Bianca Exklusiv Band 244

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... UND DADDY MACHT 8 von CAJIO, LINDA
Der leidenschaftliche Kuss, den Michael Holiday ihr im Mondschein gab, soll sich nie wiederholen: Janice weiß nur zu gut, dass der Journalist Kinder nicht mag - und sie hat sechs davon! Da sie sich allein um sie kümmert, hat sie für Abenteuer keine Zeit …

ALLEIN MIT MEINEM TRAUMMANN von BELISLE, LISETTE
Nur sie und er, eine Farm und ein Leben in Liebe! Urplötzlich ist die süße Jessie mit dem atemberaubend männlichen Ben Harding allein auf "Stone's End". Offenbart er ihr nun endlich, dass er unter seiner rauen Schale einen weichen Kern verbirgt?

NICHT SO STÜRMISCH, HANNAH von CLAYTON, DONNA
Der anziehenden Hannah zu widerstehen, fällt Adam Roth unsagbar schwer. Aber der junge Bürgermeister des beschaulichen Little Haven hat mit Großstädterinnen schlechte Erfahrungen gemacht. Also versucht er, nicht auf die Avancen der attraktiven New Yorkerin einzugehen …


  • Erscheinungstag 11.04.2014
  • Bandnummer 0244
  • ISBN / Artikelnummer 9783733730062
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Cajio, Lisette Belisle, Donna Clayton

BIANCA EXKLUSIV BAND 244

LINDA CAJIO

… und Daddy macht 8

Plötzlich steht Michael in einer Küche und kocht für sechs Kinder! Er, der überzeugte Junggeselle, der in jeder seiner Kolumnen betont, dass er Kinder nicht mag! Deren süße Mutter Janice aber weckt derart lustvolle Gefühle in ihm, dass er für die attraktive Alleinerziehende sein Singleleben sofort aufgäbe – wenn sie nur mehr zuließe als zärtliche Küsse …

LISETTE BELISLE

Allein mit meinem Traummann

Wie kommt es nur, dass Ben bei seiner täglichen Arbeit auf der Carlisle-Farm immer häufiger dieses ganz besondere Prickeln auf der Haut spürt, nur weil die junge Jessie in der Nähe ist? Als ein Nachbar beginnt, Jessie unverhohlen den Hof zu machen, wird Ben schlagartig klar: Diese Frau hat ihn verzaubert! Lohnt es sich noch, um sie zu kämpfen?

DONNA CLAYTON

Nicht so stürmisch, Hannah

Hannah ist eigentlich nur nach Little Haven gekommen, um den Nachlass ihres Vaters zu regeln. Als sie dabei aber den attraktiven Bürgermeister Adam Roth kennenlernt, gerät ihr wohlgeordnetes Leben völlig aus den Fugen! Zu gern würde sie sein Herz erobern, aber Adam scheint nach seiner enttäuschenden Ehe für Großstädterinnen nichts mehr übrig zu haben …

1. KAPITEL

„Ein Gespenst zieht ins Spukhaus! Ein Gespenst zieht ins Spukhaus!“

Janice Parker setzte eine strenge Miene auf, als ihre neunjährigen Drillinge in die Küche rasten und dabei aus vollem Hals schrien.

„Aufhören!“, rief sie.

Wie gewöhnlich war Cat die Anführerin, und ihre Brüder Chris und C.J. stießen mit ihr zusammen, als sie stehen blieb.

„Catherine, Christopher und Cameron James Parker“, begann Janice ernst. „Ich dulde es nicht, dass ihr schreiend durchs Haus rennt.“

„Aber, Mom! Das Gespenst!“, heulten die drei im Chor.

„Ist das ein Gespenst, Mom?“, fragte Amy mit großen Augen.

„Nein, Honey, in das Haus hinter uns zieht heute kein Gespenst“, sagte Janice zu ihrer Vierjährigen. „Gespenster ziehen nicht in Häuser. Schon gar nicht mit Möbelwagen, okay? Und ihr drei, habt ihr mich verstanden?“

Die drei nickten.

„Bleibt vom Haus weg“, fügte sie vorsichtshalber hinzu. „Sonst erschreckt ihr die armen Leute noch zu Tode. Wie mich …“

Ihre Drillinge grinsten.

„Und jetzt, bevor ich meine Runde mache … habt ihr eure Zimmer aufgeräumt?“

„Ja.“

„Und euer Badezimmer?“

„Ja.“

„Und habt ihr eure Spielsachen aus dem Fernsehzimmer geräumt?“

„Ja, Mom.“

Janice lächelte zufrieden. „Gute Arbeit, Leute. Zur Belohnung dürft ihr im Garten sämtlichen Abfall aufsammeln, bevor David den Rasen mäht. Danach dürft ihr für mich die Wäsche sortieren.“

„Mom …!“

„Was für ein toller Aufschrei“, sagte Janice anerkennend. „Ich würde sagen … 97 von 100 möglichen Punkten, mit nur einem leisen Hauch von Impertinenz.“

„Was ist Impertinenz?“, fragte Cat.

„Aufgabe Nummer drei – schlagt es im Wörterbuch nach: I-M-P-E-R-T-I-N-E-N-Z. Ich hab euch alle lieb. Und jetzt ab!“

Mürrisch zogen die Drillinge ab. Seufzend wandte Janice sich wieder dem Frühstücksgeschirr zu und stapelte es in den Geschirrspüler. Klein Amy half ihr.

„Wenigstens sind keine Steuererklärungen fällig“, murmelte sie und war froh, dass für sie als Steuerberaterin mal wieder die ruhige Jahreszeit angebrochen war.

„Ich hasse Steuererklärungen“, verkündete Amy.

„Ich auch. Aber sie helfen uns, die Hypothek …“

„Für unser Haus abzubezahlen“, ergänzte Amy die Antwort, die sie jedes Mal zu hören bekam.

„Mom, kannst du Jen und mich ins Einkaufszentrum fahren?“

Janice drehte sich um und musterte ihre Älteste. Das Make-up der fünfzehnjährigen Heather war dezent, das Haar hing ihr in hübschen braunen Wellen um die schmalen Schultern, und ihre Kleidung war zwar modisch weit, aber selbst Janices Mutter hätte nicht mehr als ein kurzes „Hmm“ daran auszusetzen gehabt.

„Ja, das kann ich wohl, aber …“

Aus dem Garten drang ein ohrenbetäubendes Geheul herein. Janice rannte hinaus. Die Drillinge waren nirgendwo in Sicht, obwohl das Geheul immer schriller wurde. Sie ahnte, was los war.

Sie eilte zum Zaun zwischen ihrem Grundstück und dem des hinteren Nachbarn. Amy folgte ihr. Janice quetschte sich durch die schmale Lücke in den Brettern, wobei sich zwei Knöpfe ihrer Bluse öffneten. Sie kämpfte sich durch das Unterholz im hinteren Teil des Nachbargartens, bis sie den grasbewachsenen Hügel hinter dem Haus erreichte. Janice befreite Amy aus den Fängen einer wuchernden Blaurebe und nahm sie auf den Arm.

Das schreckliche Trio, wie ihr ältester Sohn David seine Geschwister nannte, umkreiste einen ungläubig dreinblickenden Mann und bezichtigte ihn, ein Gespenst zu sein.

Janice setzte die bewährte Trillerpfeife an den Mund und blies mit aller Kraft hinein.

Erschreckt wich der Mann zurück. Die Drillinge, die genau wussten, dass sie auf frischer Tat ertappt worden und Leugnen sinnlos war, setzten sich auf die Erde.

„Wirklich eindrucksvoll, Kinder“, sagte sie. „Aber ihr braucht gar nicht so unschuldsvoll zu tun.“

„Aber, Mom!“, sangen die drei Chor.

„Kein Aber. Ihr entschuldigt euch jetzt bei Mr …“ Sie drehte sich zu dem Mann um.

Etwas Unsichtbares traf sie wie ein Schlag und raubte ihr den Atem. Ihr Nachbar war groß, mit welligem braunen Haar und markanten Gesichtszügen. Das Grün seiner Augen war einzigartig, und für die langen Wimpern hätte eine Frau manches gegeben, für die breiten Schultern, den flachen Bauch und die schmalen Hüften mancher Mann. Und doch hatte er etwas Unnahbares an sich.

Er starrte sie an, so fasziniert von ihr wie sie von ihm. Sie verstand nicht, was in ihr vorging, aber was immer es war, es war fast übermächtig.

„Mommy? Ist er das Gespenst?“, fragte Amy in die Stille hinein.

Janice räusperte sich. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie sie aussah. Hastig setzte sie Amy ab und knöpfte sich die Bluse zu. „Nein, Amy, er ist nur ein Mann.“ Sie sah ihn an. „Ich muss mich für meine Kinder entschuldigen. Normalerweise benehmen sie sich …“

„Sie sind ihre Mutter?“, fragte er und zeigte auf Amy und die Drillinge.

„Ja.“ Lächelnd zupfte sie einen Zweig aus ihrem Haar. „Sie können es ebenso gut jetzt schon erfahren. Ich habe zu Hause noch zwei …“

„Noch zwei!“, rief er entgeistert. „Sie haben sechs Kinder!“

Die Kinder kicherten.

„Sie haben sechs Kinder“, wiederholte der Mann.

Janice runzelte die Stirn. „Ja.“

„Sie können unmöglich sechs Kinder haben.“

„So?“

„Nein.“

Verblüfft sah Janice ihn an. „Nun ja, falls es nicht meine Kinder sind, so hat man vergessen, mir das zu sagen.“

„Nein … Ich meine …“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid. Ich rede Unsinn.“ Er streckte die Hand aus. „Ich bin Michael Holiday.“

Der Name kam ihr irgendwie bekannt vor. „Ich bin Janice Parker. Herzlich willkommen.“

Sie ergriff seine Hand und spürte sofort ein Kribbeln. Was um alles in der Welt war mit ihr los?

Noch schlimmer war, dass er ihre Hand nicht schüttelte, sondern sie einfach festhielt. Janice entzog sie ihm nicht. Nach einer Weile gab er sie frei.

„Diese drei sind Chris, Catherine, kurz Cat, und Cameron James, kurz C.J.“, sagte sie rasch, um ihre Verlegenheit zu tarnen. „Und ja, es sind Drillinge.“

Michael Holiday lächelte.

„Und das hier …“ Sie tätschelte ihrer Jüngsten die Schulter. „… ist Klein Amy.“

„Ich bin vier“, ergänzte Amy stolz.

„Aha.“ Er sah schon gefasster aus. „Vier ist ganz gut.“

Amys Augen leuchteten.

„Gebt Mr Holiday die Hand, Kinder“, sagte Janice.

Die Drillinge zögerten. Nur Amy trat vor und schüttelte ihm ernst die Hand.

„Mir ist es egal, ob Sie ein Gespenst sind“, sagte sie. „Ich finde Sie nett.“

„Danke. Das freut mich.“ Er lächelte Amy zu. „Du bist auch nett.“

Amy strahlte. Janice verbarg ihr Lächeln hinter vorgehaltener Hand.

Die Vierjährige drehte sich zu den Drillingen um und streckte die Zunge heraus. „Ich habe keine Angst, aber ihr! Ich habe keine Angst, aber ihr!“

„Sei still, du Baby“, knurrten die drei, bevor sie ihren Mut zusammennahmen und Michael ebenfalls die Hand schüttelten.

„Meint ihr nicht, ihr solltet euch entschuldigen?“, fragte Janice streng.

„Entschuldigung“, sagten die drei im Chor.

„Zurück an die Arbeit, Leute“, befahl sie. „Und nehmt Amy mit.“

Die vier rannten davon.

Janice sah den Mann an, und sofort stockte ihr wieder der Atem. Sicher, er sah attraktiv aus, aber warum reagierte sie so heftig? Sie war kein Teenager mehr.

„Ich versichere Ihnen, meine Kinder werden Sie nicht mehr belästigen. Normalerweise sind sie recht brav, aber manchmal kommen sie auf eigenartige Ideen.“

„Darauf, dass ich ein Gespenst bin, zum Beispiel. Wieso eigentlich?“

„Das Haus steht seit einem Jahr leer. Seit Mr Hobarth gestorben ist. Nicht im Haus, aber seitdem behaupten sämtliche Kinder, dass das Haus verhext ist. Mr Hobarth war nicht gerade freundlich zu ihnen.“ Sie zeigte auf den wild wuchernden Garten. „Das Grundstück sieht verwunschen aus, nicht sehr einladend. Die Kinder finden, dass nur ein Gespenst hier wohnen würde. Bitte sagen Sie Ihrer Frau …“

„Ich bin nicht verheiratet“, unterbrach er.

Janice schluckte. „Nun ja … Ich werde dafür sorgen, dass Sie nicht mehr behelligt werden.“

„Mom …!“, rief jemand. „Jen wartet! Ich muss los!“

„Die betörende Stimme meiner Ältesten, Heather“, erklärte Janice lächelnd. „Ich habe ihr versprochen, sie ins Einkaufszentrum zu fahren. Falls meine Kinder Sie noch einmal belästigen, sagen Sie es mir. Und nochmals willkommen.“

Sie gab ihm nicht die Hand, sondern ging einfach davon.

Sicher ist sicher, dachte sie.

Michael zeigte den Möbelpackern, wohin sie die letzten Kartons stellen sollten. Immer wieder sah er zu den Kindern hinüber, die mit ihren Fahrrädern auf dem Bürgersteig standen. Sie kamen ihm vor wie Geier, die auf ihre Chance warteten. Es war Mai und ein lauer Abend, aber schon nach acht. Wussten die Eltern, was ihre Sprösslinge trieben?

Die Parker-Drillinge waren offenbar die Anführer.

Wie hatte er sich nur so in der Venus von nebenan täuschen können? Weil er sich nicht von seinem Verstand, sondern von seinen Hormonen hatte leiten lassen. Ausgerechnet er! Bestimmt hatte die Maklerin über Janice Parker Bescheid gewusst und sich die ganze Zeit ins Fäustchen gelacht.

Sechs Kinder. Sechs Kinder!

Gesehen oder gehört hatte er nur fünf, aber zweifellos gab es sechs. Janice hatte sechs gesagt, und sie musste es wissen.

Sie musste im Bett einfach phänomenal sein. Wie hätte sie sonst so viele Kinder bekommen? Und mit der Figur … volle Brüste, schmale Taille, perfekt gerundete Hüften … braune Augen. Sie hatte kein Make-up getragen, und ihre Nase zierten helle Sommersprossen. Wenn sie lächelte, bildeten sich an ihren Augenwinkeln hinreißende Fältchen.

Und dann die Berührung! Als er ihre Hand genommen hatte, war es himmlisch gewesen. Ihre Haut hatte sich wie kaltes Feuer angefühlt. Michael konnte es sich nicht erklären, aber noch nie hatte eine Frau ihn so angezogen wie Janice Parker. Ihn, der seine Gefühle immer unter Kontrolle hatte. Immer.

Dabei hatte er sich geschworen, sich niemals mit einer Frau einzulassen, die Kinder besaß. Eine Verabredung, und schon saß man in der Falle. Außerdem war sie bestimmt verheiratet und damit absolut tabu. Beide Lektionen hatte er auf die harte Tour gelernt. Nach der hässlichen Scheidung seiner Eltern war er zum Spielball im Streit um das Sorgerecht geworden. Ohne seine Großmutter hätte er das alles nicht überstanden. Aber als er zehn war, hatte sie eine Affäre mit einem Mann begonnen. Die herrlichen Sommer im Strandhaus der Großeltern waren endgültig vorüber gewesen.

Seitdem war Michael eins klar: Männer und Frauen waren nicht dazu bestimmt, für immer zusammenzubleiben. Er bevorzugte ein ruhiges Leben mit zeitlich und emotional begrenzten Beziehungen.

„Hi, Mister.“

Michael drehte sich um. Vor ihm stand Klein Amy. Sie war eine Miniaturausgabe ihrer Mutter, mit langem dunkelbraunem Haar und ausdrucksvollen Rehaugen. „Hi, Amy“, sagte er.

„Was ist in den Kartons?“, fragte sie. „Ihr Spielzeug?“

Er lachte. „Nein. Na ja, irgendwie schon. Spielzeug für Erwachsene. Mein Computer und Sachen für meine Küche.“

„Du meinst, für die Küche deiner Mommy?“

„Nein. Für meine. Meine Mommy wohnt anderswo, also koche ich selbst.“

Ihre Augen wurden groß.

„Amy! Komm sofort her, sonst erzähle ich es Mom!“

„Halt den Mund, Cat!“, rief Amy ihrer älteren Schwester zu.

Michael unterdrückte ein Lächeln. Die Kleine wusste sich zu wehren. Er mochte sie.

Die Fahrradbande wendete wie ein Mann und raste davon.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte Michael und sah den anderen Kindern fasziniert nach.

„Ach, das sind alles Babys“, erwiderte Amy geringschätzig.

In zehn Jahren würde Amy viele Männerherzen brechen, da war er ganz sicher. Seins hatte sie schon jetzt erobert.

„Haben Sie Geschwister, Mister?“

„Nein. Und du darfst mich Michael nennen.“ Warum nicht? Er mochte das Kind. Doch die Vorstellung, ein eigenes zu haben, ließ ihn schaudern. Niemals würde er sein eigen Fleisch und Blut dem Risiko eines Sorgerechtsstreits aussetzen.

Amy lächelte. „Michael ist ein schöner Name. Im nächsten Jahr gehe ich in den Kindergarten.“

„Wow. In den Kindergarten.“

„Meine Mom meint, dann wird sie richtig stolz auf mich sein, weil wir Kinder dann alle in der Schule sind.“

„Das glaube ich gern.“

„Hast du einen Daddy?“, wollte Amy wissen, während sie eine Blume im Vorgarten bewunderte.

„Ja.“

„Erzähl mir eine Daddy-Geschichte, ja?“

„Eine Daddy-Geschichte?“, wiederholte Michael verwirrt.

Amy richtete sich auf. „Eine Geschichte über deinen Daddy. Mein Daddy ist gestorben, als ich noch ein Baby war, also kenne ich keine Daddy-Geschichten.“

Sie hatte keinen Daddy. Betrübt starrte Michael sie an. Also hatte Janice ihre sechs Kinder allein großgezogen.

„Ann Lynn Parker, was habe ich dir gesagt?“

Michael fuhr herum und schaute in das zornige Gesicht seiner Liebesgöttin. Mit blitzenden Augen war sie noch atemberaubender. Hinter ihr stand ein grimmig dreinblickender Teenager, der ihr ähnlich sah. Das musste Heather sein. Die Älteste. Wie ihre Mutter und ihre Schwester, so war auch sie eine Herzensbrecherin. Du meine Güte, diese Parker-Frauen waren wirklich sein Ende.

Aus den Augenwinkeln sah er, dass die Fahrradgang zurück war. Kinder.

„Ich wollte Michael nur Hallo sagen“, erklärte Amy. „Die Drillinge waren gemein zu ihm, also wollte ich nett sein. Ich war richtig nett, Mommy. Du solltest sehr stolz auf mich sein.“

Janices Mund wurde schmal. Michael wünschte, er könnte ihn küssen, damit er wieder voll wurde.

„Sie war wirklich sehr freundlich“, bestätigte er.

„Das mag sein, aber Amy weiß, dass sie unseren Garten nicht verlassen darf.“

Amy senkte den Blick. „War ich ungehorsam, Mommy?“

„Ja, das warst du. Morgen bleibst du den ganzen Tag im Haus. Du weißt doch, dass ich jederzeit wissen muss, wo du bist.“

Amy schluchzte dramatisch.

Janice blieb ungerührt. „Es tut mir leid, dass du weinst, aber das ändert auch nichts.“

„Und wenn ich noch netter zu Michael bin?“, schlug Amy vor und griff nach der Hand ihres neuen Freundes.

Michael sah hilflos nach unten. Sie war wirklich süß.

„Falsche Antwort, mein Engel“, erwiderte Janice. „Heather, bring Amy heim. Ich bin gleich da. Dann reden wir darüber, was deine täglichen Aufgaben sind.“

„Das weiß ich!“

„Gut. Du wirst sie mir gleich aufzählen. Und jetzt gehst du mit deiner Schwester nach Hause.“

Amy umklammerte Michaels Hand. „Du darfst Michael nicht bestrafen. Er hat nichts getan.“

Michael musste lachen.

„Keine Sorge, junge Lady. Ich werde Michael nicht bestrafen“, versprach Janice.

Amy ließ Michaels Hand los und tätschelte sein Bein. „Du kannst mir ein anderes Mal von deinem Daddy erzählen.“

Sie hüpfte davon, die ältere Schwester im Schlepptau. Bevor sie um die Hausecke verschwand, rief sie den Verrätern aus der Fahrradbande noch einen Abschiedsgruß zu. „Ihr großen Schweine!“

Janice verscheuchte sie mit einer Handbewegung. „Feierabend, Kinder. Ab nach Hause.“

Murrend zerstreuten sie sich.

„Es tut mir wirklich leid“, sagte Janice zu Michael. „Sie müssen glauben, Sie seien hinter der Addams-Familie eingezogen.“

„Vielleicht.“

Sie lachte. „Nein, wirklich. Ich würde es glauben. Ich bedauere sehr, dass noch eins meiner Kinder Sie belästigt hat.“

„Amy hat mich nicht belästigt“, versicherte er. „Sie ist süß und niedlich.“

„Und das nutzt sie weidlich aus, glauben Sie mir.“ Janice lächelte verlegen. „Ich wette, die Maklerin hat Ihnen nichts von uns erzählt.“

„Nein, hat sie nicht.“ Das gerissene Biest, dachte Michael. Wie hatte er nur so dumm sein können, ausgerechnet am Muttertagswochenende ein Haus zu kaufen?

Janice musste ungefähr in seinem Alter sein, aber sie sah mindestens zehn Jahre jünger aus als sechsunddreißig. Er malte sich aus, wie sie all diese sinnlichen Fitnessübungen machte.

„Könnten Sie einen Moment hereinkommen?“, fragte er, als ihm etwas einfiel. „Vielleicht können Sie mir helfen, ein Rätsel zu lösen.“

Als sie über die Schwelle seines neuen Zuhause trat, ging etwas Eigenartiges in ihm vor. Bisher waren ihm Frauen immer wie Eindringlinge vorgekommen, die er aus irgendwelchen Gründen ins Haus lassen musste. Diesmal war es ganz anders.

Er schüttelte das beunruhigende Gefühl ab und führte sie in die Waschküche. In der Ecke stand ein Karton. „Den habe ich in einem Schrank gefunden.“

Sie sah hinein. „Das ist Chris’ Baseballhandschuh! Und die Bälle gehören David. Wir haben so viele gekauft, weil er sie beim Baseball über den Zaun gepfeffert hat, um den Profis nachzueifern. Und Amys Bär!“ Janice nahm einen schmutzverkrusteten Plüschteddy heraus. „Sie glauben gar nicht, wie sehr sie geweint hat, als Puh weg war.“

„Ich glaube, ich möchte es gar nicht wissen“, sagte Michael.

Sie schmunzelte. „Kann ich mir vorstellen. Was für ein alter Miesepeter dieser Mr Hobarth war. Hat all dieses Zeug jahrelang und sagt kein Wort.“

„Wenigstens hat er es aufgehoben. Er hätte es wegwerfen können … und damit alle Ihre Erinnerungen.“

„Sie haben recht.“ Ihr durchdringender Blick traf ihn ins Herz. „Vielen Dank, Mr Holiday.“

„Michael. Bitte. Ich kann noch immer nicht fassen, dass das alles Ihre Kinder sind.“

Ihre Dankbarkeit verblasste. „Oh ja, es sind meine. Ich habe sogar noch die Schwangerschaftsstreifen, um es zu beweisen.“

Ihr Gesicht rötete sich, und er spürte ihre Wärme. Schwangerschaftsstreifen waren nicht sein Ding. Sie bedeuteten eine lebenslange Verpflichtung.

„Nun ja“, brach sie das Schweigen. „Ich sollte jetzt gehen.“

„Ja.“

Er nahm den Karton und brachte sie zur Tür, mitten durch das Umzugschaos. Sie machte ihm höfliche Komplimente über sein Haus, obwohl es dringend modernisiert werden musste.

Plötzlich blieb sie stehen. „Oh mein Gott! Sie sind der Michael Holiday!“

Sie zeigte auf den gerahmten Zeitungsausschnitt mit seiner ersten landesweit erschienenen Kolumne.

Lächelnd stellte er den Karton ab. „Ja, der bin ich.“

Mit offenem Mund drehte sie sich zu ihm um.

Michael konnte nicht widerstehen. Er hob die Hand, schob ihr Kinn nach oben und schloss ihren Mund. Aber anstatt es wieder loszulassen, gestattete er sich, mit den Fingerspitzen ihre zarte Haut zu erkunden. Dann beugte er sich vor. Seine Lippen streiften ihre, bevor sie hastig zurückwich.

„Entschuldigen Sie mich“, sagte sie und griff nach dem Karton. „Aber ich finde, meine Kinder haben Ihnen genug Material für Ihre Kolumne geliefert, Mr Holiday. Auf meine Dienste können Sie getrost verzichten.“

„Janice …“, begann er. Keine Frage, er musste sich bei ihr entschuldigen.

„Mrs Parker“, verbesserte sie spitz.

„Sie sind Witwe.“

„Wie ich sehe, hat Amy geredet. Tut mir leid, ich bin nicht interessiert.“ Sie ging hinaus, bevor er sie aufhalten konnte.

Er schloss die Tür und lehnte sich dagegen. Fast hätte er eine Frau mit Kindern geküsst. Was zum Teufel war los mit ihm? Schwangerschaftsstreifen, Teddybären und Baseballhandschuhe … Hatte er den Verstand verloren?

Mr Hobarth hatte das einzig Richtige getan. Der Mann hatte den ganzen Kindermüll eingesammelt, jahrelang versteckt und sich schließlich diskret aus dem Leben verabschiedet.

Genau das sollte er auch tun. Oder das Haus verkaufen.

Gleich morgen.

Janice stellte den Karton auf den Küchentresen und fächerte sich Luft ins Gesicht. Was zum Teufel war dort hinten passiert?

Ein Mann hatte sie geküsst, das war passiert. Und sie hätte es fast zugelassen. Noch schlimmer, sie hätte den Kuss fast erwidert. Noch immer fühlte sie seine Lippen an ihren …

„Was ist das?“, fragte Heather, als sie hereinkam.

„Mr Holiday hat bei sich ein paar von euren Sachen gefunden.“

Heather schaute in den Karton. „He! Das ist ja mein Minnie-Mouse-Turnschuh. Weißt du noch, wie ich mit fünf immer meine Schuhe ausgezogen und versteckt habe?“

Janice musste plötzlich an ihren Mann denken. Tom war zwei Monate nach Amys Geburt gestorben. Manchmal vermisste sie ihn sehr. Auf seine Art war er ein guter Ehemann und Vater gewesen. Aber Tom hatte auch seine Geheimnisse gehabt.

Amy und die Drillinge erschienen. Janice gab ihnen die Sachen, und Amy freute sich riesig über ihren Teddy.

„Siehst du?“, sagte sie. „Michael ist sehr nett.“

„Amy, du darfst Mr Holiday nicht beim Vornamen nennen“, ermahnte Janice ihre Tochter. „Es ist respektlos.“

„Aber er hat es mir erlaubt.“ Amy tobte davon. „Und wenn er es sagt, ist es okay“, rief sie über die Schulter.

„David!“

„Was ist denn, Mom?“

Ihr ältester Sohn war dreizehn, und wie die meisten Jungs in seinem Alter war er nur selten von seinen Videospielen loszueisen. „Ich habe hier einige von deinen Bällen aus der Zeit, als du noch der Home-Run-König warst und sie immer über Mr Hobarths Zaun gefeuert hast. Mr Holiday hat sie uns zurückgegeben.“

„Ich hole sie nachher.“

Sein Lebensmotto, dachte Janice. Für David gab es nie jetzt, sondern immer nur nachher.

Heather lachte. „Weißt du, für einen alten Mann ist Mr Holiday eigentlich ganz süß.“

„Er kann nicht viel älter sein als ich.“

Heather warf ihr einen vielsagenden Blick zu.

Ob Michael Holiday und sie nun alt waren oder nicht, Janice braucht nicht daran erinnert zu werden, wie süß ihr neuer Nachbar war. Das hatte sie mit eigenen Augen und aus nächster Nähe gesehen. Heather hatte recht.

Michael Holiday war sehr sexy.

Janice schluckte. Ihr Beruf und die Kinder sorgten dafür, dass sie kaum Zeit für sich selbst hatte. Und an Sex hatte sie seit über drei Jahren nicht gedacht.

Bis heute. Heute hatte sie mehr als einmal daran gedacht.

Michael Holiday gab sich in seinen Kolumnen als überzeugter Single und kommentierte aus dieser Sicht die alltäglichen Probleme seiner Mitmenschen. Manchmal fand sie das, was er schrieb, lustig, aber nicht selten ärgerte sie sich über seine herablassende Art. Und ausgerechnet von so einem Mann musste sie sich in Versuchung führen lassen!

Na ja, früher oder später musste es ja so kommen. Schließlich war sie eine ganz normale Frau mit ganz normalen Bedürfnissen. Michael Holiday war einfach nur der Auslöser.

Aber sie hatte auf ihn reagiert wie ein unreifes Schulmädchen. Verlegen und schüchtern. Beim nächsten Mal würde sie ruhig bleiben, wie eine Erwachsene, die mit wechselseitiger Anziehung umgehen konnte. Sie würde einfach freundlich ablehnen und eine gute, platonische Nachbarschaft pflegen.

Zweifellos würden ihre Kinder demnächst in einer seiner Kolumnen auftauchen – als abschreckendes Beispiel.

Bestimmt hatte er schon die Maklerin angerufen, um sein neues Haus gleich wieder zu verkaufen.

2. KAPITEL

Es war schwer, nicht zu einer Party zu gehen, auf der man der Ehrengast sein sollte.

Nachdem er noch einem aufrechten Bürger von Marshfield die Hand geschüttelt hatte, wünschte Michael, er wäre nicht hingegangen. In den paar Wochen seit seinem Umzug war er mit Einladungen überschüttet worden. Offenbar hatte sich herumgesprochen, dass er Kolumnen schrieb. Er hatte gedacht, die Party des Bürgermeisters wäre ideal, um möglichst viele Leute auf einmal kennenzulernen. Aber das kleine Haus platzte vor Gästen, und jeder davon wollte ihm unbedingt eine Geschichte erzählen, die unbedingt in die Zeitung musste. Das einzig Gute war, dass er ein paar Männer getroffen hatte, mit denen er Golf spielen konnte.

„Ich bin sicher, Sie werden sich in Marshfield wohlfühlen“, sagte der Bürgermeister selbstzufrieden.

„Bestimmt“, erwiderte Michael höflich.

Plötzlich bemerkte er jemanden, der ihn vor dem langweiligen Geplauder retten konnte.

Sie stand in der Tür und sah sich um.

Janice Parkers Haar hing ihr locker um die Schultern. Er hatte sie seit einer Woche nicht mehr gesehen, seit dem Kuss nicht mehr. Er war ihr aus dem Weg gegangen, und das aus gutem Grund. Das rosafarbene Kleid betonte ihre erregende Figur. Die Beine hätten direkt aus einem Werbespot für Strumpfhosen stammen können, und die hohen Absätze ließen sie noch länger und schlanker wirken. Und diese Frau hatte sechs Kinder? Unglaublich.

„Entschuldigen Sie mich“, bat er den Bürgermeister. „Ich sehe gerade jemandem, mit dem ich reden muss.“

Er ging zu Janice. „Ich möchte mich dafür entschuldigen, wie ich mich bei unserer letzten Begegnung benommen habe.“

„Nein“, erwiderte sie. „Ich entschuldige mich. Ich war unfreundlich, dabei hätte ein schlichtes Nein danke genügt.“

Ihre Stimme war kühl. Ihr Blick auch.

„Tun Sie mir einen Gefallen“, sagte er trotzdem. „Retten Sie mich, bitte. Wenn ich noch jemanden treffe, der eine tolle Story für meine Kolumne hat, drehe ich durch.“

Sie lächelte matt. „Was haben Sie denn erwartet? Sie sind eine Berühmtheit … Haben Sie sich schon eingewöhnt?“

„Ich muss das Haus noch einrichten. Das ist gar nicht so einfach. Die Sachen fürs Badezimmer waren in einem Karton, auf dem Keller stand.“

„Und was war im Badezimmer-Karton?“

„Alte Bremsbeläge und ein Paar Boxershorts.“

Sie tarnte die leichte Röte mit einem Lachen. „Nur ein Mann packt so etwas zusammen in einen Karton. Wäre das nichts für Ihre Kolumne?“

„Gute Idee … aber dazu müsste ich wieder schreiben.“

Michael fragte sich, ob sie wusste, wer jeden Abend gegen halb acht Waldhorn spielte. Zu seiner besten Schreibzeit. Das Horn klang zwar nicht wie ein verwundeter Elch, aber es lenkte ihn ab. So konnte es nicht weitergehen.

„Bestimmt finden Sie bald wieder hinein“, sagte Janice. „Wenn Sie möchten, schicke ich Ihnen meine Kinder. Dann hätten Sie in zehn Minuten den Stoff für eine Kolumne. Oder mein Sonderangebot: drei in fünfzehn.“

„Fangen Sie jetzt auch noch an?“, stöhnte er.

Sie schmunzelte. „Oh nein, ich will Ihnen keine Geschichte aufdrängen. Ich biete Ihnen meine Kinder als Quelle der Inspiration. Sie denken sich die Geschichten selbst aus, und ich bekomme einen kinderfreien Nachmittag.“

„Ich glaube, ich verzichte lieber“, antwortete er.

„Das kann ich Ihnen nicht verdenken.“

„Janice, hilf mir! Hilfe!“ Ein Mann eilte herbei. „Ich habe einen Brief vom Finanzamt bekommen!“

„Was steht drin, Rich?“, fragte Janice ruhig.

Der Mann zögerte. „Ich erinnere mich nicht mehr.“ Er nahm ihren Arm und streichelte ihn. „Könntest du heute Abend zu mir kommen und ihn dir ansehen? Es ist dringend, Janice.“

Michael war klar, dass der Bursche es auf Janice abgesehen hatte. Der dämliche Brief war nur ein Vorwand. Michael fühlte, wie er wütend wurde.

Janice machte einen Schritt nach hinten und entzog Rich auf diese Wiese unauffällig, aber deutlich ihren Arm. „Du kannst mich gern morgen Vormittag während meiner Bürostunden aufsuchen, Rich“, sagte sie. „Das Finanzamt hat heute Abend sowieso geschlossen.“

In diesem Moment erschien der Bürgermeister mit mehreren Gästen, um sie mit Michael bekannt zu machen. Er wurde von Janice getrennt und ärgerte sich darüber.

Reiß dich zusammen, Mann, befahl er sich. Die Frau ist nicht gut für dich.

Später begegnete er ihr am Büfett. Am liebsten hätte er sie nach diesem aufdringlichen Rich gefragt, aber dazu besaß er kein Recht. „Wieso kommen die Leute zu Ihnen, wenn sie einen Brief vom Finanzamt erhalten?“

„Ich bin Steuerberaterin und arbeite von zu Haus aus“, erklärte sie und belud ihren Teller.

„Ich wette, Sie legen sich oft mit dem Finanzamt an.“

„Es macht mir Spaß, meine Klienten zu vertreten“, gab sie lächelnd zu. „Oh, da ist ja Myras Seven-up-Salat. Den müssen Sie probieren.“

„Okay.“ Er tat sich einen Löffel von dem mit Kokosraspeln bestreuten Wackelpeter auf den Teller. „Ich kann nicht glauben, dass Sie Steuerberaterin sind. Sie sehen eher aus wie ein Model.“

Sie lachte. „Wohl kaum. Aber warum sollte ich keine Steuerberaterin sein? Viele Frauen sind das.“

„Ich weiß nicht. Sie erinnern mich an meinen Ausbilder bei der Armee.“

„Ich habe sechs Kinder.“

Einige Neuankömmlinge begrüßten sie. Michael stellte fest, dass Janice sehr beliebt war. Die meisten ihrer Bekannten erkundigten sich sogar nach den Kindern.

Eine Steuerberaterin. Erst sechs Kinder und jetzt auch noch ein langweiliger Beruf. Sein Instinkt hatte ihn ganz schön in Stich gelassen.

Er zeigte auf zwei freie Stühle auf der Terrasse. Als sie einverstanden war, sich mit ihm nach draußen zu setzen, schlug sein Herz schneller.

„Ich verstehe Sie nicht“, gab er zu, als sie im Freien saßen. „Sie sehen nicht aus wie eine Steuerberaterin. Sie halten sich fit. Als ich mein Haus besichtigte, habe ich gesehen, wie Sie im Garten Ihre Übungen machten. Sie essen wie ein Pferd.“ Er zeigte auf ihren Teller. „Sie sehen aus wie Schneewittchen, aber Sie klingen wie …“

„Die böse Hexe?“, unterbrach sie ihn lächelnd, aber ihre Augen blieben ernst.

„Nein. Du meine Güte, nein. Aber Sie erinnern mich noch immer an meinen Sergeant in der Army.“

„Was verstehen Sie daran nicht?“ Sie zuckte anmutig mit den Schultern. „Ich pflege meinen Körper, weil ich jetzt der einzige Mensch bin, den die Kinder haben. Und mit Kindern ist es bequemer, zu Hause zu arbeiten. Genauer gesagt, es geht nicht anders, und ich bin heilfroh, es geschafft zu haben. Und den Kasernenhofton braucht man bei sechs Kindern.“

„Also liegt alles an den Kindern?“

„Alles, was ich tue, tue ich für sie.“

Sie war das absolute Gegenteil des Frauentyps, den er mochte. Eigentlich sollte er aufstehen und gehen. Er tat es nicht.

„Ich halte Sie für eine bewundernswerte Frau“, gestand er.

Sie lachte. „Das klingt, als könnten Sie bewundernswerte Frauen nicht ertragen. Was ich tue, ist nicht besonders bewundernswert. Mir bleibt nur nichts anderes übrig.“

„Ich kann bewundernswerte Frauen durchaus ertragen, glauben Sie mir.“

„Aber Sie mögen Sie auch nicht. Erzählen Sie mir, warum Sie ausgerechnet nach Marshfield gezogen sind. Wie hat es einen Mann von Welt wie Sie in eine Kleinstadt verschlagen?“

„Ich bin nicht weit von hier aufgewachsen. In Cherry Hill. Bevor meine Eltern sich scheiden ließen. Vermutlich kehre ich gerade zu meinen Wurzeln zurück. Kleinstädte haben mich immer interessiert.“

„Hier finden Sie reichlich Material.“ Sie beugte sich zu ihm. „Wie finden Sie das Toupet des Bürgermeisters?“

„Nicht meine Farbe.“ Ihr Parfüm verwirrte seine Sinne. Es war leicht, wie Sandelholz und Jasmin.

„Er trägt es, um die Frauen zu beeindrucken. Er hält sich für einen richtigen Charmeur.“

Michael grinste. „Wirklich? Und so ein Mann wird hier gewählt?“

„Oh, er hält sich zurück. Jedenfalls habe ich noch nichts Gegenteiliges gehört.“ Sie richtete sich wieder auf. „Und Sie wollen Ihr Single-Leben aufgeben, häuslich werden und eine Familie gründen?“

„Keineswegs“, widersprach er. „Das wäre schlecht für meine Kolumne und erst recht für mein erstes Buch, einen Ratgeber für Junggesellen.“

Sie lachte. „Früher oder später erwischt es jeden. Sehen Sie mich an. Was wollen Sie denn sonst mit einem Riesenhaus auf einem großen Gartengrundstück? Wissen Sie was? Ich helfe Ihnen, eine wirklich nette Frau zu finden – oder sind Sie wirklich so unausstehlich, wie Sie in den Kolumnen wirken?“

„Hoffentlich nicht. Wen haben Sie denn für mich ausersehen?“

„Mmm.“ Die Art, wie sie den Mund spitzte, ließ ihn an den Kuss denken. „Nicht einfach … Jetzt weiß ich. Barbara Neidermyer ist süß und hat noch ihre eigenen Zähne.“

„Klingt verlockend.“

„Oder Buffy Wilmont. Sie ist reich …“

„Klingt sogar sehr verlockend.“ Er probierte den Salat. „Der schmeckt wirklich gut. Wie wäre es mit der Lady, die ihn gemacht hat?“

„Myra?“ Janice lächelte. „Sie mögen also ältere Frauen?“ Sie zeigte auf eine großmütterliche Frau. „Das ist Myra.“

„So sehr mag ich ältere Frauen nun auch wieder nicht.“

„Sie machen es mir schwer“, seufzte sie und nahm den letzten Bissen von ihrem Teller. „Na ja, vielleicht werden wir beide doch noch gute Nachbarn, nachdem …“ Sie verstummte.

Michael wusste, dass sie auf den Kuss anspielte, und beschloss, ihr aus der Verlegenheit zu helfen. „Es tut gut, eine Frau essen zu sehen“, wechselte er das Thema.

„Sie haben mit ultraschlanken Models schlechte Erfahrungen gemacht, was?“

„Hin und wieder“, gestand. Models sahen auf Fotos gut aus, aber in natura verloren sie schnell an Reiz.

„Sie brauchen Hilfe“, sagte sie ernst. „Der Frauenclub veranstaltet einmal im Jahr eine Modenschau.“

„Ich wette, Sie sind das Topmodel.“

Ihre Miene wurde verschlossen. „Sie kommen von den Models nicht los, was?“

Überrascht setzte er sich auf. „Ich wollte Ihnen nur ein Kompliment machen.“

„Zu meinem Aussehen. Schauen Sie niemals hinter die Fassade?“

„Natürlich tue ich das.“

„Sie klingen nicht so. Myra ist Ihnen zu alt. Sie haben meine Essgewohnheiten kritisiert und …“

„Ich habe Ihre Essgewohnheiten keineswegs kritisiert!“, protestierte er lauter als beabsichtigt.

Janice stand auf und stellte den leeren Teller auf ihren Stuhl. „Ich muss jetzt gehen. Willkommen in Marshfield. Ich hoffe, es gefällt Ihnen hier.“

Sie verließ die Terrasse mit Würde und Anmut – und einem dezenten, aber höchst verführerischen Hüftschwung.

Verlegen sah Michael sich um. Die anderen Leute starrten ihn an. Ein wirklich toller Abend, dachte er wütend. Und wem hatte er diesen misslungenen ersten Auftritt in der feinen Gesellschaft von Marshfield zu verdanken? Seiner bezaubernden Nachbarin Mrs Janice Parker.

Frauen.

Janice starrte auf die Lücke im Zaun, nahm ihren Mut zusammen und schlüpfte hindurch. Sie kämpfte sich durch das dichte Gestrüpp, bis sie auf dem Rasen stand.

Sie hatte nicht schlafen können und gesehen, dass sein Licht noch brannte. Sie musste sich für ihr unmögliches Benehmen auf der Party entschuldigen, sonst würde sie keine Auge zu tun.

Sie musste mehrmals klopfen, bevor er öffnete.

Er trug eine kurze Schlafanzughose. Sonst nichts.

„Oh Gott“, murmelte Janice und riss den Blick von der muskulösen Brust und den dunklen Härchen los. „Ich … ich komme wohl ungelegen?“

„Eigentlich nicht“, erwiderte er stirnrunzelnd. „Gibt es ein Problem?“

„Nein … nun ja, doch. Ich selbst bin das Problem.“ Sie zögerte. „Ich habe mich vorhin unmöglich benommen und möchte mich entschuldigen.“

„Jetzt?“

„Ich weiß, es ist spät … Aber Sie sind ein neuer Nachbar, und ich habe mich schlimmer aufgeführt als meine Kinder. Ich konnte nicht schlafen. Als ich Ihr Licht sah, dachte ich mir, ich riskiere es einfach. Falls Sie schon angerufen haben, um Ihr Grundstück mit einem drei Meter hohen Drahtzaun zu umgeben, so verstehe ich das. Es tut mir wirklich leid und ich will Sie auch nicht länger stören. Danke, dass Sie mir zugehört haben. Gute Nacht.“

Sie wandte sich zum Gehen.

„Warten Sie“, hielt er sie zurück.

Sie drehte sich um.

„Wie wäre es mit einem Kaffee?“

„Es ist schon fast Mitternacht“, begann sie, während in ihr die Alarmsirenen schrillten.

„Ich bin auf, Sie sind auf, warum also nicht? Ich schätze, wir hatten beide einen schlechten Start miteinander, also möchte ich auch meinen Teil zur Verbesserung unserer Beziehung tun. Sie dürfen meine gutnachbarliche Geste nicht ausschlagen.“

Dies war der Moment, in dem sich die Reife einer Frau bewies. Aber Janice war mehr nach Davonlaufen zumute.

„Danke“, erwiderte sie. „Ein Kaffee wäre schön.“

Er öffnete die Tür noch weiter, und sie betrat die Küche.

„Setzen Sie sich.“ Er zeigte auf den Tisch. „Ist Pulverkaffee okay?“

„Wenn er entkoffeiniert ist.“ Sie nahm Platz.

„Ist er.“ Er füllte den Kessel und stellte ihn auf den alten Herd. „Ich bin gleich zurück.“

Janice saß auf der Stuhlkante und fragte sich, wie sie das hier durchstehen sollte. Und durchstehen musste sie es, denn bisher hatte nur Amy einen guten Eindruck gemacht, und das war nicht gerade schmeichelhaft für die Parkers.

Sie würde es schaffen.

Plötzlich wurde ihr bewusst, wie still es war. So still war es in ihrem Haus schon lange nicht mehr gewesen.

Der Kessel pfiff, und Janice stand auf, um ihn vom Herd zu nehmen.

„Ich mache das schon.“ Michael kam in Jeans und Hemd zurück.

„Es ist so still hier“, sagte sie und setzte sich wieder.

„Manchmal ist es mir zu still.“

Als er ihr den Kaffee brachte, berührten sich ihre Finger.

„Wie gefällt Ihnen Marshfield bisher?“, fragte sie.

„Nun ja, das Wetter war recht angenehm, nicht wahr? Nicht zu heiß für Mai und nicht zu feucht“, antwortete er ausweichend.

Sie lachte. „Schon verstanden.“

„Danke.“

Das verlegene Lächeln verlieh ihm einen jungenhaften Charme. Bestimmt lagen ihm die Frauen zu Füßen. Natürlich war ein Mann wie er keiner, für den sie sich interessieren sollte. Ein überzeugter Single war nicht lange treu und konnte nicht mit Kindern umgehen.

„Wie läuft es mit dem Schreiben?“, fragte sie.

„Langsam.“ Er verzog das Gesicht. „Ich brauche absolute Stille, wenn ich schreibe, aber irgendjemand spielt hier Waldhorn, und das stört mich.“

Janice stellte die Tasse ab. „Die Addams-Familie schlägt wieder zu. Das bin ich.“

„Sie? Sie spielen Waldhorn?“

„Nein, mein Sohn David. Er ist im Schulorchester und spielt ganz gut. Er hat sogar schon Preise gewonnen, aber das hört man auf die Entfernung wohl nicht.“

„Er spielt gut. Aber ich frage mich dauernd, was er spielt. Und da er es immer dann tut, wenn ich schreiben will, lenkt es mich ab.“ Michael rieb sich die Stirn. „Oh je, ich klinge schon wieder wie der böse Nachbar, was?“

„Das ist okay. Ich werde David bitten, einfach früher am Nachmittag zu üben.“ Sie lachte. „Dabei dachte ich, wenigstens Sie blieben von David verschont.“

„Leider nicht. Was spielt er denn nun?“

When I’m Sixty-Four, ein Sousa-Medley und Watermelon Man.“

Verblüfft starrte er sie an. „Im Ernst? Ich habe nichts davon erkannt.“

„Ich normalerweise auch nicht, bis ich zu einem Schulkonzert ging und das ganze Orchester hörte“, gestand sie und nippte an ihrem Kaffee.

„Ich will die Küche irgendwann renovieren lassen“, wechselte er das Thema. „Können Sie mir eine gute Firma empfehlen?“

„Mehrere. Ich führe zwei Betrieben die Bücher. Sie sind beide teuer, aber zuverlässig.“ Sie nannte die Namen.

„Danke.“

„Es ist schön hier.“ Sie nahm noch einen Schluck. „Sonst helfe ich um immer jemandem bei den Hausaufgaben, schlichte einen Streit ums Fernsehprogramm oder trinke mit Amy und ihren Stofftieren Tee. Manchmal glaube ich, ich habe ganz vergessen, wie man mit Erwachsenen spricht.“

Er lächelte mitfühlend. „Sie sind hier jederzeit willkommen, wenn Sie mit einem Erwachsenen reden wollen.“

„Danke“, erwiderte sie, obwohl sie sein Angebot nicht annehmen würde. Sie müsste verrückt sein, es zu tun. Sie starrte in ihre Tasse und stellte enttäuscht fest, dass sie fast leer war. Sie wünschte, sie wäre voll, aber es war zu spät, und David und Heather wussten nicht, wo sie war. Die Kinder hatten bereits geschlafen, als sie ihrer Eingebung gefolgt war. Sie stand auf. „So schön es war, ich muss jetzt gehen.“

„Möchten Sie noch einen Kaffee?“, fragte er. „Wir sind kaum zum Reden gekommen.“

Sei erwachsen, ermahnte sie sich. „Ich muss zurück. Nochmals Entschuldigung für mein Verhalten auf der Party. Ich war ein rundliches Kind und reagiere wohl noch immer ein wenig empfindlich.“

„Sie? Sie waren rundlich?“

„Ja.“

„Ich kann nicht glauben, dass …“ Er brach ab. „Oh nein, das Thema ist mir zu gefährlich.“

Sie lächelte nur.

Er erhob sich und streckte die Hand aus. „Danke, dass Sie sich entschuldigt und mich willkommen geheißen haben.“

„Sind Sie sicher, dass Sie sich dafür bedanken wollen?“, scherzte sie und schüttelte seine Hand fester, als sie es bei einem anderen getan hatte.

Die Berührung durchzuckte sie und brachte wieder dieses erwartungsvolle Kribbeln mit sich. Ihre Hand war mit einem Mal so warm, dass sie sich sofort ausmalte, wie er ihre Brüste berührte … ihre Schenkel … noch intimer … Fast glaubte sie, seine Handfläche und den Druck seiner Fingerspitzen genau dort spüren zu können.

Janice schluckte mühsam und unterdrückte das erregende Gefühl. Sie hatte ihr Gewissen beruhigt und die freundliche Nachbarin gespielt. Das war für heute mehr als genug. Sie entzog ihm ihre Hand, bevor ihre Fantasie völlig außer Kontrolle geriet. Dann zeigte sie auf die Küchentür und versuchte zu sprechen, während sie ein wenig unbeholfen um den Tisch ging. „Ich … nun ja … Gute Nacht, Michael.“

„Ich begleite Sie hinaus.“

„Oh, das müssen Sie nicht“, erwiderte sie hastig.

„Ich tue es gern.“

Sie zwang sich zu lächeln. „Danke.“

Jede andere Reaktion hätte ihm verraten, dass er sie nervös machte. Sie bezweifelte, dass er sich jemals ernsthaft für sie interessieren würde. Außerdem hatten sie völlig unterschiedliche Vorstellungen von einer Beziehung. Er war ein lebenslustiger Single, der ein Abenteuer wollte, sie eine verantwortungsvolle Frau und Mutter, die auch an die Zukunft denken musste. Nur an sich selbst konnte sie erst denken, wenn Amy groß und aus dem Haus war.

Michael hielt ihr die Tür auf, und sie musste den Kopf einziehen, um unter seinem Arm hindurchzuschlüpfen. Dabei streifte ihre Schulter seine Brust, und sie spürte es im ganzen Körper.

Janice schoss förmlich ins Freie.

Atemlos blieb sie stehen.

„Es ist ein wunderschöner Abend“, sagte er.

Janice schaute zum Mond hinauf, der riesig, rund und blassgelb war.

Michael schob die Hände in die Taschen und führte sie durch seinen Garten. „Haben Sie schon einmal die Mondberge gesehen?“

„Nein.“ Überrascht sah sie nach oben. „Ich wusste gar nicht, dass es auf dem Mond Berge gibt.“

„Es sind wirklich malerische Berge, glauben Sie mir. Falls ich mein Fernrohr je wiederfinde, lade ich Sie ein. Sie und die Kinder. Es würde ihnen bestimmt Spaß machen.“

Sie blieb stehen und musterte ihn belustigt. „Sie sind sehr mutig, Michael.“

„Was soll’s?“, sagte er. „Man lebt nur einmal. Vielleicht kann ich Ihren Drillingen ja wirklich Angst einjagen und meinen Ruf als Gespenst festigen.“

„Übertreiben Sie es nicht“, warnte sie. „Am Ende mögen die drei es noch wirklich.“

„Ich weiß, was ich mag. Ihre Mutter.“

Janice zuckte zusammen. Sie hatte keine Ahnung, was sie darauf erwidern sollte. Ihr fiel beim besten Willen keine würdevolle, elegante, einfühlsame Antwort ein.

Sie suchte noch nach einer, als er sie einfach küsste, ohne Ankündigung, ohne Einleitung, einfach so. Und wie er küssen konnte! Seine Lippen streichelten ihre. Sie waren warm und voll. Sanft, nicht weich. Verlangend, nicht hektisch. Janice hob die Arme, um ihn notfalls fortzuschieben. Doch als sie die festen Muskeln unter dem dünnen Hemd spürte, verschwand jeder Gedanke an Widerstand. Der Kuss war lang und süß, fast unschuldig. Nach einer Weile drängte er die Zunge zwischen ihre Lippen. Sie wollte widerstehen und versuchte, sich an all die Gründe zu erinnern, die für Widerstand sprachen. Ihr fiel kein einziger ein.

Sie konnte nur fühlen und schmecken, während der Kuss immer leidenschaftlicher wurde. Der erregende Druck seines Körpers machte ihr klar, dass sie vor allem eine Frau war. Sein Mund schmeckte wie verbotene Schokolade. Und er begehrte sie, das spürte sie.

Plötzlich lösten sie sich voneinander, als hätte eine unsichtbare Kraft sie getrennt. Kein Vogelzwitschern, kein Rascheln in den Bäumen brach die Stille, als sie einander entsetzt anstarrten.

„Janice, ich …“

Sie legte ihm einen Finger auf den Mund. „Nein. Es war ein schöner Kuss.“ Sie nahm den Finger fort. „Verderben wir ihn nicht mit Entschuldigungen. Wir wissen beide, dass er sich niemals wiederholen wird.“

„Wird er nicht?“

„Nein“, sagte sie mit fester Stimme. „Wird er nicht.“

Sie ließ ihn stehen und war stolz darauf, wie sie ihn abgefertigt hatte. Sie war sehr erwachsen, sehr beherrscht gewesen. Und eine Sekunde davor, ihn auf den Rasen zu ziehen und genau das zu tun, wonach sie beide sich gesehnt hatten. Okay, fast wäre es dazu gekommen, aber eben nur fast. Sie hatte ihre Feuertaufe bestanden. Sie hatte es gut gemacht.

Kaum war sie durch den Zaun geschlüpft, rannte Janice so schnell sie konnte zum Haus. Ihr Herz schlug wie verrückt, vor Angst und vor Freude zugleich. Sie schnappte nach Luft.

Sie öffnete die Hintertür und war in Sicherheit.

Heather stand mitten in der Küche, Bademantel über dem Nachthemd. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und ihre Augen blitzten zornig.

„Wo warst du?“, fragte sie scharf. „Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?“

Janice starrte auf die Teenagerausgabe ihrer eigenen Mutter, die sie auf genau diese Weise abgefangen hatte, wenn sie mit sechzehn später als vereinbart nach Hause gekommen war.

Oh Gott.

3. KAPITEL

Michael saß auf dem kleinen Stuhl, die Knie unter dem Kinn. Er konnte nur hoffen, dass er nicht unter seinem Gewicht zusammenbrechen würde.

„Sahne oder Zucker?“, fragte Amy und reichte ihm eine winzige Teetasse. „Ich nehme immer fünf Stück.“

„Tatsächlich?“, sagte er. „Das würde ich auch gern mal probieren.“

Den Würfelzucker gab es nur in ihrer Fantasie, also brauchte er sich um seine Gesundheit keine Sorgen zu machen. Amy tat sie mit einem Löffel in die Tasse. Fasziniert starrte Michael auf die leere Löffelspitze über seiner Tasse. Als sie fertig war, bedankte er sich und rührte seinen imaginären Tee um. Er wollte nichts falsch machen, um den Zauber der Kindheit nicht zu brechen.

„Puh Bär mag seinen Tee mit zehn Stücken“, verkündete Amy und gab dem fröhlich dreinblickenden Stoffteddy neben ihr seine Ration. „Deshalb bist du auch so dick, Puh. Du solltest dich schämen.“

Michael unterdrückte ein Lächeln.

Amy hatte bei ihm geläutet und ihn zum Tee eingeladen, fest entschlossen, kein Nein zu akzeptieren. Sie hatte gefleht und gebettelt und ihm versichert, dass ihre Mutter nichts dagegen hätte. Schließlich hatte Michael nachgegeben. Er war nicht sicher, ob er zugesagt hatte, weil er Amy nicht widerstehen konnte, oder weil er sich in die Kindheit zurückversetzen lassen wollte.

Oder weil er Janice wiedersehen wollte.

„Ich mag deinen Hut“, sagte er zu Amy. „Er steht dir einfach großartig.“

„Danke.“ Amy berührte die Krempe des altmodischen Strohhuts. „Du findest die gelbe Blume nicht übertrieben?“

„Nein.“ Er sah sich in dem Garten um und ließ den Blick über die gepflegten Beete wandern. „Du passt zum Garten. Hast du die Blumen gepflanzt?“

„Einige. Die meisten sind von meiner Mutter.“ Amy gab sich Mühe, wie eine Erwachsene zu sprechen.

Also gärtnert Janice auch noch, dachte Michael und fragte sich, woher sie die Zeit nahm. Er wünschte, es gäbe zwischen ihnen keinerlei Gemeinsamkeiten. Je verschiedener sie waren, desto besser.

„Jetzt musst du mir eine Daddy-Geschichte erzählen“, bat Amy.

Michael überlegte. Er sah seinen Vater kaum noch und hatte ihn auch als Kind nur selten zu Gesicht bekommen. „Mein Dad hat mich mal zum Schwimmen ans Meer mitgenommen. Oh, war das Wasser kalt und tief! Die Wellen krachten gegen den Strand. Sie reichten mir bis über den Kopf. Aber mein Dad hat mich an die Hand genommen und ist mit mir ins Wasser marschiert.“

„Oh! Hattest du Angst?“ Amys Augen waren groß und rund.

Michael lächelte. „Ja. Aber mein Dad ging einfach weiter, bis meine Zehen im Wasser waren. Draußen auf dem Meer waren die Wellen nicht mehr so gewaltig. Sie kitzelten mich an den Füßen. Ich habe einen Schwarm Fische gesehen, und dann ein paar Delfine. Seemöwen flogen über uns hinweg …“

„Amy? Hast du …“

Janice blieb in der Hintertür stehen und starrte ihn an. Dass er mit ihrer Vierjährigen Tee trank, schien sie zu verblüffen.

Grüßend hob Michael die Tasse. „Ich habe Amy gerade erzählt, wie ich mal am Meer war.“

Janice erwiderte sein Lächeln nicht. „Amy, du hast mir nicht erzählt, dass du Mr Holiday zum Tee eingeladen hast.“

Michael runzelte die Stirn und sah Amy an.

„Oh doch, Mommy, das habe ich“, widersprach die Kleine entrüstet. „Ich habe dich gefragt, ob ich mit Michael im Garten spielen darf.“

„Stimmt, das hast du, aber ich dachte, du meinst Michael Canuzzi aus dem übernächsten Haus.“

„Ich kann nichts dafür, wenn du die Michaels verwechselst.“ Triumphierend nippte Amy ihrem Tee.

„Da hast du wohl recht“, sagte Janice kopfschüttelnd.

Michael war gespannt gewesen, wie sie reagieren würde, und jetzt bewunderte er ihre gelassene Art. Er wünschte, sie hätte geschrien oder wie eine Marktfrau gezetert. Dass sie ihn einmal mehr faszinierte, beunruhigte ihn. „Tut mir leid, Janice. Amy meinte, Sie seien einverstanden.“

„Schon gut. Aber Amy und ich werden uns noch darüber unterhalten müssen, dass sie das Grundstück verlassen hat, um Sie einzuladen.“ Janice warf ihrer Tochter einen strengen Blick zu.

Amy sagte nichts, dann lächelte sie strahlend. „Aber um Michael Canuzzi einzuladen, hätte ich es auch verlassen müssen. Und dazu hast du nichts gesagt.“

Janice schwieg. Michael musste lachen.

„Warten Sie nur, bis Sie eigene Kinder haben“, murmelte Janice.

„Das wird noch eine ganze Weile dauern“, sagte er.

„Junge Lady, ich bin hier, um dir zu sagen, dass ich deine neuen Vorhänge angebracht habe“, sagte Janice zu Amy.

Offenbar wollte sie ihm nicht antworten. Das würde er an ihrer Stelle auch nicht tun. Sie hatte sechs Kinder, er keine, obwohl er in ihrem Alter war. Was konnte sie sagen?

„Mommy hat meine Babyvorhänge abgenommen“, verkündete Amy stolz. „Komm und sieh dir die neuen an.“

„Oh, ich glaube nicht“, begann Michael.

„Bitte, Mommy, bitte.“ Amy rannte zu ihrer Mutter und schlang die Arme um ihre Knie. „Du machst so hübsche Vorhänge, und ich möchte, dass Michael sie sieht.“

„Bestimmt muss Michael noch arbeiten und …“

„Es dauert nur eine Minute. Bitte!“

„Das muss Michael …“

„Komm schon, Michael“, befahl Amy und ließ die Beine ihrer Mutter los. Ohne seine Antwort abzuwarten, eilte sie zum Haus. „Und bring Puh mit. Der will meine neuen Vorhänge bestimmt auch sehen.“

„Natürlich“, erwiderte Michael. Er wusste, wann Widerspruch zwecklos war. Also stand er auf und wackelte mit den Hüften, bis der festsitzende Kinderstuhl sich löste.

Er hob Puh auf und legte sich den Plüschteddy in die Armbeuge, froh darüber, dass vom Kindheitszauber noch ein wenig übrig war.

Amy war schon im Haus verschwunden, aber Janice sah ihm entgegen. „Bitte achten Sie nicht darauf, wie es im Haus aussieht. Bei uns herrscht ein Dauerchaos.“

Zwar wirkte hin und wieder ein Tisch oder Regal ein wenig unaufgeräumt, aber im Großen und Ganzen fand Michael das Heim der Parkers ordentlich – und vor allem wohnlich. Das Haus seiner Mutter war immer makellos gewesen, ohne Charakter. Dieses Haus erinnerte ihn an das seiner Großeltern, hier konnte ein Kind ein Kind sein.

Im Fernsehzimmer saß ein Junge auf einem Sofa. Er starrte auf das TV-Gerät, in den Händen die Bedienung eines Videospiels, auf dem Kopf eine Baseballkappe. Auf dem Bildschirm wirbelten Gestalten durch die Luft.

„David“, sagte Janice.

„Ja, Mom?“ David nahm den Blick nicht vom Bildschirm.

„Sag Mr Holiday Guten Tag. Er ist unser neuer Nachbar.“

Der Junge rührte sich nicht. „Hi, Mr Holiday.“

„David!“

Stöhnend drückte der Junge auf einen Knopf. Auf dem Bildschirm erstarrten die Gestalten. David erhob sich und kam mit ausgestreckter Hand auf Michael zu „Hi, Mr Holiday. Danke, dass Sie mir die Bälle zurückgegeben haben.“

„Gern geschehen.“ Michael schüttelte David die Hand. Der Junge war so groß wie seine Mutter, hatte jedoch blondes Haar und sah im Gesicht ganz anders aus. Vermutlich glich er seinem Vater. „Was spielst du denn?“, fragte Michael.

Davids Miene erhellte sich. „Sonic“, antwortete er. „Spielen Sie auch?“

„Nein“, gab Michael zu.

„Oh.“ Die Enttäuschung war dem Jungen anzusehen.

„Mommy! Michael!“

„Die Königin ruft.“ Janice tippte Michael auf die Schulter.

„War nett, dich kennenzulernen, David“, sagte Michael. „Und danke, dass du deine Übungsstunde verlegt hast. Ich weiß es zu schätzen.“

„Kein Problem.“ David vertiefte sich bereits wieder in sein Spiel.

„Jetzt kennen Sie alle“, sagte Janice auf der Treppe nach oben.

„Ja. Er ist ein netter Junge“, erwiderte Michael und wich den Stapeln sorgsam gefalteter Wäsche aus, die auf einigen Stufen lagen.

„Er ist ein gutes Kind“, meinte Janice und hob automatisch einen Stapel auf.

Obenauf lag ein schlichter BH, also gehörte der Stapel vermutlich ihr. Irgendwie hatte er sie sich eher in raffinierten Dessous, nicht in einem praktischen, pflegeleichten Teil vorgestellt. Aber vielleicht wirkte selbst ein Supermarkt-BH an ihrem hinreißenden Körper ungemein verführerisch.

„Ich muss Sie warnen. Amy teilt sich das Zimmer mit Cat.“ Janice legte die Wäsche auf einen Tisch im Flur. „Daher sieht es ziemlich … originell aus.“

„Okay.“ Michael folgte ihr durch die offene Tür.

Das Zimmer war in zwei Hälften geteilt. Ein leuchtender Klebestreifen markierte die Grenze. Die eine Seite war ganz in Pink und Weiß gehalten, mit Spitzen und Rüschen und Stofftieren auf Bett und Kommode. Auf der anderen Seite hätte Michael sich mit zehn Jahren sofort zu Hause gefühlt. In einer Ecke lagen Baseballschläger, Fußbälle und Basketbälle, die Bettwäsche zierten Football-Motive. Selbst die beiden Fenster waren verschieden dekoriert – das eine mädchenhaft, das andere jungenhaft.

„Oh, Mommy, sie sind wirklich hübsch“, rief Amy und strich über die spitzenbesetzten Vorhänge auf ihrer Seite.

Janice lächelte. „Es freut mich, dass sie dir gefallen.“

„Sind sie nicht hübsch, Michael?“

„Sehr“, sagte er und versuchte, sich ganz auf ihre Seite des Zimmers zu konzentrieren. Beide gleichzeitig zu betrachten war, als würde man unter einer Bewusstseinsspaltung leiden. „Puh gefallen sie auch“, fügte er hinzu.

„Oh ja“, meinte Amy. „Nur, dass er sie nicht essen kann. Das gefällt ihm nicht, denn er will immer alles essen.“

„Sie haben nicht übertrieben“, flüsterte Michael Janice zu. „Das Zimmer ist wirklich originell.“

„Nur so herrscht Frieden, und beide können sich entfalten. Amy darf die Tür benutzen, obwohl sie sich auf Cats Seite befindet. Dafür gehört eine Schublade in Amys Kommode zu Cats Bereich.“

„Eine salomonische Lösung“, sagte Michael anerkennend.

„Salomo hatte über hundert Kinder. Der Mann kannte sich aus.“

Genau deshalb wäre ich nie ein guter Vater, dachte Michael. Eine solche Lösung wäre ihm nie im Leben eingefallen. Er sah Janice an, die lächelnd zu ihrer stolzen Tochter hinüberschaute. Wie hatte sie es allein geschafft? Wie wurde sie auf so diplomatische Weise mit sechs Kindern fertig? Woher nahm sie die Geduld und das Einfühlungsvermögen? Janice Parker war die erstaunlichste Frau, der er jemals begegnet war.

Dazu noch ein Körper, auf den eine Achtzehnjährige neidisch wäre, und ein Gesicht, das einem Engel Ehre machen würde – kurz, eine unwiderstehliche Frau. Hinzu kam ihre kühle, herausfordernde Unnahbarkeit, die selbst den fanatischsten Leser von Mann kann durchaus vom Brot allein leben in Schwierigkeiten bringen konnte.

Er war nicht in Schwierigkeiten! Er würde sich der Herausforderung nicht stellen. Nein, er würde ein braver Junge sein, die Vorhänge gebührend bewundern und nach Hause gehen, um über vierjährige Herzensbrecherinnen zu schreiben.

Janice musste seinen nachdenklichen Blick gespürt haben, denn sie schaute ihm kurz in die Augen. Wenn sie ihn nicht wieder küssen wollte, war er eben …

Michael lächelte Amy zu. Er wusste genau, was er war, und der Gedanke schmeichelte ihm nicht gerade. „Amy, dein Zimmer ist sehr hübsch, so hübsch wie du.“

Amy strahlte.

„Ich bin sicher, Mr Holiday …“

„Michael“, unterbrach er ihre Mutter.

„Siehst du?“, meinte Amy altklug. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich ihn Michael nennen darf. Jetzt darfst du das auch.“

Janice räusperte sich. „Ja. Genau darüber wollte ich mit Mr Holiday reden.“

„Nicht nötig“, sagte Michael. „Ich lege keinen Wert auf Förmlichkeit. Außerdem, Mr Holiday ist mein Vater. Bitte.“

Janice spitzte die Lippen, dann seufzte sie.

„Ich muss gehen“, sagte er rasch, bevor die Versuchung, ihren gerade jetzt besonders verführerischen Mund zu küssen, übermächtig wurde. „Die Arbeit wartet.“

„Aber wir haben doch gespielt!“, rief Amy enttäuscht.

Michael schluckte.

„Michael muss arbeiten“, kam Janice ihm zur Hilfe. „Sonst kann er sein Haus nicht bezahlen und muss wieder wegziehen. Möchtest du das?“

„Nein“, flüsterte Amy.

Michael wünschte, ihre Mutter würde diese Vorstellung ebenso betrüblich finden. Aber Janice lächelte nur.

„Jetzt habe ich Zeit für dich“, sagte sie. „Wir könnten Kekse backen.“

„Okay.“ Amy strahlte wieder.

„Danke, dass Sie mit ihr gespielt haben“, sagte Janice und öffnete Michael die Hintertür.

„Ja, danke“, zwitscherte Amy.

„Danke, dass du mich eingeladen hast.“ Er gab ihr Puh Bär, und als sie ihm die Hand schüttelte, fühlten ihre kleinen Finger sich so warm, zart und zerbrechlich an, dass in ihm etwas auftaute, das sehr lange eingefroren gewesen war. Unmöglich, dachte er. Was für ein unsinniges Gefühl. In ihm war nichts eingefroren gewesen.

Doch als er durch den Garten ging, gestand er sich ein, dass er sich etwas vormachte.

Es wurde höchste Zeit, dass er sein Leben in Ordnung brachte.

Erst als Janice merkte, dass sie beim Unkrautjäten versehentlich sechs liebevoll vorgezogene Blumen herausgerupft hatte, wurde ihr bewusst, dass sie die ganze Zeit an Michael gedacht hatte. Dabei war sie in den Garten gegangen, um sich zu entspannen. Sie ließ sich in die Hocke zurückfallen, ignorierte den Schmerz im Rücken und in den Knien und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Ein wunderschöner Samstagmorgen, nicht wahr? Ideal für die Gartenarbeit, finde ich.“

Janice zuckte zusammen. Sie hob den Kopf. Michael beugte sich über den Zaun. Er trug dicke Lederhandschuhe, sein Gesicht war gerötet und verschwitzt. Offenbar nutzte auch er das gute Wetter, um seinen Garten in Ordnung zu bringen.

Seine Augen sind so verdammt grün, dachte sie. Und wenn er lächelte, legten sich die Augenwinkel in zahllose Falten. So wie jetzt.

„Ihr Frauenschuh ist wirklich prachtvoll“, lobte er. „Schneiden Sie die verblühten Blüten ab?“

Janice starrte ihn an. War er etwa Hobbygärtner? „Ja. Ja, das tue ich. Wenn ich dazu komme, heißt das.“

„Das können Ihre Kinder doch übernehmen“, schlug er vor. „Wenn Sie es ihnen zeigen, können sie nicht viel falsch machen.“

Janice lachte. „Ah, die Stimme der Unschuld. Ich habe es einmal versucht, aber Cat stellte fest, dass sie keine roten Rosen mochte, und schnitt alle ab. Und Chris wollte wissen, wie spitz die Dornen sind, und hat sie an C.J. und Amy ausprobiert. Innerhalb von zehn Minuten hatte ich zwei weinende Kinder und ein Beet mit ruinierten Stammrosen.“

„Diese Margeriten müssten neu gruppiert und die Schwertlilien geteilt werden.“

Sie seufzte. „Ich weiß. Das steht seit Jahren auf meiner Liste.“

„Ich könnte es für Sie tun“, bot er an.

„Oh nein, das kann ich nicht zulassen.“

„Warum denn nicht?“ Er verschwand und schlüpfte Sekunden später durch die Lücke im Zaun.

Janice beobachtete, wie er sich hindurchzwängte. Seine ohnehin schon enge Jeans straffte sich noch mehr.

Er hatte einen sehr knackigen Po.

Was ist bloß mit mir los? dachte sie entsetzt. „Nein, wirklich, Michael …“

„Ich tue es gern“, versicherte er und rieb sich die Brust. „Ich muss entweder die Lücke im Zaun verbreitern oder abnehmen.“

Abnehmen? Nein, er gefiel ihr, wie er war. Janice räusperte sich. „Um meinen Garten kümmere ich mich schon selbst.“

„Sie haben gerade zugegeben, dass Sie mit der Arbeit im Rückstand sind. Ich weiß, die Margeriten sind gerade in der Wachstumsperiode, aber wenn wir jetzt nichts unternehmen, verlieren Sie sie ganz. Sehen Sie, innen sind sie schon abgestorben.“ Er griff durch das Loch im Zaun, holte einen Spaten heraus und ging auf Zehenspitzen um eine riesige Akelei herum.

Bevor sie ihn daran hindern konnte, machte er sich an ihren wuchernden Margeriten zu schaffen. Zuerst erschien es ihr, als wäre er in ihren Garten und damit in ihre Privatsphäre eingedrungen, doch dann, als er fröhlich zu pfeifen begann, entspannte sie sich wieder und jätete weiter Unkraut. Irgendwie tat es gut, mit einem anderem Menschen an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten.

„Sie haben wirklich viele verschiedene Pflanzen in Ihrem Garten“, sagte er nach einer Weile und zeigte mit dem Kopf auf die Akelei. „Die sieht wirklich großartig aus mit all den Blüten. Bestimmt nehmen Sie Hornspäne.“

„Ja“, sagte sie erstaunt. „Woher wissen Sie das?“

„Mehrjährige Stauden mögen das Zeug. Ein wenig davon im Frühjahr und im Herbst, und Ihr Garten ist glücklich.“

„Ich mag es bunt“, erzählte sie. „Als wir das Haus kauften, war alles nur grün. Der Randstreifen war schon umgegraben, also habe ich ihn genutzt. Auf die Weise konnte ich die Kinder im Auge behalten und zugleich etwas Sinnvolles tun. Ich stellte fest, wenn ich Mehrjährige pflanze und sie zweimal im Jahr etwas pflege, nimmt der Garten ganz von allein Gestalt an … Ich hätte nie gedacht, dass Sie Hobbygärtner sind.“

„Als ich auf dem College war, habe ich in den Sommerferien immer in einem Gartencenter gejobbt. Es hat mir Spaß gemacht, und deshalb wollte ich unbedingt ein Haus mit Garten. Ich finde es schön, wenn um mich herum alles wächst und gedeiht.“

„Was haben Sie denn gerade bei Ihnen gemacht?“, fragte sie.

„Das Gestrüpp zurückgeschnitten. Vor allem den Blauregen. Amy hat Angst davor, wissen Sie. Sie sagt, die Pflanze lebt und frisst Kinder.“

„Sie mögen meine Tochter, nicht wahr?“

Er lächelte. „Ich bin sonst kein Kinderfreund, aber Amy mag ich. Es ist schwer, ihr zu widerstehen.“

Sofort kam Janice ein Gedanke, der ihr absolut nicht behagte. Sie wusste nichts über diesen Mann. Nun ja, etwas schon, falls seine wahre Natur sich in seinen Kolumnen widerspiegelte. Aber was, wenn nicht? Natürlich würde sie ihre Kinder niemals einem Fremden anvertrauen, und Amy war nie sehr lange mit ihm allein gewesen. Außerdem hatte sie mit ihrer Tochter schon über die Gefahren gesprochen, die ihr von fremden Menschen drohten. Vielleicht sollte sie noch einmal mit ihr reden.

„Dann gibt es noch einen prächtigen Schmetterlingsbusch“, berichtete er. „Aber an den hat sich seit Jahren niemand getraut. Dabei muss er wie eine Rose regelmäßig zurückgeschnitten werden.“

„Stimmt.“ Janice verdrängte ihre finsteren Gedanken und zeigte auf ihren eigenen Busch, der langsam grün wurde. Bald würde er fliederartige Blüten austreiben, die von überallher Schmetterlinge anlocken würden. „Übrigens, mein Flieder neben dem Haus hat in diesem Jahr nicht sehr kräftig geblüht, obwohl er sehr gesund aussieht. Woran kann das liegen?“

Er überlegte kurz. „Falls noch vom letzten Jahr tote Blüten dran sind, sollten Sie die abschneiden, dann hat der neue Wuchs mehr Platz.“

„Gute Idee.“

Er bückte sich, spannte die Muskeln an und hob den gesamten Margeritenbusch aus der Erde. „Voilà! Wohin wollen Sie die zweite Hälfte haben?“

Sie sah sich um. „Ich weiß nicht.“

„Keine Sorge, ich werde schon eine geeignete Stelle finden. Und falls nicht, nehme ich sie. Bei mir gibt es ein paar Lücken, die dringend gefüllt werden müssen.“

„Einverstanden.“ Janice lächelte. Trotz ihrer mütterlichen Bedenken wegen Amys Freundschaft mit Michael musste sie zugeben, dass es ihr guttat, mit ihm zu reden. Es war herrlich, nicht darüber diskutieren zu müssen, wer ins Einkaufszentrum was anzog, ob Sonic besser als Mario war oder Puh Bär mit zum Baseball durfte. Endlich konnte sie einmal über ihre eigenen Interessen sprechen, noch dazu mit einem Erwachsenen – mit einem Mann.

„Ich finde Sie sehr anziehend“, sagte Michael unvermittelt.

Janice verschluckte sich fast und versuchte, Zeit zu gewinnen.

„Ich sollte es nicht, aber ich tue es. Ich kann nichts dagegen machen“, fuhr er fort.

„Warum erzählen Sie mir das?“, fragte sie leise.

„Sie leben nebenan. Sie sind Single. Ich habe sie schon zweimal geküsst, obwohl ich Sie kaum kenne. Ich finde, ich sollte Ihnen gegenüber ehrlich sein, anstatt die Wahrheit zu leugnen.“

„Es hat mich nicht gestört, die Wahrheit zu leugnen.“

„Aha. Also geben Sie zu, dass Sie mich auch anziehend finden“, sagte er mit einem männlich-selbstgefälligen Lächeln.

„Nein, das tue ich nicht“, widersprach sie. „Das habe ich Ihnen bereits erklärt.“

„Lügnerin.“

„Ich bin keine Lügnerin!“, entgegnete sie empört.

„Habe ich mich etwa selbst geküsst?“, fragte er. „Das waren doch Ihre Lippen, oder nicht? Oder gehörten sie jemand anderem?“

Sie konnte kaum fassen, was aus dem harmlosen Geplauder über ihre Gärten geworden war. Keine Panik, dachte sie. Bleib ruhig. Benimm dich erwachsen. „Es waren meine, aber … ich habe Ihnen auch gesagt, dass das der letzte Kuss war.“

„Sind Sie sicher?“

„Ja, ich bin sicher!“

„Sie klingen nicht sicher.“

Sie stand auf. „Was zum Teufel soll das heißen, ich klinge nicht sicher? Ich bin mir absolut sicher.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Dann stellen wir Sie einfach auf die Probe. Ich versuche, Sie zu küssen, und Sie sagen Nein.“

„Nein.“

„Ich habe es doch noch gar nicht versucht.“

„Na und?“

„Feigling.“

„Ich bin kein Feigling!“

„Dann küsse ich Sie.“ Er machte keinerlei Anstalten. „Irgendwann.“

„Nein.“

„Sie werden nicht wissen, wann und wo ich es tun werde. Aber ich werde es tun. Und Sie werden mich nicht daran hindern.“

Ihr wurde klar, dass sie sich im Kreis drehten. Es war Zeit, zum Gegenangriff überzugehen. „Warum finden Sie eine Frau mit sechs Kindern anziehend?“

„Ich weiß es nicht. Ich tue es einfach.“

Seine ehrliche Antwort ängstigte sie mehr als seine Entschlossenheit, sie auf die Probe zu stellen.

„Mommy! Michael! Was macht ihr?“

Amy kam aus dem Haus gerannt, sauber und frisch und bereit für den neuen Tag. Heather folgte ihrer kleinen Schwester.

„Danke, dass du sie gebadet hast“, sagte Janice zu Heather. Sie war für die Unterbrechung dankbar. Äußerst dankbar.

„Vergiss nicht, dass du mich dafür ins Einkaufszentrum fahren willst“, erwiderte Heather lächelnd.

„Was tust du gerade, Michael?“

„Ich helfe deiner Mom im Garten“, sagte er zu Amy.

„Oh … kann ich auch helfen?“

„Klar. Wir brauchen einen neuen Platz für diese Margeriten. Eine hübsche Stelle, an der die weißen Blüten zur Geltung kommen.“

„Okay.“ Amy machte sich auf die Suche.

Heather lachte. „Mom muss im siebten Himmel sein. Endlich hilft ihr jemand bei ihrem Lieblingsprojekt. Sie redet dauernd von ihrem Garten, bis wir sie bitten müssen aufzuhören. Es ist langweilig.“

Janice schwor sich, ihre freche Tochter in Grund und Boden zu langweilen. Die Pflanzen konnten ihr Knochenmehl ebenso gut direkt von der Quelle bekommen.

„Also ich finde es überhaupt nicht langweilig“, widersprach Michael. „Etwas zum Wachsen zu bringen, erfordert großes Geschick. Ich finde es aufregend. Sehr aufregend.“

Janice hatte plötzlich das Gefühl, dass er nicht nur den Garten meinte.

Es kam ihr vor wie eine Herausforderung.

4. KAPITEL

„Was für ein tolles Haus!“

Michael lächelte geduldig, während Mary Ellen Magnussen-Holiday, die Frau seines Cousins Peter, durch die unteren Zimmer streifte. Mary Ellen und Peter waren gekommen, um ihm ein Einweihungsgeschenk zu bringen, und er hatte sie zum Abendessen eingeladen.

Er mochte Mary Ellen, obwohl Peters urplötzliche Heirat ihn überrascht hatte. Der Mann hatte sogar einmal nach Möglichkeiten geforscht, die Liebe für immer aus den zwischenmenschlichen Beziehungen zu verbannen. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Peter heiraten würde?

„Es ist ein ziemlich großes Haus“, sagte Peter stirnrunzelnd. „Warum hast du dir eins mit vier Schlafzimmern gekauft?“

„Ist doch egal“, meinte Mary Ellen und setzte sich endlich an den Küchentisch. „Du bist einfach zu vernünftig, Peter. Das habe ich dir schon immer gesagt.“

„Und ich sage dir, einer von uns muss vernünftig sein“, erwiderte Peter. „Außerdem dachte ich, gerade das gefällt dir an mir.“

„Nur, wenn du mir damit nicht auf die Nerven gehst.“

Peter gab seiner Frau einen Kuss. Die beiden genossen ihr kleines Scharmützel, das war offensichtlich.

„Ich vermute, du wirst die Küche renovieren“, sagte Mary Ellen. „Sie ist viel zu dunkel und trist. Und zu altmodisch.“

„Ja, das habe ich vor“, antwortete Michael, während er hervorholte, was er für den Salat brauchte. „Aber ich werde eine Menge selbst machen. Janice hat mir ein paar Einrichtungsfirmen empfohlen.“

Michael biss sich auf die Zunge. Es war zu spät. Der Name war wie eine Bombe eingeschlagen.

„Janice?“, wiederholten Mary Ellen und Peter gleichzeitig und zogen eine Augenbraue hoch.

„Sie wohnt hinter mir“, erwiderte Michael gelassen. Seit dem Treffen im Garten war er ihr aus dem Weg gegangen. „Aber macht euch keine Hoffnung. Sie hat sechs Kinder, und drei davon sind Drillinge.“

„Na und?“, sagte Mary Ellen zum zweiten Mal. „Die arme Frau! Und ihr Mann erst.“

„Sie ist Witwe“, berichtete Michael.

„Ah … eine Witwe.“ Mary Ellens Stimme klang plötzlich nachdenklich. „Na ja, vor dir ist sie sicher. Mit sechs Kindern ist sie wahrscheinlich vor jedem Mann sicher.“

Michael konzentrierte sich auf den Salat. Es hatte ihm riesigen Spaß gemacht, in Janices Garten zu wühlen. Zumal Klein Amy ihm geholfen hatte. Die sechs Kinder schreckten ihn kaum ab. Nun ja, drei davon schon.

Durch das Fenster, das an diesem schönen Junitag offenstand, drangen die Klänge des Waldhorns herein.

„Was ist das?“, fragte Peter.

„Eins der Kinder. David. Er spielt Waldhorn im Schulorchester.“

Autor

Donna Clayton
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Lisette Belisle
Lisette Belisle schreibt Geschichten über ganz normale Leute, die ganz besondere Taten vollbringen und damit gegen alle Regeln handeln. Aber wie kam sie zum Schreiben? Das Schreiben kam zu ihr. Im Alter von 10 Jahren las Lisette ein Buch über eine Krankenschwester, die aus dem Wunsch heraus handelte, jedem Menschen...
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Linda Cajio
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