Bianca Exklusiv Band 248

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

ABSCHIED FÜR IMMER? von LEIGH, ALLISON
Es bräche Sam Vega das Herz, wenn seine geliebte Delaney wirklich einen anderen heiraten würde. Zwar sind sie geschieden, aber seine Gefühle für sie bleiben leidenschaftlich! Im Inselparadies Turnabout muss er sie einfach zurückgewinnen - oder für immer vergessen …

NIE MEHR TRAURIG - NIE MEHR ALLEIN von DUARTE, JUDY
Bo Conway kann kaum glauben, dass Carly wirklich eine traurige Märchenprinzessin ist - und er der Prinz sein könnte, der sie wachküsst! Schließlich ist er nur ein einfacher Zimmermann. Und dass die Traumfrau seine heißen Gefühle erwidert, ist womöglich nur eine Laune …

MAGISCHE MOMENTE von FERRARELLA, MARIE
Als Constance ihr geraubtes Medaillon zurückerhält, ist sie überglücklich! Wegen des Schmucks? Oder nicht vielleicht doch eher wegen seines Überbringers, dem attraktiven Detective James Munro? Der gibt sich als harter Brocken, weckt in Constance aber zarte Gefühle …


  • Erscheinungstag 08.08.2014
  • Bandnummer 0248
  • ISBN / Artikelnummer 9783733730109
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Allison Leigh, Judy Duarte, Marie Ferrarella

BIANCA EXKLUSIV BAND 248

ALLISON LEIGH

Abschied für immer?

Delaney versteht sich selbst nicht mehr: Kaum trifft sie auf der malerischen Insel Turnabout ihren Exmann Sam wieder, da liegt sie erneut in seinen Armen. Dabei hat es mit dem temperamentvollen Sheriff doch nie richtig gepasst – außer beim Sex! Da sie aber bald einen anderen heiraten will, bringt seine atemberaubende Anziehungskraft sie schwer ins Grübeln …

JUDY DUARTE

Nie mehr traurig – nie mehr allein

Carly lebt in der prächtigen Traumvilla mit dem wunderschönen Pool wie eine Prinzessin, fühlt sich seit ihrer Scheidung von ihrem treulosen Ehemann aber wie Aschenputtel! Erst als sie den attraktiven Zimmermann Bo Conway kennenlernt, flackert Hoffnung auf die große Liebe in ihr auf. Doch nach einem stürmischen Beginn, übt Bo sich bald in Zurückhaltung …

MARIE FERRARELLA

Magische Momente

Viel hat der New Yorker Detective James Munro in seinem Job schon erlebt, aber einen so verführerisch anziehenden Blick wie den von Constance hat er noch nie geerntet! Dabei hat er nach seiner gescheiterten Ehe der Liebe doch abgeschworen! Deshalb muss er alle Kraft aufwenden, Constance nicht zu nahe zu kommen. Und anfangs scheint das zu gelingen …

PROLOG

Delaney Townsend zog den Blazer aus und legte ihn sich über den Arm. Selbst um zwei Uhr morgens war es in Las Vegas noch heiß. Aber es war nicht die Temperatur, die ihr unangenehm war. Es war die ganze Situation, in der sie sich befand.

„Etwas nicht in Ordnung?“ Der Mann neben ihr strich mit einem Finger über ihren Arm.

Trotz der Hitze ließ die kurze Berührung sie frösteln. Sie sah zu Samson Vega hinauf, wenn auch nur, um den Blick von der Hochzeitskapelle vor ihnen abzuwenden. The Moonlight Chapel of Love.

Würde dies alles ihr weniger unwirklich erscheinen, wenn sie den kitschigen Namen oft genug im Kopf wiederholte?

„Sie … blinkt“, sagte sie schließlich.

Er zog einen Mundwinkel hoch, und ihr Herz schlug so schnell wie damals, als sie sein Lächeln zum ersten Mal gesehen hatte.

Hätte sie sich stärker gegen das entwaffnende Gefühl gewehrt, das er in ihr auslöste, würden sie beide jetzt nicht morgens um zwei vor einer grell blinkenden Hochzeitskapelle stehen.

„Sie ist ziemlich hell“, erwiderte er.

Was für eine Untertreibung. Sie spürte ein Lachen in sich aufsteigen. Vielleicht war es auch ein hysterischer Anfall. „Es steht eine Schlange davor.“

Er nickte, obwohl sein Blick mehr auf ihr als auf den Wartenden ruhte.

Am Straßenrand stieg gerade ein unglaublich junges Pärchen aus der längsten Limousine, die Delaney je gesehen hatte. Arm in Arm und fröhlich lachend rannten die beiden über den Rasen, um sich hinten anzustellen.

Delaney wollte sich gerade fragen, ob sie mit ihren vierunddreißig Jahren nicht viel zu alt für das hier war, da ging die angestrahlte Flügeltür der Kapelle auf, und heraus kamen ein Mann und eine Frau, ein verlegenes Lächeln auf den Gesichtern und breite goldene Ringe an den Fingern.

„Sie sehen aus, als würden sie oben auf eine Hochzeitstorte gehören.“ Sie hätte nicht gedacht, dass es Leute gab, die sich für … so etwas festlich kleideten.

„Hättest du das auch gern gehabt? Rüschen und Spitze, Brautstrauß, Blumenkinder, das volle Programm?“

Ihr ging auf, dass sie das frischgebackene Ehepaar anstarrte, als wären die beiden exotische Tiere im Zoo. „Nein.“

Sam schmunzelte leise. „Warum so entsetzt? Wir können immer noch nach Hause fliegen und es dort tun. Du musst dich ja nicht wie eine wild gewordene Barbie anziehen. Aber wenn du deine Mutter oder deinen Dad …“

„Nein.“ Sie führte sich auf wie ein Feigling. Es gab kein anderes Wort dafür. Sie hatte sich einverstanden erklärt, ihn zu heiraten. Und sie beide wollten es jetzt. Es war lächerlich, sich so zu benehmen, als hätte sie es sich anders überlegt. „Das Letzte was wir brauchen, sind meine Mutter und mein Vater zusammen in einem Raum. Und sei es auch nur für zehn Minuten. Wir alle würden es unser Leben lang bereuen.“

„Bereust du, dass wir hier sind?“

„Du redest selten drum herum, nicht wahr?“

Seine rechte Augenbraue hob sich ein wenig. „Stimmt. Es macht auf lange Sicht alles einfacher.“

Delaney sah dem davoneilenden Hochzeitstortenpaar nach. Sam wollte sie heiraten. In all der Zeit, die sie ihn jetzt kannte, hatte er nie Ausflüchte gemacht.

Er sprach immer aus, was er dachte.

Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihr breit.

„He.“ Er drehte ihr Gesicht zu sich und legte den Daumen unter ihr Kinn. „Ich kenne etwas, das gegen kalte Füße hilft.“

„Genau das hat uns hergebracht.“

Seine Lippen streiften ihre. „Also? Bist du bereit?“ Er legte eine Hand um ihren Nacken.

Sie hatte schon andere attraktive und interessante Männer geküsst. Aber bei keinem von ihnen waren ihre Knie weich geworden. Das schaffte nur dieser. Ein Mann, der ihr Leben in den letzten zwei Jahren kompliziert gemacht hatte. Erst beruflich. Dann privat.

Ihr Verstand sagte ihr, dass sie vom Regen in die Traufe kam, wenn sie ihn heiratete. Doch dann hob er den Kopf und sah sie an. Nur sie. Ihr Herz begann zu klopfen, und sie hörte nicht mehr auf die immer leiser werdende Stimme der Vernunft.

„Ja“, flüsterte sie. „Ich bin bereit.“

Sam ließ die Hand an ihrem Arm nach unten gleiten und schob die Finger zwischen ihre.

Sie gingen hinüber und stellten sich ans Ende der Schlange.

Eine Stunde später, nach einer Zeremonie, die ganze sieben Minuten dauerte, traten Delaney Townsend und Samson Vega durch die weiße Flügeltür, ein verlegenes Lächeln auf den Gesichtern und goldene Ringe an den Fingern.

1. KAPITEL

Zwei Jahre.

Zum ersten Mal seit zwei Jahren sah sie Sam wieder – und zwar in den Armen einer anderen Frau.

Es war nicht irgendeine Zeugin, die er nach einem Verbrechen befragte. Keine ältere Lady, der er über die Straße half. Nein, die Frau, mit der er tanzte, war alles andere als ältlich. Und wenn sie etwas bezeugen konnte, dann nur, wie es sich anfühlte, die Schläfe an Sams markantes Kinn zu pressen, während sie sich unter dem Sternenhimmel drehten.

Na, wenn das nicht einfach prima war.

Delaney stieß den angehaltenen Atem aus und blieb am Rand der Menschenmenge stehen, die die Lichtung säumte. Obwohl sie sich im Freien befand, fühlte sie sich von den erhitzten Körpern und der lauten Musik eingeengt. Und von Sam.

Sie hatte nicht sehr gründlich darüber nachgedacht, wie es sein würde, ihn nach so langer Zeit wieder zu sehen. Das war seltsam. Schließlich war sie Psychiaterin. Aber erst jetzt versuchte sie, sich über ihre Gefühle klar zu werden.

Bunte Lichterketten hingen in den Bäumen und Büschen. Sie blinkten und tauchten die Feiernden in ein unwirkliches Licht.

Genauso fühlt es sich an, dachte Delaney.

Unwirklich.

Wie war es nur so weit gekommen?

Die Frage war müßig. Sie kannte die Antwort sehr gut.

Sie warf einen Blick zum Hauptgebäude hinüber. Zum Glück war der junge Alonso hier im Castillo House in den besten Händen. Es war ihr nicht leicht gefallen, sich von ihm zu verabschieden. Jetzt blieb nur diese letzte … Aufgabe.

Vielleicht war es albern. Aber zu gehen, ohne wenigstens kurz mit ihm gesprochen zu haben, erschien ihr feige. Er würde annehmen, dass sie noch nicht verwunden hatte, was geschehen war. Und das sollte er nicht. Auch wenn es stimmte.

Delaney strich erst an ihrem zerknitterten Kostüm hinab, dann über ihr Haar, das sich gegen die strenge Frisur zu wehren schien, und schlängelte sich zwischen den tanzenden Paaren hindurch.

Niemand beachtete sie, und das war ihr ganz recht. Das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben war ein Vorteil, wenn man mit Sam zu tun hatte. Sie war vorbereitet, er nicht.

Sie wich einem Paar aus, das selbstvergessen einen unbeholfenen Tango tanzte, und stand plötzlich Sam gegenüber.

Nun ja, eher hinter ihm.

Sie unterdrückte einen kindischen Anflug von Nervosität. Meine Güte, die Schmetterlinge, die einst bei seinem Anblick in ihr aufgestiegen waren, schliefen längst fest.

Sie räusperte sich. „Entschuldigung.“ Ihre Stimme ging in der schlagartig lauter werdenden Musik unter. Sie seufzte, probierte es ein zweites Mal und trat zur Seite, als Sam und seine Partnerin sich drehten und die andere Frau ihr den Rücken zukehrte. „Entschuldigung.“ Sie tippte der Dunkelhaarigen auf die Schulter.

Mit hochgezogenen Brauen schaute die Frau sich um.

Auch Sam hatte sie bemerkt. Seine Augen wurden schmal, und er runzelte verwirrt die Stirn.

Schön. Sie hatte ihn überrascht. „Tut mir leid, wenn ich störe“, sagte sie freundlich. „Es wird nur einen Moment dauern.“

Die Frau sah von ihr zu Sam und wieder zurück, und Delaney streckte ihr die Hand entgegen. „Delaney … Townsend.“ Der Name ging ihr noch immer nicht leicht von den Lippen. Daran würde sie arbeiten müssen. Sie benutzte ihn erst, seit sie mit Castillo House – dem Heim, in dem ihr Schützling ab jetzt leben würde – zu tun hatte. Also seit zwei Monaten, dabei hätte sie ihn schon vor zwei Jahren annehmen sollen.

„Sara Drake“, murmelte die andere Frau und schüttelte Delaney zögernd die Hand.

„Drake?“ Delaney schaute zu dem großen Haus im spanischen Stil hinüber, das zusammen mit den Lichtern und Bäumen den Hintergrund für diese Party bildete. „Eine Verwandte von Logan Drake?“

„Er ist mein Bruder. Aber ich fürchte …“

„Was zum Teufel willst du hier, Delaney?“, unterbrach Sam seine Begleiterin.

Seinem Blick zu begegnen war schwieriger, als sie erwartet hatte, also schaute sie auf das schimmernde schwarze Haar, das ihm in die Stirn fiel. Warum konnte der Mann nicht wenigstens Geheimratsecken haben? Oder einen Bauchansatz statt eines Körpers, der noch schlanker und fester als früher aussah – wenn das überhaupt möglich war.

Sie packte den Griff ihrer Aktentasche fester und hob die Stimme, um die Musik zu übertönen. „Ich würde gern mit dir sprechen. Ganz kurz, dann kannst du zu deiner Tanzpartnerin zurückkehren.“ Sie rang sich ein Lächeln für Sara ab. Schmetterlinge oder nicht, nach einem anstrengenden harten Tag, von dem sie die letzte Stunde auf einem kalten, feuchten und nach Dieseltreibstoff stinkenden Boot verbracht hatte, war ihr eher danach, die Zähne zu fletschen.

„Nur ein paar Minuten deiner wertvollen Zeit, Sam. Mehr verlange ich nicht.“

„Townsend“, wiederholte er unvermittelt.

Delaneys ohnehin nicht sehr überzeugendes Lächeln verblasste endgültig. Dass sie auf die Insel gekommen war, hatte nichts mit ihm zu tun. Doch dass sie jetzt mit ihm reden wollte, lag allein an seinem Starrsinn. Sie wollte keine Szene machen. „Dies ist wohl kaum der Ort …“

„Warum nicht? Du bist hergekommen, oder etwa nicht?“

Sara wirkte peinlich berührt.

„Es tut mir leid“, sagte Delaney zu ihr. Das tat es wirklich. Hätte sie keine Skrupel, könnte sie Sam die Schachtel hier und jetzt geben. Vielleicht würde er sie ja gleich an Sara weiterreichen.

Bei der Vorstellung wurde ihr fast schlecht.

„Vielleicht wäre eine ruhigere Ecke besser“, sagte Sara sanft. Der Blick, den Sam ihr zuwarf, versetzte Delaney einen Stich.

Hastig nahm sie einen Umschlag aus der Aktentasche. „Zwei Minuten, Sam. Mehr nicht.“

„Mehr nicht?“ Er warf einen Blick auf den Umschlag. „Das bezweifle ich.“

Sie widerstand der Versuchung, mit dem Fuß aufzustampfen. „Es ist zwei Ja…“

„Einundzwanzig Monate.“

Delaney verstummte. Sie hätte ihm sagen können, wie viele Tage es her war, dass sie beide sich zuletzt gesehen hatten.

Die Temperatur schien gestiegen zu sein. Das war unmöglich. Es musste an ihr liegen. Hätte sie doch nur etwas anderes unter der Kostümjacke angezogen. Eine Bluse oder ein Top. Aber sie trug nur einen BH, denn sie hatte sich vor ihrer Abreise über das Wetter in Kalifornien informiert.

„Ich hole Ihnen ein Glas Bowle“, bot Sara plötzlich an. „Dann können Sie und Sam sich in Ruhe unterhalten.“ Ihr Lächeln war gelungener als Delaneys.

Sie waren alle erwachsen. Dass Sara Sam durch die Blume dazu auffordern musste, mit ihr zu sprechen, machte Delaney nichts aus.

Überhaupt nichts.

Sie zupfte an ihrer Jacke, um ein wenig frische Luft an die Haut zu lassen. „Ein Glas Bowle wäre gut“, log sie. Alles andere als klares Wasser konnte ungeahnte Folgen haben.

Sara ging davon. Sie war fast einen Kopf größer als Delaney und hatte keine Mühe, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Oder die Leute machten ihr ganz selbstverständlich Platz. So, wie sie es auch bei Sam taten.

Delaney zuckte zusammen, als er eine Hand um ihren Ellbogen legte.

„Nervös, Delaney?“

Früher hatte er sie Laney genannt. Sie machte sich los. „Es war ein langer Tag.“ Sie schaute zu Sara hinüber, die inzwischen das Büfett erreicht hatte. „Ist das zwischen euch beiden etwas Ernstes?“

„Würde dich das stören?“

„Kannst du mir noch immer keine klaren Antworten geben?“, entgegnete sie.

„Was meinst du?“

„Ich meine, du hast dich kein bisschen verändert.“ Sie kehrte ihm den Rücken zu, und ihre Absätze versanken im weichen Boden. Sie hätte ihm den Ring einfach geben sollen. Noch besser wäre es allerdings gewesen, ihn bei Annie und Logan Drake zu lassen.

Als ihr bewusst wurde, dass Sam sich von der Stelle gerührt hatte, drehte sie sich vorsichtig wieder um. Er hatte den Kopf schief gelegt und musterte sie.

Dann schaute er abrupt in eine andere Richtung, und sie folgte seinem Blick.

Alonso stand neben der Eingangstür vom Castillo House, an die Wand gelehnt, die Hände in den Taschen der weiten Jeans, die sie ihm geschenkt hatte. Es wirkte lässig, aber sie wusste, dass es nur so aussah.

Sam sah sie wieder an und kam auf sie zu. „Ich hätte wissen müssen, dass das hier etwas mit ihm zu tun hat“, sagte er leise. „Manche Dinge ändern sich nie.“

„Manche Menschen auch nicht.“

„Wann lernst du endlich deine Lektion, was ihn betrifft? Hat er dich nicht genug gekostet?“

Du meinst, dass er mich dich gekostet hat? Sie wollte die Frage aussprechen, besann sich jedoch eines Besseren. „Er hat einen Namen, Sam. Er heißt Alonso. Und er hat mich nichts von Wert gekostet.“ Ihre Stimme war ausdruckslos. Hoffentlich klang der Schmerz nicht durch.

Er lächelte. „Deine Zunge ist noch spitzer geworden.“

„Außerdem lebt Alonso ab sofort im Castillo House. Du solltest dich daran gewöhnen, ihn häufiger zu sehen.“

„In meiner Gefängniszelle vielleicht.“

Delaneys Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Was Logan Drake und seine Frau Annie im vergangenen Jahr bei ihrer Arbeit mit obdachlosen und gefährdeten Kindern und Jugendlichen vollbracht hatten, war auf ihr Interesse und das ihrer Kollegen gestoßen. Daher hatte sie die beiden gebeten, Alonso in ihr Programm aufzunehmen, obwohl Castillo House sich auf Turnabout befand und damit in Sams Zuständigkeit als Sheriff der Insel fiel. Dies war Alonsos letzte Chance, dem Gefängnis zu entgehen. Was seine Bewährungsauflagen anging, verlor der Richter langsam die Geduld.

„Nicht ohne Grund, Samson. So tief würdest selbst du nicht sinken, oder?“

Trotz der Musik und des fröhlichen Geplauders um sie herum wurde das Schweigen zwischen ihnen schlagartig angespannter.

„Also billigst du mir wenigstens ein Mindestmaß an Rechtschaffenheit zu?“, erwiderte er schließlich. „Immerhin ein Fortschritt.“

Delaney atmete tief durch, um ruhig zu bleiben. „Hier.“ Sie hielt ihm den Umschlag mit dem Ehering hin. „Ich weiß nicht, warum du das hier ungeöffnet zurückgeschickt hast. Was für ein Spiel …“

„Mit dir war es nie ein Spiel. Ein Spiel hätte Spaß gemacht.“

Es war nicht das erste Mal, dass sie diesen Vorwurf hörte.

Trotzdem tat er weh.

„Dann wirst du sicher froh sein, das hier zurückzubekommen.“ Sie wedelte mit dem Umschlag und wünschte, er würde ihn einfach nehmen.

„Warum hast du es plötzlich so eilig?“

Erstaunt sah sie ihn an. „Plötzlich? Ich habe mehr als ein Mal versucht, es dir zu schicken!“ Sie hatte sogar einen Kurierdienst beauftragt, auch das ohne Erfolg.

„Vielleicht hättest du den Wink verstehen sollen.“

„Welchen Wink? Dass du nicht an unsere Zeit zusammen erinnert werden willst? Das kann ich mir vorstellen. Aber der Ring ist …“

„Deiner“, unterbrach er sie. „Selbst wenn dein Auftritt hier ein offizieller sein soll.“

Sie blinzelte. „Was soll das heißen?“

Er beugte sich noch weiter vor, und sie musste sich beherrschen, um nicht zurückzuweichen. „Warum jetzt, Delaney?“

Sie sah, wie Sara sich mit zwei Plastikbechern näherte. „Du bist nicht der Einzige, dessen Leben weitergeht, Sam.“

Seine Lippen zuckten. „Jemand, den ich kenne?“

„Geht dich das etwas an?“

„Ich glaube, schon.“ Der Umschlag knisterte zwischen seinen Fingern. „Lass mich raten. Dein geschätzter Kollege Chadly Wright.“

Sam hatte Chad Wright nie gemocht. Natürlich beruhte das auf Gegenseitigkeit. Hätte sie gewusst, wie alles enden würde, hätte sie von Anfang an auf Chad gehört. Leider war sie nur ihrem Herzen gefolgt.

Ohne Vorwarnung hob Sam die freie Hand und strich ihr eine Locke aus dem Gesicht.

Sie straffte sich.

Nicht nur meinem Herzen, verbesserte sie sich insgeheim. Bei Sam war sie einem ganz anderen Impuls gefolgt.

Und die Leute glaubten, dass nur Männer sich von ihrer Lust leiten ließen. Was für ein Witz.

Als würde er ihre Gedanken lesen, streiften seine Finger ihre Schläfe. Ihre Wange.

„Fass mich nicht an.“

„Angst, dass es Wright nicht gefallen könnte?“ Ohne jede Hast schob er die Locke hinter ihr Ohr.

„Er heißt Chad.“ Ihre Stimme versagte völlig, als er den Daumen unter ihr Kinn gleiten ließ und es anhob, als würde er sie küssen wollen. Sie schloss die Augen und öffnete sie mühsam wieder, um sich nicht zu verraten.

Sie hörte ihn leise mit der Zunge schnalzen. „Sieh dich an. Elegant wie immer. Zweireihiges Kostüm. Strenge Frisur. Aber du würdest die Knöpfe gern öffnen, nicht wahr. Und das Haar scheint sich in dem Knoten nicht sehr wohl zu fühlen. Hat Chad dich je so erlebt?“

„Die Überfahrt war stürmisch.“

Sein Daumen strich über ihre Lippen. „Neunzig Minuten auf offener See. Was hast du erwartet? Windstille?“

„Sam.“ Ihre Lippen bewegten sich an der schwieligen Haut. „Der Ring …“

„Vergiss den Ring“, sagte er, bevor er den Kopf senkte. Sein Mund bedeckte ihren und dämpfte den verblüfften Aufschrei, den sie nicht unterdrücken konnte. Seine Hand legte sich um ihren Nacken und hinderte sie am Zurückweichen.

In dem Kuss war keine Liebe. Sie wusste es. Er wusste es.

Er war zornig. Einundzwanzig Monate schienen daran nichts geändert zu haben.

Nach einem Moment gab Delaney auf und erwiderte den Kuss.

Sie schwankte, als er sie endlich losließ, und achtete nicht auf Saras schockiertes Gesicht und die neugierigen Blicke der Umstehenden. Sie wollte ihn ohrfeigen. Ihm einen Fußtritt verpassen.

„Das war unangebracht“, sagte sie heiser. „Absolut unangebracht.“

„Du scherzt, richtig?“ Er lächelte grimmig, bevor er sich zu den anderen Gästen umdrehte.

Er hob die Stimme, damit alle ihn verstehen konnten. „Meine Ehefrau Delaney kommt endlich nach Turnabout, da muss ich ihr doch einen Begrüßungskuss geben. Findet ihr nicht auch?“

2. KAPITEL

Meine Ehefrau.

Delaney erstarrte, als Sams Worte in der abrupt einsetzenden Stille widerhallten. Falls sie je daran gezweifelt hatte, dass Sam jedem auf der Insel ihre ebenso kurze wie katastrophale Ehe verheimlicht hatte, so sorgten die schockierten Gesichter der Umstehenden jetzt für Gewissheit.

Er hatte sich ihr wieder zugewandt und schaute auf ihren Mund. Obwohl sie ihn am liebsten beschimpft hätte, kribbelten ihre Lippen noch von seinem Kuss.

Und weil sie sich darüber ärgerte, schlug sie ihm den Umschlag gegen die Brust. „Du weißt, dass wir nicht mehr verheiratet sind“, sagte sie leise, aber scharf.

Er drehte sich einfach um und schlenderte davon.

Der Umschlag fiel auf die Erde.

Delaney hob ihn auf und versuchte, den neugierigen Blicken zu entgehen. Aber der Fluchtweg war blockiert, auf der einen Seite von den schaulustigen Tänzern, auf der anderen von der weiß getünchten Fassade des Hauptgebäudes. Sie begann zu zittern und musste sich beherrschen, um ihre Wut und Frustration nicht einfach herauszuschreien.

„Hallo, Doc V. Sie haben mir nicht gesagt, dass der Cop hier sein würde.“

Sie strich das Haar zurück und sah zu Alonso hinauf, der direkt vor ihr stand. Er war im vergangenen Jahr gewachsen. Obwohl erst fünfzehn, war er mindestens eins achtzig groß. Noch war er schmal und schlaksig, aber schon bald würde seine stattliche Gestalt die Blicke der Mädchen auf sich ziehen. „Dass du ab jetzt hier lebst, hat mit Sam nichts zu tun.“

Er verzog den Mund. „Ist er hier auch bei der Polizei?“, fragte er, während er die Ärmel des übergroßen T-Shirts hochschob.

„Er ist der Sheriff.“

„Na ja, er schleift mich besser nicht ins Gefängnis, sonst …“

„Sonst?“, unterbrach Delaney ihn streng. Alonso Petrofski hatte seine mokkafarbene Haut von seiner jamaikanischen Mutter und die strahlend grünen Augen vom russischen Vater geerbt. Er war intelligent, aber auch vernachlässigt und verstört. Sie hatte ihn kennengelernt, als ein Gericht sie zu seiner Therapeutin bestellt hatte. Jetzt, vier turbulente Jahre später, sah sie sich als eine gute Freundin.

„Du kommst nicht ins Gefängnis, Alonso. Es sei denn, du tust hier etwas Verbotenes. Und wenn du es innerhalb der nächsten zwei Monate tust, wird deine Bewährung widerrufen, und du musst dein volles Strafmaß in New York absitzen. Dann war all die gute Arbeit der letzten Monate umsonst.“

„Nicht, wenn sie mich nicht finden“, sagte er.

„Turnabout ist eine Insel, Alonso“, ertönte eine Stimme. „Hier machst du keinen Schritt, von dem wir nichts wissen.“ Logan Drake, der Mann, der Castillo House leitete, schien aus dem Nichts aufgetaucht zu sein.

„Er übertreibt nicht“, bestätigte ein hochschwangeres Mädchen, das neben Logan erschien. „Aber glaub mir, er ist umgänglicher als der Sheriff. Ich bin seit drei Monaten hier, also muss ich es wissen.“ Sie lächelte Logan zu, dessen Miene sich ein wenig aufheiterte, als er liebevoll an ihrem langen roten Zopf zog.

„Das ist Caitlin Reed“, stellte er sie Alonso vor. „Sie wird dir zeigen, welche Aufgaben du heute Abend hast.“

„Mann, ich bin gerade erst angekommen.“

Delaney sagte nichts. Hier waren Logan und Annie für ihn verantwortlich. Je früher Alonso sich an sein neues Zuhause gewöhnte, desto besser.

Logan zog eine breite Schulter hoch. „Jeder hier hat Pflichten, Alonso. Wenn du bleiben willst, bist du willkommen. Aber wie alle anderen wirst auch du arbeiten.“

Der Junge funkelte den Leiter an und richtete sich zu seiner vollen Größe auf, bis die beiden einander Auge in Auge gegenüberstanden. Logan wartete nur. Gelassen. Geduldig. Selbstsicher. Dann grunzte Alonso, drehte sich um und ging die breite Treppe hinauf. Delaney beobachtete, wie er Caitlin die schwere Tür aufhielt, als sie ihm folgte.

Er war für sie viel mehr als ein Patient, aber allein wurde sie mit ihm nicht fertig, und er war noch zu jung, um ihn sich selbst zu überlassen. Er brauchte ein Zuhause.

Hoffentlich konnte Castillo House ihm das geben, was sie ihm versagen musste.

Sie drehte sich zu Logan um, der noch nichts zu dem Kuss und Sam empörendem Kommentar gesagt hatte. Dafür war sie ihm dankbar. „Ich weiß, Sie haben eigentlich noch gar keinen Platz für ihn, weil die Renovierung noch nicht abgeschlossen ist. Aber ich bin froh, dass Sie ihn aufgenommen. Die Leute, mit denen er sich herumtrieb, waren nicht gut für ihn.“

„Solange er sich an die Regeln hält, werden wir uns gut verstehen“, erwiderte Logan. Er lächelte einer jungen Frau mit blonder Lockenpracht zu, die sich bei ihm einhakte. Es ließ ihn viel freundlicher und etwas jünger aussehen.

„Alonso wird es schaffen“, sagte Annie Drake. „Und wir wissen das Geld wirklich zu …“

Delaney machte eine abwehrende Handbewegung. Sie wollte die Spende, die sie ihrer Mutter für das Heim entlockt hatte, nicht an die große Glocke hängen.

„Geheimnisse neigen dazu, ans Licht zu kommen, Delaney. Manchmal ist es besser, alles auf den Tisch zu legen.“

Delaney wusste nicht, ob Annie damit auch auf Sam und sie anspielte. Ihr Gesichtsausdruck verriet nichts.

Vermutlich war sie nur zu empfindlich.

„Du bist … Delaney, richtig?“

Eine andere junge Frau kam neugierig auf sie zu. Nach Sams Auftritt war sie auf Turnabout wahrscheinlich das Hauptgesprächsthema. „Ja.“

„Ich bin Janie Vega.“

Ein undefinierbares Gefühl stieg in Delaney auf. Also lernte sie doch noch jemanden aus Sams Familie kennen. „Sams Schwester.“ Sie suchte nach Ähnlichkeiten zwischen ihm und Janie, aber bis auf die dunklen Augen fand sie keine. „Er hat mir von dir erzählt.“

„Ich wünschte, das könnten wir auch von dir behaupten.“

Janie hatte die Arme ablehnend vor der Brust verschränkt. Logan und Annie murmelte eine Entschuldigung und zogen sich hastig zurück.

„Es tut mir leid“, sagte Delaney.

„Warum? Sam ist derjenige, der die ganze Zeit den Mund gehalten hat“, entgegnete die junge Frau spitz. „Seltsam. Sonst ist ihm Ehrlichkeit immer so wichtig.“

Es war nicht ihre Aufgabe, seine gekränkte Schwester zu besänftigen. Sie tat es trotzdem. „Nun ja, Sam und ich waren nicht sehr lange zusammen. Und es ist auch einige Jahre her.“

„Aber er hat gerade gesagt, dass du seine Frau bist.“

„War“, verbesserte Delaney sanft.

„Wenn du glaubst, dass das sein Verhalten entschuldigt, bist du nachsichtiger als ich.“

Es gab für Delaney nichts mehr zu sagen, und Janie schien es zu spüren. „Wo willst du die Nacht verbringen?“, fragte sie.

Die Reise nach Turnabout hatte länger als erwartet gedauert. Die Maschine aus New York war verspätet in San Diego gelandet, was bedeutete, dass sie die reguläre, zwei Mal am Tag zwischen dem Festland und der winzigen Insel verkehrende Fähre verpassten. Sie musste etwas chartern, das die Bezeichnung Boot nicht verdiente, sondern eher einer schaukelnden Badewanne glich.

Sie hätte gern bis zum nächsten Morgen gewartet, aber sie hatte es so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen.

Das war ein Fehler gewesen. Anstatt ihr in San Diego reserviertes Hotelzimmer zu beziehen, würde sie sich hier eine Unterkunft suchen müssen. „Ich hatte nicht vor, auf Turnabout zu bleiben“, gab sie zu. Sie war nicht gern unvorbereitet. „Gibt es hier ein Hotel?“

„Maisy Fielding hat ein Gasthaus. Es heißt Maisy’s Place, ist aber ausgebucht. Ich helfe manchmal dort aus.“ Janie zeigte auf die Gäste. „Viele Leute sind vom Festland herübergekommen, um den ersten Jahrestag von Castillo House zu feiern. Aber Sam hat ein Gästezimmer. Etta auch, aber das nutzt mein Vater, seit er wieder zu Hause ist.“

„Etta?“

„Henrietta Vega, unsere Großmutter.“

„Richtig.“ Die Situation kam Delaney immer unwirklicher vor. Es war, als würde jeder hier sie genau beobachten. Zu genau. Sie hatte es lieber umgekehrt.

Dass Sam ein Gästezimmer hatte, interessierte sie nicht annähernd so sehr wie der Grund, aus dem er sie als seine Ehefrau bezeichnet hatte.

Wozu war das gut gewesen?

Zu nichts. Und das wollte sie ihm sagen. Er sollte begreifen, dass sie jetzt anders leben wollte. Mit gemeinsamen Interessen. Gemeinsamen Plänen. Gemeinsamen Zielen.

Dinge, die Sam und sie nie gehabt hatten.

Außer im Bett.

Sie ignorierte die spöttische Stimme in ihrem Hinterkopf. Das Schlafzimmer konnte eine Beziehung zerstören, aber nur selten eine begründen. Sam und sie waren da keine Ausnahme.

„Vielleicht könntest du mir sagen, wie ich zu seinem Haus komme“, bat sie Janie. Sie würde Sam sagen, was sie von seiner Show hielt, ihm den Ring geben und diesen ungastlichen Ort verlassen. Ein für alle Mal. Ende der Geschichte.

Jamie wirkte erleichtert. „Es liegt auf der anderen Seite der Insel. Ich hole Leos Karren und fahre dich hin.“

„Karren?“

„Seinen Golfkarren. Ein Auto habe ich nicht. Die meisten hier haben keines. Aber zu Fuß ist es ziemlich weit.“

Delaney rieb sich die Stirn. Sie hatte auch keinen Wagen. Weil sie in der City lebte. Der City. The Big Apple. Geboren und aufgewachsen.

„Delaney? Können wir?“ Janie wartete.

Sie nickte. So müde, wie sie war, hätte sie in alles eingewilligt, nur um sich nicht länger den neugierigen Blicken aussetzen zu müssen.

Der Golfkarren stand vor dem hohen Eisenzaun, der das Grundstück von Castillo House umgab. Delaney kletterte auf den schmalen Sitz und hielt sich fest, als das Gefährt ruckartig anfuhr. Janie lenkte es die holprige und stockdunkle Straße entlang.

Delaney genoss es, den Fahrtwind an ihrer überhitzten Haut zu fühlen.

Als Janie endlich hielt, ragte vor ihnen der unbeleuchtete Umriss eines großen Hauses auf. „Es sieht nicht so aus, als ob dein Bruder hier wäre.“ Vermutlich ging er ihr aus dem Weg, und sei es auch nur, um sie zu ärgern. Auf dem Gebiet war er immer besonders einfallsreich gewesen.

„Macht nichts“, versicherte seine Schwester, als sie über den gepflasterten Weg zur Tür gingen. „Wahrscheinlich ist nicht abgeschlossen. Aber selbst wenn, ich habe einen Schlüssel. Ich kümmere mich um seine Pflanzen, wenn er auf dem Festland ist.“

Sam hatte Pflanzen?

Ohne Zögern schob Janie die Tür auf. „Siehst du? Komm doch herein.“

Delaney folgte ihr mit angehaltenem Atem. Sie dachte an das winzige Apartment, in dem Sam vor ihrer Beziehung gewohnt hatte. Darin hatte es nur das Nötigste gegeben. Ein Bett. Einen Kühlschrank. Ein fensterloses, kaltes Bad. Ein steriler Ort, der nichts über den Mann verriet, der dort lebte.

Janie betätigte einen Schalter. Täuschend schlichte Wandlampen tauchten einen Raum in mildes Licht, bei dessen Anblick Delaney verblüfft die Augen aufriss. „Oh“, entfuhr es ihr.

„Nett, nicht wahr?“ Erwartungsvoll sah Janie sie an.

„Ja.“ Sie lächelte matt. Es war nett. Naturstein. Eine bronzene Wand, an der Wasser herunterlief und mit beruhigendem Plätschern in ein Becken rann. Ledermöbel. Dicke Teppiche auf Schieferplatten. Und überall Pflanzen. Palmen in den Ecken. Ein Farn auf einen kleinen Tisch. Es war modern. Zeitlos.

Es war … Sam?

Sie war versucht, sich die Augen zu reiben. Sie hätte nicht herkommen dürfen. „Vielleicht sollte ich lieber anderswo auf ihn warten.“

„Unsinn. Du bist seine Ehefrau.“

„War. Ich war seine Ehefrau. Und sobald ich mit ihm gesprochen habe, reise ich ab.“

Janie warf ihr einen skeptischen Blick zu. „Wenn du es sagst. Wäre aber schön gewesen, die Frau näher kennenzulernen, die meinem großen Bruder das Herz gestohlen hat.“

„Wenn du sie triffst, grüß sie von mir.“ Sie bekam keine Antwort und seufzte. Janie hatte ihren sarkastischen Humor nicht verdient. „Tut mir leid.“

„Ich glaube, diese Situation ist für alle ungewöhnlich.“ Janie ging weiter und schaltete auf dem Weg in die Küche noch mehr Lampen ein. „Du kannst hier auf Sam warten. Mach es dir bequem. Bestimmt bleibt er nicht lange fort.“

Delaney war nicht sicher, ob sie sich darüber freuen sollte. „Danke, Janie.“

Die junge Frau winkte ihr zu und verließ den Raum.

Einen Moment später fiel die Haustür ins Schloss.

Sie war allein in Sams Haus.

Meine Ehefrau.

Sie schob den Gedanken beiseite, ging in die Küche, legte ihre Aktentasche auf den Tresen und sah sich um. Das einzige Geräusch war das Plätschern des Wassers im Wohnzimmer, unterlegt mit dem leisen, beständigen Rauschen des Meeres.

Sie stieg aus den Pumps, ließ sie auf dem Fußboden liegen, knöpfte die Jacke auf und wedelte damit. Himmlisch.

In der Aktentasche waren Sachen zum Wechseln, aber da die nicht viel kühler als das Kostüm wären, machte es wenig Sinn, sich umzuziehen.

Aber die kurze Erfrischung hatte gut getan. Sie schloss die Knöpfe wieder und ging um die Kochinsel herum zu den hohen Fenstern, die fast eine komplette Seite der Küche bildeten. Jetzt, da Licht brannte, wirkten die Scheiben wie Spiegel. Betrübt starrte sie auf ihre keineswegs mehr elegante Erscheinung.

Langsam ging sie weiter, bis sie zu einer Glastür kam, die sich auf den ersten Blick kaum von den Fenstern unterschied. Sie streckte die Hand nach dem Griff aus.

„Ich würde nicht hinausgehen, ohne das Licht einzuschalten. Die Klippe ist näher, als du glaubst.“

Sie riss die Hand zurück und fuhr herum. Sam stand neben dem Tresen, auf der ihre Aktentasche lag. Er hatte das graue Hemd aus den schwarzen Jeans gezogen und die Ärmel noch weiter aufgekrempelt. Wie immer um diese Zeit hatte er dunkle Stoppeln an den Wangen. Früher hatte er sich zwei Mal am Tag rasiert.

Eindeutig nichts, woran sie in diesem Moment denken sollte.

„Ich wusste nicht, dass du hier bist“, sagte sie überflüssigerweise.

„Bin beim Hereinkommen Janie begegnet. Hätte mir denken können, dass ihr kleines weiches Herz dir nicht widerstehen kann.“

Sollte das heißen, dass sie überhaupt keins hatte? „Deine Schwester hat mir vorgeschlagen, hier auf dich zu warten. Es war nicht meine Idee. Aber da du jetzt zurück bist …“ Mit zwei Schritten war sie bei ihrer Tasche, um den Umschlag herauszuholen und auf dem Tresen zu deponieren. „… kann ich das hier lassen und wieder gehen.“

„Wie willst du das tun? Nach einem Taxi pfeifen?“ Er öffnete den dritten Hemdknopf von oben. Trotz seiner energischen Ausstrahlung wirkte er ungewöhnlich friedfertig.

Selbst Klapperschlangen warnten ihre potenziellen Opfer. Sam nicht. Wenn er attackierte, kam es stets unerwartet. „Was interessiert es dich, wie ich gehe? Ich wollte nur sicher sein, dass du den Ring bekommst.“

„Ja, das ist mir nicht entgangen.“

Sie sah ihn an. „Und?“

„Und ich bin neugierig, was du eigentlich glaubst, was du da tust.“

Zähl bis zehn, Laney. Als sie antwortete, klang ihre Stimme ruhig. „Was ich tue? Du bist der, der all den Leuten gesagt, dass ich seine Frau bin.“

„Das bist du.“

„War, Sam. War. Du erinnerst dich doch wohl noch an unsere Scheidung!“

Er legte den Kopf ein wenig schräg und musterte sie. „Hast du etwa angefangen zu trinken, Delaney?“

Sie ballte eine Hand zur Faust und entspannte sie wieder. „Werd nicht geschmacklos.“ Ihr Bruder war der Alkoholiker in der Familie gewesen. „Es fällt mir ungemein schwer, dich zu fragen, aber könntest du mich zurück zum Castillo House fahren?“

„Warum?“

„Weil ich irgendwo schlafen muss. Und ich würde mich lieber bei Logan und Annie in irgendeiner Ecke zusammenrollen, als auch nur noch eine Minute mit dir zu verbringen.“

„Tu dir keinen Zwang an. Deine schicken Schuhe werden sich wahrscheinlich in ihre Bestandteile auflösen, aber …“

„Du willst mich nicht einmal fahren?“

„Nachdem du mich so nett darum gebeten hast?“ Er schnaubte leise und zog eine Schublade auf. „Hier.“ Er nahm eine kleine Taschenlampe heraus und warf sie ihr zu. „Die wirst du vielleicht brauchen. Hier gibt es keine Großstadtlichter. Möglicherweise ist dir das aufgefallen.“

Sie fing die Lampe auf. „Du bist unmöglich.“

„Da fragt man sich, warum wir beide jemals geheiratet haben, nicht wahr?“

Sie erstarrte und ertrug den Schmerz, bis er ein wenig abklang.

Er fluchte leise. „Das hätte ich nicht sagen sollen.“

Die lebenslange Übung half ihr, das Kinn zu heben und die Schultern zu straffen. „Du hast das Recht, alles zu sagen, was du willst, Sam. Seit wir unverheiratet sind, ist es nicht mehr meine Sache.“

Sie schob die Füße in die Pumps und hätte fast das Gesicht verzogen. Das kam davon, wenn man sich vor einer Reise mehr von modischen als von praktischen Erwägungen leiten ließ. Dann nahm sie die Aktentasche und ging an ihm vorbei und aus dem Haus. Als Delaney die Tür hinter sich schloss, wurde sie von der Nacht verschluckt und fummelte an der Taschenlampe herum. Nach einigen Sekunden gab das Ding einen schwachen Lichtstrahl ab.

Sie richtete ihn auf den Weg und marschierte los. Als sie die Straße erreichte, die nicht viel glatter als das Kopfsteinpflaster war, brannten ihre Füße bereits. Sie hätte schreien können. Angeblich war sie eine intelligente Frau. Wie war sie nur auf die schwachsinnige Idee gekommen, Sam den Ring persönlich zurückzugeben? Sie hätte ihn behalten, irgendwo hinlegen und vergessen sollen.

Als sie über einen Stein in der Straße stolperte und nach vorn fiel, schrie sie auf, ließ Taschenlampe und Aktentasche los und dämpfte den Aufprall mit den Händen.

„Du bist wirklich die halsstarrigste Frau auf diesem Planeten.“

Perfekt. Der Tag war endgültig gelaufen.

Die Tasche war ausgekippt. Ihre Hände brannten. Ihre Fersen brannten. Ihre Augen brannten. Das Einzige, das nicht mehr brannte, war die Taschenlampe. Delaney tastete danach, aber zum Glück lag sie außer Reichweite, sonst hätte sie wahrscheinlich damit auf Sam eingeschlagen.

Sie ließ den Kopf hängen. Gewalt war nie eine Lösung. „Du bist mir gefolgt. Ich hoffe, du hast dich gut amüsiert.“

Er seufzte. „Normalerweise haben wir mehr Mondlicht.“ Er ging vor ihr in die Hocke und hob ihren Kopf an. „Dann hättest du mehr gesehen, selbst mit der billigen Taschenlampe.“

„Offenbar reicht dir das Licht“, sagte sie und zog ihr Kinn aus seiner Hand. „Hattest du deinen Spaß?“

„Delaney …“

„Was?“

Sie hörte ihn wieder seufzen. „Halt den Mund“, sagte er und half ihr auf die Beine.

Sie schwankte. „Ich glaube, die Hacke ist hin.“

„Was?“ Fluchend nahm er sie auf die Arme und steuerte sein Haus an.

Sie erstarrte. „Warte. Meine Aktentasche.“

„Verdammt, Delaney, hast du Angst um irgendein unglaublich wichtiges Ergebnis deiner Arbeit? Ich hole sie, sobald ich dich bei mir abgeliefert habe.“

„Aber ich …“

Er küsste sie zum zweiten Mal an diesem Tag, und sie verstummte vor Schock.

Als er den Kopf hob, atmete er schneller. „Wenigstens gibt es noch eine Methode, dich zum Schweigen zu bringen.“

Sie schloss den Mund, bevor sie ihn auffordern konnte, sie loszulassen.

„Schon besser“, knurrte Sam.

Sie rückte so weit wie möglich von ihm ab. Was nicht sehr weit war, denn ein Arm befand sich unter ihrem Rücken, und die Hand umschloss praktisch eine Brust. Die Position des anderen Arms war auch nicht viel besser. Er war unter ihren Knien und sorgte dafür, dass der Rock immer weiter nach oben rutschte. Sie zerrte daran, aber je mehr sie sich bewegte, desto geringer wurde der Abstand zu Sam. Also begnügte sie sich damit, den Atem anzuhalten, während er mit langen Schritten zum Haus zurückkehrte.

Er trug sie in die Küche und setzte sie auf einen der Hocker am Tresen. „Bleib hier. Ich hole etwas Eis.“

Delaney betrachtete ihre Handflächen. Sie waren rot, zerkratzt und schmutzig. „Ich muss mich erst waschen.“ Sie wollte aufstehen.

„Verdammt, Delaney, würdest du einfach sitzen bleiben?“ Er riss die Kühlschranktür auf.

„Schrei mich nicht an.“ Ihr Blick fiel auf den Beutel mit gefrorenen Erbsen in seiner Hand. „Was … Hast du jetzt etwa Hunger?“

„Mit dem Gefrierbeutel geht es besser als mit Eis.“

Seine Miene war immer schwer zu deuten gewesen, aber in diesem Moment hätte sie schwören können, dass er mit seiner Geduld fast am Ende war.

Nun ja, ihre war auch begrenzt. Vor allem dann, als er eine Hand um ihre Wade legte und sie behutsam anhob. An diesem Tag hatte er sie schon jetzt öfter berührt als im ganzen letzten Monat ihrer Ehe.

„Welche Seite?“

Sie bückte sich, zog den Schuh aus und hielt ihn hoch. „Ich fürchte, der lässt sich auch mit noch so vielen gefrorenen Erbsen nicht mehr reparieren.“

Er betrachtete den Schuh einen Moment lang. „Ich dachte, du meinst deine Hacke.“

„Vielleicht hätte ich lieber Absatz sagen sollen, was? Du … kannst mein Bein jetzt loslassen.“

Er tat es. Hastig. Aber sie fühlte die Berührung noch immer.

Distanz. Distanz war jetzt am wichtigsten.

Sie glitt vom Barhocker und streifte sich den zweiten Schuh ab. Natürlich hatte sie nicht daran gedacht, ein Ersatzpaar mitzunehmen. Sie schlängelte sich an Sam vorbei, ging zum Waschbecken und hielt die Hände vorsichtig unter den Wasserhahn.

„Ich hole deine Aktentasche.“

Wie hatte sie die so schnell vergessen können? Er holte eine stabil aussehende Taschenlampe aus der Schublade, in der auch die andere gelegen hatte. Delaney schluckte ihr Dankeschön wieder herunter. „Lass nichts liegen“, sagte sie gereizt.

„Möchtest du es lieber selbst tun?“

Sie drehte den Hahn zu und riss Küchenpapier von der Rolle neben dem Becken. „Es ist deine Schuld, dass sie hingefallen ist. Wenn du mich einfach zum Castillo House zurückgefahren hättest, wäre das alles nicht …“

„Ich dachte, Schuldzuweisungen verstoßen gegen deine Berufsehre.“

Sie sah ihn an. Plötzlich türmte sich ihre gemeinsame Vergangenheit vor ihr auf. „Janie hat erwähnt, dass dein Vater zurück ist. Er wohnt bei … Etta, hat sie gesagt. Wie geht es dir damit, Sam?“

Sein Gesicht wurde zu einer undurchdringlichen Maske, wie jedes Mal, wenn sie ein Thema angesprochen hatte, das für ihn tabu war.

Es hatte eine Zeit gegeben, da wollte sie ihn nur verstehen. Den Mann, der ihr das Herz gestohlen hatte. Also hatte sie nachgefragt. Behutsam. Voller Hoffnung.

Plötzlich schämte sie sich dafür, dass sie dieses Wissen jetzt benutzte, um sich an ihm zu rächen. Wunde um Wunde.

„Sam, es tut mir leid.“

Aber er war schon fort.

3. KAPITEL

Sie so zu küssen war dumm gewesen.

Sam fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und rieb sich die Augen mit den Handballen. Einundzwanzig Monate. Hatte er es unbedingt sagen müssen? Es klang, als hätte er gezählt.

Er war sogar in die Nacht hinausgegangen, um den Inhalt von Delaneys Aktentasche einzusammeln. Unterlagen. Stifte. Handy. Terminkalender. Ein kleiner Stoffbeutel mit persönlichen Dingen. Als er damit fertig war, juckte es ihm in den Fingern, das ganze Zeug von der Klippe hinter seinem Haus zu werfen. Stattdessen hatte er die Tasche auf die Veranda gestellt und war zurück in den Ort gefahren.

Die Schlägerei am Tresen des Seaspray kam ihm gerade recht. Fast hätte er die beiden angetrunkenen Idioten in die Zelle gesperrt, nur weil es ihm ein gutes Gefühl gegeben hätte.

Natürlich hatte er es nicht getan, sondern die beide nach Hause geschickt und sich auf einen Hocker gesetzt. Das Seaspray war mal ein Motel gewesen, bis ein Sturm es umgerissen hatte. Bisher war nur die Bar wieder aufgebaut worden. Vor allem deshalb, weil der lange Tresen als Einziges heil geblieben war.

Er legte die Hände um den Becher und starrte hinein. Aber er sah nicht den Kaffee, sondern Delaneys Gesicht. Ihren Ausdruck, als er sie küsste. Als er sie seine Ehefrau nannte.

Am anderen Ende wischte sein Bruder Leo die Hocker ab.

„Sam?“

Er hob den Kopf und fluchte. „Bisschen spät für dich, findest du nicht?“

Es sprach für Sara Drakes Gutmütigkeit, dass sie ihn nicht ohrfeigte, als sie auf den Hocker neben seinem glitt. „Dachte mir, ich sehe mal nach, wie es dir geht. Bin an deinem Büro vorbeigefahren und wollte gerade nach Hause, da habe ich deinen Wagen vor diesem Laden gesehen.“

„Du hättest dich nicht bemühen sollen.“

„Vielleicht ist es keine Mühe.“ Ein kurzes Lächeln ließ ihr Gesicht aufleuchten. Sie nickte Leo zu, und er stellte ihr ein Glas Mineralwasser hin, bevor er zu dem kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher auf der anderen Seite des Raums ging.

Sam überlegte, ob er sich bei Sara entschuldigen sollte. Er leerte den Becher. „Ich hätte es dir erzählen sollen.“

„Warum? Es gibt Dinge, die du über mich auch nicht weiß.“ Sie lächelte wieder. „Wenn auch nichts so Wichtiges wie eine Ehe.“

„Du bist zu nett, Sara.“ Er meinte es. Sie war nett.

„Stimmt. Aber ohne einen Mann, der sie ausnutzt, ist all die Nettigkeit reine Vergeudung.“

Sam sah auf. Sie hatte zu Leo hinübergeschaut, während sie sprach. „Erwarte nicht, dass deine Großmutter auch so verständnisvoll ist“, warnte sie und stieß ihn mit der Schulter an, bevor sie die Ellbogen auf den Tresen stellte. „Komisch, ich habe mir dich nie mit einer zugeknöpften Person vorgestellt“, murmelte Sara. „Wie habt ihr euch kennengelernt?“

Zugeknöpfte Person. Die Bezeichnung würde Laney in Rage bringen. Er musste sie sich merken. „Bei einer Ermittlung.“

„Und du willst nicht darüber reden.“

„Nein.“

„Fair genug.“ Sie schwieg einen Augenblick. „Janie hat mir gesagt, dass sie Delaney zu dir gebracht hat. Aber das weißt du vermutlich bereits.“

Er knurrte etwas Unverständliches.

„Müssen wir dein Haus nach einer Leiche absuchen?“

Seine Lippen zuckten. „Noch nicht.“

„Und was tust du hier?“

Er verrückte den Becher. „Wonach sieht es aus?“

„Komm schon, Sam. Du verkündest, dass du heimlich verheiratet warst, und verlässt Annies und Logans Party. Und jetzt, Stunden später, hockst du in einer Bar, die du nicht ausstehen kannst. Hast du sie allein gelassen, oder was?“

„Delaney ist durchaus fähig, selbst auf sich aufzupassen, glaub mir.“ Mehr als fähig sogar. Sie hasste es, abhängig zu sein. Sie brachte jede Menge Vertrauen in ihre Patienten auf, aber hatte sie auch genug in ihn?

Hatte er es verdient? Nein.

Sara musterte ihn. „Na ja.“ Sie stand auf. „Ich bin eine gute Zuhörerin, falls du reden willst.“ Sie wussten beide, dass Sam nur selten über seine Gefühle sprach. „Gieß dem Sheriff nicht zu viel von dem hier ein, Leo!“, rief sie auf dem Weg zum Ausgang. „Das Zeug ist tödlich.“

Sam wartete, bis die Tür sich hinter ihr schloss. „Leo.“ Er hob den leeren Becher.

Sein Bruder zog eine Grimasse, bevor er mit der Kanne zu Sam ging. „Sie hat recht, Mann. Es wird dir leidtun.“

„Mach schon.“

Leo schüttelte den Kopf, gehorchte jedoch und kehrte zu seiner schwarz-weißen Mitternachtsshow zurück.

Sam würgte einen Schluck von dem übelsten Gebräu herunter, das er je getrunken hatte.

„Du solltest ein Bier nehmen“, rief sein Bruder, ohne sich umzudrehen. „Oder Terpentin. Schont den Magen.“

Das war keine gute Idee. Wenn er in diesem Zustand zu trinken anfing, würde er vermutlich erst aufhören, wenn er vergessen konnte, dass Delaney bei ihm zu Hause war.

„Kommst du morgen auch zu Ettas Sonntagsessen?“, holte Leos Stimme ihn aus seinen finsteren Gedanken.

Sam drehte den Becher zwischen den Händen. „Nein.“

„Das wäre das erste Mal, dass du es verpasst, seit du wieder auf der Insel bist.“

„Sie wird es überleben.“

Leo zuckte die Achseln. „Etta verarbeitet dich zu Hundefutter, wenn du dich nicht blicken lässt. Und zwar mit deiner Frau im Schlepptau. Hier spricht sich alles schnell herum. Wundert mich, dass sie noch gar nicht hier ist.“

Auch Sam war darüber ein wenig erstaunt. „Mit Etta werde ich fertig.“ Und Delaney war keine Frau, die sich ins Schlepptau nehmen ließ.

Leo warf einen Blick auf die Uhr. „Hab gehört, sie sieht gut aus.“

„Etta?“

Sein Bruder zeigte ihm einen Vogel. „Hast du sie verlassen oder sie dich?“

„Kommt darauf an, wen du fragst“, erwiderte Sam wahrheitsgemäß und stand auf. „Lass die Haggerty-Jungs ein paar Tage lang nicht mehr herein. Vern sucht Streit, seit er von der Akademie geflogen ist.“

„Ihr Geld ist gut.“

„Aber ihre Manieren nicht. Das nächste Mal zertrümmern sie vielleicht mehr als einige Barhocker.“

Leo nickte. „Wie du meinst. Fahr nach Hause zu deiner Frau und hör auf, mir Vorträge zu halten“, sagte er lächelnd.

Sam ging hinaus.

Fahr nach Hause zu deiner Frau. Was für ein absurder Vorschlag.

Zu absurd, um ihn gleich zu befolgen. Stattdessen kreuzte er langsam die Turnabout Road entlang und betrachtete den schlafenden Ort, für dessen Sicherheit er verantwortlich war.

Nacht etwa acht Meilen auf der einzigen richtigen Straße der Insel hielt er vor seinem Haus. Kein erleuchtetes Fenster hieß ihn willkommen. Er stellte den Motor aus und ließ den Schlüssel stecken. Niemand würde seinen Geländewagen stehlen.

Sam ging durch das dunkle Haus in sein Zimmer und zu der Glastür, die auf die hintere Veranda führte. Delaney hatte die Außenbeleuchtung eingeschaltet, und er konnte sie in einem der Korbsessel sitzen sehen. Es überraschte ihn nicht, dass sie in einer Akte las und sich Notizen machte.

Schweigend stand er da und beobachtete sie. Sie war so schlank wie immer, die übergeschlagenen Beine lang und perfekt geformt. Sein Blick wanderte an ihnen hinab. Die Fußnägel waren rot lackiert. Das war neu. Sie trug das hellblonde Haar offen, und es fiel ihr um die schmalen Schultern. Seit er sie kannte, hatte sie es immer gebändigt. Mit Clips, Nadeln oder Bändern. Er konnte sich noch erinnern, wie er es das erste Mal befreit hatte.

Und jetzt spielte sie entweder ein Spiel, das er nicht verstand, oder sie glaubte tatsächlich, dass sie geschieden waren.

Abrupt schob er die Tür auf, und ihr Kopf fuhr herum. „Du kannst das Gästezimmer haben“, sagte er. „Das Bett ist nicht gemacht.“

Sie klappte die Akte zu und stand auf. Die Brise hob ihr Haar an. „Das habe ich schon. Das Bett gemacht, meine ich.“

„Sehr gründlich von dir.“

„Sieh mich nicht so an. Schließlich hatte ich genug Zeit.“

Er ging auf sie zu. „Es erstaunt mich, dass du dich auf die Veranda getraut hast“, murmelte er. „Sie liegt ziemlich hoch über dem Wasser.“

„Eigentlich ist es eher, als wäre man vom Himmel umgeben“, erwiderte sie kühl.

Natürlich. Sie mochte es nicht, wenn man sie auf ihre Höhenangst ansprach. „Du hast Ringe unter den Augen.“

„Komplimente waren immer deine starke Seite, Sam.“

„Du bekommst noch immer nicht genug Schlaf. Du solltest im Bett nicht so viele Akten lesen.“

„Dein Angebot, im Gästezimmer zu übernachten, nehme ich an. Gleich morgen früh nehme ich die Fähre“, sagte sie.

„Hör mit dem Theater auf, Delaney. Wir sind allein.“

„Theater.“ Sie legte die Stirn in Falten. „Warst du immer so … unfreundlich?“

Fast hätte er gelacht. „Es gab Zeiten, da hast du das anders gesehen.“ Er berührte die Spitzen ihres seidigen Haars.

„Wirklich? Ich kann mich kaum erinnern.“ Sie wich einen halben Schritt zurück.

Er wandte sich ab. „Komm mit. Das Gästezimmer ist gleich gegenüber meinem, aber das hast du bei deiner Suche nach Bettwäsche sicher selbst festgestellt.“

Sie nahm die Aktentasche und folgte ihm hinein. „Ich habe nicht geschnüffelt.“

„Habe ich das gesagt?“

„Du hast es angedeutet.“

Er atmete geräuschvoll aus. „Geh schlafen, Delaney. Und vergiss das mit der Fähre morgen früh.“

„Warum um alles in der Welt sollte ich das tun?“

„Sie fährt sonntags nicht.“

Sie schwieg einen Moment. „Prima.“

Delaney war der einzige Mensch, der dieses Wort für Katastrophen jeder Art verwendete. Er setzte sich auf sein Bett und zog einen Stiefel aus. Geh weg, Laney.

Sie zog die Augenbrauen zusammen. „Versuchst du etwa gerade, mich einzuschüchtern?“

„Indem ich die Stiefel ausziehe?“ Er zog den zweiten aus und ließ ihn zu Boden fallen. „So einfallslos bin ich nicht.“ Doch, genau das war er. Geh weg, Laney.

„Wenn du mich verlegen machst, kannst du die Situation kontrollieren.“

Er erhob sich und begann das Hemd aufzuknöpfen. „So, zum Beispiel.“

„Du bist nicht sehr originell.“

„Und du bist noch hier.“ Er warf das Hemd zur Seite. „Wundert mich nicht. Im Schlafzimmer waren wir am besten.“

„Im Schlafzimmer?“, wiederholte sie spontan. „Meistens hast du …“

„Was?“, fragte er, als sie abbrach. „Gar nicht bis zum Bett gewartet?“ Er machte einen Schritt auf sie zu. Dann noch einen. Sie wich zurück und hielt die Aktentasche wie einen Schutzschild vor sich.

„Erinnerst du dich daran, wie wir …“

Das Telefon schrillte.

Sie zuckte zusammen.

Er dachte daran, es zu ignorieren. Doch das durfte er nicht. Er war der verdammte Sheriff, das einzige Gesetz in einem Ort, in dem es keinen Bürgermeister gab, weil niemand den Job wollte. Er musterte Delaney, als es zum zweiten Mal läutete.

Sie sah blass aus.

Er ging zum Bett zurück und nahm den Hörer ab. „Vega.“ Das leise Rauschen in der Leitung verriet ihm, dass der Anruf vom Festland kam. Also ging es nicht um die Haggertys. „Hallo?“

„Detective Vega?“

Es war eine Weile her, dass man ihn so genannt hatte. „Nicht mehr. Wer ist da?“ Aber er kannte die Antwort, noch bevor der andere Mann antwortete.

„Chad Wright.“

„Ja?“ Sams Stimme war kühl.

Chad räusperte. „Ich bin auf der Suche nach meiner Verlobten.“

Verlobte.

So, so, so.

Sam schob die freie Hand in die Tasche, um sich davon abzuhalten, das Telefonkabel aus der Wand zu reißen. Er drehte sich zu Delaney um. „Und wer soll das sein?“, fragte er, obwohl er wusste, dass es die Frau war, die in seiner Schlafzimmertür stand und ihn misstrauisch beobachtete.

„Delaney natürlich.“ Chad hörte sich ungeduldig an. „Hören Sie, ich weiß, es ist spät. Aber sie hat nicht in ihrem Hotel in San Diego eingecheckt, und auf ihrem Handy habe ich sie nicht erreicht. Sie hat mir erzählt, dass sie mit Ihnen reden will, und ich versuche nur, sie zu finden. Castillo House hat sie schon vor Stunden verlassen. Wissen Sie, ob sie in Turnabout aufgehalten wurde?“

Auf Turnabout. Es ist eine Insel. Idiot. Aber immerhin hatte der Mann ihn angerufen. Sam wusste, wie schwer es ihm gefallen sein musste. „Handys funktionieren hier draußen nicht.“

„Ja, das habe ich mir gedacht. Also? Haben Sie sie gesehen?“

Er hielt Delaney den Hörer hin. „Dein Verlobter möchte dich sprechen.“

Ihre elfenbeinfarbene Haut wurde weiß. Sie schob sich das Haar aus dem Gesicht. „Chad?“

„Bit du mit mehr als einem Typen verlobt?“

Sie antwortete nicht. Ihr Mund wurde schmal. Sie stellte die Aktentasche auf die Kommode neben der Tür und riss Sam den Hörer aus der Hand. Sie kehrte ihm den Rücken zu, kam jedoch nicht weiter. Es war kein schnurloser Apparat, also so gut wie eine Leine.

Sie sprach leise, aber er hörte, wie sie Chad Wright begrüßte. Er konnte den Kerl nicht ausstehen.

Und seine Ehefrau war mit ihm verlobt.

Er setzte sich wieder aufs Bett. Er würde sich nicht aus seinem eigenen Schlafzimmer vertreiben lassen, aber dem einseitigen, gemurmelten Gespräch zuzuhören war mehr, als er sich zumuten wollte.

Das Scheidungsverfahren, das sie vor langer Zeit eingeleitet hatte, war wegen fehlender Unterlagen abgebrochen worden. Sie hätte es erneut versuchen können. Technisch gesehen hatte er sie verlassen. Er war aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Verdammt, er war auf die andere Seite des Landes gezogen. Kein Wunder, dass Chad seine Chance genutzt hatte.

Was ihn allerdings überraschte, war, dass Delaney sich darauf eingelassen hatte. Sie hatte immer behauptet, dass ihre Beziehung völlig unromantisch war.

Als sie auflegte, starrte Sam auf seine Hände und malte sich aus, wie er sie um Wrights makellos gebräunten Hals legte. „Darum geht es also. Du gibst einen Ring zurück, tauschst ihn gegen einen anderen ein.“ Er sah sie an. „Wirst du seinen wenigstens tragen?“

Ihre Augen schimmerten. „Sam …“

„Komm schon, Honey. Heraus mit der Sprache.“

„Nenn mich nicht Honey.“

„Ich schätze, das ist jetzt dem guten Dr. Wright vorbehalten.“

„Ich habe nicht vor, mit dir über Chad zu sprechen.“

„Warum nicht? Ein Mann sollte sich doch nach dem Lover seiner Ehefrau erkundigen dürfen, findest du nicht?“

Ihr Blick wurde erst stürmisch, dann eisig. „Chad ist nicht mein Lover. Und selbst wenn er es wäre, würde dich das nichts angehen, denn ich bin nicht mehr deine Ehefrau!“

Vielleicht würde er diese Szene irgendwann lustig finden. Zum Beispiel, wenn er seit etwa hundert Jahren in der Erde lag.

Er stand auf und legte die Hände um ihre Schultern. Er fühlte, wie sie zusammenzuckte, bevor er sie langsam zur Tür schob. Erst als sie auf dem Flur stand, ließ er sie los und reichte ihr die Aktentasche.

Seiner Ehefrau.

Der einzigen Frau, die er je geliebt und deren mangelndes Vertrauen ihn fast umgebracht hatte.

„Doch“, sagte er fast sanft. „Das bist du.“

Dann schloss er die Tür vor ihrer Nase.

4. KAPITEL

Delaney starrte nur kurz auf die Tür, bevor sie die Aktentasche fallen ließ und die Hand auf den Griff legte.

Doch dann zögerte sie.

Konnte es sein?

Nein, es konnte nicht. Entschlossen drehte sie den Knauf, stieß die Tür auf, brachte es jedoch nicht fertig, Sams Schlafzimmer wieder zu betreten.

Er saß am Fußende des Betts. Vorgebeugt, die Muskeln unter der bronzenen Haut deutlich zu erkennen, die Arme auf die Oberschenkel gestützt. Sie schaute ihm in die dunklen Augen.

„Ich glaube dir nicht“, sagte sie.

Er zog eine Augenbraue hoch. „Das überrascht mich nicht.“

„Was versprichst du dir von der Behauptung? Sie kann so leicht widerlegt werden.“

„Dann tu das, Delaney. Beweis, dass sie falsch ist. Das musst du nämlich, bevor du Wright die ewige Treue schwörst.“

„Halt Chad heraus.“

„Wieso? Wie es aussieht, ist er jetzt offiziell Teil dieses Trios.“ Seine Stimme war spöttisch. „Ob es dir gefällt oder nicht, Delaney, du bist … meine Ehefrau.“

„Ich habe die Papiere, die das widerlegen.“

„Wirklich? Nun ja, ich habe die Papiere, die aussagen, dass das Verfahren wegen fehlender Unterlagen eingestellt wurde.“

„Ich hatte einen Anwalt, Sam. Einen solchen Fehler hätte er nie begangen.“

Er stand auf. „Dann hoffe ich, dass du dich nicht allzu oft auf ihn verlässt.“ Er ging zur Kommode, zog eine Schublade auf und nahm einen dicken Umschlag heraus. „Lies das hier und weine, Liebling.“ Er hielt ihn ihr hin.

Sie glaubte ihm einfach nicht. Er trieb irgendein Spiel mir ihr, aus ihr unerfindlichen Gründen.

Trotzdem betrat sie sein Schlafzimmer und nahm den Umschlag.

„Man braucht nur ein Papier, um zu heiraten, aber einen fingerdicken Stapel, um sich wieder zu trennen.“

Sie ignorierte seinen Kommentar, öffnete den Umschlag und legte den Inhalt auf die Kommode. Es waren genau die Unterlagen, die der Anwalt ihr vor einem Jahr geschickt hatte.

Aber du warst so mit den Nerven am Ende, dass du sie ungelesen in den Schrank gelegt hast, dachte sie.

Ihr Herz klopfte so her, dass es fast schmerzte, als sie das Anschreiben überflog.

Sie musste es zwei Mal tun, bevor die Worte einen Sinn ergaben.

Und als sie es taten, stieg ein mulmiges Gefühl in ihr auf.

Der Richter hatte ihren Antrag abgelehnt, weil nicht alle erforderlichen Unterlagen eingereicht worden waren.

„Aus formalen Gründen abgelehnt“, murmelte Sam. „Passiert in Strafverfahren immer wieder.“

Delaney las den Brief zum dritten Mal. Aber natürlich stand nichts anderes darin als zuvor.

„Warum hast du nichts gesagt?“, fragte sie aufgebracht.

„Wann denn? Bei unserem wöchentlichen Telefongeplauder?“

Seit dem Tag, an dem Sam aus ihrer Wohnung ausgezogen war, hatte sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Bis heute. „Du hättest anrufen können.“

„Du bist die, die den Antrag eingereicht hat, Delaney“, erinnerte er sie, und sein ruhiger, beherrschter Ton machte sie noch wütender. „Nicht ich. Als die Frist, die der Richter für die Nachreichung der fehlenden Dokumente gegeben hat, ablief und nichts passierte, dachte ich, du hättest es dir anders überlegt. Hoffe nur, du hast deinem Anwalt nicht zu viel bezahlt. Nicht, dass du das Geld vermissen würdest. Schließlich steht dir das Bankkonto der Townsends zur Verfügung, aber …“

„Hör auf.“ Sie wirbelte zu ihm herum. Hätte sie den Anwalt ihrer Familie genommen, wäre das alles nicht passiert.

„Schätze, du willst jetzt Wright anrufen.“

Sie zuckte zusammen. Chad. An den hatte sie am allerwenigsten gedacht. „Wir sind noch verheiratet.“

„Ja.“

„Wir sind noch verheiratet.“

„Was soll das werden? Eine Zauberformel, die alles ungeschehen macht? Auf Turnabout gibt es keine gute Fee.“

„Wie schön, dass du es amüsant findest, Sam. Was, wenn ich …“

„Schon mit Wright zum Altar geschritten wäre?“ Er zog einen Mundwinkel hoch. „Hätte dir einen zusätzlichen Titel verschafft und bei deinen Kollegen sicher etwas Aufsehen erregt. Bigam…“

„Stopp!“ Sie stürzte sich auf ihn und trommelte gegen seine Brust. „Kannst du denn gar nichts ernst nehmen?“

Nahezu mühelos hielt er ihr stand. „Ich nehme viele Dinge ernst“, versicherte er ihr. „Nur nicht, dass du Chad Wright heiraten willst. Wie zum Teufel konntest du dich mit ihm verloben? Der Mann gibt dem Wort farblos erst eine tiefere Bedeutung. Er wird dich zu Tränen langweilen.“

„Er ist nicht langweilig, er ist ruhig.“

„Er ist ein Waschlappen und hat keine eigene Meinung.“

„Wir sind uns vollkommen einig.“

„In welcher Hinsicht? Dass ihr Seite an Seite siebzig Stunden in der Woche arbeiten wollt? Verdammt, Baby, das tust du doch schon, ohne mit ihm verheiratet zu sein.“

Sie hatte nicht vor, sich von ihm in eine Diskussion verwickeln zu lassen. „Es hat keinen Sinn, die Vergangenheit aufzuwärmen.“

„Zumal sie nie richtig warm war.“

„Wir haben kommuniziert“, verteidigte sie sich.

„Wir haben uns gestritten und miteinander geschlafen. Zwei Dinge, die wir äußerst gut konnten.“ Er sah auf ihre Lippen. „Kannst du das auch von Wright behaupten?“

Sie spürte, wie ihre Wangen sich röteten. „Ich habe dir bereits gesagt, dass Chad nicht mein Lover ist.“

„Du bist mit ihm verlobt und glaubtest, du könntest ihn heiraten, aber du hast noch nie mit ihm geschlafen? Ihr wart schon Kollegen, als wir beide uns vor vier Jahren kennengelernt haben, und da hast du nie …“ Er schüttelte den Kopf. „Macht dich das nicht ein wenig nachdenklich, Delaney? Ich meine, der Typ steht doch auf Frauen, oder? Verglichen mit dir ist er ein Lamm. Was glaubst du, wie er reagiert, wenn er herausfindet, dass du im Bett eine Raubkatze bist?“

Sie ohrfeigte ihn und starrte entsetzt auf den Abdruck ihrer Hand an seiner Wange.

Er zog einen Mundwinkel hoch. „Und dabei predigst du immer, dass Gewalt nie eine Antwort ist.“

„Du bist abscheulich.“

„Kann sein. Aber ich habe recht, und du weißt es.“

„Was interessiert es dich überhaupt, Sam? Es ist doch nicht so, dass du mit mir verheiratet sein willst. Du hast mich verlassen, schon vergessen? Bist einfach gegangen und hast kaum mehr mitgenommen als die Kleidung, die du trugst. Und du hast nicht nur mich verlassen. Du hast deinen Job verlassen. Meine Güte, du hast sogar den Bundesstaat verlassen. Dass du auf Turnabout bist, habe ich nur erfahren, weil mein Vater sich auf dem Revier nach deiner Nachsendeadresse erkundigt hat.“

Wie erniedrigend das gewesen war. Ihr Vater hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ihr die Schuld an Sams Verschwinden gab.

„Hast mich vermisst, was?“

„Ich gehe zu Bett“, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. „Allein“, fügte sie hinzu, bevor er eine seiner beißenden Bemerkungen machen konnte. „Und morgen früh kehre ich aufs Festland zurück – und wenn ich die Strecke schwimmen muss.“ Sie drehte sich um, ging auf den Flur und knallte die Tür hinter sich zu.

Er war unmöglich. Er war immer unmöglich gewesen. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt, indem sie mit Menschen arbeitete. Sie war überzeugt, dass jeder Mensch es wert war, um ihn zu kämpfen.

Aber Sam war … eben Sam.

Und obwohl sie Psychiaterin war, hatte sie ihn nie verstanden. Ebenso wenig wie sich selbst.

„Unmöglich“, murmelte sie, während sie die Aktentasche aufhob und ins Gästezimmer eilte. Sie verriegelte die Tür hinter sich und wünschte, sie könnte auch ihre Erinnerungen irgendwo einschließen. Sie wollte nicht daran denken, wie sie Sam kennengelernt hatte. Auf der Abschiedsparty für ihren Vater, Captain Randall Townsend. Davor war sie ihm nur vor Gericht begegnet. Als Gutachterin in Alonsos Verfahren. Aber an jenem Abend waren sie sich nähergekommen. Viel näher …

Die Tür vibrierte an ihrem Rücken, und Delaney kehrte jäh in die Gegenwart zurück. Blinzelnd starrte sie auf das Bett, das sie vorhin gemacht hatte. Mit Laken aus dem Flurschrank. Frisch duftende, ordentlich gefaltete Laken. Sie hatte sich gefragt, wer für ihn wusch. Früher hatte er sich nie um so etwas gekümmert.

Es klopfte lauter. Sie drehte sich um und riss die Tür auf. „Was ist?“, fragte sie scharf und funkelte den Mann an, der jetzt vier Jahre älter als bei ihrer ersten Begegnung war. Und zwei Jahre älter als an jenem schicksalhaften Abend, an dem ihr Vater seinen Abschied bei der Polizei von New York City genommen hatte. Aber sein Anblick irritierte sie noch immer. Ob mit oder ohne Hemd. Und er duftete nach einer wilden Meeresbrise.

„Ich habe gefragt, ob du Zahnpasta brauchst.“

Was sie brauchte, war, ihren Geisteszustand untersuchen zu lassen. „Wie?“

„Zahnpasta. Für die kleine Zahnbürste, die du immer in ihrem eigenen Etui mit dir herumträgst.“

„Was soll das, Sam? Streiten wir uns jetzt schon über den Inhalt meiner Kulturtasche?“

„Brauchst du nun die verdammte Zahnpasta oder nicht?“

„Nein.“ In dem kleinen Etui war auch Platz für eine winzige Tube.

„Ordentlich wie immer.“

„Vorbereitet.“ Aber das stimmte nicht. Wäre sie vorbereitet gewesen, hätte sie sich niemals in diese Situation gebracht. „War es das? Oder hast du noch eine Bombe, die du gern auf meine Kosten platzen lassen willst?“

Seine Augen wurden schmal. „Nein.“

In ihr zog sich etwas zusammen, als sie an das Bett hinter ihr dachte. Obwohl sie wusste, dass Sam niemals Gewalt anwenden würde. Das hatte er nie nötig gehabt.

„Hier.“ Er drückte ihr ein Bündel in die Arme. „Damit du nicht frierst.“ Dann drehte er sich um und verschwand in seinem Zimmer.

Sie sah auf die Sachen. Dicke weiße Socken. Ein großes, verblichenes blaues Sweatshirt mit abgeschnittenem Kragen.

Delaney starrte auf seine geschlossene Tür.

Noch verheiratet.

Als würde sie es erst jetzt richtig begreifen, schloss sie mit zitternder Hand die Tür des Gästezimmers und ging zum Bett. Sie presste das Sweatshirt und die Socken an sich, als wären sie eine Schwimmweste.

Die Stimmen, die am nächsten Morgen aus der Küche kamen, hätten Delaney fast dazu gebracht, sich im Gästezimmer zu verstecken.

Sie strich das Haar zurück. In der schwarzen Hose und der weißen Bluse aus ihrer Aktentasche konnte sie sich durchaus sehen lassen, aber dank des abgebrochenen Absatzes war sie barfuß.

Nach kurzem Zögern ging sie weiter. Sam stand am Herd, mit dem Rücken zu ihr.

Er kochte.

Hatte er das inzwischen gelernt oder immer gekonnt? Während ihrer Ehe hatte er nicht einmal Spiegeleier gebraten.

Du bist noch verheiratet.

Sie befahl der leisen Stimme in ihrem Hinterkopf, still zu sein, und war heilfroh, dass ihre Patienten sie nicht sehen konnten. Sie würde jede Glaubwürdigkeit verlieren.

Janie saß am Tresen, neben sich ein kleines Mädchen mit blonden Locken, das fröhlich beobachtete, was Sam gerade anstellte. „Komm schon, Sam“, sagte Janie. „Du darfst Etta nicht enttäuschen. Und April auch nicht. Sie hat sich so auf die Armen Ritter gefreut.“

„Nicht jetzt, Janie.“ Sam drehte sich um und stellte April einen Teller hin. Arme Ritter und Bananenscheiben. Dann schaute er über die Schulter, als wüsste er längst, dass Delaney in der Tür stand. „Kaffee?“

„Ja.“ Sie trat ein. „Danke“, fügte sie hinzu, um vor seinen Besucherinnen nicht allzu unhöflich zu erscheinen.

Er nahm einen Becher vom Haken, füllte ihn und gab ihn ihr. Sie hätten Fremde sein können. Als ob es den gestrigen Tag gar nicht gegeben hätte.

Sie ging um den Tresen herum. Der Kaffee war gut. Das überraschte sie nicht. Sams war immer besser als ihrer gewesen. Kaffee kochen war das Einzige gewesen, was er je in der Küche getan hatte.

Stimmt nicht.

Halt den Mund, Stimme.

Sie glitt auf einen Hocker und lächelte dem kleinen Mädchen zu, das sie neugierig ansah. „Ich bin Delaney“, sagte sie, als niemand sie miteinander bekannt machte.

„Ich bin April. Meine Grandma ist Maisy Fielding.“ Große grüne Augen leuchteten hinter dicken Brillengläsern.

„Sie hat das Gasthaus, von dem ich gehört habe.“

April nickte und schob sich einen Bissen in den Mund. „Sie lässt mich jedes Wochenende mit Janie herkommen, damit Sheriff Sam mir Arme Ritter macht. Wohnst du jetzt bei ihm?“, fragte sie kauend.

Delaney verschluckte sich fast am Kaffee und stellte den Becher vorsichtig ab. Sie wagte nicht, Sam anzusehen. „Ich habe eine eigene Wohnung. In New York.“

April musterte sie noch einen Moment, schaute wieder auf ihren Teller und aß weiter.

„Hier.“ Sam schob ihr einen Teller hin. Arme Ritter. Keine Banane. Er hatte nicht vergessen, dass sie dagegen allergisch war.

Trotzdem war es genug, um einen Holzfäller satt zu machen. „Der Kaffee reicht mir“, protestierte sie.

„Iss.“

„Du meine Güte“, tadelte Janie. „Einsilbige Befehle sind etwas für Hunde.“

Sam ignorierte seine Schwester. „Du bist zu dünn, also iss.“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Besser so?“

Delaney fühlte die Hitze in ihren Wangen, als Janie und April sie ansahen. „Du bist wirklich wortgewandt“, murmelte sie.

April kicherte. Janie verdrehte die Augen.

Delaney griff nach der Gabel, weil ihr Magen knurrte. Ganz bestimmt nicht, weil Sam es ihr befohlen hatte. Sie war nie gut darin gewesen, Anweisungen zu befolgen. Nicht die ihres Vaters. Nicht Sams. Der Einzige, der klug genug war, es nicht von ihr zu verlangen, war Chad.

Und er hatte Sam erzählt, dass sie verlobt waren.

Sie legte die Gabel wieder hin. „Ich muss mir ein neues Paar Schuhe besorgen.“ Und von dieser Insel verschwinden.

„Am Sonntag sind die Geschäfte geschlossen“, sagte April, während sie die letzte Bananenscheibe durch den Ahornsirup schob.

Großartig. „Hat außer Mr Montoya noch jemand ein Boot, mit dem ich zum Festland fahren kann?“

„Nein.“

Delaney schwieg. Sie sah zu Sam hinüber. Er belud gerade den Geschirrspüler. Ein Abbild von Häuslichkeit. Abgesehen von der Dienstmarke am Gürtel und dem Glitzern in den Augen.

„Auf Turnabout ist man ein wenig altmodisch“, erklärte Janie. Sie trug ihren Teller zum Waschbecken, spülte ihn ab und reichte ihn Sam. „Diego Montoya lebt davon. Niemand will ihm Konkurrenz machen.“

„Und wenn es einen Notfall gibt?“

„Deinen kaputten Schuh zu ersetzen ist keiner“, knurrte Sam.

„Das habe ich auch nicht behauptet“, entgegnete Delaney.

Seine Lippen zuckten. Er wusste, warum sie es so eilig hatte, die Insel zu verlassen.

Janie umrundete den Tresen. „Wir sind ungefähr gleich groß. Bestimmt finden wir unter meinen Sachen etwas, das du bis morgen tragen kannst.“

„Ihre Füße sind genauso mager wie der Rest von ihr. Ich fahre sie in den Ort“, mischte Sam sich ein. „Sag Sophie Sheffield, sie soll den Laden aufmachen.“

Den Laden? Heißt das, es gibt nur einen?“

„Man bekommt dort alles von Äpfeln bis Reißverschlüssen.“ Er sah sie an. „Vielleicht keine italienischen Schuhe, aber wir kommen auch ohne zurecht.“

Falls er eine abfällige Bemerkung hören wollte, konnte er lange warten. Und obwohl Delaney wenig Lust hatte, noch mehr von seinen Angehörigen kennenzulernen, beschloss sie, mit Janie zum Haus seiner Großmutter zu fahren. Alles war besser als mit ihm allein zu bleiben. „Danke für das Angebot, Janie. Wenn es dir nichts ausmacht, nehme ich es gern an.“

„Janie, musst du April nicht zu Maisy zurückbringen?“, fragte Sam, ohne mit der Wimper zu zucken.

Janies Blick zuckte von ihm zu Delaney, bevor sie ihn senkte.

Delaney schob die Hände in die Hosentaschen, anstatt Sam den Hals umzudrehen. „Vielleicht können wir ja später zum Laden fahren“, schlug sie vor.

Janie nickte.

„Nicht nötig“, sagte er. „Sophie wird für mich aufmachen.“

Delaney hatte die Zähne so fest zusammengebissen, dass der Kiefer schmerzte. „Schön.“

„Okay.“ Janies Fröhlichkeit klang aufgesetzt. „Komm, April.“

Das kleine Mädchen kletterte vom Hocker. Obwohl es sich in Sams Küche auszukennen schien, zählte es seine Schritte und strich mit den Händen an den Möbeln entlang, um nicht die Orientierung zu verlieren.

Es ist blind, dachte Delaney. Oder fast blind.

„Es war nett, dich kennenzulernen, Mrs Sam.“ April streckte ihr die Hand entgegen.

Sie ergriff sie. „Du kannst mich Delaney nennen.“

Aprils Finger drückten ihre. „Mir gefällt Mrs Sam besser.“ Dann lächelte sie strahlend und folgte Janie hinaus.

„Ich hoffe, du bist zufrieden“, sagte Delaney, als die Haustür ins Schloss fiel. „Du hast deine Schwester in Verlegenheit gebracht.“

Autor

Marie Ferrarella
<p>Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...
Mehr erfahren
Allison Leigh
<p>Allison Leigh war schon immer eine begeisterte Leserin und wollte bereits als kleines Mädchen Autorin werden. Sie verfasste ein Halloween-Stück, das ihre Abschlussklasse aufführte. Seitdem hat sich zwar ihr Geschmack etwas verändert, aber die Leidenschaft zum Schreiben verlor sie nie. Als ihr erster Roman von Silhouette Books veröffentlicht wurde, wurde...
Mehr erfahren
Judy Duarte
<p>Judy liebte es schon immer Liebesromane zu lesen, dachte aber nie daran selbst welche zu verfassen. „Englisch war das Fach in der Schule, was ich am wenigsten mochte, eine Geschichtenerzählerin war ich trotzdem immer gewesen,“ gesteht sie. Als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern, wagte Judy den Schritt zurück auf die...
Mehr erfahren