Bianca Exklusiv Band 347

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MIT EINEM TRICK INS GROSSE GLÜCK von JUDY DUARTE
So einen wie Mike hat sich Tammy immer als Ehemann und Vater ihrer ungeborenen Kinder erträumt. Unauffällig will die schöne Rancherin seinen Gefühlen für sie mit einem kleinen Trick auf die Sprünge helfen …

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  • Erscheinungstag 01.04.2022
  • Bandnummer 347
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510547
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Judy Duarte, Sherryl Woods, Gina Wilkins

BIANCA EXKLUSIV BAND 347

1. KAPITEL

Es gab vieles, was Tammy Byrd lieber an einem Samstagnachmittag unternommen hätte, als fünf Stunden im Auto zu sitzen, um einige Verwandte zu treffen, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Aber leider führte kein Weg daran vorbei.

Ihr Großvater väterlicherseits lag im Sterben. Deswegen hatte er die zerstrittene Familie zusammengerufen.

Als Tammy von dem Wunsch des alten Mannes erfahren hatte, hatte sie zuerst gedacht, dass ihr Vater, sein Sohn also – ein echter Dickschädel vor dem Herrn – sich stur stellen und weigern würde.

Doch dann hatte er sie mit der Ankündigung verblüfft, dass er hinfahren würde. Außerdem hatte er darauf bestanden, dass sie und ihre Brüder mitkamen.

Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen. Möglicherweise tat er es auch aus Liebe. Oder weil er die Sache endlich aus der Welt schaffen wollte.

Er hatte sogar versucht, Tammys Brüder zu erreichen. Aber die waren gerade beim Fischen in Montana. Es würde noch Tage, wenn nicht sogar eine Woche dauern, bis sie die Nachricht erhielten.

Tammy hatte an diesem Morgen ihre Tasche gepackt, um den Rest ihrer Familie kennenzulernen – einen sterbenden Großvater, einen Onkel und zwei Cousinen, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Weil sie lieber mit dem eigenen Auto unterwegs war, hatte sie sich ans Steuer ihres kleinen Pick-ups gesetzt und die Ranch ihres Vaters hinter sich gelassen.

Jetzt, fünf Stunden später, hatte sie Buckshot Hills beinahe erreicht. Bei einem Eichenwäldchen, das ihr Vater ihr beschrieben hatte, wurde sie langsamer. Sie sah sich nach dem Wegweiser um. Hoffentlich hatte sie die richtige Straße – die Flying B Road – gefunden.

Da. Ein großes, protziges Schild aus Gusseisen.

Bevor sie abbiegen konnte, raste ein schwarzer Dodge Ram an ihr vorbei. Beim Vorbeifahren geriet das Auto mit dem linken Hinterreifen in eine schlammige Pfütze. Ein Riesenschwall schmutziges Wasser spritzte über ihren kleinen, weißen Truck.

So ein Mistkerl.

Sie wollte schon wütend hupen. Doch dann hielt sie sich in letzter Sekunde zurück. Schließlich könnte es sich um Verwandtschaft handeln. Es war ja nicht unbedingt nötig, sich mit den Leuten noch vor der ersten Begegnung zu überwerfen.

Daher überwand sie ihren Ärger und bog rechts auf die Straße zur Ranch ab.

Beim Fahren warf sie einen Blick auf die sanften Hügel und die saftigen Weiden mit den grasenden Kühen. Das war wirklich ein wunderschönes Stück Land. Tammy fragte sich, wie es war, hier aufzuwachsen – statt auf der kleinen Farm in Grass Valley, die ihr Vater von seinem Großvater mütterlicherseits geerbt hatte.

Dann fuhr sie auf das weitläufige Ranchhaus zu und parkte neben dem Dodge Ram.

Ein dunkelhaariger Mann um die Dreißig saß auf dem Fahrersitz und telefonierte.

Er war zu jung, um ihr Onkel zu sein.

Sie stellte den Motor ab. In diesem Augenblick stieg der Mann aus.

Anders als Cowboys und Rancharbeiter trug er blank polierte Halbschuhe, eine schwarze Hose und ein hellblaues Button-down-Hemd. Sein dichtes schwarzes Haar und der dunkle Teint ließen auf mexikanische Herkunft schließen.

Tammy stieß einen leisen Pfiff aus. Es kam selten vor, dass sie einen zweiten Blick auf jemanden warf. Aber dieser Mann … war irgendwie anders.

Ihr Herz klopfte so heftig, dass sie es durch den Sicherheitsgurt spüren konnte. Wer war dieser Mann?

Er holte eine abgenutzte Ledertasche aus dem Truck. Als sich ihre Blicke zufällig begegneten, lächelte er verhalten. Dann nickte er grüßend und verschwand in Richtung Haus.

Und Tammy saß einfach nur da und starrte ihm fasziniert hinterher.

Als sie wieder klar denken konnte, ging er bereits die Treppe hinauf. Hastig sprang sie aus ihrem Truck und zerrte ihren Koffer von der Ladefläche. Dann folgte sie dem Unbekannten zur Haustür.

Als sie sich der Veranda näherte, machte eine Frau mit grau meliertem Haar die Tür auf.

„Guten Tag“, sagte sie. „Kommen Sie herein, Doc.“

Also handelte es sich bei dem attraktiven Fremden um den Arzt ihres Großvaters.

„Danke“, sagte er. „Wie geht es Tex heute, Tina?“

„Etwas schlechter als gestern. Kann ich Ihnen etwas anbieten?“, fragte die Frau und ließ ihn herein. „Vielleicht eine Tasse Kaffee? Barbara hat gerade Blaubeermuffins gebacken.“

„Aber gern. Ich bin begeistert.“

Erst nachdem er ins Haus gegangen war, bemerkte die Frau Tammy.

„Guten Tag“, sagte Tammy, als ihr klar wurde, dass sie sich vorstellen musste. „Ich bin die Tochter von William. Mr. Byrd erwartet mich.“

Die ältere Frau begrüßte sie mit einem Lächeln. „Ich bin Tina Crandall, die Haushälterin. Bitte treten Sie ein.“

Tammy trug ihren Koffer ins Haus.

„Ich fürchte, Ihr Großvater kann im Augenblick nicht mit Ihnen sprechen“, sagte Tina. „Sie haben ja gesehen, dass sein Hausarzt gerade gekommen ist. Am besten zeige ich Ihnen erst mal Ihr Zimmer. Dann können Sie sich frisch machen.“

Tammy sah an sich hinunter. Sie trug ein blaues Flanellhemd und eine Jeans. Klar, andere Frauen würden sich jetzt erst mal die Nase pudern oder Lippenstift auftragen. Tammy hatte sich jedoch noch nie für Make-up begeistern können. Aber sie hatte nichts dagegen einzuwenden, ihr Gästezimmer zu sehen. „Gern. Vielen Dank.“

Tina führte Tammy in ein großes Wohnzimmer. Der Raum hatte einen rustikalen Charme, mit weiß getünchten Wänden, schwarzen Holzbalken und einem gemauerten Kamin, an dem ein Hirschgeweih hing. Die Einrichtung war sehr maskulin.

Das gefiel ihr. Sie war als einziges Mädchen unter lauter Männern aufgewachsen. Von klein auf hatte sie den Ehrgeiz gehabt, nicht nur mit ihren Brüdern mitzuhalten, sondern sie sogar zu übertrumpfen. Mittlerweile gab es nicht viele Cowboys auf der Ranch ihres Vaters, die es mit ihr aufnehmen konnten.

„Wenn Sie so weit sind“, sagte Tina mit einem Blick über ihre Schulter, „zeige ich Ihnen die Küche. Barbara hat zwei Tage unermüdlich gebacken und gekocht, damit kein Gast verhungern muss.“

„Klingt gut.“ Tammy fragte sich, wie reich ihr Großvater Tex war, dass er sich eine Haushaltshilfe und eine Köchin leisten konnte.

Zu Hause kümmerte sich Tammy ganz allein um den Haushalt, vor allem ums Kochen. Und das machte sie gar nicht mal schlecht. Natürlich beklagte sie sich bei jeder Gelegenheit über ihre anstrengende Tätigkeit, damit man ihr Opfer auch zu würdigen wusste. Die Männer sollten bloß nicht glauben, dass ihr die Küchenarbeit Spaß machte. „Bin ich die Erste?“

„Bis jetzt schon.“

Tammy rieb sich den Oberschenkel. Sie war ziemlich nervös. Der Doc schien Tammy gar nicht zu bemerkt zu haben, worüber sie zu ihrer Überraschung etwas enttäuscht war. So kannte sie sich gar nicht.

Zum ersten Mal wünschte sie sich, sie hätte nicht nur Jeans und Männerhemden eingepackt. Was soll’s, dachte sie. Ich habe mich noch nie herausgeputzt, um für Männer schön zu sein, und das bedaure ich auch kein bisschen.

Außerdem sollte sie sich wirklich mehr Gedanken darüber machen, warum sie überhaupt hier war. Am Ende dieses Flurs lag ihr Großvater Jasper J. „Tex“ Byrd im Sterben. Tammy wollte ihm wenigstens sagen, wie leid ihr das tat.

Allerdings wäre das leichter, wenn sie nicht daran denken müsste, wie sie bei der Gelegenheit seinen gut aussehenden Arzt kennenlernen könnte.

Mike Sanchez steckte das Stethoskop weg. Dann setzte er sich auf den Stuhl neben das Bett. „Wie bekommen Ihnen die Schmerzmittel?“

„Ohne wäre es schlimmer.“

Mike konnte die Dosis erhöhen. Außerdem konnte er Morphium verschreiben. Doch damit hatte er warten wollen, bis es wirklich nicht mehr anders ging. Vielleicht war es jetzt schon so weit.

Der weißhaarige alte Rancher verlagerte mühsam das Gewicht. Als er sich zurücklehnte, verzog er vor Schmerzen das Gesicht. „Meine beiden Söhne und die Enkel und Enkelinnen kommen her. Habe ich Ihnen das schon erzählt, Doc?“

„Sie haben erwähnt, dass Sie alle eingeladen haben.“

Tex schloss für einen Moment die Augen. „Ich war mir nicht sicher, wie sie reagieren würden. Dieser verdammte Familienstreit zieht sich jetzt schon so lange hin, über dreißig Jahre. Ich habe manchmal gedacht, dass ich allen völlig egal bin. Flying B eingeschlossen.“

„Ich glaube, dass Ihr erster Gast schon angekommen ist“, sagte Mike.

Ein Lächeln glitt über das raue Gesicht des Alten, milderte die Falten und verlieh seinem blassen Teint etwas Farbe. „Ach ja? Wer denn?“

„Da bin ich mir nicht ganz sicher. Ein Mädchen – oder eher eine junge Frau. So um die zwanzig. Langes, dunkles Haar, Pferdeschwanz. Fährt einen kleinen, weißen Pick-up.“

„War sie schick zurechtgemacht, wie ein Stadtmädchen? Oder in Jeans wie ein Lausejunge?“

„Kein Make-up, soweit ich das erkennen konnte. Und sie trug eine abgetragene Jeans und ein blaues Männerhemd.“

„Das muss Tammy sein“, sagte Tex. Seine müden grauen Augen leuchteten auf. „Die Tochter von William. Ein richtiges Cowgirl, nach allem, was ich so gehört habe. Kann angeblich besser reiten und mit dem Lasso umgehen als die meisten Männer.“

Darüber konnte Mike sich natürlich kein Urteil erlauben. Die junge Frau hatte zwar burschikos gewirkt, aber sie war auch zierlich. Er hatte keine Ahnung, wie kräftig und geschickt sie war. „Ich dachte, Sie hätten Ihre Enkel noch nie gesehen.“

Der alte Mann zuckte die Achseln. „Nur auf Fotos.“

Tex hatte höchstens noch ein paar Wochen zu leben. Aber der Rancher war ein zäher alter Mann, der wusste, was er wollte. Vielleicht würde er es tatsächlich schaffen, den Familienfrieden vor seinem Tod endlich wiederherzustellen.

Soweit Mike bekannt war, hatte es vor dreißig Jahren einen heftigen Familienstreit gegeben. Beide Söhne hatten der Flying B Ranch und Buckshot Hills voller Zorn den Rücken gekehrt und sich nicht wieder dort blicken lassen. Aber niemand schien Genaueres zu wissen.

Tex holte mühsam Atem. Er seufzte. Bald würde nicht mehr ohne zusätzlichen Sauerstoff auskommen. Mike sollte schon mal alles Notwendige bestellen. „Wissen Sie“, sagte der alte Mann, „ich wollte den Arzt nicht wechseln. Ich hatte gehofft, dass Doc Reynolds inzwischen wieder zurück sein würde. Aber Sie scheinen Ihr Fach wirklich zu verstehen – für so einen jungen Kerl.“

Mike hatte auch nie vorgehabt, hier den Hausarzt zu spielen. Nach fast vier Monaten in Buckshot Hills zählte er inzwischen die Tage, bis er nach Philadelphia zurückkehren konnte. Er war in Philadelphia aufgewachsen, und seine Mutter lebte immer noch dort. Sie arbeitete als Haushälterin für George Ballard, einen reichen Geschäftsmann. Als George erfahren hatte, dass Mike zum Medizinstudium zugelassen worden war, hatte er großzügigerweise angeboten, die Kosten zu übernehmen.

Mike hatte natürlich geschworen, ihm später alles zurückzuzahlen. Aber George wollte nichts davon hören. Stattdessen hatte er erklärt: „Wenn ich mal einen Leibarzt brauche, erwarte ich ganz einfach, dass du alles stehen und liegen lässt.“

Das hatte Mike fest versprochen. Wie ernst Ballard das gemeint hatte, war ihm natürlich nicht klar gewesen. Er hatte auch nicht damit gerechnet, dass die Frau seines Wohltäters einen Onkel hatte, den sie über alles liebte. Dr. Stanley Reynolds war Landarzt in Buckshot Hills, Texas, und jetzt war er schwer krank.

Ohne die neue Therapie für Gehirntumore, die nur in einer Spezialklinik an der Ostküste durchgeführt wurde, würde Dr. Reynolds sterben. Aber er hatte sich geweigert, seine Patienten in Buckshot Hills im Stich zu lassen.

Und so hatte George Ballard Mike gebeten, für Dr. Reynolds einzuspringen.

Diese Tätigkeit war eine Enttäuschung für den jungen Arzt. Der Alltag in Buckshot Hills hatte mit dem Stadtleben, das Mike liebte, nicht viel gemein. Auch nicht mit seinen sonstigen Plänen und Träumen. Doch er hatte zu seinem Versprechen gestanden und sofort zugesagt.

„Danke, dass Sie vorbeigekommen sind“, sagte Tex. „Sehe ich Sie morgen wieder?“

„Ja. Aber erst gegen Abend.“ Mike schüttelte seinem Patienten zum Abschied die Hand. „Rufen Sie gern an, wenn Sie vorher etwas brauchen.“

„Mache ich. Danke, Doc.“

Als Mike ins Wohnzimmer kam, traf er auf die Enkelin, die dort auf einem Ledersofa saß. „Tammy?“

Mit großen Augen, die so blau waren wie der Sommerhimmel, sah sie ihn an. „Ja?“

Er streckte die Hand aus. „Wir sind uns noch nicht vorgestellt worden. Ich bin Dr. Mike Sanchez, der Hausarzt ihres Großvaters.“

Sie stand auf. „Schön, Sie kennenzulernen, Doc.“ Dann schüttelte sie seine Hand. Ihr Händedruck war überraschend fest für eine so zierliche Frau.

„Wie geht es meinem Großvater?“, fragte sie.

Ihr Großvater hatte sie mit einem Lausejungen verglichen. Auf jeden Fall war sie ein echtes Cowgirl.

„Er wird schnell müde. Manchmal fühlt er sich nicht wohl.“

Sie nickte. „Es ist nett von Ihnen, hier rauszufahren, um nach ihm zu sehen“, sagte Tammy. „In Weldon müssen wir immer in die Praxis kommen.“

Mike hatte eigentlich nie geplant, Hausbesuche zu machen. Aber für einige Patienten machte er Ausnahmen. „Ihr Großvater ist ein Dickschädel“, sagte Mike. „Wenn ich nicht zu ihm käme, würde er überhaupt keine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen.“

Tammy biss sich auf die Unterlippe. „Darf ich Sie etwas fragen?“

„Natürlich.“

„Was ist er für ein Mensch? Ich kenne ihn leider überhaupt nicht.“

Ihre Augen waren wirklich unglaublich blau. Und in diesem Augenblick sah sie Mike an, als ob er die Antwort auf all ihre Fragen war.

Er rief sich ins Gedächtnis, dass sie ihren Großvater noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Ihre Neugier war ganz normal. Er erzählte ihr, was er wusste. „Er hat immer hart gearbeitet. Und er ist ein Griesgram. Aber durch und durch ehrlich.“

Tex war Ende siebzig und einer der mürrischsten alten Männer, die Mike je begegnet waren. Aber er war auch ein komischer Kauz, und Mike konnte nicht anders, als ihn zu bewundern – wegen seiner Arbeitsmoral, für seine Intelligenz und wegen seiner verzweifelten Bemühungen, die Familie vor seinem Tod wieder zusammenzubringen.

„Sie können stolz auf ihn sein. Er genießt hohes Ansehen hier in der Gegend.“

„Danke. Ich …“ Sie biss sich auf die Unterlippe. Dann richtete sie wieder diese erstaunlichen Augen auf ihn. „Ich bin tatsächlich ein bisschen nervös.“

„Das ist verständlich.“

„Normalerweise würde ich das nie zugeben. Aber Sie sind schließlich Arzt und na ja …“ Ihre Wangen verfärbten sich rosarot. In Anbetracht ihres männlichen Kleidungsstils und ihrer burschikosen Art wirkte das merkwürdig.

„Ich werde Ihr Geheimnis hüten“, versprach Mike. Dann zwinkerte er ihr zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Wahrscheinlich ist es nur fair, wenn ich Ihnen verrate, dass Ihr Großvater auch nervös vor der ersten Begegnung mit Ihnen ist.“

Sie lächelte und blinzelte.

Wenn Mike es nicht besser wüsste, könnte er glatt glauben, dass sie mit ihm flirten wollte. Oder was sollte dieser verführerische Augenaufschlag? Aber vielleicht versuchte sie nur, die Tränen zurückzuhalten. „Alles okay?“, fragte er.

„Ich …“

In diesem Augenblick kam Tina ins Wohnzimmer. Sie brachte eine Tasse und einen kleinen Teller mit einem Blaubeermuffin. „Sie verlassen uns doch nicht etwa schon wieder, Doc?“

„Ich muss leider zurück in die Praxis und vorher einige Hausbesuche machen. Meine Patienten warten auf mich.“

Tina reichte ihm Tasse und Teller. „Warum nehmen Sie das hier dann nicht einfach als Wegzehrung mit?“

Mike bedankte sich und wandte sich an Tammy. „Ich habe mich gefreut, Sie kennenzulernen.“

„Ganz meinerseits.“ Ihr Blick bezauberte ihn erneut. Es schien, als ob sie sich ernsthaft für ihn interessierte. Aber da konnte er sich auch täuschen. Das hoffte er jedenfalls. Er konnte es wirklich nicht brauchen, wenn sich die Enkelin seines Patienten in ihn verguckte.

Die kleine Tammy Byrd hatte vielleicht die schönsten blauen Augen, die er je gesehen hatte, aber Mike hatte kein Interesse an einer Romanze – vor allem nicht in einem Kaff wie Buckshot Hills. Und selbst wenn er sich hier mit einer Frau einlassen würde, dann bestimmt nicht mit einem widerspenstigen Cowgirl.

2. KAPITEL

Als Dr. Sanchez das Haus verließ, sah Tammy ihm nach.

Verdammt! Wieder einmal waren ihre Flirtversuche fehlgeschlagen. Was machte sie bloß immer falsch?

„Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Miss Byrd? Der Kaffee ist frisch aufgebrüht. Wir haben auch Limonade oder Eistee.“

„Limo klingt gut“, sagte Tammy. „Danke.“

Die Frau nickte und ließ Tammy allein im Wohnzimmer zurück.

Sie hatte damit gerechnet, unbekannte Familienmitglieder kennenzulernen. Aber sie hatte nicht erwartet, einem attraktiven Hausarzt zu begegnen.

Dieser Doc Sanchez war wirklich was fürs Auge.

Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass jemals ein Mann eine solche Wirkung auf sie gehabt hatte. Von einer Sekunde zur anderen hatte der Doc ihr den Kopf verdreht.

Warum in aller Welt hatte sie nur versucht, ihn mit einem verführerischen Augenaufschlag zu bezaubern?

Wie peinlich.

„Bitte sehr.“ Tina kam wieder herein und reichte Tammy ein Glas hausgemachte Limonade.

„Danke.“

„Sie möchten jetzt bestimmt gern Ihren Großvater kennenlernen. Aber er hat leider gerade seine Medikamente genommen. Als ich eben kurz bei ihm war, schlief er.“

„Schon gut. Ich kann warten.“

„Kann ich Ihnen sonst noch etwas anbieten? Brauchen Sie irgendetwas?“

„Nein, Ma’am. Alles bestens.“

Tina nickte und entfernte sich. Vermutlich in Richtung Küche. Tammy hatte nichts dagegen. Small Talk lag ihr nicht sonderlich. Sie beschäftigte sich lieber damit, die bunten Gemälde an der Wand und die Skulpturen und den Nippes auf dem Bücherregal zu betrachten.

Dabei trank sie ihre Limonade. Als sie fertig war, starrte sie auf ihr Glas. Vielleicht sollte sie es in die Küche bringen.

Sie hörte leise Stimmen und blieb stehen.

„Das hätte ich nie gedacht“, sagte Tina leise. „Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dass die Jungs jemals wieder nach Flying B zurückkommen.“

„Ich weiß, was du meinst“, sagte die andere Frau. „Nach fast fünfunddreißig Jahren ist einfach zu viel Zeit vergangen.“

„Da hast du wohl recht. Die furchtbaren Dinge, die gesagt wurden …“ Tina schnalzte mit der Zunge.

Tammy wagte nicht, sich zu rühren, weil sie die Unterhaltung nicht unterbrechen wollte.

„Der arme Tex“, sagte die andere Frau. „Gar nicht auszudenken, dass seine Söhne ihm einfach den Rücken gekehrt haben und sich nie wieder hier blicken ließen.“

Aber warum? fragte sich Tammy. Ihr Vater und ihr Onkel waren schon immer miteinander und mit Grandpa Byrd zerstritten gewesen. Darum hatte sie auch nie den Rest der Familie kennengelernt.

Als klar war, dass weder die Haushälterin noch die Köchin das Thema vertiefen würden, betrat Tammy mit dem leeren Glas in der Hand die helle, sonnige Küche.

„Die Limonade war fantastisch“, sagte sie. „Wo soll ich das Glas hinstellen?“

„Das hätten Sie ruhig stehen lassen können. Dafür bin ich ja da“, sagte Tina, die an einem großen, blank polierten Eichentisch gesessen hatte.

„Es macht mir nichts aus, meine Sachen selbst aufzuräumen. Außerdem heiße ich Tammy.“ Sie lächelte. Wenn sie es schaffte, mit der Haushälterin Freundschaft zu schließen, würde sie vielleicht mehr erfahren.

„Na gut. Danke, Tammy.“ Tina nahm das Glas in Empfang und drehte sich zu der molligen Frau um, die gerade über dem Spülbecken Kartoffeln schälte. „Barbara, das ist Williams Jüngste.“

Die Köchin hatte rot gefärbte Haare und rosige Wangen. „Wie schön, dich kennenzulernen, meine Liebe. Kommt dein Vater auch her?“

„Auf jeden Fall.“ Das hoffte Tammy jedenfalls. „Eigentlich sollte er bis zum Abendessen hier sein.“

Die beiden Frauen sahen sich vielsagend an.

„Das sind gute Neuigkeiten“, sagte Tina. „Ich habe deinen Vater nicht mehr gesehen, seit er aufs College gegangen ist.“

Was? Kein Wort über den Familienstreit? Wenn Tammy die Frauen ein bisschen besser gekannt hätte, dann hätte sie nachgebohrt. Aber egal. Sie würde der Angelegenheit schon auf den Grund gehen. Angefangen mit ihrem Vater, sobald er hier auftauchte.

Und tatsächlich, William Travis Byrd erreichte die Flying B Ranch genau bei Sonnenuntergang.

„Hey“, begrüßte Tammy ihn draußen auf der Veranda. „Wie war die Fahrt?“

„Nicht übel“, sagte ihr Vater und ließ die Autotür seines Oldtimers zufallen. „Und bei dir?“

„Gut.“

Mit einer Kopfbewegung deutete ihr Vater auf das Haus. „Wie sieht’s aus?“

„Bisher ist nichts weiter passiert. Ich habe ihn noch nicht gesehen. Als ich ankam, kriegte er gerade Schmerzmittel. Und jetzt schläft er anscheinend.“

Ihr Vater wirkte angespannt. Tammy ging auf ihn zu und schnitt das Thema an, das ihr seit ihrer Ankunft auf dem Herzen lag. „Da gibt es etwas, das ich dich gern gefragt hätte.“

„Was denn?“

Sie verschränkte die Arme. „Weswegen habt ihr euch eigentlich zerstritten, dein Vater, dein Bruder und du?“

Ihr Vater runzelte die Stirn. Als sie schon dachte, dass sie keine Antwort bekommen würde, sagte er leise: „Mein Bruder hat sich damals etwas Unverzeihliches geleistet. Und mein Vater hat sich eingemischt.“

„Was hat er denn getan?“

„Das ist sehr lange her, Tam.“

Ja, das war ja gerade der Punkt.

„Weißt du“, sagte ihr Vater, zog seine Hand weg und sah sich um. „Jetzt wo ich hier bin, mache ich erst mal einen kleinen Spaziergang, bevor es dunkel wird.“

„Was hast du vor?“

Er zuckte die Achseln. „Ich will mich einfach nur umsehen. Was sich geändert hat und was gleich geblieben ist.“

„Okay. Aber, Daddy, was …“

Er hob die Hand und warf ihr einen warnenden Blick zu. „Wenn die Dinge anders gewesen wären, hätte ich deine Mutter nie kennengelernt, Tammy. Dann gäbe es dich und deine Brüder nicht. Deshalb reden wir nicht mehr darüber.“

Mit diesen Worten ging er weg. Für ihn war das Gespräch beendet.

Das Problem war nur, dass Tammy unglaublich neugierig war. Jetzt, wo sie wusste, dass es da ein dunkles Geheimnis zu ergründen gab, würde sie nicht so einfach aufgeben.

Augenblicke später kam eine Frau in einem knallroten Cabrio angebraust.

Tammy beobachtete, wie die Unbekannte aus dem Wagen stieg und einen schicken Schal in herbstlichen Farben vom Kopf über die schulterlangen blonden Haare zog.

Sie trug Stiefel und einen braunen Rock; alles wirkte sehr modisch und war bestimmt teuer. Ihr hautenger, cremefarbener Pulli betonte ihre üppigen Brüste.

Tammy hatte auch eine große Oberweite. Aber sie zog es vor, ihre weiblichen Reize unter weiten Hemden zu verstecken. Die Art von Aufmerksamkeit, die ihr Dekolleté bei Männern hervorrief, war ihr normalerweise unangenehm. Doch wenn sie an den Doc dachte, war sie sich diesbezüglich nicht ganz so sicher.

Tammy nahm die Hände aus den Hosentaschen und ging auf die Frau zu, um sich vorzustellen.

Die Hand der Blondine war sorgfältig manikürt und fühlte sich weich an, aber ihr Händedruck war fest. „Ich bin Donna, die Tochter von Sam.“

„Schön, dich kennenzulernen.“ Tammy bemühte sich um ein freundliches Lächeln.

„Sind mein Vater oder meine Schwester Jenna schon da?“, fragte Donna.

„Nein, noch nicht. Bisher nur du, mein Vater und ich. Meine Brüder, Aidan und Nathan, kommen erst Ende der Woche. Die sind momentan auf einem Angelurlaub irgendwo am Ende der Welt in Montana.“

Donna nickte, als ob sie das verstehen konnte. Aber Tammy ahnte, dass diese schicke Großstädterin noch nie in ihrem Leben beim Angeln oder Jagen oder Zelten gewesen war. Donna sah aus, als ob sie nicht mal einen Kurzurlaub auf einer Ranch überstehen würde.

„Vermutlich sollte ich mal reingehen und Bescheid sagen, dass ich da bin“, meinte Donna und nahm einen Koffer vom Rücksitz.

„Die Haushälterin heißt Tina“, erklärte Tammy. „Sie wird dir dein Zimmer zeigen.“

Als Donna auf die Veranda zuging, wiegte sie dabei die Hüften so natürlich, dass Tammy ihren Neid nicht ganz unterdrücken konnte.

Sie fragte sich, wie alt ihre Cousine wohl war – auf jeden Fall älter als Tammy mit ihren fünfundzwanzig Jahren. Vielleicht schon dreißig? Schwer zu sagen. Frauen konnten mit Make-up eine ganze Menge verstecken.

Unbewusst hob sie die Hand an ihr Gesicht. Sie hatte sich nie die Mühe gemacht, sich zu schminken oder bewusst jünger zu machen. Überhaupt gab sie nichts auf Mode und Schmuck. Sie trug bequeme, funktionelle Kleidung. Plötzlich musste sie über die eigene Unsicherheit lachen und vergrub die Hände wieder in den Hosentaschen.

Anstatt Donna ins Haus zu folgen, sah Tammy sich auf dem Hof um. Als sie gerade überlegte, Flying B auf eigene Faust zu erkunden, hörte sie, wie sich ein weiteres Auto näherte.

Auch diesmal saß eine Frau am Steuer. Sie sah Donna zwar nicht sehr ähnlich, aber Tammy dachte gleich, dass es sich um Jenna handeln musste. Wer sollte es sonst sein?

Tammy musterte sie. Jenna trug eine brandneue Jeans. Ihre weiße Rüschenbluse war nicht besonders figurbetont geschnitten. Anders als Donna mit ihren weiblichen Rundungen war Jenna schmal und schlank. Dennoch war sie genauso hübsch und wirkte ebenso feminin.

Tammy kam sich in ihrer alten Jeans plötzlich ganz schäbig vor.

Sie konnte nur hoffen, dass ihre schicken Cousinen sich nicht näher für den Doc interessierten. Denn dann wusste sie ganz genau, wer das Nachsehen haben würde.

Wie in aller Welt sollte sie nur mit zwei so schönen Frauen mithalten?

Tammys Vater war immer noch nicht von seinem Spaziergang wieder zurück. Aber das hinderte Tina nicht daran, den Vorschlag zu machen, dass Tammy, Jenna und Donna zum Essen in die Küche gehen sollten.

„Schließlich kommen alle zu verschiedenen Zeiten an“, erklärte die ältere Frau. „Da sehe ich nicht ein, dass ihr auf euer Essen warten sollt.“

Tammy, Jenna und Donna stimmten bereitwillig zu und folgten Tina in die Küche. Sobald Barbara das Essen auf den Tisch gestellt hatte, ließen die Haushälterin und die Köchin die drei jungen Frauen allein.

Zunächst entstand eine beklemmende Stille.

Nach einigen Minuten legte Tammy ihre Gabel hin und beugte sich vor. „Wenn ihr mich fragt – ich finde diese ganze Geschichte mit dem Familientreffen richtig merkwürdig.“

Donna sah auf. „Dasselbe habe ich auch gerade gedacht.“

Jenna nickte zustimmend.

Also dachten sie alle das Gleiche – und waren wahrscheinlich genauso neugierig wie Tammy, wie alles so gekommen war.

„Wisst ihr irgendetwas über diesen Familienstreit?“, fragte Tammy.

„Leider nicht. Aber ich war schon immer neugierig.“ Erst warf Jenna ihrer Schwester, dann Tammy einen Blick zu. „Ich habe gewusst, dass wir einen Onkel und einen Großvater haben. Aber das war’s auch schon. Mein Vater hat nie über seine Kindheit oder über sein Leben auf Flying B gesprochen.“

„Meiner auch nicht“, sagte Tammy. „Ich habe ihn ein paarmal gefragt, aber er hat jedes Mal die Antwort verweigert.“ Tammy beschloss, das letzte Gespräch mit ihrem Vater nicht zu erwähnen – dass der Vater von Jenna und Donna angeblich etwas „Unverzeihliches“ getan hatte.

„Vielleicht erfahren wir mehr, wenn diese Familienkonferenz steigt“, meinte Jenna.

Tammy war sich da nicht so sicher. „Nach fünfunddreißig Jahren Funkstille fällt es mir irgendwie schwer, mir vorzustellen, dass die Betroffenen so einfach wieder aufeinander zugehen.“

„Das ist wirklich schade.“ Jenna tupfte sich mit ihrer Serviette die Lippen ab. „Ungelöste Familienprobleme können sich auch auf andere Beziehungen auswirken.“

Da hatte sie wahrscheinlich recht, auch wenn das bei Tammys Vater anscheinend nicht der Fall gewesen war. Ihre Eltern waren glücklich verheiratet gewesen – zumindest hatte Tammy nie das Gegenteil gehört.

„Unsere Eltern haben sich scheiden lassen, als wir noch klein waren“, sagte Donna. „Und unser Vater hat nie wieder geheiratet.“

„Wir haben bei unserer Mutter gelebt, bis wir acht und zehn Jahre alt waren“, fügte Jenna hinzu. „Als sie starb, sind wir zu unserem Vater gezogen. Damals hatte ich schon akzeptiert, dass wir mit seinem Teil der Familie nie etwas zu tun haben würden. Aber das hieß nicht, dass ich das nicht wollte.“

Bis Tex Byrd sie an sein Sterbebett gerufen hatte, hatte Tammy nicht viel über diese Seite ihrer Familie nachgedacht. Und selbst jetzt war sie sich nicht sicher, ob sie ihre Verwandten wirklich mögen würde. Auch wenn Jenna und Donna auf den ersten Blick ganz sympathisch wirkten.

„Ich habe meine Mutter nie gekannt“, gab Tammy zu. „Sie starb, als ich zwei war. Mein Vater mich allein großgezogen.“

„Das tut mir leid, dass du deine Mutter so früh verloren hast“, sagte Jenna. „Ein Vater versteht doch nicht immer, wie es ist, ein Mädchen zu sein.“

So viel war sicher. Tammy lächelte. „Es hatte auch seine Vorteile. Glücklicherweise hat niemand von mir verlangt, dass ich mich wie eine Dame benehme. Ich meine ja nur“, versuchte sie zu erklären, „wer braucht schon Stöckelschuhe und Ballkleider?“

Diesen ganzen Firlefanz hatte sie nie wirklich vermisst. Jedenfalls nicht, bis ihr klar geworden war, dass es weder Jenna noch Donna schwerfallen würde, die Aufmerksamkeit des Hausarztes zu erregen, wenn er morgen Abend wiederkam.

Andererseits waren die beiden genau die richtigen Frauen, um Tammy mit wertvollen Tipps weiterzuhelfen. Vielleicht würden sie sogar mit ihr einkaufen gehen. Tammy bekam Herzklopfen bei dem Gedanken an etwas, was für andere Frauen ganz normal war – zusammen shoppen zu gehen, Kleider anzuprobieren und über Frauenthemen zu reden.

Aber ihr gefiel nicht nur die Idee, dass sie sich mit ihren Cousinen anfreunden könnte. Tammy sah auch, wie sehr sie davon profitieren und wohin das Ganze führen konnte. Das beflügelte ihre Fantasie.

Was wäre, wenn sie es nicht nur schaffte, die Aufmerksamkeit des Arztes auf sich zu ziehen, sondern ihn sogar dazu zu bringen, mit ihr ausgehen zu wollen?

Bei dem Gedanken bekam sie erst richtig Herzklopfen.

Aber wenn ihre Cousinen sie nur auslachten? Oder nichts mit ihr zu tun haben wollten? Oder noch schlimmer, sie einfach ignorierten?

Morgen musste sie sich wohl auf ihren eigenen weiblichen Instinkt verlassen – so nervös sie diese Aussicht auch machte. Aber egal, was auch passieren mochte, sie würde es schaffen, dem Doc aufzufallen.

3. KAPITEL

Das Haus von Tammys Großvater hatte zwei Flügel. Beide bestanden aus je vier Schlafzimmern, von denen zwei mit einem eigenen Bad ausgestattet waren. Die beiden anderen Räume waren wesentlich kleiner. Die Gästezimmer der jungen Frauen befanden sich im Mittelteil des Hauses, genau wie das Zimmer ihres Großvaters.

Die Haushälterin Tina Crandall und die Köchin Barbara Eyler wohnten in den beiden großen Zimmern im Südflügel. Weil die Leitungen im anderen Flügel erneuert werden mussten, waren die Männer in Blockhütten auf der Ranch untergebracht.

Tammy war es zunächst ziemlich egal, wo sie schlief. Bis sie an ihrem ersten Morgen auf Flying B herausfand, wie nervig es war, sich das Badezimmer mit anderen Frauen zu teilen.

Sie saß auf der Bettkante und lauschte dem Geräusch von fließendem Wasser. Dann sah sie wieder auf die Uhr. Wie lange musste sie noch warten, bis die Dusche frei war?

Anstatt herumzusitzen, zog sie sich lieber an und ging in die Küche. Sie hoffte, dort eine Tasse Kaffee zu bekommen.

Als sie barfuß den Flur entlangging, sog sie genießerisch den Geruch von brutzelndem Frühstücksspeck und den Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee ein.

In der Küche war die Köchin gerade dabei, in einer großen, gelben Schüssel einen Teig anzurühren.

„Guten Morgen“, sagte Tammy. „Brauchst du Hilfe?“

Die kleine, mollige Frau drehte sich um und lächelte. „Danke, Liebes, aber ich habe alles im Griff.“

Zu Hause auf der Ranch ihres Vaters gehörte das Kochen zu Tammys Aufgaben. Daher kam sie sich jetzt ganz komisch vor, wenn jemand anders diese Arbeit machte und sie auch noch bediente.

„Du bist eine richtige Frühaufsteherin“, meinte Barbara und stellte die Schüssel ab.

Eigentlich nicht. Schließlich war die Sonne schon aufgegangen. Tammy hatte das Gefühl, ein Faulpelz zu sein.

„Übrigens“, sagte Barbara und holte eine Flasche Speiseöl aus der Vorratskammer, „dein Vater war vor einer halben Stunde hier. Es tat gut, ihn nach all den Jahren wiederzusehen. Aber er ist nicht mal auf ein Schwätzchen geblieben. Hat sich nur einen Kaffee geholt und ist dann gleich wieder verschwunden. Er will sich umsehen, hat er gesagt.“

Das hatte er schon am Vorabend behauptet. Aber Tammy hatte das Gefühl, dass es ihm vielmehr darum ging, das Haus und alle seine Bewohner zu meiden.

„Wie wäre es mit einem Kaffee?“, fragte Barbara. Sie holte eine Tasse aus dem Schrank.

„Gern. Danke.“

„Wie trinkst du ihn? Schwarz?“

„Bitte mit Milch und Zucker.“

Tammy setzte sich an den Tisch. Barbara reichte ihr den Kaffee. Tammy hielt die Tasse mit beiden Händen fest und beobachtete den aufsteigenden Dampf. Weil sie das Schweigen nicht mehr aushielt, fragte sie schließlich: „Wie geht es Tex heute Morgen?“

„Er hat gut geschlafen. Zumindest hat er das gesagt.“

„Gut zu hören.“ Tammy versuchte, beiläufig den Namen des Hausarztes in die Unterhaltung einfließen zu lassen. „Ich habe mich gefragt … ich meine, mir ist klar, dass Tex einen Arzt hat. Ich habe ihn ja gestern getroffen. Es ist nur … der Mann wirkt ziemlich jung. Weißt du, was ich meine?“

„Ja, das weiß ich genau.“ Barbara bückte sich, öffnete den Unterschrank neben dem Herd und nahm eine große gusseiserne Pfanne heraus.

Tammy wartete einen Augenblick, bevor sie die Frage stellte, auf die sie wirklich eine Antwort wollte. „Was weißt du über ihn?“

„Er ist auf jeden Fall ein fähiger Arzt“, sagte Barbara. „Wenn du das meinst.“

Nein, darum ging es ihr nicht. Sie wollte mehr über den Mann wissen, nicht über sein Stethoskop. Wo kam er her? Was machte er in seiner Freizeit?

„Wenn es dich beruhigt“, fügte Barbara hinzu, „Doc Reynolds würde sich nie von jemandem vertreten lassen, der nicht wirklich gut ist.“

Tammy dachte gründlich über ihre nächsten Worte nach. Sie wollte nicht, dass ihr Interesse zu offensichtlich war. „Dann kommt Dr. Sanchez gar nicht aus Buckshot Hills?“

„Nein, er ist erst vor ein paar Monaten von der Ostküste hergezogen. Aus Philadelphia, glaube ich.“

Tammy trank einen Schluck Kaffee. Sie genoss den süßen, sahnigen Geschmack.

„Buckshot Hills ist nicht gerade eine Großstadt“, meinte sie.

„Das kannst du laut sagen.“ Barbara gab etwas Pflanzenöl in die Pfanne und schaltete den Herd an.

„Hat er Familie hier?“ Tammy hoffte und betete, dass er keine Ehefrau oder Freundin hatte.

„Das glaube ich nicht. Aber wie gesagt, weiß ich nicht viel über ihn. Nur dass Tex ihn mag, und dass er jeden Tag herkommt. Er scheint gut mit Patienten umgehen zu können.“

Die Vorstellung, wie der Doc sich über ihr Bett beugte, war erregend. Aber bevor Tammy weitere Fragen stellen konnte, hörte sie Schritte.

Jenna kam in die Küche. Sie war frisch geduscht und hatte ihr blondes Haar sehr feminin frisiert.

„Guten Morgen“, sagte Barbara. „Kann ich dir einen Kaffee machen, Jenna? Oder möchtest du lieber Orangensaft? Ist frisch gepresst.“

„Orangensaft klingt gut. Vielen Dank, Barbara.“

Tammy bemühte sich, die schlanke Frau nicht anzustarren. Wie gestern trug sie eine Jeans. Allerdings eine andere, eine Schattierung heller als die vom Vortag.

„Ich weiß ja, dass Flying B eine Rinderfarm ist“, sagte Jenna. „Aber mir sind einige Pferde auf der Weide neben der Scheune aufgefallen. Wer kümmert sich um die?“

„Soviel ich weiß, einer der Rancharbeiter, Caleb Granger.“ Barbara schenkte Jenna ein Glas Orangensaft ein und reichte es ihr. „Warum?“

„Nur so.“

Barbara wandte ihre Aufmerksamkeit wieder den Pfannkuchen zu.

„Magst du Pferde?“, fragte Tammy.

„Ja. Ich bin sogar ausgebildete Reitlehrerin.“

„Ehrlich?“ Tammy setzte sich auf. Vielleicht hatte sie doch mehr mit ihrer Cousine gemeinsam, als sie anfangs gedacht hatte.

Wenigstens eine Vorliebe für Pferde und Jeans.

„Gibt es Neuigkeiten zum bevorstehenden Familientreffen?“, fragte Jenna.

„Nicht, dass ich wüsste.“ Barbara nahm geschickt ein paar Pfannkuchen aus der Pfanne. „Ich bin sicher, dass Tex damit wartet, bis alle da sind.“

„Ist mein Vater inzwischen angekommen?“, wollte Jenna wissen.

„Bisher habe ich ihn noch nicht gesehen.“ Barbara schüttete neuen Teig in die Pfanne. „Wie viele Pfannkuchen wollt ihr?“

„Wenn es geht, hätte ich lieber einen Blaubeermuffin zum Mitnehmen“, sagte Jenna.

Zum Mitnehmen?

„Wo willst du denn hin?“, fragte Tammy.

„Einfach nur spazieren gehen. Ich will mir die Ranch ansehen.“

Tammy auch. Und sie war drauf und dran, Jenna zu fragen, ob sie gern Gesellschaft hätte. Aber sie zögerte. Gestern Abend hatte ihre Cousine ja recht freundlich gewirkt. Doch warum sollte sie sich ihr aufdrängen? Tammy wusste aus Erfahrung, wie schief das gehen konnte. Vor langer Zeit auf der Highschool hatte sie einmal den Fehler gemacht, auf eine Gruppe beliebter Mädchen zuzugehen.

Sie konnte immer noch ihr Kichern hören und ihr höhnisches Grinsen vor sich sehen. „Ich glaube“, sagte Tammy und stand auf, „dann dusche ich jetzt lieber, bevor deine Schwester mir zuvorkommt.“

„Donna arbeitet bestimmt schon“, meinte Jenna. „Aber man weiß ja nie …“

Tammy nickte und stellte ihre Tasse beim Spülbecken ab. Das Risiko wollte sie nicht eingehen.

„Bis später“, sagte sie. „Viel Spaß beim Spaziergang.“

„Danke.“

Als Barbara Jenna die Muffins reichte, ging Tammy wieder in ihr Zimmer und holte sich eine saubere Jeans und ein frisches Hemd. Damit ging sie ins Bad. Nachdem sie die Tür abgeschlossen hatte, drehte sie die Dusche auf und zog sich aus.

Ihre Figur war viel weiblicher, als die meisten Leute dank ihres Kleidungsstils vermuten würden. Tammy stieg in die Wanne und ließ den Wasserstrahl auf sich niederprasseln, bis ihr Haar nass an ihrem Rücken klebte.

Da fielen ihr mehrere teuer aussehende Plastikflaschen auf der Abstellfläche der Dusche auf.

Nacheinander hob sie jede Flasche hoch. Shampoo, Conditioner und Duschgel.

Während ihr das Wasser weiter den Rücken hinunterlief, öffnete Tammy jedes Produkt und schnupperte. Ein mädchenhafter Blumenduft stieg ihr in die Nase.

Das gefiel ihr auf jeden Fall besser als ihr Duschgel. Sonst benutzte sie immer nur irgendwelche Billigprodukte aus dem Supermarkt.

Tammy konnte sie nicht widerstehen und nahm sich auch etwas von dem Shampoo. Während sie das Shampoo in ihr Haar massierte, hoffte sie, dass es ihren Cousinen nichts ausmachte, dass sie sich einfach bedient hatte. Sie spülte ihr langes, seidiges Haar aus und fragte sich, ob sie heute ausnahmsweise ihre Locken offen tragen sollte.

Warum eigentlich nicht?

Nachdem sie geduscht und sich abgetrocknet hatte, zog sie die sauberen Sachen an. Dann öffnete sie die Badezimmertür und ließ den Dampf entweichen.

Als sie sich wieder im Spiegel erkennen konnte, hatte sie das Gefühl, völlig anders auszusehen. Sie konnte ihrem Spiegelbild anmerken, wie unangenehm es ihr war, so verletzlich zu sein.

Tammy hatte ihre Mutter nie kennengelernt. Sie war allein unter Männern groß geworden und hatte sich damit immer abgefunden. Bis heute – oder vielmehr, bis gestern – war sie mit dem Ergebnis vollauf zufrieden gewesen.

Aber jetzt nicht mehr. Vielleicht sollte sie mit Jenna reden, sobald diese von ihrem Spaziergang wiederkam. Falls ihre Cousine sich darauf einließ, ihr ein paar Mode- und Make-up-Tipps zu geben, und ihr vielleicht sogar zu einer pfiffigeren Frisur riet, hätte Tammy viel mehr Selbstvertrauen im Umgang mit dem Hausarzt, wenn er zum nächsten Patientenbesuch kam.

Wer weiß – ob sie ihm dann auch den Kopf verdrehen könnte?

Es war fast acht Uhr morgens, als Mike die Stadt verließ und in Richtung Flying B fuhr. Eigentlich hatte er Tex erst am späten Nachmittag besuchen wollen. Doch auf dem Rückweg zur Praxis waren ihm Zweifel gekommen. Daher hatte er beschlossen, früher als geplant zurückzufahren.

Tex hatte keine Details über diese alte Familienfehde erwähnt. Aber Dr. Reynolds hatte Mike erzählt, wie viel dem alten Mann daran lag, kurz vor seinem Tod die zerstrittene Familie miteinander zu versöhnen. In seinem Zustand konnte die Anstrengung jedoch leicht zu viel für ihn werden.

Mike wollte in Buckshot Hills keine persönlichen Beziehungen aufbauen. Schließlich wollte er nur so lange in der Stadt bleiben, wie es unbedingt nötig war. Bis seine Zeit als Vertretung für Dr. Reynolds zu Ende war. Bis er sich seinem Gönner gegenüber erkenntlich gezeigt hatte. Dann würde er wieder nach Hause nach Philadelphia fliegen. Dort wollte er die Stelle bei der Riverview Medical Group antreten, die man ihm in Aussicht gestellt hatte. Falls der Job bis dahin noch nicht anderweitig vergeben war.

Doch obwohl Mike fest entschlossen war, eine professionelle Distanz zu den Einheimischen einzuhalten, hatte er Mitgefühl mit Tex Byrd. Dabei berührte ihn nicht die unheilbare Krankheit, sondern viel mehr die Entschlossenheit des alten Mannes, seine Familienangelegenheiten vor seinem Tod zu regeln.

Als Mike von der Landstraße nach Flying B abbog, dachte er an die Familienmitglieder, die sich bereits eingefunden hatten, und an die Nachzügler, die erst noch eintreffen mussten.

Lag ihnen etwas daran, den Familienstreit zu beenden? Oder interessierten sie sich hauptsächlich für das Testament des alten Mannes?

Das war schwer zu sagen. Manchmal brachte der Tod bei Menschen die schlechtesten Seiten zum Vorschein.

Jetzt lag die Abzweigung nach Flying B vor ihm. Mike betätigte den Blinker. Er konnte nur hoffen, dass sein Patient der Belastung standhielt – und dass sein Plan, eine Versöhnung herbeizuführen, nicht schon schiefgegangen war.

Nachdem Tammy sich die Haare zu einer wilden Lockenmähne geföhnt hatte, überlegte sie kurz, Jenna zu suchen. Aber sie schaffte es nur bis zur Veranda. Dann bekam sie Angst vor der eigenen Courage und ging wieder ins Haus.

Als Teenager hatte sie aus bitterer Erfahrung gelernt, dass es besser war, andere Menschen nicht merken zu lassen, wenn sie auch nur den geringsten Anflug von Unsicherheit verspürte. Und sie hatte so eine Ahnung, dass sich das nicht geändert hatte, bloß weil sie jetzt erwachsen war.

Stattdessen ging sie ins Wohnzimmer und dann den Flur entlang, bis sie vor dem Schlafzimmer ihres Großvaters stand. Dort verharrte sie eine halbe Ewigkeit. Schließlich hob sie die Hand, um anzuklopfen.

War es unangebracht, auf ihn zuzugehen, wenn er sie noch nicht zu sich gerufen hatte?

Ach, was soll’s! dachte sie. Leise klopfte sie ein paarmal an die Tür.

Dann wartete sie, bis die Stimme eines alten Mannes ertönte. „Komm ruhig rein.“

Tammy drehte den Türknauf und trat ein. In dem großen Schlafzimmer lag ein hochgewachsener, dürrer Mann mit schroffen Gesichtszügen und dichtem weißen Haar im Bett. Er lehnte sich an mehrere Kissen.

„Ich …“ Sie biss sich auf die Unterlippe. Dann zwang sie sich, weiterzusprechen. „Ich hoffe, ich störe nicht. Aber ich wollte dich gern kennenlernen. Da habe ich gedacht, ich stelle mich einfach mal vor.“

„Du musst Tammy sein. Williams Tochter. Steh da nicht so herum.“ Tex deutete auf einen Stuhl neben seinem Bett. „Setz dich.“

Nachdem sie sich gesetzt hatte, beschloss sie, den Stier bei den Hörnern zu packen und ihren Großvater einfach über den großen Familienstreit auszufragen.

Aber bevor sie die erste Frage stellen konnte, sagte er: „Du siehst deiner Großmutter sehr ähnlich. Ihr Haar war auch so dunkel. Und deine Augen sind fast genauso blau.“

„Hast du Fotos von ihr?“, fragte Tammy. Sie war neugierig und fragte sich, ob ihre Großmutter hübsch gewesen war. „Die würde ich gern sehen.“

„Nicht so viele, wie ich gern hätte. Aber ich werde dir auf jeden Fall ein oder zwei Bilder als Andenken überlassen.“ Er sah Tammy einen Augenblick lang an. Ein sehnsüchtiges Lächeln ließ seine Gesichtszüge sanfter wirken. „Ella Rose war auch so ein Wildfang wie du.“

„Ein Cowgirl, meinst du?“

„Wahrscheinlich. Sie war sehr klein und zierlich. Aber sie konnte den stärksten Mann mit einem Lächeln entwaffnen. Egal ob in Jeans oder im Ballkleid.“

Tammy wäre vielleicht mehr beeindruckt gewesen, wenn sie nicht gerade einen Mann getroffen hätte, der sie mit einem Lächeln entwaffnet hatte.

„Deine Großmutter starb, als die Zwillinge noch im Kindergarten waren“, fügte Tex hinzu.

Zwillinge? Sie hatte gewusst, dass ihr Vater einen Bruder hatte. Aber sie hatte keine Ahnung, dass sie am selben Tag Geburtstag hatten. Oh Mann! Bevor sie einen Kommentar abgeben oder Tex weiter ausfragen konnte, klopfte es leise an die Tür.

Ihr Großvater richtete sich auf und verzog das Gesicht. „Wer ist da?“

„Mike Sanchez.“

Der Doc? Tammys Herz machte einen Satz.

„Kommen Sie rein“, sagte Tex.

Als der Arzt hereinkam, sah er sogar noch attraktiver aus als am Vortag.

Tammy bemühte sich verzweifelt, kühl und ruhig zu wirken. Das erwies sich aber als so gut wie unmöglich.

„Guten Morgen“, sagte der Doc. Erst sah er Tex an, dann Tammy.

Irgendwie schaffte sie es trotz des Herzrasens, sein Lächeln zu erwidern.

Als er auf das Bett zuging, sah er Tammy unverwandt an.

„Was ist denn?“, fragte sie.

„Tut mir leid, dass ich Sie so anstarre. Aber ich finde Ihre Augenfarbe faszinierend. Das hören Sie sicher dauernd.“

„Eigentlich nicht.“ Jedenfalls hatte sie noch nie ein Kompliment von jemandem bekommen, der ihr wirklich etwas bedeutete. Ihre Augen waren auch wirklich nichts Besonderes – sie waren einfach nur blau, wie der Himmel oder Glockenblumen. „Ich habe immer gedacht, es ist ein ziemlich langweiliges Blau.“

„Ganz und gar nicht. Es ist ein wunderschönes Blau.“

Bei dem Kompliment wurde ihr ganz anders.

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, kurz hinauszugehen, würde ich gern Ihren Großvater untersuchen.“

Natürlich machte es Tammy etwas aus. Sie wollte bis ans Ende ihrer Tage im selben Raum sein wie der Doc. Aber sie verstand, dass ihr Großvater ein Recht auf Privatsphäre hatte.

„Natürlich.“ Sie stand auf. Dann warf sie dem Arzt noch einen fragenden Blick zu. Nur für den Fall, dass er doch noch seine Meinung änderte und sie bat, im Zimmer zu bleiben.

Aber das tat er nicht. Anscheinend war mehr als eine neue Frisur nötig, um mit ihm zu flirten. Dafür brauchte Tammy wohl doch Unterstützung. Und sie ahnte schon, dass weder die Haushälterin noch die Köchin ihr viel Nachhilfe beim Flirten geben konnten.

Somit blieben nur noch ihre Cousinen übrig.

Tammy hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte, wenn sie den beiden das nächste Mal über den Weg lief. Aber irgendetwas würde sie sich ausdenken müssen.

Sie würde es einfach riskieren, sich vor ihnen bis auf die Knochen zu blamieren und die beiden zu bitten, aus dem Cowgirl eine Lady zu machen.

Während der Doc sich um ihren Großvater kümmerte, ging Tammy ins Wohnzimmer. Dort wollte sie warten, bis sie wieder zu Tex gehen durfte.

Sie war neugierig, was Grandpa Tex zu sagen hatte, und wollte alles über ihre Großmutter erfahren, der sie angeblich so ähnlich sah, und natürlich über die ganze Familienfehde. Aber was ihr noch wichtiger war: Sie wollte den Doc noch einmal sehen, bevor er wieder in die Praxis fuhr. Es gab bestimmt keinen attraktiveren Mann in ganz Texas.

Heute hatte er ihre Augenfarbe erwähnt. Das musste doch ein gutes Zeichen sein. Oder etwa nicht? Auf jeden Fall war sie ihm aufgefallen.

Vielleicht brauchte sie Jenna doch nicht um Hilfe zu bitten, sondern würde es allein schaffen, den Doc auf sich aufmerksam zu machen. Sie musste nur einen Weg finden, mehr Zeit mit ihm zu verbringen.

Aber wie?

Abwarten. Falls sich eine Gelegenheit ergab, würde Tammy sie auch nutzen. In der Zwischenzeit würde sie im Wohnzimmer auf den Doc warten.

Als sie sich auf das Ledersofa fallen ließ, hörte sie Stimmen im Esszimmer nebenan.

Zuerst beachtete Tammy sie nicht weiter. Jedenfalls nicht, bis die Haushälterin den Namen Sam Byrd erwähnte. Tammy horchte neugierig auf. Sie ging zur Tür und achtete darauf, keinen Laut von sich zu geben.

Barbara fragte: „Wann glaubst du, dass Sam kommt?“

„Woher soll ich das wissen? Vielleicht im Laufe des Tages. Ich habe ihm schon ein Blockhaus hergerichtet. Soviel ich weiß, kommen die Söhne von William erst gegen Ende der Woche. Da habe ich noch genug Zeit, die große Blockhütte hinten vorzubereiten“, erklärte Tina. „Die anderen Hütten müssen erst wieder instand gesetzt werden. Oder dort sind Rancharbeiter darin einquartiert. Und das Traumhaus ist mit Brettern vernagelt.“

Traumhaus? Was für ein Traumhaus? Tammy machte noch einen Schritt auf die Tür zu.

„Williams Söhne sollen zusammen in einer Hütte wohnen?“, fragte Barbara. „Du könntest jedem eine eigene Unterkunft geben, wenn du das Schloss vom Traumhaus abmachen lässt.“

„Nein“, sagte Tina. „Das lassen wir lieber verschlossen. Genau, wie Tex es angeordnet hatte, nachdem Savannah verschwunden war.“

Savannah? Diesen Namen hatte Tammy noch nie gehört.

Tammy beugte sich vor, in der Hoffnung, mehr zu erfahren.

„Da hat du wohl recht. Die beiden Jungs können sich das größere Blockhaus teilen.“ Barbara stieß einen Seufzer aus. „Wenn sie sich nicht streiten, so wie ihr Vater und ihr Onkel.“

„Ich frage mich, was wohl passiert, wenn William und Sam sich endlich gegenüberstehen. Hoffentlich bleiben sie wenigstens höflich.“

„William und Sam waren beide gute Jungen – wenn auch stur und ehrgeizig.“

„Das kannst du laut sagen. Schließlich haben sie das Kriegsbeil fünfunddreißig Jahre lang nicht begraben.“

„Und alles nur wegen einer Frau“, ergänzte Barbara.

Wegen einer Frau? Jetzt war Tammy ganz Ohr.

„Hast du Savannah jemals kennengelernt?“, fragte Barbara.

„Nein. Aber im Laufe der Jahre habe ich einige Gerüchte über sie gehört.“

„Solange die Familie hier ist, solltest du ihren Namen nicht erwähnen. Damit würdest du nur den dritten Weltkrieg auslösen. Oder dir die Kündigung einhandeln.“

„Da hast du recht. Ich halte lieber den Mund. Aber was ist das auch für eine Frau, die herkommt, um die Familie ihres Freundes kennenzulernen, und dann etwas mit dem Zwillingsbruder anfängt?“

Oh, Wahnsinn. Kein Wunder, dass ihr Vater und ihr Onkel sich zerstritten hatten.

„Meinst du, das Ganze hat irgendetwas mit dem Bett zu tun?“, fragte Tina.

„Du glaubst doch nicht etwa an diese alberne Legende?“

„Dass die Träume von jedem, der darin schläft, in Erfüllung gehen? Nein, so abergläubisch bin ich nun wirklich nicht.“

Tammy richtete sich auf. Darum hatten sie die Blockhütte also „das Traumhaus“ genannt.

„Komm schon“, sagte Barbara. „Nicht trödeln, Tina. Hilf mir mal. Wir müssen den Tisch ausziehen.“

Als Nächstes hörte Tammy ein Klicken, ein Knirschen und ein Stöhnen.

„Das war’s“, sagte Tina. „Was gibt’s heute Abend zu essen?“

Als sich das Gespräch um Braten, Kartoffelbrei und Apfelkuchen drehte, ging Tammy wieder zurück ins Wohnzimmer. Der Kopf schwirrte ihr vor Gerüchten und Legenden und Familienfehden.

Aber bevor sie sich wieder aufs Sofa setzen konnte, ging am Ende des Flurs eine Tür auf. Schritte näherten sich.

Das musste der Doc sein.

Sie drehte sich um. Obwohl sie seinen Anblick erwartet hatte, blieb ihr trotzdem die Luft weg. Ihr Herz klopfte heftig.

„Sie können jetzt zu Ihrem Großvater hineingehen, wenn Sie wollen. Morgen komme ich wieder.“ Er senkte den Kopf und lächelte sie an. „Auf Wiedersehen, Miss Byrd.“

Tammy wusste nicht, wie sie auf diese förmliche Anrede reagieren sollte. Noch nie hatte sie jemand mit „Miss Byrd“ angesprochen. Sollte das bedeuten, dass er sie nicht nur für ein junges Ding hielt, das zufälligerweise besser mit dem Lasso umgehen konnte und fester im Sattel saß als ihre Brüder?

Das hoffte sie jedenfalls. Aber wie sollte sie bei einem Mann weiterkommen, der sie mit „Miss“ anredete? „Ich bin Tammy, Doc. Einfach nur Tammy.“

„Na schön. Wie du willst.“ Er lächelte ihr noch einmal zu und ging zur Tür.

Tammy konnte einfach nicht anders. Sie folgte ihm nach draußen.

Ob alle Ärzte so gut rochen? So breite Schultern hatten, so …

Um Himmels willen. Reiß dich zusammen, Tammy. Aber wie? Sie hatte das Gefühl, als ob sie alle Chancen, sich zu verlieben, aufgespart hatte, um sich jetzt für diesen einen Mann lächerlich zu machen.

Irgendwie wollte sie ihn dazu bringen, noch auf Flying B zu bleiben. Und wenn sie dafür die Reifen seines Autos zerstechen musste.

Sie kannte sich gut genug mit Motoren aus, um das hinzubekommen. Aber so weit würde sie dann doch nicht gehen. Dennoch war die Versuchung groß.

„Doc, kann ich etwas fragen?“

„Natürlich.“

„Als mein Großvater uns herbestellt hat, sagte er, dass er im Sterben liegt. Wie viel Zeit bleibt ihm noch?“

„Das lässt sich schwer sagen. Ein paar Wochen. Mehr oder weniger.“

Tammy biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte ihren Großvater bisher nicht gekannt. Und jetzt, wo sie ihn endlich getroffen hatte, würde sie kaum die Gelegenheit haben, ein bisschen Zeit mit ihm zu verbringen.

Der Arzt legte Tammy mitfühlend eine Hand auf die Schulter. Bei der sanften Berührung durchfuhr es sie wie ein Blitz, heiß und heftig.

Sie sah ihm tief in die Augen. Ihre Gefühle verwirrten ihr die Sinne. Himmel. Sie war wirklich dabei, sich Hals über Kopf in diesen Mann zu verlieben. Bevor sie jedoch darüber nachgrübeln konnte, ob er auch etwas für sie empfand, klingelte sein Handy. Der Augenblick war vorbei.

„Entschuldigung.“ Er zog seine Hand weg und nahm den Anruf entgegen. „Dr. Sanchez.“

Während er zuhörte, runzelte er die Stirn. „Wie viele Verletzte?“

Er schwieg einen Moment. „Sind sie bei Bewusstsein?“ Er warf einen Blick auf die Uhr. „Ich bin auf Flying B. Das ist nicht weit weg. Ich komme zu Ihnen. Das dauert keine zehn Minuten.“

Nachdem der Doc das Gespräch beendet hatte, wandte er sich wieder an Tammy. „Ein Unfall auf der Snyders Ranch. Hört sich nicht so schlimm an, aber ich muss gleich los.“

„Soll ich mitkommen?“, fragte sie. „Auf der Ranch von meinem Vater leiste ich immer Erste Hilfe. Ich würde gern helfen.“

„Das ist sehr nett von dir. Aber wahrscheinlich ist es besser, wenn du bei Tex bleibst.“ Bevor sie protestieren konnte, drehte er sich um und verließ die Küche, um Tina zu suchen und ihr die neue Dosis der Medikamente für Tammys Großvater zu erklären.

Jetzt hatte Tammy keine Zeit zu verlieren. Sie musste ihn überzeugen, sie mitzunehmen. Das war die ideale Gelegenheit, um ihm zu beweisen, dass sie etwas gemeinsam hatten.

Während der Doc mit Tina sprach, rannte Tammy nach draußen zu seinem Truck. Verstohlen sah sie sich um, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtete. Dann öffnete sie die Motorhaube und zog ein Verteilerkabel heraus. Anschließend machte sie sich auf die Suche nach Hugh, dem Vorarbeiter ihres Großvaters. Sobald der Doc merkte, dass sein Wagen nicht anspringen würde, hätte sie den Autoschlüssel für einen der Pick-ups von Flying B parat.

Der Doc würde eine Mitfahrgelegenheit brauchen, und Tammy war entschlossen, ihn überall hinzufahren.

Mike saß am Lenkrad von seinem Pick-up-Truck und versuchte, den Wagen anzulassen. Als nichts passierte, fluchte er leise.

Gott sei Dank waren die Männer auf der Snyder Ranch nicht schlimm verletzt. Sonst hätte er Life Flight rufen müssen, um sie ins Krankenhaus fliegen zu lassen. Aber der Vorarbeiter hatte bestätigt, dass beide Männer bei Bewusstsein waren. Der eine behauptete, dass es ihm gut ging. Er hatte nur ein paar Abschürfungen und möglicherweise einen gebrochenen Knöchel. Der andere hatte eine Platzwunde am Kopf und eine ausgerenkte Schulter.

Mike stieg aus dem Truck. Doch bevor er sich auf die Suche nach einem Rancharbeiter machen konnte, hielt ihn die blauäugige Enkelin von Tex auf.

„Probleme?“, fragte Tammy.

„Ja. Aber ich habe keine Zeit, der Sache jetzt auf den Grund zu gehen. Ich brauche jemanden, der mich schnell zur Snyder Ranch fährt.“

Sie hielt einen Autoschlüssel hoch. „Ich wollte gerade in die Stadt. Aber das kann warten. Ich nehme dich gern mit.“

„Sicher? Das kann eine Weile dauern.“

Sie lächelte. Ihre unglaublich blauen Augen schimmerten, als ob er ihr einen Gefallen tat und nicht umgekehrt. „Kein Problem. Ich wollte nur in die Stadt, weil ich mich ein bisschen langweile. Da freue ich mich doch, wenn ich etwas Sinnvolles tun kann.“

„Na schön. Danke.“

Tammy nickte und lenkte damit seine Aufmerksamkeit auf ihre langen, dunklen Locken. Sie deutete auf einen ramponierten weißen Chevrolet neben der Scheune. „Ich habe die Schlüssel für den da. Komm mit, los geht’s.“

Auf der Landstraße Richtung Brian Snyders Ranch, sagte Tammy: „Du musst mir sagen, wie ich fahren soll. Ich kenne mich in Buckshot Hills nicht aus.“

Mike auch nicht. Er verließ sich meistens auf sein Navi, obwohl das Gerät ihn regelmäßig im Stich ließ, weil viele Schotterstraßen einfach nicht erfasst waren. Zum Glück war er schon öfter auf der Ranch der Snyders gewesen. Brians schwangere Frau Melanie litt an besonders heftiger Morgenübelkeit.

„Beim nächsten Stoppschild links“, sagte Mike.

Tammy folgte seinen Anweisungen.

„Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du mich herfährst“, sagte Mike.

„Kein Problem. Ich bin jetzt schon ewig für die medizinische Erstversorgung auf der Farm meines Vaters zuständig. Da ist es doch selbstverständlich, dass ich dir helfe.“

„Hast du mal einen Erste-Hilfe-Lehrgang gemacht?“

„Nein, das nicht. Aber ich habe mich schon immer für Medizin interessiert. Wahrscheinlich hätte ich auch Biologie studiert, wenn ich gekonnt hätte. Aber mein Vater brauchte mich auf der Ranch.“

„Was hast du denn studiert?“

„Ich … leider ist aus dem College nichts geworden.“ Tammy biss sich auf die Unterlippe. „Ich hätte schon gern studiert. Aber meine älteren Brüder haben vor einigen Jahren eine Baufirma aufgemacht. Das war echt hart für meinen Vater. Er hat gehofft, dass Aidan und Nathan mal die Ranch übernehmen.“

„Deshalb bist du zu Hause geblieben, um ihm zu helfen?“

Tammy zuckte die Achseln. „Ich konnte ihn doch nicht enttäuschen. Du weißt sicher, wie das ist.“

Nein, das wusste Mike nicht. Sein Vater hatte ihn und seine Mutter vor fast dreißig Jahren verlassen. Er konnte sich nicht mal an seinen Vater erinnern, geschweige denn hatte er die Gelegenheit, ihn zu enttäuschen.

Tammy parkte neben einem Traktor vor der Scheune. Mike schnappte sich seine Tasche und stieg aus. Kaum hatte er einen Schritt gemacht, tauchte ein großer, dürrer Arbeiter auf. „Danke, dass Sie da sind, Doc. Bitte kommen Sie mit, dann bringe ich Sie gleich zu Slim und Pete.“

Mike folgte dem Cowboy über den Hof und ins Haus.

„Ist Brian da?“, fragte er.

„Nein, er und seine Frau sind übers Wochenende weggefahren. Unser Vorarbeiter Jim Phelps hat so lange die Verantwortung für alles.“

Sie gingen ins Haus. Tammy folgte ihnen auf den Fersen. Die beiden verletzten Männer waren in der Küche. Einer saß auf einem Stuhl. Er hatte Stiefel und Strümpfe ausgezogen. Sein Knöchel sah übel aus, blau und geschwollen. Der andere Mann drückte sich ein blutiges Handtuch an den Kopf.

Mike stellte seine Tasche auf die Arbeitsfläche. Dann wusch er sich gründlich die Hände, bevor er sich sterile Handschuhe überstreifte, um die Männer zu untersuchen.

„Soll ich die Platzwunde sauber machen?“, fragte Tammy.

„Ja, wenn du das hier benutzt.“ Mike gab Tammy antibakterielle Seife und sterile Kompressen. „Und Handschuhe.“

Zwanzig Minuten später hatte Mike Petes Kopfwunde genäht und seine Schulter wieder eingerenkt. Slim, der andere Arbeiter, musste aber auf jeden Fall geröntgt werden. Der Knöchel war wirklich übel zugerichtet.

„Ich könnte Slim mit in die Stadt nehmen“, sagte Mike. „Aber ich habe Probleme mit meinem Wagen. Darum habe ich selbst eine Mitfahrgelegenheit hierher gebraucht.“

„Kein Problem“, sagte Jim Phelps, der Vorarbeiter. „Das ist ein Arbeitsunfall. Unser Boss besteht darauf, dass ich ihn begleite.“

„Das ist wahrscheinlich auch besser so“, sagte Mike. „Sobald ich wieder drüben bei Tex Byrd bin, rufe ich einen Mechaniker. Dann können die mich abschleppen.“

„Ich kann mir dein Auto ja mal ansehen“, bot Tammy an.

Mike lächelte. Die junge Frau hatte sich als exzellente Assistentin erwiesen. „Gibt es eigentlich irgendetwas, das du nicht kannst?“

„Nicht viel.“ Tammy vergrub die Hände in den Hosentaschen und lächelte. Ihre Augen glitzerten.

Mike musterte sie etwas zu aufmerksam. Sie hatte nicht nur große, wunderschöne Augen, sondern auch lange, dichte, dunkle Wimpern und eine vorwitzige, mit niedlichen Sommersprossen übersäte Nase.

Als er merkte, dass sie seinen Blick erwiderte, schaute er schnell weg. Einen Augenblick lang fragte er sich, ob Tammy Byrd sich in ihn verguckt hatte – nicht, dass ihm das etwas ausmachen würde. Aber er hatte nicht vor, länger als absolut notwendig in Buckshot Hills zu bleiben. Er zählte die Tage, bis er wieder nach Philadelphia zurückkehren konnte.

Verdammt, dachte Mike, als er Tammy noch einen Blick zuwarf. Für eine Frau, die nicht viel mit Mode und Schnickschnack am Hut hatte, hatte sie wirklich wunderschöne Augen.

Als der Doc sich zu seinem Patienten umdrehte, jubilierte Tammy innerlich.

Er hatte sie angesehen. Ja, er hatte sie tatsächlich interessiert angesehen. Vielleicht würde sie doch keine Nachhilfe von ihren Cousinen brauchen.

Als sie und der Doc das Haus verließen, war der Vorarbeiter gerade dabei, Slim in einen alten blauen Pick-up zu helfen.

Nur wenige Minuten später kletterte der Doc mit seinem Arztkoffer auf den Beifahrersitz. Tammy ließ den Wagen an. Dann waren sie unterwegs zurück nach Flying B.

„Zu schade, dass das mit dem College nicht geklappt hat“, sagte der Doc. „Du wärst bestimmt eine gute Ärztin oder Krankenschwester geworden.“

Das Kompliment tat ihr gut. Aber es erinnerte sie auch daran, wie viel gebildeter Mike war. Sie hatten nicht so viele Gemeinsamkeiten, wie sie gehofft hatte. Trotz ihrer Unsicherheit erschien ihr das aber nicht mehr so wichtig, denn immerhin war sie ihm aufgefallen.

„Meinst du, dass du das College irgendwann noch mal nachholen kannst?“, fragte er.

„Ich glaube nicht.“

„Würdest du gern?“

Irgendwie brachte Dr. Mike Sanchez Tammy dazu, dass sie überhaupt nicht mehr wusste, was sie wollte. Sie zuckte nur die Schultern. „Schon. Aber dafür ist es zu spät.“

„Es ist nie zu spät.“

Vielleicht hatte er ja recht, und sie hätte sogar Lust, sich mal darüber zu informieren. Aber im Augenblick hatte sie Wichtigeres zu tun.

Sobald sie wieder auf Flying B waren, musste sie das Verteilerkabel wieder befestigen, bevor der Doc merkte, was sie angestellt hatte. „Wenn wir wieder auf der Ranch sind, setzt du dich ans Steuer von deinem Wagen, und ich werfe einen Blick auf den Motor. Ich wette, ich kriege das im Handumdrehen wieder hin.“

„Hoffentlich hast du recht. Ich muss nämlich wieder zurück in die Praxis.“

Die geöffnete Motorhaube würde verhindern, dass der Doc irgendetwas mitbekam. Tammy war äußerst zufrieden mit sich. Auf der Rückfahrt zur Ranch lächelte sie die ganze Zeit vor sich hin.

Bis sie neben Mikes Truck parkte und bemerkte, dass die Motorhaube bereits geöffnet war – und einer der Farmarbeiter sich über den Motor beugte.

Oh nein.

Ihr rutschte das Herz buchstäblich in die Hose. Ihre Wangen glühten. Wenn ihr Geheimnis entdeckt wurde, würde sie den Doc verlieren, noch bevor sie die Chance gehabt hatte, sein Herz zu gewinnen.

„Oh“, meinte der Doc. „Sieht ganz so aus, als ob ein guter Samariter sich meiner erbarmt hat.“

Anscheinend. Tammys Herz pochte heftig. Am liebsten wäre sie davongerannt, bevor die Wahrheit herauskommen konnte. Die Schuld stand ihr wahrscheinlich ins Gesicht geschrieben.

Der Arbeiter machte die Motorhaube zu. Dann rieb sich der blonde Mann die Hände und ging auf die Beifahrertür zu.

Tammy war schon auf das Schlimmste gefasst. Sie wusste nicht, wer der Arbeiter war – nur dass er Caleb hieß. Zumindest hatte sie ihn schon ein paarmal gesehen. Er war mit Hugh, dem Vorarbeiter, befreundet.

„Mein Truck wollte nicht starten“, erklärte der Doc. „Haben Sie herausbekommen, was los ist?“

„Ein Verteilerkabel hatte sich gelöst.“

„Wie konnte das denn passieren?“

Tammy bekam heiße Wangen. Aber sie sah nicht weg, sondern hob das Kinn. Wenn nötig, würde sie alles gestehen.

„Entweder hat es jemand absichtlich rausgerissen“, sagte Caleb, „oder es hat sich von selbst gelöst.“

„Wie kann das sein?“, fragte der Doc mit gerunzelter Stirn.

Autor

Judy Duarte
<p>Judy liebte es schon immer Liebesromane zu lesen, dachte aber nie daran selbst welche zu verfassen. „Englisch war das Fach in der Schule, was ich am wenigsten mochte, eine Geschichtenerzählerin war ich trotzdem immer gewesen,“ gesteht sie. Als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern, wagte Judy den Schritt zurück auf die...
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