Bianca Exklusiv Band 242

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VERGISS NICHT ZU LEBEN von GARDNER, BONNIE
Ray Darling heißt nicht nur so - er ist auch ein echter Schatz. Aber wer hätte ahnen können, dass Patsy sich in ihn verliebt? In ihr "Blind Date", das ihre Tante für sie arrangiert hat. Nach einer schmerzlichen Erfahrung hat Patsy der Liebe eigentlich abgeschworen …

DU IN MEINEM BETT? von WHITNEY, DIANA
Um das Sorgerecht für ihre Patenkinder zu bekommen, schließen Lydia und ihr Exfreund Frieden - und kurz darauf eine Zweckehe. Zwar leben sie zusammen unter einem Dach, schlafen jedoch in getrennten Zimmern. Eine echte Herausforderung! Wer von beiden wird als Erster schwach?

DIESES AUFREGENDE, NEUE GLÜCK von THACKER, CATHY GILLEN
Beinahe hätte Hayley ihn gar nicht in die Wohnung gelassen: Dillon Gallagher, den attraktiven Fernsehjournalisten. Und hätte damit ihrem neuen Glück die Tür vor der Nase zugeschlagen. Nicht nur, weil er der jungen Witwe einen Job und ein Zuhause anbieten kann …


  • Erscheinungstag 14.02.2014
  • Bandnummer 0242
  • ISBN / Artikelnummer 9783733730048
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Bonnie Gardner, Diana Whitney, Cathy Gillen Thacker

BIANCA EXKLUSIV, BAND 242

BONNIE GARDNER

Vergiss nicht zu leben

Fast alle Männer im Krankenhaus versuchen, bei der schönen Patsy zu landen. Nur Ray gibt sich zurückhaltend. Weil die Krankenschwester ihn gerade deshalb ins Herz geschlossen hat, hält er sich auch beim ersten gemeinsamen Dinner zurück. Er wagt nicht einmal, ihr einen Abschiedskuss zu geben … Dabei wünscht er sich nichts mehr, als Patsy in den Armen zu halten!

DIANA WHITNEY

Du in meinem Bett?

Die Nächte sind immer fantastisch gewesen, der Alltag dagegen fürchterlich. Lydia, die korrekte und ehrgeizige Bankerin, und Powell, der lebenslustige und lässige Handwerker, passen anscheinend nicht zusammen. Das haben sie schon vor sechs Jahren gemerkt und sich getrennt. Wird ihre derzeitige „Vernunftehe“ eine Katastrophe? Oder haben sie inzwischen dazugelernt?

CATHY GILLEN THACKER

Dieses aufregende, neue Glück

In der Nachbarschaft sind sie das Tuschelthema Nummer eins. Keiner kann glauben, dass die zierliche blonde Hayley wirklich nur Dillons Haushälterin ist. Die beiden sind so ein schönes Paar. Und wie sie sich anschauen! Ganz verliebt. Was bleibt Hayley und Dillon also anderes übrig, als tatsächlich zu heiraten? Natürlich nur, um Hayleys Ruf zu retten …

1. KAPITEL

„Lassen Sie die Hosen runter, Sergeant.“

Ray Darling blickte über die Schulter und grinste. „Wow, Sie sind aber stürmisch heute, Schwester Pritchard.“

Die Krankenschwester versuchte ernst zu bleiben, doch um ihre Mundwinkel zuckte es verräterisch. Leider konnte er diesen Triumph nicht auskosten, denn sie kam mit einer großen Spritze auf ihn zu.

Also holte er tief Luft und gehorchte. Schlimm genug, dass er eine vorsorgliche Impfung brauchte, weil bei einem Mitglied des Kantinenpersonals Hepatitis B diagnostiziert worden war. Aber dass ausgerechnet „Eistörtchen Pritchard“ ihm die Spritze verpasste, machte es doppelt schlimm.

Die Schwester mit dem viel sagenden Spitznamen war die attraktivste Frau im Militärkrankenhaus von Hurlburt Field, der Air-Force-Basis bei Fort Walton im Nordwesten Floridas. Sie hatte eine fantastische Figur, schulterlange blonde Haare, blaue Augen und ein hübsches Gesicht. Und dummerweise kein Interesse an Männern. Bisher hatte sie noch jeden eiskalt abblitzen lassen. Abschrecken ließ sich davon aber kaum jemand. Ihre legendären Abfuhren an alle, die auch nur das geringste Interesse an ihr zeigten, heizten eher die Fantasie und den Ehrgeiz der Männer auf der Basis an.

Auch Ray fand sie attraktiv, aber da schon erfahrenere Männer sich einen Korb geholt hatten, versuchte er gar nicht erst, bei ihr zu landen. Sicher, sollte es ihm gelingen, könnte er sich etwas darauf einbilden – schließlich waren selbst die schneidigen Kampfjet-Piloten, die sich für unwiderstehlich hielten, beim Eistörtchen der Reihe nach gescheitert.

Hm, einen Versuch war es vielleicht wirklich mal wert.

Nur nicht gerade heute.

Nach zehn Jahren bei der Air Force war er ein erfahrener Sergeant – aber im Umgang mit Frauen fühlte er sich wie ein Teenager. In diesem Fall nützte es ihm wenig, dass er eine Art Wunderkind gewesen war, das mit dreizehn die Highschool abschloss und mit vierzehn aufs College ging. Alle Mädchen in seinen Kursen waren viel älter gewesen als er und wollten von ihm nichts wissen. Schließlich gab er die Sache einfach auf.

Mit achtzehn hatte er sich dann seinen ehrgeizigen Eltern widersetzt und war zur Air Force gegangen statt auf die Uni. Hier musste er erst mal lernen, sich wie ein normaler Mann seines Alters zu verhalten. Und er versuchte, nicht als „Wunderkind“ aufzufallen, indem er zum Beispiel seinen ungewöhnlich großen Wortschatz dem allgemeinen Niveau in der Army anpasste. Dazu kam die umfassende Ausbildung mit vielen Spezialkenntnissen, und mit all dem war er so beschäftigt gewesen, dass er für Frauen gar keine Zeit hatte.

Jetzt, mit achtundzwanzig, wünschte er sich allerdings schon manchmal mehr Übung in diesem Bereich. Leider gab es dafür keine Lehrbücher – oder zumindest keine brauchbaren. Immerhin, die zweideutige Bemerkung, die er in irgendeinem alten Film aufgeschnappt hatte, hatte dem Eistörtchen fast ein Lächeln entlockt.

„Zum Abschuss freigegeben“, ergab Ray sich in sein Schicksal, verzog das Gesicht, als er den kühlen Alkohol auf der Haut spürte, und wappnete sich gegen den Einstich. Er war ein gestandener Einsatzkoordinator. Ein ganzer Kerl. Er würde sich von so einer kleinen Nadel nicht in die Knie zwingen lassen.

Leider kam es schlimmer als erwartet. Ray unterdrückte ein Stöhnen, als das Serum sich verteilte. Verdammt. Wie konnte eine kleine Spritze so wehtun? Vielleicht machte es dem Eistörtchen ja Spaß, starke Männer leiden zu sehen.

„Fertig, Sergeant Darling. Sie können sich wieder anziehen“, sagte Schwester Pritchard endlich. Wie immer war ihr Tonfall geschäftsmäßig. „Das Sitzen wird eine Weile wehtun, aber Sie werden es überleben. Das war’s.“

Ray rechnete fast damit, dass sie ihm einen Klaps auf den nackten Po gab, was natürlich nur seiner Fantasie entsprang. Nein, das war bestimmt nicht der richtige Moment für einen Annäherungsversuch. Hastig zog er die Hosen hoch.

Außerdem hatte er gar keine Zeit, mit der Schwester zu flirten. Sein Colonel wollte ihn sprechen, und die Aufforderung hatte dringend geklungen.

Eins zu null für das Eistörtchen, dachte Ray amüsiert. Beim Gehen bemühte er sich, möglichst normal aufzutreten und trotzdem seinen malträtierten Muskel zu schonen.

„Ist das nicht ein süßer Typ?“, schwärmte Nancy Oakley, die Rezeptionistin, als Patsy Pritchard aus dem Behandlungszimmer kam, um den nächsten Patienten hereinzurufen. Nancy strich sich über den Bauch, der sich im achten Monat ihrer Schwangerschaft deutlich rundete. „Wenn ich nicht schon vergeben wäre, würde ich ihm glatt schöne Augen machen.“

„Na, da hat dein Andy ja Glück, dass du so standhaft bist“, erwiderte Patsy lächelnd. Doch Nancy hatte schon recht: Sergeant Darling machte seinem romantischen Namen alle Ehre. „Aber du kennst ja meine eiserne Regel, nie mit Männern auszugehen, die ich bei der Arbeit kennengelernt habe. Also müssen wir wohl beide auf ihn verzichten“, fügte sie augenzwinkernd hinzu.

Leider eigentlich, doch das verkniff sie sich. Der große und dunkelhaarige Sergeant sah wirklich umwerfend aus, obwohl er eine Brille – dazu noch ein wenig kleidsames Gestell – trug. Von den anderen wurde die Brille scherzhaft mit „Liebestöter“ betitelt, aber Patsy fand nicht, dass sie Ray Darling unattraktiv machte – eher im Gegenteil.

„Wenn er nur mal diese Brille abnehmen würde“, seufzte Nancy, als sie Patsy die nächste Patientenakte überreichte.

Patsy lachte. „Daran hab ich auch gerade gedacht. Irgendwie steht sie ihm aber. Er wirkt damit intelligent und freundlich – nicht so draufgängerisch wie die anderen gut aussehenden Männer hier. Er ist wohl auch nicht so ein Macho wie die restlichen Jungs von seinem Sondereinsatzkommando. Jedenfalls benimmt er sich immer höflich.“

„Ja, ich mag seine schüchterne Art auch“, stimmte Nancy zu. „Und sein markantes Kinn verdeckt die Brille ja nicht.“

„Nein“, seufzte Patsy, wobei sie allerdings weniger an Sergeant Darlings Kinn als an seine breiten Schultern, seine durchtrainierte Bauchpartie und sein straffes Hinterteil dachte, das sie gerade aus der Nähe hatte bewundern dürfen.

Womöglich hatte Sergeant Darling ja beschlossen, seine Zurückhaltung abzulegen, immerhin war das heute fast ein Flirtversuch gewesen. Der Gedanke gefiel ihr – auch wenn es nichts an den Tatsachen änderte.

Nachdem sie jahrelang so viele Männer auf der Basis hatte abblitzen lassen, würde sich ein eher schüchterner Kandidat wie Sergeant Darling bestimmt nicht an sie herantrauen. Mittlerweile wagten nur noch die selbstherrlichen Blender einen Versuch. Schade, manchmal wünschte Patsy sich, die anderen würden sich nicht so schnell abschrecken lassen.

Seufzend blätterte sie die Patientenakte durch. Heute war anscheinend wieder einer dieser Tage … und das alles nur wegen einer harmlosen Bemerkung von Sergeant Darling.

Ray klopfte an die offene Bürotür seines Vorgesetzten Colonel John Harbeson. „Sie wollten mich sprechen, Sir?“

Harbeson winkte ihn herein. „Nein, Radar, eigentlich wollte meine Frau Sie sprechen“, erklärte er resolut.

Ray verzog das Gesicht, als er seinen Spitznamen hörte, aber seinen befehlshabenden Offizier konnte er schlecht korrigieren. Außerdem war „Radar“ immer noch besser als „Darling“, wie er als Neuling bei der Truppe oft genannt worden war. Nicht zum ersten Mal hatte er da seinen Nachnamen verflucht, der geradezu zu Frotzeleien aufforderte.

Erst jetzt bemerkte er die Frau des Colonels, die auf der Couch hinter der Tür saß. „Tut mir leid, Ma’am“, sagte er, „ich habe Sie nicht gleich gesehen. Was kann ich für Sie tun?“

Die Frage war keine bloße Floskel. Er konnte sich absolut nicht vorstellen, warum die Frau des Colonels ihn sprechen wollte.

„Bitte nennen Sie mich Marianne“, erwiderte sie und klopfte einladend auf den Platz neben sich. „Schließlich ist John Ihr Boss, nicht ich.“

„Ja, Ma… ich meine, Mrs H… ich meine, Marianne.“ Liebe Güte, immerhin war Mrs Harbeson fast so alt wie seine Mutter. „Und ich würde gern stehen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“

Das Eistörtchen hatte schon recht gehabt – im Moment war ihm absolut nicht nach Sitzen zumute.

„Wie Sie wollen“, meinte Mrs Harbeson. „Sie fragen sich sicher, weshalb ich Sie kommen ließ.“

„Ja, Ma’am.“

Mrs Harbeson hob eine Augenbraue, korrigierte ihn aber nicht. „Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.“

„Was kann ich für Sie tun, Ma’am?“

Resigniert hob sie die Hände. „Ich gebe auf.“

„Ma’am?“

„Nennen Sie mich, wie Sie wollen, Radar. Nur nicht gerade ‚Sir‘, wenn’s geht.“

„Nein, Ma’am.“ Ray hoffte, Mrs Harbeson würde endlich zum Punkt kommen.

„Mein Frauenverband plant eine Junggesellenauktion, um Geld für einen guten Zweck zu sammeln. Ich hoffe, Sie stellen sich zur Verfügung.“

„Wie bitte?“ Ray schluckte.

Hatte er richtig gehört? Sie wollte ernsthaft, dass er bei einer solchen Aktion mitmischte? Ein guter Witz. Hey, das war doch was für die Charmeure und Draufgänger mit Charisma. Er gehörte zu den Stillen, Zurückhaltenden, war fast schon ein Außenseiter. Er konnte höchstens einen Computer programmieren, aber das war wohl keine Eigenschaft, für die ihn eine Frau ersteigern würde.

„Sie haben mich schon richtig verstanden“, bemerkte Mrs Harbeson streng. „Ich möchte Sie mit an Bord haben. Sie sind doch noch Junggeselle, oder? Ich hätte doch gewiss erfahren, wenn sich daran seit der letzten Weihnachtsfeier etwas geändert hätte. Haben Sie etwa eine Freundin?“

„Nein, Ma’am“, antwortete Ray, noch immer geschockt. „Aber sind Sie sicher, dass Sie wirklich mich wollen?“

Es musste daran liegen, dass so viele seiner Kameraden mittlerweile geheiratet hatten. Wahrscheinlich bekam Mrs Harbeson einfach nicht genug Junggesellen zusammen und musste jetzt nehmen, wen sie kriegen konnte. Sonst hätte sie bestimmt nicht ihn gefragt.

Auf einmal brach ihm der Schweiß aus. Und zwar deshalb, weil er tatsächlich versucht war, zuzusagen. Diese Impfung musste sich irgendwie auf seinen Verstand ausgewirkt haben.

„Ja, Radar“, bekräftigte Mrs Harbeson. „Ich bin sicher, dass Sie der perfekte Mann dafür sind.“

Immerhin war sie die Frau seines Colonels, da konnte er schlecht ablehnen. Vielleicht lernte er bei der Gelegenheit ja sogar eine interessante Frau kennen?

Haha.

„Also gut, Ma’am. Ich stehe Ihnen zur Verfügung.“ Ray wandte sich an den Colonel, der bis jetzt kein einziges Wort gesagt hatte. „Kann ich sonst noch etwas tun, Sir?“

Der Colonel grinste. „Nein, das war alles, Ray. Marianne wird Sie später mit den Details vertraut machen.“

Ray nickte knapp und ging zur Tür.

„Ach, und schicken Sie mir Sergeant Murphy her“, rief der Colonel ihm nach.

„Ja, Sir.“ Erleichtert machte sich Ray auf die Suche nach seinem Freund Danny Murphy, der ihm offenbar als Junggeselle Gesellschaft leisten sollte.

„Es ist mir egal, ob du zwei Karten hast, Tante Myrtle, ich will dieses sexistische Schauspiel nicht sehen“, empörte sich Patsy. Ihre Tante war bereits in voller Montur für die jährliche Wohltätigkeitsgala des örtlichen Frauenvereins, die mit einer Junggesellenauktion ihren krönenden Abschluss finden sollte.

Natürlich wusste Patsy genau, was Tante Myrtle im Schilde führte, und würde sie nicht noch darin unterstützen. „Wenn ich ein Date will, dann mache ich das auf meine Art und nicht, indem ich mir einen Mann kaufe“, erklärte sie verächtlich.

„Aber du bist seit Jahren Single“, widersprach ihre Tante. „Eine attraktive junge Frau wie du sollte nicht mit ihren Katzen allein zu Hause sitzen. Du musst doch ausgehen und Spaß haben, unter Leute kommen.“

Nicht schon wieder die alte Leier, dachte Patsy verstimmt. Warum wollte Tante Myrtle bloß nicht verstehen, dass sie mit ihrem Leben vollauf zufrieden war? „Ich bin doch kein Einsiedler“, widersprach sie. „Ich sehe jeden Tag eine Menge Leute.“ Als ihre Tante zu einem Protest ansetzte, fuhr sie fort: „Und mir ist schon klar, dass du mit ‚Leuten‘ Männer meinst. Ich arbeite immerhin bei der Air Force. Wenn ich wollte, würde ich da schon einen Kandidaten finden, der mit mir ausgeht.“

Aber sie wollte nun mal nicht. Schließlich hatte sie einen wunderbaren Mann gehabt. Eine ganze Familie sogar. Und das ließ sich nicht einfach so ersetzen. Sie hatte ihren Mann Ace hingebungsvoll geliebt und war fast gestorben, als sie ihn verlor. Noch immer war sie nicht darüber hinweg.

„Außerdem bist du diejenige, die hier Katzen hat. Ich habe einen Hund“, setzte sie hinzu.

Myrtle rückte vor dem Spiegel ihr knallrotes Hütchen mit der Straußenfeder zurecht und steckte es mit einer Hutnadel auf ihrem grau melierten, voluminös toupierten Haar fest. Sie strich die Rüschen ihrer lilafarbenen Seidenbluse glatt, kniff sich in die Wangen und presste die Lippen aufeinander, um ihren roten Lippenstift zu verteilen.

„Fertig“, sagte sie und stand auf. „Bist du sicher, dass du nicht mit willst?“

„Absolut. Du kannst die zweite Karte gern jemand anderem schenken.“

„Verdammt, in dieser Verkleidung komme ich mir wie ein Affe vor“, fluchte Ray, als er und Danny hinter der Bühne ihre Ausgehuniformen zurechtzupften. Wenigstens mussten sie nicht wie die anderen Junggesellen im Smoking auf die Bühne – lieber Affe als Pinguin, sagte sich Ray.

Anders als sein Freund Danny fühlte er sich völlig fehl am Platz. Aber Danny war eben ein Frauenheld – das war der Unterschied zwischen ihnen beiden.

Nervös versuchte Ray, seinen Hemdkragen zu lockern. Seine Fliege war zwar nur zum Aufstecken, aber er hatte trotzdem das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

„Hören Sie auf, herumzuzappeln“, tadelte ihn Mrs Harbeson, die plötzlich vor ihm stand. „Sie sehen sehr gut aus, Radar. Schön, dass Sie Ihre Sonntagsbrille aufhaben.“

„Die andere trage ich nur im Dienst“, erwiderte er.

„Na, ein Glück“, bemerkte Mrs Harbeson süffisant. „Und jetzt entspannen Sie sich. Ich denke, Sie werden ein hübsches Sümmchen für den guten Zweck einbringen.“

„Ich tue mein Bestes, Mrs H.“ Auf diese Anrede hatten sie sich schließlich geeinigt.

Mrs Harbeson nickte zufrieden und wandte sich dann an Danny. „Vielleicht können Sie Radar dazu bringen, etwas lockerer zu werden?“

Danny grinste. „Ich versuch’s, Marianne. Aber natürlich werde ich das meiste Geld einbringen. Schließlich kann sich der irische Don Juan nicht von einem Ray Darling übertrumpfen lassen.“

„Wir werden sehen“, erwiderte Mrs Harbeson schmunzelnd und verschwand so schnell, wie sie gekommen war.

„Was meinst du, Radar? Glaubst du, die Damen handeln dich höher als mich?“

„Keine Ahnung. Willst du wetten?“, ging Ray auf Dannys Stichelei ein, obwohl er genau wusste, dass er gegen den attraktiven Frauenhelden keine Chance hatte.

„Na klar. Der Verlierer gibt einen Kasten Bier aus.“

„Einverstanden. Aber der Gewinner bestimmt die Marke, und du weißt, dass ich lieber Importbier trinke.“

„Okay. Wenn du gewinnst, esse ich mein Adressbuch mit den ganzen süßen Telefonnummern darin.“

Ray grinste. Eine verlockende Aussicht, aber äußerst unwahrscheinlich. Er konnte es kaum abwarten, diese alberne Sache endlich hinter sich zu bringen.

Jemand kam und führte sie zu ihren Plätzen an der Seite der Bühne, und eine Moderatorin auf dem Podium rief das erste Opfer auf. Ray war froh, dass er noch eine Weile zusehen konnte, wie die anderen Männer sich verhielten. Wie man unter feindlichem Beschuss eine Kommunikationslinie aufbaute, das wusste er genau, aber hier kam er sich völlig verloren vor.

Die Sache zog sich ziemlich hin. Danny ging für 450 Dollar weg, eine der höheren Summen. Ray erwartete nicht wirklich, ihn zu übertreffen. So langsam wurde seine innere Anspannung unerträglich. Die riefen ihn doch tatsächlich als Letzten auf!

„Und nun, wie immer, das Beste zum Schluss“, kündigte ihn die Moderatorin an. „Applaus für Sergeant Ray Darling!“

Ray wusste nicht, was schlimmer war: an diesem Affentheater überhaupt teilzunehmen oder danach mit einer wildfremden Frau auszugehen. Denn eine Frau, die sich einen Abend mit einem Junggesellen kaufen musste, war höchstwahrscheinlich auch nicht gerade sein Typ …

Patsy Pritchard klingelte ungeduldig bei ihrer Tante an der Haustür. Wieder mal typisch Tante Myrtle, sie an einem Samstagabend herzuzitieren, wenn sie eigentlich etwas anderes vorhatte.

Mit was für einer verrückten Idee würde sie wohl diesmal konfrontiert werden? Patsy klingelte noch einmal Sturm und hämmerte anschließend laut an die Tür. Wurde Tante Myrtle langsam schwerhörig? Reg dich nicht auf, sie ist immerhin deine einzige Verwandte, sagte sie sich. Ohne sie wärst du ganz allein auf der Welt.

„Tut mir leid, Liebes“, rief Myrtle atemlos, als sie endlich öffnete. Sie trug wieder eine dieser albernen Rüschenblusen, die aussahen wie aus dem vorletzten Jahrhundert, und hatte sich ausgehfein zurechtgemacht.

„Du hast nicht gesagt, dass wir irgendwohin wollen“, meinte Patsy vorwurfsvoll. Sie trug bequeme Kakihosen und einen leichten hellblauen Pullover mit passender Strickjacke – genau das richtige Outfit für einen gemütlichen Filmabend zu Hause, mehr aber auch nicht. „Hätte ich mich umziehen sollen?“

„Du siehst wunderbar aus, Liebes.“ Myrtle griff nach ihrer großen Häkelhandtasche. „Ja, wir gehen aus, und zwar zum Abendessen ins Blue Heron.“

„Da brauchen wir ja schon fast eine Stunde für die Fahrt“, meinte Patsy unlustig. Sie hatte endlich eine Sonderedition von alten Ed-Wood-Filmen ergattert, hinter denen sie schon lange her war, und hatte sich die ganze Woche auf ihren privaten Kinoabend gefreut.

„Na und?“ Myrtle schlug energisch die Haustür hinter sich zu. „Die alten Filme laufen dir nicht weg.“

Konnte ihre Tante etwa Gedanken lesen?

„Wer redet denn von Filmen? Warum gehen wir nicht einfach irgendwo in der Stadt essen?“

„Weil wir im Blue Heron mit einem netten jungen Mann verabredet sind. Du sitzt jedes Wochenende zu Hause und schaust dir alte Filme an. Wie willst du da einen Mann kennenlernen?“

„Will ich ja gar nicht. Deshalb gehe ich nicht aus.“ Patsy blieb vor Myrtles altem rosafarbenen Cadillac stehen. Sie hatte überhaupt keine Lust auf eine von ihrer Tante eingefädelte Verabredung. Myrtles Männergeschmack war schrecklich. Selbst wenn sie wirklich Lust auf ein Date hätte, dann ganz bestimmt nicht mit einem der Typen, die Tante Myrtle immer anschleppte.

„Aber du musst mitkommen, Liebes. Ich habe tausend Dollar für ihn gezahlt.“

„Du hast was?“ Erschrocken schlug Patsy sich die flache Hand auf den Mund, als sie merkte, wie schrill ihre Stimme klang. Leiser fuhr sie fort: „Das kann nicht dein Ernst sein! Du hast doch wohl keinen Begleitservice bestellt!“

Kopfschüttelnd stieg Myrtle in den Wagen. „Also wirklich, Patricia, du liest wohl die falschen Bücher. Oder kommt so was in den alten Filmen vor, die du dir immer anschaust?“ Sie holte kurz Luft, redete aber bereits weiter, ohne Patsy zu Wort kommen zu lassen. „Ich habe einen Junggesellen bei der Auktion ersteigert. Hättest du mich begleitet, hättest du dir selbst einen aussuchen können – auf meine Kosten. Aber so musste ich das eben machen.“ Sie öffnete die Beifahrertür.

Patsy lehnte seufzend die Stirn an das kühle Wagendach. Eintausend Dollar! Zwar konnte sich Tante Myrtle eine solche Ausgabe sicher locker leisten … aber trotzdem war es eine Menge Geld. Sie selbst hätte diese Summe ganz bestimmt nicht für einen Abend mit einem Junggesellen ausgegeben.

Immerhin kam Tante Myrtle mit, also war es nicht gerade ein Blind Date. Hoffentlich war der Typ wenigstens nicht so ein Schreckgespenst wie der Buchhalter mit den ungepflegten Zähnen und dem strähnigen Haar, den Myrtle das letzte Mal angeschleppt hatte.

„Du hast gewonnen“, gab Patsy resigniert nach. „Es wäre ja schade um das viele Geld. Aber ich mache nur unter Protest mit, damit du’s weißt!“ Und Spaß werde ich schon gar nicht haben, schwor sie sich im Stillen.

„Natürlich, Liebes“, erwiderte Myrtle geduldig lächelnd und ließ den Motor an. „Vielleicht solltest du dann endlich einsteigen?“

Patsy gehorchte, obwohl sie genau wusste, dass sie es bereuen würde.

Ray fragte sich, warum Miss Carter ein derart abgelegenes Restaurant gewählt hatte. Was stimmte nicht mit der geheimnisvollen Nichte, dass die Tante tausend Dollar für einen Junggesellen zahlte und das Date im Niemandsland stattfinden ließ? Miss Carter hatte einen ziemlich schrulligen Eindruck gemacht. Was, wenn das in der Familie lag?

Er atmete tief durch und versuchte die Sache positiv zu sehen. Immerhin konnte er jetzt mal den Umgang mit Frauen üben, ohne sich gleich die Chancen bei einer zu verderben, an der er wirklich interessiert war. Wie zum Beispiel Schwester Pritchard. Aber die war wohl sowieso eine Nummer zu groß für ihn.

Leise lachend schüttelte er den Kopf über seine verrückte Idee.

Nachdem die Straße kilometerweit durch ödes Buschland geführt hatte, hinter dem hin und wieder der Golf von Mexiko aufblitzte, entdeckte Ray endlich wieder Anzeichen von Zivilisation – ein paar Mehrfamilienhäuser und Läden auf der einen Straßenseite und eine Reihe von Strandvillen, Motels und Restaurants auf der anderen. Schließlich kam das Blue Heron in Sicht, und Ray bog auf den Parkplatz ein.

Nach einem kurzen prüfenden Blick in den Rückspiegel stieg er aus und atmete tief durch. „Auf in den Kampf“, murmelte er und betrat das Restaurant.

Die Bedienung führte ihn zum Tisch von Miss Carter, die ihm freudig zuwinkte. Er winkte zurück, leicht geistesabwesend allerdings, denn er war mehr an ihrer Begleitung interessiert – der geheimnisvollen Nichte.

Sie saß mit dem Rücken zu ihm, doch auf den ersten Blick wirkte sie gar nicht so übel. Ihr langes blondes Haar fiel ihr in leichten Wellen auf die Schultern, und sie trug etwas Hellblaues. An einer Seite hatte sie das Haar mit einer Spange hochgesteckt, aber mehr konnte er nicht erkennen.

Unvermittelt jedoch drehte sich die Frau um. Wie angewurzelt blieb Ray stehen.

Das musste ein Traum sein. Wie konnten zwei Frauen einander so ähneln? Oder war die blonde Schönheit vor ihm am Ende wirklich Schwester Pritchard?

Patsy verschluckte sich beinahe an dem Wein, von dem sie gerade einen Schluck genommen hatte. Das durfte ja wohl nicht wahr sein. Sie kannte den Mann, der auf ihren Tisch zukam – oder doch nicht? Statt Uniform trug er graue Hosen, einen weißen Rollkragenpulli und eine dunkelblaue Windjacke – und statt des Liebestöters auf der Nase eine schicke Designerbrille. Zweifel ausgeschlossen – vor ihr stand tatsächlich Sergeant Darling. Patsy hatte plötzlich das beklemmende Gefühl, dass im Raum die Luft knapp wurde.

Sergeant Darling wirkte zum Glück mindestens ebenso überrascht wie sie.

Wortlos starrten sie einander an, bis Ray schwer schluckte. Fasziniert beobachtete Patsy, wie sein Adamsapfel auf und ab hüpfte.

„Ich fühle mich völlig überrumpelt“, bemerkte er schließlich halblaut.

Er sprach nicht direkt mit Patsy, aber leise genug, dass Tante Myrtle die Bemerkung wahrscheinlich nicht mitbekommen hatte.

„Guten Abend, Miss Carter“, fügte er etwas lauter hinzu und begrüßte Patsy mit einem Kopfnicken. Sie zwang ein freundliches Lächeln auf ihre Lippen.

„Guten Abend, Raymond“, erwiderte Myrtle hoheitsvoll. „Sie sind tatsächlich pünktlich. Das schätze ich bei Männern.“

Sie streckte ihm ihre teuer beringte Hand hin. Ray war sich nicht sicher, ob er diese küssen oder schütteln sollte, entschied sich dann für Letzteres.

„Ja, Ma’am“, antwortete er, schlüpfte aus der Jacke und hängte sie über den freien Stuhl. „Ich gebe mir Mühe. Die Air Force legt ebenfalls großen Wert auf Pünktlichkeit.“

„Patricia, darf ich dir meinen Gast vorstellen“, sagte Myrtle im Tonfall einer Königin, „dies ist mein neuer junger Freund, Sergeant Raymond Darling.“

Patsy wäre vor Verlegenheit am liebsten im Boden versunken. Sie hatte diesen Mann halb nackt gesehen, und bei der Erinnerung an seinen muskulösen Körper wurde ihr immer noch ganz heiß. Auch heute Abend, in Freizeitkleidung, wirkte er umwerfend. Der weiße Rollkragenpulli betonte seinen durchtrainierten Oberkörper noch stärker als die Uniform.

Ein jungenhaftes Grinsen legte sich um Rays Lippen, und sie lächelte verzückt, ohne sich dessen selbst bewusst zu sein. Meine Güte, zum Glück saß sie schon, sonst wären ihr jetzt die Knie weich geworden.

„Sergeant Darling“, murmelte sie. Hoffentlich merkte er nicht, wie aufgeregt sie war.

„Bitte nennen Sie mich Ray.“ Er streckte ihr die Hand hin.

„Ray.“ Sie nickte und ergriff seine Hand. Jetzt registrierte er bestimmt, wie es in ihr aussah. Ihr Herz hämmerte wie wild, und er spürte sicher das Flattern ihres Pulses.

Oder auch nicht. Sein Händedruck war so fest, dass Patsy sich wie in einem Schraubstock fühlte. Rasch zog sie die Hand zurück und schüttelte sie aus, damit die Durchblutung wieder in Gang kam. „In der Klinik nennt man mich Patsy“, meinte sie mit leicht schmerzverzerrter Miene.

„Tut mir leid, ich vergesse manchmal, dass Hände keine Hanteln sind.“

„Ich glaube, ein paar Finger sind gebrochen“, murmelte sie anklagend.

„Red keinen Blödsinn, Dummchen“, fiel Tante Myrtle ein. „Es ist nichts passiert. Deinen Fingern geht es gut.“ Sie rückte den freien Stuhl zurecht und wandte sich an Ray. „Bitte setzen Sie sich. Wir haben noch nicht bestellt.“

„Was ist denn die Spezialität des Hauses?“, fragte er, nachdem er die Speisekarte studiert hatte.

„Es schmeckt alles fantastisch“, erwiderte Patsy etwas atemlos. Sie konnte noch immer nicht ganz glauben, dass sie wirklich mit Sergeant Darling an einem Tisch saß.

„Dann nehme ich die Makrele.“

Mit großer Geste winkte Myrtle dem Ober, der sofort heraneilte und ihre Bestellungen notierte.

Nachdem er sich wieder zurückgezogen hatte, verkündete Myrtle: „Ich gehe mir mal rasch die Nase pudern. In der Zwischenzeit könnt ihr euch ja ein bisschen miteinander anfreunden.“

Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte Patsy verzweifelt, dass mich Tante Myrtle mit diesem Traummann allein lässt.

„Gern“, sagte Ray. „Aber Ihre bezaubernde Nichte und ich sind bereits alte Freunde.“

„Oh?“ Myrtle wirkte verwirrt.

„Ja. Ich hatte mehrmals Gelegenheit, ihre Dienste in der Klinik in Anspruch zu nehmen.“

Wenigstens führte er ihre letzte Begegnung nicht näher aus. Es war Patsy schwergefallen, die Nadel in dieses perfekte Hinterteil zu stoßen. Sein Anblick hatte sie allerdings dafür entschädigt. Entsetzt spürte sie, dass sie rot wurde.

„Ja“, stimmte sie eifrig nickend zu. Vielleicht würde ihre Gesichtsfarbe davon wieder normal? Hm. Wohl eher im Gegenteil. „Ich habe Ray schon in der Klinik gesehen.“

Und wie sie ihn gesehen hatte!

„Na, umso besser, dann könnt ihr eure Freundschaft ja jetzt vertiefen“, versetzte Myrtle trocken und eilte davon. Unterwegs sprach sie kurz mit dem Ober, dann verließ sie den Speiseraum.

Freundschaft? dachte Patsy. So konnte man es nun auch wieder nicht nennen. Ganz abgesehen davon, dass sie nicht beabsichtigte, wegen Ray ihre eiserne Regel über den Haufen zu werfen. Er gehörte eindeutig in die Rubrik Arbeit.

Was Verabredungen mit anderen Männern betraf, hatte Tante Myrtle ja vielleicht doch recht: Zumindest konnte sie mal darüber nachdenken.

„Ihre Tante nennt sie Patricia“, bemerkte Ray, während er die Serviette über seinem Schoß ausbreitete.

„Ja“, antwortete sie kurz angebunden. „Und sie ist die Einzige, die das darf.“

„Warum? Ist das nicht Ihr Name?“

„Doch, aber Sie heißen ja auch Raymond und wollen Ray genannt werden. Es ist wohl so eine Autoritätssache, oder? Wenn jemand mich Patricia ruft, denke ich immer gleich, ich hätte etwas ausgefressen.“

Ray lachte. „Wie soll ich Sie dann anreden?“

Patsy wusste genau, wie die männlichen Patienten in der Klinik sie hinter ihrem Rücken nannten, also lieferte sie Ray besser eine schmeichelhafte Alternative.

„Wie gesagt, in der Klinik nennt man mich Patsy.“

„Also gut. Patsy. Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: „Sind Sie oft hier?“

Wider Willen musste Patsy lachen. Seine Worte klangen wie eine typische Anmache, und das passte so gar nicht zu Ray.

„Ja, es ist eins von Tante Myrtles Lieblingsrestaurants. Unsere Familie besaß vor Jahren hier ein Ferienhaus am Strand. Leider wurde es bei einem Hurrikan zerstört, und Tante Myrtle hat es nicht wieder aufbauen lassen.“ Sie ließ den Blick durch das Restaurant schweifen. „Das Blue Heron hat der Sturm auch heftig erwischt, aber wie man sieht, ließen sie sich nicht unterkriegen.“ Sie lächelte wehmütig. „Mir gefiel die alte Version allerdings besser.“

Ray blickte sich interessiert um. Das Lokal war mit den typischen Deko-Elementen eines Fischlokals ausstaffiert: alte Fischernetze, Muscheln, Schwertfische, Bojen. Es sah genauso aus wie Hunderte andere Fischrestaurants am Golf von Mexiko. „Hat es sich sehr verändert?“, fragte er.

Patsy zuckte die Achseln und setzte zu einer Erwiderung an, da überraschte Ray sie mit einem entzückten Ausruf: „Oh, schauen Sie mal, da fährt gerade ein alter Cadillac vom Parkplatz. In Rosa, mit Heckflossen! Die sieht man heutzutage nicht mehr oft auf der Straße.“

Schockiert drehte Patsy sich um und folgte Rays Blick durchs Fenster, das auf den Parkplatz hinausging. „Aber das ist Tante Myrtles Auto!“

„Wahrscheinlich sucht sie nur einen besseren Parkplatz.“

„Na, hoffentlich“, murmelte Patsy. Von wegen, erkannte sie gleich darauf resigniert, als der Ober nur mit zwei Salattellern ankam.

„Da haben Sie aber einen vergessen“, bemerkte Ray höflich.

„Einen was, Sir?“, fragte der Ober.

„Einen Salat. Wir sind zu dritt.“

„Äh, nein, Sir. Die Dame hat ihre Bestellung storniert. Sie sagte, sie hätte Kopfschmerzen. Aber sie lässt Ihnen ausrichten, dass Sie auf jeden Fall bleiben und den Abend genießen sollen.“

„Das hat sie von Anfang an geplant“, presste Patsy verärgert hervor, stand auf und ging zum Fenster. „Ich hätte es wissen müssen.“

Hilflos vor Wut und Enttäuschung ballte sie unbewusst die Fäuste. Wie sollte sie jetzt nach Hause kommen? Als Ray neben sie trat, fühlte sie sich nur noch mehr in der Falle. Allerdings war das Gefühl jetzt eher angenehm.

„Beruhigen Sie sich doch“, sagte er leise. „Sonst bekommen Sie noch Sodbrennen.“

„Das ist dann ja wohl mein Problem, oder?“, gab sie zurück und schaute noch mal zum Parkplatz, in der vagen Hoffnung, dass Tante Myrtle vielleicht doch noch zurückkam. Nein, es sah nicht so aus. Die roten Rücklichter des Cadillac verschwanden bereits hinter der nächsten Kurve. Ganz toll.

Patsy atmete tief durch und drehte sich um. Es brachte schließlich nichts, vor Ray Darling eine Szene zu machen. Immerhin hatte sie hart daran gearbeitet, als kühl und gefühllos zu gelten. Zumindest auf der Militärbasis.

„Die ist wohl weg“, meinte sie betont ruhig, kehrte zu ihrem Platz zurück und breitete die Serviette über ihren Schoß.

„Wissen Sie, ich bin nicht per Anhalter gekommen“, scherzte Ray beim Hinsetzen. „Mein Wagen steht draußen. Ich weiß, wir vom Sondereinsatzkommando gelten als harte Typen, die alles etwas anders machen, aber auch wir haben unsere Grenzen.“

„Ja, und?“ Patsy schüttelte den Kopf. „Was hat das damit zu tun, dass ich hier festsitze, fast eine Stunde von zu Hause entfernt?“

„Ich bin nicht zu Fuß hier“, wiederholte Ray geduldig. „Ich habe ein Auto.“

„Ein Auto?“ Lieber Himmel, sie hörte sich ja an wie eine Idiotin. „Ein Auto. Natürlich. Dann esse ich noch rasch meinen Salat, dann können wir fahren.“

„Nein, das tun wir nicht“, erwiderte Ray streng. Auf einmal klang er gar nicht mehr so lieb und harmlos. „Ihre Tante hat das ganze Menü bestellt, also essen wir das ganze Menü. Und wir werden es sogar genießen.“

Hielt er sie etwa für einen Rekruten? „Jawohl, Sir“, zischte Patsy und deutete einen Salut an.

Ray lachte. „Na, wenigstens haben sie die richtige Hand benutzt.“ Dann widmete er sich dem köstlichen Salat, und sie war froh, dass er eine Weile beschäftigt war.

Noch immer erschüttert über Tante Myrtles Verrat, begann auch sie zu essen, und nach einer Weile tat das exzellente Aroma des Dressings wie immer seine Wirkung.

„Na ja, es ist wirklich etwas netter hier als allein zu Hause mit ein paar alten Schwarz-Weiß-Filmen“, sinnierte sie vor sich hin – und biss sich gleich darauf auf die Lippe. Hatte sie das jetzt wirklich laut gesagt?

„Sie mögen alte Filme?“ Ray musterte sie interessiert, und Patsy wurde zu ihrem Leidwesen schon wieder rot. Hey, das lief ja tatsächlich auf eine Unterhaltung hinaus.

„Ja. Und ich hasse es, wenn sie nachträglich koloriert wurden. Dann sehen sie zu unecht aus.“

„Und alles in Grauschattierungen zu sehen, ist nicht unecht?“

Wollte er jetzt Streit anfangen oder Small Talk machen?

„Sie wissen schon, was ich meine. Die Farben sind oft einfach falsch.“

„Ja, ich verstehe. Mögen Sie nur die Klassiker oder alles in Schwarz-Weiß?“

„Meine Lieblingsfilme sind ‚Casablanca‘, ‚Der Schatz der Sierra Madre‘ und ‚Der Malteser Falke‘.“

„Ah, also ein Humphrey-Bogart-Fan. Wie steht’s mit den Marx Brothers oder Dick und Doof?“

„Nein, zu kindisch. Keine Frau mag die. Was soll witzig daran sein, wenn erwachsene Männer einander ins Auge stechen oder auf den Kopf hauen?“

„Harold Lloyd?“

„Schon besser. Jedenfalls ist er nicht boshaft. Aber ich ziehe Filme vor, die wenigstens einen Hauch von Handlung aufweisen.“

Sie unterbrach sich hastig. Was redete sie da bloß?

Ray lachte. Wieder fiel Patsy auf, wie sympathisch ihn das machte. „Ich muss Ihnen etwas gestehen“, sagte er. „Ich liebe alte Science-Fiction-Filme.“

„‚Angriff der Killerraupen‘ und ‚Als der Schleim Albuquerque fraß‘?“, fabulierte sie drauflos. Science-Fiction war nämlich nicht gerade ihr Fachgebiet.

„‚Plan Nine from Outer Space‘. Der beste schlechteste Film aller Zeiten. Und einer meiner Lieblingsfilme.“

„Sie kennen Ed Wood?“, fragte Patsy überrascht.

„Kennen? Ich verehre ihn“, erwiderte Ray mit einem breiten Lächeln. „Ich glaube, ich kann jeden seiner Filme mitsprechen.“

Das glaube ich dir aufs Wort, dachte sie unwillkürlich, aber sie meinte es nicht böse. Ray genoss auf der Basis den Ruf, intelligenter zu sein als der Durchschnitt, aber bis jetzt hatte sie sich noch nie richtig mit ihm unterhalten und nichts davon mitbekommen. Also schön, er interessierte sich für andere Dinge als der typische Air-Force-Soldat, aber Computerspiele fand er bestimmt auch toll.

„Ich habe gerade die neue Ed-Wood-DVD-Sammlung im Internet ergattert“, gab sie zu.

„Wow“, erwiderte er mit einem Augenzwinkern. „Ich glaube, ich bin drauf und dran, mich zu verlieben.“

Zum Glück erschien in diesem Moment der Ober mit dem Hauptgang. Dankbar beschäftigte sich Patsy mit ihren Krabben. Das war ja gerade noch mal gut gegangen – sie war nämlich kurz davor gewesen, Ray zu sich nach Hause zu einem Ed-Wood-Filmabend einzuladen.

Obwohl Patsy nicht ganz freiwillig hier war, musste sie sich eingestehen, dass sie den Abend mit Ray genoss. Das würde sie Tante Myrtle natürlich nicht auf die Nase binden. Außerdem wusste sie insgeheim genau, dass sie noch lange nicht bereit war, Ray – oder irgendeinen anderen Mann – zu sich nach Hause zu bitten. Zu schwer wogen die geheimen Schatten ihrer ganz persönlichen Geschichten, die niemanden etwas angingen.

Ray bestellte zum Nachtisch Nusstorte, obwohl er nach dieser Kalorienbombe am nächsten Tag würde doppelt so hart trainieren müssen. Er wollte einfach noch nicht, dass der Abend zu Ende ging. Wer hätte gedacht, dass er das Eistörtchen jemals so weiblich und charmant erleben würde? Ganz zu schweigen davon, dass man sich fantastisch mit ihr unterhalten konnte – und sie schenkte ihm sogar hin und wieder ein bezauberndes Lächeln.

Und sie bestellte sich sogar ebenfalls einen Nachtisch. Wollte sie den Moment des Abschieds etwa auch noch hinauszögern?

„Das werde ich bereuen“, seufzte sie, als der Ober die dreistöckige Schokotorte servierte und Patsy genüsslich das verführerische Aroma einsog. Sie hatte noch nicht einmal gekostet und wirkte schon völlig hin und weg. Dass sie eine Naschkatze war, damit hatte er nicht gerechnet. Die Jungs auf der Basis witzelten immer, dass sie bestimmt von sauren Gurken und Dörrobst lebte.

„So lecker?“

„Allein der Duft ist unwiderstehlich“, seufzte sie und teilte mit der Gabel ein kleines Stückchen ab. Sie führte es zum Mund, aß aber nicht.

„Vielleicht hat es ja weniger Kalorien, wenn ich es nur anschaue und daran schnuppere“, meinte sie wehmütig. Dann lächelte sie. „Nein, ich fürchte, ich nehme schon zu, wenn ich mich nur im selben Raum befinde. Also kann ich mir auch den ganzen Genuss gönnen.“

Sie schob sich das Kuchenstückchen aus Schokoladenteig, Schokoladenfüllung und Schokoladenguss langsam in den Mund und ließ dann in Zeitlupe die Gabel sinken. Dabei sah sie völlig entrückt aus, und Ray fragte sich unwillkürlich, ob sie diesen Gesichtsausdruck auch beim Sex hatte. Wie es sich wohl anfühlte, tief und leidenschaftlich mit ihr zu verschmelzen und ihr solche Wonne zu bereiten? Was würde er dabei empfinden?

Er versuchte, das erregende Bild loszuwerden, aber Patsy beim Liebesspiel mit der Schokoladentorte zuzusehen, war fast zu viel für ihn. Um sich abzulenken, widmete er sich seinem eigenen Nachtisch und verstand auf einmal ihre Reaktion. Das Zeug war wirklich verdammt lecker.

„Liebe Güte, das ist ja göttlich“, murmelte er.

„Tja, und die Kalorien sind teuflisch“, gab sie zurück. „Dafür muss ich eine extra Aerobic-Stunde einlegen.“

„Und ich zehn Kilometer mehr rennen.“

Er freute sich, als Patsy lachte. Sie war im Laufe des Abends immer lockerer geworden und wirkte jetzt gar nicht mehr so streng und kratzbürstig wie in der Klinik.

„Aber Sie sind so was gewohnt“, sagte sie. „Gehen Sie nicht mit Vierzig-Kilo-Rucksäcken auf dem Rücken joggen?“

„Nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt“, erwiderte er grinsend. „Aber nach dem Essen heute werde ich mich beim nächsten Training wohl genau so fühlen.“

„Ach, das stecken Sie doch mit links weg. Schließlich sind Sie prima durchtrainiert, das hab ich selbst gesehen.“ Rasch senkte sie den Kopf, aber Ray sah noch, wie eine zarte Röte ihre Wangen überzog.

Dachte sie an sein für die Impfung entblößtes Hinterteil in der Klinik, oder war es ihr ganz allgemein peinlich, eine so persönliche Bemerkung zu machen? Ray beschloss, galanterweise das Thema zu wechseln.

„Also, ich bin pappsatt“, bemerkte er und winkte dann den Ober heran.

„Sir?“

„Die Rechnung bitte.“

„Das hat die andere Dame schon erledigt. Miss Carter.“

„Verstehe.“ Es ärgerte ihn etwas, dass Patsys Tante ihm zuvorgekommen war. Sie hatte schließlich schon genug für seine Anwesenheit hier bezahlt, also wollte er wenigstens für den Abend aufkommen.

Für den Abend, der sich leider seinem Ende näherte. Schwester Eistörtchen war bekannt dafür, Verabredungen rundweg abzulehnen. Gut möglich, dass das hier seine einzige Chance blieb.

Fragte sich nur, worauf? Warum machte er sich überhaupt Gedanken darüber? Nun ja, er mochte Patsy Pritchard wirklich. So, wie er sie heute Abend kennengelernt hatte, steckte unter der rauen Schale ein sehr weiblicher und sehr verführerischer Kern.

War es reiner Ehrgeiz, der ihn reizte, die uneinnehmbar wirkende Festung zumindest ein Stück weit zu erobern? Oder fühlte er sich aufrichtig hingezogen zu der Frau, die sich hinter der Fassade verbarg?

Beides, entschied Ray nach einem weiteren Blick in ihre im Kerzenschein funkelnden Augen. Eindeutig beides.

2. KAPITEL

Patsy war gar nicht begeistert von der Aussicht, sich von Ray nach Hause bringen zu lassen – allein mit einem großen, gut gebauten, attraktiven Mann –, obwohl sie das Essen mit ihm genossen hatte.

Oder vielleicht gerade deswegen. Es war lange her, seit sie ein Rendezvous gehabt hatte. Und wenn sie ihren geliebten Mann Ace damals nicht weggeschickt hätte …

„So tief in Gedanken, schöne Frau?“, fragte Ray, während sie nebeneinanderher über den Parkplatz gingen.

Erschrocken hob sie den Kopf. War sie so leicht zu durchschauen, dass er ihr am Gesicht ablesen konnte, was sie fühlte?

Sie versuchte, die schrecklichen Bilder von damals loszuwerden. „Ich musste nur gerade an etwas denken. Nicht weiter wichtig.“

Jedenfalls nicht für Ray, dachte sie. Für sie selbst war es unglaublich wichtig. Immer noch. Sie schaute über den Strand aufs Meer hinaus. „Oh, sehen Sie nur das Meeresleuchten!“

Ray lächelte. „Phosphorisierendes Plankton.“

„Als Kind hielt ich es immer für reine Magie.“

„Und dann erfuhren Sie, dass es nur Kleinstlebewesen sind. Waren Sie sehr enttäuscht?“

„Schrecklich. Es hat mir den Glauben an Feen und Meerjungfrauen genommen.“

Wie von selbst hatten sie die Richtung geändert und hielten jetzt auf den dunklen Strand zu.

Ray lachte leise. „Tja, bei mir gab’s keine große Ernüchterung. Ich hatte schon alles über das Phänomen gelernt, bevor ich es überhaupt zu Gesicht bekam. Im Norden ist es nachts zu kalt, um am Strand herumzulaufen. Zum ersten Mal bekam ich das Meeresleuchten zu Gesicht, als ich in Key West auf die Marinetauchschule ging.“

Auch hier war der leichte Wind vom Meer her um diese Jahreszeit noch kühl. Patsy raffte ihre Strickjacke vor der Brust zusammen und steckte die Hände in die Ärmel. Doch obwohl sie fror, freute sie sich insgeheim, dass ihr Abend mit Ray noch nicht zu Ende war. Natürlich würde sie Tante Myrtle diesen Verrat trotzdem nie verzeihen! Da konnte diese hundert Mal behaupten, sie hätte es nur gut gemeint … Ein Glück für Tante Myrtle, dass das Blind Date viel besser gelaufen war als die anderen, die auf ihr Konto gingen.

Patsy lächelte vergnügt in sich hinein. Das würde sie schön für sich behalten. Diesen Triumph wollte sie ihrer Tante nicht gönnen.

„Ah, schon besser“, bemerkte Ray.

Fragend sah sie ihn an. Ein Windstoß wehte ihr die Haare ins Gesicht. „Was ist besser?“

Sie versuchte, sich die Strähne aus dem Gesicht zu schütteln, weil ihr zu kalt war, um die Hände aus den warmen Ärmeln zu ziehen. Vergeblich.

„Darf ich?“ Ray hob die Hand.

Sie nickte, und Ray strich ihr die Haarsträhne sanft hinters Ohr. Dabei ließ er die Finger etwas länger auf ihrer Wange ruhen als nötig, und Patsys Herz klopfte schneller. Würde er sie jetzt etwa küssen?

Und wenn er es tat?

Oder noch schlimmer – was, wenn er es nicht tat?

Doch Ray hielt das Gesicht in den Wind. „Sie zittern ja“, meinte er besorgt. „Ich glaube, im März ist es doch noch ein bisschen zu kalt für einen Strandspaziergang. Immerhin sind wir hier in Nordflorida.“

Er zog die Jacke aus und legte sie ihr fürsorglich um die Schultern.

„Danke“, sagte Patsy. Hatte sie wirklich gezittert? Bestimmt nicht vor Kälte, wie sie argwöhnte. „Vorhin auf dem Weg zu Tante Myrtle kam es mir wärmer vor.“

„Das ist der Seewind. Ich habe mal gelesen, dass mehr Leute bei Temperaturen über null Lungenentzündung bekommen als bei Minusgraden – weil sie nicht darauf vorbereitet sind, wie schnell der Wind einen auskühlt …“

Was redete er nur für einen Blödsinn? Hatte er da nicht gerade eine wunderbare Gelegenheit verpasst? Aber woher sollte er das so genau wissen … Er hatte einfach nicht genug Erfahrung in diesen Dingen.

Patsy setzte sich wieder in Bewegung. Als sie in dem lockeren Sand stolperte, streckte er automatisch die Hand aus, um sie aufzufangen. Sie schaute zu ihm auf und wirkte dabei irgendwie erwartungsvoll … oder fragend?

Am liebsten hätte er einen Finger unter ihr Kinn gelegt und sie geküsst – so, wie es die Helden in den alten Schwarz-Weiß-Filmen immer taten. Aber er war eben nicht Humphrey Bogart, der charismatische Herzensbrecher, sondern Ray Darling, hochbegabt, aber leider nicht, was Frauen betraf.

Bis jetzt war der Abend so gut gelaufen, da wollte er nicht alles verderben. Er würde vor Scham im Boden versinken, falls Patsy sich abwandte. Deshalb ließ er nur die Hand einen Moment länger als unbedingt nötig auf ihrem Arm ruhen. Wobei ihm allerdings ganz schön heiß wurde.

„Ich … äh … danke“, meinte Patsy verlegen, und Ray musste über sie beide lächeln. Wie verhielt man sich in solch einer Situation?

„Dafür, dass Sie mich aufgefangen haben“, fügte sie erklärend hinzu.

„Gern geschehen“, meinte er locker. Er hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie ihm vor Dankbarkeit um den Hals gefallen wäre, aber da sie es nicht tat, war diese Gelegenheit wohl vorüber. Ungenutzt. Ray seufzte. Wäre ihm eine normale Kindheit vergönnt gewesen, wüsste er jetzt vielleicht besser, wie man sich nachts an einsamen Stränden mit einer schönen Frau an seiner Seite verhielt.

„Stimmt was nicht?“ Patsy sah ihn forschend an.

„Nein, schon okay. Ich bereue nur ein paar Dinge.“ Als ihm klar wurde, was er da sagte, blieb er stehen und blickte ihr ernst in die Augen. „Nicht den heutigen Abend. Nicht die Verabredung mit Ihnen“, stellte er klar. Seine Stimme klang ziemlich belegt, das merkte er selbst. Besser, er erklärte Patsy, was in ihm vorging.

„Als ich vorhin von zu Hause sprach – ich komme aus Washington, dem Staat, nicht der Stadt –, musste ich auch an meine Eltern denken.“

„Leben sie nicht mehr?“

Ihm war aufgefallen, dass ihre Augen immer ein bisschen traurig wirkten, auch wenn sie lächelte. Dieser traurige Ausdruck verstärkte sich jetzt. Ray fragte sich, was sie wohl durchgemacht hatte.

„Nein, es geht ihnen gut. Glaube ich jedenfalls. Sie reden nicht mehr mit mir. Seit zehn Jahren nicht.“

„Oh – aber warum?“

„Ist nicht so wichtig.“ Ray ging weiter. „Wir hatten einfach verschiedene Ansichten darüber, wie ich meine Zukunft gestalte.“

„Aber das ist doch kein Grund, nicht mehr miteinander zu reden! Die Familie ist das Wichtigste, was ein Mensch hat. Ich würde alles dafür geben, meine Eltern zurückzubekommen.“

„Sie sind tot?“

Patsy schaute blicklos in die Ferne. „Sie starben bei einem Flugzeugabsturz, als ich noch auf der Highschool war“, erzählte sie leise. „Seitdem hat sich Tante Myrtle um mich gekümmert.“

„Das tut mir leid.“ Eine nichtssagende Floskel, aber er meinte es ernst.

Patsy schaute ihn an, und ihre Augen blitzten. „Was? Dass ich von Tante Myrtle großgezogen wurde?“

Er wollte schon widersprechen, doch dann erkannte er, dass Patsy versuchte, das Thema zu wechseln und die Stimmung aufzuhellen, und er ging auf ihren Scherz ein. „Ich wette, es war lustig, mit Myrtle zu leben.“

„Oh ja. Lustig, aber nicht immer ganz normal. Sie wohnt in einer großen alten Villa, und ich traute mich nie so recht, Freunde einzuladen, weil alles mit kostbaren Antiquitäten vollgestellt ist. Außerdem hatte Myrtle ihre eigene Vorstellung davon, was ein junges Mädchen mit seiner Zeit anfangen soll, also sind wir öfter aneinandergeraten.“ Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: „Und ich hätte gern Geschwister gehabt.“

„Ich auch.“

„Sie sind ebenfalls ein Einzelkind?“

„Na ja, meistens war ich zu beschäftigt, um mich darüber zu grämen, aber ja, ich bin auch ein Einzelkind. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.“

Inzwischen waren sie wieder beim Parkplatz angelangt. Ray genoss die Stille und die Geräusche der Nacht – der Wind in den Bäumen, ihre Schritte auf dem Kies und das Rauschen der Brandung.

Diese Nacht würde er nie vergessen, auch wenn dies seine einzige Verabredung mit Schwester Eistörtchen bleiben würde.

Besonders dann nicht …

Wenigstens fährt er keinen dieser angeberischen Sportwagen, stellte Patsy erleichtert fest, als Ray sie zu seinem Auto führte, einem nagelneuen, geländegängigen Kleinwagen. Was Autos anging, teilten sich die Männer auf der Basis in zwei Fraktionen: die Sportwagenfans und die Anhänger von martialischen Jeeps oder Hummern.

Rays Auto passte in keine der beiden Kategorien. War das ein gutes Zeichen? Vielleicht.

Punkte machte er jedenfalls, als er ihr galant die Tür öffnete. Von innen war der Wagen auch recht übersichtlich, stellte sie fest, als Ray sich hinters Lenkrad setzte und die Tür schloss. Sie saßen wirklich sehr dicht beieinander. Würde er die Gelegenheit nutzen und versuchen, sie zu küssen?

Ihr Herz schlug schneller, und ihr wurde plötzlich wieder warm. Aber das lag sicher daran, dass sie noch immer Rays Jacke trug. Oder?

Wie lange war es her, dass sie allein mit einem Mann in einem Auto gesessen hatte? Sie konnte sich nicht erinnern. Nachdem die Kinder auf der Welt gewesen waren, hatten sie und Ace kaum mehr eine Minute für sich allein gehabt.

„Möchten Sie Musik hören oder lieber reden?“, fragte Ray, als er den Wagen anließ.

„Musik klingt gut.“ Patsy wurde bewusst, dass das vielleicht wie eine Zurückweisung klang, und sie fügte rasch hinzu: „Ich bin neugierig, was Sie so hören. Kein Techno-Metal, hoffe ich.“

Ray verzog das Gesicht – hoffentlich war sie nicht genau ins Fettnäpfchen getreten. „Ich gebe Ihnen eine Kostprobe.“ Aus dem Stapel in der Mittelkonsole suchte er eine CD heraus.

Kurz darauf erklang die samtweiche Stimme von Carole King. Patsy begann unwillkürlich mitzusummen. Jedes Mal, wenn sie dachte, sie kenne Ray ein bisschen, überraschte er sie mit neuen Einblicken. Und es waren angenehme Überraschungen.

Als sie die Ortschaft hinter sich ließen, begann ein neues Lied – diesmal Garth Brooks. Auch den mochte Patsy.

„Ich stelle meine CDs selbst zusammen“, erklärte Ray.

„Dann kennen Sie sich bestimmt gut mit Computern aus.“

„Das können Sie laut sagen. Man hat mich zum Experten der Einheit erklärt, obwohl es dafür eigentlich Techniker auf der Basis gibt. Deshalb nennen sie mich Radar.“

„Ach so? Ich dachte, das steht für Ray Darling.“

„Nein. Als ich neu auf die Basis kam, war mein Name erstmal die perfekte Zielscheibe. Sie können sich nicht vorstellen, wie oft ich einfach nur Darling gerufen wurde.“

Patsy lachte leise. „Oh doch, das kann ich mir gut vorstellen. Ich höre es direkt: Hey, Daaaarling, kannst du mal kommen? Reich mir doch mal den Schraubenschlüssel, Daaarling.“

„Genau. Ich musste mir etwas einfallen lassen, um die Jungs davon abzubringen. Also habe ich sie mit meinen Computerkenntnissen beeindruckt.“

„Nicht schlecht. Ich kann zwar die Programme in der Klinik bedienen und E-Mails schreiben, aber damit hat sich’s auch.“

„Tja, ein paar von den älteren Semestern waren am Anfang nicht so begeistert von mir. Sie standen kurz vor der Pensionierung und hatten keine Lust auf Veränderungen. Aber dann habe ich sie ziemlich schnell umgestimmt. Chief Mullins war derjenige, der mir den Spitznamen Radar verpasste – wahrscheinlich, weil das eins der wenigen technischen Geräte war, mit denen er umgehen konnte. Damit hat er mich gerettet. Ich hatte nämlich keine Lust mehr, mich zu prügeln, weil mich schon wieder jemand Daaaarling rief.“

„Aber verloren haben Sie bestimmt nicht oft“, bemerkte sie in Erinnerung an seine imposanten Muskeln.

„Nein. Hat aber auch nichts genützt. Ich glaube, deswegen bin ich so lange nicht befördert worden – gute Testergebnisse, aber zu viele negative Einträge wegen Raufereien.“

Tatsächlich hatte sich Patsy schon gewundert, warum er nicht längst Offizier war.

„Doch diesmal habe ich es geschafft. Ich stehe auf der Liste und werde irgendwann demnächst für die Offiziersausbildung zugelassen.“

Patsy hob überrascht die Augenbrauen. Wie konnte er einen College-Abschluss haben – der Voraussetzung für die Offizierslaufbahn war –, wenn er seit zehn Jahren zur Air Force gehörte?

„Haben Sie das Abend-College auf der Basis besucht?“, fragte sie erstaunt.

„Nein. Die Universität von Washington“, erwiderte er kurz und presste dann die Lippen aufeinander, als hätte er schon zu viel gesagt.

Auch gut, dachte Patsy. Wenn er nicht darüber reden wollte, dann eben nicht. Sie lehnte sich im Sitz zurück und lauschte der Musik. Diesmal war es ein Song von James Taylor.

Ray gab sich die Schuld für den Stimmungsumschwung. Wieso hatte er Patsy auch so angefahren? Sie konnte schließlich nichts dafür, dass dieses Thema sein wunder Punkt war. Wie erklärte man plausibel, dass man mit siebzehn einen Universitätsabschluss in der Tasche hatte und dann zur Air Force ging, um herauszufinden, wie normale Menschen so lebten?

Womöglich würde sie ihm vorwerfen, seine Begabung zu verschwenden – so wie seine Eltern es immer noch taten.

Warum verstand einfach keiner, dass man bei der Air Force auch etwas lernte? Seinen Doktor machen konnte er immer noch. Jetzt würde er an der Uni viel besser zu den anderen Studenten passen als damals.

Er warf Patsy einen besorgten Seitenblick zu. War sie sehr verärgert?

Nein. Sie war eingeschlafen.

Das gab ihm den Rest. Immer wieder musste er sie ansehen. Sie wirkte so friedlich und entspannt, wie sie sich in ihren Sitz kuschelte. Und so unglaublich verführerisch. Heiße Sehnsucht erfasste ihn. Sehnsucht danach, seine Lippen auf ihre zu drücken und sie ganz fest in den Armen zu halten.

Die Frage war nicht ob, sondern wann das passieren würde, so viel stand für ihn mittlerweile fest. Ein triumphierendes Lächeln umspielte seine Lippen. Unglaublich. Das Eistörtchen schlummerte selig in seinem Wagen.

Jeder Mann auf der Basis fragte sich, wer der Glückliche sein würde, der Patsy Pritchard eroberte. Dass er es sein würde, hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt.

Schade nur, dass er es niemandem erzählen durfte.

Nein, damit herumzuprahlen, war nun gar nicht sein Stil. Zumal ja bis jetzt auch noch nicht viel passiert war, womit er prahlen konnte. Und vielleicht auch nichts mehr passieren würde. Falls doch, dann glaubte ihm das sowieso niemand. Schließlich war er Radar Darling, der Sergeant, dem man eher zutraute, den Nobelpreis zu gewinnen, als eine Frau abzuschleppen.

Zufrieden vor sich hinsummend, steuerte er den Wagen durch die Nacht, bis sie Fort Walton Beach erreichten. Dort musste er Patsy leider wecken, weil er ja nicht wusste, wo sie wohnte.

An einer roten Ampel rüttelte er sie leicht an der Schulter. Viel lieber hätte er sie wach geküsst, aber das wäre für den derzeitigen Stand der Dinge wohl zu gewagt gewesen.

Erschrocken hob Patsy den Kopf.

„Sorry, ich wollte Sie nicht erschrecken“, meinte Ray sanft. „Wir sind wieder in der Stadt, und ich weiß nicht, wohin.“

Offenbar war sie noch nicht ganz wach, denn sie blinzelte verwirrt. „Biegen sie an der Beal Street rechts ab“, murmelte sie schläfrig. „Dann links auf den Hollywood Drive.“

„Wird gemacht.“

„Tut mir leid, dass ich eingenickt bin. Letzte Nacht ist es bei mir ziemlich spät geworden.“

„Eine Sonderschicht in der Klinik?“

„Nein, ich bin nur zu lange aufgeblieben, weil im Nachtprogramm noch ein alter Film lief, den ich unbedingt sehen wollte. Und morgens musste ich früh raus, um Tripod zum Tierarzt zu bringen.“

„Tripod?“

„Meinen Hund.“

Ray nickte versonnen. Er hatte sich immer einen Hund gewünscht, aber seine Eltern waren der Meinung, das würde ihn nur vom Lernen ablenken.

„Ist er krank?“

„Es ist eine Sie. Nein, sie brauchte nur eine Tollwutimpfung.“

„Tripod ist ein interessanter Name für eine Hündin“, sagte Ray.

„Wenn Sie sie sehen, verstehen Sie, warum ich sie so genannt habe. Oh, sorry, ich hab nicht aufgepasst, wir hätten da hinten abbiegen müssen. Ich wohne im dritten Haus rechts.“

Die Kehrtwendung fiel etwas schnittiger aus als beabsichtigt, aber die scharfe Kurve brachte ihm Patsy verführerisch nahe. Zufrieden lächelnd bog Ray in ihre Straße ein, die von kleinen Doppelhäusern mit Carports davor gesäumt war.

„Welche Hälfte ist Ihre?“

„Die linke. Sie können auf der Einfahrt umdrehen.“

Ray bog auf den gepflasterten Platz vor dem Carport ein, wendete aber nicht, sondern stellte den Motor ab. Sollte er jetzt versuchen, sie zu küssen, oder warten, bis sie vor der Haustür standen?

Patsy nahm ihm die Entscheidung ab, indem sie die Tür öffnete und einfach ausstieg.

Rasch folgte Ray ihr. „Wo ich herkomme, begleitet man seine Lady nach einem Date bis zur Haustür.“

„Danke sehr“, versetzte Patsy spitz, „aber die Gegend hier ist absolut sicher, mir wird also nichts passieren. Und außerdem bin ich nicht Ihre Lady.“

„Treffer.“ Ray presste die Hände auf die Brust, als hätte ein unsichtbarer Degen ihn erwischt. Das war ganz das Eistörtchen, wie er es kannte und liebte. Er freute sich auf die Herausforderung, ihre Verteidigungswälle noch einmal zu überwinden.

Immerhin verlangsamte Patsy ihren Schritt, je näher sie der Haustür kamen. Drinnen begann ein Hund zu bellen, aber es klang eher freudig als bedrohlich.

„Sie erlauben mir doch, Ihre Mitbewohnerin kennenzulernen?“, bat Ray. „Ich kann sonst bestimmt nicht schlafen, weil ich mich die ganze Nacht frage, warum sie Tripod heißt.“

Patsy lachte. „Das kann ich natürlich nicht verantworten“, meinte sie und fischte in ihrer Handtasche nach dem Hausschlüssel.

Die Chancen standen nicht schlecht, dass sie ihn hereinbitten würde. So viel erkannte selbst Ray, der keine Routine in diesen Dingen hatte.

„Tripod war halb tot, als ich sie fand“, erzählte Patsy.

„Und Sie haben sie gerettet und gesund gepflegt.“

„Nicht ganz. Ich habe sie zum Tierarzt gebracht und damit gerechnet, dass er sie einschläfern würde, aber er versprach, sie wieder zusammenzuflicken. Zum größten Teil jedenfalls.“

„Zum größten Teil?“

„Ihr linkes Vorderbein konnte er nicht retten, deshalb hinkt sie.“

„Ah, jetzt hab ich es kapiert. Drei Beine – Tripod wie der antike griechische Stuhl.“ Patsy war wirklich bewundernswert. Nicht jeder hätte einen dreibeinigen Hund adoptiert. „Das gefällt mir.“

Verwirrt blickte Patsy zu ihm auf, und das Verlangen, sie zu küssen, wurde einfach übermächtig. Doch als er den Kopf leicht vorneigte, wich Patsy ihm geschickt aus. „Was gefällt Ihnen?“

„Dass Sie sich eines armen, verletzten Hundes angenommen haben.“

„Oh. Na, dann gehe ich jetzt mal besser rein.“ Sie reichte ihm die Hand. „Danke, dass Sie mich nach Hause gebracht haben.“

„Gern geschehen.“ Ray nahm ihre Hand und genoss das warme und weiche Gefühl. Sanft strich er mit dem Daumen über ihre Handfläche. „Hey, was meinen Sie, besteht wohl die Chance, zu einem Ed-Wood-Filmabend eingeladen zu werden?“

„Nicht heute“, erwiderte Patsy nervös.

„Das war nicht ganz die Antwort, die ich mir gewünscht habe, doch sie gibt mir Hoffnung.“

„Ach, ja?“ Patsy wirkte überrascht.

„Na klar. ‚Nicht heute‘ bedeutet immerhin, dass es in Zukunft einen anderen Abend geben könnte …“ Er wartete gespannt auf ihre Reaktion.

„Wir haben keine Zukunft“, sagte Patsy barsch.

„Wir haben alle eine Zukunft“, konterte Ray sanft.

Statt etwas darauf zu erwidern, riss sie sich von ihm los, stürzte ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu, bevor er begriff, was geschah. Hatten da nicht plötzlich Tränen in ihren Augen gestanden? Aber warum nur?

„Was um alles in der Welt ist denn jetzt passiert“, überlegte er laut.

Dann hörte er nur noch, wie drinnen der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Zwei Mal.

Nachdem sie abgeschlossen hatte, drückte sich Patsy mit dem Rücken an die Tür, als wolle sie eine Barrikade gegen Ray und die Welt da draußen errichten. Tripod sprang an ihr hoch und wedelte wie wild mit dem Schwanz, aber heute konnte Patsy sich nicht einmal darüber richtig freuen.

Halbherzig streichelte sie die Hündin, doch ihre Gedanken waren woanders.

Warum musste Ray auch alles verderben?

Zum ersten Mal seit Jahren war sie mit einem Mann ausgegangen, und sie hatte tatsächlich Spaß gehabt. Vielleicht hätte sie ihm sogar einen Gutenachtkuss erlaubt. Aber nein, er musste ja unbedingt diese Bemerkung über die Zukunft machen, die all ihre dunklen Erinnerungen wieder lebendig machte. Erinnerungen an ihre Kinder und ihren Mann, deren Zukunft von einem Moment auf den anderen ausgelöscht worden war.

Patsy versuchte, die Tränen zurückzuhalten, doch sie kam nicht dagegen an. So schön es war, zu lieben – wenn man den geliebten Menschen verlor, war das schlimmer, als selbst zu sterben.

Bis auf Tante Myrtle hatte jeder, der ihr etwas bedeutete, sie verlassen. Genau aus diesem Grund ging sie einer erneuten Beziehung aus dem Weg. Es war einfacher, allein zu sein, als noch einmal zu riskieren, allein zurückzubleiben. Deshalb würde sie auch mit Ray Darling nichts anfangen. Am Ende verliebte sie sich in ihn – und würde dann doch wieder nur verletzt werden.

Ganz gleich, wie lange der schreckliche Tag zurücklag – die Erinnerung war wie eine offene Wunde in ihrem Herzen. Manchmal hatte Patsy das Gefühl, diese würde nie heilen.

Wie betäubt stand Ray vor Patsys Tür und versuchte zu begreifen, was gerade passiert war. Es hatte doch ganz gut angefangen, oder? Na schön, Schwester Eistörtchen war nicht gerade in seinen Armen dahingeschmolzen, aber ein wenig aufgetaut war sie schon.

Kopfschüttelnd ging er zum Wagen zurück. Den Gutenachtkuss musste er wohl streichen, aber da war ja noch der Ed-Wood-Filmabend, auf den er sich freuen konnte. Irgendwann würde der Wirklichkeit werden.

Vielleicht nicht morgen.

Und auch nicht nächste Woche.

Aber eines Tages bestimmt.

Er hatte alle Zeit der Welt, und wenn der richtige Moment gekommen war, würde er diese Filme gemeinsam mit Patsy anschauen. Und zwar nicht, weil eine wohlmeinende Tante eine hübsche Stange Geld für diese Verabredung hingeblättert hatte, sondern weil sie beide sich wünschten, zusammen zu sein.

3. KAPITEL

Patsy gab sich Mühe, den Abend mit Sergeant Darling zu vergessen, aber es gelang ihr einfach nicht – wochenlang.

Der Kuss, der so unvermeidlich schien und dann doch nicht Realität wurde, verfolgte sie bis in ihre Träume. Sie stellte sich vor, wie es gewesen wäre, wenn Ray sie am Strand geküsst hätte – oder später, vor ihrer Haustür. Es waren beunruhigende Träume, erotisch und voller Sehnsucht.

Tagsüber siegte meist die Vernunft über ihr Verlangen. Schließlich war sie kein Teenager mehr, der an ein Happy End glaubte, sondern siebenundzwanzig Jahre alt und vom Schicksal nicht gerade verwöhnt. Trotzdem hielt Patsy auf der Basis heimlich nach Ray Ausschau – beim Mittagessen in der Kantine, auf dem Weg zur Klinik und auch sonst eigentlich immer. Doch er blieb wie vom Erdboden verschwunden.

Dann kam ein Aprilnachmittag, an dem es in der Klinik besonders hektisch zuging und Patsy nicht wusste, was sie zuerst tun sollte. Ein Arzt schickte sie in eins der Behandlungszimmer, um einen verstauchten Knöchel zu schienen und zu bandagieren. Die Hände voller Verbandsmaterial, eilte sie in den Raum und blieb dann wie angewurzelt stehen. Auf der Behandlungsliege saß in grauen Trainingshosen und einem T-Shirt der Mann, der ihre Träume beherrschte. Offensichtlich war er es, der sich den Knöchel verstaucht hatte. Ausgerechnet heute hatte sie nun nicht damit gerechnet, ihn wiederzusehen.

Sprachlos starrte sie ihn an.

„Eine Begrüßung wäre nett“, meinte er lässig und stützte sich auf den Ellenbogen, um besser zu ihr aufschauen zu können. Obwohl er zweifelsohne Schmerzen litt, lächelte er sie strahlend an, und auf einmal wurde ihr ganz heiß.

„Hi“, brachte sie mit rauer Stimme hervor. „Doktor Brantley hat nur was von einem verstauchten Knöchel gesagt, aber keinen Namen genannt.“

Sie registrierte selbst, wie belanglos ihre Worte klangen, aber so war es nun mal.

„Na ja, im Moment würde ich eine Menge darum geben, diese Schmerzen loszuwerden.“ Ray verzog das Gesicht.

Seine Bemerkung erinnerte sie an ihre Pflichten, und sie eilte an seine Seite. „Tut mir leid. Je eher wir den Fuß stabilisieren, desto eher kann er heilen.“

Sie zwang sich, den Blick von Rays Gesicht zu lösen und sich auf den geschwollenen Knöchel zu konzentrieren. „Sie sollten ihn eine Weile nicht belasten“, ermahnte sie Ray, während sie Schiene und Verband anlegte.

„Ist mir recht, glauben Sie mir. Es tut mir nur leid, dass ich das Team im Stich gelassen hab.“

Als Patsy aus Versehen an sein Bein stieß, als sie die Bandage festmachte, sog er scharf die Luft ein. „Hey, das ist ein echtes Bein da drinnen!“

„Verzeihung. Ich dachte, ihr Männer vom Sondereinsatzkommando kennt keinen Schmerz.“ Sie reichte ihm ein Paar Krücken. „Können Sie damit umgehen?“

„Ich werd’s wohl lernen“, erwiderte Ray trocken. „Und nur zu Ihrer Information: Wir geben es zwar meistens nicht zu, wenn uns was wehtut, aber wir spüren es trotzdem.“

„Oh, dann wollten Sie wohl nur ein bisschen bedauert werden?“ Patsy setzte sich nun an den Computer in der Ecke und trug einige Daten ein. „Die nächste Woche haben Sie Bürodienst. Das ist ein Befehl. Wehe, ich höre etwas von Manöverübungen mit Marschgepäck oder so. Wie ist das überhaupt passiert?“

„Ich habe beim Baseball ein paar Tricks vorgeführt.“ Verlegen grinsend deutete Ray auf den Schmutzstreifen an seiner Trainingshose. „Dabei bin ich mit dem Fuß an dieser verd… Verzeihung. An dieser dummen Fahne hängen geblieben, und so ist es passiert. Nicht sehr geschickt, was?“

„Na ja, Ihr Team wird jedenfalls einige Wochen ohne Sie auskommen müssen. Legen Sie den Fuß ein paar Tage lang hoch und belasten Sie ihn nicht. Der Arzt hat Ihnen ein Schmerzmittel verschrieben, das Sie bei Bedarf nehmen können.“

„Ich brauche doch kein Schmerzmittel“, protestierte Ray im gespielten Tonfall eines Westernhelden. „Geben Sie mir einfach ein Beißholz.“

Patsy verdrehte die Augen. „Nehmen Sie es trotzdem mit. Wenn’s dann mit dem Beißholz nicht klappt, haben Sie die Tabletten wenigstens im Haus. Sie wirken auch entzündungshemmend und beschleunigen den Heilungsprozess.“

„Na gut“, gab Ray nach. „Unter einer Bedingung.“

„Ich glaube nicht, dass Sie in der Position sind, um Bedingungen zu stellen.“ Patsy stemmte die Hände in die Hüften und parodierte das Bild der strengen Schwester, als die die Männer der Basis sie sahen. „Wenn ich dem Arzt sage, dass Sie sich weigern, unsere Anweisungen zu befolgen, wird er Ihnen Bettruhe verordnen.“

„Ich ergebe mich!“ Ray hob die Hände, wobei er sich die Krücken unter die Arme klemmte. „Ich wollte Sie ja auch nur einladen, meinem Team beim Spiel zuzusehen, falls Sie mal Zeit haben.“

Patsy zögerte. „Hm, ich weiß nicht. Meist bin ich hier bis nach sechs beschäftigt.“

„Aber nicht samstags.“

„Stimmt.“

„Also abgemacht, nächsten Samstag kommen Sie zu unserem Spiel. Ich verspreche, dass ich es mir ebenfalls von der Bank aus anschaue. Wir spielen auf dem Feld hinter der Sporthalle. Um drei geht’s los. Es ist das erste Wettkampfmatch der Saison. Hey, wie wär’s, wollen Sie nicht unser Maskottchen sein?“

Lieber nicht, dachte Patsy. Aber sie würde trotzdem hingehen. Nicht, um einem Haufen erwachsener Männer beim Ballspielen zuzusehen, sondern um sicherzustellen, dass Ray seinen Fuß wie versprochen schonte. Das redete sie sich zumindest ein.

„Na gut, dann sehen wir uns dort.“

„Samstag Nachmittag, drei Uhr“, wiederholte Ray mit einem fröhlichen Grinsen, bei dem ihr ganz warm ums Herz wurde, dann stand er auf und humpelte hinaus. Selbst auf Krücken wirkte er beeindruckender als alle anderen Männer der Basis zusammengenommen.

Es war ein schöner klarer Tag, am Himmel standen nur ein paar Federwölkchen, und es wehte eine leichte Brise – nicht schlecht für ein Baseballspiel. Wenn Patsy wie versprochen wirklich kommt, ist es perfekt, dachte Ray.

Immer wieder spähte er in Richtung Parkplatz. Ganz sicher war er nicht, ob sie auftauchen würde. Vielleicht hatte sie in der Klinik nur zugesagt, um ihn loszuwerden.

Sein Team begann mit dem Aufwärmtraining. Es waren nur noch ein paar Minuten bis drei. Falls sie sich verspätete, bedeutete das, das sie eigentlich gar nicht kommen wollte, oder? Dabei war es doch gar keine richtige Verabredung.

Jemand zupfte ihn am T-Shirt.

„Mr Radar, Brian wirft den Ball immer zu hart.“

Es war das jüngste Teammitglied, ein Junge namens Davey. Er war schon zu groß für die Kindermannschaft, konnte aber mit den älteren Jungs noch nicht immer ganz mithalten. In seinen großen braunen Augen standen Tränen. „Aber ich kann den Ball treffen, ganz bestimmt, Mr Radar.“

„Na gut, dann probieren wir es gleich mal aus“, erwiderte Ray aufmunternd, obwohl er den Parkplatz nur ungern aus den Augen ließ. „Stell dich da drüben hin. Ich werfe dir ein paar Bälle zu, und du zeigst mir, was du drauf hast.“

Davey zog den großen Baseballschläger hinter sich her und ging in Stellung. Ray warf ihm einen der Bälle zu, die er in der Tasche hatte. Er zielte genau auf den Schläger, und Davey traf den Ball, der in einem flachen Bogen davonflog, ein paar Mal aufsprang und dann liegen blieb. Davey freute sich, als hätte er einen Volltreffer gelandet. Er grinste über das ganze Gesicht und hüpfte übermütig auf und ab.

„Ich wusste doch, dass du es kannst.“ Ray hob den Ball auf und klopfte dem Jungen auf die Schulter. „Jetzt noch einen. Geh ein paar Schritte weiter zurück.“

Sie wiederholten das Ganze, nur dass Ray diesmal nicht mehr so genau auf den Schläger zielte. Davey holte aus und traf den Ball mit einem satten Knall. Diesmal flog er im hohen Bogen, und Ray fing ihn aus der Luft.

„Guter Schlag“, rief er dem Jungen zu, der selbst ganz überrascht war. „Noch einen, dann wird’s Zeit, sich fürs Spiel aufzustellen.“

Das gegnerische Team machte sich ebenfalls schon bereit.

Wieder ließ Ray Davey ein paar Schritte zurücktreten, und diesmal flog der Ball so weit, dass Ray ihn nicht fangen konnte.

„Hey, noch ein guter. Du hast es echt drauf, Junge. Jetzt aber los zu deiner Mannschaft.“

Glücklich rannte Davey davon.

Hinter sich hörte Ray jemanden Beifall klatschen. „Gute Arbeit“, sagte Patsy Pritchard anerkennend. „Wieso haben Sie mir nicht erzählt, dass sie eine Jugendmannschaft trainieren?“

Ray drehte sich so schnell um, dass er mit seinen Gehstützen beinahe stolperte. „Hätte das was geändert?“, konterte er. In Wirklichkeit war er gar nicht auf die Idee gekommen, Patsy könnte glauben, er spiele in einem Erwachsenenteam.

„Wahrscheinlich nicht“, erwiderte sie achselzuckend. „Das eben war sehr nett von Ihnen.“

„Was? Dass ich mit einem meiner Jungs Schlagen geübt habe? So etwas gehört zum Job als Trainer.“

„Schon klar. Ich meinte die Art, wie sie sein Selbstvertrauen aufgebaut haben. Sie haben es ihm leichtgemacht.“

„Hauptsache, Davey hat es nicht gemerkt.“

Ein kurzes, aber energisches Bellen unterbrach das Gespräch. Ray bemerkte erst jetzt die pinkfarbene Leine in Patsys Hand und die dreibeinige Mischlingshündin.

„Das ist also die weltberühmte Tripod?“

„Die erste und einzige“, bestätigte Patsy, als Ray in die Hocke ging und die Hündin an seiner Hand schnuppern ließ. „Sie hasst es, nicht beachtet zu werden.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Tripod“, sagte Ray förmlich, und die Hündin wedelte so enthusiastisch mit dem Stummelschwanz, dass man meinen konnte, sie würde jeden Moment abheben.

„Sie mag Sie“, sagte Patsy erfreut.

„Ich fühle mich geehrt.“ Ray blickte zu Patsy auf. Die Schwesterntracht, die sie in der Klinik trug, stand ihr gut, und auch ihre Freizeitkleidung hatte ihm gefallen. Doch heute, in weißen Shorts, einem pfirsichfarbenen Trägertop und mit einem großen Strohhut auf dem Kopf sah sie einfach umwerfend aus.

Patsy lachte. „Tripod mag jeden. Ich bin froh, dass ich sie habe sterilisieren lassen. Sie macht es Männern einfach zu leicht.“

„Autsch, das hat gesessen.“ Radar presste theatralisch eine Hand aufs Herz.

„Sie werden’s überleben.“

Eine Trillerpfeife ertönte und kündigte den Beginn des Spiels an. Patsy schaute an Ray vorbei zum Spielfeld. „Oh, es geht los.“

Ray richtete sich auf. „Dann muss ich jetzt zu meinem Team. Sehen wir uns nach dem Spiel noch?“

„Ja, wir warten hier.“

Auf dem Weg zur Trainerbank konnte Ray sich ein triumphierendes Lächeln nicht verkneifen. Sie war gekommen. Patsy Pritchard war tatsächlich zu einer Verabredung mit ihm erschienen! Offenbar war sie gar nicht so spröde, wie sie immer tat. Sie mochte dreibeinige Hunde und Kinder. Sie gab sich zwar alle Mühe, es zu verbergen, aber sie hatte ein wirklich großes Herz.

Das gefiel ihm.

Sehr sogar.

Patsy schob ihre Sonnenbrille in die Haare, um das Spiel an seinem entscheidenden Punkt noch besser beobachten zu können. Bis jetzt hatte es unentschieden gestanden, aber gerade ging die gegnerische Mannschaft in Führung. Wie würde wohl der kleine Davey damit fertig werden, sein erstes richtiges Match zu verlieren?

Seltsam, bis jetzt hatte sie sich immer von Veranstaltungen mit Kindern ferngehalten. Wenn sie vorher gewusst hätte, dass Ray eine Juniorenmannschaft trainierte, wäre sie gar nicht gekommen. Zu groß war ihre Angst, allein der Anblick von Kindern könne Gefühle in ihr wecken, die sie jahrelang unterdrückt hatte. Doch jetzt, auf dieser unbequemen Zuschauertribüne, empfand sie vor allem Freude.

Die Jungs waren mit Feuereifer bei der Sache, und auch Ray schien jede Menge Spaß zu haben, wenn sie seine zufriedene Miene richtig deutete. Selbst auf Stützen ging er richtig mit und feuerte seine Mannschaft an.

Jetzt war Patsy froh, hier zu sein – sonst hätte sie diese andere Seite von Ray Darling vielleicht nicht kennengelernt.

Gerade wurde auf dem Spielfeld der letzte Ball geschlagen – und der kleine Davey fing ihn aus der Luft. Damit endete das Spiel. Die gegnerische Mannschaft hatte gewonnen, doch für Davey würde das keinen Unterschied machen. Immerhin hatte er dafür gesorgt, dass die anderen nicht noch mehr Punkte bekamen. Er würde sich wie ein Held fühlen.

Patsy sprang auf und fiel in den begeisterten Applaus der anderen Zuschauer mit ein. Auch Tripod bellte fröhlich mit.

Erst nach einer ganzen Weile legte sich die Aufregung. Patsy fühlte sich gerührt, dass sie den Triumph des Jungen miterlebt hatte – obwohl sie ihn doch noch nicht einmal kannte.

„Kommen Sie mit zu Pizza und Eis?“

Sie hatte so gebannt verfolgt, wie Davey überglücklich zu seinen Eltern rannte, dass sie Rays Einladung beinahe überhört hätte.

„Entschuldigung. Ich war in Gedanken ganz woanders.“

„Das habe ich gemerkt“, sagte er lachend. „Also, wie ist es? Kommen Sie mit?“ Er bot ihr galant den Arm. „Ich lade Sie ein.“

„Oh, natürlich. Da kann ich auf keinen Fall Nein sagen.“ Patsy griff nach Tripods Leine und legte die Hand auf Rays Arm. Immer, wenn sie ihn berührte oder umgekehrt, überlief sie ein erregendes Prickeln. „Kann Tripod mitkommen?“

„Die Pizzeria hat Außenplätze, da ist Tripod bestimmt auch willkommen.“ Ray bückte sich und streichelte die Hündin.

„Prima. Fahren wir mit Ihrem Wagen oder meinem?“

„Kommen Sie doch mit uns. Ich bringe Sie nachher zurück.“

„Mit uns?“

Autor

Cathy Gillen Thacker
<p>Cathy Gillen Thacker ist eine Vollzeit-Ehefrau, - Mutter und – Autorin, die mit dem Schreiben für ihr eigenes Amusement angefangen hat, als sie Mutterschaftszeit hatte. Zwanzig Jahre und mehr als 50 veröffentlichte Romane später ist sie bekannt für ihre humorvollen romantischen Themen und warme Familiengeschichten. Wenn sie schreibt, ist ihr...
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