Bianca Exklusiv Band 274

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ICH GEHÖRE DIR von BENJAMIN, NIKKI
Ein Aufruhr der Gefühle tobt in Emma beim Anblick des kühnen Luftwaffenmajors Sam. Einst war die sensible Bibliothekarin mit seinem Bruder verlobt, doch nach einem verbotenen Kuss wusste Emma, dass nur Sam ihre Leidenschaft wecken konnte. Kann das jetzt ein neuer Anfang sein?

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Penelope Moon schwebt auf Wolken. Der faszinierende Aidan Kendall ist der erste Mann, dem ihre Herkunft vollkommen egal zu sein scheint. Schon glaubt Penelope, dass sich ihr Traum vom großen Glück erfüllt, da erhält sie eine erschütternde Nachricht: Aidan ist verhaftet worden …

EINE NEUE LIEBE IST WIE EIN NEUES LEBEN von HARLEN, BRENDA
Die wunderschöne, aber heruntergekommene Villa ist perfekt für Zoes Plan: Sie möchte sie in eine gemütliche Pension verwandeln. Mason Sullivan, der attraktive Architekt von nebenan, steht ihr mit Rat und Tat zur Seite - und gibt Zoe den Glauben an eine zweite Chance zurück.


  • Erscheinungstag 12.08.2016
  • Bandnummer 0274
  • ISBN / Artikelnummer 9783733732752
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Nikki Benjamin, Tori Carrington, Brenda Harlen

BIANCA EXKLUSIV BAND 274

1. KAPITEL

„Hallo, Sam, haben Sie nicht Lust mit uns im Klub etwas zu trinken?“

Sam Griffin, Major der Air Force der Vereinigten Staaten, schaute zu dem jungen Leutnant hinüber, der lässig am Türrahmen seines Büros lehnte. Obwohl er normalerweise solch einen vertrauten Umgangston ihm gegenüber bei seinen Schülern nicht duldete, musste er lächeln. Billy Fonteneaux war ein vielversprechender Pilot, dessen Südstaatenakzent so charmant war, dass man dazu neigte, seine lockere Art außerhalb seiner Dienstzeit zu entschuldigen.

„Vielleicht tue ich das sogar“, erwiderte Sam und wandte sich dann wieder dem Stapel Post zu, den er gerade sortierte. „Gehen Sie jetzt in den Klub?“

„Wir waren schon auf dem Weg, als ich noch Licht in Ihrem Büro sah. Ich dachte, es würde nichts schaden, wenn ich Sie frage, aber wenn Sie andere Pläne haben …?“

„Die habe ich nicht“, gab Sam mit einem wehmütigen Lächeln zu. In sein Junggesellenquartier zurückzukehren und sich ein Mikrowellenabendessen zuzubereiten, war bestimmt nicht das, was der junge Mann im Kopf hatte.

„Also was sagen Sie jetzt, Major? Werden Sie mit uns ein Bier trinken?“

„Ich kann keine Versprechungen machen“, entzog sich Sam schließlich einer Entscheidung. Obwohl es vorlockend wäre, in einer ungezwungenen Atmosphäre zu plaudern und etwas zu trinken, wollte er sich doch nicht auf eine zu kameradschaftliche Ebene mit seinen Untergebenen herablassen. „Ich habe zuerst noch einige Dinge zu erledigen. Ich werde sehen, wie ich mich danach fühle.“

„Das ist ein Angebot, Sir.“ Billy lächelte, salutierte kurz und wandte sich dann ab.

Als die Schritte des Leutnants auf dem Flur verhallten, lehnte sich Sam in seinen Sessel zurück und vergaß für einen Moment den Stapel Post, den er am Nachmittag erhalten hatte.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der er Billy Fonteneauxs Einladung sofort angenommen hätte. Eine Zeit, in der er den Ruf eines Partylöwen gehabt hatte, wo immer er auch stationiert gewesen war. Aber das hatte sich bereits seit Jahren geändert – seit vier Jahren, um genau zu sein.

Mit fünfunddreißig Jahren war er immer noch ein relativ junger Mann und weder durch Frau noch Kinder gebunden. Aber der Tod seines jüngeren Bruders hatte ihn für immer verändert. Etwas war in ihm gestorben, als er damals an jenem Junitag am Straßenrand Teddys leblosen Körper in seinen Armen gehalten hatte.

Lass es sein, warnte Sam sich.

Er konnte nichts gewinnen, wenn er die Vergangenheit wieder aufleben ließ. Was geschehen war, war geschehen, und ganz egal wie lange er sich mit den bitteren, leidvollen Erinnerungen quälte, nichts würde sich mehr ändern.

Sam zwang sich, sich wieder auf seine unmittelbare Aufgabe zu konzentrieren, und sah seine Post durch. Er stellte fest, dass nichts Besonderes dabei war. Es waren nur Kreditkartenrechnungen und Briefe von seiner Bank, die ihm bestätigten, dass seine Geldanlagen Früchte trugen.

Er hatte gehofft, dass ein Brief seiner Mutter dabei gewesen wäre, war jedoch enttäuscht worden. Abgesehen von der Postkarte aus Seattle, als sie dort Freunde besucht hatte, hatte er seit sechs Wochen nichts mehr von ihr gehört. Eigentlich war das nicht ungewöhnlich und schon gar nichts, worüber er sich Sorgen machen sollte. Es dauerte oft sehr lange, bis Post aus den Staaten diesen Luftwaffenstützpunkt in Italien erreichte. Und da seine Mutter verreist gewesen war, hatte sie jetzt sicherlich viel im Garten und im Haus zu tun.

Er könnte sie natürlich anrufen, aber er wusste nie genau, was er mit ihr sprechen sollte. Obwohl er nie einen Grund gehabt hatte, an der Liebe seiner Mutter zu zweifeln – das Gegenteil war der Fall – hatten sie sich doch nie sehr nah gestanden. Auf jeden Fall nicht so nah, wie sie und Teddy gewesen waren.

Sam hatte sich sehr viel mehr mit seinem Vater verbunden gefühlt. Vielleicht, weil er und Caleb Griffin sich so ähnlich gewesen waren – äußerlich und auch emotional. Auch Sam hatte die Kleinstadtatmosphäre in Serenity, Texas, als bedrückend empfunden und hatte einen Weg gefunden, die Stadt zu verlassen – wenn auch nicht auf so dramatische, selbst zerstörerische Art und Weise, wie sein Vater es getan hatte.

Wieder einmal ertappte sich Sam dabei, wie er Erinnerungen ausgrub, die er lieber ruhen lassen sollte. Also verdrängte er rasch die Gedanken an den tragischen Selbstmord seines Vaters vor fünfundzwanzig Jahren und schwor sich, seiner Mutter später am Abend zu schreiben. Wenn er ihr schrieb, konnte er die Distanz aufrechterhalten, die er brauchte, und einen Anruf hinauszögern …

Er warf die Werbung für eine weitere Kreditkarte zur Seite und runzelte die Stirn, als er den letzten Brief des Stapels in der Hand hielt, ein Brief, der ihm bisher noch nicht aufgefallen war. Die Schrift auf dem Umschlag war ihm nicht vertraut, deswegen hatte er ihn beim ersten Durchsehen nicht richtig zur Kenntnis genommen. Doch als er jetzt den Absender las, schoss sein Adrenalinspiegel abrupt in die Höhe.

Emma Dalton, 1209 Bay Leaf Lane, Serenity, Texamma. Süße, schüchterne Emma mit den üppigen roten Locken, den strahlenden grünen Augen und dem bezaubernden Lächeln.

Sie war der letzte Mensch auf Erden, von dem Sam Griffin einen Brief erwartet hätte.

Vor Jahren war sie die Freundin seines Bruders gewesen. Und unglücklicherweise im Geheimen die einzige Frau, die Sam jemals wirklich gewollt hatte. Und die einzige Frau, die er nie haben konnte. Denn in der High School und auf dem College war sie Teddys Freundin und danach seine Verlobte gewesen. Und nachdem sie durch seine Schuld Teddy verloren hatte …

Ich hasse dich, Sam Griffin. Ich hasse dich. Ich hasse dich, ich hasse dich …

Unbewusst zerknüllte Sam den Brief in seiner Hand, während er erneut die ungeheure Wut und den Schmerz in ihren Augen vor sich sah, ihr Schluchzen hörte und dann das Bild vor ihm aufstieg, wie sie halb ohnmächtig vor Trauer in ihrem cremeweißen Hochzeitskleid auf den Krankenhausboden sank.

Warum hatte sie sich ausgerechnet jetzt wieder mit ihm in Verbindung gesetzt? Teddys Todestag lag nur einige Wochen entfernt. Hatte es etwas damit zu tun? Aber was sollte sie ihm nach vier langen Jahren des Schweigens zu sagen haben?

Sam war nicht sicher, ob er das überhaupt wissen wollte.

Emma Dalton war Teil seiner Vergangenheit – um es genauer auszudrücken, gehörte sie zum schlimmsten Abschnitt seines Lebens. Und er war bestimmt besser dran, wenn sie für immer Vergangenheit blieb.

Was konnte schon Gutes daraus entstehen, wenn er es zuließ, dass sie erneut in sein Leben trat? Seit Jahren gab er sich die größte Mühe, jeden Gedanken an sie zu verdrängen, und gerade in letzter Zeit war ihm das immer öfter gelungen. Und jetzt das hier.

Er war nicht dumm genug, um anzunehmen, dass Emma ihre Meinung über ihn geändert haben könnte. Und er war ganz bestimmt nicht masochistisch genug, um weitere Anklagen von ihr ertragen zu wollen. Es gab nichts, was sie sagen könnte, was er sich nicht bereits tausend Mal und mehr selbst vorgeworfen hatte.

Er würde nie vergessen, was mit Teddy passiert war, noch würde er sich selbst das Geschehene jemals verzeihen können. Er wusste, dass er Emma Daltons Feindseligkeit verdient hatte. Und wie er sie verdient hatte. Daran brauchte ihn wirklich niemand zu erinnern.

Aber er war schließlich zu dem Entschluss gekommen, dass alle Schuldzuweisungen nichts brachten. Auch sie würden seinen Bruder nicht mehr zurückbringen. Diese Einsicht und das Annehmen des Geschehens hatte schließlich geholfen, seinen Schmerz zu lindern.

Für einen Moment kämpfte Sam gegen die Versuchung an, den Brief einfach ungeöffnet in den Papierkorb zu werfen, sein Jackett zu ergreifen und sich im Offiziersklub eine Flasche Scotch vorzunehmen. Am Ende des Abends würde er sich dann kaum noch an seinen Namen erinnern können, geschweige denn an die schrecklichen Ereignisse vor vier Jahren. Leider wäre dieses Vergessen nur vorübergehend, und er würde es mit einem Kater und Selbstverachtung bezahlen müssen.

Er war schon einmal nahe dran gewesen, seine Karriere als Kampfpilot zu zerstören, indem er Erleichterung im Alkohol suchte. Das würde er auf keinen Fall noch einmal riskieren. Die Air Force war alles, was ihm geblieben war. Sie versprach ihm Freiheit und Abenteuer, das Einzige, was er gewollt hatte, als er sich an der Militärakademie in Colorado Springs einschrieb.

Natürlich war das vor dem Zeitpunkt gewesen, als Teddy ihm Emma vorgestellt hatte. Erst da war ihm klar geworden, dass die Freiheit, nach der er sich so sehnte, doch nicht so glücklich machte, wie er geglaubt hatte.

Sam fluchte leise und strich den zerknitterten Briefumschlag glatt.

Wie lange war es her, seit er an Emma gedacht hatte? Wirklich über sie nachgedacht hatte? Seit Monaten nicht mehr, gestand er sich ein. Doch innerhalb weniger Minuten und durch nichts weiter als einen weißen Umschlag, war sie ihm wieder unter die Haut gegangen. Und da würde sie bleiben und ihn des Friedens berauben, wenn er jetzt diesen Brief fortwarf, ohne ihn zu gelesen zu haben.

Da er aber absolut nicht die Absicht hatte, mehr schlaflose Nächte zu verbringen als notwendig, überlegte er. Es konnte viele Gründe geben, warum sie ihm geschrieben hatte. Gründe, die mehr mit der Gegenwart als mit der Vergangenheit zu tun hatten. Gründe, an die er noch gar nicht gedacht hatte.

Emma Dalton hatte bestimmt Besseres zu tun, als ihm nach all den Jahren einen rachsüchtigen Brief zu schreiben. Jedoch war sie auch nicht die Frau, die von sich aus Kontakt mit einem Mann suchen würde, den sie vor Jahren verachtet hatte.

Dank seiner Mutter, die Emma nach Teddys Tod unter ihren Schutz genommen hatte, und sie auch hin und wieder in ihren Briefen erwähnt hatte, wusste Sam, dass Emma immer noch in Serenity lebte und in der dortigen Bücherei als Bibliothekarin arbeitete. Mittlerweile hatte sie sich sogar zur Leiterin hochgearbeitet. Sie war immer noch unverheiratet und lebte in einem kleinen Haus, das sie sich vor zwei Jahren gekauft hatte.

Sie war eine vernünftige, verantwortungsbewusste Frau, die trotz des tragischen Schicksalsschlags, der sie vor vier Jahren heimsuchte, ihr Leben im Griff hatte. Eine Frau, die ganz bestimmt nichts mit Männern wie ihm zu tun haben wollte.

Warum hatte sie ihm also geschrieben?

Sam wurde klar, dass es nur einen Weg gab, das herauszufinden und riss den Umschlag auf. Zögernd holte er das weiße Blatt heraus und faltete es auf.

Sein Magen zog sich zusammen, als er die beiden Abschnitte las, die mit ordentlicher Handschrift sauber geschrieben waren.

Lieber Sam, ich schreibe Dir, um Dir mitzuteilen, dass Deine Mutter erkrankt ist. Um genauer zu sein, hatte man bei ihr vor einigen Monaten eine chronische Form der Leukämie entdeckt. Da bereits die ersten Behandlungen eine Besserung brachten, hielt sie es für das Beste, Dich nicht zu benachrichtigen. Sie wollte nicht, dass Du Dir unnötig Sorgen machst. Das möchte sie immer noch nicht. Doch da sie einen Rückfall erlitten hat und die vom Arzt erstellte Prognose nicht gut ist, hielt ich es für besser, dass Du etwas über ihren Zustand erfährst.

Ich wohne bei ihr im Haus und werde mich so lange um sie kümmern, wie es notwendig ist. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, dass sie nicht die benötigte Pflege erhält. Aber es würde ihr viel bedeuten, Dich endlich einmal wieder zu sehen. Da ich mir vorstelle, dass Du nicht kurzfristig kommen kannst, habe ich ihr nichts von diesem Brief erzählt. Sie erwartet Dich nicht, also wird sie auch nicht enttäuscht sein, wenn du nicht kommen kannst. Aber versuche bitte – wenigstens für ein paar Tage – nach Hause zu kommen.

Liebe Grüße, Emma Dalton

Sam las den Brief ein zweites Mal durch und wünschte sich, das ignorieren zu können, was zwischen den Zeilen stand, doch es war unmöglich. Emma hatte es nicht in Worten ausgedrückt, aber er wusste, dass seine Mutter sterben könnte. Und obwohl sie ihn nicht selbst gerufen hatte – vielleicht aus Angst zurückgewiesen zu werden – wusste er doch, dass sie ihn jetzt brauchte.

Im Gegensatz zu Emma hatte Margaret Griffin ihn nie für den Tod seines Bruders verantwortlich gemacht. Stattdessen hatte sie ihn immer wieder wissen lassen, dass ihr Glaube an ihn stärker als je zuvor war. Und sie hatte ihm unzählige Male gesagt, dass sie immer für ihn da sein würde. Dass sie kommen würde, wann immer er sie brauchte. Und sie hatte ihn auch mindestens einmal im Jahr besucht, wo immer er auch stationiert gewesen war.

Seine Mutter hatte gewusst, wie schwierig es für ihn war, nach Serenity zurückzukehren und hatte es nie von ihm erwartet. Selbst jetzt, da sie sich einer lebensbedrohlichen Krankheit stellen musste, hatte sie ihn nicht darum gebeten, nach Hause zu kommen. Selbst jetzt wollte sie ihm diese schmerzliche Reise ersparen.

Allein der Gedanke daran, nach Serenity zurückzukehren, gerade jetzt, da Teddys Todestag sich näherte, rief Panik in ihm hervor. Ihm wurde übel, und seine Hände zitterten leicht. So hatte er bisher nur als junger Flieger bei einem Angriff auf ein feindliches Flugzeug reagiert und mit der Zeit gelernt, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten.

Er atmete auch jetzt mehrere Male tief durch, legte dann Emmas Brief beiseite und holte einen Kalender aus der Schublade seines Schreibtisches hervor. Seine Zeit in dieser Basis würde Ende der Woche ablaufen. Er hatte vorgehabt, anschließend einige Wochen Urlaub zu machen, bevor er wieder in die Staaten flog, um eine neue Aufgabe zu übernehmen.

Falls keine unerwarteten Schwierigkeiten auftauchten, könnte er bereits Donnerstag, spätestens am Freitag in einem Flugzeug nach San Antonio sitzen. Wenn er gute Anschlüsse bekam, sollte er irgendwann am Samstag in Serenity eintreffen. Er hätte auch noch Zeit genug, um seine Versetzung auf einen Luftwaffenstützpunkt irgendwo in Texas zu beantragen.

Sam griff zum Telefon und begann die Nummer seiner Mutter zu wählen, die er auswendig kannte, doch hielt er nach einigen Ziffern inne und legte den Hörer wieder auf.

Er wollte seiner Mutter nicht die Gelegenheit geben, ihm seine Reise auszureden. Da sie ihm nicht zur Last fallen wollte, würde sie genau das versuchen. Und er würde sich in ihrem jetzigen Zustand nur ungern mit ihr auf eine längere Diskussion einlassen.

Er musste diese Reise machen, wenn er sich noch jemals im Spiegel mit gutem Gewissen anschauen wollte. Er schuldete seiner Mutter mehr, als er ihr je zurückzahlen konnte. Er konnte jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken und so tun, als ob alles in Ordnung wäre.

Außerdem war da auch noch Emma. Sie hatte die Verantwortung für seine Mutter übernommen. Und er durfte nicht zulassen, dass sie diese Last länger als notwendig trug, auch wenn sie dem Wortlaut ihres Briefes nach zu urteilen nicht mit ihm rechnete.

Sie erwartet Dich nicht, also wird sie auch nicht enttäuscht sein, wenn Du nicht kommen kannst …

Genau wie vor vier Jahren wurde in Sam das unbändige Verlangen wach, sich zu verteidigen. Am liebsten würde er Emma jetzt anrufen und ihr sagen, wie sehr sie sich in ihm geirrt hatte. Zugegeben, er hatte Fehler gemacht, und der Himmel wusste, wie sehr er dafür bezahlt hatte. Aber niemals, niemals hatte er Teddy etwas Böses gewünscht.

Aber warum sollte er seine Zeit verschwenden? Er bezweifelte, dass es irgendetwas gab, womit er ihre Meinung ändern könnte. Und was spielte ihre Meinung von ihm jetzt noch für eine Rolle?

Sam wusste, dass er Emma jetzt anrufen und ihr sagen sollte, dass Hilfe bereits auf dem Weg war. Den ganzen Tag in der Bücherei zu arbeiten und sich dann noch abends und am Wochenende um seine kranke Mutter zu kümmern, musste eine schwere Belastung sein. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Doch schließlich erhob er sich vom Schreibtisch, ohne zum Hörer zu greifen.

Obwohl er zugeben musste, dass er sich Emma gegenüber unfair verhielt, fand er es doch klüger ihr unerwartet gegenüberzutreten. Er hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würde, wenn sie sich schließlich gegenüberständen. Und er wollte auf keinen Fall, dass sie Zeit hatte, sich gegen das Bild, das sie von ihm hatte, zu wappnen.

Natürlich spielte er eine Rolle in ihrem Schicksal. Er war maßgeblich an den unglücklichen Umständen beteiligt, die ihre Träume zerstört hatten. Doch er hoffte für sich und auch für seine Mutter, dass er und Emma Verbündete statt Feinde werden könnten. Er hatte sich in den letzten Jahren sehr verändert. Und er wollte die Chance wahrnehmen, ihr das zu beweisen.

Sam lief durch das Büro, griff zum Jackett, schaltete das Licht aus und ging dann den Flur hinunter. Seine Schritte hallten in der Stille wider. Mit einiger Anstrengung wich er dem Weg zum Offiziersklub aus und ging zu dem Gebäude hinüber, in dem sich sein Apartment befand. Es war nicht die Gesellschaft, nach der er sich sehnte, sondern ein hochprozentiger Drink, und er wusste nur allzu gut, wohin das führte. Es gab bessere Wege, die Dämonen, die in ihm wüteten, zu vertreiben.

Zwanzig Minuten später lief er nach einem Warm-up in Shorts und T-Shirt aus der Kaserne hinaus. Er dachte an nichts anderes, als einen Fuß vor den anderen zu setzen und Meile um Meile hinter sich zu bringen.

2. KAPITEL

„Emma, komm aus der Sonne heraus und trink ein Glas Eistee“, insistierte Margaret Griffin.

Emma Dalton, die Unkraut in einem Blumenbeet jätete, schaute auf und lächelte ihre ältere Freundin dankbar an.

„Das hört sich gut an. Ich bin gerade fertig geworden.“

Sie sammelte ihre Gartengeräte ein und setzte sich dann auf die Fersen, um sich ihre Arbeit voller Stolz und Zufriedenheit anzuschauen. Bereits am frühen Samstagmorgen hatte sie sich entschlossen, Margarets vernachlässigten Vorgarten wieder auf Vordermann zu bringen. Und jetzt nach acht Stunden – mit nur einer kurzen Unterbrechung für das Mittagessen – konnte sie stolz von sich behaupten, dass es ihr gelungen war.

Der Duft von frisch gemähtem Gras hing immer noch in der Luft. Einst struppige Büsche umrandeten nun ordentlich geschnitten die Veranda. Und da das Unkraut endlich beseitigt war, konnten die Blumen sich wieder in der ganzen Pracht entfalten.

Wie man auch an ihrem eigenen farbenfrohen, aber ordentlichen Garten sehen konnte, liebte Emma die Gartenarbeit. Mit der Erde zu arbeiten, während man Wind und Sonne auf seiner Haut spürte, erfüllte Emma stets mit einem Gefühl des Friedens. Dass sie den berühmten grünen Daumen hatte, half natürlich sehr.

Sie hatte bereits seit Wochen Margarets Garten in Ordnung bringen wollen, aber es hatte gedauert, bis sie ihre Freundin schließlich davon überzeugt hatte, dass sie ihr sogar einen Gefallen tat, wenn sie sie nach Herzenslust auf ihrem Grundstück gärtnern ließ.

Margaret hatte gemeint, dass sie die Hilfe der jungen Frau bereits viel zu oft in Anspruch genommen hätte. Doch Emma hatte ihr widersprochen. Wann immer Emma eine starke Schulter gebraucht hatte, war Margaret für sie da gewesen – sogar als sie selbst trauerte. Jetzt, da Margaret erkrankt war, bot sich Emma die Gelegenheit, einen Teil dieser Hilfe zurückzugeben. Und sie tat es nicht aus einem Gefühl der Pflicht heraus, sondern aus Liebe. Leider hatte sie ihre Freundin immer noch nicht ganz davon überzeugen können, dass sie keine Bürde für sie war.

Manchmal denke ich, es wäre einfacher für alle, wenn ich in der Nacht einfach einschlafe und nicht mehr aufwache …

Während sie sich an die Worte ihrer Freundin erinnerte, starrte sie die kleine Schaufel in ihrer Hand an, ohne sie wirklich zu sehen. Was würde ich ohne Margaret tun? fragte sie sich, während sie plötzlich von einer tiefen Verzweiflung überfallen wurde. Was würde sie tun?

Mit einer gewaltigen Anstrengung schob Emma die trüben Gedanken zur Seite und nahm den Eimer mit dem Unkraut auf.

Zugegeben, Margaret war nach der letzten Chemotherapie sehr schwach gewesen, aber sie hatte einen erstaunlichen Genesungswillen entwickelt. In den letzten drei Wochen hatte sie einen Teil ihrer Kraft zurückgewonnen und war fast wieder die Alte.

Sie ermüdete immer noch sehr rasch, hatte aber meistens gute Laune und beschäftigte sich mit neuen Rezepten, Kreuzsticharbeiten und las viel. Und nie, aber auch niemals, kam ein Wort der Klage über ihre Lippen.

„Beeil dich, Emma, das Eis beginnt schon zu schmelzen“, rief Margaret ihr zu.

„Ich komme sofort“, versprach Emma und erhob sich. „Ich will nur noch rasch die Schaufel und die Harke weglegen und das Unkraut in die Biotonne schütten.“

Als sie zu den Mülltonnen hinüberging, wünschte Emma sich, früher gewusst zu haben, was für eine erstaunliche Besserung in Margarets Zustand eintreten würde. Aber niemand hatte es ahnen können. Selbst der Doktor war überrascht gewesen, war doch seine Prognose sehr viel negativer ausgefallen. Und sosehr sie sich darüber freute, dass es Margaret besser ging, so sehr ärgerte sie sich, Sam so voreilig geschrieben zu haben. Sie hätte es nicht tun sollen, hätte nicht so kopflos und übereilt handeln dürfen.

Margaret hatte deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ihren Sohn nicht unnötig belasten wollte, und sie hatte sich Margarets Willen gebeugt, bis der Doktor ihr vor drei Wochen gesagt hatte, dass ihre Freundin diesen Sommer vielleicht nicht überleben würde.

Margaret war im Houstoner Medical Center stationär einige Tage zur Behandlung gewesen. Glücklicherweise hatte sie ihr Adressbuch mitgenommen, und Emma hatte Sams Anschrift darin gefunden. Während sie am Bett ihrer schlafenden Freundin wachte, hatte sie mit tränenblinden Augen den Brief geschrieben und ihn abgeschickt, bevor sie es sich wieder anders überlegen konnte.

Doch wunderbarerweise hatte sich Margarets Zustand innerhalb von drei Tagen gebessert, und Emma hatte begonnen ihre hastige Entscheidung zu bereuen. Trotzdem hätte Margaret, wie bei jeder lebensbedrohlichen Krankheit, jederzeit einen Rückfall erleiden und daran sterben können.

Aber jetzt, nach drei Wochen, war Margaret fast wieder die Alte, und es gab eigentlich keinen Grund mehr, warum Sam sich Urlaub nehmen und nach Hause kommen sollte. Aber er würde auch nicht kommen, zumindest wusste sie nichts davon.

Drei Wochen waren vergangen, seit Emma ihm ihren Brief schickte, und sie hatte immer noch keine Antwort erhalten. Vielleicht bekam sie ja noch Antwort. Allein der Postweg dauerte mindestens zehn Tage, aber wenn man bedachte, wie dringlich ihr Brief gewesen war …

Dabei war Emma ganz sicher gewesen, dass er anrufen würde. Und wenn nur, um sich zu erkundigen, ob der Zustand seiner Mutter tatsächlich so ernst war, wie sie angedeutet hatte. Darüber hinaus hatte sie keine Erwartungen gehabt. Sie hatte damit gerechnet, dass er Gründe angab, weshalb er nicht nach Serenity kommen könnte. Und sie hätte sie verstanden.

Es gab zu viele schmerzliche Erinnerungen für Sam in dieser Kleinstadt, in der er aufgewachsen war. Erinnerungen, zu denen sie auf schmähliche Art beigetragen hatte. Sie wusste jetzt, dass sie Sam nur deswegen angeklagt hatte, weil sie versucht hatte, von ihren eigenen Schuldgefühlen abzulenken. Schuldgefühle, weil sie so unglaublich erleichtert gewesen war, dass Sam den Unfall überlebt hatte.

Ich hasse dich, Sam Griffin. Ich hasse dich, ich hasse dich …

Kaum ein Tag war vergangen, an dem Emma sich nicht gewünscht hätte, diese grausamen Worte wieder zurücknehmen zu können. Doch Sam hatte ihr dazu keine Gelegenheit gegeben. Er war zwar bis zu der Beerdigung seines Bruders geblieben, aber nicht im Haus seiner Mutter, und nach der Beerdigung war er verschwunden und nie wieder zurückgekehrt.

Emma konnte es ihm nicht übel nehmen. Nicht damals und ganz bestimmt nicht heute. Selbst jetzt, da es um Margarets Gesundheit ging, zog er es wahrscheinlich vor, Serenity fernzubleiben. Alles, was ihn hier erwartete, war noch mehr Leid und Kummer.

Emma verfluchte erneut ihr impulsives Vorgehen. Sie hätte warten sollen, hätte warten müssen.

„Aber du hast es nicht getan“, murmelte sie, als sie die Gartengeräte an die vorgesehenen Haken hängte und dann rasch das Unkraut in den Biomüll schüttete.

Sie tat ihr Bestes, um ihre melancholischen Gedanken abzuschütteln und lief zu Margaret hinüber, die auf der Veranda wartete. Mit einem Lächeln ließ sie sich auf einem der Stühle nieder und nahm dankend den Eistee aus Margarets Händen entgegen. Sie trank hastig einige Schlucke und lehnte sich dann zufrieden zurück.

„Hm, das tut gut“, erklärte sie.

Sie nahm den Strohhut ab, legte ihn auf den weißen Rattantisch und versuchte mit den Fingern ihre widerspenstigen roten Locken zu kämmen. Sie brauchte unbedingt eine Dusche, aber zuerst wollte sie sich eine Weile entspannen und die sanfte Brise auf der schattigen Veranda genießen.

„Du hast dich selbst übertroffen, Emma. Der Garten sieht wunderbar aus. Meine Nachbarn werden mich beneiden“, bemerkte Margaret stolz.

„Vielleicht nicht alle. Mr. Bukowski könnte uns noch übertrumpfen.“ Emma wies mit dem Kopf auf das gegenüberliegende Haus, in dessen Vorgarten ein älterer Mann an einem bereits ordentlich getrimmten Rosenbusch herumschnippelte.

„Wenn seine Frau es zuließe, würde der alte Fuchs noch mit seinen preisgekrönten Rosen ins Bett gehen“, erwiderte Margaret. „Ihn kann man nicht mitzählen.“

„Nun, dann muss ich zugeben, dass dein Garten jetzt mindestens so gepflegt wie alle anderen aussieht.“

„Vielen Dank, Emma. Du hast dir so viel Mühe gegeben. Ich hoffe, du weißt, wie sehr ich deine Arbeit zu schätzen weiß.“

„Gartenarbeit ist mir nie wie Arbeit vorgekommen. Bei Arbeit denke ich eher an Boden wischen oder Badezimmer schrubben.“ Emma erschauerte und lächelte ihre Freundin dann verschmitzt an. „Ich bin so froh, dass wir Mrs. Beal gefunden haben, die diese unerquicklichen Aufgaben für uns erledigt.“

„Aber du hast auch noch einen eigenen Garten, um den du dich kümmern musst“, sagte Margaret besorgt. „Ich nehme dich bereits genug in Anspruch.“

„Was für ein Unsinn.“ Emma winkte ab. „Schließlich zahlst du Mrs. Beal für mich mit, solange ich in deinem Haus wohne. Und was mache ich sonst schon? Ich koche uns hin und wieder etwas und wasche ein paar Maschinen Wäsche. So viel habe ich bis zum heutigen Tag wirklich nicht für dich getan. Und, wie bereits des Öfteren erwähnt, liebe ich Gartenarbeit über alles.“

„Du musst aber auch noch den ganzen Tag in der Bücherei arbeiten“, erinnerte Margaret sie. „Durch mich bist du ständig einer Doppelbelastung ausgesetzt.“

„Dafür habe ich eine Lösung gefunden“, verkündete Emma bewusst ungezwungen. „Marion Cole und ich sind übereingekommen, uns meinen Job in den Sommermonaten zu teilen. Sie ist bei mir vorbeigekommen, um nach einer Teilzeitarbeit zu fragen, aber leider stehen mir nicht die Mittel für eine weitere Angestellte zur Verfügung. Also entschloss ich mich, ihr einige meiner Stunden zu geben. Sie ist eine erfahrene Bibliothekarin und sehr beliebt bei den Leuten in der Stadt. Da ihr Mann zur Zeit arbeitslos ist, braucht sie das Geld dringend.“

„Das ist sehr großzügig von dir, Emma. Aber …“ Margaret zuckte die Schultern, schaute weg und zog ein Taschentuch aus ihrer Rocktasche.

„Es ist nur vorübergehend. Marion ist ziemlich sicher, dass ihr Mann bald einen Job in Dallas oder Houston bekommen wird. Und mir gefällt der Gedanke, in diesen Sommer endlich einmal mehr Zeit für mich zu haben. Wir könnten vor deinem nächsten Termin bei deinem Arzt in Houston einige Tage nach Galveston ans Meer fahren. Ich weiß, wie sehr du das Meer und den Strand liebst, und es ist eine Weile her, seit du das letzte Mal dort warst.“

Margaret wischte sich gerührt die Augen, und Emma trank ihren Eistee und schaute taktvoll über die Wiese zur ruhigen Straße hinüber, die von schönen alten Bäumen gesäumt war.

Margaret war nie eine Frau gewesen, die ihre Gefühle offen zur Schau stellte, aber in der letzten Zeit rührte die kleinste nette Geste sie zu Tränen. Obwohl Emma sie gern getröstet hätte, ließ sie es bleiben. Sie wusste, dass sie ihre Freundin nur unnötig in Verlegenheit bringen würde.

Stattdessen genoss sie weiter die Frühsommeridylle und hielt das kühle Glas an ihre Wange, um ihr erhitztes Gesicht abzukühlen. Sie war so in Gedanken, dass sie den blauen Wagen erst bemerkte, als er vor dem Haus in Margarets Einfahrt einbog. Sie wunderte sich ein wenig, da ihr der Wagen unbekannt war, und nahm an, dass es nur ein Fremder wäre, der in der Einfahrt drehen und zurückfahren wollte. Margaret hatte nicht erwähnt, dass sie Besuch erwartete.

„Wer um alles in der Welt kann das sein?“, fragte Margaret, die sich wieder gefasst hatte.

„Ich weiß es nicht“, murmelte Emma, die auf einmal in der Magengegend ein Gefühl bekam, als ob sie Achterbahn gefahren wäre. Konnte es sein, dass …

Der Motor des Wagens verstummte, doch der Fahrer machte immer noch keine Anstalten auszusteigen. Margaret erhob sich und ging langsam zur Einfahrt hinüber.

„Oh nein …“, stieß sie atemlos hervor. „Das ist doch nicht etwa …?“

Emma erhob sich ebenfalls und wusste bereits, was Margaret nur vermutete. Sie wusste auf einmal mit absoluter Sicherheit, wer hinter dem Steuer des blauen BMWs saß. Und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als auf und davon zu laufen. Aber solch ein Verhalten würde ihre Freundin niemals verstehen. Als die Wagentür sich schließlich öffnete, stockte ihr der Atem und ihr Herz begann zu rasen.

Ein großer, gut aussehender Mann in Kakishorts und weißem Polohemd stieg aus. Er trug eine Sonnenbrille, und sein kurzes blondes Haar schimmerte in der Sonne. Nachdem er leise die Tür seines Wagens geschlossen hatte, kam er über die Wiese auf die beiden Frauen zu.

„Sam?“, stieß Margaret hervor, ihre Stimme nicht mehr als ein Flüstern. Dann lief sie mit geöffneten Armen auf ihn zu und rief voller Freude: „Sam, mein Junge, du bist nach Hause gekommen. Mein Sohn …“

Emma sah zu, wie er einen Moment zögerte und dann unsicher die Sonnenbrille abnahm. Sie bemerkte, wie überrascht er war, dass Margaret in den letzten Monaten so gealtert war, aber er hatte sich schnell wieder im Griff. Er lächelte – ein Lächeln, an das sich Emma nur allzu gut erinnerte –, lief auf seine Mutter zu und nahm sie in seine Arme. Während er sie an sich zog, erlosch jedoch sein Lächeln und machte Schmerz und Besorgnis Platz.

„Hey, wein doch nicht“, schalt er sie sanft. „Du freust dich wohl gar nicht, mich zu sehen?“

„Oh, doch, Sam Griffin. Ich freue mich, und das weißt du ganz genau.“ Sie lächelte ihn durch ihre Tränen an und legte eine Hand an seine Wange. „Ich freue mich mehr, als du je wissen wirst.“

Emma, die immer noch allein auf der Terrasse stand, wünschte sich nichts mehr, als sich davonschleichen zu können, ohne dass einer der beiden es bemerkte. Mutter und Sohn hatten sich fast seit einem Jahr nicht gesehen, und sie wollte diese Zusammenkunft auf keinen Fall stören.

Aber Emma fühlte sich nicht nur als Eindringling, sondern sie hatte auch Angst. Angst davor, wie Sam reagieren würde, wenn er sie hier im Schatten entdeckte. Er würde ganz bestimmt nicht glücklich sein, sie hier zu sehen. Das war sicher. Aber würde er seine Missbilligung offen vor Margaret zeigen?

Was sie betraf … Nun, sie hatte geglaubt, sie hätte ihre Gefühle für Sam so tief begraben, dass sie nie mehr lebendig werden könnten. Doch sie musste sich jetzt eingestehen, dass sie sich geirrt hatte. Allein sein Anblick ließ ihr Herz schneller schlagen und ihre Hände feucht werden. Eine Sehnsucht, stärker als alles, was sie je erlebt hatte, war in ihr wach geworden und sie wünschte sich nichts mehr, als dass er sie mit ausgebreiteten Armen willkommen heißen würde.

Doch wenn man bedachte, wie sie ihn vor vier Jahren behandelt hatte, war sie bestimmt die letzte Frau auf Erden, die er in den Armen halten wollte. Und das bedeutete, dass sie ihre Gefühle nicht verraten durfte, weder durch Worte noch durch Taten. Wenn er sie zurückweisen würde, wäre sie am Boden zerstört.

Und wenn er es nicht täte?

Emma erschauerte. Sie wusste, welcher Gefahr sie sich dann aussetzte. Sie würde sich ihm, ohne auch nur einen Moment zu zögern, hingeben. Und wenn sie ihn dann langweilte – was bei einem Mann wie Sam Griffin zu erwarten war –, würde sie wie ihre Mutter enden und einsam und verlassen um einen Mann trauern, der glaubte, sein Glück nur im Rausch der Gefahr finden zu können.

Das konnte und das durfte sie nicht zulassen. Was sie brauchte, war Stabilität und Sicherheit in ihrem Leben, die Art von Sicherheit und Stabilität, die sie hier in Serenity, zuerst mit Teddy und dann allein gefunden hatte.

Sie strich sich, in einem vergeblichen Versuch ihre Locken zu bändigen, über ihr Haar, zwang sich zu einem Lächeln und ging dann zu den anderen beiden hinüber.

„Ja, tatsächlich, es ist Sam“, sagte sie und war überrascht, wie sicher ihre Stimme klang. Dann wagte sie es, einen Blick auf Sam zu werfen und stellte fest, dass er sich nicht verändert hatte. „Hallo, Sam“, erklärte sie. „Ich freue mich, dich wieder zu sehen.“

„Ich freue mich ebenfalls, Emma“, erwiderte er höflich.

„Komm mit uns auf die Veranda und setz dich“, drängte Margaret. „Wie wäre es mit einem Eistee?“

„Hört sich gut an“, erklärte Sam und ging auf die Terrasse zu.

„Ich werde neuen Eistee aus der Küche holen“, bot Emma rasch an, froh, sich wenigstens eine Weile zurückziehen zu können.

„Danke, meine Liebe“, sagte Margaret und tätschelte liebevoll ihren Arm, bevor sie sich Sam zuwandte. „Du hättest mir wirklich vorher Bescheid geben sollen“, rügte sie ihn milde.

„Dann wäre es keine Überraschung mehr gewesen.“

Erleichtert über Sams humorvollen Ton, lief Emma ins Haus. Sie hatte keine Ahnung, wie er sein unerwartetes Auftauchen Margaret erklären wollte. Aber im Moment schien er noch nicht vorzuhaben, ihre Beteiligung an seinem Kommen preiszugeben. Denn dann würde er auch über ihre Krankheit sprechen müssen, und offensichtlich wollte er seiner Mutter nicht die Freude über sein Kommen verderben.

Als Emma einen Blick in den Flurspiegel warf, zuckte sie zusammen. Ihre Locken standen wirr in alle Richtungen vom Kopf. Das alte T-Shirt und die verwaschenen Shorts, die sie für die Gartenarbeit gewählt hatte, trugen Schweiß, Gras- und Schmutzflecken. Selbst ihre Arme und ihr Gesicht waren leicht verschmutzt.

„Bezaubernd“, murmelte sie, als sie den Flur zur Küche hinunterging.

Selbst wenn sie ihn vor vier Jahren nicht mit ihren grausamen Worten vertrieben hätte, würde sie es jetzt mit ihrem Aussehen tun. Im Moment könnte sie höchstens einer Vogelscheuche Konkurrenz machen.

In der Küche holte sie frisches Eis aus dem Kühlschrank und stellte es zusammen mit zwei Gläsern und der Glaskanne mit dem Tee auf ein Tablett.

„So, da bin ich wieder“, erklärte sie bei ihrer Rückkehr, als sie durch die Fliegengittertür hinaus ins Freie trat.

Sam und Margaret schauten zu ihr hinüber, doch sie vermied es, die beiden anzusehen und stellte das Tablett auf den Rattantisch.

„Warum hast du dir kein neues Glas mitgebracht?“, fragte Margaret.

„Ich finde, ihr solltet euch eine Weile allein unterhalten. Ich werde mich inzwischen duschen und umziehen“, erklärte Emma und wandte sich wieder dem Haus zu. „Ich werde auch den Auflauf in den Ofen schieben. Es sei denn, ihr wollt heute Abend später essen und …“

„Oh nein, Emma. Wir essen ganz normal.“ Margaret berührte den Arm ihres Sohnes. „Wie klingt King Ranch – Auflauf in deinen Ohren?“

„Himmlisch.“ Er lächelte seine Mutter liebevoll an.

Emma kam sich wie das berühmte fünfte Rad am Wagen vor und riss rasch die Fliegengittertür auf.

„Komm zu uns, sobald du fertig bist“, rief Margaret ihr hinterher.

Doch Emma hatte nicht die Absicht, noch länger hier zu bleiben. Jetzt war Sam schließlich zu Hause, und Margaret war nicht mehr allein. Sie würde duschen, sich umziehen, ihre Sachen packen, eine Entschuldigung hervorbringen und dann in ihr eigenes Haus zurückkehren, das nur zwei Straßen entfernt lag. Sie wurde hier nicht länger gebraucht. Sam war jetzt da, um sich um Margaret zu kümmern. Emma konnte ja wiederkommen, wenn Sam abgereist war.

Sie stellte den Hühnchenauflauf, den Margaret am Nachmittag vorbereitet hatte, in den Ofen und lief dann in das Gästezimmer hinauf, in dem sie die letzten drei Wochen gewohnt hatte. Margarets Schlafzimmer lag direkt daneben.

Die Zimmer, in denen Sam und Teddy in ihrer Kindheit geschlafen hatten, lagen auf der anderen Seite der Treppe. Ihre Türen waren verschlossen.

Emma überlegte, ob sie nicht wenigstens Sams Zimmer lüften sollte, aber allein der Gedanke in den Raum zu gehen, der immer sein privater Bereich gewesen war, erfüllte sie mit Unbehagen. Sie hoffte nur, dass Mrs. Beal auch in diesem Zimmer Staub gewischt hatte. Das Bett könnte Sam sich allein frisch beziehen.

Im Moment wollte Emma einfach nur aus dem Haus hinaus, bevor sie irgendetwas Dummes sagte oder tat. Und das wollte sie auf jeden Fall vermeiden.

3. KAPITEL

„Ich frage mich, warum Emma so lange braucht“, erklärte Margaret, die zum dritten Mal innerhalb von fünfzehn Minuten auf die Uhr schaute.

Sam hatte sich diese Frage bereits selbst gestellt und auch schon eine Idee, wie die Antwort darauf lauten könnte. Es war ihm nicht entgangen, dass Emma trotz ihres höflichen Verhaltens jeglichen Blickkontakt zu ihm vermieden hatte. So als ob sie seinen Anblick kaum ertragen könnte. Es war also kein Wunder, wenn sie keinen Wert darauf legte, Zeit in seiner Gesellschaft zu verbringen.

Das konnte er natürlich nicht seiner Mutter sagen. Sie würde so tun, als ob sie ihn nicht verstünde. So wie sie vorgab, seine Sorge um ihre Gesundheit nicht zu verstehen. Er konnte also nicht mit der Tür ins Haus fallen und ihr sagen, dass Emma bereits seinen Anblick verabscheute, oder wie schockiert er über das gebrechliche Aussehen seiner Mutter war. Seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, war sie auf erschreckende Weise gealtert. Er hatte sie zwar nach ihrem Gesundheitszustand gefragt, aber sie hatte ihm nichts von der Leukämie erzählt. Sie war ihm ausgewichen und hatte ihm etwas über Wetterfühligkeit erzählt. Angeblich war es in den letzten Wochen so schlimm geworden, dass sie Emma gebeten hatte, bei ihr zu wohnen. Doch inzwischen würde sie sich besser fühlen, beruhigte sie ihn, vor allen Dingen jetzt, da er nach Hause gekommen war.

„Es war an der Zeit, dass du zurückkehrst“, hatte sie ihm gesagt. „Aber warum bist du gerade jetzt gekommen?“

„Weil es an der Zeit war“, wich er aus. Schließlich konnte er nicht zugeben, dass Emmas Brief der Anlass für seine Reise gewesen war. Das würde ihr nur die Freude über sein Kommen trüben.

Er würde in den nächsten Tagen noch genug Gelegenheit haben, sie wegen ihrer Krankheit zur Rede zu stellen.

„Vielleicht sollte ich nach ihr sehen?“, fuhr Margaret fort. „Oder noch besser, du schaust nach ihr. Inzwischen kann ich mit der Zubereitung des Salates beginnen.“ Sie nickte entschlossen. „Ja. Du kannst dein Gepäck aus dem Wagen holen, es auf dein Zimmer bringen und anschließend nachschauen, ob sie vielleicht in der Badewanne ausgerutscht ist und sich den Kopf angeschlagen hat.“

Sam seufzte innerlich. Emma in der Badewanne vorzufinden, war das Letzte, was er sich wünschte. Er stellte sich vor, wie sie nackt und … Er riss sich zusammen und gab seinen Gedanken rasch eine andere Richtung.

„Wahrscheinlich dauert es etwas länger, bis sie sich die Haare getrocknet hat“, erklärte Sam, dessen Wangen heiß geworden waren.

„Wahrscheinlich. Aber es würde mich beruhigen, zu wissen, dass ihr nichts passiert ist. Natürlich gehe ich auch selbst die Treppen hinauf, wenn du zu schüchtern bist.“

„Oh nein. Nein“, murmelte er rasch und lächelte, als er das humorvolle Glitzern in ihren blauen Augen sah. „Wie du schon sagtest, muss ich ja sowieso das Gepäck aufs Zimmer bringen. Da kann ich auch gleich nach ihr sehen.“

Margaret Griffin hatte immer gewusst, wie sie ihren Willen durchsetzen konnte, und diese Eigenschaft hatte sie offensichtlich nicht verloren. Obwohl er nicht wusste, was sie damit erreichen wollte, ihn nach Emma sehen zu lassen. Oder besser ausgedrückt, er wusste es, wagte aber nicht näher darüber nachzudenken.

„Danke, Sam.“ Sie lächelte strahlend, als sie das Tablett vom Tisch aufnahm.

„Gern geschehen“, erwiderte Sam.

Er hielt die Fliegengittertür für sie auf und ging dann langsam über die Wiese zu seinem Wagen hinunter, den er am Flughafen von San Antonio gemietet hatte.

Wenn er wirklich glaubte, dass Emma etwas zugestoßen sein könnte, hätte er sich bestimmt beeilt. Aber wahrscheinlich war sie, um ihm auszuweichen, statt auf die Veranda einfach in die Küche gegangen.

Wahrscheinlich waren die beiden Frauen bereits zusammengetroffen und bereiteten das Abendessen vor, während sie ihm die Zeit gaben, die er brauchte, um sich an einem Ort zu Hause zu fühlen, an den er nicht länger gehörte.

Die Fahrt von San Antonio hierher war ganz angenehm verlaufen, aber er war auch so lange fort gewesen, dass ihm weder die Stadt noch die Landschaft sehr vertraut vorgekommen waren. Als er jedoch nach Serenity kam, war er auf einmal von Erinnerungen bombardiert worden. Überraschenderweise waren nicht alle schlecht gewesen. Und die, die es waren … Nun, sie hatten mit der Zeit ihre Intensität verloren, und der Schmerz war erträglicher geworden.

Trotzdem war er langsamer gefahren und hatte den Moment hinausgezögert, in dem er in die Einfahrt seines Elternhauses einbiegen musste. Er hatte sich eingeredet, sich nur langsam wieder an die einst so vertraute Umgebung gewöhnen zu wollen, aber er konnte sich nichts vormachen. Er hatte Angst, Angst sich der Vergangenheit zu stellen. Angst davor, in das Haus seiner Mutter zu gehen und sich der Leere in Teddys Zimmer zu stellen.

Während Sam dem Elternhaus immer näher kam, fragte er sich, wie seine Mutter wohl mit der Lücke fertig geworden war, die Teddys Tod gerissen hatte, und plötzlich war ihm klar geworden, wie unbarmherzig es von ihm gewesen war, sie allein durch diese schlimme Zeit gehen zu lassen.

Er war selbst so damit beschäftigt gewesen, mit dem Schmerz fertig zu werden, dass er fast alle Gedanken an sie ausgeklammert hatte. Was für ein Sohn bist du gewesen, hatte er sich vorgeworfen, als er schließlich den Motor in der Einfahrt abstellte.

Dennoch hatte sie ihm in den letzten vier Jahren nie Vorwürfe gemacht. Sie hatte lediglich geduldig gewartet, bis er endlich wieder zu sich kommen würde. Das war jetzt geschehen, allerdings nur, weil Emma ihn sanft gedrängt hatte.

Sam holte seinen Koffer und seine Reisetasche heraus, schlug die Haube des Kofferraums zu und ging langsam aufs Haus.

Es sah alles noch so aus, wie er sich erinnerte, zumindest von außen. Seine Mutter hatte wohl die Fassade des Hauses in den letzten Jahren streichen lassen, und der Garten wirkte gepflegt. Seine Mutter hatte ihm bereits erklärt, dass sie das Emma zu verdanken hätte.

Er nahm an, dass sich im Inneren des Hauses auch nicht viel verändert hatte. Er hatte hier eine glückliche Kindheit verbracht, die erst durch den tragischen Tod seines Vaters beendet worden war. Und dann hatte er auch noch seinen Bruder verloren. War es da ein Wunder, dass er sich zwingen musste, erneut ins Haus und die Treppen hinauf in den ersten Stock zu gehen?

Nach dem zu urteilen, was er im Erdgeschoss gesehen hatte, war fast alles beim Alten geblieben. Die Couch sah aus, als hätte man sie neu gepolstert, und die schweren Samtvorhänge waren durch einen leichteren Stoff ersetzt worden. Ansonsten standen alle Möbel an ihrem angestammten Platz.

Seltsamerweise empfand Sam längst nicht so viel Unbehagen, wie er es erwartet hatte. Überraschenderweise spürte er sogar so etwas wie ein warmes Gefühl der Geborgenheit. Ob er es nun zugeben wollte oder nicht, trotz allem, was geschehen war, tat es gut, endlich einmal wieder zu Hause zu sein.

Als er im ersten Stock angekommen war, blieb er stehen und schaute zur Badezimmertür hinüber, die direkt vor ihm lag. Die Tür war leicht geöffnet und das Licht ausgeschaltet. Emma hatte also glücklicherweise ihr Bad bereits beendet. Er musste sich also keine Sorge machen, sie nackt in der Wanne vorzufinden.

Dann schaute er zu den Türen von Teddys und seinem Zimmer hinüber. Mit Erleichterung stellte Sam fest, dass sie geschlossen waren, er brauchte also nur hineinzuschauen, wenn er sich entschlossen …

Ein leises Poltern lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Schlafzimmer zu seiner Rechten. Das Zimmer, dessen Tür einen Spalt aufstand, musste Emmas sein.

Ein weiteres Poltern, gefolgt von einem Quietschen, das offensichtlich von dem Öffnen einer Schublade stammte, brachte ihn fast zum Lächeln. Was um alles in der Welt trieb sie da drinnen? Räumte sie etwa auf?

Ohne nachzudenken, stellte Sam sein Gepäck ab, ging zur Tür hinüber und stieß sie ein paar Zentimeter weiter auf.

Emma musste die Bewegung aus den Augenwinkeln heraus bemerkt haben, denn sie schaute erschrocken zu ihm hinüber. Sie sahen sich für einen Moment an, bevor sie hastig den Blick senkte, während sie ein weißes Wäschestück, wahrscheinlich ein zartes Nachthemd, an ihre Brust presste. Ihr Gesichtsausdruck gab nicht preis, ob sie wütend oder verlegen über sein Eindringen war.

„Entschuldige“, murmelte er. „Ich habe Geräusche gehört und dachte …“ Er zögerte. „Eigentlich habe ich gar nichts gedacht“, gestand er.

Unfähig den Blick von ihr zu nehmen, bemerkte er, wie sauber und adrett sie jetzt aussah. Ihre wundervollen Locken umrahmten in kunstvoller Unordnung ihr Gesicht und ließen sie unglaublich jung und verletzlich erscheinen. Doch das hellgelbe Sommerkleid betonte ihre Weiblichkeit in einer Art und Weise, die keine Zweifel daran ließ, dass eine erwachsene Frau vor ihm stand.

„Ist schon gut, du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, murmelte sie und warf ihm einen kurzen Blick zu.

„Was machst du?“, fragte Sam bestürzt, als er den geöffneten Koffer auf dem Bett entdeckte. Obwohl die Frage angesichts der sorgfältig gefalteten Kleidungsstücke, die bereits säuberlich gestapelt darin lagen, überflüssig war.

„Jetzt, da du hier bist …“ Sie hielt inne, hob das Kinn und schaute ihn unverwandt an. „Ich finde, dass ich in mein Haus zurückgehen sollte.“

Sie wollte also davonlaufen. Sam wusste, dass er eigentlich erleichtert darüber sein sollte. Wenn sie jetzt ginge, wäre er nicht ständig ihrer Missbilligung ausgesetzt. Doch seltsamerweise war alles, was er spürte, Enttäuschung.

Obwohl Emma ihn nicht mit überschwänglicher Freude begrüßte, hatte sie auch keine Feindseligkeit gezeigt. Offensichtlich bereitete ihr seine Nähe Unbehagen, aber verflixt noch mal, ihm ging es schließlich auch nicht besser. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass es keine Hoffnung für sie gab.

Hoffnung worauf? fragte er sich. Doch darauf konnte er leider keine Antwort geben. Hoffnung auf Versöhnung vielleicht? Er war nicht sicher, wie Emma darüber dachte, aber er sehnte sich danach, mit ihr endlich Frieden zu schließen. Aber schließlich konnte er nicht einfach zu ihr hingehen und sie darum bitten. Zumindest jetzt noch nicht.

„Du willst wieder in dein Haus ziehen?“ Er sah sie fragend an, während er fieberhaft nach Gründen suchte, die sie zum Bleiben bewegen könnten. „Warum?“

„Weil du jetzt hier bist“, erklärte sie.

„Was macht das für einen Unterschied?“, fragte er.

„Wenn du hier bist, braucht Margaret mich nicht mehr.“

„Das glaube ich kaum“, entgegnete Sam, dem schließlich eingefallen war, womit er ihre Meinung ändern könnte. „Sie hat mir gerade eben noch gesagt, wie gern sie dich in ihrer Nähe hat, aber sie hat Angst davor, dich auszunutzen. Wenn du jetzt davonläufst, wird sie glauben, dass sie genau das getan hat und sich große Vorwürfe machen.“

„Ich habe ihr bereits oft gesagt, dass sie mir niemals zur Last gefallen ist, sondern dass ich gern bei ihr bin“, insistierte Emma.

„Trotzdem wünschte ich mir, dass du hier bleibst. Das wäre das Beste für sie und für mich.“

„Für dich?“ Sie sah ihn unsicher an.

„Meine Mutter hat mir gegenüber noch nichts von der Leukämie erwähnt. Als ich sie fragte, warum sie so abgenommen hätte, hat sie nur erwähnt, dass sie krank gewesen sei, aber dass es nichts Ernstes wäre. Ich wollte nicht am Tag meiner Ankunft mit der Tür ins Haus fallen, also habe ich nichts von deinem Brief gesagt. Ich weiß, dass wir über die Krankheit reden müssen, und das werden wir auch. Aber bis dahin …“ Er zuckte hilflos die Schultern. „Wahrscheinlich würde sie mich noch nicht einmal um Hilfe bitten, wenn es ihr plötzlich schlechter ginge. Wenn du bleiben könntest, hätte sie wenigstens jemanden, an den sie sich wenden könnte.“

„Wie lange hast du vor, hier zu bleiben?“, fragte Emma mit gerunzelter Stirn.

„Mindestens vier Wochen, auch länger, falls notwendig.“

„Montag in einer Woche hat sie einen Termin bei ihrem Arzt in Houston. Da sie den kaum geheim halten kann, könnte ich bis dahin noch hier im Haus bleiben“, fuhr sie, wenn auch widerstrebend, fort.

„Das würde ich wirklich sehr zu schätzen wissen“, erklärte Sam.

„Nun, ich möchte Margaret auf keinen Fall unnötig aufregen.“

Mit einem resigniertem Ausdruck warf Emma das Nachthemd auf das Bett, nahm einen Armvoll Kleidungsstücke aus dem Koffer und wandte sich dann wieder der Kommode zu.

Sam wusste, dass ihr Gespräch damit beendet war, und verließ ohne ein weiteres Wort zu sagen das Zimmer und nahm sein Gepäck wieder auf.

„Was ist da oben los?“, hörte er Margaret vom unteren Treppenabsatz rufen. „Das Abendessen ist fertig. Wollt ihr nicht herunterkommen?“

„Wir kommen sofort“, versicherte Sam ihr.

„Geht es Emma gut?“

„Ja“, meldete sie sich. „Ich bin schon auf dem Weg.“

Sie trat aus dem Zimmer, wechselte rasch einen besorgten Blick mit ihm und ging dann die Treppe hinunter.

Sam schaute ihr einen Moment nach, ging dann in sein Zimmer und stellte das Gepäck ab. Er bemerkte, dass seine Mutter seit seinem letzten Besuch die Vorhänge und die Bettwäsche gewechselt hatte, aber alles andere war unberührt. Sein Zimmer wirkte wie ein Schrein seiner Kindheit. Glücklicherweise könnte man die meisten Dinge in Kartons packen und auf dem Dachboden verstauen.

Als er schließlich in die Küche kam, war der Tisch gedeckt, und die beiden Frauen hatten Platz genommen. Da alle hungrig zu sein schienen und der Auflauf und der Salat köstlich waren, genossen sie fast schweigend das Essen. Sam füllte seinen Teller sogar zweimal.

„Bist du sicher, dass du genug gegessen hast“, fragte Margaret, als er sein Besteck ablegte und sich zurücklehnte.

„Mehr als genug“, erwiderte er mit einem zufriedenen Lächeln.

„Ich hoffe, du hast noch etwas Platz für einen frisch gebackenen Pfirsichkuchen übrig gelassen.“

„Du kannst auch Vanilleeis dazu haben“, fügte Emma hinzu und half Margaret, den Tisch abzudecken.

„Hört sich verführerisch an, aber ich bin wirklich satt.“

„Dann werde ich dir nur ein schmales Stück geben“, sagte Margaret.

„Also gut, aber bitte keine Eiscreme.“

„Kaffee?“ Emma erschien an seiner Seite und hielt ihm einen dampfenden Becher entgegen.

„Danke.“

Sam nahm ihr den Becher aus der Hand, doch sie wandte sich ab, bevor er ihr zulächeln konnte.

„Weißt du, ich habe nachgedacht …“, begann Margaret, als sie mit dem Stück Kuchen an den Tisch zurückkam.

„Über was?“, fragte Sam und nahm den Kuchen entgegen.

„Es geht um diesen Wagen, den du gemietet hast“, erwiderte Margaret, als Emma mit Kaffee für sich und Margaret an den Tisch zurückkehrte. „Du brauchst ihn gar nicht. Du kannst doch stattdessen meinen benutzen und viel Geld sparen.“

„So teuer ist er auch wieder nicht. Und ihn nach San Antonio zurückzubringen, ist eine aufwendige Sache. Jemand muss mit mir in einem anderen Wagen hinfahren und mich dann mit nach Hause nehmen. Und dieser jemand ist auf keinen Fall du“, erklärte er unumwunden. Er wusste, dass seine Mutter auf keinen Fall in der Verfassung war, diese lange Fahrt zu unternehmen.

„Nun, um ehrlich zu sein, dachte ich auch an eine andere Person.“ Sie sah lächelnd zu Emma hinüber. „Es würde dir doch nichts ausmachen, ihm im Wagen nach San Antonio zu folgen und dann wieder mit ihm zurückzufahren, oder? Wie wäre es mit morgen? Natürlich nach der Kirche.“

Sam versteckte so gut es ging, seinen Widerwillen gegen den Vorschlag seiner Mutter und sah zu Emma hinüber. Sie starrte in ihre Kaffeetasse und sagte nichts.

„Ich bin sicher, dass sie an einem Sonntag etwas Besseres zu tun hat“, warf er ein.

„Oh nein“, widersprach seine Mutter. „Sie hat sich schon lange vorgenommen, einmal nach San Antonio zu fahren. Nicht wahr, meine Liebe? Du wolltest doch zu dieser Gärtnerei, in der sie die alten Gartenrosen verkaufen, die dir so gut gefallen. Außerdem könntest du für mich an dem Handarbeitsgeschäft am Riverwalk vorbeifahren. Dolly rief an, dass sie endlich das Garn erhalten hat, das ich bestellt habe. Ich bin sicher, dass beide Geschäfte am Sonntagnachmittag geöffnet haben. Wenn du natürlich andere Pläne haben solltest, dann …“

„Eigentlich nicht“, gab Emma zu. „Aber was ist mit dir? Möchtest du nicht mitkommen?“

Sam hörte die Verzweiflung aus ihrer Stimme heraus. Sie wollte genauso wenig mit ihm allein sein, wie er mit ihr. Aber seine Mutter schien nichts davon zu bemerken. Die Betonung lag auf schien, denn seine Mutter hatte sich immer gerühmt, ein gutes Gespür für die Gefühle anderer Menschen zu haben.

Was hat sie vor? fragte er sich. Sie wollte ihn doch nicht etwa mit Emma verkuppeln? Sie musste doch am besten wissen, wie unmöglich eine Beziehung zwischen Emma und ihm wäre.

„Ich glaube, ich bleibe hier und ruhe mich aus“, erwiderte Margaret und sah dann Sam mit laserscharfem Blick an. „Das wäre also geklärt. Wir werden morgen früh in die Messe gehen, dann im Café frühstücken, und anschließend könnt ihr losfahren.“

„Nur wenn Emma wirklich nichts dagegen hat“, erklärte Sam.

„Das habe ich nicht.“ Ohne den anderen beiden einen Blick zu gönnen, sprang sie abrupt auf und brachte ihren Kaffeebecher zur Spüle hinüber. Sam hatte fast Mitleid mit ihr. Sie hatte absolut keine Lust dazu, den Tag mit ihm zu verbringen, und beugte sich trotzdem Margarets Wünschen.

Verflixt, er hätte sie zu ihrem Haus zurückgehen lassen sollen, als sie noch die Chance dazu hatte. Jetzt würde er mit ihr allein nach San Antonio fahren müssen, und es gab absolut keinen Ausweg. Was würde Emma sagen, wenn sie allein wären?

Und über was um Himmels willen sollte er überhaupt mit ihr reden?

„Emma, Liebes, du siehst müde aus. Kein Wunder nach der harten Arbeit. Warum gehst du heute nicht etwas früher zu Bett? Sam kann mir helfen, die Küche aufzuräumen. Nicht wahr, Junge?“

„Ja, klar.“ Er nahm seinen Teller und seinen Becher und erhob sich.

„Ich werde dein Angebot gern annehmen“, stimmte Emma ihr erleichtert bei. „Ich bin wirklich ziemlich müde. Wir sehen uns dann morgen früh.“ Sie umarmte Margaret und schaute dann kurz zu Sam hinüber. „Gute Nacht, Sam.“

„Gute Nacht, Emma.“ Während er zusah, wie Emma die Küche verließ, stiegen Bilder in ihm auf, wie Emma in ihrem zarten weißen Nachthemd in das Himmelbett stieg, das in ihrem Zimmer stand, und er wünschte sich auf einmal …

„Du wäschst ab und ich trockne ab“, ordnete seine Mutter an und riss ihn damit keine Sekunde zu früh aus seinen Gedanken.

„Ja, Ma’am.“

Er ging zur Spüle hinüber, drehte das heiße Wasser auf und griff dann zur Spülmittelflasche. Wortlos trat seine Mutter an ihn heran und legte eine Hand an seine Wange.

„Habe ich dir schon gesagt, wie froh ich bin, dass du gekommen bist?“

„Ja“, versicherte er ihr und legte einen Arm um ihre Schultern. „Aber ich glaube, ich habe dir noch nicht gesagt, wie sehr ich mich freue, wieder hier zu sein.“

„Tust du das wirklich?“

„Ja, ganz bestimmt.“

Sam zog seine Mutter an sich und wusste auf einmal, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Trotz allem, was passiert war, schien es das einzig Richtige gewesen zu sein, wieder nach Serenity zurückzukehren. Und er war froh, dass ihm das klar geworden war, bevor es zu spät war.

„Ich freue mich.“ Sie erwiderte seine Umarmung und rückte dann von ihm ab. „Jetzt lass uns aufräumen, damit wir noch eine Weile auf der Veranda sitzen und uns unterhalten können. Ich möchte alles über diese jungen Piloten hören, die du ausbildest.“

4. KAPITEL

Mit jeder Meile, die sie San Antonio näher kam, wurde die Angst, die sie bereits gestern Abend befallen hatte, noch stärker. Emma saß steif im Fahrersitz von Margarets Volvo und umklammerte das Lenkrad mit schweißfeuchten Händen, den Blick auf den dunkelblauen Wagen gerichtet, der zwei Wagen vor ihr fuhr.

Auch Sam schien es nicht eilig zu haben, ihren Bestimmungsort zu erreichen, doch dieser Moment würde unweigerlich kommen. Sie hatte bereits seit Langem die schmalen gewundenen Straßen Serenitys verlassen und fuhren jetzt auf dem Freeway, nur eine Meile von der Abfahrt zum Flughafen entfernt, wo sich die Autovermietung befand.

Emma konnte sich nicht daran erinnern, dass ihr die Fahrt nach San Antonio schon einmal so kurz erschienen war. Aber ein Blick auf die Uhr am Armaturenbrett versicherte ihr, dass sie wie immer eineinhalb Stunden gebraucht hatte.

Die Zeit konnte also auch dahinfliegen, wenn man keinen Spaß hatte.

Nicht dass die Fahrt unangenehm gewesen wäre. Das Wetter war gut, und auf den Straßen herrschte wenig Verkehr. Was sie beunruhigte, war nicht die Fahrt, sondern das, was sie am Ziel erwartete.

Sie konnte an den Fingern abzählen, wie oft sie mit Sam allein gewesen war, und ihr Magen zog sich sofort wieder zusammen, wenn sie an das vorletzte Mal dachte, an dem sie ihm im Treppenhaus begegnet war.

Die Erinnerung daran, was an jenem Nachmittag geschehen war – nur zwei Tage, bevor die Hochzeit mit Teddy stattfinden sollte –, hatte sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt. Und obwohl sie wusste, dass sich das damals Geschehene niemals wiederholen würde, war allein der Gedanke erneut mit Sam allein sein zu müssen, mehr als sie ertragen konnte.

Wie sehr hätte sie sich gewünscht, dass wenigstens Margaret mitgekommen wäre, aber ihre Freundin, die sonst keinen Ausflug ausließ, schien fest entschlossen gewesen zu sein, die beiden allein fahren zu lassen. Sie ahnte, was Margaret im Schilde führte, wusste aber, dass ihre Bemühungen, sie und Sam zusammenzubringen, absolut zwecklos waren. Zu viel war passiert, als dass sie beide hätten Freunde werden können, von etwas Intimeren ganz zu schweigen …

Um Margarets willen könnten Sam und sie versuchen, in den Tagen, die vor ihnen lagen, höflich und tolerant miteinander umzugehen. Aber mehr zu erwarten, wäre das Gleiche, als sich den Mond zu wünschen.

Wenn Emma ehrlich war, musste sie zugeben, dass es ihr ein Leichtes wäre, seinem männlichem Charme zu verfallen. Schließlich hatte sie in den letzten vier Jahren genauso viel um ihn wie um Teddy getrauert. Wenn auch auf völlig unterschiedliche Weise. Aber sie war sicher, dass sie mit ihrem Verhalten jegliche Gefühle, die er einmal für sie gehegt haben mochte, zerstört hatte. Warum sonst war er so lange fortgeblieben? Nur die Sorge um seine Mutter hatte ihn wieder nach Serenity zurückgebracht.

Als Emma den Motor des Volvos abstellte, stieg Sam bereits aus dem Mietwagen. Er wirkte in den dunkelblauen Shorts und dem weißen Polohemd und der Sonnenbrille selbstbewusst und gelassen. Nachdem er kurz zu ihr hinübergeschaut hatte, ging er auf den Eingang der Autovermietung zu.

Mit einer plötzlich aufsteigenden Sehnsucht, die angesichts der Umstände geradezu lächerlich war, sah Emma zu, wie er die Tür aufzog und hineinging.

Sie war immer stolz darauf gewesen, sich den Tatsachen stellen zu können. Und sie hatte sich auch noch nie als masochistisch eingestuft. Wie aber sollte man dann erklären, dass allein der Anblick eines Mannes – dazu ausgerechnet der Mann, der am meisten Grund hatte, sie abzulehnen – solch eine unglaubliche Anziehungskraft auf sie ausübte?

Auf Margarets Bitte hin hatte er sich für die Kirche seine Uniform angezogen. Und als sie ihm heute Morgen damit im Wohnzimmer begegnete, hatte es ihr den Atem verschlagen – so unglaublich attraktiv hatte er darin ausgesehen. Der Wunsch, zu ihm hinüberzulaufen und ihn in die Arme zu nehmen, war fast überwältigend gewesen. Erst sein kühler Blick hatte sie wieder auf den Boden der Wirklichkeit zurückgebracht.

Am liebsten hätte sie sich in diesem Moment umgedreht und wäre so weit wie möglich fortgelaufen. Allein ihr Stolz hatte sie zurückgehalten. Und sie hatte nur würdevoll das Kinn erhoben und ihn höflich angelächelt. Sie hatte es in den vergangenen Jahren gelernt, ihre Gefühle vor anderen zu verbergen.

Sie war im Haus seiner Mutter geblieben, weil er einen triftigen Grund hervorgebracht hatte. Aber jetzt fragte sie sich, ob ihre Entscheidung klug gewesen war.

Wäre sie ihrem Impuls gefolgt und zurück in ihr Haus gegangen, müsste sie jetzt nicht mit wild klopfendem Herzen darauf warten, dass Sam die Übergabe der Wagenpapiere erledigt hätte und wieder aus dem Gebäude herauskommen würde. Sie würde nicht Angst vor dem Moment haben, in dem er zu ihr in die intime Abgeschlossenheit des Wagens stieg, und sie hätte sich auch nicht den Kopf darüber zu zerbrechen brauchen, was sie mit ihm in den Stunden, die noch vor ihnen lagen, reden sollte.

Wahrscheinlich würde er über die Krankheit seiner Mutter sprechen wollen. Aber auch dieses Thema wäre einmal erschöpft. Und dann? fragte sie sich.

Reiß dich jetzt zusammen, mahnte sich Emma, griff entschlossen zu ihrer Tasche, stieg aus dem Wagen, schloss ihn ab und ging dann in die Autovermietung hinein. Ein kurzer Blick zeigte ihr, dass Sam Dritter in der Reihe vor dem Schalter war, und sie ging rasch zur Damentoilette hinüber, ohne seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Als sie sich im Spiegel sah, zog sie eine Grimasse. Sie machte ein Gesicht wie eine Frau, die kurz vor ihrer Hinrichtung stand. Wenn sie auch nur einen Funken Hoffnung haben wollte, diesen Nachmittag einigermaßen gut zu überstehen, würde sie ihr ganzes Schauspieltalent mobilisieren müssen.

Sie atmete mehrere Male tief durch, während sie die Hände unter dem warmen Luftstrom trocknete, und strich sich dann den knöchellangen Jeansrock und die ärmellose weiße Bluse zurecht.

Direkt mit dem Schlimmsten zu rechnen, war keine Hilfe. Das würde sie nur noch tiefer in Schwierigkeiten bringen. Es war weitaus besser, ein Lächeln auf ihr Gesicht zu zwingen und das Beste zu erhoffen. So überlegen Sam sich auch gab, sicherlich war ihm der Gedanke, so lange mit ihr allein zu sein, ebenfalls unangenehm.

Als sie die Damentoilette verließ, sah sie, dass Sam jetzt am Schalter stand und ein Papier unterschrieb, während die junge, hübsche Angestellte ihm bewundernd dabei zuschaute.

Emma nahm an, dass viele Frauen ihm solch schmachtende Blicke zuwarfen. Und wahrscheinlich würde sie genau wie die junge Frau dort reagieren, wenn eine andere Vergangenheit hinter ihr läge.

Mit gerunzelter Stirn ging Emma rasch zum Wagen zurück und setzte sich auf den Beifahrersitz. Dort lehnte sie sich zur Fahrerseite hinüber, steckte die Schlüssel in das Zündschloss, stellte die Klimaanlage an und griff dann zur Karte von San Antonio. Sie wollte herausfinden, in welche Richtung sie fahren mussten, um zur Gärtnerei und später zum Handarbeitsgeschäft zu gelangen.

Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte sie schließlich, wie Sam die Agentur verließ und zur Fahrerseite des Volvos hinüberging. Er öffnete die Tür und schaute hinein.

„Bist du sicher, dass du nicht fahren willst?“, fragte er. „Du kennst dich hier bestimmt besser aus.“

„Eigentlich nicht“, gab sie zu, schaute zu ihm hinüber und wich dann sofort seinem Blick aus. „Ich fahre nicht so oft nach San Antonio, und der Verkehr ist hier meistens sehr dicht.“ Sie wies auf die Karte, die geöffnet auf ihrem Schoss lag. „Ich würde dich lieber durch die Stadt lotsen. Es sei denn, du …“

Emma bemerkte, dass sie viel zu viel redete und hielt inne. Sie starrte auf die Karte auf ihrem Schoß und hielt sie so fest, dass die Ecken in ihren Händen zerknitterten.

„Oh, kein Problem. Ich fahre gern“, erwiderte Sam und setzte sich hinter das Lenkrad. „Wo willst du zuerst hinfahren – in die Gärtnerei oder zum Riverwalk in das Handarbeitsgeschäft?“

„Weißt du, eigentlich … könnten wir gleich zurück nach Serenity fahren“, schlug Emma vage vor und schaute aus dem Fenster.

Sam sah sie erstaunt an, sagte aber nichts.

„Ich meine, du hast erst eine lange Reise hinter dir und bist schon wieder unterwegs. Jetzt, da du den Mietwagen zurückgegeben hast …“ Sie wies mit der Hand auf die Autovermietung. „Ich kann auch an einem anderen Tag in die Gärtnerei fahren, und das Handarbeitsgeschäft könnte Margaret das Material zuschicken, so wie sie es immer getan haben.“

Als einige Momente verstrichen waren und Sam immer noch nichts gesagt hatte, drehte Emma sich schließlich um.

„Es macht mir wirklich nichts aus, mit dir zur Gärtnerei und zu dem Handarbeitsgeschäft zu fahren. Schließlich war es so geplant“, sagte er schließlich. „Aber wenn du sofort nach Serenity zurückfahren willst, werde ich mich natürlich deinen Wünschen fügen.“

„Es war zwar geplant, aber nicht von uns, sondern von deiner Mutter“, entgegnete Emma mit erzwungener Ruhe. „Warum sollen wir etwas machen, was wir eigentlich gar nicht wollen? Sie wird ihr Garn auch so erhalten.“

„Ich sagte dir doch schon, dass es mir nichts ausmachen würde“, erklärte er. „Aber wir können gern zurückfahren. Die Entscheidung liegt allein bei dir.“ Er stellte den Motor an, legte den Gang ein und fügte dann hinzu: „Wenn wir früher zurückkommen, wird Margaret sich allerdings fragen, warum du plötzlich deine Meinung geändert hast. Und ganz egal, was du sagst, sie wird mich beschuldigen, dir den Tag verdorben zu haben.“

„Das würde sie nicht tun“, protestierte Emma.

„Ich fürchte doch.“ Sam hielt den Wagen vor der Ausfahrt der Autovermietung noch einmal an. „Bevor wir wegfuhren, hat sie mich mindestens drei Mal gewarnt. Ich solle an meine gute Erziehung denken, hat sie gemeint, und mich wie ein Gentleman benehmen. Sie sagte, du hättest es verdient, einmal aus Serenity herauszukommen, und ich sollte dafür sorgen, dass dieser Tag so angenehm wie möglich wird.“

Als Emma den Kopf wieder über die Karte beugte, stöhnte sie innerlich. Sie konnte Margaret fast die Worte sagen hören. Sie wusste genau, was ihre Freundin dabei im Sinn gehabt hatte.

Auf einmal wünschte Emma sich, sie hätte den Mund gehalten. Dabei hatte sie nur Sam und auch sich selbst die Stunden beklemmenden Schweigens ersparen wollen, die sie mit steifer Konversation würden füllen müssen. Aber leider hatte sie mit ihrer Bemerkung die Situation nur noch peinlicher gemacht.

Hätte sie die Zähne zusammengebissen und diesen Nachmittag tapfer durchstanden, hätten beide vorgeben können, nur das Beste aus der Situation machen zu wollen. Jetzt wusste einer von dem anderen, dass er an jedem Ort der Erde lieber wäre als hier. Dabei hatte Margaret es bestimmt gut gemeint. Sie wollte ja nur, dass sie und Sam sich wieder näherkamen.

Doch Emma wusste, wie sehr Margaret sich irrte. Dieser Tag würde sie nicht zusammen, sondern sie nur noch weiter auseinander bringen. Sam würde sie nach diesem Tag als noch größere Bürde als bisher empfinden. Und sie würde noch mehr daran arbeiten müssen, ihre Gefühle vor ihm zu verstecken.

„Also gut. Dann schlage ich vor, dass wir zuerst in die Gärtnerei fahren“, erklärte sie und hoffte, er spürte nicht, wie aufgesetzt ihre Fröhlichkeit war. „Wenn ich mich nicht irre, befindet sie sich gar nicht weit von hier.“ Sie sah zum Straßenschild hinüber und dann wieder zurück auf die Karte. „Biege jetzt rechts ab und fahre dann immer geradeaus. An der zweiten Kreuzung geht es dann nach links.“

„Emma, wenn du wirklich nach Hause fahren willst, werden wir das auch tun“, bot er ihr an. „Nur weil meine Mutter sich etwas in den Kopf gesetzt hat, heißt das noch lange nicht, dass wir ihre Erwartungen auch erfüllen müssen. Dieser Tag soll schließlich dir gehören.“

„Ich weiß. Aber ich wollte mir schon lange einige Rosenstöcke in dieser Gärtnerei aussuchen, und jetzt sind wir bereits hier.“

„Also gut.“ Er fuhr aus der Einfahrt des Parkplatzes hinaus, bog nach rechts ab, wie sie es ihm gesagt hatte, und schaute sie dann fragend an. „Zweite Kreuzung links?“

„Ja. Dann sind es nur noch ungefähr zwei Meilen.“

Sie verbrachten die relativ kurze Strecke in Schweigen. Sam schien gelassen zu sein und in sich zu ruhen. Seine Haltung war gelöst, die Hände lagen locker um das Lenkrad.

Emma hingegen saß steif auf ihrem Beifahrersitz, die Hände krampfhaft ineinander verschlungen. Sie wollte sich zwingen, etwa zu sagen, aber je länger das Schweigen dauerte, umso unmöglicher erschien es ihr auch nur ein Wort hervorzubringen. Immer und immer wieder stieg das Bild vor ihr auf, wie sie ihn im Krankenhaus wie eine Furie angeschrien hatte.

„Das muss sie sein“, sagte Sam schließlich und stellte den Blinker an. „Wimberly & Sons? Stimmt das?“

„Ja. Wimberly & Sons“, murmelte Emma und warf einen Blick zu Sam hinüber. Er schien die Vergangenheit hinter sich gelassen zu haben. Wenn die Wochen, die vor ihnen lagen, nicht unerträglich werden sollten, musste sie das Gleiche tun.

Nachdem er den Wagen geparkt hatte, liefen sie langsam durch den Rosengarten, indem die verschiedensten Rosen zum Verkauf angeboten wurden.

„Mir ist nie bewusst gewesen, wie viel verschiedene Rosensorten es gibt“, sagte er nach einer Weile.

„Und sie sind alle wunderschön“, erwidertes sie, während sie sanft mit den Fingerspitzen über eine besonders schöne zartgelbe Rose strich.

„Suchst du etwas Besonderes?“

„Ja. Ich habe nur neuere Züchtungen in meinem Garten, und ich würde gern noch einige von den Rosen haben, die man früher in den Gärten fand. Sie blühen nur einmal im Frühsommer, aber sie duften viel intensiver als die neuen Sorten. Man kann ihre Blütenblätter gut trocknen und einem Duftpotpourri hinzufügen“, erklärte sie, blieb stehen und lächelte. „Ah, da drüben stehen sie.“

Emma schaute sich die verschiedenen Sorte an und stellte fest, dass sie sich sogar mehrere von den Rosensträuchern, die in Kübel gepflanzt waren, leisten konnte.

„Du hast genau das gefunden, wonach du gesucht hast, nicht wahr?“, fragte Sam leicht amüsiert. „Du freust dich, nicht wahr?“

Sie sah ihn fragend an, aber da er eine Sonnenbrille trug, war es unmöglich seine Gedanken zu lesen.

„Ich habe es an der Art und Weise gesehen, wie deine Augen aufleuchteten. Wie ein Kind an Heiligabend.“

Emma spürte, wie ihre Wangen vor Verlegenheit rot wurden.

„War es so offensichtlich?“

„Ja“, erwiderte er gut gelaunt. „Ich werde jetzt einen von diesen roten Wagen dort drüben holen, damit wir deine Rosen darauf laden können. Oder brauchen wir zwei?“

„Einer reicht“, versicherte sie ihm mit einem Lächeln. In kurzer Zeit hatten sie die Rosen bezahlt und im geräumigen Kofferraum des Volvos verstaut.

„Meine Mutter sagte mir, dass du gern im Garten arbeitest“, erklärte er, als beide sich in den Wagen setzten und den Sicherheitsgurt umlegten.

„Ja, das stimmt, aber ich könnte dir nicht erklären, warum. Vielleicht weil meine Mutter es gern tat, und ich die Einzige in ihrer Nähe war, dir ihr geholfen hat. Ganz egal, wo wir lebten, sie hat immer etwas gepflanzt. Normalerweise Blumen, aber manchmal auch Kräuter und Gemüse, wenn wir einmal in einem Haus mit einem großen Garten wohnten. Sie tat es selbst dann, wenn sie genau wusste, dass sie niemals das Resultat ihrer Arbeit sehen würde. Alles, was sie je wollte, war ein richtiges Zuhause zu haben, einen Ort, an dem sie Wurzeln schlagen konnte. Doch ihr Wunsch hat sich nie erfüllt.“

„Musstest du als Kind viel umziehen?“, fragte Sam.

Zuerst war Emma über seine Frage überrascht. Sie hatte immer angenommen, dass er so viel wie Teddy von ihrem Leben wüsste, aber jetzt wurde ihr klar, dass sie sich geirrt hatte.

Sam war bereits ein Jahr, bevor sie Teddys Freundin wurde, zur Air Force gegangen. Er hatte sie zwar bei seinen Besuchen gesehen, aber wahrscheinlich hatte er mit seinem Bruder andere Sachen zu besprechen gehabt, als das Leben der schüchternen Rothaarigen, die Teddy unter seine Fittiche genommen hatte.

„Bis meine Mutter starb“, erwiderte sie. „Mein Vater hatte Schwierigkeiten, es für längere Zeit an einer Arbeitsstelle auszuhalten. Er war immer auf der Suche nach etwas Neuem, etwas Besserem. Obwohl er sich da oft etwas vormachte. Meine Mutter bestand darauf, ihm zu folgen, obwohl es schwierig war, immer wieder an fremden Orten neu zu beginnen. Sie liebte ihn so sehr, und ich nehme an, er hat sie auf seine Art auch geliebt. Aber er war nie für sie da, wenn sie ihn wirklich brauchte. Nach einer Weile konnte sie die Einsamkeit nicht mehr ertragen und begann zu trinken.“

Emma schaute aus dem Fenster und erinnerte sich an die Zeit, in der ihr Zuhause alles andere als der sichere Hort der Liebe gewesen war, nachdem sie sich so gesehnt hatte. Wie oft hatte sie ihre Mutter betrunken auf dem Fußboden liegend vorgefunden.

„Sie starb, als ich zwölf Jahre alt war“, fuhr Emma nüchtern fort. Auf keinen Fall wollte sie bei Sam Mitleid erwecken. „Wir waren gerade hier in San Antonio, und mein Vater bereitete gerade einen neuen Umzug vor. Er sagte mir, dass er sich nicht um mich kümmern könnte. Die Fürsorge half ihm dann dabei, eine Pflegefamilie für mich zu finden. Ich hatte Glück und kam zu den Gruenwalds in Serenity. Außer dem Jahr an der Universität in Austin habe ich Serenity nie verlassen. Meine Kindheit muss die Sehnsucht in mir geweckt haben, sich dazugehörig zu fühlen, Wurzeln zu schlagen.“

„Bist du denn glücklich in der Kleinstadt?“

„Mehr als glücklich“, erwiderte Emma bestimmt.

Nichts auf der Welt könnte sie dazu bringen, dieses ständige Hin und Her ihrer Kindheit noch einmal zu wiederholen. Deswegen war ihr die Hochzeit mit Teddy so wichtig gewesen. Er hatte ihr die Sicherheit und Stabilität geboten, die sie brauchte, und jetzt, obwohl sie leider keine Familie hatte, konnte sie wenigstens ein Haus ihr Eigen nennen. Und obwohl sie sich hin und wieder einsam fühlte, war dieses Haus und ihr Beruf, den sie sehr liebte, alles, was sie brauchte. Zumindest sagte sie sich das.

„Seltsam, nicht wahr?“, überlegte Sam, während er den Gang einlegte und vom Parkplatz der Gärtnerei herunterfuhr. „Ich habe mich in Serenity immer eingeengt gefühlt und konnte es gar nicht erwarten, endlich fortzugehen.“

„Ich weiß …“, murmelte sie und hielt dann erschrocken inne. Es war wohl kaum angebracht, in diesem Moment das wiederzugeben, was Teddy ihr einst über seinen Bruder erzählt hatte. Stattdessen fügte sie hinzu: „Meinen Pflegeschwestern erging es ähnlich. Ich bin die einzige von uns vieren, die in Serenity geblieben ist. Alle anderen konnten es kaum erwarten, endlich wegzuziehen. Jane habe ich sogar einmal in Seattle besucht. Ich bin Patentante ihres kleinen Sohnes.“

„Jane ist diejenige, die letztes Jahr bei dir gewohnt hat, nicht wahr? Meine Mutter hat das in einem ihrer Briefe erwähnt.“

„Das stimmt.“

„Jane und Max hatten Eheprobleme. Aber sie haben sie wieder in den Griff bekommen. Und jetzt sind sie glücklicher als je zuvor.“

„Ein Happy End ist immer gut.“ Sam lächelte. „Und wie kommen wir jetzt zu dem Handarbeitsgeschäft?“

Fünfzehn Minuten waren sie am Riverwalk, und zehn Minuten später traten sie mit einer Papiertüte voller Stickgarn aus dem Geschäft. Sam, der die Tüte trug, blieb stehen und schaute sich um.

Autor

Nikki Benjamin
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