Bianca Exklusiv Band 255

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KEIN PREIS IST MIR ZU HOCH von WILKINS, GINA
Bei ihrer atemlosen Flucht vor ruchlosen Verbrechern fühlt sich Cloe an der Seite des wundervollen Donovan wie in Abrahams Schoß. Dabei sprechen die Risiken der Wildnis klar gegen sie. Und gegen ihre aufkeimenden Gefühle. Zumal ihre Liebe nicht sein darf …

ZWEI GEGEN DEN REST DER WELT von WILSON, MARY ANNE
Als Steven, der sich in einer abgelegenen Berghütte vor der Mafia versteckt, die anziehende Alicia halb erfroren im Schneegestöber findet, weiß er genau: Sollte der reizende Engel im Schnee je erfahren, wer er wirklich ist, brächte es sie in höchste Gefahr …

DAS HERZ EINER FRAU von FLYNN, CHRISTINE
Nimmt eine so glamouröse Frau wie Ashley ihn überhaupt ernst? Als Bauunternehmer ist Matt Callaway ein Selfmademillionär. Und doch behandelt sie ihn selbst in der Hitze Floridas mit kühler Distanz. Erst ein furchtbarer Hurrikan verändert ihrer beider Leben für immer …


  • Erscheinungstag 27.02.2015
  • Bandnummer 0255
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733124
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Gina Wilkins, Mary Anne Wilson, Christine Flynn

BIANCA EXKLUSIV BAND 255

GINA WILKINS

Kein Preis ist mir zu hoch

Sein Leben würde Donovan für Chloe geben! Diese zauberhafte Frau, mit der er nach ihrer Befreiung aus den Händen skrupelloser Entführer tagelang durch tiefste Wälder und schrecklichstes Wetter flieht. Sie ist so tapfer, so schön – und so unerreichbar! Denn Chloe soll mit seinem besten Freund eine Zweckehe eingehen. Dabei geht es Donovan längst um mehr …

MARY ANNE WILSON

Zwei gegen den Rest der Welt

Erwiese sich Steven im Schneegestöber der Rocky Mountains nicht unverhofft als Retter in höchster Not, Alices Flucht vor den Häschern der Mafia wäre jäh beendet. So aber findet sie Zuflucht in den Armen des unbekannten Schönen. Warum aber lebt er hier? Und wer ist er wirklich? Auch wenn das Herz ihr rät, zu bleiben, entscheidet sich Alice, erneut zu fliehen …

CHRISTINE FLYNN

Das Herz einer Frau

Äußerlich gibt sich die aus bestem Hause stammende Ashley kühl und distanziert. Innerlich aber brodelt ein Vulkan der Leidenschaft in ihr, sobald sie dem attraktiven Matt begegnet. Da sie jedoch auf Schritt und Tritt von Fernsehkameras verfolgt wird, lässt sie sich das nicht anmerken. Und so droht auch der smarte Millionär nie etwas von ihrer Liebe zu erfahren …

1. KAPITEL

Donovan Chance hatte Bryan Falcon, seinem Freund und Arbeitgeber, schon oft einen Gefallen erwiesen. Mehrmals hatte er dabei sogar Kopf und Kragen riskiert. Bisher hatte er sich jedoch nie als Babysitter betätigt. An diesem Sonntagnachmittag Anfang April hatte er es zwar nicht direkt mit einem Baby zu tun, aber trotzdem erinnerte ihn die ganze Sache an das Hüten eines Kindes.

Widerstrebend hatte er zugestimmt, Chloe Pennington, Bryans derzeitige Freundin, von ihrer Wohnung in Little Rock zu Bryans Ferienhaus am Table Rock Lake in Missouri zu bringen. Auf die etwa drei Autostunden mit einer völligen Fremden freute Donovan sich nicht im Geringsten.

Seufzend tastete er nach dem Türgriff. Er schuldete Bryan mehr als eine Gefälligkeit. Darum musste er im Moment seine persönlichen Gefühle zurückstellen.

Die Wohnung befand sich im Erdgeschoss. Reichlich Regen war angesagt, und die Luft war kühl, als Donovan klingelte.

Nach dem Foto, das Bryan ihm gezeigt hatte, erkannte er sofort die Frau, die ihm öffnete. Glattes braunes Haar, zum Pagenkopf geschnitten, große grünbraune Augen, helle Haut, gerade schmale Nase, weicher Mund. Keine Schönheit, aber hübsch. Zur Jeans trug sie ein langärmeliges rotes T-Shirt.

Sie war nicht sein Typ. Die ganze Angelegenheit war für ihn eine Überraschung – und keine angenehme.

„Ms Pennington? Ich bin Donovan Chance, Bryan Falcons Freund und Mitarbeiter“, stellte er sich vor.

Kühl betrachtete sie ihn vom Scheitel bis zur Sohle. „Freund und Mitarbeiter? Meinen Sie nicht eher Laufbursche?“

Das sollte die Frau sein, die Bryan heiraten wollte und die er als reizend, warmherzig, humorvoll und leicht altmodisch beschrieben hatte? Hätte Donovan nicht das Foto gesehen, wäre er überzeugt gewesen, sich in der Tür geirrt zu haben. „Sie sind doch Ms Pennington, oder?“, fragte er sicherheitshalber.

„Ja. Darf ich Sie Donnie nennen?“ Ihr Tonfall war eine glatte Unverschämtheit.

„Auf den Namen werde ich kaum hören.“ Sie war nicht gerade freundlich. Vor Bryan gab sie sich bestimmt nie so. Donovan besaß allerdings viel Erfahrung im Umgang mit schwierigen Leuten und blieb darum ganz ruhig. „Wir sollten aufbrechen. Darf ich Ihr Gepäck nehmen?“

Vom Babysitter zum Pagen. Wenn sich Ms Pennington nicht bald anders benahm, schuldete Bryan ihm nach diesem Unternehmen einen Gefallen, nicht umgekehrt.

„Meiner Meinung nach sollte sich Ihr reicher Chef eine andere für diese lächerliche Vernunftehe aussuchen“, entgegnete sie missbilligend.

Jetzt verstand er gar nichts mehr. Er hatte gedacht, Chloe Pennington wäre bereitwillig auf die überstürzte Werbung seines Freundes eingegangen, weil sie Bryan, sein Geld und seine Macht unwiderstehlich fand. Viele Frauen vor ihr hatten so gedacht. Diese Frau tat jedoch nicht einmal so, als würde sie sich auf die Woche mit Bryan freuen. Glaubte sie ernsthaft, dermaßen geringschätzig mit Bryans engstem Freund sprechen zu können, ohne dass es ihr schadete?

„Wenn Sie so darüber denken, vergessen wir einfach die ganze Sache“, sagte Donovan scharf. „Bryan hat ohnedies keine Zeit für Urlaub, schon gar nicht mit jemandem, der keine Lust hat. Und um ehrlich zu sein, habe ich Wichtigeres zu erledigen, um als Babysitter zu …“

„Grace, ich habe Mrs Callahan in der Waschküche getroffen, und sie hat mich gebeten, dir auszurichten …“ Die Frau in einer Kakihose und einem grünen Sweater blieb stehen, als sie Donovan an der Tür entdeckte. „Ach, sie müssen Donovan Chance sein“, sagte sie verlegen. „Sie sind zeitig da.“

„Ich bin pünktlich“, erwiderte Donovan ziemlich verblüfft.

Sie stellte einen Korb mit frisch gewaschener Wäsche auf die Couch und kam näher. „Tut mir leid, meine Uhr ist wahrscheinlich stehen geblieben. Das hat sie in letzter Zeit öfters gemacht.“

Die beiden sahen einander zum Verwechseln ähnlich. Diese zweite Frau trug das braune Haar nur etwas länger und wirkte auch freundlicher.

„Grace, hast du Mr Chance nicht gebeten einzutreten?“

Grace wich seufzend zur Seite. „Ich hatte ihn fast so weit, dass er ohne dich wegfährt.“

Chloe reichte Donovan die Hand. „Tut mir leid, falls meine Schwester unhöflich war. Ich bin Chloe Pennington, und es freut mich, Sie kennenzulernen, Mr Chance. Bryan hat mir viel von Ihnen erzählt.“

Bryan hatte erwähnt, dass Chloe zusammen mit ihrer Schwester ein Geschäft betrieb. Allerdings hatte er verschwiegen, dass die beiden identische Zwillinge waren.

Donovan drückte Chloe die Hand. „Freut mich ebenfalls, Ms Pennington.“

„Nennen Sie mich Chloe. Meine Schwester Grace kennen Sie ja bereits.“

Donovan hielt Grace’ eisigem Blick stand. „Ja, ich hatte das Vergnügen.“ Sie lächelte ihn daraufhin herausfordernd an.

Chloe betrachtete abwechselnd die beiden und schüttelte den Kopf. „Jetzt bin ich sicher, dass ich mich für meine Schwester entschuldigen muss.“

Donovan achtete nicht weiter auf Grace. „Sind Sie bereit?“, fragte er Chloe, die Auserwählte seines Freundes.

Chloe warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, schüttelte sie, nahm sie schließlich ab und warf sie ihrer Schwester zu. „Könntest du sie bitte in meiner Abwesenheit reparieren lassen?“

Grace fing die Uhr geschickt auf. „Bleib hier und kümmere dich selbst darum.“

„Fang bitte nicht wieder damit an.“ Chloe griff nach dem Wäschekorb. „Fünf Minuten“, sagte sie zu Donovan. „Setzen Sie sich so lange.“

Er nickte und ließ Grace dabei nicht aus den Augen.

„Könntest du mir helfen?“, fragte Chloe ihre Schwester. Vermutlich hatte sie gemerkt, dass er sich in Grace’ Nähe nicht sonderlich wohl fühlte. „Mr Chance macht es bestimmt nichts aus, allein zu warten.“

„Absolut nichts“, versicherte er.

Grace verschränkte die Arme. „Du kommst allein zurecht. Ich leiste Falcons Chauffeur Gesellschaft.“

Donovan hätte ihr das durchgehen lassen, doch Chloe ergriff seine Partei. „Mr Chance ist kein Chauffeur, sondern Manager in Bryans Firma. Und er erweist Bryan einen großen Gefallen, wenn er mich heute fährt, weil Bryan in New York zu tun hat.“

„Manager? Nennt man Botenjungen jetzt so?“

„Grace!“

Donovan winkte ab. „Reden Sie sich alles von der Seele“, forderte er Grace auf. „Welche Beleidigungen wollen Sie mir noch an den Kopf werfen, bevor ich aufbreche?“

Zu seiner Überraschung wurde Grace rot. „Ich sollte mich bei Ihnen entschuldigen. Schließlich erledigen Sie nur einen Auftrag. Eigentlich geht es um meine Schwester. Der müsste man den Kopf zurechtrücken.“

„Dann sind Sie also mit der Verlobung nicht einverstanden?“

„Bryan und ich sind nicht verlobt“, warf Chloe hastig ein. „Wir stehen noch ganz am Anfang unserer Beziehung. Darum wollen wir während der Woche in seinem Ferienhaus über unsere gemeinsame Zukunft sprechen. Es hat uns beide sehr gestört, dass die Presse Wind von der Sache bekam und eine bevorstehende Heirat andeutete.“

„Sind denn Sie mit diesem albernen Arrangement einverstanden?“, fragte Grace.

Donovan zuckte mit den Schultern. „Das geht mich grundsätzlich nichts an.“

„Dann sind Sie also tatsächlich nur Bryan Falcons Angestellter und kein wahrer Freund.“

„Bryan Falcon ist mein bester Freund“, erwiderte er scharf. „Ich mische aber nicht in sein Privatleben ein.“ Hätte Bryan ihn allerdings um seine Meinung gefragt, hätte er ihm geraten, sich die Einheirat in diese Familie gründlich zu überlegen.

„Ich wünschte, sie könnten meiner Schwester beibringen, sich nicht ins Privatleben anderer einzumischen“, bemerkte Chloe.

Donovan bezweifelte, dass Grace Pennington bereit gewesen wäre, sich von ihm irgendetwas beibringen zu lassen. „Wir sollten aufbrechen.“

„Ich beeile mich“, versicherte Chloe. „Komm, Grace!“

Donovan blieb allein zurück und fragte sich, in welchen Schlamassel Bryan sie beide da hineingezogen hatte.

Chloe saß entspannt in dem bequemen Ledersitz des luxuriösen Wagens. Die vorüberziehende Landschaft gefiel ihr. Heute war es kühl, weil es vergangene Nacht ein Gewitter gegeben hatte. Durch die Wärme der letzten zwei Wochen hatten sich jedoch bereits die Blätter an den Bäumen geöffnet. Narzissen und Azaleen blühten.

Chloe liebte zwar die ersten Frühlingsboten, betrachtete jedoch immer wieder verstohlen den Mann am Steuer. Bryan hatte seinen Stellvertreter als stark, schweigsam, unverblümt und notfalls rücksichtslos beschrieben. Außerdem hatte er Donovan Chance den aufrichtigsten, zuverlässigsten und treuesten Freund genannt, den er jemals gehabt hatte. Sie hatte damit gerechnet, in Donovans Nähe befangen zu sein, aber nicht, dass er sie total einschüchtern würde.

Er sah nicht so gut aus wie Bryan – jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Donovans Gesicht war stärker ausgeprägt, mit einem kantigen Kinn und kräftigen Wangenknochen. Die Nase hatte er sich bestimmt in der Jugend gebrochen. Jedenfalls war sie nicht ganz gerade. Die hellgrünen Augen wirkten kühl. Der Mund gefiel ihr, doch bestimmt lächelte er selten.

Donovan trug einen dünnen, cremefarbenen Sweater mit V-Ausschnitt zu einem dunkelblau und beige karierten Hemd und dazu eine dunkelblaue Leinenhose und Halbschuhe. Eigentlich war er mehr der Typ für ein Denim-Hemd, Jeans und Stiefel. Das kastanienbraune Haar war nicht besonders lang und gut gekämmt, doch eine Strähne fiel ihm in die Stirn.

Bei einem anderen hätte sie das jungenhaft gefunden, nicht jedoch bei Donovan Chance. An ihm war absolut nichts jungenhaft.

Da er Bryans bester Freund war, beschloss sie, ihn am besten jetzt gleich besser kennenzulernen. Das war schließlich auch der Grund, warum Bryan sie mit Donovan zum Ferienhaus schickte, obwohl sie allein hätte fahren können.

„Bryan hat mir erzählt, dass er Sie seit der Highschool kennt“, begann sie.

„Ja“, erwiderte Donovan, ohne den Blick von der Straße zu wenden.

„Waren Sie Nachbarn?“

„Nein.“

Gut, dann eben keine Fragen mehr, die man mit ja oder nein beantworten konnte. „Wie haben Sie beide sich kennengelernt?“

Er antwortete erst nach einer Weile. „Vier Jungs haben mich zusammengeschlagen. Bryan hat mir geholfen.“

Chloe versuchte vergeblich, sich den stets makellosen und eleganten Bryan Falcon bei einer Schlägerei vorstellen. Viel eher glaubte sie, dass Donovan es mit vier Angreifern aufnahm. „Haben Sie und Bryan gesiegt?“

„Wir sind beide zusammengeschlagen worden.“

Chloe musste lachen. „Wie schrecklich!“

„Wir haben uns wieder erholt.“ War das eben ein Lächeln gewesen?

„Seither sind Sie und Bryan Freunde?“

Lange Pause. „Ja.“

Chloe seufzte lautlos und stellte sich auf eine lange Fahrt in tiefem Schweigen ein. Sah sie sich eben die Landschaft an.

Es fiel Donovan schwer, auf die Straße zu achten. Die Frau neben ihm lenkte ihn ab. Aus dem Augenwinkel sah er, dass sie durch das Seitenfenster die Gegend betrachtete. Die Hände hatte sie im Schoß fest ineinander verschränkt. Sie wirkte nicht wie eine Frau, die sich mit ihrem Auserwählten in einer romantischen Umgebung treffen wollte.

Wieso war sie auf einen dermaßen geschäftsmäßig nüchternen Antrag eingegangen? Die logische Antwort war, dass es dafür etliche Millionen Gründe gab, alle mit Dollarzeichen versehen.

Nettes Plaudern lag Donovan nicht. Trotzdem ließ er sich etwas einfallen, um sie wieder zum Reden zu bringen. Nur so konnte er sie durchschauen. „Bryan hat mir erzählt, dass Sie im Einzelhandel tätig sind.“

„Ja, Grace und ich betreiben im River Market District von Little Rock einen Laden. Wir haben ihn ‚Mirror Images‘ – Spiegelbilder – genannt, eine Anspielung darauf, dass wir Zwillinge sind. Wir sind auf Dekorationsstücke spezialisiert, hauptsächlich auf ungewöhnliche Spiegel, aber wir führen auch Töpferwaren, Skulpturen, Kerzenleuchter, geschnitzte Holzschatullen und mundgeblasenes Glas. Viele Einzelstücke werden in Handarbeit hergestellt.“

Sie sprach begeistert und liebte offenbar ihre Arbeit. Bryan sagte stets, ein Geschäft könnte nur erfolgreich sein, wenn der Eigentümer Leidenschaft aufbrachte. Wahrscheinlich war Bryan von Chloes Begeisterung für ihren Laden angezogen worden – und von ihrem Lächeln.

Donovan räusperte sich. „Wie läuft das Geschäft? Machen Sie Gewinn?“

„Wir kommen zurecht“, erwiderte sie eine Spur kühler.

Hielt sie ihn für neugierig, oder wollte sie nicht zugeben, dass der Laden kein Geld abwarf? Er wusste, wie schwer es kleine Unternehmen hatten. Die Hälfte machte im ersten Jahr wieder dicht. „Es wird besser laufen, sobald Bryan auf den Plan tritt“, meinte er.

Bryan Falcon war geradezu ein Magier, wenn es darum ging, ein Unternehmen profitabel zu machen. Bestimmt wusste Chloe über die geschäftlichen Fähigkeiten ihres neuen Freundes Bescheid – und über seinen Hang zu zauberhaften Frauen.

Jetzt schlug sie einen eisigen Ton an. „Ich erwarte von Bryan nicht, dass er sich in irgendeiner Weise um mein Geschäft kümmert. Meine Schwester und ich sind absolut in der Lage, es selbst zu führen.“

„Verstehe“, erwiderte er, was jedoch nicht hieß, dass er ihr auch glaubte. Wollte sie behaupten, sie hätte nie an die finanziellen Vorteile einer Ehe mit einem der erfolgreichsten Unternehmer des Landes gedacht?

„Sie denken, dass ich nur an Bryans Geld interessiert bin“, stellte sie fest.

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Nein, gesagt haben Sie es nicht.“ Sie wandte sich ab und zeigte ihm deutlich, dass er sie beleidigt hatte.

Vielleicht sollte er sich entschuldigen, aber er tat es nicht. Erstens waren ihm Entschuldigungen schon immer schwer über die Lippen gekommen, und zweitens dachte er tatsächlich, dass sie sich für Bryans Geld interessierte. Er kannte nur wenige Frauen und Männer, auf die das nicht zutraf. Sogar ihre eigene Schwester hatte behauptet, dass es sich nicht um eine Liebesheirat handelte. Also hatte Chloe andere Gründe, Bryan zu heiraten.

Donovan dachte selbst praktisch und machte Chloe daher keinen Vorwurf. Trotzdem fand er das Arrangement nicht gut. Bryan hätte es verdient, nicht nur seines Geldes wegen geheiratet zu werden.

Nach Donovans Meinung war Bryans letzte gescheiterte Beziehung die Ursache für sein jetziges Verhalten. Die Frau hatte behauptet, nicht sein Geld, sondern ihn zu lieben. Der Schwindel flog auf, als sie von den strengen Bedingungen des Ehevertrags hörte, den Bryans Anwälte aufgesetzt hatten.

Weil Bryan schon mehrmals hintergangen worden war, gab es in seinen Augen nur eine Möglichkeit, wie er sich auf eine Lebenspartnerin verlassen konnte. Von Anfang an musste alles offen festgelegt werden. Er wünschte sich Kinder, die in einer traditionellen Familie mit beiden Elternteilen aufwuchsen. Darum nahm er die Ehe auf die gleiche Weise in Angriff wie ein neues Geschäft – mit Verträgen, Langzeitplanung, kalkulierten Risiken und deutlich umrissenen Vorteilsberechnungen.

Donovan hatte widersprochen, weil man eine Ehefrau nicht mit den gleichen Methoden wie einen Finanzberater auswählte. Bryan hielt jedoch an seinem Plan fest.

Im Februar hatte Bryan nach stundenlangen Besprechungen zufällig Chloes Laden betreten, sich mit ihr unterhalten und anschließend mit ihr im beliebten River Market Pavillon Kaffee getrunken. Rasch stellte er fest, dass Chloe die Frau war, die er suchte und die sich für eine Vernunftehe eignete.

Niemand konnte Donovan vorwerfen, auch nur im Entferntesten romantisch veranlagt zu sein. Bryans Plan wirkte jedoch sogar auf ihn kalt und kalkuliert. Vielleicht würde Bryan eines Tages merken, dass er sich mit weniger zufriedengegeben hatte, als er hätte bekommen können.

Da Donovan nicht die Absicht hatte, Kinder in die Welt zu setzen, war es für ihn einfacher. Er wollte überhaupt nicht heiraten. Seine Beziehungen waren auf kurze Dauer und frei von sämtlichen Bindungen angelegt. So war es am bequemsten.

Sie waren nun schon eine Stunde unterwegs, aber Chloes Haltung war unverändert steif.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Donovan. „Macht Sie vielleicht mein Fahrstil nervös?“

„Natürlich nicht“, antwortete sie und sah ihn an. „Sie sind ein sehr guter Fahrer. Ich bin überhaupt nicht nervös.“

Das war eindeutig gelogen. „Sie wirken leicht verspannt.“

„Es geht mir gut.“ Sie hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. „Was genau machen Sie eigentlich in Bryans Unternehmen?“

„Was immer er von mir verlangt.“

„Zum Beispiel, mich heute zu begleiten?“

Da die Antwort auf der Hand lag, schwieg er.

Sie versuchte es erneut. „Sie waren in den letzten Monaten im Ausland. In Italien, wenn ich mich recht erinnere.“

„In Venedig. Fast drei Monate.“

„Das war bestimmt sehr schön.“

„Es war geschäftlich.“

„Sie haben sich doch sicher Zeit für Besichtigungen genommen“, meinte sie und drehte sich zu ihm.

„Selten“, räumte er ein. „Ursprünglich sollte ich nur zwei Wochen bleiben, aber dann wurde ich aufgehalten. Ich habe mich bemüht, sämtliche Probleme so schnell wie möglich zu lösen, um in die Vereinigten Staaten zurückkehren zu können.“

„Die Familie hat Ihnen gefehlt, nicht wahr?“

„Ich habe keine Familie, aber jede Menge Arbeit hat auf mich gewartet.“

„Verstehe“, sagte sie und blickte wieder nach vorne.

Bryan wollte bestimmt, dass er Chloe unterhielt. Daher überlegte Donovan, was er über die Zeit in Venedig erzählen konnte. „Das Essen war gut.“

„Ja, das glaube ich.“

„Die Sonnenaufgänge waren auch schön“, fuhr er fort. „Ich hatte einen Balkon, auf dem ich morgens Kaffee trank und Zeitung las.“

„Das muss großartig gewesen sein“, antwortete sie begeistert. „Ich wollte schon immer reisen und mir Orte ansehen, über die ich nur gelesen habe.“

„Wenn Sie Bryan heiraten, können Sie so viel reisen, wie Sie wollen.“

„Falls ich ihn heirate“, verbesserte sie ihn.

„Wenn man den Klatschjournalisten glaubt, ist alles schon geregelt.“ Er nahm an, dass die Gerüchte stimmten. Warum sollte sie einen Multimillionär, der ihr alles bot, nicht heiraten?

„Daran kann ich mich einfach nicht gewöhnen“, meinte sie geringschätzig. „Dass die Zeitungen über mich schreiben, meine ich.“

Geld zog eben die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich, obwohl Bryan stets versuchte, sein Privatleben abzuschirmen. Wahrscheinlich hatte jemand die Zeitungen über Chloe informiert. Das war einer der Gründe, aus denen Bryan ihn gebeten hatte, Chloe zu begleiten. Bryan fürchtete, Chloe könnte durch den Presserummel abgeschreckt werden. Donovan hatte damit kein Problem. Reporter warfen einen Blick auf ihn und steckten hastig die Notizblöcke weg.

„Einer dieser Reporter hat mich Zoe genannt“, bemerkte Chloe. „Ein anderer hat behauptet, Bryan würde sich nicht mit mir, sondern mit Grace treffen.“

„Ihre Schwester hat sich wohl kaum darüber gefreut, dass ihr Name mit Bryan in Verbindung gebracht wurde“, entgegnete er.

„Nein, sicher nicht.“

„Was hat sie eigentlich gegen Bryan?“

„Es geht nicht direkt gegen ihn. Sie fürchtet lediglich, dass ich einen Fehler begehe. Grace vertraut nur schwer anderen Menschen und vor allem reichen und mächtigen Männern. Sie ist überzeugt, dass ich verbittert und gedemütigt werde. Im Gegensatz zu gewissen anderen Leute weiß meine Schwester, dass ich von der Ehe mehr als finanzielle Sicherheit erwarte. Und sie glaubt nicht, dass Bryan meine Wünsche erfüllen wird.“

„Und wieso nicht?“

„Sie denkt, Bryan würde mir etwas vormachen und hätte gar nicht die Absicht, eine Familie zu gründen.“

„Bryan hält stets sein Wort.“

„Sie stehen eisern zu ihm, nicht wahr?“

Auch darauf schwieg er, weil sie nie begreifen würde, wie viel er Bryan schuldete. Außerdem ging es sie nichts an.

Erneut versanken sie in tiefes Schweigen. Donovan wusste nicht mehr, was er sagen sollte, und Chloe hatte sich endlich etwas entspannt.

2. KAPITEL

Nach etwa zwei Stunden Fahrt deutete Donovan auf eine Raststätte an der Straße. „Wir haben ungefähr Halbzeit. Ich würde gern etwas trinken. Was ist mit Ihnen?“

„Ja, etwas Kaltes wäre gut“, erwiderte Chloe.

Er blinkte und sah automatisch in den Rückspiegel. Ein großer Pick-up mit viersitzigem Fahrerhaus war direkt hinter ihm. Danach kam ein blauer Minivan, der ebenfalls blinkte. Das war nicht überraschend, weil es bis zur nächsten Raststätte weit war.

Da Donovan nicht tanken musste, fuhr er auf den Parkplatz neben dem kleinen Laden. Die einzige freie Stelle lag im Schatten. Heute war es nicht besonders kalt. Trotzdem fröstelte er, als er den Motor abstellte. Da er gelernt hatte, sich auf solche Gefühle zu verlassen, sah er sich vorsichtig um, ehe er die Tür öffnete. Alles wirkte harmlos – zwei ältere Wagen, mehrere Pick-ups und der Minivan parkten bei der Tankstelle.

„Sind Sie auch mein Leibwächter?“, fragte Chloe.

„Wieso fragen Sie?“

„Sie sehen sich vorsichtig um – wie ein Geheimagent in einem Hollywoodfilm.“

„Ich bin kein Leibwächter“, entgegnete er knapp. „Wollen Sie mit hineinkommen oder hier draußen warten?“

Sie öffnete schon die Tür. „Ich komme mit.“

Er ging hinter ihr um das Gebäude herum zur Vorderseite.

„Entschuldigen Sie mich“, sagte Chloe, betrat den Laden und eilte zu den Waschräumen.

Donovan trat ans Kühlregal, das die ganze Wand einnahm, und behielt die Tür zu den Waschräumen unter Beobachtung. Dabei wusste er nicht, warum er plötzlich so unruhig war. Vielleicht lag es an der ganzen Situation.

Chloe kam wieder zu ihm, nahm sich eine Diätcola und ging mit ihm zur Kasse.

„Ich bezahle“, sagte er, als sie die Handtasche öffnen wollte, und bei seinem Ton verzichtete sie auf Widerspruch.

Eine Wolke schob sich vor die Sonne, sobald sie ins Freie traten. Auf dem Parkplatz wurde es dunkel, und der Wind frischte auf. Donovan schob sich näher an Chloe heran.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte sie neugierig.

Natürlich verhielt er sich unsinnig. Hier handelte es sich nicht um ein Unternehmen, bei dem er auf jedes Geräusch und jeden Schatten achten musste. Er brauchte nicht zu fürchten, Bewaffnete könnten plötzlich auftauchen. Er spielte lediglich für einige Stunden den Begleiter von Bryans Freundin. Das hätte er sich zwar nicht freiwillig ausgesucht, aber es war bestimmt nicht gefährlich.

Der Urlaub begann nicht gerade vielversprechend, stellte Chloe fest. Wenigstens hatte sie mit Bryan nicht die gleichen Probleme wie mit seinem Freund. Im Gegenteil, sie und Bryan hatten sich von Anfang an wie gute Freunde unterhalten.

Im Lauf der nächsten Tage wollte sie jedoch davon wegkommen, in Bryan einen guten Freund und keinen möglichen Liebhaber zu sehen. Er war attraktiv, umgänglich, intelligent, amüsant und sehr aufmerksam. Was wünschte sich eine Frau mehr? Sobald sie ungestört waren, entwickelte sich ihre Beziehung bestimmt weiter.

Sie erwartete in einer Ehe keine glühende Leidenschaft. Sie rechnete nicht damit, sich Hals über Kopf zu verlieben, und ihr Mann sollte sie auch nicht blindlings verehren. Bisher war sie nur enttäuscht worden, wenn sie auf romantische Liebe hoffte. Jetzt gab sie sich mit Sicherheit, Respekt, Zuneigung und vor allem mit Kindern zufrieden. Bryan hatte sie fast schon überzeugt, dass er sich das Gleiche wünschte. Wieso verstand Grace nicht, wie verlockend dieses Angebot klang?

Was Donovan anging … Chloe warf dem Mann mit dem ernsten Gesicht wieder einen verstohlenen Blick zu. Er war eindeutig dagegen. Hielt er sie wirklich für eine Goldgräberin, oder störte ihn wie Grace die geschäftsmäßige Art, in der sie und Bryan die Sache angingen? Donovan hatte bestimmt keine romantischen Vorstellungen von Liebe und Ehe. Höchstwahrscheinlich nahm er an, dass sie hinter Bryans Geld her war.

Nun, das war Donovans Problem. Sie machte sich nicht die Mühe, ihm ihre Motive zu erklären. Erstens ging es ihn nichts an, und zweitens hätte er ihr ohnedies nicht geglaubt.

„Wie weit ist es noch bis zu Bryans Ferienhaus?“, fragte sie.

„Ungefähr eine Stunde.“

„Wird er uns dort erwarten?“

„Er wollte ungefähr zur selben Zeit wie wir eintreffen, höchstens eine Stunde später, falls es in New York länger dauert.“

„Bleiben Sie bei uns?“

Er warf ihr durch die Sonnenbrille, die er aufgesetzt hatte, einen Blick zu. „Keine Angst, ich werde Ihre Pläne nicht stören, sondern fahre gleich zurück.“

Chloe war erleichtert, als Donovan vom Highway auf eine gewundene Landstraße abbog, die zum Table Rock Lake führte. Die Gegend wurde mit jedem Kilometer einsamer. Eigentlich war es von ihr ziemlich leichtsinnig, so ganz allein mit diesem schweigsamen Mann zu sein, den sie erst heute kennengelernt hatte. Bryan hatte ihr jedoch versichert, dass sie bei Donovan absolut sicher war, und sie vertraute Bryan, sonst hätte sie nicht zugestimmt, eine Woche mit ihm zu verbringen.

Da Bryan sich mit nichts Zweitklassigem zufriedengab, hatte sie schon damit gerechnet, dass sein Ferienhaus schön war. Es übertraf ihre Erwartungen jedoch bei Weitem. Es war ein großes Gebäude aus Steinen und Redwood mit großen Fenstern, Terrassen und Balkonen. Dicht bewaldete Hügel umgaben es, und hinter dem Haus schimmerte der See. Es wirkte geschmackvoll, einladend und teuer. Chloes Familie war zwar nicht arm, aber ein solches Haus hätte sie sich nicht leisten können.

„Sieht so aus, als wäre Bryan noch nicht hier“, bemerkte Donovan und stellte den Motor ab. „Er kommt aber bestimmt bald.“

Auf einmal zögerte Chloe. Vielleicht lag es an der unerfreulichen Zeit, die sie mit Bryans Freund verbracht hatte, oder daran, dass ihr bewusst wurde, was sie plante. Hier ging es nicht um ein Essen und einen Film, auch nicht um einen Abend im Konzert, worauf Bryan und sie sich bisher beschränkt hatten. Sie sollte eine ganze Woche mit ihm verbringen. Die Tage und die Nächte.

Natürlich wollten sie hauptsächlich über die Zukunft sprechen, doch alle Warnungen ihrer Schwester fielen ihr wieder ein. Ironischerweise machte es sie jedoch nicht nervös, dass Bryan es mit der Heirat angeblich gar nicht ernst meinte. Sie war überzeugt, dass er es ernst meinte – und genau das machte sie nervös.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Donovan.

„Nein, alles in Ordnung“, versicherte sie.

Am liebsten wäre sie sofort heimgefahren. So sehr sie sich eingeredet hatte, dass es für eine Ehe vernünftigere Gründe gab als Liebe, sehnte sie sich doch nach einem wahr gewordenen Märchen. Sie wünschte sich alles. Wieso sollte sie sich mit weniger zufriedengeben?

Donovan betrachtete sie eingehend durch die Sonnenbrille. „Überlegen Sie es sich schon anders?“

„Natürlich nicht“, entgegnete sie und öffnete die Tür. „Ich habe nur die Landschaft bewundert.“

Er wirkte nicht überzeugt, doch sie bemühte sich nicht weiter um ihn. Bevor sie es sich doch anders überlegte, stieg sie aus.

Noch hatte sie sich nicht an Bryan gebunden, und er hatte versprochen, sie nicht zu bedrängen. Darauf verließ sie sich. Wer weiß, vielleicht verliebte sie sich in den nächsten Tagen ja wirklich in ihn. Es waren schon ganz andere Dinge geschehen.

Donovan stellte rasch fest, dass Chloe für eine Frau, die seinen Freund Bryan hereinlegen wollte, keine gute Schauspielerin war. Sie konnte ihre Reaktion auf das Ferienhaus nicht verbergen. Und diese reichte von beeindruckt bis leicht eingeschüchtert, als sie durch den Wohnraum mit der riesigen Fensterwand, die Treppe hinauf und einen Korridor entlang zur Gästesuite gingen.

Die luxuriöse Gästesuite lag am Ende des Korridors. Bryan hatte behauptet, mit Chloe in erster Linie ernsthaft über die Zukunft sprechen zu wollen. Donovan bezweifelte allerdings, dass Chloe die ganze Zeit in der Gästesuite schlafen sollte.

„Stimmt etwas nicht?“

Erst jetzt merkte er, dass er in der Tür stehen geblieben war. „Ich wollte nur fragen, ob Sie mit diesem Zimmer zufrieden sind, bevor ich das Gepäck abstelle“, schwindelte er.

Sie sah sich in dem Wohnzimmer der Suite, von dem aus man das große Schlafzimmer erreichte, um und betrachtete die erlesenen Antiquitäten und die anderen bequemen Möbelstücke. „Es ist sehr schön.“

Vielleicht war sie nervös und klang deshalb nicht gerade begeistert. „Ich stelle alles neben das … Bett“, sagte er und ärgerte sich, weil er über das Wort stolperte.

Sie nickte und hielt die Reisetasche fest, als hätte sie Angst, er könnte sie ihr wegnehmen.

Donovan ließ sie allein zurück, ging nach unten in die Küche, holte eine Dose Limonade aus dem Kühlschrank, öffnete sie und trank durstig. Hoffentlich tauchte Bryan bald auf, damit er verschwinden konnte.

Wie auf Stichwort klingelte das Telefon. „Donovan Chance“, meldete er sich.

„Ich war mir nicht sicher, ob ihr schon eingetroffen seid“, erwiderte Bryan. „Ich habe es auf deinem Handy versucht. Hast du es nicht eingeschaltet?“

Donovan fasste an den Gürtel. „Ich habe es im Wagen vergessen.“

„Du hast doch unterwegs keine Probleme gehabt? War das Wetter gut?“

Es sah Bryan nicht ähnlich, sich mit solchen Kleinigkeiten aufzuhalten. „Wo bist du? Wann kommst du her?“ Als sich sein Freund nur räusperte, drängte Donovan: „Was ist los?“

„Es ist mir etwas dazwischengekommen, D.C. Ich schaffe es heute nicht mehr.“

„Verdammt, du bist noch in New York?“

„Ja. Seit heute Morgen läuft alles schief, und ich war voll damit beschäftigt, den Schaden zu begrenzen. Darum rufe ich auch erst jetzt an. Ich hatte gehofft, mich am späten Nachmittag verdrücken zu können, aber ich komme frühestens morgen Mittag weg. Wahrscheinlich bin ich abends bei euch.“

„Und was soll ich so lange mit deinem Gast machen? Soll ich sie allein lassen?“

„Das wäre nicht so gut.“

Donovan seufzte.

„Sieh mal, ich weiß, dass es dir anders lieber wäre, aber …“

„Ich habe Arbeit! Kannst du nicht schon heute Abend fliegen, und ich kümmere mich in New York um alles?“

„Leider nein. Glaube mir, Donovan, es geht nicht. Ich würde lieber mit Chloe Pläne schmieden, als mich hier mit Childers herumzuschlagen. Sie hat die lange Fahrt auf sich genommen, und ich tauche nicht auf. Das ist mir höchst unangenehm. Hoffentlich ist sie nicht allzu böse auf mich.“

„Sie wird es überleben.“ Donovan lenkte ein und war einverstanden, weitere vierundzwanzig Stunden als Babysitter zu fungieren.

„Wie findest du Chloe? Ist sie so, wie ich sie dir beschrieben habe?“

„Ja, sie ist nett.“

Bryan schwieg einen Moment. „Hast du Schwierigkeiten mit ihr?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Aber ich merke, dass dich etwas stört. Worum geht es?“

„Es ist nichts. Ich habe nur soeben überlegt, wie ich sie unterhalten soll, bis du herkommst. Schließlich ist sie nicht auf einen netten Urlaub mit mir eingestellt.“

„Leiste ihr einfach Gesellschaft, geht spazieren oder fahrt mit einem Boot. Du könntest Steaks grillen. Im Fernsehzimmer findest du eine große Auswahl an Filmen auf DVD. In der Bibliothek stehen die neusten Bücher. Wenn gar nichts mehr bleibt, gibt es immer noch Scrabble oder Monopoly, obwohl du nicht gern spielst.“

„Wir schaffen das schon“, bestätigte Donovan seufzend.

„Ganz sicher. Trotz deiner eigenen augenfälligen charakterlichen und wesensmäßigen Mängel wirst du dich bei Chloe wohlfühlen. Vielleicht war sie während der Fahrt nervös. Freund, sieh den Tatsachen ins Auge! Du hast schon wesentlich härtere Typen als sie eingeschüchtert. Sobald sie sich in deiner Nähe entspannt, wirst du feststellen, wie interessant und amüsant sie ist. Vergiss nur nicht, dass sie bereits vergeben ist.“

„Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“ Donovan konnte keinen Moment vergessen, dass sie seinen Boss heiraten würde.

„Dann sollte ich Chloe jetzt gestehen, dass sie mich heute Abend nicht sieht.“

„Sie ist in ihrem Zimmer und packt aus. Ich hole sie.“

„Danke, D.C. Dafür stehe ich in deiner Schuld.“

„Und ob“, murmelte Donovan und legte den Hörer auf die Theke. „Bis zur Halskrause.“

Zu spät sah Chloe ein, dass sie auf ihre Schwester hätte hören sollen.

In einem Nachthemd aus grünem Satin und einem Hausmantel aus dem gleichen Material trat sie auf dem Balkon der Gästesuite. Es war ein schöner und milder Abend. Der Mond stand fast voll am Himmel. Chloe stützte sich auf das Geländer und betrachtete die dunklen Hügel und den schimmernden See. Es war eine Nacht für Liebe und Romantik, doch sie war und blieb allein und wünschte sich in ihre schlichte Wohnung in Little Rock zurück.

Grace hatte von Anfang an behauptet, dass der Urlaub nicht wie erwartet verlaufen würde. Nun behielt sie recht.

Bryan hatte sich vielmals dafür entschuldigt, dass er sie versetzte. Alles ging seither schief. Vielleicht hatte das jedoch schon früher angefangen, nämlich als sich Donovan Chance und ihre Schwester dermaßen feindselig in ihrem Wohnzimmer gegenübergestanden hatte.

Bestimmt wäre es anders gelaufen, hätte Bryan sie abgeholt und wäre er mit ihr hierher gefahren. Stattdessen blieb ihr nichts anderes übrig, als an ihn zu denken. Sonderbarerweise wurde sein Bild von einem anderen überlagert – schwarzes Haar und blaue Augen wurden zu kastanienbraun und hellgrün.

Vermutlich dachte sie an Donovan nur, weil sie heute viel Zeit mit ihm verbracht hatte. Mehr war es nicht, weil sie ihn nicht einmal besonders mochte. Während des Abendessens war es ihr schwergefallen, sich mit ihm zu unterhalten, weil er nur einsilbig antwortete.

Das Hauptproblem war, dass sie sich auch nicht danach sehnte, mit Bryan zusammen zu sein, obwohl er unterhaltsamer und umgänglicher als sein Freund war.

Chloe seufzte.

„Träumen Sie von jemand Bestimmten?“, fragte eine tiefe Stimme unter ihr.

Erschrocken blickte sie nach unten. „Donovan?“

Er tauchte unter einem Baum auf und geriet in den Bereich eines Sicherheitsscheinwerfers mit Bewegungsmelder. In dem grellen Licht wirkte sein Gesicht noch kantiger und stärker ausgeprägt. Anstelle der konservativen Kleidung trug er jetzt einen schwarzen Pullover zu einer schwarzen Jeans.

„Was machen Sie da unten?“ Sie hatte angenommen, er würde längst schlafen.

„Ich kontrolliere das Gelände.“

„Sie arbeiten also auch im Sicherheitsdienst?“

„Können Sie nicht schlafen?“, fragte er, ohne auf die Frage einzugehen.

Sie stützte sich aufs Geländer. „Ich war wohl doch nicht so müde, wie ich dachte.“

„Möchten Sie spazieren gehen?“

„Danke, aber es gehört wirklich nicht zu Ihrer Arbeit, sich um mich zu kümmern.“

„Doch. Ich habe Bryan versprochen, Ihnen die Langeweile zu vertreiben, bis er eintrifft.“

„Ich langweile mich nicht im Geringsten“, entgegnete sie ziemlich kühl, weil er so tat, als wäre sie ein quengeliges Kleinkind, das er versorgen musste. „Ich gehe jetzt zu Bett“, fügte sie hinzu und wich einen Schritt vom Geländer zurück. „Bis morgen Früh.“

Er nickte. „Rufen Sie, wenn Sie etwas brauchen.“

„Das ist bestimmt nicht nötig.“ Es gab für sie überhaupt keinen Grund, nachts nach Donovan Chance zu rufen.

Als sie das Schlafzimmer betrat und die Balkontür hinter sich die schloss, bekam sie eine Gänsehaut wie bei einer Vorahnung. Das bestärkte sie in der Überzeugung, dass der Aufenthalt in diesem Haus für sie nicht gut war.

Ja, sie hätte tatsächlich auf ihre Schwester hören sollen.

3. KAPITEL

Donovan brauchte nie viel Schlaf, und in dieser Nacht hielt ihn zusätzlich das Gefühl wach, dass etwas nicht stimmte. Weil er sich meistens auf seinen Instinkt verlassen konnte, hatte er überprüft, ob alle Türen verschlossen waren, und er hatte auch das Gelände kontrolliert. Alles war in Ordnung. Wahrscheinlich kam es nur von der ungewöhnlichen Situation, in der er sich befand.

Er freute sich schon darauf, wenn er Chloe Pennington an Bryan übergeben konnte. Das heißt, er sollte sich darauf freuen. Mittlerweile begriff er jedoch, was Bryan an ihr anziehend fand. Wäre sie nicht schon von seinem Freund mit Beschlag belegt worden, hätte er sich vielleicht selbst um sie bemüht. Wegen Bryan kam das natürlich nicht infrage.

Mit der geplanten Ehe war er nach wie vor nicht einverstanden. Zwar glaubte er nicht mehr, dass Chloe hinter Bryans Geld her war, doch er bezweifelte, dass sie besonders viel für seinen Freund empfand. Beim Abendessen hatte sie einen warmherzigen Ton angeschlagen, wenn sie über Bryan sprach, aber es hatte sich angehört, als wäre von einem flüchtigen Bekannten die Rede.

Chloe wollte Bryan bestimmt nicht aus Liebe heiraten. Bryan seinerseits suchte auch keine Liebesbeziehung. Donovan hielt ebenfalls nichts von romantischer Liebe. Trotzdem sollte es seiner Meinung nach in einer Ehe mehr als Kameradschaft geben.

Unruhig wälzte er sich in dem Bett, in dem er bei seinen häufigen Besuchen in diesem Haus geschlafen hatte. Er sollte sich aus Bryans Heiratsplänen heraushalten. Was wusste er schon über die Ehe? Seine Eltern hatten aus Liebe geheiratet, und es war katastrophal gelaufen. Bryans Eltern konnten einander nicht leiden, hatten sich jedoch im Verlauf von vierzig Jahren arrangiert und waren noch immer zusammen. Wenn Bryan sich auch eine emotionsfreie Vernunftehe wünschte, war das allein seine Sache.

Donovan drehte sich erneut auf die andere Seite und versuchte, nicht mehr an Probleme zu denken, an denen er ohnedies nichts ändern konnte.

Doch dann erinnerte er sich daran, wie Chloe im Mondschein auf dem Balkon gestanden hatte. In den weiten fließenden Gewändern war sie so schön gewesen, dass es einem Mann den Atem verschlug.

Donovan war schlecht gelaunt. Chloe hatte keine Ahnung, ob er zu wenig geschlafen hatte oder sich langweilte. Jedenfalls fauchte er sie ständig an, seit sie in die Küche gekommen war. Obwohl sie zeitig aufgestanden war, hatte er schon Kaffee gemacht und das Frühstück vorbereitet.

„Hoffentlich mögen Sie Haferbrei“, hatte er gesagt. „Viel mehr kann ich nicht kochen.“

„Ich mag Haferbrei“, hatte sie zurückhaltend geantwortet.

„Gut.“

Seither hatte er keinen vollständigen Satz mehr geschafft.

Als sie das Geschirr in die Spülmaschine räumte, war es erst neun Uhr. „Wann wollte Bryan hier sein?“

„Wusste er nicht genau. Später Nachmittag, früher Abend.“

Was sollte sie bis dahin machen? Sie hatte Bücher eingepackt, doch es wäre unhöflich gewesen, sich in ihr Zimmer zurückzuziehen. Doch vielleicht wäre Donovan das sogar lieber gewesen, weil er sich dann nicht um sie kümmern musste.

„Der Tag ist trotz des bewölkten Himmels schön“, sagte er. „Soll ich Ihnen alles zeigen? Wahrscheinlich werden Sie oft hier sein. Es ist Bryans bevorzugter Zufluchtsort.“

Er ging eindeutig davon aus, dass sie Bryan heiratete, obwohl sie sich noch nicht entschieden hatte. „Also gut, ich möchte gern alles sehen.“

„Holen Sie sich eine Jacke“, meinte er mit einem Blick auf ihr rotes T-Shirt, das sie zur Kakihose angezogen hatte. „Es ist etwas kühl.“

Bei seinen Worten dachte sie daran, wie sie letzte Nacht auf dem Balkon gestanden und Donovan sie vom Garten aus angesehen hatte. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. „Ich bin gleich bereit.“

Wenigstens lenkt mich eine Besichtigung ab, dachte sie, während sie anstelle einer Jacke eine dicke Denim-Bluse anzog. Wahrscheinlich war sie sich Donovans Nähe so bewusst, weil sie stundenlang auf engstem Raum zusammen gewesen waren – zuerst in seinem Wagen und dann in diesem Haus. Im Freien war das bestimmt nicht so schwierig.

Donovan wartete an der Hintertür. Auf eine Jacke hatte er verzichtet. Der langärmelige schwarze Pullover und die schwarze Hose waren ihm warm genug. Chloe warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Gut, dass er sie gestern nicht in diesem Aufzug abgeholt hatte. Ihre überängstliche Schwester hätte sich vermutlich vor die Tür geworfen, damit sie nicht mit diesem einschüchternden Fremden wegfuhr. In Schwarz wirkte Donovan Chance geradezu gefährlich.

Das Gelände rings ums Haus war wunderschön angelegt und so gehalten, dass nicht viel Pflege erforderlich war. Die Wege zwischen den Bäumen und Blumenbeeten waren mit Kies und Rindenmulch betreut. Von mehreren Sitzplätzen aus hatte man einen herrlichen Blick auf den See. Schattige Lauben, sonnenbeschienene Freiflächen, Brunnen, Wasserfälle, Vogeltränken und Futterstellen fügten sich nahtlos in die Landschaft ein.

Chloe war so begeistert, dass sie nicht darauf achtete, wo sie herging. Beinahe wäre sie gestürzt, hätte Donovan sie nicht am Arm festgehalten. „Vorsicht“, sagte er nur.

Sie stand an einer Treppe aus Steinplatten, die in den Felsen eingelassen war, der dreißig Meter über dem See aufragte. „Kommt man da zum See hinunter?“

„Ja, auf einem Umweg. Es ist ziemlich anstrengend, vor allem der Rückweg, aber Bryan und ich gehen oft hinunter. Wollen Sie es sich ansehen?“

Vorsichtig blickte sie über die Felskante, weil sie große Höhen noch nie gemocht hatte. „Wie steil ist denn der Weg?“

„Das ist unterschiedlich“, erwiderte Donovan, „aber er ist sicher. Bryan bringt seine Gäste nicht in Gefahr.“

„Dann würde ich gern zum Wasser gehen.“

„Warten Sie einen Moment.“ Er trat zwei Stufen hinunter und drehte sich um. „Die Steine sind noch feucht. Seien Sie also vorsichtig.“

Chloe war froh, dass sie Laufschuhe angezogen hatte, weil sie bessere Bodenhaftung besaßen. Erst während des Abstiegs bemerkte sie die Tiere, die überall zu sehen waren – Vögel, Eichhörnchen, Kaninchen und Rehe. Zwei Eichhörnchen jagten einander auf dem Weg. Chloe lachte, achtete nur auf die beiden und rutschte aus. Donovan fing sie blitzartig ab.

„Danke.“ Es war ihr peinlich, dass sie sich so ungeschickt anstellte. „Wahrscheinlich habe ich zu lang in der Großstadt gelebt.“

Er führte sie am Arm über die nächsten Stufen zu einem abschüssigen Teil des Weges. „Sind Sie in Little Rock aufgewachsen?“

„Nein, ich komme eigentlich aus Searcy. Unsere Eltern leben noch immer dort. Vorgestern sind sie übrigens zu einer zehntägigen Kreuzfahrt in die Karibik aufgebrochen. Chloe und ich sind vor elf Jahren gleich nach der Highschool nach Little Rock gezogen. Tagsüber haben wir gearbeitet. Abends besuchten wir Kurse an der Universität von Arkansas und machten den Abschluss in Wirtschaftswissenschaft. Wir wollten schon immer einen eigenen Laden führen, mussten aber auf den richtigen Zeitpunkt warten. Vor zehn Monaten haben wir dann unser Geschäft eröffnet.“

Danach hatte er zwar nicht gefragt, aber sie wollte irgendwie seine Schweigsamkeit ausgleichen.

„Dann wohnen Sie seit elf Jahren mit Ihrer Schwester zusammen?“

„Nur am Anfang, als wir nach Little Rock kamen. Jede von uns ist schon vor Jahren in eine eigene Wohnung gezogen. Grace kam gestern bloß zu mir, um mich zu … zu verabschieden.“

„Um Sie zu verabschieden, oder um Sie noch ein Mal zu bearbeiten?“

Chloe lächelte. „Nun ja …“

Donovan stieg über einen großen Stein, drehte sich um und reichte ihr die Hand. „Vorsicht, hier ist es rutschig.“

Sie zögerte nur kurz, ehe sie seine Hand ergriff. Er stützte sie, als sie vorsichtig über den Stein hinweg kletterte.

Am See angekommen, fand Chloe alle ihre Erwartungen übertroffen. Das steinige Ufer war mit Treibholz übersät. Bäume spendeten Schatten. In der Bucht gab es ein Bootshaus und eine überdachte Terrasse mit Sitzbänken.

„Ist das schön hier!“ Sie blickte am Felsen zur Hinterseite des Hauses hoch. Die Sonne wurde von den großen Fenstern reflektiert. „Hat Bryan ein Boot?“

„Zwei. Möchten Sie eine Fahrt machen?“

„Jetzt nicht.“

„Heben Sie sich für Bryan auf?“

Die Zweideutigkeit der Bemerkung überraschte sie. Sollte das tatsächlich ein lahmer Scherz sein? Wie sollte sie sich verhalten? Bei Bryan hätte sie mit einem ähnlichen Scherz geantwortet, aber bei Donovan fiel ihr nichts ein.

Er wartete nicht darauf, dass sie etwas sagte, hob einen flachen Stein auf und ließ ihn über die Wasseroberfläche springen.

„Sehr beeindruckend.“ Sie spendete gespielt begeistert Beifall. „Das könnte ich nicht. Grace ist darin Meisterin.“

„Sie können keinen Stein auf dem Wasser springen lassen?“

„Nein“, erwiderte sie fröhlich. „Öfter als ein oder zwei Mal springt bei mir kein Stein, bevor er versinkt. Mein Dad ist überzeugt, dass ich mich gar nicht bemühe. Das stimmt aber nicht. Irgendwann habe ich einfach aufgegeben.“

„Jeder kann einen Stein auf dem Wasser springen lassen.“

„Ich nicht.“

Er hob mehrere Steine auf und ließ sie in der Hand klappern. „Versuchen Sie es!“

„Donovan, es ist sinnlos. Ich kann das nicht.“

„Natürlich können Sie es.“ Er drückte ihr einen flachen Stein in die Hand. „Also, lassen Sie ihn über die Oberfläche gleiten.“

„Leichter gesagt als getan“, murmelte sie, gehorchte jedoch. Wie erwartet ging der Stein sofort unter.

„Sie haben ihn ins Wasser geworfen und nicht waagerecht geschleudert.“ Er gab ihr einen anderen Stein. „Sie müssen den Aufprallwinkel flach halten.“

„Sicher, kein Problem.“ Seufzend warf sie den zweiten Stein und sah resigniert zu, wie er versank. „Sind Sie jetzt überzeugt?“

„Sie bemühen sich nicht.“

„Sie haben keine Ahnung, wie oft ich das schon gehört habe, noch dazu in genau diesem Ton.“

Er reichte ihr den nächsten Stein. „Versuchen Sie es noch ein Mal. Und denken Sie daran, dass er flach auftreffen muss.“

Diesmal ging der Stein nach einem mickrigen Sprung unter. „Ich sagte doch, dass ich nicht …“

„Noch ein Mal.“ Er drückte ihr den nächsten Stein in die Hand.

Wenn sie nichts unternahm, stand sie wahrscheinlich noch bei Sonnenuntergang hier und warf Steine. „Nein, lieber nicht. Ich kann nicht …“ Sie verstummte, als er hinter sie trat und ihre Hand ergriff.

„So geht das.“ Er zog ihren Arm zurück und brachte ihre Hand in die richtige Stellung. „Werfen Sie genau in der Haltung.“

Sie musste sich räuspern, bevor sie sprechen konnte. „Sie geben erst auf, wenn ich es gelernt habe, nicht wahr?“

„Ich muss Sie nur dazu bringen, es wirklich zu wollen.“ Er war ihr beunruhigend nahe.

„Es … es ist nicht sonderlich wichtig, dass ich es lerne.“

„Ich höre nicht gern, dass jemand etwas nicht kann.“

Sie versuchte, sich von ihm abzulenken, indem sie über die Gründe für seine Hartnäckigkeit nachdachte. Es klappte nicht mit der Ablenkung. Dafür fühlte sie zu deutlich die Wärme, die von seinem Körper ausstrahlte, und die Kraft in seiner Hand. Hastig warf sie den Stein und hoffte, dass es klappte und sie sich endlich von Donovan lösen konnte. Der Stein prallte ein Mal von der Oberfläche ab und versank.

Seufzend wandte sie den Kopf, um Donovan zu sagen, dass es sinnlos war, sah ihm in die grünen Augen und vergaß alles. Er hatte den Arm noch immer um sie gelegt. Sein Atem strich über ihre Wange.

Jetzt konnte sie es nicht länger abstreiten. Seit sie Donovan Chance das erste Mal gesehen hatte, fühlte sie sich stark zu ihm hingezogen. Sie mochte ihn nicht sonderlich, aber er reizte sie so sehr, dass es sie ängstigte. Und das war ungewöhnlich, weil sie sich sonst nicht für jeden gut aussehenden Mann interessierte.

„Ich …“ Weiter kam sie nicht, weil er sie unerwartet losließ.

„Vielleicht bringt Bryan es Ihnen bei“, sagte er.

„Was denn?“, fragte sie verständnislos.

„Bryan ist in jeder Hinsicht ein besserer Lehrer als ich, weil er alles klar erklärt. Wahrscheinlich lassen Sie hinterher einen Stein über den halben See springen.“

„Kaum“, entgegnete sie und rang sich ein Lächeln ab.

Er deutete auf den Weg. „Gehen wir zurück?“

„Ja. Bryan ruft vielleicht an.“

„Ich habe ein Handy, auf dem er uns erreicht.“

Chloe nickte. „Ich folge Ihnen.“

„Gehen Sie lieber voraus für den Fall, dass Sie stolpern oder ausrutschen.“

„Spielen Sie noch immer Leibwächter?“, fragte sie und setzte sich in Bewegung.

„Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich kein Leibwächter bin.“

Die Bezeichnung ärgerte ihn jedes Mal. Vielleicht hatte das mit seiner Vergangenheit zu tun. Chloe dachte nicht weiter darüber nach, sondern achtete auf den Weg. Schließlich hatte sie nicht die geringste Absicht, in Donovans Armen zu landen.

Sobald sie oben war, schloss sie sich am besten in ihrem Zimmer ein. Schließlich war sie hergekommen, um über Bryans Heiratsantrag nachzudenken. Dabei störte es, dass sie seinen besten Freund faszinierend fand.

Es sah immer mehr danach aus, als hätte Grace die ganze Zeit recht gehabt. Schon jetzt hörte Chloe ihre Schwester triumphieren: „Habe ich es dir nicht gleich gesagt?“

Donovan zögerte, ehe er an Chloes Tür klopfte. Sie hatte sich nach der Rückkehr zum Haus den ganzen Vormittag über in ihrem Zimmer aufgehalten.

Sie öffnete. „Was gibt es?“

„Es ist fast ein Uhr. Sind Sie nicht hungrig?“

Sie war sichtlich überrascht. „Ich hatte keine Ahnung, dass es schon so spät ist. Hoffentlich haben Sie bereits gegessen.“

„Nein.“

„Sie haben das Frühstück gemacht. Dann kümmere ich mich jetzt ums Mittagessen.“

„Zu spät, es ist schon fertig. Hoffentlich mögen Sie gegrilltes Hähnchen und Gemüse.“

„Sehr gern, aber Sie hätten sich nicht so viel Mühe machen sollen. Ich erwarte nicht, dass Sie für mich kochen.“

„Ich muss ohnedies etwas essen. Kommen Sie in die Küche.“

„Ich wasche mir nur die Hände.“

Es hatte ihm tatsächlich nichts ausgemacht, sich ums Mittagessen zu kümmern, weil er sich so wenigstens von Chloe abgelenkt hatte.

„Das sieht gut aus“, stellte sie fest, als sie sich an den gedeckten Tisch setzte. „Kommen Sie hinterher gar nicht erst auf die Idee abzuräumen. Das übernehme ich.“

Er widersprach nicht.

„Sie sind ein sehr guter Koch“, stellte sie fest, nachdem sie gekostet hatte.

„Wenn ich einen Grill und eine Mikrowelle zur Verfügung habe, geht es.“

Von der sonnigen Nische aus, in der sie aßen, sah sie sich die hochmodernen Geräte an. „Hier gibt es noch wesentlich mehr.“

„Bryan ist immer nur mit dem Besten zufrieden.“

„Kocht er gern?“

„Er kann sich zwar in jeder Hinsicht versorgen lassen, aber er findet, dass jeder die grundlegenden Dinge beherrschen sollte – kochen, waschen, Haus und Auto in Schuss halten.“

„Ein praktischer Standpunkt. Sollte er jemals arm werden, kann er sich wenigstens um sich selbst kümmern.“ Als Donovan auf ihren Scherz nicht einging, wechselte sie das Thema. „Sie haben Ihre Reise nach Venedig erwähnt. Sind Sie bei der Arbeit für Bryan oft verreist?“

„Gelegentlich.“

„Mögen Sie das?“

„Die Arbeit oder die Reisen?“

„Beides.“

„Ich mag die Arbeit und nehme die Reisen hin, weil sie zur Arbeit gehören. Ich meine damit nicht, dass ich grundsätzlich etwas gegen Reisen habe“, fuhr er fort, weil sie davon geschwärmt hatte. „Manchmal genieße ich auch eine.“

„Arbeiten Sie für Bryan schon seit dem College?“

Er spießte ein Röschen Blumenkohl auf. „Ich war nicht auf dem College, sondern bin nach der Highschool zum Militär gegangen.“

„Das wusste ich nicht. Bryan hat mir erzählt, Sie wären von Anfang an bei ihm gewesen.“

„Wir sind schon lange befreundet und hatten auch Kontakt, während er im College und ich beim Militär war. Als er sich vor etlichen Jahren von der Firma seines Vaters trennte und Bryan Falcon Entreprise gründete, holte er mich an Bord.“

„Waren Sie da noch beim Militär?“

„Nein, das hatte ich schon eine Weile hinter mir.“

„Und was haben Sie in der Zwischenzeit getan?“

„Verschiedenes.“

Sie wollte die Unterhaltung nicht einschlafen lassen, damit es nicht zu verlegenem Schweigen und intensiven Blicken kam. Mehrmals hatte Chloe ihn angesehen und war rot geworden, wenn sie sich abwandte. Donovan glaubte zwar nicht, dass sie die gleiche Anziehung verspürte wie er, doch zwischen ihnen knisterte es eindeutig. Sie waren schon viel zu lange zusammen. Darum war es höchste Zeit, dass Bryan endlich auftauchte.

Er überließ es Chloe, sich um das Geschirr zu kümmern, und ging in das kleinere der beiden Büros, das er bei jedem Besuch benützte. Eine Stunde beantwortete er am Computer die dringendsten E-Mails. Als das Telefon klingelte, meldete er sich geistesabwesend.

„Wie läuft es bei euch?“

Bryans Frage lenkte ihn sofort vom Bildschirm ab. „Sag bitte, dass du schon unterwegs bist.“

„Habt ihr Probleme? Ihr versteht euch doch, oder?“

„Ganz gut, aber Chloe ist nicht meinetwegen hier.“

„Was habt ihr heute unternommen?“

„Ich habe die meiste Zeit gearbeitet. Parker in L. A. will bis morgen eine Antwort. Hamilton möchte, dass wir uns bald sein Angebot ansehen.“

„Kümmere dich später darum und unterhalte lieber Chloe. Sie soll sich nicht langweilen oder einsam fühlen. Ich sitze noch hier fest. Wenn du dich bemühst, bist du ganz unterhaltsam. Also, versuch es, ja?“

Donovan seufzte betont laut. „Ich habe wirklich Wichtigeres zu erledigen, als den Babysitter für deine derzeitige Freundin zu spielen.“ Kaum hatte er es ausgesprochen, als er Chloe in der offenen Tür entdeckte. Sie hielt eine dampfende Tasse in der Hand. Obwohl sie keine Miene verzog, war klar, dass sie seine unfreundliche Bemerkung gehört hatte. Er räusperte sich. „Ja, also …“

„Lass mich raten“, sagte Bryan. „Chloe ist hereingekommen.“

„Ja.“

„Gib sie mir. Ach, noch etwas, Donovan. Sei nett zu ihr, nachdem du dich bei ihr entschuldigt hast.“

„Bryan will mit Ihnen sprechen.“ Donovan hielt ihr den Hörer hin.

Sie nickte. „Ich habe Ihnen frischen Kaffee gebracht.“

„Danke. Ich trinke ihn auf der Terrasse, während Sie mit telefonieren.“

Chloe vertauschte die Tasse gegen den Hörer und wandte Donovan den Rücken zu, und er zog sich reumütig zurück.

4. KAPITEL

„Hallo, Bryan“, sagte Chloe.

„Freut mich, dass du überhaupt noch mit mir redest.“

„Du kannst sicher nichts für die Verzögerung.“

„Nein. Ich habe alles getan, um das Chaos hier zu ordnen, aber es dauert eben länger als erwartet. Du ahnst nicht, wie Leid es mir tut.“

„Heißt das, dass du heute Abend noch nicht herkommst?“

„Ich denke schon, dass ich es schaffe. Es könnte sehr spät werden, aber dann fängt unser Urlaub morgen wenigstens ganz zeitig an.“

Ausgerechnet in diesem Moment schob sich eine Wolke vor die Sonne. Im Raum wurde es dunkel. Chloe fröstelte und hätte Bryan beinahe vorgeschlagen, in New York zu bleiben.

„Was Donovan angeht“, sagte Bryan. „Er meint vieles nicht so, wie es manchmal wirkt.“

„Willst du mir einreden, dass er zwar bellt, aber nicht beißt?“

Bryan lachte leise. „Nein, aber er beißt nicht oft und vor allem nie grundlos.“

Das fand sie nicht sonderlich beruhigend, aber sie wollte auch nicht undankbar sein. Donovan hatte sich tatsächlich bemüht, sie zu unterhalten. Trotzdem ärgerte sie die Bemerkung über die Tätigkeit als Babysitter.

Nachdem sie noch eine Weile geplaudert hatten, sagte Bryan: „Je schneller ich weiterarbeite, desto früher komme ich hier weg.“

Chloe fand Donovan in der Küche, wo er die Tasse in die Spülmaschine stellte.

„Der Kaffee war gut, danke“, sagte er und fügte anstelle der erwarteten Entschuldigung hinzu: „Ich fahre zum Einkaufen in die Stadt. Begleiten Sie mich?“

Das wollte sie, aber noch stand die ärgerliche Bemerkung zwischen ihnen. „Sie sind sicher lieber allein. Ich habe Arbeit mitgebracht.“

„Ich hätte es gern, wenn Sie mich begleiten. Sie könnten mir beim Aussuchen der Lebensmittel helfen.“

War das seine Vorstellung einer Entschuldigung oder eines Friedensangebots? Merkwürdig. Sie ärgerte sich, dass er sie Bryans „derzeitige Freundin“ genannt hatte. Andererseits hatte er ihr zwei Tage geopfert. „Gut, dann komme ich mit“, erwiderte sie zurückhaltend. „Ich hole nur meine Handtasche.“

Hoheitsvoll verließ sie den Raum. Donovan sollte merken, dass sie keinen Babysitter brauchte!

Donovan war erleichtert, dass Chloe auf seinen Vorschlag eingegangen war. Wenn sie unter Leute kamen, fiel es ihm sicher leichter, seine Gedanken zu kontrollieren.

Wahrscheinlich wäre eine Entschuldigung angebracht gewesen, aber er fühlte sich tatsächlich als Babysitter oder als Leibwächter, was noch schlimmer war.

Seit sie Chloes Wohnung verlassen hatten, stimmte etwas nicht mit ihm. Zuerst hatte ihn die Vorahnung einer drohenden Katastrophe bedrückt. Danach hatte er sich immer mehr zu Chloe hingezogen gefühlt.

Sobald er in seinen Wagen stieg, setzte prompt wieder dieses schwer zu greifende Unbehagen ein. Vorsichtig sah er sich um, entdeckte jedoch nichts Verdächtiges. Vielleicht brauchte er Urlaub. Seit sieben Jahren hatte er keinen mehr gehabt.

Während der zwanzig Minuten dauernden Fahrt in die nächste Stadt blieb er wachsam. In dieser Gegend gab es wenig Verkehr. Donovan sah sich jeden alten Pick-up und jeden Pkw an, dem sie begegneten.

„Haben Sie Appetit auf etwas Süßes?“, fragte er schließlich.

„Wie bitte?“

„Es gibt hier einen kleinen Diner, in dem man die besten Kuchen findet, die man sich vorstellen kann. Möchten Sie eine Kostprobe, bevor wir einkaufen?“

„Ja, sehr gern sogar.“

Obwohl er vermutete, dass sie nur ihm zuliebe zustimmte, bog er an der nächsten Ampel ab. Nachmittags war im Diner nicht viel los. Das Mittagessen war vorbei, und fürs Abendessen war es noch zu früh. Zwei Wagen standen auf dem Parkplatz im Schatten des Hauses und mehrerer hoher Bäume. Mittlerweile war es wärmer geworden. Trotzdem lief Donovan eine Gänsehaut über den Rücken, als er parkte.

„Haben Sie Probleme mit dem Nacken?“, fragte Chloe, sobald sie sich drinnen an einen kleinen Tisch gesetzt hatten.

Er hatte sich den Nacken gerieben, um dieses unangenehme Prickeln zu vertreiben. „Ja.“

„Ich habe schmerzstillende Tabletten bei mir.“

„Danke, die helfen nicht.“

Eine Kellnerin mit himmelblauen Augen kam an den Tisch „Hi, Mr Chance, Sie haben sich lange nicht blicken lassen“, sagte sie und lächelte strahlend.

„Hallo, Judy, schön, Sie zu sehen“, erwiderte er und lächelte ebenfalls herzlich.

„Mr Falcon ist nicht hier?“

„Er trifft später ein, aber er kommt bestimmt wegen der Kuchen her.“

Judy lachte. „Mr Falcon liebt unseren Schoko-Nusskuchen. Ich glaube, den würde er am liebsten täglich essen.“

„Bestimmt.“ Donovan deutete auf Chloe. „Judy, das ist Chloe Pennington.“

„Ich kenne Sie aus der Zeitung“, sagte Judy, nachdem sie Chloe in Augenschein genommen hatte. „Sie sind doch Mr Falcons Verlobte, nicht wahr?“

„Also, ich …“

„Ich habe meiner Mutter gesagt, dass Sie braunes Haar haben. Das Foto war nicht besonders gut. Mom meinte, Ihr Haar wäre rot. Ich habe ihr aber gleich gesagt, dass ich nicht glaube, dass Mr Falcon schon wieder was mit einer Rothaarigen anfängt. Mom hat nie begriffen, wieso er sich für diese …“

Donovan räusperte sich. Chloe war sichtlich verwirrt. Er dagegen war an Judys vieles Reden gewöhnt. Ihre Mutter machte die Kuchen, die ihm und Bryan so hervorragend schmeckten. Dafür nahmen sie diesen harmlosen Tratsch gern in Kauf. „Ich möchte den Kokosnusskuchen, Judy. Haben Sie schon gewählt, Chloe?“

Sie warf einen Blick auf die mit der Hand geschriebene Liste, die neben der Kasse hing. „Zitronen-Meringen-Kuchen, bitte.“

„Wünschen Sie auch Kaffee?“, fragte Judy und entfernte sich, als beide nickten.

„Ich hätte Sie warnen sollen, dass Judy über alles und jeden Bescheid weiß.“

„Offenbar“, bestätigte Chloe und lächelte matt.

„Nehmen Sie es ihr nicht übel. Sie meint es gut.“

„Sie macht einen netten Eindruck.“

„Sie ist auch nett.“

Judy brachte ihnen zwei riesige Stücke Kuchen und hatte sichtlich Lust, sich noch eine Weile zu unterhalten, doch zu Donovans Erleichterung klingelte das Telefon.

Da ihm kein geeignetes Thema einfiel, widmete er sich dem Kokosnusskuchen mit der sieben Zentimeter hohen Meringenkruste, der Spezialität des Diners. Es schmeckte ihm ausgezeichnet, doch das Prickeln im Nacken verschwand nicht.

Chloe lobte den Kuchen. Donovan meinte, er hätte gleich gewusst, dass sie das sagen würde. Danach schwiegen sie. Judy beobachtete sie beide, hielt sich jedoch im Hintergrund. Andere Gäste waren nicht hier. Schließlich bezahlte er, und Judy sagte, sie sollten bald wieder herkommen.

„Der Laden ist ganz in der Nähe“, erklärte Donovan, als er mit Chloe den Diner verließ. „Wenn Sie etwas Bestimmtes wollen, brauchen Sie es nur zu sagen.“

„Ich hätte gern Obst“, erwiderte sie. „Und Tee, aber keinen Earl Grey. Den mochte ich noch nie.“

Er achtete selten darauf, welche Teebeutel er benützte, um im Sommer Eistee zuzubereiten. „Mal sehen, was da ist.“ Er öffnete ihr die Tür und ließ prüfend den Blick über den fast leeren Parkplatz wandern.

„Sie machen es schon wieder“, stellte Chloe fest. „Sie stellen sich an, als müssten Sie mich beschützen.“

Es hatte keinen Sinn abzustreiten, dass er wachsam war. Darum suchte er nach einer Erklärung, mit der sie zufrieden war, ohne dass er seine Bedenken in vollem Umfang zugab. „Wenn Sie mit einem reichen und mächtigen Mann zu tun haben, tauchen automatisch gewisse Risiken auf. Dazu kommen die Paparazzi.“

„Paparazzi?“, fragte sie lachend. „Ich glaube kaum, dass die sich für mich interessieren.“

„Sie werden noch staunen“, erwiderte er. Wenn sie lachte, entstanden Grübchen in den Mundwinkeln.

„Ich finde es ganz reizend, dass Sie so gut auf mich aufpassen“, scherzte sie, als sie neben der Beifahrertür stehen blieben.

„Ich erfülle nur meine Pflichten, Ma’am“, entgegnete er und musste sogar lachen.

„Ich werde Ihren Boss bitten, ein Lob in Ihre Personalakte zu schreiben.“

„Tun Sie das.“ Er öffnete ihr die Wagentür und hörte zu lächeln auf, weil sein Boss der Mann sein sollte, mit dem sie hier auf dem Parkplatz scherzte.

Donovan ging um den Wagen herum, als der Angriff völlig unerwartet erfolgte. Hätte er sich doch bloß auf seinen Instinkt verlassen! Nur ein einziges Mal hatte ihn sein Gespür im Stich gelassen, und auch damals war es zu einer Katastrophe gekommen.

Er spürte einen stechenden Schmerz im Nacken und wurde gleichzeitig so hart gegen den Wagen gepresst, dass er kaum atmen konnte.

Donovan war alles andere als schmächtig, eins achtzig groß und hundertachtzig Pfund schwer, aber der Mann hinter ihm war wesentlich massiger. Trotzdem hätte er noch eine gute Chance gehabt, weil er in Selbstverteidigung geschult war. Das injizierte Mittel wirkte jedoch schnell. Vor seinen Augen verschwamm alles, ihm wurde übel, und er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Wäre er nicht gegen den Wagen gedrückt worden, wäre er zusammengebrochen.

Er hörte, wie ein anderes Auto hielt. Aus dem Augenwinkel heraus erkannte er einen Van. Die Seitentür glitt auf.

„Chloe“, murmelte er und wollte ihr zurufen, die Türen zu verschließen und zu hupen. Doch vor seinen Augen wurde es schwarz, und er brachte keinen Ton mehr hervor.

„Aufwachen, Donovan, bitte, wachen Sie auf.“ Chloe redete leise, aber eindringlich auf ihn ein. Es bereitete ihr große Sorge, dass er schon lange ohne Bewusstsein und sehr blass war und nur flach atmete. Womöglich hatten ihm die Kerle eine Überdosis gespritzt, sodass er nicht mehr aufwachte. „Donovan, hören Sie mich?“, sagte sie lauter.

Er lag auf einer blauen Matratze auf dem Rücken. Die Hände waren mit Handschellen an einen der senkrechten Stäbe des eisernen Kopfteils gefesselt. Chloe kniete neben dem Bett. Mit einer Handschelle war ihr rechter Arm mit einem anderen Eisenstab verbunden. Da sie keine Uhr hatte und man Donovan seine Armbanduhr abgenommen hatte, wusste sie nicht, wie viel Zeit verstrichen war.

„Donovan!“, drängte sie, als sie ein Geräusch im Haus hörte. „Bitte, öffnen Sie die Augen!“

Er stöhnte leise. Wenigstens lebte er noch! Sie legte ihm die Hand auf die Brust.

„Donovan!“

Langsam öffnete er die geröteten Augen und richtete den Blick auf sie. „Wo sind wir?“, fragte er rau.

Es war erstaunlich, dass er sofort ganz bei sich und überhaupt nicht verwirrt war. „Ich habe keine Ahnung. Die Männer haben uns in einem Minivan hergebracht. Die hinteren Fenster waren zugeklebt, damit ich nichts sehen konnte.“

„Wie lange war ich bewusstlos?“

„Das weiß ich nicht genau. Es kommt mir wie Stunden vor. Wir waren lange in dem Van unterwegs.“

Er bewegte die Arme, um die Handschellen zu überprüfen. „Waren es glatte Straßen wie zum Beispiel Highways?“

„Nein, Schotterstraßen mit vielen Kurven. Und es ging ständig bergauf und bergab.“

Er nickte und ließ den Blick über das einzige schmutzige Fenster, den Holzfußboden und die geschlossene Tür gleiten. Außer dem Eisenbett stand kein Möbelstück im Raum. Donovan war noch immer blass, aber er wehrte sich sichtlich gegen die Nachwirkungen des Mittels.

„Man hat Ihnen nichts angetan“, stellte er fest.

„Nein, ich bin nicht verletzt.“

„Wie viele waren es?“

Sie schauderte. „Drei. Zwei haben Sie angegriffen. Der Dritte hat mir die Tür aus der Hand gerissen, bevor ich sie abschließen konnte. Es ging so schnell, dass ich es kaum mitbekommen habe.“

„Hat es Zeugen gegeben?“

„Das glaube ich nicht. Wir haben im tiefen Schatten geparkt. Und der Van hielt direkt neben Ihrem Wagen und hat die Sicht von der Straße und vom Restaurant aus verstellt.“

„Haben Sie geschrien?“

„Die Männer haben gesagt, sie würden Sie umbringen, wenn ich schreie. Sie waren bewusstlos, und der riesige Kerl hat Ihnen eine Waffe an den Kopf gehalten. Ich durfte Ihr Leben nicht aufs Spiel setzen.“

„Also sind Sie einfach in den Van eingestiegen?“

„Ich hatte keine andere Wahl.“

„Haben Sie die Gesichter der Männer gesehen?“

„Sie haben sich nicht maskiert.“

Er runzelte die Stirn. „Ich will genau wissen, was sie gesagt haben.“

„Sehr wenig. Das Ganze war präzise geplant. Sie haben nichts besprochen. Ich habe gefragt, wer sie sind und was sie von uns wollen, aber sie haben mir befohlen, still zu sein. Ich saß hinten im Van und habe Ihren Kopf auf dem Schoß gehalten, während sie mich mit einer Waffe bedroht haben.“ Es gelang ihr, ruhig zu sprechen, obwohl sie noch unter Schock stand.

Er warf einen Blick auf ihren Schoß. „Es liegt auf der Hand, warum wir entführt wurden.“

„Ach ja?“, fragte sie trocken.

„Ich bitte Sie, Chloe! Ihr Name und Ihr Bild sind im Zusammenhang mit Bryan in den Zeitungen aufgetaucht. Die Hochzeit steht angeblich schon so gut wie fest. Sogar Judy im Diner hat Sie erkannt. Und ich bin Bryans bester Freund und engster Mitarbeiter. Es geht einfach um Lösegeld.“

Das hatte sie auch schon vermutet. Natürlich hatte sie gewusst, dass es Probleme gab, wenn man mit einem reichen Mann zusammen war, aber sie hatte nicht mit einer solchen Gefahr gerechnet. Im Nachhinein kam ihr das reichlich naiv vor. „Haben Sie und Bryan eigentlich geahnt, dass so etwas passieren könnte?“

„Natürlich nicht“, erwiderte er gereizt. „Es gab nicht den geringsten Anhaltspunkt. Glauben Sie, ich wäre sonst so sorglos gewesen?“

„Das waren Sie nicht“, versicherte sie, weil sie merkte, dass er sich nachträglich Vorwürfe machte. „Sie waren sogar so wachsam, dass ich Sie scherzhaft als Leibwächter bezeichnet habe.“

„Schöner Leibwächter“, murmelte er und spannte die Hände in den Fesseln an.

„Die Männer sind blitzschnell und nach einem genauen Plan vorgegangen“, beruhigte sie ihn. „Keiner von uns konnte etwas dagegen machen.“

Irgendwo im Haus fiel eine Tür zu. Ein Wagen wurde gestartet und entfernte sich.

„Glauben Sie, die haben uns allein gelassen?“, fragte Chloe und blickte zur Tür. Wie lange dauerte es, bis man verdurstete? Aber hätten die Entführer sie nicht gleich umgebracht, wenn sie ohnedies vorhatten, ihre Opfer sterben zu lassen?

Donovan teilte ihre Sorge nicht. „Es wäre ein Glücksfall, wenn wir allein wären.“

„Wie geht es jetzt weiter?“

„Wahrscheinlich warten sie einige Stunden, bevor sie sich bei jemandem melden. Man soll uns dann schon vermissen. Sie werden Bryan wie üblich davor warnen, die Polizei einzuschalten, und dann werden sie die Summe nennen, die sie für unsere Freilassung fordern.“

„Und was wird Bryan antworten?“

Donovan lächelte flüchtig. „Die ersten Sätze möchte ich nicht laut aussprechen. Danach wird er verhandeln.“

„Wird er die Polizei einschalten?“

Donovan sah zur Tür und zuckte nur mit den Schultern.

Glaubte er, dass sie beobachtet oder vielleicht abgehört wurden? Chloe fand keinen Hinweis auf ein Mikrofon oder eine Kamera. Mit diesen Dingen hatten sie allerdings keine Erfahrung.

Donovan veränderte die Haltung auf dem Bett. Erst jetzt merkte sie, dass ihre Hand noch auf seiner Brust lag, zog sie jedoch nicht zurück. Es wirkte beruhigend, die Wärme seines Körpers und den Herzschlag unter dem T-Shirt zu fühlen.

Als sie sich mit der rechten Hand das Haar aus dem Gesicht streichen wollte, blieb sie mit der Handschelle, an die sie nicht mehr gedacht hatte, hängen.

„Ihr Haar war heute Morgen hochgesteckt“, stellte Donovan fest.

„Die Männer haben alle meine Haarnadeln weggenommen, auch die Handtasche, Ihre Uhr, den Inhalt Ihrer Taschen sowie unsere Gürtel und Schuhe.“ Noch jetzt fröstelte sie, wenn sie daran dachte, wie der größte der drei Entführer sie festgehalten hatte, während sie abgetastet wurde.

„Die haben an alles gedacht“, stellte Donovan fest.

„Haben die Kerle vielleicht geglaubt, wir könnten mit Haarnadeln die Handschellen öffnen?“

„Wäre schon möglich.“

„Können Sie das?“, fragte Chloe überrascht.

„Ich würde es zumindest versuchen.“

„In dem Fall …“ Sie fasste unter der Denim-Bluse an das rote T-Shirt mit Taschen, suchte einen Moment und holte eine kräftige Haarnadel hervor.

5. KAPITEL

„Verbergen Sie eigentlich immer Haarnadeln im T-Shirt?“, fragte Donovan.

„Nur, wenn ich das Haar hochstecke“, erwiderte Chloe. „Es ist sehr fein und löst sich im Verlauf des Tages. Darum nehme ich eine oder zwei Haarnadeln für den Fall mit, dass ich sie brauche.“

„Geben Sie her.“ Er streckte ihr die Hand hin, griff nach der Nadel und schob sie sich ins Haar. „Ist sie noch zu sehen?“

„Nein.“ Die dicke Nadel war völlig in seinem braunen Haar verschwunden. „Versuchen Sie nicht, uns zu befreien?“

„Doch, aber erst, wenn man uns nicht dabei erwischt.“

„Und wann wird das sein?“

Er sah zu dem kleinen Fenster, das so schmutzig war, dass kaum Licht hereinfiel. „Später.“

Gegen halb fünf hatten sie den Diner verlassen. Schätzungsweise waren sie über eine Stunde durch die Gegend gefahren. Danach hatte es wieder etwa eine halbe Stunde gedauert, bis Donovan aufwachte. Bestimmt wurde es bald dunkel, aber Chloe hielt es kaum noch aus. Sie war mit einer Hand angekettet und wartete ängstlich darauf, dass jemand hereinkam. Für Donovan war es noch schlimmer. Er lag auf dem Rücken, und beide Arme waren über seinem Kopf festgekettet.

„Vielleicht versuchen wir es jetzt, während wir allein sind. Die Entführer glauben wahrscheinlich, dass Sie noch bewusstlos sind. Wir steigen durch ein Fenster, bevor sie etwas merken.“

„Wenn jemand hereinkommt, während ich an den Handschellen arbeite, nimmt er uns das einzige Hilfsmittel weg. Außerdem habe ich nicht behauptet, dass ich das Schloss knacken kann. Ich werde es probieren. Aber selbst wenn es klappt, dauert es wahrscheinlich ziemlich lang.“

Er hatte recht, aber sie wollte nicht warten. Die Handschelle trieb sie langsam zum Wahnsinn, doch als sie daran zerrte, machte es nur Lärm und schmerzte im Handgelenk.

„Chloe, entspannen Sie sich.“

„Entspannen?“, fragte sie ungläubig. „Wie soll ich das denn machen?“

„Die Männer haben uns nichts getan. Wir sind allein. Also, kein Grund zur Panik. Niemand hat uns bedroht. Wir haben es mit gewöhnlichen Kriminellen zu tun, die nur Wert auf Geld legen. Solche Typen sind nicht sonderlich schlau und begehen meistens dumme Fehler. Wir warten, bis sie einen bei uns machen, und nutzen die Gelegenheit.“

„Das hört sich einfach an, aber woher wissen Sie denn, dass sie einen Fehler machen werden? Woher wissen Sie, dass sie nicht das Geld nehmen und uns umbringen werden? Ich habe ihre Gesichter gesehen.“

„Ihnen wird nichts zustoßen“, behauptete er, doch er war nicht so sicher, wie er wirkte. Sein Gesicht war zu einer Maske erstarrt.

Chloe fühlte, wie sein Herz schneller und heftiger schlug. „Was haben Sie vor?“

„Bleiben Sie ruhig und überlassen Sie alles mir. Ich sorge für Ihre Sicherheit.“

Sie sah ihm unverwandt in die Augen. „Danke.“

Er wandte zuerst den Blick ab. „Bryan verlässt sich auf mich.“

Chloe zog die Hand von seiner Brust. „Damit haben Sie nicht gerechnet, als Sie bei mir die Stelle des Babysitters übernommen haben, nicht wahr?“

Autor

Gina Wilkins
Die vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin Gina Wilkins (auch Gina Ferris Wilkins) hat über 50 Romances geschrieben, die in 20 Sprachen übersetzt und in 100 Ländern verkauft werden! Gina stammt aus Arkansas, wo sie Zeit ihres Leben gewohnt hat. Sie verkaufte 1987 ihr erstes Manuskript an den Verlag Harlequin und schreibt seitdem...
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