getrennt gewesen, und nach fünf Minuten stritten sie bereits wieder. Es schmerzte. „Tut mir leid, dass du hineingezogen wurdest.“ Ihre Stimme klang erstickt.

„Es ist nicht deine Schuld, dass ich hier bin. Ich habe mich freiwillig angeboten.“ Auch er war nicht mehr wütend.

„Wie … wie ist es dir ergangen?“, fragte sie leise.

„Ich hatte viel zu tun.“

„Arbeitest du immer noch zwölf Stunden am Tag?“

„Ja.“

Das hatte sie sich gedacht. Jordan hatte sich nie erlaubt, offen um Jeff zu trauern. Er hatte sich in seiner Arbeit vergraben und sich gegen sie und das Leben abgeschottet. Nach dem Begräbnis war sie immer lethargischer geworden, während er die Geschäftswelt im Sturm eroberte. Innerhalb von acht Monaten war er Chicagos ‚Golden Boy‘ geworden und hatte seine Finger in drei gewaltigen Bauprojekten stecken. Sie dagegen hatte kaum mehr die Energie gefunden, um morgens aus dem Bett zu steigen.

Ein Schuss krachte, als wäre eine Kanone abgefeuert worden. Molly zuckte zusammen.

„Entspann dich“, sagte Jordan. „Alles unter Kontrolle.“

Er konnte das zwar nicht wissen, aber sie war ihm dankbar dafür, dass er sie beruhigte. „Ich komme mir so albern vor“, gestand sie und presste die Stirn gegen die Knie.

Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie fest an sich. Es war schwer zu begreifen, wie zwei Menschen, die einander so geliebt hatten, sich dermaßen entfremden konnten.

Die Worte blieben ihr fast im Hals stecken. „Falls … falls es zum Schlimmsten kommt, sollst du wissen, dass ich dich immer lieben werde, Jordan.“

Er verhielt sich eine Weile so still, als wüsste er nicht, was er mit ihrem Geständnis anfangen sollte. „Ich habe versucht, dich nicht zu lieben“, räumte er widerstrebend ein. „Aber irgendwie ist es mir nicht ganz gelungen.“

Wieder krachte ein Schuss, und Molly presste sich instinktiv fester an Jordan. Sie drückte ihr Gesicht an seinen Hals und fühlte seine Wärme. Er sagte nichts, aber er hielt sie im Arm und streichelte sanft ihren Rücken.

Es war lange her, dass sie in den Armen ihres Mannes gelegen und sich geliebt und beschützt gefühlt hatte. Vielleicht kam diese Gelegenheit nie wieder. Tränen stiegen ihr in die Augen und liefen über ihre Wangen.

„Molly, nicht weinen. Es kommt alles in Ordnung, das verspreche ich dir.“

„Ich mache mir keine Sorgen“, log sie. „Du bist hier, und du hast immer gern den Helden gespielt.“

Er strich sanft und beruhigend das Haar von ihrer Schläfe zurück. Sie wollte ihm dafür danken, dass er bei ihr war, fand jedoch keine Worte.

Es erschien ihr ganz natürlich, ihn auf den Hals zu küssen und mit der Zungenspitze über seine Haut zu streichen. Er spannte sich an, hielt sie jedoch nicht zurück und ermutigte sie auch nicht.

Unter ihrer Hand fühlte sie seinen kräftigen Herzschlag, der sich beschleunigte, als sie behutsam an seinem kraftvollen Hals saugte.

„Molly“, warnte er heiser und packte sie an den Armen, als wollte er sie von sich schieben. Nach Jeffs Tod hatte er das oft genug getan, als wäre sein Verlangen nach ihr mit seinem Sohn gestorben.

„Tut mir leid“, flüsterte sie, aber bevor sie noch etwas sagen konnte, presste er seinen Mund auf ihre Lippen. Sein Kuss war so heftig, dass ihr der Atem stockte und sie die Nägel in seine Schultern grub.

Es war verrückt, dass sie beide sich jetzt auf so etwas einließen, doch Molly stöhnte hingebungsvoll auf. Sie erwiderte seine Küsse mit einer Leidenschaft, die sie sich drei Jahre lang verwehrt hatte.

Er streichelte ihre Brüste so leicht, als habe er Angst davor, ihren Körper zu genießen. Ihre Brustspitzen pulsierten unter seinen Berührungen. In diesem Moment brauchte sie ihn, wie sie noch nie jemanden gebraucht hatte. Hastig öffnete sie ihre Bluse und streifte sie von den Schultern. Er half ihr, den BH auszuziehen, und umspannte ihre Brüste mit den Händen.

„Molly …“

„Liebe mich“, flehte sie leise. „Ein letztes Mal … Ich brauche dich so sehr.“

Er senkte begierig seinen Mund auf ihre Brustspitze. Molly bäumte sich in einer Mischung aus Lust und Schmerz auf, während er ihre Brüste verwöhnte.

„Verrückt.“ Er seufzte, hörte jedoch nicht auf.

„Die Welt ist verrückt.“ Sie zog sich vollständig aus.

Er fasste tiefer, streichelte ihren Bauch und erreichte die weichen Haare zwischen ihren Schenkeln. Die Jahre der Trennung schienen zu verschwinden. Jeder kannte den Körper des anderen und nutzte dieses Wissen, um das Verlangen hochzutreiben.

Im Sitzen hob er sie über sich und ließ sie langsam auf sich sinken. Er grub seine Hände in ihre Hüften, als sie ihn in ihrer Wärme aufnahm.

Es war lange her, dass sie sich zuletzt geliebt hatten. Ein Schluchzen blieb in ihrer Brust stecken, während Jordan den Rhythmus ihrer Liebe bestimmte.

Sekunden atmete er heftig, als würde er um Selbstbeherrschung ringen. Sie ließ ihre Hüften kreisen und quälte ihn auf die gleiche Weise wie er sie. Er legte seine Hände an ihren Po, kontrollierte ihre Stöße, bestimmte das Tempo und steigerte es.

Sie waren von Gefahr umgeben, und der Tod drohte, doch Molly konnte an nichts anderes denken als an ihre Liebe und das gemeinsame Verlangen.

Sie schrie auf, sobald sie den Höhepunkt erreichte. Jordan erstickte den Laut, indem er ihren Mund mit seinen Lippen verschloss. Lust breitete sich in ihr aus, während Tränen über ihr Gesicht liefen.

Mit einem heftigen Stoß erreichte er seinen Höhepunkt. Bebend klammerten sie sich aneinander. Molly schluchzte leise an seiner Schulter, und er hielt sie in seinen Armen.

Sie sprachen nicht. Das war auch nicht nötig. Worte waren in diesem Moment überflüssig. Er küsste sie, jetzt nicht leidenschaftlich, sondern dankbar. Sie erwiderte seine Küsse mit der gleichen tief empfundenen Dankbarkeit.

Er half ihr beim Anziehen und hielt sie hinterher noch eine Weile fest. Nur zögernd gab er sie frei. „Ich muss weg.“

„Wohin?“ Sie wollte nicht, dass er ging.

„Ich komme so schnell wie möglich wieder“, versprach er und küsste sie. „Vertrau mir, Molly. Ich will dich nicht verlassen, aber ich bin schon länger geblieben, als ich sollte.“

„Ich verstehe.“ Erfolglos versuchte sie, ihre Panik zu verbergen.

Er streichelte ihre Wange. „Ich bleibe bestimmt nicht lange weg.“

Sobald sie allein war, schloss sie die Augen und betete für ihren Mann. Sie hatte das Gefühl für Zeit verloren und wusste nicht, ob es Nachmittag oder Abend war. Das Licht unter der Tür schimmerte schwächer, doch das konnte auch Einbildung sein.

Jordan kam Stunden später mit Decken und Lebensmitteln. Obwohl sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte, war Molly nicht hungrig. Nur weil er darauf bestand, aß sie die Notration.

Er schlang seine Portion dagegen mit Heißhunger hinunter.

„Was geht da draußen vor sich?“, fragte sie.

„Im Moment ist alles ruhig.“

„Was ist mit Dr. Morton?“

„Er ist in Sicherheit und hat nach dir gefragt.“ Jordan breitete eine Decke auf dem Lehmboden aus. „Versuch zu schlafen. Hier.“ Er schlang den Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich.

Nach den höllischen Kämpfen des Tages war die Nacht friedlich. Zum ersten Mal, seit sie sich geliebt hatten, fühlte Molly sich sicher und beschützt. Solange sie in seinen Armen lag, spielte es keine Rolle, was passierte.

Ihre Brüste berührten seine Brust, und er hielt den Atem an. Sekunden verstrichen, ehe er wieder Luft holte.

Er küsste sie sanft und forschend, dann noch einmal, und jeder Kuss dauerte länger und wurde heftiger. Mit den Lippen strich er über die Wange an ihr Ohr, nahm das Ohrläppchen zwischen die Zähne und saugte behutsam daran. Sie rang unter dem Prickeln auf ihrem Rücken nach Luft.

Er lachte leise. „Ich wollte wissen, ob sich das geändert hat.“

„Das Spiel können zwei spielen.“ Sie kletterte auf seinen Schoß, schlang die Arme um seinen Nacken, drückte Küsse unter sein Kinn und reizte ihn mit der Zunge. Sie brauchte kein Licht, um die Auswirkung auf ihn zu erkennen. Jordan konnte sein wachsendes Verlangen nicht verbergen.

Jetzt küsste er sie, als würde er vor Sehnsucht nach ihr vergehen, eroberte mit der Zunge ihren Mund und schlang die Arme um ihre Taille und ihren Rücken. Es war, als wollte er sie nie mehr loslassen.

Sie kam ihm mit gleichem Verlangen entgegen. Die gemeinsame Leidenschaft drohte, sie beide zu verzehren. Vor wenigen Stunden hatten sie Befriedigung gefunden, doch das reichte nicht, um die Dürrezeit der Trennung auszulöschen.

Ihr gegenseitiges Verlangen ließ ihnen keine Zeit. Wie schon beim ersten Mal, fand Molly auch jetzt ihre Befreiung zuerst und presste ihr Gesicht gegen seinen Hals. Kurz darauf erschauerte Jordan. Sie bewegte sich rhythmisch an ihm, während sie ihn zur Ekstase trieb und ihren eigenen Genuss verlängerte.

Sie wusste nicht, wie viel Zeit verstrich, bis sie wieder normal atmen konnte.

„Unglaublich“, flüsterte Jordan zwischen sanften Küssen.

„Wer hätte gedacht, dass wir den unglaublichsten Sex unseres Lebens in einer Vorratshütte in Afrika finden würden?“ Wären jetzt Soldaten hereingestürmt und hätten sie niedergeschossen, wäre sie als glückliche Frau gestorben. Vermutlich hätte keiner von ihnen die Kraft gefunden, sich zu wehren.

„Weißt du was?“ Sie gähnte laut. „Mir ist soeben klar geworden, dass ich aus diesem Schlamassel lebend herauskommen möchte.“

„Das möchte ich auch“, versicherte er. „Kannst du jetzt schlafen?“

Sie nickte. „Was ist mit dir?“

„Ich werde später schlafen. Ich habe gleich die zweite Wache. Morgen früh sehen wir weiter.“

An ihn geschmiegt, schlief sie ein. Irgendwann fühlte sie, wie Jordan sie verließ. Er gab ihr einen sanften Kuss, ehe er aus der Hütte ging. Bis zu seiner Rückkehr bekam sie nichts mit. Er schob sich unter die Decke, streckte sich neben ihr aus und zog sie an sich, legte den Arm um sie und umschloss ihre Brust mit seiner Hand.

Mit einem Seufzer entspannte er sich, und sie lächelte vor sich hin. Es war fast so, als hätte es die letzten drei Jahre nicht gegeben, als wären sie wieder jung und verliebt … als wäre Jeff nicht gestorben.

Molly erwachte von nahen Schüssen. Es klang, als wäre ein Krieg direkt vor der Tür ausgebrochen.

Jordan schnellte hoch und griff nach seiner Waffe. „Bleib hier!“, befahl er und war fort, ehe sie protestieren konnte.

Sie hatte kaum Zeit, ihre Gedanken zu sammeln, als die Tür der Hütte wieder aufflog.

„Los!“, rief Jordan und streckte ihr die Hand entgegen. „Zane kommt, und diesmal fliegen wir mit dem Hubschrauber mit.“

Sie war so erleichtert, dass sie Jordans Freund hätte küssen können. Er kam zurück! Im Freien hörte sie den Hubschrauber deutlicher. Staub wirbelte ihr entgegen. Sie schützte ihre Augen, so gut es ging, bückte sich und lief zusammen mit Jordan los.

Dr. Morton kletterte erschöpft hinter ihr in den Helikopter. Er lächelte ihr schwach zu und tätschelte ihre Hand, während er sich in der Maschine nach hinten schob. Molly wartete auf Jordan, aber er kam nicht mit den Soldaten an Bord.

„Wo ist mein Mann?“, fragte sie.

„Er kommt schon. Keine Sorge, Jordan kann selbst auf sich aufpassen.“ Ein Söldner zog sie weiter nach hinten.

„Jordan!“, schrie Molly.

Der Hubschrauber füllte sich mit Menschen, aber sie fand ihren Mann nicht, drängte sich an den anderen vorbei und schluchzte auf, als sie ihn sah. Er ging, Gewehr im Anschlag, rückwärts auf die Maschine zu und schoss.

Der Hubschrauber setzte zum Abheben an.

„Jordan!“, schrie sie, obwohl er sie unmöglich hören konnte. „Um Himmels willen, beeil dich!“

Er rannte auf die Maschine zu.

Drei Rebellen tauchten hinter dem Krankenhaus auf. Aus der offenen Tür des Hubschraubers feuerten zwei Männer mit Maschinenpistolen, während Zane mithalf, Jordan an Bord zu ziehen.

Sobald er im Hubschrauber war, sank er in sich zusammen. Er blutete heftig an der Schulter und presste die Hand gegen die Wunde. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor.

Molly kauerte sich weinend neben ihn. „Du bist getroffen!“

Er lächelte sie schwach an und schloss die Augen. Im nächsten Moment verlor er das Bewusstsein.

3. KAPITEL

Jordan hatte das Gefühl, als würde seine Schulter brennen. Der Schmerz holte ihn aus der angenehmen Bewusstlosigkeit.

Er öffnete die Augen. Molly und der mit ihr befreundete Arzt waren mit ihm beschäftigt. Ihre Bluse war blutbefleckt.

„Du wirst wieder ganz gesund“, versicherte sie, als sie sah, dass er das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Doch in ihren Augen erkannte er nackte Angst.

„Lügnerin.“ Das eine Wort kostete ihn seine ganze Kraft.

Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern.

Sie hielt seine Hand fest. In ihren Augen schimmerten Tränen. „Ruh dich aus. Zane sagt, dass wir bald in Nubambay landen werden. Dort gibt es ein ausgezeichnetes Krankenhaus.“

Er schloss die Augen und versuchte zu nicken, doch so viel Energie brachte er nicht mehr auf. Der Schmerz in seiner Schulter steigerte sich so, dass er mit den Zähnen knirschte. Dann wurde erneut alles schwarz um ihn herum.

Das Erste, was er beim Erwachen sah, waren eine Infusionsflasche und weiße Wände. Der antiseptische Geruch verriet, dass er in einem Krankenhaus lag.

Er blinzelte und drehte den Kopf. Molly schlief auf einem Stuhl neben seinem Bett. Sie hatte sich zusammengerollt und die Beine untergeschlagen. Den Kopf stützte sie auf der Schulter ab. Eine dichte Strähne des blonden Haars fiel über ihre Wange.

Mit ihrem Aussehen musste sie bei den Kindern in Manukua großes Aufsehen erregt haben. Sie hatte ein natürliches Talent für den Umgang mit Kindern. Sobald sie sich selbst verzeihen konnte, was mit Jeff geschehen war, konnte sie wieder heiraten und die Familie gründen, die sie sich immer gewünscht hatte.

Eine Last wie ein Betonbrocken senkte sich auf seine Brust. Er hatte es ein Mal mit der Vaterschaft probiert und war nicht gewillt, dieses Risiko ein zweites Mal einzugehen.

Jordan zwang sich, die Augen zu schließen und sich ein anderes Gesicht vorzustellen. Die sanfte, freundliche Lesley. Das Bild war verschwommen. Ein tiefes Schuldgefühl folgte.

Er und Molly hatten sich geliebt. Nicht ein Mal, sondern zwei Mal. Eine falsche Entscheidung konnte er abtun, aber keine zwei derartigen Verstöße. Er war nicht verpflichtet, Lesley irgendetwas zu erklären. Sie war nicht der Typ, der Fragen stellte, und er würde freiwillig sicher nichts gestehen.

„Jordan?“ Molly sprach seinen Namen leise und zögernd aus, als habe sie Angst, ihn zu wecken.

Er drehte den Kopf zu ihr. „Hallo.“ Sein Mund schien mit Watte ausgestopft zu sein.

„Wie fühlst du dich?“ Sie stand neben ihm und streichelte seine Stirn.

„Höllisch.“

„Hast du Durst?“

Er nickte.

„Hier.“ Sie reichte ihm ein Glas Eiswasser mit einem Strohhalm.

Er trank begierig. „Sehr gut“, flüsterte er und sank wieder in die Kissen. „Wie viel Schaden hat die Kugel angerichtet?“

„Es waren zwei Kugeln. Zum Glück wurde kein Knochen verletzt. Es wird eine Weile stark schmerzen, aber du wirst dich erholen. Betrachte diese Zeit als lange überfälligen Urlaub.“

„Es wird dich überraschen, aber ich würde für einen Urlaub eine nette, friedliche Insel in der Karibik einem Kampf gegen Rebellen vorziehen.“

„Ich kann dir nur recht geben. Wie wäre es mit zwei Wochen auf den Virgin Islands? Sonne und Sand würden uns beiden guttun.“

Er schloss die Augen. Ausgeschlossen, dass er zwei Wochen mit Molly im Paradies verbrachte, wenn er die Scheidung durchziehen wollte.

„Wann kann ich reisen?“, fragte er rau.

„In zwei Tagen. Jetzt bist du wegen des Blutverlusts schwach, aber bei ausreichender Ruhe kommst du bald wieder zu Kräften.“

„Ich muss zurück nach Chicago. Ich habe keine Zeit, mich an einem Strand zu aalen.“

„Wie du meinst.“

Jordan hörte die Enttäuschung in ihrer Stimme und fühlte sich noch elender. „Wie schnell kann ich von hier verschwinden?“

„Du solltest übermorgen entlassen werden. Ich habe ein Hotelzimmer genommen und kann den Rückflug in die Staaten arrangieren, wenn du willst.“

„Ich will.“ Er konnte es nicht noch direkter ausdrücken.

Molly trat ans Fenster und blickte ins Freie. Mit verschränkten Armen wartete sie eine Weile, ehe sie fragte: „Wieso bist du so ärgerlich?“

„Vielleicht wegen der zwei Löcher in meiner Schulter. Oder weil ich um die halbe Welt fliegen musste, um dich zu holen, obwohl du vernünftigerweise von allein hättest verschwinden müssen.“

„Ich habe dich nicht gebeten zu kommen“, fuhr sie ihn an.

„Nein, aber dein Vater.“

„Dann schlage ich vor, dass du das nächste Mal zu Hause bleibst“, erwiderte sie hitzig und ging so schnell an dem Bett vorbei, dass er den Luftzug fühlte.

„Das mache ich ganz bestimmt“, rief er ihr nach, doch seine Stimme war erbärmlich schwach.

Zane kam später vorbei, doch Jordan war nicht in Stimmung für Gesellschaft. Sie schüttelten einander die Hände, und Jordan rechnete nicht damit, seinen Freund noch einmal zu treffen.

Er sah Molly erst wieder, als er entlassen wurde. Sie wartete mit einem Rollstuhl vor dem Zimmer auf ihn.

„Ich gehe“, entschied er.

„Du lieber Himmel, sei doch vernünftig!“

Er warf ihr einen Blick zu, der ihr sagte, dass es das Vernünftigste gewesen wäre, in Chicago zu bleiben.

Die Taxifahrt zum Hotel schien Stunden zu dauern. Bei der Ankunft war Jordan zu erschöpft, um sich über das gemeinsame Zimmer zu beklagen. Wenigstens gab es zwei Betten.

Molly bestellte das Mittagessen beim Zimmerservice, und sie aßen schweigend. Jordan wollte es nicht, schlief danach jedoch ein und erwachte zwei Stunden später.

Molly war nicht da, was ihm nur recht war. Er fühlte sich in ihrer Nähe unbehaglich. Wäre er nicht ein solcher Feigling gewesen, hätte er die Scheidung sofort mit ihr besprochen. Nach ihrer gemeinsamen Nacht in dem Vorratsgebäude erschien es ihm jedoch nicht richtig. Er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte.

Er saß auf dem Bett, bewegte vorsichtig zuerst die eine und dann die andere Schulter und knirschte vor Schmerzen mit den Zähnen. Seine Medizin war im Bad. Ohne zu überlegen, ging er hinein.

Dass es ein Fehler war, erkannte er in dem Moment, in dem er die Schwelle überschritt. Molly stand unter der Dusche und seifte sich ein. Das Glas verbarg kaum ihre Figur vor ihm. Ihre helle, glatte Haut schimmerte, ihre Brüste standen von ihrem Körper ab, und die rosa Brustspitzen richteten sich unter den Wasserstrahlen auf. Mit einem Waschlappen rieb sie sich über den Bauch, öffnete die Schenkel und fuhr tiefer.

Er hielt den Atem an und stützte sich am Waschbecken ab. Und er war sofort erregt. Das musste die Strafe für seine zahlreichen Sünden sein.

Der Anblick seiner Frau wirkte hypnotisch auf ihn. Um keinen Preis der Welt hätte er wegsehen können. Er vermochte kaum, das Verlangen zu unterdrücken, sie wieder zu fühlen. Er wollte hinausgehen, stand jedoch wie festgenagelt da.

„Jordan?“

„Tut mir leid.“ Er kam sich wie ein ertappter Schuljunge vor. „Ich wollte dich nicht stören.“

„Kein Problem.“ Sie stellte das Wasser ab, tastete nach einem Handtuch und kam aus der Dusche.

Er war wie gebannt und konnte kaum atmen, während sie Arme und Brüste abtrocknete. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er besaß einen starken Willen und war nicht leicht in Versuchung zu führen. Die Enthaltsamkeit der letzten dreieinhalb Jahre waren ein Beweis dafür.

Irgendwie schaffte er es dann doch zurück ins Zimmer, fiel in einen Sessel und schaltete den Fernseher ein. Volle fünf Minuten verstrichen, ehe er begriff, dass die Sendung auf Französisch lief.

Kurz darauf kam Molly barfuß in einem weißen Frotteebademantel aus dem Bad. Sie rieb ihr Haar trocken und lächelte, als wüsste sie genau, wie sie auf ihn wirkte. Offenbar genoss sie es, ihn leiden zu sehen.

„Brauchst du eine Schmerztablette?“, fragte sie ganz reizend.

Er schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf das Fernsehen, als würde er jedes Wort verstehen.

Die Maschine landete auf dem O’Hare International Airport. Molly freute sich, wieder zu Hause zu sein.

Die Zollkontrolle dauerte scheinbar endlos. Ihr Vater erwartete sie und wirkte älter, als sie ihn in Erinnerung hatte. Er begann zu strahlen, als sie erschien, und breitete die Arme aus.

„Daddy!“ Sie umarmte ihn heftig. Verlegen wischte sie die Tränen weg, klammerte sich an ihn und genoss seine Liebe.

„Höchste Zeit, dass du wieder hier bist“, tadelte Ian und fuhr sich über die feuchten Augen. Er drückte sie noch einmal an sich und schlang dann den Arm um ihre Taille.

„Danke.“ Ian löste sich von ihr und schüttelte Jordan die Hand. „Ohne dich hätte ich mein kleines Mädchen verlieren können.“

„Nicht der Rede wert.“ Jordan tat, als habe er nur die Straße überquert.

„Pass auf dich auf“, sagte Molly und tat einen Schritt auf ihn zu, ehe sie sich zurückhalten konnte. Sie wollte seine Wange streicheln und sich bei ihm bedanken. Sie wollte ihn auch küssen, um zu beweisen, dass sie das alles wirklich erlebt hatten.

Er nickte. „Mache ich. Irgendwann rufe ich dich an.“

Molly musste sich auf die Zunge beißen, um nicht zu sagen, er solle nicht zu hart arbeiten. Eine Schussverletzung war nicht harmlos.

Er wandte sich abrupt ab und folgte dem Gepäckträger nach draußen.

Sie sah ihm nach. Drei lange Jahre hatte sie von Jordan getrennt gelebt und gedacht, ihr gemeinsames Leben wäre für immer durch Trauer und Schmerz zerstört worden. Diese Woche hatte zweifelsfrei bewiesen, dass er sie noch immer liebte. Genau wie sie ihn.

Er war nicht glücklich darüber. Sie bezweifelte, dass er wusste, was er tun sollte. Im Moment war er so verwirrt und verunsichert wie sie selbst.

Die Sonne schien auf die Kommode aus Kirschholz, als Molly in ihrem Jugendzimmer erwachte. Sie lag auf dem Rücken, ihr Kopf ruhte auf dicken Federkissen, und sie genoss die Annehmlichkeit, zu Hause zu sein.

Sie war keine Jugendliche mehr, sondern eine Frau. Eine verheiratete Frau. Der Gedanke ließ einen Schatten über ihr Gesicht gleiten. Entscheidungen über ihre Beziehung mit Jordan waren fällig, aber keiner von ihnen war dafür bereit.

Sie schlüpfte in ein ärmelloses Sommerkleid, das sie in ihrem Schrank gefunden hatte, ein hübsches weißes Modell mit roten Punkten und einem breiten Gürtel.

Ihr Vater saß am Frühstückstisch und hatte die Morgenzeitung gegen das Glas mit dem Orangensaft gelehnt. Nur wenig hatte sich in den Jahren ihrer Abwesenheit verändert.

„Guten Morgen.“ Sie küsste ihn auf die Wange und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.

„Guten Morgen“, antwortete er geistesabwesend.

„Du liest noch immer den Wirtschaftsteil zuerst?“

„Ich bin im Ruhestand, aber nicht tot.“ Er lachte leise. „Im halben Ruhestand. Es ist mir zu langweilig, daheim zu sitzen und mein Geld zu zählen.“

„Also arbeitest du wieder.“

Er wandte den Blick nicht von der Zeitung ab. „Ich gehe an zwei Tagen pro Woche in die Bank. Sie haben mir mein Büro gelassen. Also beschäftige ich mich da ein wenig, und sie lassen mich in dem Glauben, ich wäre wichtig. Ich weiß es besser, aber das zeige ich nicht.“

Sie setzte sich lächelnd. Ihr Vater hatte immer großen Wert auf gewisse Dinge gelegt. Mittag- und Abendessen wurden im Speisezimmer auf Wegdwood-Porzellan und Waterford-Kristall serviert. Das Frühstück fand jedoch in der Küche an dem runden Eichentisch statt, der in einem sonnigen Erker stand.

Sie griff nach einem Blaubeer-Muffin und dem Krug mit Orangensaft. „Dad, hat Jordan das Haus verkauft?“

Ihr Vater faltete die Zeitung und legte sie neben seinen Teller. „Meines Wissens nach nicht. Warum?“

„Ich bin nur neugierig.“

Er betrachtete sie eine Weile. „Ihr zwei hattet vermutlich keine Chance, viel miteinander zu reden.“

Sie löste den Papierboden von dem Muffin. „Nein.“ Eine kurze Stille trat ein.

„Ich verstehe.“ Ihr Vater klang höchst zufrieden.

„Warum strahlst du so?“, fragte sie.

„Wer strahlt?“ Er machte sofort ein unschuldiges Gesicht.

„Treibe keine Spielchen mit mir, Dad. Hat Jordan mir etwas zu sagen?“

„Woher sollte ich das wissen?“

Sie stand auf und legte die Serviette auf den Tisch. „Hier stimmt etwas nicht.“

„Ach ja?“

Sie hatte vergessen, dass ihr Vater ein kleiner Teufel sein konnte. „Kann ich die Autoschlüssel haben?“, fragte sie, sobald sie eine Entscheidung getroffen hatte.

Er gab sie ihr mit einem breiten Lächeln. „Ich erwarte dich nicht zum Mittagessen.“ Damit griff er wieder nach seiner Zeitung.

Es war unsinnig, vor zehn Uhr bei Jordan aufzutauchen, besonders nach seiner Rückkehr aus Afrika. Molly fuhr zu ihrer bevorzugten Bäckerei, um Croissants zu besorgen. Zu ihrer Freude erkannte Pierre, der Bäcker, sie wieder und schüttelte ihr die Hand.

„Ich habe aufgegeben die Hoffnung, Sie wiederzusehen jemals“, sagte er mit starkem französischem Akzent, schenkte ihr eine Tasse Kaffee ein und führte sie zu einem der kleinen Tische am Fenster. „Bitte Sie sich setzen.“

Molly wunderte sich über die ungewöhnliche Begrüßung. Er stellte den Kaffee ab, und eine Angestellte brachte einen Teller mit Gebäck.

„Das Baby von unserer Tochter ist gestorben auf die gleiche Weise wie Ihr Sohn.“ Er sah sie traurig an. „Amanda hat hingelegt ihr kleines Mädchen zum Schlafen, und Christine ist nicht mehr aufgewacht. Es ist mehrere Monate jetzt, und noch immer meine Tochter und ihr Mann trauern. Noch immer sie stellen Fragen, niemand kann beantworten.“

„Die Fragen hören nie auf.“ Die Trauer auch nicht, doch das sprach sie nicht aus. Mit den Jahren wurde der Schmerz dumpfer, aber er ging nicht ganz weg.

„Unsere Tochter und unser Schwiegersohn geben sich selbst die Schuld … sie glauben, sie haben gemacht etwas, das hat verursacht Christines Tod.“

„Das haben sie nicht.“ Molly gab die Antwort aus dem Schulbuch der Medizin. Niemanden traf eine Schuld, und darum wandten sich Schmerz, Zorn und Kummer nach innen. So war es bei ihr gewesen, bis sie das volle Gewicht der Tragödie auf ihren schmalen Schultern trug. Mit der Zeit hatte diese Bürde sie zermalmt. Als sie Jordan verließ, war sie gefühlsmäßig ein Wrack gewesen.

„Sie müssen sprechen mit jemanden, der verloren hat ein Kind auf die gleiche Weise“, fuhr Pierre fort. „Dieses Unglück sonst zerstört alle beide.“ Er stand auf, holte eine Geschäftskarte von der Registrierkasse und schrieb eine Telefonnummer auf die Rückseite.

Molly nahm die Karte entgegen, wusste jedoch nicht, ob sie wirklich mit ihnen telefonieren sollte.

„Bitte.“ Pierre legte seine Finger um ihre Hand und die Karte. „Nur jemand, der hat verloren ein Kind, kann verstehen ihren Schmerz.“

„Ich … weiß nicht, Pierre.“

Er sah ihr direkt in die Augen. „Gott wird Sie leiten. Sie machen sich keine Sorgen.“ Er brachte ihr eine Tüte mit Croissants und nahm keine Bezahlung an.

Molly ging und wusste nicht, was sie tun sollte. Wenn sie sich selbst oder Jordan nicht hatte helfen können, wie sollte sie da ein anderes gramgebeugtes Paar trösten?

Jordans Wagen parkte vor ihrem gemeinsamen Haus, das er offenbar nicht verkauft hatte. Es ermutigte sie, dass wenigstens dieser Teil ihrer Ehe noch existierte.

Sie kam jetzt zum ersten Mal zurück und war unsicher, ob sie klingeln oder einfach hineingehen sollte. Es war ihr Zuhause – oder war es zumindest einmal gewesen. Allerdings verlangte es die Höflichkeit zu klingeln.

Jordan brauchte ungewöhnlich lange, um an die Tür zu kommen. Er öffnete im Bademantel, seine Haare waren zerzaust, und er starrte sie an, als wäre sie ein Geist.

„Bevor du mir den Kopf abreißt – ich bringe ein Geschenk mit.“

„Hoffentlich etwas Anständiges.“ Er betrachtete die weiße Tüte.

„Pierres Croissants.“

Er lächelte und öffnete die Fliegengittertür. „Das ist anständig genug.“

Das Haus war, wie sie es verlassen hatte. Jetzt waren allerdings in jeder erdenklichen Ecke Blaupausen und Akten gestapelt.

„Offenbar bringst du deine Arbeit mit nach Hause“, bemerkte sie trocken.

„Hör mal, wenn du mir eine Predigt halten willst, kannst du gleich wieder gehen. Lass nur die Croissants da. Die habe ich dafür verdient, dass ich an die Tür gekommen bin.“

„Schon gut.“ Sie ging in die Küche voraus. Hier sah es auch nicht viel besser aus. Zum Glück wusste sie, wo Jordan den Kaffee aufbewahrte. Sie setzte den Wasserkessel auf und holte zwei schwarze Henkeltassen mit der silbernen Aufschrift „Larabee Construction“ herunter.

„Hey“,scherzte sie,„du bist groß eingestiegen. Wann hast du die Bleistifte aufgegeben und dich für Tassen entschieden?“

Er betrachtete sie finster und hatte offenbar nicht die Absicht, ihre Frage zu beantworten. Sie fand seine verdrießliche Stimmung amüsant. Sie wartete, bis der Kaffee durchgelaufen war, füllte seine Tasse, trug sie an den Tisch und setzte sich.

Er schlang zwei Croissants hinunter, bevor sie die Ihren überhaupt aus der Tüte hatte. Sein Appetit war ein gutes Zeichen.

Molly tastete sich vorsichtig an das Thema heran. „Dad hat mich gefragt, ob wir Gelegenheit hatten, miteinander zu sprechen.“

Er hörte zu essen auf und zog die Augen schmal zusammen.

„Hat er das aus einem bestimmten Grund gefragt?“

Er ließ sich Zeit mit einer Antwort, und sie drängte nicht.

Es klingelte wieder an der Tür. Jordan brummte etwas, stand auf und öffnete. Paul Phelps, sein Bauleiter, schlenderte lässig ins Haus und stockte, als er Molly sah. Auf seinem Gesicht erschien ein breites Grinsen.

„Molly! Wie schön, dich zu sehen!“ Er kam zu ihr und umarmte sie. „Dein Anblick tut meinen müden Augen gut.

Molly hatte Paul immer gemocht, der mehr ein Freund als ein Angestellter war. „Wie geht es der Familie?“, fragte sie.

„Brenda hat letztes Jahr noch ein Mädchen bekommen“, verkündete Paul stolz.

„Gratuliere.“

Er nahm sich einen Kaffee und wandte sich an ihren Mann. „Was ist mit deinem Arm passiert?“, fragte er und deutete auf die Schlinge.

„Nichts, was nicht mit der Zeit weggeht“, erwiderte Jordan. „Wenn hier schon eine Parade durchmarschiert, sollte ich mich anziehen.“ Er wirkte nicht erfreut, aber Molly war froh, eine Weile mit Paul allein zu sein.

„Wie ist es ihm ergangen?“, fragte sie, sobald Jordan den Raum verlassen hatte.

Paul zuckte die Schultern. „Besser, seit er letztes Jahr …“ Er stockte und sah sie schuldbewusst an. „Seit … na ja, du weißt schon, seit er sich nicht mehr selbst mit Arbeit rund um die Uhr umbringt.“

„Wenn man sich dieses Haus ansieht, dann hat er genau das getan.“

„Was ist mit seiner Schulter passiert?“, fragte Paul, und Molly hätte gern gewusst, ob das nicht nur ein Versuch war, das Thema zu wechseln.

„Er wurde angeschossen. Zwei Mal.“

„Angeschossen!“ Paul ließ beinahe seine Tasse fallen.

„Das ist eine lange Geschichte.“

„Länger, als wir Zeit für eine Erklärung haben“, sagte Jordan schroff und erschien in der Tür. An seinem frustrierten Blick erkannte Molly, dass er mit dem Anziehen allein nicht fertig wurde. Er brauchte Hilfe, aber sie bezweifelte, dass er darum bitten würde.

Paul blickte von einem zum anderen und stellte die Kaffeetasse auf die Theke. „Ihr zwei habt viel zu besprechen. War schön, dich wiederzusehen, Molly. Mach dich nicht wieder so rar, hörst du?“

Sie nickte und begleitete ihn an die Tür. Er wollte sichtlich schnell weg, aber sie hielt ihn zurück. „Was wollen alle vor mir verbergen?“

Paul sah unbehaglich drein. „Das solltest du Jordan fragen.“

Genau das hatte sie vor. Als sie in die Küche zurückkehrte, blickte ihr Mann ihr mit einer Mischung aus Entschlossenheit und Bedauern entgegen.

„Sag es mir!“, verlangte sie.

Er sah kurz weg. „Es gab noch einen Grund, aus dem ich nach Manukua kam. Erstens hatte dein Vater mich gebeten, dich nach Hause zu bringen.“

„Und?“

„Und zweitens …“ Er holte tief Luft. „Zweitens wollte ich dich um die Scheidung bitten.“

4. KAPITEL

Molly hatte das Gefühl, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen.

Scheidung!

Jordan war nach Manukua gekommen, um von ihr die Scheidung zu verlangen!

Seit Jeffs Tod hatte sie viel über Schmerz gelernt. Zuerst wurden die Sinne betäubt, um die unerträgliche Qual abzuwehren, die unweigerlich folgte. Erst später würde sie von der vollen Wirkung von Jordans Worten getroffen werden.

„Ich verstehe.“ Sie schloss die Augen. Und sie hatte einen gemeinsamen Urlaub auf einer tropischen Insel vorgeschlagen! „Du hättest schon früher etwas sagen können, bevor ich mich zum Narren gemacht habe.“

„Wenn sich jemand zum Narren gemacht hat, bin ich es.“

„Kein Wunder, dass du es mit der Rückkehr in die Staaten so eilig gehabt hast.“ Jetzt ergab alles einen Sinn.

„Ich wollte nicht so damit herausplatzen.“ Er ließ die Schultern hängen.

„Ich bin froh, dass du es getan hast. Lieber Himmel, wer weiß, wie lange ich mich noch wie ein Esel aufgeführt hätte! Mein Vater weiß Bescheid?“ Eine Antwort war unnötig. Und Paul war ebenfalls eingeweiht. Das erklärte seine Verlegenheit und seinen hastigen Aufbruch.

„Ich weiß, was du denkst“, sagte Jordan leise.

„Wohl kaum.“ Wie konnte er, wenn sie es selbst nicht wusste?

„Du denkst daran, was sich zwischen uns in dem Vorratsraum abgespielt hat.“ Er presste die Lippen aufeinander. „Wenn du nach einer Entschuldigung suchst, ich kann dir keine bieten. Es ist eben passiert. Es hätte nicht dazu kommen sollen, aber es ist so, und es tut mir nicht leid.“

„Das war sicher eine sonderbare Art, sich zu verabschieden.“ Sie lachte kurz auf. „Ich … ich bedaure es auch nicht.“

„Ich wollte dir nicht wehtun.“

„Ich weiß.“ Ihre Füße fühlten sich schwer wie Betonblöcke an. Es kostete sie eine unglaubliche Anstrengung, zur Haustür zu gehen. Sie erstarrte, als sie die Erkenntnis traf. „Du hast eine andere Frau kennengelernt, nicht wahr?“

Er antwortete erst, als sie sich zu ihm umdrehte und ihm fest in die Augen sah. „Lesley Walker.“

Der Name löste bei ihr eine Erinnerung aus. „Die Architektin?“

„Wir haben im letzten Jahr oft zusammengearbeitet.“

„Sie muss etwas Besonderes sein.“ Andernfalls würde Jordan sie nicht lieben.

„Verdammt!“ Er ballte die gesunde Hand zur Faust. „Du brauchst nicht so verständnisvoll zu sein. Ich hätte es dir gleich zu Beginn sagen sollen. Stattdessen habe ich dich in dem Glauben gelassen, es gäbe eine Chance für uns. Du hast das Recht, wütend zu sei. Wirf etwas!“ Er griff nach einer leeren Vase. „Dann fühlst du dich besser.“

Sie lächelte. „Du meinst, dann fühlst du dich besser.“ Sie nahm ihm die Vase aus der Hand und stellte sie wieder ab. „Mach kein so besorgtes Gesicht. Ich bin schließlich diejenige, die dich verlassen hat.“ Ihre Hand zitterte leicht, als sie die Haustür öffnete. „Du kannst alles in die Wege leiten. Melde dich, wenn ich die Papiere unterschreiben muss.“

Jordan hätte sich lieber noch eine Kugel eingehandelt, als Mollys Schock zu beobachten, sobald er von der Scheidung sprach. Er hatte ihr alles erklären wollen, doch seine guten Vorsätze hatten nur den Weg zur Hölle gepflastert.

Die ärztliche Anweisung, zu Hause zu bleiben und sich auszuruhen, befolgte er nicht länger als eine Stunde. Er musste auf die Baustelle und mit Paul sprechen. Er musste seinen eigenen Gedanken entkommen.

Lesley fing ihn am Bauplatz ab. „Ich kann einfach nicht glauben, dass du arbeitest!“ Sie betrat frisch und strahlend den Bürowagen. Besorgt betrachtete sie seinen Arm in der Schlinge. „Solltest du nicht im Krankenhaus sein?“

„Wahrscheinlich.“ Jordan ließ sich einen Wangenkuss geben.

Paul verschwand mit einer Ausrede. Jordan brauchte seinen Freund nicht nach dessen Meinung zu fragen. Die war deutlich aus seinem Blick abzulesen.

„Wie ist es denn in Manukua gelaufen?“, fragte Lesley.

„Großartig.“

„Molly ist nichts passiert?“

„Nein.“ Er hoffte, sie würde rasch merken, dass er nicht in Stimmung zum Reden war.

„Wie war es, sie wiederzusehen? Ich meine, es ist viel Zeit verstrichen. Du musst doch beim Wiedersehen etwas gefühlt haben.“

„Das habe ich.“

Seine Schulter schmerzte stärker. Er ließ sich auf einen Stuhl sinken und schloss die Augen, bis das Schlimmste vorbei war.

„Jordan, geht es dir gut? Am Telefon hast du gesagt, es wäre nichts. Aber du bist schwer verletzt.“

„Es ist nur eine Fleischwunde.“ Das war eine Untertreibung, aber er wollte ihr Mitgefühl nicht. Sie würde ihn als Helden hinstellen, der er nicht war.

„Hast du bei Molly die Scheidung erwähnt?“

Er ignorierte die Frage, stand auf und tat, als würde er sich mit den Blaupausen beschäftigen.

„Natürlich hast du angesichts einer Revolution keine Gelegenheit gefunden, mit ihr zu sprechen“, gab Lesley sich selbst die Antwort. „Ihr hattet Glück, überhaupt lebend herauszukommen.“

„Ich habe mit ihr heute Morgen darüber gesprochen“, erklärte er ungeduldig. „Sie ist einverstanden. Es wird keine Probleme geben.“

„Ich weiß, wie schwer das für dich war, Jordan. Sind dir Bedenken gekommen?“

Ihre Fähigkeit, seine Gedanken zu lesen, war manchmal unheimlich. „Nein“, antwortete er fest. „Ich will die Scheidung.“

Larry Rife mochte keine Scheidungsfälle. Er übernahm sie gelegentlich nur, um etwas anderes zu machen. Mittlerweile hatte er sich drei- oder viermal mit Jordan Larabee getroffen, und sein Klient hatte ihm versichert, es handelte sich um eine freundschaftliche Scheidung. So etwas gab es nicht, aber Larry sprach das nicht aus. Vermutlich würden Larabee und seine Frau bald von selbst dahinterkommen.

Soviel Larry wusste, wollte Mrs. Larabee keinen Anwalt nehmen, weil sie mit dem Angebot ihres Mannes einverstanden war. Das allein war schon ungewöhnlich, aber an dieser Scheidung war überhaupt vieles nicht normal.

Sein Sprechgerät summte, und seine Sekretärin sagte: „Die Larabees sind hier.“

Larry stand auf, als das Paar eintrat. Er schüttelte Jordan höflich die Hand, dann setzten sie sich. Larabees Frau war hübsch und jung und wirkte zerbrechlich, doch das Äußere täuschte oft. Eine zarte Frau hätte nicht die letzten zwei Jahre in Manukua als Krankenschwester gearbeitet.

Larry griff nach der Akte und fragte Molly: „Haben Sie das Angebot der Scheidungsvereinbarung durchgelesen?“

„Ja“, antwortete sie tonlos. „Ich finde, Jordan ist mehr als großzügig.“

„Es ist äußerst ungewöhnlich, dass Sie keinen eigenen Anwalt haben.“ Larry fühlte sich verpflichtet, darauf hinzuweisen.

„Was sollte das bringen? Ich habe keine Einwände. Warum sollte ich den Ablauf bremsen?“

„Wichtig ist, dass Sie die Bedingungen der Scheidungsvereinbarung verstehen.“

„Mir ist alles absolut klar.“

Larabee hatte sich bisher ungewöhnlich still verhalten. „Er hat recht, Molly. Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn du dir einen Anwalt nimmst.“

„Wozu? Du willst deine Freiheit. Du hast lange genug darauf gewartet.“

Larabee schlug nervös die Beine übereinander. „Du sollst nicht das Gefühl haben, ich hätte dich irgendwie betrogen.“

„Darüber brauche ich mir bei dir keine Sorgen zu machen. Du warst äußerst großzügig. Warum belassen wir es nicht dabei?“

„Meinst du das ernst?“

„Selbstverständlich.“

Larry erinnerte sich an kein anderes Paar, das so umeinander besorgt gewesen war. Er suchte in der Akte nach einem Anhaltspunkt, was zwischen zwei so anständigen Menschen schiefgelaufen war.

„Kinder sind hier nicht betroffen“, sagte er mehr zu sich selbst.

„Keine Kinder“, antwortete Jordan, obwohl es gar keine Frage gewesen war.

„Wir hatten ein Kind“, fügte Mrs. Larabee hinzu. „Einen Sohn. Er starb den Krippentod. Sein Name war Jeffrey.“

Jordan schwieg.

Larry machte sich eine Notiz. Jetzt passte alles zusammen. Die Scheidung kam nicht aus den üblichen Gründen, sondern hatte ihre Wurzeln in Trauer.

Molly Larabee unterbrach seine Gedanken. „Muss ich etwas unterschreiben?“

„Ja, natürlich.“ Larry reichte ihr die Papiere und einen Stift. „Ich reiche diese Unterlagen noch heute Nachmittag ein. Die Scheidung wird dann in sechzig Tagen rechtskräftig.“

„So bald?, fragte Jordan.

„So spät?“, fragte seine Frau.

Larry betrachtete das Paar vor seinem Schreibtisch. Im Lauf der Jahre hatte er viele Eheleute gesehen, die einander buchstäblich hassten, wenn sie die Papiere unterschrieben. Es war verwirrend, zwei Leute zu repräsentieren, die einander noch immer aus tiefstem Herzen liebten.

Nach dem Treffen mit dem Anwalt erschien es Molly passend, unter einer Trauerweide zu sitzen. Sie hatte nicht damit gerechnet, wie aufwühlend es sein würde. Sie war dankbar, dass ihr Vater an diesem Nachmittag nicht hier war, weil sie allein sein musste, um ihre Gefühle zu ordnen.

Sie wartete auf Tränen, die sich jedoch nicht einstellten. Wie konnte sie um eine Ehe weinen, die seit Jahren nicht mehr existierte?

Die dünnen Zweige der Trauerweide schwankten im Wind. Den Rücken gegen den Baumstamm gelehnt, betrachtete sie den sorgfältig gepflegten Garten, der die Freude und der Stolz ihrer Mutter gewesen war. Doch ihre Mutter war tot – wie Jeff und ihre Ehe.

Molly hatte über Lesley Walker diskrete Erkundigungen eingezogen, die ausnahmslos positiv waren. Lesley war eine talentierte Architektin mit einer viel versprechenden Zukunft. Sie war jung, energisch und beliebt. So schwer es für sie auch zu verkraften war, aber Lesley war genau der Typ von Ehefrau, den Jordan brauchte.

Dieses Eingeständnis verursachte einen heftigen Schmerz. Ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle, und die Tränen flossen.

„Ich dachte mir schon, dass ich dich hier finde.“ Die Stimme ihres Vaters erklang hinter ihr.

Sie wischte sich hastig über das Gesicht. „Du wolltest doch heute Nachmittag weggehen.“

„Ich war auch weg.“ Ian Houghton setzte sich umständlich neben ihr ins Gras. Mit seinem teuren italienischen Anzug wirkte er fehl am Platz. „Aber dann dachte ich mir, dass du ein wenig deprimiert sein würdest, nachdem du die Papiere unterschrieben hast.“

„Es geht mir gut.“

Er reichte ihr sein weißes Taschentuch. „Das sehe ich.“ Er legte den Arm um ihre Schultern und stützte das Kinn auf ihren Kopf. „Als kleines Mädchen bist du immer hierher gekommen. Der Gärtner rät mir seit Jahren, ich sollte diesen alten Baum fällen lassen. Aber ich habe es nie übers Herz gebracht, weil ich weiß, wie sehr du ihn liebst.“

„Ich bin froh, dass du es nicht getan hast.“

„Es ist nicht alles so trist, wie es jetzt erscheint, Kleines. Eines Tages wirst du zurückblicken, und dann wird es lange nicht mehr so schmerzen.“

Ihr Vater hatte nach Jeffs Tod ähnliche Worte benutzt, doch es stimmte nicht. Der Schmerz ging nicht weg.

„Wäre es dir lieber, Jordan wäre kein Teil deines Lebens gewesen?“

Im ersten Moment wollte sie sagen, sie wünschte, Jordan nie getroffen, ihn nie geliebt und nie seinen Sohn zur Welt gebracht zu habe. Doch das wäre eine Lüge gewesen. Jordan war ihre erste und einzige Liebe, und wie konnte sie es bereuen, Jeff bekommen zu haben? Sie konnte sich nicht selbst belügen.

Sie hatte Jordan gegenüber versagt, und er hatte ihr gegenüber versagt. Bei der Zerstörung ihrer Ehe waren sie einander ebenbürtig gewesen.

„Ich werde mir ein Apartment suchen“, erklärte sie entschlossen.

„Keine Eile“, versicherte ihr Vater hastig.

„Es ist Zeit, dass ich mein Leben voranbringe.“

„Wie Jordan?“

„Er hat recht, Dad. Ich hätte mich nicht in meinem Schmerz vergraben solle. Wer weiß,wie lange ich in Manukua geblieben wäre, hätte es die Revolution nicht gegeben. Ich habe mich vor dem Leben versteckt, und es wurde richtiggehend angenehm.“

„Ich weiß, dass ich selbstsüchtig bin, aber ich möchte nicht, dass du so bald ausziehst.“

Sie umarmte ihren Vater und war dankbar für seine Liebe und Unterstützung. Er war alles, war ihr auf der Welt geblieben war. Nur sie beide. So war es seit ihrem elften Lebensjahr gewesen.

Nachdem Molly ihre Entscheidung getroffen hatte, fand sie innerhalb einer Woche einen Job und ein Apartment. Einige Möbelstücke und etliche persönliche Dinge holte sie aus Jordans Haus.

Sie betrat das Haus nur, wenn er nicht da war, und hinterließ ihm Nachrichten, was sie mitgenommen hatte und wo sie zu erreichen war.

Die Doppelhaushälfte, die sie gemietet hatte, lag in einer angenehmen Gegend und besaß einen kleinen Garten. Molly genoss die Rosen und freute sich schon darauf, selbst etwas zu pflanzen, sobald sie sich vollständig eingerichtet hatte.

Das geräumige Apartment bot zwei große Schlafzimmer, eine Küche und ein bequemes Wohnzimmer. Verglichen mit ihrer Unterkunft in Manukua, war es ein Herrenhaus. Das Beste daran war, dass es nicht weit zum Lake Michigan und zu ihrer Arbeit im Sinai Hospital war.

Molly trug Shorts und ein ärmelloses T-Shirt und stellte gerade Bücher in ein Regal, als es an der Tür läutete. Sie wischte den Schweiß von der Stirn und richtete sich auf.

Für einen Moment drehte sich das Zimmer um sie, und sie sank auf das Sofa und holte tief und gleichmäßig Atem. Dann war wieder alles in Ordnung.

Es klingelte erneut heftig und ungeduldig an der Tür. Niemand außer Jordan Larabee klingelte so.

Sie stand auf, fasste sich so gut wie möglich und öffnete die Haustür. Er stützte einen Karton gegen die Wand und hielt ihn mit seinem gesunden Arm fest. „Das hat ja lange gedauert“, beklagte er sich schroff.

„Tut mir leid.“ Sie öffnete die Fliegengittertür und trat beiseite.

Er kam herein und ließ den Karton auf den Teppich fallen. „Du hast das vergessen.“

Das Schwindelgefühl kam wieder, und sie sackte auf die Sofalehne und presste die Hände vors Gesicht.

„Geht es dir gut?“ Er runzelte besorgt die Stirn. „Du bist weiß wie ein Laken.“

„Ich … ich muss zu schnell aufgestanden sein. Einen Moment hat sich alles gedreht … jetzt geht es mir wieder gut.“

„Sicher?“

„Hör mal, Jordan, ich bin diplomierte Krankenschwester. Ich mag von manchen Dingen nichts verstehen, aber ich weiß, wann ich gesund bin. Und ich sage dir, dass es mir gutgeht.“

„Gut.“ Er schob die Hände in die Hosentaschen und sah sich um. „Was hält Ian von dem hier?“

„Von meinem Umzug? Er hätte es lieber, dass ich den Rest meines Lebens mit ihm verbringen würde, aber ich wohne lieber allein.“ Sie überprüfte, was er mitgebracht hatte, und fand nichts, das seinen Besuch rechtfertigte. Sie hätte die Sachen irgendwann selbst abgeholt.

Er schlenderte in die Küche. „Darf ich mir etwas zu trinken nehmen?“

„Sicher.“ Offenbar wollte er mehr, als ihr beim Umzug zu helfen. „Im Kühlschrank steht Limonade.“

Er holte aus dem Schrank ein Kristallglas, das sie von ihrer Tante Thelma zur Hochzeit erhalten hatten. Er stockte einen Moment.

Molly kam einen Schritt näher. „Hoffentlich hast du nichts dagegen, dass ich diese Gläser genommen habe. Sie waren in der Vereinbarung nicht gesondert aufgeführt.“

„Was sollte mir an ein paar Gläsern liegen?“

„Du hast ein Gesicht gemacht, als wolltest du etwas einwenden.“

„Ich wende nichts ein“, wehrte er schroff ab. „Ich habe nur daran gedacht, wann wir sie das letzte Mal benutzt haben. War das nicht zu Weihnachten?“ Er unterbrach sich. „Schon gut, nicht weiter wichtig.“ Mit dem Glas kehrte er ins Wohnzimmer zurück und setzte sich auf das Sofa. Den Arm legte er auf die Lehne und wirkte sehr lässig.

Molly fühlte sich alles andere als entspannt. Sie setzte sich ihm gegenüber und wartete.

Er nahm einen Schluck Limonade. „Wie ist es dir ergangen?“

„Gut. Und dir?“

„Ich kann nicht klagen.“

„Was macht der Arm?“

„Er wird mit jedem Tag besser. Ende des Monats sollte ich die Schlinge loswerden.“

„Gut.“

Stille.

„Wolltest du aus einem bestimmten Grund mit mir sprechen?“, fragte sie, als sie es nicht länger ertrug.

Er beugte sich vor. „Die Scheidung wird in zwei Wochen rechtsgültig.“

Das brauchte er ihr nicht zu sagen. „Und?“

„Bist du glücklich?“ Er rieb sich über das Gesicht. „Verdammt, ich mache das alles noch schlimmer!“, rief er und sprang auf.

„Du willst wissen, ob ich glücklich bin?“, fragte sie, um ihm zu helfen. „Meist du, wegen der Scheidung?“

„Verdammt, ich weiß nicht, was ich von dir hören will. Ich habe ein unglaublich schlechtes Gewissen. Dass ich so einfach hierher komme, ergibt keinen Sinn, aber es gefällt mir nicht, dass ich unsere Ehe beende, ohne … ohne was?“

Sie fing seinen Blick auf. Sie war genauso verwirrt wie er und konnte ihre Gefühle nicht in Worte fassen.

„Wahrscheinlich suche ich bei dir Absolution.“ Er lachte kurz und spöttisch. „Das Problem dabei ist, dass ich nicht weiß, was du mir verzeihen sollst.“

„Die Scheidung macht mich unglaublich traurig“, gab sie im Flüsterton zu. „Ich gebe dir keine Schuld, Jordan, und ich bin auch nicht wütend auf dich, falls du das denkst.“

Autor

Debbie Macomber
<p>SPIEGEL-Bestsellerautorin Debbie Macomber hat weltweit mehr als 200 Millionen Bücher verkauft. Sie ist die internationale Sprecherin der World-Vision-Wohltätigkeitsinitiative Knit for Kids. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Wayne lebt sie inmitten ihrer Kinder und Enkelkinder in Port Orchard im Bundesstaat Washington, der Stadt, die sie zu ihrer <em>Cedar Cove</em>-Serie inspiriert hat.</p>
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