Bianca Exklusiv Band 193

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SCHLÄGT MEIN HERZ FÜR DEN FALSCHEN? von LEIGH, ALLISON
Ich darf mich nicht in ihn verlieben! Nachdem der gutaussehende Fremde eine Autopanne mit seinem wertvollen Oldtimer hatte und in ihrem Gasthaus wohnt, kann Hadley nur noch an ihn denken. Aber das darf nicht sein - denn bald wird sie einen anderen heiraten …

ICH WILL LEBEN - ICH WILL LIEBEN von RIDGWAY, CHRISTIE
Nachdem sie einen Banküberfall überlebt hat, weiß die zarte Annie eines: Man sollte das Leben und die Liebe in vollen Zügen genießen. Deshalb beginnt sie auch unverhohlen, mit ihrer Jugendliebe Griffin Chase zu flirten - auch wenn der wohlhabende Anwalt überhaupt nicht der Richtige für sie zu sein scheint.

VON LIEBE SPRACH SIE NIE von PAIGE, LAURIE
Isa ist so schön wie rätselhaft - und für den reichen Harrison Stone ungeheuer anziehend! Inständig bittet er sie, seine Frau zu werden. Und tappt damit in eine bittersüße Falle, die Isa ihm stellt. Ihre Rache für seine früheren Sünden will sie voll und ganz auskosten …


  • Erscheinungstag 08.12.2009
  • Bandnummer 193
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956005
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

ALLISON LEIGH

Schlägt mein Herz für den Falschen?

Kurz vor ihrer Hochzeit mit dem biederen Rancher Wendell Pierce steht plötzlich Wood Tolliver mit seinem defekten Oldtimer vor der Tür von Hadleys gemütlichem Hotel. Und schon ist nichts mehr wie vorher. Magisch fühlt sie sich von dem Fremden angezogen! Bis sie die Wahrheit über Wood erfährt – und damit eine Welt für sie zusammenbricht …

LAURIE PAIGE

Von Liebe sprach sie nie

Lichterloh entbrennt der charmante Unternehmer Harrison Stone für die bildschöne Isa. Doch nur Tage nach ihrer Hochzeit erklärt sie ihm eiskalt, dass sie ihn nur geheiratet hat, um das Sorgerecht für ihren Bruder zu erhalten. Nach einem Moment der tiefen Verletzung erwacht in Harrison das Kämpferherz: Er will mit dieser Frau keinen Deal, er will ihre Liebe …

CHRISTIE RIDGWAY

Ich will leben – ich will lieben

Nach Jahren kehrt der smarte Anwalt Griffin Chase – Vizepräsident seines Familienunternehmens – nach Strawberry Bay zurück, wo er die zauberhafte Annie wieder trifft. Die temperamentvolle Frau hat offensichtlich viel nachzuholen – und er lässt sich nur zu gerne darauf ein. Als schöne Affäre. Nicht mehr. Doch das scheint Annie ganz anders zu sehen …

1. KAPITEL

Der Pick-up scherte direkt vor ihm auf den Highway ein.

Automatisch riss Dane Rutherford das Lenkrad herum, verfehlte nur um Haaresbreite das andere Heck und schoss neben den Pick-up – so nahe, dass er deutlich erkennen konnte, wie sich die ohnehin großen Augen der Fahrerin vor Schreck weiteten.

Er fluchte heftig, als er auf der rutschigen Straße ins Schlingern geriet. Obwohl er geschickt und blitzschnell gegenlenkte, konnte er nicht vermeiden, dass die beiden Fahrzeuge mit einem quietschenden Geräusch aneinanderschabten. Das alles wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn die Fahrerin nicht in Panik geraten wäre. Doch sie riss das Lenkrad zu heftig herum und geriet ins Schleudern.

Die Landstraße war gewunden und verdammt schmal, und es gelang ihm nicht, einen weiteren Zusammenstoß zu vermeiden. Sein Magen hüpfte, als das Auto abhob und über den Seitenstreifen in den Straßengraben segelte.

Und dann dachte Dane nicht mehr daran, ob die Frau wohl unversehrt blieb oder was sein Freund Wood, dem das kostbare Auto gehörte, zu diesem Malheur sagen würde. Er dachte nur noch daran, sich gegen den bevorstehenden Aufprall zu wappnen.

Das Auto war alt. Der Baum, den es traf, war älter und sehr solide. Und es gab keinerlei Hoffnung auf ein Entrinnen.

Fassungslos beobachtete Hadley, wie die Front des kirschroten Autos gegen den massiven Stamm der Pappel prallte. Sie war so auf das andere Fahrzeug fokussiert, dass sie beinahe ihre eigenen Probleme vergaß. Erschrocken riss sie wiederum das Lenkrad herum, um nicht in den anderen Straßengraben zu rasen. Dafür prallte sie frontal gegen einen Vorfahrtweiser und mähte ihn schlichtweg nieder.

Als der Pick-up zum Stillstand kam, blieb sie einen Moment lang reglos sitzen. Fassungslos.

Der Motor stotterte und spuckte. Die traurigen Geräusche rissen sie aus ihrer Erstarrung, und sie schaltete ihn hastig aus, bevor er abstarb.

Noch mehr Arbeit für Stu.

Benommen schüttelte sie den Kopf und schaute sich nach dem anderen Fahrzeug um. Doch der Straßengraben war tief, und sie konnte nichts von dem Auto sehen.

„Bitte sei unverletzt“, flüsterte sie inständig, während sie hinaus in den Schnee stieg und über die Straße rannte. Die Füße rutschten ihr weg, als sie den Seitenstreifen erreichte, und sie landete mit dem Po auf dem steinhart gefrorenen Boden des steilen Anhangs. Doch sie spürte nur vage einen Ruck durch ihren Körper jagen. Schon rappelte sie sich wieder auf und rutschte hinunter zu dem zerknitterten Wagen.

„Bitte sei am Leben“, betete sie, während sie das Heck umrundete, das in die Luft ragte. Ein Hinterrad drehte sich noch ein wenig. Sie beugte sich hinab und spähte durch das spinnennetzartig zersprungene Seitenfenster.

Der Kopf des Fahrers war zurück an die Kopfstütze geschleudert worden. Blut klebte an der Windschutzscheibe und lief ihm von der Stirn über das Gesicht. Das Auto hatte keinen Airbag.

Der Anblick des vielen Blutes erschreckte Hadley. Hektisch versuchte sie, die zerknautschte Tür zu öffnen. Aber es war vergebens. Der Motor lief noch, und der Fahrer rührte sich nicht. Irgendwie musste sie seine Aufmerksamkeit erregen. An das zersplitterte Fenster zu klopfen, kam nicht infrage, und das Dach bestand aus weißem Stoff. Also hämmerte sie auf die zerbeulte Haube, aber der Fahrer rührte sich immer noch nicht und hielt die Augen geschlossen. „Großer Gott“, flüsterte sie, „bitte lass ihn zu sich kommen.“ Erneut hämmerte sie auf die Haube – so hart, dass ihre Hand schmerzte.

Angestrengt spähte sie durch die Scheibe. Gott sei Dank. Seine Brust hob und senkte sich.

Er lebte.

Sie kletterte aus dem Graben und lief über die Straße. Ihre Finger waren so starr vor Kälte, dass sie kaum die Autotür öffnen konnte. Schließlich schaffte sie es und schnappte sich die Handtasche, die zu Boden gefallen war. Sie leerte den Inhalt auf dem Sitz aus und griff nach ihrem Handy. Es brauchte zwei Versuche, um die Nummer einzugeben. Mit dem Apparat am Ohr überquerte sie die Straße erneut und rutschte auf dem Po in den Graben hinab. Eine dünne Schneeschicht bedeckte inzwischen das zerbeulte Auto.

„Shane, geh endlich an das verdammte Telefon!“ Sie lief zur Seite des Wracks und klopfte an die Tür. „He, Mister, kommen Sie, wachen Sie auf. Oh, Shane!“ Sie presste sich das Handy fester ans Ohr, als sie die Stimme ihres Bruders hörte. „Gott sei Dank. Ich hatte einen Unfall … Nein, ich bin nicht verletzt.“

Der Mann im Auto rührte sich. „Hallo.“ Sie wedelte mit den Armen, obwohl seine Augen geschlossen waren. „Entriegeln Sie die Tür.“ Sie hämmerte auf die Haube und trat gegen die Tür.

Er hob den Kopf. Unglaublich lange Wimpern hoben sich, enthüllten einen schmalen Schlitz heller Augen.

„So ist es gut.“ Sie tätschelte den Wagen wie einen braven Hund. „Wachen Sie auf.“

Ihr wurde bewusst, dass ihr Bruder ihren Namen durch das Handy schrie. „Entschuldige, Shane. Eine Viertelmeile hinter Stus Abfahrt. Schick lieber eine Ambulanz.“ Sie drückte die Off-Taste und steckte das Handy in die Tasche. Als es zu vibrieren begann, ignorierte sie es zugunsten des Mannes im Fahrzeug. Er hatte sich an die Stirn gefasst und starrte nun auf das Blut an seinen Fingern.

„Entriegeln Sie die Tür!“, rief sie erneut.

Er blickte sie an, beugte sich etwas vor und verzog das Gesicht. Mühelos konnte sie von seinen Lippen lesen. Er fluchte. Sie hielt es für ein gutes Zeichen. Langsam bewegte er den Arm. Ein leises Klicken ertönte. Er hatte das Schloss entriegelt. Heftig zerrte sie an der Tür, bis sie nachgab. Warme Luft strömte ihr entgegen, als sie sich in den Wagen beugte und die Zündung ausschaltete.

Der schwer keuchende Motor verstummte.

Der Mann rührte sich und stöhnte.

Sanft legte sie ihm die Hände auf die Schultern. „Sie sollten sich nicht bewegen. Der Krankenwagen ist schon unterwegs.“

„Ich brauche keinen verdammten Krankenwagen.“

„Aber Sie bluten.“ Während sie sprach, hörte sie eine Sirene aufheulen. „Mein Bruder Shane ist auch unterwegs. Er ist der Sheriff.“ Eine Moment lang wirkte der Fahrer irritiert. Aber er sagte nichts, sondern löste nur den Sicherheitsgurt und spähte durch die Windschutzscheibe zu der zerknitterten Motorhaube. „Wer zum Teufel hat Ihnen das Autofahren beigebracht?“, murmelte er schließlich mit tiefer Stimme.

„Mein Vater. Beau Golightly.“ Sie runzelte die Stirn. „Und ich fahre sehr gut. Sie sind derjenige, der Rennfahrer gespielt hat.“

Es zuckte ein wenig um seine Lippen. „Schon lange nicht mehr“, glaubte sie ihn murren zu hören. Aber sie war sich nicht sicher, denn die Sirene heulte ohrenbetäubend, bevor der Krankenwagen anhielt.

Hadley kroch aus dem Auto und sah Palmer Frame und Noah Hanlan aus der Ambulanz steigen und hinunter in den Graben rutschen.

Palmer musterte sie besorgt. „Bist du verletzt?“

Sie schüttelte den Kopf und deutete zu dem Cabriofahrer. „Er aber. Er blutet stark.“ Sie ging beiseite, um Palmer Zutritt zu verschaffen. Der braune Geländewagen ihres Bruders hielt mit quietschenden Reifen am Straßenrand an. Während sie seufzend hinaufkletterte, blickte sie über die Schulter zurück zu dem Unfallwagen.

Die Sanitäter hatten die Fahrertür mit einer Brechstange weit genug geöffnet, sodass der Mann aussteigen konnte. Stehend überragte er sogar Palmer, und das hieß einiges. Dass er überhaupt aus eigener Kraft stand, hieß vor allem, dass er nicht sehr schwer verletzt sein konnte.

Zumindest hoffte sie das.

Während Shane ungeduldig ihren Namen rief, beobachtete sie, wie der Cabriofahrer Palmers Hilfe abwehrte und breitbeinig dastand, die Hände in die Hüften gestemmt, und sein Auto begutachtete.

„Hadley!“

Sie schloss die Augen, betete um Geduld – mindestens das zehnte Mal an diesem Tag – und reichte ihrem Bruder die Hand. Die Böschung wurde immer glatter, je mehr die Nachmittagstemperatur sank. „Hilf mir rauf.“

Shanes Stimme mochte verärgert klingen, aber sein Blick war besorgt, als er sie hinauf auf den Seitenstreifen zog. Mit den Händen auf ihren Schultern musterte er ihr Gesicht.

Obwohl sich seine gestrenge Miene nicht entspannte, zeigte sich Erleichterung in seinen Augen. Sobald er sich überzeugt hatte, dass sie unverletzt war, ließ er sie los und eilte in den Graben, während er einen Notizblock aus der Tasche seiner Felljacke zog.

Durch und durch der Sheriff im Einsatz.

Hadley erzitterte und wünschte, ihre Jacke wäre auch so warm wie Shanes. Aber sie hatte das Kleidungsstück gekauft, weil es so schön pink war, nicht weil es Schutz vor Kälte bot. Es gehörte zu ihren wenigen unvernünftigen Käufen.

Die vier Männer im Graben starrten nun gemeinsam zu dem Auto, so als trauerten sie um etwas. Nun, das Gefährt sah tatsächlich traurig aus. Es war alt, obwohl der Lack – zumindest am Heck – tadellos aussah. Hadley sorgte sich jedoch mehr um den Fahrer und seine Verletzungen als darum, dass die Stoßstange nun mit den Scheibenwischern vereint war. Herrje, es war nur ein Auto. Und der Mann blutete immer noch.

Sie stapfte zurück in den Graben und zupfte Palmer und Noah am Ärmel. „He, ihr seid Sanitäter und keine Mechaniker. Wollt ihr euch nicht um ihn kümmern?“ Sie deutete zu dem verletzten Fahrer.

Schneeflocken sammelten sich in seinen dichten Haaren. Erneut fiel ihr auf, wie lang und dicht seine Wimpern waren, als er zu ihr guckte. Stahlblau. Bisher hatte sie eigentlich nicht genau gewusst, was dieser Ausdruck besagte, obwohl sie ihn selbst benutzte, wenn sie schrieb. Nun wusste sie es aus Erfahrung.

Verwirrt schluckte sie, wich einen Schritt zurück und versank mit einem Fuß im Schnee. Sie verlor das Gleichgewicht und spürte sich fallen. Doch der Mann packte sie blitzschnell am Oberarm. „Sie sind nicht besonders vorsichtig, wie?“, bemerkte er.

Anstatt schmachvoll auf den Po zu fallen, landete sie an seiner Brust. Und ihre lebhafte Fantasie beschäftigte sich sogleich mit der Frage, ob sein Körper so solide war, wie er unter der Fliegerjacke wirkte.

Entschieden richtete sie sich auf. Männer wie er schenkten einer Frau wie ihr keine Beachtung. Besonders dann nicht, wenn besagte Frau sein Auto gegen einen Baum gesandt hatte.

Ich bin nicht zu schnell gefahren, im Gegensatz zu Ihnen“, konterte sie, obwohl sie gar nicht sicher war, ob er es getan hatte. Sie war viel zu sehr mit ihren Brüdern und deren unliebsamem Interesse an ihrem nicht vorhandenen Liebesleben beschäftigt gewesen.

Shane, Palmer und Noah beklagten immer noch das zerknitterte Auto.

„Vielleicht ist es niemandem aufgefallen, aber Sie bluten immer noch“, sagte sie zu dem Verletzten. Dann bemerkte sie die blutigen Fingerabdrücke, die er auf dem Ärmel ihrer Jacke hinterlassen hatte.

Er sah es auch und verzog das Gesicht. „Das tut mir leid.“

Ungehalten mit allen vier Männern seufzte sie und kletterte die Böschung hinauf. Sie stürmte zu dem Krankenwagen, riss die Hecktür auf und schnappte sich Verbandszeug, bevor sie in den Graben zurückkehrte.

Ihre Beine begannen zu schmerzen von all der Kletterei. Sie riss die Verpackung von einer der Bandagen und betupfte die Stirn des verletzten Mannes.

Er zuckte zurück und hielt ihre Hand fest. „Was tun Sie denn da?“

„Ich versuche, Ihnen zu helfen“, erklärte sie. Aber wenn er das nicht wollte, war es ihr nur recht. Sie steckte ihre Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten. Im Gegensatz zu gewissen Geschwistern. Sie drückte ihm den Tupfer in die Hand und stieß Palmer in die Rippen. „Ich muss weiter. Hab noch einiges zu tun.“

„Moment.“ Shane legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Da wäre noch eine Kleinigkeit. Nämlich der Unfallbericht.“

Natürlich. „Gut. Aber können wir das vielleicht woanders als im Schnee erledigen? Vielleicht ist es dir ja entgangen, aber es ist ziemlich kalt hier.“ Seit Neujahr in der vergangenen Woche herrschte ein ungewöhnlich strenger Winter mit niedrigen Temperaturen und viel Schnee.

Er nickte. „Warte in meinem Wagen.“

Erleichtert wandte sie sich ab und stieg die Böschung hinauf. Dabei hörte sie ihren Bruder nach den Fahrzeugpapieren fragen. Der Motor des Geländewagens lief, und es war angenehm warm im Innenraum. Sie setzte sich auf den Beifahrersitz und rieb sich die Hände über dem Gebläse, während sie die Männer beobachtete.

Sie liebte es, in Lucius, Montana zu leben. Aber manchmal hätte sie den Winter gern irgendwo an einem warmen Sandstrand verbracht. Wenn sie die Augen schloss, spürte sie förmlich die heiße Sonne auf dem Gesicht …

„Gib mir mal das Klemmbrett da.“

Sie öffnete die Augen und sah ihren Bruder in der Tür stehen und zum Armaturenbrett deuten.

Sie reichte ihm das Klemmbrett, blickte ihm über die Schulter und stellte fest, dass der Verletzte nun hinten im Krankenwagen saß und Palmers verspätete, aber gründliche Untersuchung über sich ergehen ließ. „Ich hasse diesen Papierkram“, murrte sie.

Er brummte. „Sei froh, dass keiner von euch ernsthaft verletzt ist.“

„Das bin ich“, erwiderte sie inbrünstig. „Shane, ich …“

„Nur keine Panik, Rübchen“, beschwichtigte er.

Sie verdrehte die Augen ob des alten Kosenamens und sank zurück an den Sitz. Ihr wurde kalt, trotz der Wolljacke und des Gebläses, das auf vollen Touren lief. Der Fahrer hingegen trug nur eine dünne Lederjacke. Er musste halb erfroren sein. „Kann Palmer ihm nicht eine Decke geben oder so?“

„Möglich“, murmelte Shane zerstreut und kritzelte weiter an seinem Bericht. Dann wandte er sich wortlos ab, überquerte die Straße und begutachtete ihren Pick-up.

Ein Abschleppwagen fuhr vor. Gordon und Freddie Finn stiegen aus und rutschten die Böschung hinunter zu dem Wrack.

Hadley schloss die Fahrertür des Geländewagens, damit der Innenraum nicht noch mehr auskühlte, und beobachtete, wie Gordon das Wrack an Ketten hängte und langsam die Böschung hinaufzog. Es schien unmöglich, aber das Auto sah nun, als es nicht mehr um den Baum gewickelt war, noch schlimmer aus als vorher.

Sie blickte hinüber zu dem Fahrer. Seine Miene war undeutbar, aber ein Muskel zuckte an seinem Kiefer. Sie kannte dieses Signal der Wut, hatte es im Lauf der Jahre häufig bei Shane beobachtet.

Mit einem Seufzer stieg sie aus und trat zu dem Mann. Es erleichterte sie, dass er nicht vor ihr davonlief. Dennoch sah er sie sicherlich als Bedrohung an. „Es tut mir leid wegen Ihres Autos.“ Wie so oft klang ihre Stimme zaghafter, als ihr lieb war. „Haben Sie es schon lange?“

„Lange genug.“ Er wirkte überraschend gleichgültig, angesichts der Umstände.

„Indiana“, murmelte sie, als sie das Nummernschild seines Wagens sah. „Wohin wollten Sie?“

„Wieso?“

Sie zog die Schultern hoch und schlang die Arme um sich selbst. „Die meisten Leute kommen auf dem Weg nach irgendwo anders durch Lucius. Wir sind nicht viel mehr als eine Beule auf der Straße.“ Das war vielleicht ein wenig untertrieben. Immerhin besaß Lucius ein eigenes Krankenhaus, eigene Schulen, drei verschiedene Kirchen, dazu ein recht gutes Angebot an Restaurants und sogar ein Kino mit vier Sälen. „Ich habe ein Handy, falls Sie jemanden anrufen möchten.“

Er trug keinen Ehering, aber das hatte nicht unbedingt etwas zu bedeuten. Und sie hatte keine Ahnung, warum sie überhaupt auf seinen Ringfinger achtete. Hatte sie Stu nicht gerade an diesem Tag zehn Minuten lang vorgehalten, dass sie nicht nach einem Ehemann Ausschau hielt?

Um seine Lippen zuckte es ein wenig. Er wirkte beinahe belustigt. Aber auch nur beinahe. „Nein danke.“

Was nicht unbedingt bedeutet, dass er Single ist. Sie stopfte die Hände in die Jackentaschen und blickte hinüber zum Abschleppwagen. Das Wrack ächzte und stöhnte, als es an den Ketten auf die Rampe gehoben wurde. Sie zuckte zusammen und blickte wieder den Mann an. „Tut Ihr Kopf sehr weh?“

„Nicht so sehr, wie mir das Auto wehtut.“ So als könnte er den Anblick nicht länger ertragen, richtete er die Aufmerksamkeit auf ihren Pick-up, der an der Fahrerseite einen langen „Zierstreifen“ in Kirschrot von der Kollision davongetragen hatte. Es war die farbenfrohste Stelle des Fahrzeugs, das ansonsten von undefinierbarer Tönung war.

„Bringt Palmer Sie ins Krankenhaus?“

„Nein.“

Das überraschte sie. „Er ist ein großartiger Sanitäter. Einer der besten. Noah übrigens auch. Aber Sie sollten sich den Kopf trotzdem vom Doktor untersuchen lassen.“

„So schlimm ist es nicht.“

„Sind Sie sicher? Kopfverletzungen sind heikel. Was ist, wenn Sie eine Gehirnerschütterung haben?“

„Dann komme ich schon damit klar.“

Er klang, als wäre er es nicht gewohnt, angezweifelt zu werden, und deshalb sagte sie nichts mehr dazu.

Shane trat zu ihnen und hielt ihm das Klemmbrett hin. „Füllen Sie das aus. Ich muss außerdem Ihre Papiere sehen.“

Der Mann nahm das Klemmbrett nicht. „Wir können die Angelegenheit ohne diese Umstände regeln.“ Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch, und Hadley wartete gespannt auf die Reaktion ihres Bruders.

„Irgendein Grund, aus dem Sie den Unfallbericht nicht ausfüllen wollen?“ Shanes Stimme hatte diesen seidigen Ton angenommen – wie immer, wenn ihm etwas richtig missfiel. Für Hadleys Abneigung gegen Unfallberichte brachte er Verständnis auf, aber ein Fremder konnte nicht mit dieser Nachsicht rechnen.

„Nur der Zeitaufwand. Niemand wurde ernsthaft verletzt, und wir beide sind uns einig, dass jeder für seinen eigenen Schaden aufkommt.“

Unwillkürlich stieß sie einen erstaunten Laut aus. Bedeutungsvoll blickte sie zu dem Verband, der die Hälfte seiner Stirn bedeckte. Außerdem hatten sie sich über gar nichts geeinigt.

„Meine Schwester hat Ihnen den Weg abgeschnitten, und Sie sind bereit, den beträchtlichen Schaden an Ihrem Auto selbst zu begleichen?“ Shane blickte zu dem fraglichen Fahrzeug auf dem Abschleppwagen. „Das ist ein 68er Shelby.“

Die Miene des Fahrers änderte sich nicht. „Ich bin zu schnell gefahren. Wir haben beide Schuld.“

Shane seufzte. „Ich kann die Bremsspuren vermessen lassen“, sagte er im Plauderton. „Um es zu beweisen. Aber wir wissen beide, was sich herausstellen würde.“ Sein Lächeln wirkte kühl. „Sie sind nicht zu schnell gefahren. Deshalb bin ich ein wenig neugierig, warum Sie es so eilig haben.“

„Ich habe Geschäfte zu erledigen.“

Der Fremde wirkte noch immer ungerührt, und dafür musste Hadley ihm Bewunderung zollen. Nicht viele Leute vermochten sich gegen dieses gewisse Lächeln von Shane Golightly zu behaupten. Selbst Stu, sein Zwillingsbruder, gab gelegentlich klein bei.

Wenn der Mann eine Teilschuld an dem Unfall einräumte, warum sollte sie dann protestieren? Schließlich wollte sie selbst diesen Bericht auch nicht unbedingt ausfüllen.

„Nun, die Papiere bitte“, drängte Shane.

„Die habe ich nicht dabei.“

Oje. Hadley starrte hinab auf ihre Stiefel und scharrte ein wenig im Schnee herum.

„Tja, das ist irgendwie ein Problem, oder?“ Sie schloss die Augen. Shane klang nie so freundlich, wenn er nicht total wütend war.

Der Mann sah nicht wie ein Autodieb aus. Nicht, dass sie wusste, wie Autodiebe aussahen. Aber wenn sie in einer ihrer Geschichten einen hätte mitspielen lassen, hätte sie ihm keine dichten kastanienbraunen Haare, keine leuchtend blauen Augen und keinen knackigen Po gegeben, der Spitzenklasse war. Sie hätte ihn mit Piercings und Tattoos und pomadigen Haaren versehen und ihn bestimmt nicht zum Helden auserkoren.

Hastig verdrängte sie diesen Gedanken. „Shane, du musst ihn nicht so in die Mangel nehmen“, sagte sie mit dieser verhassten zaghaften Stimme. „Mister …“

Sie schaute ihn an und vergaß ihren Gedankengang, als er ihrem Blick begegnete.

„Wood.“

„Wie bitte?“

„Wood Tolliver. Atwood, genau genommen, aber niemand nennt mich so.“ Es zuckte um seine Mundwinkel. „Niemand, der eine Antwort von mir erwartet.“

Seine Stimme klang sonor und wies einen schwachen südlichen Akzent auf. Ihre Haut begann zu prickeln, als sich ihre Blicke gefangen hielten.

„Nun, Atwood Tolliver“, sagte Shane immer noch in diesem gefährlich freundlichen Ton. „Ich fürchte, ich muss Sie mitnehmen. Nur so lange, bis wir überprüft haben, ob Sie wirklich der sind, der Sie zu sein behaupten.“

Der Blick des Fahrers wurde ein wenig kälter, und das heiße Prickeln ihrer Haut verwandelte sich in einen eisigen Schauer.

Natürlich starrte der Mann sie vernichtend an. Zweifellos verfluchte er sein Pech, jemals in die Nähe von Lucius in Montana gekommen zu sein – oder besser gesagt in Hadleys.

Er war mit Abstand der bestaussehende Mann, den sie in ihrem ganzen Leben je gesehen hatte – im Fernsehen, im Kino oder in ihrer Fantasie eingeschlossen – und ihr Bruder plante, ihn festzunehmen.

2. KAPITEL

Es geschah nicht oft, dass Dane Rutherford nicht bekam, was er wollte. Doch momentan versagte er in dieser Hinsicht gleich dreifach. Wider Willen saß er wohl für eine ganze Weile in diesem Kuhdorf fest. Es sollte ihm nicht vergönnt sein, den einzigartigen Shelby zu seinem Freund Wood zu fahren. Und die Frau mochte zwar das hübscheste Wesen sein, das ihm seit langem über den Weg gelaufen war, aber sie schien schon vor Schreck aus der Haut zu fahren, wenn auch nur ein Hase sie anschaute.

Und Dane Rutherford war kein Hasenfuß. Er guckte nicht nur gern, er packte auch gern zu. Aber ihm sollte wohl keines von beiden vergönnt sein.

„Wenn Sie den Wagen beschlagnahmen wollen, kann ich Sie kaum davon abhalten“, sagte er zum Sheriff. Noch nicht. „Aber vermutlich sehen Sie ein, dass es im Interesse Ihrer Schwester liegt, wenn jeder für seinen eigenen Schaden aufkommt.“ Er zog seine Scheinklemme heraus und hörte Hadley nach Luft schnappen.

Die Miene des Sheriffs änderte sich kaum, obwohl er den Blick auf das Geld in Danes Hand heftete. „Hadley? Läuft dein Auto noch?“

Sie ließ den Blick im Dreieck wandern, von den Scheinen zum Gesicht des Sheriffs und zu Dane. „Das weiß ich nicht.“

„Versuch es. Wenn ja, dann fahr in die Stadt. Wir treffen uns in meinem Büro.“

Sie presste die Lippen zusammen. Obwohl ihre Nase rot vor Kälte war, verdiente ihr Gesicht die ausgiebige Aufmerksamkeit eines Mannes. „Shane, komm schon, du willst doch nicht wirklich …“

„Fahr.“

Zerknirscht blickte sie zu Dane. Durchaus angebracht angesichts ihrer scheußlichen Fahrweise, fand er.

„Hadley.“ Die Stimme des Sheriffs klang ungehalten.

Sie atmete tief aus, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte über die Straße zu ihrem klapprigen Truck. Ihre schlanken Hüften schwangen unter der lächerlich kurzen, dünnen Jacke. Sie kletterte in die Fahrerkabine und fuhr einige Male vor und zurück, um das Auto von dem Vorfahrtweiser zu trennen, und tuckerte in einer Abgaswolke die Straße entlang.

„Nun?“, eröffnete der Sheriff. „Wollen Sie die Bestechung vollenden, oder wollen Sie mir erzählen, was hier wirklich vorgeht?“

Der Abschleppwagen mit dem zerknitterten Cabrio stand im Hof der Werkstatt, als Hadley von ihrem Pick-up zum Büro ihres Bruders ging. Manche mochten es für seltsam halten, dass Stu Golightly ein Rancher war und dazu die einzige Autoreparaturwerkstatt der Stadt betrieb, aber sie persönlich hielt es für äußerst praktisch.

Es war bereits Feierabend, aber Riva saß immer noch hinter dem Ladentisch und lackierte sich gerade die Fingernägel in einem scheußlichen Blau. Sie blickte erst auf, als Hadley ihren Autoschlüssel auf den Tresen warf.

Riva ließ eine Kaugummiblase zum Platzen bringen und zog die schmalen Augenbrauen hoch. Sie war mindestens siebzig, aber das hielt sie nicht davon ab, „modebewusst“ zu sein, wie sie es nannte. „Hab schon gehört, dass du heute ein kleines Problem hattest. Was hast du diesmal getroffen?“

Hadley berichtete ihr den Unfallhergang. „Ich fürchte, Stu wird sich zuerst um die alte Kiste da draußen kümmern müssen.“

Riva nickte nachdrücklich, sodass ihre leuchtend roten Haare tanzten. „Dein Bruder wird sich in die Hose pinkeln, wenn er an so einem himmlischen Fahrzeug arbeiten darf. Du solltest die Sache gleich deinem Versicherungsvertreter melden.“

„Jeder kommt selbst für den Schaden auf“, entgegnete Hadley und betete im Stillen, dass diese Regelung immer noch galt. Hoffentlich hatte ihr starrsinniger Bruder nicht dafür gesorgt, dass Wood sein Angebot zurücknahm.

Atwood Tolliver. Das konnte nicht der Name eines Autodiebes sein, oder? Es klang so altmodisch. So aufrichtig. Und der Mann wirkte so … so …

„Ich hab gehört, dass du dich genau vor seine Nase gesetzt hast.“

Hadley seufzte. „Der Nachrichtendienst in Lucius funktioniert tatsächlich einwandfrei.“

„Warum ist er dann bereit, selbst für die Reparatur von so einem Auto aufzukommen?“

Von so einem? Wieso? Das Ding ist ja noch älter als mein Pick-up.“

Riva schüttelte den Kopf. „Honey, es ist mir ein Rätsel, wie du einen Bruder haben kannst, der sich so gut mit Autos auskennt, und selbst von Tuten und Blasen keine Ahnung hast.“ Sie tauchte den Pinsel in das Fläschchen und strich dann über ihre langen Nägel. „Das ist ein 68er Shelby GT500 Cabrio. Die Reparatur wird nicht billig.“

Hadley blickte durch das verstaubte Fenster zum Abschleppwagen. „Das Ding ist also teuer?“

„Da nur etwa fünfhundert davon gebaut wurden …“

Oje. Hadleys Magen verkrampfte sich. Kein Wunder, dass der Sheriff so misstrauisch gegenüber Wood war. „Shane will mich in seinem Büro sehen. Ich sollte jetzt gehen“, verkündete sie und blieb stehen.

„Es könnte helfen, wenn du die Tür öffnest, Kind, und deine Füße tatsächlich in die Richtung bewegst.“

Hadley lächelte matt und trat hinaus in den Spätnachmittag. Sie schlurfte ein wenig, während sie den Abschleppwagen passierte. Die altmodischen Straßenlaternen gingen gerade an. In etwa einer Stunde würde es dunkel werden. Sie beschleunigte den Schritt, denn sie hatte noch einiges in der Pension Tiff’s zu tun. Unter anderem musste sie den Gästen das Abendessen bereiten.

Die Türglocke läutete, als sie Shanes Büro betrat. Carla Chapman, sein „Mädchen für alles“, deutete mit dem Kopf zum Hinterzimmer. „Er wartet schon.“

Großartig. Hadley liebte ihren Bruder inniglich, aber er besaß die Fähigkeit, ihr das Gefühl zu geben, als unartiges Schulkind zum Rektor gerufen zu werden.

Es war warm im Raum, und sie zog sich die Jacke aus, während sie Shanes Büro betrat. Wood war nirgendwo zu sehen. Sie ließ Handtasche und Jacke auf den Schreibtisch fallen und sagte vorwurfsvoll: „Du hast ihn wirklich eingebuchtet.“

Er schob ihre Sachen zur Seite. „Setz dich. Du musst den Bericht noch unterschreiben.“

„Das ist keine Antwort.“

„Er ist in einer Zelle.“

„Shane! Weil er keine Papiere bei sich hat? Das ist lächerlich! Ich bin sicher, dass er welche besitzt und sie nur vergessen hat.“

„Wie wäre es dann mit Bestechung?“

„Be… Das hat er nicht getan!“

„Wahrscheinlich hatte er keinen Platz in der Tasche für die Papiere – bei all dem Bargeld, das er bei sich hat“, sagte Shane trocken. „Und du warst schon immer zu vertrauensselig.“

„Du stellst mich hin, als wäre ich sieben statt siebenundzwanzig.“ Sie nahm den Stift, den er ihr reichte, und unterschrieb den Unfallbericht. „Früher hast du nicht jeden eingelocht, der seine Papiere vergessen hat.“

Vielsagend blickte er zu ihrer Tasche. „Zum Glück hat sie heute gelernt, ihre Handtasche mitzunehmen, wenn sie das Haus verlässt.“

„Nun mach mal einen Punkt!“

„Unser Mr. Tolliver hat in dir einen beachtlichen Rechtsbeistand gefunden. Ich frage mich, warum.“

„Wenn Stu … und du … nicht so entschlossen wärt, mich mit Wendell Pierce zu verkuppeln, wäre das alles nicht passiert. Der arme Mann wäre einfach durch Lucius durchgefahren. Er war nur ein …“

„Unschuldiger Unbeteiligter?“, warf Shane belustigt ein.

„Genau.“

Er wurde ernst. „So geht das nicht, Rübchen. Solange ich nicht weiß, dass das Auto nicht gestohlen ist, geht er nirgendwohin.“

„Dad sagt, dass Starrsinn kein Segen ist.“

„Dad sagt viele Dinge.“

Frustriert schnappte sie sich ihre Sachen und machte auf dem Absatz kehrt.

„Wo willst du hin?“

„Deinen armen Gefangenen besuchen!“ Und damit schritt sie den gekachelten Gang entlang. Das Sheriffbüro beherbergte insgesamt fünf Zellen, von denen selten auch nur eine belegt war. Wahrscheinlich langweilte Shane sich nur oder wollte die Stärke der Gitter testen.

Sie bog um die Ecke und blieb abrupt stehen. Wood saß auf dem Feldbett, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, einen Fuß auf die dünne Matratze gestützt und den anderen ausgestreckt.

„Wenn Sie gekommen sind, um mich zu befreien, dann sparen Sie sich die Mühe lieber. Mit Ihrer Hilfe würde ich vermutlich im Staatsgefängnis landen.“

Sie trat einen Schritt näher. Aus dem Büro hörte sie Carla mit fröhlicher Stimme telefonieren.

Ein gewöhnlicher Tag in Lucius neigte sich dem Ende zu.

„Es tut mir leid. Das ist alles meine Schuld.“

„Allerdings.“

„Tja, es ist nicht meine Schuld, dass Sie Ihre Papiere nicht bei sich haben“, konterte sie. Es zuckte ein wenig um seine Lippen. Er hatte nette Lippen, selbst wenn Shane ihn für einen Autodieb hielt. „Sind Sie es?“

„Was?“, hakte er verwirrt nach.

„Ein Autodieb.“

Seine Augen funkelten. Dann stand er von dem Feldbett auf, so gelassen und entspannt, als würde er zu Hause aus seinem eigenen Bett steigen.

Als ob sie je einen fremden Mann aus seinem eigenen Bett hätte steigen sehen! Sie hatte lediglich mit Betten zu tun, die für ihre seltenen Gäste neu bezogen werden mussten.

Wood trat an das Gitter und legte die Hände um die Stäbe. „Sehe ich Ihrer Meinung nach wie ein Autodieb aus?“

Sie zog eine Schulter hoch. „Eigentlich weiß ich nicht, wie ein Autodieb wirklich aussieht. Ich denke nicht, dass alle unattraktiv und verschlagen sind.“

„Ein hohes Lob“, murmelte er.

Er hatte ein Grübchen in einer Wange, das ein Gegengewicht zu seinem markanten Kinn bildete. Die Nase war ein wenig zu lang, aber alles in allem sah er verdammt gut aus.

„Sie starren mich an.“

Sie befeuchtete sich die Lippen. „Es tut mir leid.“

Er griff zwischen den Gitterstäben hindurch zu ihrer Jacke. „Mir auch.“

Sie sah eine winzige Narbe in seinem Augenwinkel. „Was?“

Er zupfte an der pinkfarbenen Wolle.

Sie senkte den Blick und sah die Blutflecken. „Die Reinigung dürfte wesentlich einfacher sein als die Reparatur Ihres Autos.“

„Aha. Zumindest Sie haben beschlossen, dass der Shelby mir gehört.“

Woher stammte die Narbe? Würde eine weitere auf der Stirn zurückbleiben? „Gibt es einen Grund, daran zu zweifeln?“

„Sie sind sehr vertrauensvoll.“

Seltsamerweise konnte sie über die Bemerkung lächeln, wenn sie aus seinem Munde kam. „Überraschenderweise sind Sie nicht der Erste, der mir das vorwirft.“

Seine Augenwinkel kräuselten sich, und die Narbe verschwand. „Darauf wette ich.“

Er lächelte nicht wirklich, aber es ging ihr dennoch unter die Haut, und einen Moment lang schienen die Gitterstäbe, Carlas Stimme und alles andere zu verschwinden.

„Es ist schon spät. Musst du nicht das Abendessen machen?“

Sie zuckte heftig zusammen beim Klang von Shanes Stimme. Die Gitterstäbe waren wieder da.

Wood zog die Hand langsam zurück, und Hadley blickte über die Schulter. Fast hätte sie Shane widersprochen, aber er hatte recht. Sie musste das Abendessen zubereiten und danach den Teig für die Brötchen anrühren, die sie frühmorgens buk, und sie musste das Turmzimmer für einen neuen Gast am nächsten Tag herrichten.

Wood trat zurück, setzte sich wieder auf das Feldbett und lehnte sich an die Wand.

Sie fragte sich, was er denken mochte, und sie hätte ihn sogar danach gefragt, hätte ihr Bruder nicht wie ein Höhlenmensch dagestanden. „Du solltest ihm lieber was zu essen geben“, zischte sie Shane im Vorübergehen zu, „und eine Kopfschmerztablette. Besser noch, ruf einen Arzt. Er könnte eine Gehirnerschütterung haben.“

„Mr. Tolliver wird alles bekommen, was er verdient“, versicherte Shane, doch angesichts der Umstände wirkte dieses Versprechen nicht unbedingt tröstend.

Nachdem Hadley am nächsten Morgen Zimtbrötchen und Preiselbeerpfannkuchen gebacken hatte, füllte sie einen kleinen Picknickkorb und spazierte in die Innenstadt zum Sheriffbüro.

Die Tür war unverschlossen. Carla saß noch nicht an ihrem Schreibtisch, aber Shanes Stimme drang aus dem Hinterzimmer. Also marschierte sie geradewegs hinein.

Seine Augen leuchteten auf beim Anblick des Korbes, und er winkte sie eifrig zu sich. Ein gutes Zeichen. Er hatte schon immer eine Schwäche für ihr Gebäck gezeigt.

Sie stellte den Korb auf den Schreibtisch, setzte sich und legte Handschuhe und Schal ab, während er sein Telefonat beendete.

„Du redest also doch noch mit mir“, verkündete er schließlich und versuchte, nach dem Korb zu greifen.

Flink zog sie den Korb außerhalb seiner Reichweite. „Bist du zur Vernunft gekommen und hast den armen Mann gehen lassen?“

„Und wenn nicht? Glaubst du, du kannst mich durch deine Bestechungsversuche umstimmen?“

„Ich bin sicher, dass er dich nicht wirklich bestechen wollte.“

Er verschränkte die Arme auf dem Schreibtisch. „Ach, bist du das?“

Unwillkürlich dachte sie an Woods leuchtend blaue Augen, von denen sie die ganze Nacht geträumt hatte. „Ja, ich bin sicher.“

Shane musterte sie kopfschüttelnd. „Nun gut. Zufälligerweise habe ich …“

„Guten Morgen.“

Hadley zuckte zusammen und drehte den Kopf. Wood stand hinter ihr. Sein Haar war feucht, so als hätte er gerade geduscht, und es fiel ihm in die Stirn und verdeckte zum Teil den frischen Verband. Er hatte das blutverschmierte Hemd gegen ein dunkelblaues getauscht, das sie Shane vor zwei Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte. „Guten … Morgen.“ Es fiel ihr schwer zu sprechen, da ihr der Atem stockte.

Shane reichte ihm einen großen Umschlag. „Prüfen Sie den Inhalt und unterschreiben Sie den Bericht. Der Bus nach Billings geht in dreißig Minuten. Ich fahre Sie zur Haltestelle.“

„Sie wollen weg? Aber was ist mit Ihrem Auto?“, hakte Hadley überrascht nach – und keineswegs erfreut. Und das war lächerlich. Er war ein Fremder auf der Durchreise. Ein Opfer ihrer unkonzentrierten Fahrweise. Natürlich wollte er schleunigst aus Lucius verschwinden.

Tonlos entgegnete Shane: „Sein Auto wird repariert, ob er in der Stadt ist oder nicht.“

Wood hatte den Umschlag auf den Schreibtisch ausgeleert. Er steckte sich das Bündel Geldscheine, gehalten von einer silbernen Klemme mit eingraviertem Rennwagen, in eine Vordertasche seiner schwarzen Jeans. Dann schaute er in die schmale lederne Brieftasche und steckte sie ebenfalls ein, bevor er das Formular unterzeichnete, das Shane ihm vorgelegt hatte.

Das Telefon begann zu klingeln, während Wood in seine Lederjacke schlüpfte.

„Ich fahre ihn zum Busbahnhof“, bot Hadley an. „Nimm du lieber den Anruf an. Carla ist noch nicht da.“

„Sie hat sich krankgemeldet.“

„Ein Grund mehr, dass ich Mr. Tolliver fahre. Das ist das Mindeste, das ich tun kann“, fügte sie hinzu, als Shane den Kopf schüttelte.

„Danke.“ Wood reichte ihr den Schal, so als wäre die Entscheidung gefallen.

Ohne einen Blick zu ihrem Bruder zog sie sich die Handschuhe an und verließ das Büro. Hinter sich hörte sie Shane eine Begrüßung ins Telefon knurren. „Normalerweise ist er morgens nicht so mürrisch.“

Wood öffnete ihr die Tür zur Straße. Die Glocke läutete leise. „Er will Sie beschützen.“

Plötzlich fiel ihr ein, dass sie ihn gar nicht zum Busbahnhof fahren konnte, weil ihr Pick-up in der Werkstatt stand. Verlegen verkündete sie: „Darin hat er viel Praxis, fürchte ich. Mich zu beschützen, meine ich. Leider habe ich eine Kleinigkeit vergessen.“ Die Fransen ihres Schals wehten im Wind. „Mein Schlüsselbund ist drüben in der Werkstatt, und Riva – sie ist mehr oder weniger die Geschäftsführerin – kommt frühestens in einer Stunde.“ Sie fühlte sich wie ein ausgemachter Dummkopf – woran sie sich inzwischen hätte gewöhnen sollen, da es ihr bereits so erging, seit sie Wood von der Straße gedrängt hatte. „Ich sage Shane Bescheid, dass er Sie doch fahren soll.“ Sie griff zur Türklinke. „Ich mache inzwischen Telefondienst für ihn.“

Wood legte eine Hand auf ihre, und sie zuckte zusammen. Forschend musterte er sie und ließ sie wieder los. „Haben Sie Angst vor mir?“

„Nein! Natürlich nicht. Ich habe vor niemandem Angst.“ Was nicht ganz der Wahrheit entsprach, wenn sie es sich recht überlegte. „Lucius ist zwar nicht sehr groß, aber zum Busbahnhof zu laufen, würde zu lange dauern, und …“

„Ich will nicht zum Busbahnhof. Ist hier in der Nähe ein Café oder so?“

„Ja, sicher. Aber Shane …“

„Mag keine Fremden in seiner Stadt. Das hat er deutlich genug klargestellt.“ Er spielte mit den Fransen ihres Schals, der über seinen Ärmel geweht war. „Der Hamburger, den Ihr Sheriff mir gestern Abend serviert hat, war zwar ganz okay, aber ich habe seit gestern Morgen keine anständige Mahlzeit zu mir genommen. Ich bin am Verhungern.“

„Im Luscious Lucius gibt es die besten Waffeln in der Gegend.“

„Interessanter Name“, murmelte er. „Gibt es noch andere Restaurants?“

„Na klar. Aber das Luscious ist das beste für Frühstück und Mittagessen.“

„Und Dinner?“

„Der Silver Dollar. Ich kenne den Besitzer.“

„Ich wette, Sie kennen jeden in der Stadt.“

„Na ja, fast jeden.“ Sie wusste nicht, wie es kam, dass sie sich so nahe standen. Sie konnte seinen frischen Geruch nach Seife riechen, und es beeinträchtigte ihr Denkvermögen. „Das hängt wohl damit zusammen, dass mein Dad Pfarrer in der größten Kirche in der Stadt und mein Bruder der Sheriff ist.“ Sie deutete die Straße hinunter. „Das Luscious ist gleich da drüben. Sehen Sie das Schild?“

Er hob die Enden ihres Schals und verknotete sie miteinander. „Es ist ziemlich kalt hier draußen.“

Sie nickte, obwohl ihr von innen her heiß war. „Der nächste Bus fährt am späten Nachmittag, falls Sie den heute Morgen verpassen. Morgen ist Samstag, und da fährt bis Montag nur noch der eine am Nachmittag.“

„Der Busfahrplan interessiert mich nicht im Geringsten.“

„Ich dachte, Sie wollten abfahren.“

„Ihr Bruder will, dass ich abfahre.“ Seine Hand streifte ihre Wange, als er ihr den weichen Schal eng um den Hals legte. „Ich will Frühstück.“

Sie schluckte. „Haben Sie das Auto gestohlen?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe sogar vor, für die Waffeln zu bezahlen.“

Sie lächelte. „Und Sie haben nicht versucht, Shane zu bestechen.“

„Ihr Bruder erscheint mir aber nicht wie ein Mann, der käuflich ist.“

„Das ist er auch nicht.“

„Schön, dass wir das geklärt haben.“ Er ging einen Schritt in die Richtung des Cafés, blieb dann stehen und drehte sich zu Hadley um. Seine Augen funkelten belustigt. „Nun? Kommen Sie oder nicht?“

3. KAPITEL

Die Waffeln im Luscious Lucius waren tatsächlich besser als durchschnittlich. Oder vielleicht lag es nur an der Gesellschaft, dass Dane das Gebäck so ausgezeichnet mundete.

Trotz ihres sehr fragwürdigen Geschicks am Lenkrad war Hadley Golightly hübsch anzusehen, humorvoll und gewinnend, wenn sie nicht gerade gehemmt war.

Kein einziger Gast betrat das Café, ohne einige freundliche Worte mit ihr zu wechseln. In der vergangenen Stunde war Dane – besser gesagt Wood Tolliver – unzähligen Leuten vorgestellt worden.

Und es war gewiss nur eine Frage der Zeit, bis der Sheriff auftauchte und „Wood“ der Stadt verwies.

Das war eine völlig neue Erfahrung. Die meisten Menschen nahmen Dane Rutherford – als Generaldirektor von Rutherford Industries – mit offenen Armen in ihrer Mitte auf. Aber Dane war nicht geschäftlich in Montana.

Diese Reise hatte rein privaten Charakter. Und deshalb hatte er Woods Namen geborgt. Tolliver war relativ unbekannt. Rutherford hingegen war so geläufig wie Rockefeller.

Und ein Rutherford, der sich nach neuen Gesichtern in der Stadt erkundigte, hätte unliebsame Spekulationen hervorgerufen.

Er schob seinen Teller beiseite und musterte Hadley. „Sie haben mir alles über Lucius erzählt. Jetzt erzählen Sie mir von sich.“

Ihre Augen waren so dunkelbraun wie ihre Haare. Ihre Wangen waren rosig angehaucht, und er wusste, dass es von der Natur, nicht von Kosmetik herrührte. „Da gibt es nicht viel zu erzählen.“

„Sie haben einen Bruder, der Sheriff ist, und einen, der Mechaniker ist.“

„Stu hat außerdem eine Ranch. Am Stadtrand.“ Ihre Wangen röteten sich ein wenig mehr. „Da bin ich gerade hergekommen, als ich …“

„Als Sie gefahren sind, als wäre der Teufel hinter Ihnen her?“

Sie piekste ihre Gabel in die Waffel und nickte.

„Und Wendell Pierce?“

„Was wissen Sie über Wendell?“

„Ihr Bruder sagt, dass Sie beide liiert sind.“

„Ich kann mir nicht denken, warum er Ihnen so was erzählen sollte.“

Weil dem Sheriff nicht gefällt, wie ich seine kleine Schwester angucke. Eigentlich konnte Dane es ihm nicht verdenken. „Vielleicht habe ich ihn ja falsch verstanden.“

„Das bezweifle ich.“ Sie beugte sich vor. „Sie versuchen, mich zu verheiraten. Stellen Sie sich das mal vor! Ich meine, sehe ich etwa so erbärmlich aus?“ Sie schüttelte den Kopf, und ihre Haare wogten über ihren hübschen gelben Stehkragenpullover, der mindestens eine Nummer zu groß war. „Schon gut. Antworten Sie lieber nicht. Mein Ego würde es nicht verkraften.“

Ihr Ego hätte nur so strotzen sollen. Entweder waren die Männer in Lucius – mit Ausnahme eines gewissen Wendell – saublöd oder blind. Es war ein Jammer, dass Dane nicht aus romantischen Gründen in Montana weilte – oder um der Lust willen, die Hadley ganz gewiss schürte, selbst in dem übergroßen Sweater.

„Ich habe eine Schwester“, sagte er wahrheitsgemäß. „Vor ihrer Heirat habe ich einige Männer verscheucht, die mir nicht gut genug für sie erschienen.“

„Aber das ist was ganz anderes. Meine Brüder wollen mich mit Wendell verkuppeln, weil sie wissen, dass sonst niemand an mir interessiert ist.“

Er lächelte vage über ihren Zorn. Ihr zu sagen, dass sie total irrte, was ihn anging, hätte nur zu Verwicklungen geführt. Also griff er nach seiner Tasse und trank seinen Kaffee aus.

Sie legte die Gabel nieder, mit der sie mehr gefuchtelt als gegessen hatte. „Der Unfall war wirklich meine Schuld. Sie sollten nicht für Ihren Schaden aufkommen. Ich melde es meiner Versicherung. Und Stu nervt mich zwar manchmal gewaltig, aber er ist ein Genie im Reparieren von Autos. Er hält praktisch die ganze Stadt am Laufen. Und er macht alles wieder so schön. Oder wollen Sie Ihr Auto vielleicht nach Indiana schleppen lassen?“

In den letzten zehn Jahren hatte er nie länger als fünf Tage am Stück in Indiana verbracht, und er hätte ein ganzes Werkstatt-Team nach Lucius einfliegen lassen können. „Ein Genie? Soso.“

Sie nickte eifrig. „Ehrlich.“

„Dann sollte ich es mir überlegen.“

Ihr Lächeln ließ ihr ganzes Gesicht einschließlich der Augen leuchten. Dann blickte sie zur Uhr. „Oh, verflixt. Ich muss gehen. Ich helfe meinem Vater morgens in der Kirche aus, weil seine Sekretärin auf Urlaub ist. Wenn Sie in der Stadt bleiben, dann lassen Sie es mich wissen. Ich leite das Tiff’s. Das ist die Pension am Ende der Main Street. Sie können es nicht verfehlen.“ Sie kramte etwas Geld aus ihrer Handtasche, legte es auf den Tisch und war zur Tür hinaus, bevor er ein Wort sagen konnte.

Dane lehnte sich zurück und betrachtete ihr Geld. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal nicht die ganze Rechnung hatte begleichen müssen. Und mit den Frauen, die er gewöhnlich traf, verzehrte er keine Waffeln in einem urigen kleinen Café an einer ruhigen Straße, die vielleicht von drei Autos pro Stunde frequentiert wurde.

Die Kellnerin – Bethany laut dem Namensschild an ihrem Kittel – kam mit der Kaffeekanne vorbei, und Dane ließ sich nachschenken. Die Gäste an den Tischen ringsumher diskutierten über alles Mögliche, von dem ungewöhnlich strengen Winter über Politik bis hin zu Vermutungen, wer gerade mit wem schlief. Und sie benahmen sich, als würde Dane dazugehören, obwohl er die Nacht in einer Zelle verbracht hatte. Anscheinend reichte es ihnen, dass Hadley Golightly ihn vorgestellt hatte.

Nachdem er seinen Kaffee ausgetrunken und die Rechnung beglichen hatte, ging er hinüber zur Werkstatt. Der Shelby war vom Abschleppwagen gehievt worden und stand vor einer leeren Box.

Einen Moment lang inhalierte Dane den Geruch nach Gummi und Öl. Es war lange her.

Zu lange.

Er schüttelte den Gedanken ab und trat vor.

Ein Mann, der gerade mit einem Klemmbrett in der Hand um das Auto herumging, bemerkte ihn und schob sich die Baseballkappe auf den blonden Haaren zurück. „Wood Tolliver?“

Dane nickte.

Der Mann reichte ihm die Hand. „Stu Golightly.“ Mit der anderen Hand, die in einem Gipsverband ruhte, deutete er zu dem Auto. „Verdammt, das ist ein Jammer. Sie sind auf meine kleine Schwester gestoßen, wie?“

Hadley hatte beim Frühstück erwähnt, dass Shane und Stu Zwillinge waren, aber abgesehen von der Größe – XXL – hatten sie wenig Ähnlichkeit. „Sie hat mir gesagt, dass Sie ein Genie sind.“

Stu grinste. Anscheinend war er wesentlich freundlicher veranlagt als sein Bruder. „Das bin ich, aber ich nehme an, Sie kennen jemanden, den Sie lieber an sie ranlassen.“

Das stimmte zwar, aber er hatte andere Pläne. Er öffnete die Beifahrertür, zerrte den hinter den Sitz geklemmten Matchbeutel hervor und nahm seine Papiere, die er beim Eintreffen der Ambulanz im Lederpolster versteckt hatte.

„Schreiben Sie einen Voranschlag“, sagte er zu Stu, „und rufen Sie mich dann an. Ich nehme an, Sie kennen die Nummer vom Tiff’s.“

Stus Miene erstarrte. Anscheinend ähnelte er seinem Bruder mehr, als auf den ersten Blick zu vermuten war. „Sie wollen im Tiff’s absteigen?“

Dane nickte und ging eilig davon, um irgendwelchen Einwänden vorzubeugen. Stus Miene nach zu urteilen, würde die Reparatur in Rekordzeit durchgeführt werden. Sein Enthusiasmus für die Arbeit an dem seltenen Wagen war offensichtlich nicht groß genug, um sich mit der Vorstellung anzufreunden, dass Dane mit Hadley unter einem Dach wohnte.

Als Dane das Ende der Main Street erreichte, wusste er ein wärmeres Klima mehr denn je zu schätzen. Nicht, dass es in Seattle oder Louisville, wo er Häuser besaß, nicht kühl wurde. Aber das war nichts im Vergleich zu dem Frost in Lucius.

Das viktorianische Gebäude, in dem sich das Tiff’s befand, war gut in Stand gehalten mit seinen Schnörkeln und Verzierungen. Aber es war in Pink und Grün gestrichen – der scheußlichsten Farbkombination, die Dane je gesehen hatte.

Er erklomm die Freitreppe. Solange es drinnen warm war, kümmerte es ihn nicht sonderlich, wie es draußen aussah. Die Haustür war unverschlossen und er trat zögernd ein. Er wusste nicht recht, was ihn erwartete. Er war es gewohnt, in Fünf-Sterne-Hotels abzusteigen, nicht in Familienpensionen in Kuhdörfern.

Er fand sich in einer großen Halle mit verschiedenen Türen wieder. Der Fußboden war mit einem Teppich in ebenso hässlichem Pink wie die Fassade ausgelegt. Zu einer Seite befand sich eine hölzerne Treppe. Geradeaus ging es in die Küche, und hinter einer der Türen ertönte ein Piano, das ein wenig gequält klang.

„Hi.“ Eine hochschwangere junge Blondine spazierte mit einer riesigen Schüssel Müsli vorbei. „Sie müssen der neue Gast sein.“ Er nickte, und sie deutete zur Treppe. „Ganz oben. Das Turmzimmer. Sie haben Glück. Sie haben ein eigenes Badezimmer.“ Dann tapste sie barfuß weiter und entschwand wieder der Sicht.

Er ging die Stufen hinauf. Ganz oben befand sich nur ein Raum, und er trat ein und schloss die Tür hinter sich.

An drei Seiten des Zimmers befanden sich Fenster mit weißen Spitzengardinen. Dane spähte hinaus und sah weite, schneebedeckte Flächen, gespickt mit kahlen Bäumen. In der Ferne schlängelte sich das schmale, glitzernde Band eines Baches.

Er zog sich die Jacke aus, holte sein Handy aus dem Matchbeutel und rief seine Schwester an. „Wie geht es ihm?“

„Momentan stabil“, erwiderte Darby.

„Bewusstlos?“

„Ja.“

Dane unterdrückte einen Fluch. „Ist Felicia bei ihm?“

Darby lachte kurz auf. „Machst du Witze? Unsere Mutter betritt keine Krankenhäuser, das weißt du doch. Aber sie ist im Haus.“

„Wenn Roth wüsste, dass sie sich unter seinem Dach aufhält, würde er bestimmt noch einen Herzinfarkt kriegen.“

Seit Roth und Felicia Rutherford geschieden waren, ließen sie kein gutes Haar aneinander. Es war über zwanzig Jahre her, und doch hatte keiner der beiden einen neuen Lebensgefährten gefunden.

Dane rieb sich behutsam die Stirn und wandte sich vom Fenster ab. „Ruf mich an, wenn sich sein Zustand ändert.“

Darby versprach es und trennte die Verbindung. Sie hatte ihm abgekauft, dass er geschäftlich nach Montana gefahren war. Sie hatte sich nie besonders für Rutherford Industries interessiert, und seit sie mit ihrem Mann, seinen fünf Kindern aus erster Ehe sowie einem gemeinsamen Kind in Minnesota lebte, hatte dieses Interesse noch weiter abgenommen.

Doch nun war Darby zurück in Louisville, an Roth’ Krankenbett. Dane wusste, dass sie seine Abwesenheit unter diesen Umständen nicht billigte, aber sie akzeptierte geschäftliche Belange. Es war besser, wenn sie den wahren Grund nicht kannte.

Sie hatte bereits genug durchgemacht, was die Zielperson anging. Alan Michaels hatte sie in ihrer Kindheit gekidnappt und gequält. Sie sollte nicht erfahren, dass der Mann wieder auf freiem Fuß war. Roth hatte einen Herzanfall erlitten, als er davon erfahren hatte.

Dane blickte sich im Zimmer um. Es hätte keinen Preis für Geräumigkeit und Design gewonnen, aber es war ganz behaglich eingerichtet und mit allem Nötigen ausgestattet. Das Bett war breit genug und mit einer Tagesdecke versehen, die handgemacht aussah. Unter den Fenstern, die auf die Straße blickten, stand ein kleiner Schreibtisch mit einem Stuhl.

Sein Körper schmerzte von Kopf bis Fuß, und das Bett sah einladend aus, aber er hatte zu arbeiten. Also setzte er sich auf den Stuhl und führte einige Telefonate. Unter anderem rief er Wood an und überbrachte ihm die schlechte Nachricht mit dem Wagen. Wood stöhnte zwar, aber da er bereits drei Shelbys in seiner Sammlung hatte, konnte er sich den Luxus leisten, die Reparatur geduldig abzuwarten.

Als Nächstes rief Dane bei Mandy Manning an. Die Nachricht, die er auf ihrer Mailbox hinterließ, war kurz.

„Ich bin in Lucius. Ruf mich an.“

Voll bepackt mit Einkaufstüten eilte Hadley die Stufen zum Tiff’s hinauf und bemühte sich, mit den beiden einzigen freien Fingern die Haustür zu öffnen.

„Moment.“

Sie zuckte zusammen, als Wood scheinbar aus dem Nichts neben ihr auftauchte und ihr drei der sperrigen Leinentaschen aus den Händen nahm.

„Wo sollen die hin?“

„In die Küche.“

Er stieß die Tür auf, ließ Hadley vorangehen und folgte ihr in die Küche. Dort stellte er die Taschen auf den Schrank. Sie bemühte sich vergeblich, ihn nicht mit offenem Mund anzustarren, als er seine Jacke auf einen Stuhl hängte und sich einen Kaffee einschenkte, so als würde er das seit Jahren tun. Aber sie schaffte es, den Kopf zu schütteln, als er ihr den Becher anbot, bevor er ihn an die Lippen hob.

„Sie sehen überrascht aus“, bemerkte er nach einem Moment. Er lehnte sich an den Schrank und lächelte vage. „Liegt es an mir oder daran, dass ich Ihren Kaffee trinke?“

Der riesige weiße Becher verschwand fast völlig in seiner großen Hand. Seine Nägel waren kurz und gepflegt, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich jemals Schmutz unter ihnen befand. Er hatte das geliehene Hemd ausgezogen und trug nun ein graues, das seine Augen weniger durchdringend, aber ebenso atemberaubend wirken ließ.

„Ich bin überrascht“, gab sie verspätet zu. „Dass Sie hier sind.“ Der Nachrichtendienst von Lucius schien vorübergehend außer Betrieb zu sein.

„Hätte ich woanders hingehen sollen? Sie selbst haben mir das Tiff’s vorgeschlagen.“

„Das Lucius Inn entspricht vielleicht eher Ihrem Geschmack. Da gibt es Zimmerservice und Satellitenfernsehen und …“

„Jetzt geben Sie mir das Gefühl, unerwünscht zu sein.“

„Nein!“ Bestürzt blickte sie ihn an. „So habe ich es nicht gemeint. Natürlich sind Sie hier willkommen. Aber ich …“

„Hadley.“

„Was?“

„Ich habe nur gescherzt.“

„Oh.“

Er deutete auf all die Taschen. „Sie haben aber viel Zeug mitgebracht. Ich dachte, Sie wollten Ihrem Vater in der Kirche aushelfen.“

„Das hab ich auch. Danach bin ich einkaufen gefahren. Heute Nachmittag kommt ein neuer Gast. Sie hat die Reservierung schon vor Wochen vorgenommen. Das kommt bei mir selten vor.

Deshalb wollte ich es besonders schön für sie machen.“

Wood nahm einen Strauß Wildblumen aus der kleinsten Tasche. „Hübsch.“ Er schnupperte daran. „Kaufen Sie für alle Gäste Blumen?“

„Nicht für die Dauergäste.“ Sie nahm ihm den Strauß ab, holte eine Kristallvase aus dem Schrank und füllte sie mit Wasser. „Im Tiff’s gab es früher eigentlich nur Fremdenzimmer, aber seit ich es übernommen habe, ist es eher eine Pension.“

„Wer hat es vor Ihnen geführt?“

„Meine Mutter. Holly.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Holly Golightly?“

Sie lächelte. „Ja, und ihr Lieblingsfilm war Frühstück bei Tiffany’s mit Audrey Hepburn.“ Sie arrangierte die Blumen und musterte sie kritisch.

„Hübsch“, murmelte er.

Sie nickte.

„Was ist aus ihr geworden?“

Hadley seufzte. „Sie ist an Krebs gestorben, als ich zwanzig war.“

„Das tut mir leid.“

Seltsamerweise spürte sie, dass seine Worte nicht bloß dahingesagt waren. Sie blickte zu ihm auf und stellte fest, dass er gar nicht die Blumen ansah. Sie nickte erneut. Obwohl es Tage gab, an denen sie ihre Mutter furchtbar vermisste, hatte sie ihren Kummer größtenteils überwunden.

Sie stellte die Blumen beiseite und fuhr fort, die Einkäufe wegzuräumen. „Was ist mit Ihren Eltern?“, fragte sie hastig, bevor sie den Mut verlor.

„Geschieden, seit langer Zeit.“

„Das muss hart gewesen sein.“

Er nickte. „Seien Sie froh, dass Sie keinen Krieg zwischen Ihren Eltern miterleben mussten.“

Hadleys Finger schlossen sich fest um eine Tomate. Sie legte sie beiseite, bevor die Schale platzen konnte. Der Krieg zwischen ihrer Mutter und ihrem leiblichen Vater hatte vor ihrer Geburt stattgefunden. Beau Golightly war ihr Stiefvater. „Also, was gibt es Neues von Ihrem Auto?“

„Ihr Bruder macht einen Kostenvoranschlag.“

„Es wird ein faires Angebot. Und nicht nur aus Rücksicht auf meine Versicherungsprämie, die wieder steigen wird.“

„Wieder?“

Sie lächelte reumütig. „Wir wissen beide, dass ich keinen Blumentopf für meine Fahrkünste gewinnen würde.“ Hadley faltete die Leinentaschen zusammen und verstaute sie unter der Spüle. „So, jetzt muss ich Sie aber in einem Zimmer unterbringen. Ich kann Sie ja nicht einfach in den Gemeinschaftsräumen herumlungern lassen.“

Joanie Adams tapste in die Küche, mit der unvermeidlichen Müsli-Schüssel in der Hand. „Ich habe ihn schon ins Turmzimmer geschickt. Er ist doch der Gast, den du erwartet hast, oder?“

Hadleys Lächeln welkte ein wenig. „Nein, das ist er nicht.“

Joanie verzog das Gesicht. „Oh, das tut mir so leid.“

„Sei nicht albern. Ich hätte hier sein sollen, als Mr. Tolliver gekommen ist. Außerdem ist es nicht weiter schlimm.“

„Ich bin nicht wählerisch“, versicherte Wood. „Hauptsache, ich kriege ein Bett.“

Und doch stiegen Tränen in Joanies Augen. „Ich wollte doch nur helfen.“

Hadley hakte sich bei ihr unter und zog sie hastig aus der Küche, bevor sich die Schleusen vollends öffneten. „Das weiß ich doch“, beschwichtigte sie. „Ehrlich, Joanie, es ist alles in Ordnung. Es ist ja nichts passiert.“

Nachdem sie Joanie wieder beruhigt hatte, spähte Hadley in den Salon, in dem Mrs. Ardelle auf dem Piano klimperte. Wood saß auf der Bank neben der weißhaarigen Frau und blätterte ihr die Noten um.

Sie beendete das Stück mit viel Schwung und strahlte ihn an. „Spielen Sie Klavier?“

„Schlecht. Ich wurde sechs Jahre lang zum Unterricht gezwungen.“ Als sie ihm Platz machen wollte, wehrte er hastig ab: „Nein, nein, spielen Sie nur weiter. Mein Ego würde die Blamage nicht verkraften, wenn ich mich daran versuchte.“

Mrs. Ardelle lachte fröhlich, offensichtlich sehr angetan von Wood.

Hadley lächelte vor sich hin und schlich sich in die Küche, ohne die beiden zu stören. Der Lunch – Brokkolisuppe, Hühnchenbrust mit Salat, Nusstörtchen – war leicht zubereitet und erforderte nicht viel Konzentration, was gut war, da der unerwartete Gast einen Großteil ihrer Gedanken beschäftigte.

Als alles fertig war, füllte sie die Speisen in Thermobehälter, stellte sie auf den Büfetttisch im Esszimmer und läutete den Gong. Die Gäste würden innerhalb der nächsten Stunde zum Essen erscheinen, wie es ihnen beliebte.

Wood geleitete Mrs. Ardelle in das Esszimmer, bevor Hadley entfliehen konnte, um die Mittagszeit wie gewöhnlich zu verbringen – in ihrem Zimmer vergraben für eine Stunde des ungestörten Schreibens. Aber sie überraschte jeden, sich selbst eingeschlossen, indem sie sich eine Portion nahm und an den Tisch setzte.

Während Mrs. Ardelle den neuesten Tratsch von Lucius auftischte, wanderte ihr wacher Blick zwischen Hadley und Wood hin und her. Der Verdacht lag nahe, dass Wood Tollivers Auftauchen im Tiff’s ein gefundenes Fressen für die ältere Dame war.

Vince Jeffris, ein Kahlkopf Mitte dreißig, spazierte herein. Er war abgesehen von Wood, der eigentlich nicht zählte, der neueste Gast. Wie immer sehr schweigsam nickte er nur knapp in die Runde und setzte sich auf seinen Stammplatz am Kopfende. Auch Joanie kam nach einer Weile. Sie hielt großen Abstand zu Wood, so als hätte er sie wegen des Versehens mit dem Zimmer gescholten, obwohl dem in Wirklichkeit gar nicht so war.

Unwillkürlich fragte Hadley sich, was er von seinen Tischgenossen halten mochte, doch sie war zu keinem Ergebnis gekommen, als der Nachtisch verzehrt und das Esszimmer wieder leer war, abgesehen von ihr selbst, dem schmutzigen Geschirr und Wood.

Sie protestierte, als er den Tisch abzuräumen begann, aber er hörte nicht auf sie, und in der Hälfte der üblichen Zeit war im Esszimmer wieder klar Schiff und die Spüle mit Seifenwasser gefüllt.

„Sie bieten viel Service für eine Pension“, bemerkte Wood.

Sie gab es auf, sich gegen seine Hilfe zu verwehren. Mit vielsagendem Blick zu dem Geschirrtuch, das er sich schnappte, bemerkte sie: „Sie sind sehr entschlossen, Ihren Kopf durchzusetzen, wie?“

„Ziemlich.“

Sie lächelte und fuhr fort abzuwaschen. „Und was tun Sie so in Indiana?“

„Dies und jenes.“ Er trocknete einen Teller ab und stellte ihn behutsam auf die anderen. „Was hat denn Joanie eigentlich für Probleme?“

„Abgesehen davon, dass sie im achten Monat schwanger ist von einem nichtsnutzigen Lügner, der ihr den kleinen Rest Selbstvertrauen genommen hat, den ihr Vater übrig gelassen hat?“ Sie seufzte. „Entschuldigung, aber ich kann Lügner einfach nicht ausstehen. Übrigens haben Sie Mrs. Ardelle geradezu bezaubert. Ich habe sie nie so viel lächeln gesehen, seit sie letztes Jahr nach dem Tod ihres Mannes hier eingezogen ist.“

Sie kann Lügner nicht ausstehen. Normalerweise hätte Dane dasselbe gesagt. „Und wie lange wohnt Vince Jeffries schon hier?“

„Ein paar Monate. Er sucht Arbeit.“

„Sie nehmen Streuner auf.“

„Jeder braucht einen Ort, den er Zuhause nennen kann“, konterte Hadley nachdrücklich. Mit einem Ruck zog sie den Stöpsel, und das Seifenwasser gurgelte in den Abfluss. „Wenn ich das im Tiff’s bieten kann, bin ich glücklich.“

Sie wischte die Arbeitsplatte ab und nahm Dane das Geschirrtuch aus der Hand. Sie stand ihm so nahe, dass er den Duft ihres Shampoos riechen konnte. Es war frisch und sanft. Wie sie selbst.

„Kommen Sie, ich bringe Sie in Ihrem neuen Zimmer unter.“

Er folgte ihr an der Treppe vorbei zum hinteren Teil des Hauses. „Ich fürchte, Sie müssen das Badezimmer teilen“, sagte sie, während sie eine Tür öffnete und eintrat. Sie nahm einen altmodischen Schlüssel von einer Kommode und reichte ihn Dane. „So nett, wie Sie wegen des Unfalls und allem sind, hätte ich Ihnen gern den Turm überlassen, das können Sie mir glauben, aber …“

„Ich bin nicht Rapunzel“, murmelte er.

Sie musterte seine Haare. „Der Märchenprinz vielleicht“, sinnierte sie, und dann errötete sie prompt und sprudelte verlegen hervor: „Hier unten haben Sie es wärmer. Das ist ein Vorteil. Haben Sie Gepäck?“

„Nur eine Reisetasche. Ich hole sie sofort. Ich habe nichts ausgepackt, sodass Sie nicht viel herrichten müssen.“ Er folgte ihr hinaus auf den Korridor und blickte zu der Tür nebenan. „Ist das das Badezimmer?“

„Nein.“ Sie strich sich die Haare hinter das Ohr, doch die dichten Strähnen fielen gleich wieder nach vorn. „Das ist mein Schlafzimmer. Das Badezimmer, das wir uns teilen werden, liegt zwischen den beiden Räumen.“ Sie zog den Kopf ein und murmelte eine Entschuldigung, bevor sie davonhuschte.

Er betrachtete die beiden Türen. Zu nahe beieinander. Seufzend strich er sich über das Gesicht.

Verdammt. Er war in Montana, um eine Rechnung zu begleichen, die niemals voll beglichen werden konnte. Er hatte keine Zeit für Ablenkungen, so reizvoll Hadley auch sein mochte.

4. KAPITEL

Stu Golightly rief nicht nur an, sondern brachte den Kostenvoranschlag persönlich vorbei, noch am selben Abend während des Dinners. Als er Hadleys Essenseinladung ablehnte, entschuldige Dane sich und folgte ihm aus dem Raum.

Stu blieb erst stehen, als er die Vordertür erreichte, und blickte so missmutig drein, als wollte er Dane eigenhändig aus dem Haus werfen.

Dane konnte ihm wie Shane diese negative Haltung nicht verdenken. Er kannte diesen Beschützerdrang aus eigener Erfahrung. Schließlich war er eben wegen dieser Eigenschaft in Montana. Also prüfte er die Kostenaufstellung. „Die Ersatzteile kriegen Sie billiger. Mindestens um zehn Prozent.“

Stu schnaubte förmlich vor Wut. „Ich frisiere die Unkosten nicht.“

„Das habe ich auch nicht behauptet. Rufen Sie …“ Verdammt. Beinahe hätte er „Wood Tolliver“ gesagt, und er schob seine ungewöhnliche Zerstreutheit auf seinen lädierten Kopf statt auf die Brünette, die eigentlich der Grund dafür war. „Rufen Sie RTM in Indianapolis an. Ich habe schon oft mit ihnen gearbeitet.“

„Das ist eine ziemlich noble Firma.“

R & T Motorworks war nobel. Es war außerdem die Firma, die Dane und Wood während des Studiums gegründet hatten, als sie sich im Rennzirkus einen Namen gemacht hatten. „Fragen Sie nach Stephanie. Ich werde Ihren Anruf avisieren. Falls sie Ihre Preise nicht unterbietet, dann kaufen Sie nicht dort. So einfach ist das.“

Einen Moment lang schien Stu protestieren zu wollen, doch dann nickte er. „Sagen Sie Had, dass sie Riva ab Montag vertreten muss.“ Und damit ging er zur Tür hinaus und schloss sie hastig gegen den eisigen Wind.

Bedächtig faltete Dane den Voranschlag zusammen, steckte ihn in die Tasche und kehrte ins Esszimmer zurück.

Mrs. Ardelle plapperte wieder einmal munter drauflos. Ihr schien nie der Gesprächsstoff auszugehen. Der neue Gast, Nikki Day, war kurz vor dem Dinner eingetroffen. Sie war hübsch, gut gekleidet und etwa in Hadleys Alter. Sie war außerdem schwanger, wenn auch nicht so weit wie Joanie, neben der sie saß und die sie gelegentlich zum Lächeln brachte. Vince war nirgendwo zu sehen.

Dane nahm wieder Platz. Er saß Hadley gegenüber, und das gefiel ihm. Ihr Anblick war ebenso großartig wie ihre Kochkunst. „Ihr Bruder hat gesagt, dass Sie am Montag für Riva einspringen sollen.“

Sie nickte.

„Haben Sie nicht gesagt, dass Sie Ihrem Dad vormittags für eine Weile in der Kirche aushelfen?“

„Richtig.“ Sie reichte Joanie eine Platte mit Roastbeef und drängte sie, mehr zu essen. „Ich muss den Vormittag eben zwischen Werkstatt und Kirche aufteilen. Hoffentlich macht es den beiden nicht zu große Umstände.“

Dane fragte sich, ob ihr Vater oder ihr Bruder je daran dachten, ob ihr Umstände gemacht wurden. Nicht, dass es ihn etwas anging.

„Wood Tolliver“, sinnierte Mrs. Ardelle. „Je mehr ich darüber nachdenke, umso bekannter kommt mir der Name vor.“

Dane lächelte gelassen. Sofern sie nicht mit dem Rennsport vertraut war, hatte sie nie von Wood Tolliver gehört. „Es ist ja kein seltener Name.“

Joanie schnaubte. „Also, bitte! So häufig wie Bob Smith ist er auch nicht gerade.“

Er lächelte sie an. „Verglichen mit Golightly ist mein Name nicht ungewöhnlich.“

„Und Ihre Mutter hieß wirklich Holly?“, erkundigte Nikki Day sich bei Hadley. „Die Eltern eines Freundes haben hier die Hochzeitsnacht verbracht, als Ihre Mutter die Pension gerade eröffnet hatte. Sie waren begeistert von ihr.“

„Das waren die meisten Leute.“ Hadley stand auf. „Jetzt kommt der Nachtisch.“

Prompt folgte Dane ihr in die Küche, um ihr zu helfen. Inzwischen wusste sie, dass jeder Protest sinnlos war. Während sie Schalen mit Schokoladencreme auf ein riesiges silbernes Tablett stellte, fragte er: „Hat Ihre Mutter Ihnen das Kochen beigebracht?“

Hadley nickte. „Und ich lese sehr viele Kochbücher.“

Er nahm das schwere Tablett. „Ich begreife nicht, woher Sie die Zeit dazu nehmen, wo Sie doch ständig jemandem aushelfen.“

Sie zog die Schultern hoch und stieß die Schwingtür zum Esszimmer auf. „Es ist meine Familie.“

Dane seufzte und folgte ihr. Er hatte seine Schwester sehr lieb, ebenso wie seine Mutter und sogar seinen starrsinnigen Vater. Aber sein Familiensinn war längst nicht so ausgeprägt wie Hadleys.

Nach dem Dinner zogen sich die Gäste auf ihre Zimmer zurück. Hadley schlüpfte in einen alten Flanellmantel und verkündete, dass sie Brennholz holen wollte. Obwohl Dane eine ganze Reihe Anrufe zu tätigen hatte, folgte er ihr.

„Sie müssen die Kunst der Muße erlernen“, verkündete er, als er sie im Hinterhof einholte.

Sie ließ vor Schreck die Holzscheite fallen, die sie gerade aufgehoben hatte, und wirbelte zu ihm herum. „Na ja, Sie wissen doch, wie man so sagt – wer rastet, der rostet.“ Sie bückte sich und hob das Holz wieder auf.

„Legen Sie es mir auf die Arme. Ich trage es rein.“

„Sie sind viel zu nett zu mir, in Anbetracht der Situation.“

„Dann gehen Sie mit mir aus.“

„Wie bitte?“

„Ich kann Ihnen beibringen, sich zu entspannen. Bei einem Drink. Irgendwo muss es doch eine Kneipe in diesem Dorf geben.“

„Mehrere, aber …“

„Nur ein Drink, Hadley. Ihre Tugend ist nicht in Gefahr.“

Sie wandte sich ab und murmelte etwas Unverständliches.

„Was haben Sie gesagt?“

„Dass es ein Jammer ist.“ Sie drehte sich wieder zu ihm um.

„Wenn ich nicht so tugendhaft wäre, würde Wendell bestimmt nicht so eifrig auf die Pläne meiner Brüder eingehen. Er hat mich heute Nachmittag vier Mal angerufen! Er akzeptiert ebenso wenig ein Nein als Antwort wie Shane oder Stu.“

„Sagen Sie einfach allen, dass Sie nicht interessiert sind. Niemand kann Sie zwingen, gegen Ihren Willen mit jemandem auszugehen.“

„Wenn es nur darum ginge! Wie ich Ihnen schon gesagt habe, sie wollen mich mit Wendell verheiraten.“ Sie schüttelte den Kopf. „Er kennt mich schon lange. Er weiß, dass ich gesetzt und ruhig und uninteressant bin.“

„Gesetzt und ruhig?“ Er lachte laut. „Sie fahren wie der Teufel, und Sie haben mehr Energie als ein Schwarm Ameisen.“

„Wie schmeichelhaft“, murmelte sie pikiert. Dann, so als bereute sie ihre impulsive Kritik, senkte sie den Blick und eilte zum Haus.

Dane war ein Experte in Verhandlungen. Er leitete einen Großkonzern mit Milliardenumsatz. Er sollte eigentlich fähig sein, ein Kleinstadtmädchen nicht zu beleidigen, oder?

Er fand Hadley in der großen Küche, wo sie das Holz in eine Blechkiste stapelte. Er hockte sich neben sie und lud seine Scheite ab. „Ich schlage Ihnen ein Abkommen vor.“

Sie wischte sich die Hände ab und richtete sich auf. „Was für ein Abkommen?“ Ihr Ton klang argwöhnisch.

„Ich sitze für eine Weile in dieser Stadt fest. Sie machen mich hier bekannt, und wenn Ihr Wendell dadurch einen falschen Eindruck gewinnt, können wir beide froh sein.“

„Mit wem soll ich Sie bekannt machen? Frauen?“ Ihre Lippen zuckten. „Ein Mann wie Sie braucht mich nicht, um Bekanntschaften zu schließen.“

„Aber sonst wird Wendell nicht erfahren, dass Ihr Interesse anders gelagert sein könnte. Und ich habe nichts von anderen Frauen gesagt.“

„Ich soll Ihnen Männer vorstellen?“, hakte sie entsetzt nach.

Er lachte. „Leute im Allgemeinen. Ich bin ein sehr geselliger Typ.“ Sein Gewissen regte sich bei dieser eklatanten Lüge. Er beherrschte die gesellschaftlichen Spielchen, die zu seiner Position als Generaldirektor von Rutherford Industries gehörten, aber das bedeutete nicht, dass sie ihm sonderlich gefielen. „Es hilft, die Zeit zu vertreiben, während mein Auto repariert wird.

Sie erinnern sich doch an das Auto, oder?“

Reue trat in ihren Blick. „Wie könnte ich das vergessen?“

„Nun dann.“ Er richtete sich auf und trat zu ihr. „Wir gehen aus, nehmen ein paar Drinks.“ Impulsiv strich er ihr eine lange Locke aus dem Gesicht. Ihre Haare fühlten sich genauso seidig an, wie sie aussahen, und es kostete ihn viel Mühe, die Hand zurückzuziehen.

„Aber … sind Sie denn nicht müde? Sie hatten gestern einen Unfall. Sie wollen doch bestimmt nicht ausgehen.“

„Doch. Sagen Sie Ja. Sie lernen, sich zu entspannen, und ich lerne ein paar Leute kennen. Und vielleicht löst sich Ihr Problem mit Wendell dann von selbst.“

Mit großen Augen blickte sie ihn an. „Sie überreden die Leute zu vielen Dingen, oder?“

„Ja.“

„Wir könnten ins Tipped Barrel gehen“, überlegte sie. „Das ist sehr beliebt bei einigen Leuten.“

Genau das Lokal hatte er aufsuchen wollen, allerdings ursprünglich ohne ihre Begleitung. „Bei Ihnen auch?“

„Ich war noch nie da. Ich war überhaupt noch nie in einer Bar. Wenn die Leute mich da sehen, werden sie überzeugt sein, dass Sie mich korrumpieren.“ Ihre Augen funkelten, und sie lächelte strahlend. „Okay, tun wir’s. Gehen wir.“

„Wollen Sie sich nicht umziehen oder so?“

Ihr Enthusiasmus verflog sichtbar. „Ja, natürlich. Wie dumm von …“

Er hob ihr Kinn und sagte schroff: „Sie müssen sich nicht umziehen. Sie sehen perfekt aus, wie Sie sind.“

Sie wirkte nicht überzeugt. Und dazustehen und ihr Gesicht zu berühren – samtig und weich und ohne jede Spur von List – war nicht gerade klug von ihm. Denn er war alles andere als weich.

Er ließ die Hand sinken.„Es ist kalt draußen. Wollen Sie sich nicht einen wärmeren Mantel anziehen?“

Hadley nickte. „Wir müssen aber zu Fuß gehen“, rief sie ihm in Erinnerung. „Wollen Sie wirklich …“

„Holen Sie Ihren Mantel, Hadley.“

Wood wartete in seiner Lederjacke bei der Haustür, als Hadley zurückkehrte. Als Ausgleich für den unförmigen Parka, den sie trug, hatte sie sich hastig gekämmt und einen Hauch von dem Parfüm aufgetragen, das ihre Schwester Evie ihr zu Weihnachten geschenkt hatte.

„Sie brauchen auch einen Mantel“, sagte sie.

„Es geht schon so.“

„Wir könnten bei Shane vorbeischauen und einen ausleihen.“

„Und ihm Gelegenheit geben, Sie davon abzubringen? Lieber nicht.“

Da musste sie ihm recht geben. Sie nahm sich den schwarzen Schal ab und reichte ihn ihm. „Nehmen Sie wenigsten den. Wenn Sie sich eine Lungenentzündung holen, kann ich es mir nie verzeihen.“

Er schlang sich den langen Schal um den Hals. „Zufrieden?“

„Das wäre ich, wenn Sie Handschuhe hätten.“

Er lächelte, nahm ihre Hand in seine und steckte beide samt ihrem Handschuh in seine Tasche. „So geht es auch.“

Sie schluckte schwer und konzentrierte sich bewusst auf den vereisten Weg.

Die Nacht war klar und der dunkle Himmel übersät von Sternen, die trotz der Straßenlaternen deutlich zu sehen waren. Auf dem Weg in die Stadt wies Hadley auf verschiedene Gebäude hin. „Das ist die Kirchgasse.“ Sie deutete zu einer von Bäumen gesäumten Kreuzung. „Eigentlich heißt sie Poplar Avenue, aber da alle Kirchen der Stadt da liegen …“ Sie zuckte die Achseln. Selbst durch den Handschuh spürte sie die Wärme seiner langen Finger um ihre.

„Gibt es hier ein Krankenhaus?“

„Ein sehr kleines. Und wir haben zum Glück genügend Ärzte und Zahnärzte – und sogar einen Chiropraktiker. Stu hatte vor einer Weile nach einem Zusammenstoß mit einer böswilligen Kuh arge Schmerzen. Bis dahin war er nie bei einem Chiropraktiker, aber jetzt ist er voll dafür. Ich kann Ihnen die Telefonnummer geben, falls Sie Schmerzen vom Unfall haben.“

„Ich komme schon klar.“

„Aber wie fühlt sich Ihr Kopf an?“

„Als hätte er durch eine Windschutzscheibe gewollt.“

„Das tut mir so leid.“

Er drückte ihre Finger. „Vergessen Sie’s.“

Aber das konnte sie natürlich nicht. Der Unfall war der einzige Grund, aus dem er in Lucius festsaß. Darüber musste sie sich im Klaren sein. Dass er sich die Zeit damit vertrieb, ihr aus der Patsche mit Wendell zu helfen, bewies lediglich, welch netter Mensch er war.

Das Tipped Barrel war hell erleuchtet. Vor der belebten Taverne parkten unzählige Autos. Hadley zögerte, als sie eines erkannte. „Mein Schwager ist da drin.“

„Anscheinend ist der halbe Landkreis da. Es muss wirklich beliebt sein.“

„Ja.“ Sie zog ihre Hand aus seiner Tasche. „Als Charlie das letzte Mal hier war, ist er in eine Schlägerei geraten. Meine Schwester und er zahlen immer noch für den Schaden. Er dürfte gar nicht hier sein.“

„Dann rufen Sie Ihren Bruder an. Er ist schließlich der Sheriff.“

Autor

Laurie Paige
Laurie Paige lebte mit ihrer Familie auf einer Farm in Kentucky. Kurz bevor sie ihren Schulabschluss machte, zogen sie in die Stadt. Es brach ihr das Herz ihre vierbeinigen Freunde auf der Farm zurück lassen zu müssen. Sie tröstete sich in der örtlichen Bibliothek und verbrachte von nun an ihre...
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<p>Bereits mit elf Jahren schrieb Christie Ridgway ihren ersten Liebesroman. Der Held war ihr Teenageridol, die Heldin sie selbst. Inzwischen gehört zu den USA Today-Bestsellerautorinnen. Sie lebt in Kalifornien und verbringt ihre Freizeit am liebsten mit ihren Söhnen, ihren Hunden und ihrem Mann, in den sie sich schon auf dem...
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