Bianca Exklusiv Band 372

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EIN BRIEF VON MATTHEW von LIZ FIELDING

Nach nur einer schicksalhaften Nacht zerbrach die Ehe von Fleur und Matthew. Weiß er überhaupt, dass er einen kleinen Sohn hat? Als Fleur endlich einen Brief von ihm erhält, schlägt ihr Herz höher. Doch Matthew schreibt nichts von Liebe oder Sehnsucht – er will Tom ...

DIE LIZENZ ZUM LIEBEN von TERESA HILL

Die Frau mit dem strahlenden Lächeln: Ist sie die Komplizin eines gesuchten Verbrechers? Tag und Nacht beschattet Nick die schöne Kim und verliert dabei sein Herz! Als Agent sollte er einen kühlen Kopf bewahren – was nach einer bezaubernden Nacht mit Kim unmöglich ist ...

EIN MANN FÜR EIN JAHR von TINA LEONARD

Niemals wollte Dane sein Herz an eine Frau hängen! Doch da setzt ihm sein Vater ein Hochzeits-Ultimatum, und die süße Suzy tritt in sein Leben. Sie verdreht Dane den Kopf! Um seinen Vater zufriedenzustellen und gleichzeitig sich treu zu bleiben, gibt es nur eins: eine Ehe auf Zeit ...


  • Erscheinungstag 02.03.2024
  • Bandnummer 372
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523332
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Liz Fielding, Teresa Hill, Tina Leonard

BIANCA EXKLUSIV BAND 372

PROLOG

Fleur Gilbert blieb zögernd auf den Stufen zum Eingang des Standesamtes stehen. So hatte sie sich ihren Hochzeitstag nicht vorgestellt.

Eigentlich hätte sie diesen Morgen mit ihrer Mutter über all die Dummheiten, die sie je gemacht hatte, lachen und weinen sollen. Ihre Freundinnen hätten da sein müssen, die Mädchen, die sie ihr ganzes Leben lang gekannt hatte. Besonders vermisste sie Sarah, und sie wünschte sich ein Sträußchen von Brautjungfern in Rüschenkleidern.

In der Dorfkirche, wo ihre Eltern wie Generationen Gilberts vor ihnen geheiratet hatten, sollten die Glocken für sie läuten.

Sie sollte Weiß tragen, ihr Vater sollte an ihrer Seite sein und ihr versichern, dass sie die schönste Braut sei, die es je gegeben habe. Mit Tränen in den Augen sollte er sie einem Mann zur Frau geben, der bestimmt nicht gut genug für sie war.

Stattdessen heiratete sie Matthew Hanover, und ihre Hochzeit war völlig anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie wusste, dass Matt recht hatte. Sie konnten nur standesamtlich heiraten. Aber durch ihre intensive, fast perfekte Liebe, die sie völlig von der Außenwelt abgeschnitten hatte, war sie auf die Realität des heutigen Tages nicht vorbereitet gewesen.

„Du willst es dir doch nicht noch einmal überlegen, oder?“, fragte er. Sie blickte zu dem Mann auf, den sie liebte, und hoffte einen seligen Moment lang, er würde das Ganze von ihrem Standpunkt aus sehen. Vielleicht war ihm ja in letzter Minute klar geworden, wie wenig dieser Tag ihren Träumen entsprach.

Er lächelte und wollte mit diesem Scherz wohl überspielen, wie nervös er selbst war.

„Nein“, sagte sie. „Nein, natürlich nicht.“

Sein Lächeln war unsicher. „Mir wäre wohler, wenn du etwas überzeugter klingen würdest.“

Sie schüttelte den Kopf und schmiegte sich an ihn.

Als sie Matthew Hanover zum ersten Mal getroffen und ihn angesehen hatte, ohne dabei an seinen Namen zu denken, hatte sie gewusst, dass er der Richtige war. Der einzige Mann in ihrem Leben. Daran hatte sich nichts geändert.

„Meine Entscheidung, dich zu heiraten, steht fest. Mir ist nur ein bisschen mulmig, wenn ich daran denke, dass wir unseren Familien erzählen müssen, was wir getan haben.“

„Was können sie schon tun? In einem Monat sind wir nicht mehr in Longbourne.“

„Wenn du meinst.“

„Was auch immer passiert, wir werden zusammen sein, Fleur, als Mann und Frau.“ Er legte seine Hand beschützend auf ihre. „Daran kann niemand etwas ändern, auch unsere Familien nicht.“

1. KAPITEL

„Ist die Post gekommen?“, fragte Seth Gilbert seine Tochter.

Fleur bückte sich, um die Rechnungen, die Kataloge und die übrige Post, die auf der Matte verstreut waren, aufzuheben, und rief nach oben: „Tom, wenn du nicht in zwei Minuten unten bist, hole ich dich.“

„Nun mal langsam, Mädchen. Wenn der Junge ein paar Minuten zu spät zur Schule kommt, bedeutet das nicht das Ende der Welt.“

Sie legte die Post auf den Küchentisch, an dem ihr Vater saß. „Vielleicht nicht. Aber für uns kann es das Ende sein, wenn ich zu spät zu dem Termin mit der neuen Filialleiterin der Bank komme. Wenn wir den Stand auf der Chelsea-Flower-Show wirklich buchen wollen, brauchen wir sie auf unserer Seite.“

Bestimmt fiel ihm auf, wie unsicher sie klang. Denn er hörte mit dem Sortieren der Briefe auf und sagte so entschlossen wie schon lange nicht mehr: „Ja, Fleur, das wollen wir wirklich.“

Das machte den heutigen Termin noch viel bedeutsamer. Sie schloss die Augen und versuchte, ihre Nervosität unter Kontrolle zu bringen.

Der bisherige Filialleiter war ihnen immer sehr gewogen gewesen, doch dann war er in den Ruhestand versetzt worden. Für die Gilberts hätte der Zeitpunkt nicht schlechter sein können. Brian hatte gewusst, wie schwierig das Gartenbaugeschäft war, hatte ihre Erfolge mit ihnen gefeiert und sie geduldig in den schwierigen letzten sechs Jahren unterstützt. Er hatte ihnen Raum zum Atmen gegeben, die Chance, sich finanziell zu erholen.

Fleur wünschte sich, sie hätte mehr tun können, als die Blumenbänke der Bank zu erneuern, um ihn für sein Vertrauen zu belohnen. Selbst wenn bis zur Blumenschau alles nach Wunsch verlief, stellte das Ganze ein großes Risiko dar. Sie war sich nicht sicher, ob ihr Vater bei seiner angegriffenen Gesundheit dem Stress gewachsen war, Zierpflanzen von bester Qualität an einem ganz bestimmten Tag im Mai zu liefern. Aber da sie ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen konnte, blieb ihr nur der Versuch, ihm die finanziellen Sorgen vom Hals zu halten. Leider hatte Delia Johnson, die neue Filialleiterin, sie prompt zu einem „Gespräch“ ins Büro eingeladen.

Fleur befürchtete, ihre Glückssträhne könnte vorbei sein. Sie war überzeugt, dass Mrs. Johnson es sich zum Ziel gesetzt hatte, alle Kunden, deren Konten im Minus waren, abzuservieren. Das machte sie an diesem Morgen auch so gereizt.

Sie musste in Topform sein, um die Filialleiterin davon zu überzeugen, dass es sich für die Bank lohnen würde, ihnen den Kredit einzuräumen, den sie für die Teilnahme an der bedeutendsten Gartenbauausstellung der Saison brauchten.

„Mach dir keine Sorgen“, sagte ihr Vater beruhigend, „das kriegst du schon hin. Du hast zwar meinen grünen Daumen und die Schönheit deiner Mutter geerbt, aber glücklicherweise übertriffst du uns beide an Geschäftstüchtigkeit.“ Er lächelte, als er bemerkte, wie viel Mühe sie sich mit ihrem Aussehen gemacht hatte. „Du siehst wirklich hübsch aus.“

Fleur wusste, wie sie aussah. Schließlich musste sie tagtäglich mit ihrem Spiegelbild leben. Weil sie weder die Zeit noch das Geld für einen Friseur oder teure Kosmetika aufbrachte, war die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter weniger ausgeprägt, als sie hätte sein können. Aber schließlich war sie auf die harte Tour gezwungen gewesen, sich ums Geschäft zu kümmern, als man sie ins kalte Wasser gestoßen hatte. Schwimmen oder untergehen, das war die Alternative gewesen. Noch immer strampelte sie sich ab. Es war ihr nicht möglich gewesen, nach diesem schrecklichen Jahr, in dem ihre Welt – ihrer aller Welt – zusammengebrochen war, wieder an ihr altes Leben anzuknüpfen.

Ihrem Vater fehlte jedes Interesse an den Finanzen der Firma. Außerdem hatte Fleur entdecken müssen, dass ihre Mutter ihre finanziellen Rücklagen als ihr persönliches Sparschwein benutzt hatte. Das hatte sie völlig aus der Bahn geworfen und ihr das Gefühl gegeben, sie kämpfe allein und auf verlorenem Posten.

Auch jetzt hatte ihr Vater sich bereits wieder der Post zugewandt. Er hielt in der Hand einen Umschlag, auf dem Fleur das Logo der Hanovers erkannte.

„Geben sie denn nie auf?“, fragte sie, froh darüber, ein passendes Ziel für ihren Ärger gefunden zu haben.

An jedem anderen Morgen hätte sie sich um die Post gekümmert und den Brief als Erstes aussortiert. Sie hätte ihren Vater vor der Belästigung durch diese hasserfüllte Frau beschützt, deren einziges Bestreben offensichtlich darin bestand, sie in den Bankrott zu treiben und sie aus dem Geschäft, aus dem Dorf, am liebsten vom Erdboden zu verjagen.

„Eher würde ich das Land an eine Wohnungsbaugesellschaft verkaufen, bevor ich es Katherine Hanover überlasse“, sagte sie.

„Schön wär’s. Aber da Katherine im Gemeinderat sitzt, wird niemand die Erlaubnis bekommen, auf unserem Land zu bauen“, erwiderte ihr Vater ruhig, denn er verlor niemals die Beherrschung.

Fleur wäre es lieber gewesen, er würde es einmal tun. In Wut geraten. Schreien. Seinen Gefühlen Luft machen. Aber er sagte nie etwas Schlechtes über diese Frau. Wenn sie ihm immer noch leid tut, verschwendet er sein Mitgefühl an die Falsche, dachte sie.

„Außer, sie will es für sich selbst“, bemerkte sie bitter.

Dort, wo ihr Land endete, stand eine wundervolle alte Scheune, die immer nur als Speicher benutzt worden war. Man hätte sie perfekt zu einem jener luxuriösen Landhäuser umbauen können, wie sie in den Hochglanzmagazinen groß herausgebracht wurden. Ein Verkauf hätte einen Großteil ihrer finanziellen Probleme gelöst.

Aber der Gemeinderat, angestachelt von Katherine Hanover, hatte beschlossen, sie unter Denkmalschutz zu stellen. Sie hatten den Gilberts nicht nur die Genehmigung für den Umbau verweigert, sondern ihnen auch noch eine Strafe angedroht, falls sie die Scheune verfallen ließen.

„Vielleicht sollte ich in die Lokalpolitik gehen“, sagte Fleur seufzend. „Dann könnte ich wenigstens dafür sorgen, dass die Hanovers keine Stimme mehr bekommen.“

„Wann willst du das machen, in deiner Freizeit?“, fragte ihr Vater und lächelte, was selten vorkam.

„Ich könnte dafür das Bügeln aufgeben“, erwiderte sie und war froh, ihn aufgeheitert zu haben. „Das wäre zwar ein Opfer, aber ich könnte es tun.“

„Klingt schon besser. Einen Moment lang hatte ich Angst, du würdest umkippen.“

„Was, ich? Niemals!“

Doch als er sich jetzt wieder dem Brief zuwandte, verschwand sein Lächeln, als ob er nicht mehr die Kraft dazu hätte. Es war ihm durch den nicht enden wollenden Strom von Verrat, Kummer und finanziellen Sorgen ausgetrieben worden. Das gab Fleur einen Grund – wenn sie ihn überhaupt gebraucht hätte –, die Hanovers noch mehr zu hassen.

„Mach ihn nicht auf“, riet sie ihm. „Wirf ihn in den Müll. Ich zerreiße ihn, und er kommt in den Kompost zu den anderen.“

„Es gab noch andere Briefe?“

Ertappt zuckte sie die Schultern. „Ein paar. Nichts, was zu lesen sich gelohnt hätte.“

„Verstehe. Nun, mit diesem Brief kannst du tun, was du willst. Schließlich ist er an dich gerichtet“, sagte er und reichte ihr den Umschlag. „Sieht so aus, als wäre er persönlich abgeliefert worden.“

„Persönlich?“ Sie griff danach, fröstelte plötzlich und zog die Hand zurück. „Warum sollte Katherine Hanover an mich schreiben?“

„Vielleicht glaubt sie, du könntest mich davon abhalten, ihre Briefe wegzuwerfen. Vielleicht hat sie das Vertrauen in die Post verloren und den Brief daher selbst vorbeigebracht. Oder vielleicht bietet sie dir ja auch einen Job an.“

„Ach ja. Das wird es sein.“

„Wenn sie mit dem Geschäft expandieren will, braucht sie mehr Personal.“

„Sie hat doch überhaupt keinen Platz, um zu expandieren.“ Da ihr Besitz von drei Seiten aus durch Straßen begrenzt wurde, bräuchte sie das Land der Gilberts, um ihr Reich zu vergrößern. „Und überhaupt, wozu sollte sie mich brauchen? Ich bin Gartenbauspezialistin, keine Verkäuferin von Rasenmähern. Die Hanovers züchten keine Pflanzen mehr, seit …, seit …“

Oh, verdammt!

„Seit deine Mutter mit Phillip Hanover davongelaufen ist?“, beendete er den Satz für sie. „Du kannst es ruhig sagen, Fleur. Es ist passiert und lässt sich nicht mehr rückgängig machen.“

„Nein.“

In Wirklichkeit war es nicht die ehebrecherische Mutter und ihr ebenso untreuer Liebhaber, sondern die Erinnerung an dessen Sohn, die sie kalt erwischt hatte. Offensichtlich steckte es in den Genen der Hanovers, dass sie ihre Frauen verließen. Einen kurzen Moment lang fühlte Fleur sich Katherine sehr verbunden.

Das brachte sie schnell wieder zu sich.

Katherine Hanover war eine rachsüchtige, verachtenswerte Frau. Fleur war fest entschlossen, nicht so zu werden wie sie.

Aber es war viel besser, wenn ihr Vater glaubte, sie wolle seine Gefühle schützen, als dass er die Wahrheit erriet.

„Katherine Hanover hat keine Verwendung für mich, Dad. Nicht, seit sie das Land ihres Mannes asphaltiert und ihr Geschäft in einen riesigen Supermarkt für Gartenbedarf verwandelt hat.“

„Stimmt. Aber sie hat in der Lokalzeitung Anzeigen geschaltet, in denen sie Hilfskräfte für das Wochenende sucht. Vielleicht glaubt sie, du könntest das Geld gebrauchen.“

„Wie kommt sie nur darauf?“ Wegen ihres grauen Kostüms, das sie für die Beerdigung ihrer Mutter gekauft und zum x-ten Mal gebügelt hatte? Oder wegen ihrer schwarzen Halbschuhe, die nur deshalb so lange gehalten hatten, weil sie praktisch nie ausging?

„Vielleicht möchte sie dir demonstrieren, wie viel Geld sie verdient.“

„Glaubst du wirklich?“, fragte Fleur. Der neue Mercedes, die Designerkleider, die Schuhe, um die jede Frau im Dorf sie beneidete, war das nicht schon Demonstration genug?

„Nein, Dad, so dumm ist sie nicht“, sagte Fleur und griff nach dem Brief. Es ärgerte sie, dass sie sich selbst aus der Entfernung durch diese Frau einschüchtern ließ. „Stell dir nur vor, wie viel Chaos ich an einem geschäftigen Wochenende anrichten könnte.“ Bevor sie den Brief öffnen konnte, schlug die Uhr im Flur drei Mal. „Oh, Mist!“, rief Fleur aus und stopfte den Brief in ihre Tasche. „Tom!“

Ein fünfjähriges Energiebündel stürmte die Treppen herunter, gefolgt von einem Hund. Mit breitem Lächeln sagte der Junge: „Bin schon fertig!“

Bei seinem Anblick schlug Fleur das Herz bis zum Hals. Tom hatte das Haar glatt gebürstet und versucht, sich ohne ihre Hilfe die Krawatte zu binden. Sie saß ziemlich schief, außerdem hatte er seine Schuhe vertauscht.

„Ich hab mich ganz allein angezogen.“

„Gut gemacht, Schatz“, erwiderte sie mit erstickter Stimme. Dann hob sie ihn hoch und drückte ihn ungeachtet der Eile so fest, bis er protestierend zu schreien begann und sie ihn wieder absetzte. Für ihren Geschmack wurde ihr kleiner Junge viel zu schnell groß.

Einer der Schuhe fiel zu Boden, und Fleur hob ihn lachend auf. Dann setzte sie Tom auf den Küchentisch, half ihm dabei, seine Kleidung in Ordnung zu bringen, und fuhr ihm durchs Haar, bis es sich wieder lockte.

„Nicht, Mum!“, sagte er und sprang vom Tisch. „Locken sind doof.“

„Entschuldige!“ Sie schlug sich die Hand vor den Mund und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. „Hast du alles?“

„Mappe für Stifte, Schulbücher, Schuhe für drinnen und Geld fürs Mittagessen“, zählte er mit den Fingern auf.

„Genial! Willst du noch einen Apfel für die Pause?“ Fleur stopfte ihn in seine Tasche und vergewisserte sich, dass er auch nichts vergessen hatte. „So, beeil dich. Gib Grandpa noch einen Kuss, während ich deinen Mantel hole.“

Matthew Hanover stand an seinem Schlafzimmerfenster und wartete darauf, dass Fleur erscheinen würde. Er hatte sie fast sechs Jahre lang nicht mehr gesehen. Das letzte Mal in ihrer Hochzeitsnacht, als sie durch das Summen ihres Handys gestört worden waren.

Er hatte das verdammte Ding genommen und es eigentlich abschalten wollen, um die Außenwelt so weit wie möglich auszuschließen. Aber Fleur hatte auf dem Display gesehen, wer der Anrufer war. Beide hatten gewusst, dass ein Anruf von ihrem Vater mitten in der Nacht nur eines bedeuten konnte: Ärger.

Und Ärger hatte es tatsächlich gegeben.

Hilflos hatte Matthew zusehen müssen, wie die Freude und das Lachen aus ihrem Gesicht verschwunden waren, als sie die Nachricht hörte, dass ihre Mutter bei einem Unfall schwer verletzt worden war und es keine Zeit zu verschwenden galt.

Er hatte sie angefleht, sie ins Krankenhaus fahren zu dürfen, er wollte unbedingt an ihrer Seite sein. Schließlich waren sie jetzt ein Paar. Verheiratet. Aber Fleur hatte sich nur einen Moment lang an ihn geklammert, war dann einen Schritt zurückgetreten und hatte sich, außerstande, ihm in die Augen zu sehen, von ihm abgewandt. „Bitte, Matt. Nicht jetzt. Mein Vater hat schon genug zu ertragen.“

Er hatte sie gehen lassen, weil ihr Kummer so groß war. Weil er irrtümlicherweise geglaubt hatte, dies sei nicht der richtige Moment, um zu kämpfen. Er hatte sie gehen lassen nach einem Kuss. Hatte versucht, den Schmerz nicht an sich heranzulassen, als sie seinen Ring von ihrem Finger streifte. Dann hatte er gesagt: „Ruf mich an. Lass mich wissen, was passiert.“

Als ob er in einem dunklen Winkel seines Bewusstseins damals schon gewusst hätte, dass ihm das Schicksal entglitt, war er an den warmen Ort zurückgekehrt, wo sie gelegen hatten. Er hatte ihren Duft tief eingeatmet und auf ihren Anruf gewartet.

Doch als sein Handy eine halbe Stunde später geklingelt hatte, war es nicht Fleur, die sich meldete. Es war seine Mutter gewesen, die ihm mitteilte, dass sein Vater gestorben war. Dass Jennifer Gilbert ihn umgebracht hatte.

Die Eingangstür vom Haus der Gilberts wurde geöffnet, und ein Hund, eine Promenadenmischung aus einem Collie und etwas anderem, stürmte auf den Landrover zu. Plötzlich war Fleur da, jeder Zoll eine Geschäftsfrau in einem maßgeschneiderten grauen Kostüm, das dunkelrote Haar zu einem Knoten hochgesteckt.

Einen Moment lang stand sie nur da, die etwas abgegriffene Tasche in der Hand, mit hängenden Schultern, als wäre sie erschöpft von der Bürde, die sie tragen musste. Er war froh darüber. Sie verdiente es zu leiden.

Dann drehte sie sich um, als ein kräftiger kleiner Junge an ihr vorbeistürmte. Instinktiv presste Matthew die Hände gegen die Scheibe, als könnte er hinausgreifen und den Jungen berühren.

Wie hatte sie ihm das vorenthalten können?

Wie hatte sie ihm seinen Sohn verschweigen können?

Wenn irgendeine anonyme Person ihm nicht einen Zeitungsausschnitt mit einem Foto von dem Krippenspiel geschickt hätte, das zu Weihnachten in der Schule aufgeführt worden war, hätte er es nie erfahren.

Ein Blick hatte genügt, um zu wissen, dass Thomas Gilbert sein Sohn war. Aber ihn jetzt leibhaftig vor sich zu sehen, war etwas ganz anderes. Der Schmerz brannte wie Feuer in ihm, als Fleur die Tür des Landrovers öffnete. Sie half dem kleinen Jungen ins Auto und lachte über eine Bemerkung von ihm.

Es war unmöglich, dass sie seinen Brief bereits gelesen hatte. Denn sonst hätte sie bestimmt nicht gelächelt.

Wenn er nur einmal nach Hause gekommen wäre. Wenn er nicht immer das Thema gewechselt hätte, sobald seine Mutter mit einer ihrer üblichen Klagen über die Gilberts anfing …

Wenn, wenn, wenn …

Aber es hatte keinen Zweck, der Vergangenheit nachzuhängen. Es hatte Zeit gebraucht, bis er sich von seinen geschäftlichen Verpflichtungen in Ungarn hatte freimachen, bis er das Tagesgeschäft an seinen Stellvertreter hatte übergeben können. Jeder Tag war ihm wie ein Jahr erschienen.

Die Versuchung, einfach zu verschwinden, den ersten Flug zurück nach England zu nehmen, war fast nicht zu ertragen gewesen. Aber zuerst hatte er alles regeln müssen. Er hatte verhindern wollen, dass ihn irgendwelche SOS-Rufe davon abhalten konnten, das zu tun, was zu tun war.

Jetzt war er da, und er würde dafür sorgen, dass sie für jedes einzelne der fünf Jahre, die er versäumt hatte, zahlen musste.

Fleur schickte den Hund zurück ins Haus und ging um den Wagen herum zur Fahrertür. Plötzlich blieb sie stehen, als ob sie ein Geräusch vernommen hätte. Ein schwacher Sonnenstrahl fiel auf ihr Gesicht, als sie den Kopf hob und über den Grenzzaun hinausblickte, der das Land der Gilberts von dem der Hanovers trennte. Sie sah in seine Richtung, zu dem Fenster, wo er stand. Einen Herzschlag lang dachte Matthew, sie könnte ihn sehen, ihn spüren, während er sie beobachtete.

Aber nach einem kurzen Moment drehte sie sich um, zog den engen Rock hoch und ließ sich hinter dem Steuer des Rovers nieder.

„Oh, Fleur“, sagte er mit leiser Stimme. „Wie konntest du nur?“

Fleur ließ Tom am Schultor heraus, als gerade die Klingel ertönte. Er lief zu seinen Klassenkameraden, ohne sich nach ihr umzuschauen. Kichernd stellten sie sich in der Schlange an und schubsten einander dabei. Erst kurz vor der Tür drehte er sich noch einmal um und sah sie an. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, weil er sie so sehr an seinen Vater erinnerte. Alles an ihm, die Art, wie er den Kopf drehte, wie er die Hand hob, sie dann aber wieder zurückzog, erinnerte sie an Matthew.

Die Ähnlichkeit schien mit den Jahren immer stärker zu werden. Auch andere aus dem Dorf schienen sie zu bemerken. Glücklicherweise wirkte Tom nach außen hin wie ein echter Gilbert mit seinem hellen roten Haar, das mit den Jahren noch dunkler werden würde, und den grünen Augen. Bis jetzt hatte noch niemand sie auf die Ähnlichkeit zwischen ihm und Matthew angesprochen, aber das konnte nur eine Frage der Zeit sein.

Wenn Katherine Hanover je vermuten würde …

Ach, warum zog sie nicht einfach weg von hier?

Fleur betrachtete das glänzende blaugoldene Schild am Ortsrand, das weithin sichtbar war.

Hanovers – Alles für Ihren Garten.

Eigentlich hatte sie damit kein Problem, aber warum gerade hier? Es wäre so viel vernünftiger gewesen, Katherine wäre mit ihrem Geschäft auf die andere Seite von Maybridge gezogen. Dort gab es ein richtiges Gewerbegebiet mit allem, was dazugehörte – Kaufhäuser, Supermärkte und ein komplettes Unterhaltungsangebot. Außerdem war dort mehr als genug Platz, um zu expandieren. Es musste die Bitterkeit der Frau doch nur verstärken, direkt neben der Familie wohnen und arbeiten zu müssen, die sie für alles Unglück verantwortlich machte, das ihr je zugestoßen war.

Aber natürlich hatte das Ganze mit Vernunft nichts zu tun.

Wenn zwei Familien fast zweihundert Jahre lang Rivalen in der Liebe und Konkurrenten im Geschäft gewesen waren, würde es immer das oberste Ziel sein, den Gegner zu treffen. Fleur kam es allerdings so vor, als hätten die Hanovers ihrer Familie in den letzten Jahren genug Schaden zugefügt, um ihren Hunger nach Rache zu stillen.

Sie fand direkt vor der Bank einen Parkplatz – bestimmt ein gutes Omen –, überprüfte ihr Aussehen noch einmal im Spiegel, stieg dann aus dem Auto und überquerte die Straße.

„Du lieber Himmel, Fleur, ich habe dich kaum erkannt“, sagte die Dame hinter der Rezeption.

„Wirklich? Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“, fragte sie.

Sie schminkte sich eigentlich nur selten, aber heute wollte sie die neue Filialleiterin mit ihrem Auftritt als Geschäftsfrau beeindrucken. Sie hatte sich das Haar hochgesteckt und das verhasste graue Kostüm mit einem alten Seidentuch aufgepeppt.

Nervös spielte sie mit einem der Ohrringe. Sie waren aus Silber und mit einem kleinen Amethyst in der Mitte verziert. Matt Hanover hatte sie ihr anstelle eines Rings geschenkt, als er ihr zum ersten Mal einen Heiratsantrag gemacht hatte. Aber sie hatte gemeint, es sei dafür noch zu früh. Damals war sie erst achtzehn gewesen und hatte noch drei Jahre College vor sich gehabt.

Er hatte gerade seinen Abschluss gemacht und wollte in einem anderen Teil Englands arbeiten. Daher war Fleur nichts anderes übrig geblieben, als auf ihn zu warten. Doch sie hatte die Ohrringe als Zeichen genommen, dass er es ernst meinte. Außerdem waren sie nicht besonders teuer gewesen. Sie konnte sie offen tragen, ohne dass ihre Mutter sie deshalb einem Kreuzverhör unterzog.

Eines Tages, hatte er ihr versprochen, würde er ihr Diamanten schenken. Sie hatte gelacht und gesagt, solange sie ihn hätte, bräuchte sie keine Diamanten. Die Ohrringe hatte sie Tag und Nacht getragen, sie war sich seiner Liebe so sicher gewesen.

Als sie nach dem Schal gesucht hatte, war ihr die Schachtel in die Hände gefallen. Die Steine passten genau zum dunklen Lila der Seide. Fleur hatte sie sich angesteckt und sich dabei geschworen, dass kein Hanover – weder Mutter noch Sohn – jemals wieder die Macht haben würde, sie zu verletzen.

Aber plötzlich war sie sich dessen nicht mehr so sicher.

„Du siehst großartig aus“, versicherte ihr die Empfangsdame mit leiser Stimme und öffnete die Tür. Dann verkündete sie mit heller Stimme: „Hier ist Miss Gilbert, Mrs. Johnson.“

„Miss Gilbert?“ Delia Johnson sah von ihrer Akte auf. „Sind Sie allein gekommen? Ich hatte eigentlich erwartet, Ihren Vater zu sehen.“

Fleur war klar, dass sie nicht mit jemandem sprechen würde, der sie von Kindesbeinen an kannte, mit jemandem, der über ihre Geschichte und ihr Geschäft Bescheid wusste. Sie musste sich anstrengen, um eine gute Beziehung zu der neuen Filialleiterin aufzubauen.

Allerdings sah es nicht so aus, als wäre Mrs. Johnson an einer Beziehung mit ihr interessiert.

„Er ist bei uns als der alleinige Besitzer eingetragen“, setzte sie hinzu.

„Das hat sich geändert“, erwiderte Fleur schnell und ignorierte den Stuhl, den Mrs. Johnson ihr zuwies. „Unser Finanzberater hat uns empfohlen, eine Partnerschaft einzugehen, weil mein Vater die meisten geschäftlichen Angelegenheiten inzwischen mir überlässt. Seit meine Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, geht es ihm nicht besonders gut.“

„Was ist denn los mit ihm?“

Was konnte sie sagen? Er hat einen Zusammenbruch erlitten, als seine Welt zusammengestürzt war, und hat sich davon nie mehr richtig erholt. „Mein Vater hat eine leichte Depression“, erklärte sie. „Er kann damit umgehen, aber er verlässt das Haus nur selten und zieht es vor, sich auf die Pflanzenzucht zu konzentrieren. Brian – Mr. Batley – kannte die Lage und hat immer gern mit mir über alle geschäftlichen Belange gesprochen.“

„Brian Batley ist pensioniert“, erklärte Mrs. Johnson und fügte noch etwas hinzu, das wie ‚es wurde auch Zeit‘ klang.

Offensichtlich missbilligte sie die lockere Haltung ihres Vorgängers und war erpicht darauf, ihre eigenen Fähigkeiten als Managerin dadurch zu beweisen, dass sie alle Kunden absägte, die nicht zu einem wachsenden Gewinn der Bank beitrugen.

Das Einzige, das bei den Gilberts in den letzten Jahren gewachsen war, war die Höhe ihres Überziehungskredits.

„Ich bin davon ausgegangen, dass er Sie über alles informiert hat“, sagte Fleur und fügte schnell hinzu: „Wenn Sie mit meinem Vater sprechen möchten, können Sie gern in die Gärtnerei kommen und sich mit eigenen Augen davon überzeugen, was wir machen. Ich habe Ihnen allerdings …“, sie zog eine Mappe aus der Tasche, „… hier einen detaillierten Plan für dieses Jahr mitgebracht.“

Sie legte die Mappe auf den Schreibtisch. „Wir hoffen, auf der diesjährigen Chelsea-Flower-Show unseren größten Verkaufserfolg zu erzielen“, begann sie und machte sich darauf gefasst, dass sie Mrs. Johnson von Grund auf über ihre Firma informieren musste. „Es ist zwar schon eine Weile her, dass wir dort ausgestellt haben, aber dieses Jahr hat man uns dort einen Stand angeboten, und wir …“

„Später, Miss Gilbert.“ Mrs. Johnson legte die Mappe beiseite und öffnete die Akte vor ihr. „Bitte, setzen Sie sich.“

Das klang weniger nach einer Einladung als nach einem Befehl. Fleur ließ sich auf dem angebotenen Stuhl nieder.

„Nach Durchsicht der Akte scheint es mir, als hätte Brian Batley eine ziemlich lockere Einstellung zu Ihrem Firmenkonto gehabt.“

Fleur bemühte sich, ruhig zu bleiben. Mrs. Johnson verwechselte Brians Verständnis für die langjährige Planung, die ihr Gewerbe benötigte, seine Unterstützung in schwierigen Zeiten, mit Untätigkeit. Aber das zu erwähnen war bestimmt keine gute Idee.

„Im Gegenteil“, erwiderte sie. „Brian wusste, wie schwer es für uns in den letzten Jahren war. Er hat uns unterstützt und war fest davon überzeugt, dass wir irgendwann wieder ganz oben sein würden.“

„Ja, aber welche Anhaltspunkte gab es dafür? Sie züchten doch Pflanzen. Wie ist das möglich, wenn Ihr Vater das Haus nicht verlassen kann?“

„Ich habe nicht gesagt, dass er das Haus nicht verlassen kann. Außerdem sind wir auf Fuchsien spezialisiert. Wie Sie sicher wissen, werden diese Blumen in Treibhäusern gezüchtet.“

„Warum haben Sie das Geschäft dann übernommen?“

„Weil es mir von Geburt an vorbestimmt war“, erklärte Fleur. „Und weil ich ein Diplom als Gartenbau-Ingenieurin habe.“

„Sie brauchen aber mehr als ein Diplom, Sie brauchen Erfahrung.“

Fleur hatte tatsächlich nicht damit gerechnet, dass sie das Geschäft so früh übernehmen musste. Eigentlich hatte sie zuerst für andere Blumenzüchter arbeiten sollen, um ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet zu erweitern, genau wie Matt.

Aber so war das Leben nun einmal. Das Erste, was schiefging, war der Plan …

„Ich bin siebenundzwanzig“, sagte sie ruhig. „Ich arbeite mit Pflanzen, seit ich groß genug war, einen Blumentopf zu halten.“

Mrs. Johnson sah wieder in ihre Akte. „Was macht Ihr Vater denn nun genau? Hier steht, er bezieht immer noch ein Gehalt von der Firma.“

„Mein Vater beschäftigt sich vor allem mit der Züchtung neuer Pflanzensorten. Er arbeitet täglich in den Treibhäusern, die sich seit sechs Generationen im Besitz unserer Familie befinden. Bartholomew Gilbert und James Hanover wurden im Jahr 1829 Partner. Gemeinsam haben sie das Land erworben und dann darauf die Treibhäuser errichtet.“

„Wirklich? Ich wusste gar nicht, dass die beiden Firmen früher Partner gewesen waren.“

„Es war nur eine kurze Allianz. Als James seine hübsche junge Frau in flagranti mit Bartholomew in einem der Treibhäuser erwischte, wurden das Land und der Pflanzenbestand aufgeteilt. Zwischen den beiden Grundstücken wurden Zäune errichtet, und die Gilberts und die Hanovers haben seitdem nicht mehr miteinander gesprochen.“

„Nie mehr?“

Man sollte niemals nie sagen …

„Aber Sie wohnen und arbeiten doch Tür an Tür. Wie kann man jemandem so lange grollen?“

„Groll ist wohl ein zu schwaches Wort. Sie kämpften verbittert um die Aufteilung des Landes, weil jeder glaubte, der andere hätte den besseren Teil erwischt. Dasselbe galt für den Pflanzenbestand. Bartholomew produzierte damals eine neue Züchtung, von der James behauptete, sie wäre sein Werk.“

„Ich verstehe.“

„Die Kinder haben diese Feindschaft mit der Muttermilch aufgesogen. Beide Familien beanspruchten für sich, die besten Fuchsien zu züchten, was das Ganze nicht leichter machte. Es gab Fälle von Sabotage, Industriespionage …“

„Wie bitte?“

„Arbeiter wurden bestochen, um neue Züchtungen zu stehlen oder um Rüsselkäfer in die Treibhäuser zu schmuggeln, die die Pflanzen zerstörten.“

„Du lieber Himmel! Hat denn niemand versucht, diesen Streit zu schlichten?“, fragte Mrs. Johnson entsetzt.

„Doch, aber ohne Erfolg. Beim letzten Versuch endete das halbe Dorf wegen öffentlicher Ruhestörung vor Gericht.“

Nur der grenzenlose Optimismus ihrer Jugend hatte sie und Matt glauben lassen, dass sie die beiden Familien wieder vereinigen und einhundertsiebzig Jahre Zwietracht durch die Kraft ihrer Liebe beilegen könnten.

„Bestimmt klingt das für einen Außenseiter ziemlich abenteuerlich“, sagte Fleur.

„In der Tat. Nun, Ihre Familienstreitigkeiten gehen mich nichts an. Ihr Firmenkonto hingegen schon. Da Ihre Familie schon seit über hundertsiebzig Jahren im Geschäft ist, hatte sie mehr als genug Zeit, die Sache zu regeln. Im Gegensatz zu Ihnen waren die Hanovers ja wesentlich erfolgreicher.“

„Sie haben aber auch vor sechs Jahren, als Phillip Hanover starb, mit der Pflanzenzucht aufgehört und das Risiko anderen überlassen“, erwiderte Fleur prompt.

„Vielleicht sollten Sie ihrem Beispiel folgen.“

„Ich bezweifle, dass es einen Bedarf für zwei große Gartenmärkte in Longbourne gibt. Außerdem, wenn jeder das täte, hätten die Hanovers keine Pflanzen mehr, die sie verkaufen könnten. Und sie könnten weniger Leute beschäftigen, um die hiesige Wirtschaft zu unterstützen.“

Mrs. Johnson zuckte mit den Schultern und schien damit zuzugeben, dass sie ihr in diesem einen Punkt recht gab. Davon ermutigt, fuhr Fleur fort: „Jedes Geschäft, das vom Wetter abhängig ist, wird immer Schwankungen unterworfen sein. In der Pflanzenzucht dauert es nun mal ziemlich lange, bis man Resultate sieht. Glücklicherweise sind die meisten Pflanzenzüchter mit Leidenschaft bei der Sache.“

„Wenn man einen Zwist über hundertsiebzig Jahre aufrechterhält, muss man wohl ziemlich leidenschaftlich sein“, bemerkte Mrs. Johnson trocken.

„Ich habe dabei eher an die Männer und Frauen gedacht, deren einziges Bestreben seit vielen Generationen darin besteht, die perfekte schwarze Tulpe, die blaue Rose oder die rote Narzisse zu züchten.“

„Wollen Sie mir als Highlight des Tages verkünden, dass Sie vorhaben, ein solches Exemplar in Chelsea auszustellen?“

„Nein, denn schließlich züchten wir Fuchsien, wie ich Ihnen ja schon sagte.“

„Und was für besondere Fuchsien züchten Sie nun?“

„Eine mit einer doppelten Blüte in Butterblumengelb. Vielleicht finden die Puristen das zu übertrieben, aber damit würden wir es bestimmt auf die Titelseite aller Gartenmagazine schaffen.“

„Ach ja? Warum züchten Sie keine Butterblumen, wenn Sie dieses Hellgelb erzielen wollen?“

„Wir reden hier über das Ungewöhnliche, Mrs. Johnson, nicht über Unkraut.“

„Und daran arbeitet Ihr Vater?“

„Schon sein ganzes Leben lang.“

„Darf ich vorschlagen, dass es produktiver wäre, er würde sich darüber Gedanken machen, wie Sie Ihren Überziehungskredit reduzieren könnten?“ Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Mein Vorgänger hat Sie an der langen Leine gehalten, aber ich möchte Ihnen gegenüber ganz offen sein, Miss Gilbert. Ich kann nicht zulassen, dass das so weitergeht.“

Fleurs Magen zog sich zusammen. „Für die Überziehung haben Sie schließlich unser Land als Sicherheit. Damit liegt das Risiko doch ganz allein bei uns.“

„Ja, aber es wird landwirtschaftlich genutzt, und der Marktwert sinkt laufend. Daher habe ich einen Gutachter damit beauftragt, es neu schätzen zu lassen. Er wird sich in dieser Woche bei Ihnen melden, um einen Termin zu vereinbaren.“

„Zweifellos dürfen wir das bezahlen.“ Fleur biss sich auf die Lippen. „Das ist bestimmt nicht der richtige Weg, um unseren Überziehungskredit zu reduzieren.“

„Meine Pflicht ist es, die Interessen der Bank zu wahren.“ Delia Johnson stand auf und signalisierte damit das Ende des Gesprächs.

„Wir brauchen zwei Monate“, sagte Fleur, ohne sich von der Stelle zu rühren. „Wir brauchen die Gartenbaumesse, um unsere neuen Pflanzenzüchtungen auszustellen.“

„Bedeutet das nicht enorme Ausgaben?“

„Natürlich werden dadurch Kosten entstehen. Transport, Unterkunft, der Katalog. Sie finden die einzelnen Posten in der Mappe aufgelistet. Aber dafür bekommen wir auch viel Publicity in den Medien und hoffen, durch den Stand viel verkaufen zu können.“

„Im Moment interessieren mich einzig und allein die Pläne, wie Sie mit Ihrem Konto wieder ins Plus kommen wollen.“ Mrs. Johnson ging zur Tür und öffnete sie. „Heute in einer Woche möchte ich dazu detaillierte Vorschläge von Ihnen auf dem Tisch haben. Wenn ich sie mir angesehen habe, komme ich in die Gärtnerei und spreche mit Ihrem Vater.“

Fleur wollte sich eigentlich nicht so abspeisen lassen. Sie wollte darauf bestehen, der Filialleiterin ihre Pläne zu unterbreiten. Aber ihr war klar, dass sie auf taube Ohren stoßen würde. Daher nahm sie ihre Mappe und steuerte auf die Tür zu. Hier ging es nicht länger um ein Gesuch an die Bank, sie bis Mai zu unterstützen. Hier ging es um ihre Existenz.

2. KAPITEL

Ich hätte damals darauf bestehen sollen, dass Matt mir Diamanten schenkt, dachte Fleur, als sie in den Landrover kletterte. Die hätte sie jetzt gut brauchen können.

Sie nahm die kleinen Ohrringe ab und hielt sie eine Weile in der Hand. Damals waren sie ihr als das kostbarste Geschenk auf der Welt erschienen. Aber tatsächlich waren sie nur wertloser Tand, so wertlos wie sein Versprechen, sie nie zu verlassen.

Fleur hielt sie einen Moment lang fest umschlossen und verstaute sie dann in ihrer Tasche neben dem Brief seiner Mutter.

Da sind sie in guter Gesellschaft, dachte sie und beugte sich vor, um den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken. Doch dann spürte sie die brennenden Tränen aufsteigen und ließ sich in den Sitz zurückfallen.

Sie schloss die Augen, um sie zu unterdrücken. Kein Hanover auf der ganzen Welt war es wert, dass sie seinetwegen auch nur eine Träne vergoss. Falls sie das vergessen haben sollte, brauchte sie sich nur den letzten Schmähbrief von seiner Mutter anzuschauen.

Sie holte den zerknitterten Umschlag aus ihrer Tasche und wollte ihn schon zerreißen, da hielt ein unbehagliches Gefühl sie davon ab.

Vielleicht hing es damit zusammen, dass der Brief an sie adressiert war. Vielleicht war es auch der Warnruf der Bank, aber ihr Instinkt riet sie, diesen Brief nicht zu ignorieren. Daher riss sie den Umschlag auf.

Fleur, las sie.

Fast hätte sie gelacht. Wenn es etwas gab, wofür man Katherine Hanover bewundern musste, dann war es ihr völliger Mangel an Heuchelei. „Liebe Fleur“ wäre viel zu unaufrichtig gewesen, und das formelle „Miss Gilbert“ hätte ihr zu viel Bedeutung zugemessen.

Doch als sie den Brief las, verging ihr die Lust aufs Lachen.

Um der Höflichkeit willen lasse ich Dich hiermit wissen, dass ich meinen Anwalt beauftragt habe, sich an das Familiengericht zu wenden, um einen Bluttest zu beantragen. Er soll den Beweis erbringen, dass ich der Vater von Thomas Gilbert bin. Solltest Du es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen wollen, obwohl das Ergebnis rein rechnerisch ja bereits feststeht, wirst Du alle anfallenden Kosten zahlen müssen.

Sobald die Vaterschaft offiziell bestätigt wurde, werde ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln das Sorgerecht für meinen Sohn beantragen.

Matt

Für den Bruchteil einer Sekunde blendete der Name alle anderen Gefühle aus.

Matt?

Matt war zu Hause?

Fleur war einen Moment lang verwirrt, aber auch voller Hoffnung. Doch dann brachte die Realität sie schlagartig auf den Boden der Tatsachen.

Das Familiengericht. Bluttest. Sorgerecht …

Sie riss sich das Tuch vom Hals und rang nach Luft, während ihr der Inhalt des Briefes langsam klar wurde und ihr den Atem raubte. Die Kälte der Worte erschreckte sie zutiefst.

Matt hatte das geschrieben? Hatte Matt wirklich diese gemeinen Worte zu Papier gebracht?

Sie starrte auf den Brief, der zu Boden gefallen war, und konnte kaum glauben, dass Matt zu einer solchen Grausamkeit fähig war.

Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen Kugelschreiber zur Hand zu nehmen. Er hatte diese messerscharfen Worte in den Computer getippt und ihn dann mit einem unpersönlichen Mausklick ausgedruckt. Nur seinen Namen hatte er in jener kühnen Schrift darunter gesetzt, die sie so gut kannte wie ihre eigene.

Nur das eine Wort. Matt.

Keins der liebevollen Worte, mit denen er sonst seine Briefe an sie beendet hatte. Keine kleinen gemalten Blumen. Keine Küsse.

Über dem Ganzen thronte das blau-goldene Logo Hanovers – Alles für Ihren Garten auf dem hellgrauen Papier, das sich über sie lustig zu machen schien.

Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sein persönliches Briefpapier zu benutzen, sondern ihr auf Firmenpapier geschrieben.

Und dann?

Hatte er den Brief selbst in ihren Briefkasten geworfen, zu ungeduldig, um darauf zu warten, dass die Post diese Bombe beförderte?

War er ihr so nahe gewesen, und sie hatte seine Gegenwart nicht gespürt?

Wäre er das Risiko eingegangen, dass seine Mutter ihn dabei beobachtete? Wusste sie überhaupt davon?

Bei diesem Gedanken drehte sich alles in ihrem Kopf.

Nein.

Sie umklammerte das Lenkrad wie einen Rettungsanker und versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken.

Nein.

Wenn Katherine Hanover auch nur den geringsten Verdacht hegen würde, dass Tom ihr Enkel war, hätte Fleur sofort einen Brief von ihrem Anwalt erhalten. Davon hatte es in den letzten Jahren ja genug gegeben.

Ein Zaun, der einzubrechen drohte. Der Ast eines Baumes, der zu weit in das Land der Hanovers hinauswuchs. Der kleinste Vorwand, um ihnen das Leben zu erschweren, hatte genügt, damit sie ihnen mit dem Gesetz drohte.

Nein. Von diesem Brief wusste sie bestimmt nichts.

Aber der kalte Verweis auf den Bluttest, das Familiengericht, die Kosten, das war der typische Hanoverstil. Der Mann, den sie vom ersten Augenblick an geliebt hatte, dessentwegen sie ihre Eltern getäuscht, den sie heimlich geheiratet hatte, der ihr geschworen hatte, dass er sie bis zum Tod lieben würde, hatte diese herzlosen Zeilen mit so wenig Mitgefühl geschrieben, als wäre sie ein Insekt, etwas, das er zwischen seinen Fingern zerquetschen konnte.

Plötzlich war es Zorn, keine Angst, der durch ihre Adern schoss.

Wie konnte Matt es wagen, nach all den Jahren einfach aus dem Nichts aufzutauchen und seine Rechte einzufordern? Er hatte keine Rechte, jedenfalls nicht in moralischer Hinsicht.

Doch vor dem Gesetz würde die Moral in ihrem Fall keine Rolle spielen. Sie wusste, dass Matts Anwälte einen Gerichtsbeschluss erwirken würden, wenn sie den Bluttest verweigerte.

Wenigstens hatte er sie nicht zusätzlich dadurch beleidigt, dass er das Ergebnis infrage stellte.

Aber das war nur ein kleiner Trost. Wenn der Bluttest seinen Anspruch bestätigte, würde das Familiengericht wahrscheinlich entscheiden, dass Fleur dem Vater den Sohn vorenthalten hatte, und damit wäre Matt der moralische Gewinner.

Doch so war es nicht gewesen.

Er war derjenige, der sie verlassen hatte.

Fleur hatte diese Möglichkeit nicht gehabt. Sie war nicht in der Lage gewesen, ihre Koffer zu packen, das Land zu verlassen, ein neues Leben zu beginnen. Denn damals war ihre Mutter noch sehr pflegebedürftig gewesen, hatte ihr Vater am Rand eines Nervenzusammenbruchs gestanden.

Sie hatte die Tatsache, dass sie ein Baby erwartete, nicht vor den spekulativen Blicken der Klatschbasen des Dorfs verbergen können. Sie hatte damit leben müssen, dass es plötzlich ganz still wurde, wenn sie den Kramladen betrat. Dabei wusste sie genau, was hinter ihrem Rücken getuschelt wurde. Dass sie nicht besser sei als ihre Mutter.

Selbst die Frauen, die Woche für Woche ihren Lohn von ihr erhielten, die sie schon ihr ganzes Leben lang kannten, hatten sich genüsslich zugeflüstert, dass es einen guten Grund gebe, warum sie den Namen des Vaters nicht preisgebe. Nämlich weil sie ihn selbst nicht kenne.

Fleur wusste Bescheid. Deshalb hatte sie auch geschwiegen.

Es hatte immer nur einen Mann in ihrem Leben gegeben. Diesen Moment hatte sie ebenso herbeigesehnt, wie sie sich vor ihm gefürchtet hatte.

Sie hatte davon geträumt, dass Matt eines Tages in ihr Haus stürmen, sie beide in seine Arme schließen und anflehen würde, ihm zu vergeben.

Sie hatte sich davor gefürchtet, ihrem Vater gestehen zu müssen, was sie getan hatte. Die Lügen, der Verrat.

Genau wie ihre Mutter.

Fleur riss die Tür des Landrovers auf und sog die frische Luft in tiefen Zügen ein.

Das laute Hupen eines entgegenkommenden Autofahrers, der ihretwegen einen Schlenker machen musste, brachte sie wieder zur Besinnung. Sie knallte die Tür zu und versuchte, die Panik und den Schmerz zu unterdrücken. Sie durfte jetzt nicht an sich denken, durfte nicht in Selbstmitleid versinken.

Das Einzige, was zählte, war Tom. Für ihn gab es bisher nur sie, seinen Großvater und sein Leben im Dorf. All dies würde sich ändern. Es würde ihre Aufgabe sein, diese Veränderung so einfach, so direkt und so schmerzlos für ihn zu gestalten, wie sie nur konnte.

Fleur hatte nicht viel Zeit, um sich eine Strategie auszudenken. Sie musste auf die Situation so reagieren, wie sie sich ihr gestellt hatte. Ihr erster Schritt bestand darin, den Bluttest zu verhindern. Und zwar sofort.

Sie nahm den Brief, holte ihr Handy aus der Tasche und tippte, ohne nachzudenken, sofort die Nummer ein. Es klingelte nur einmal, dann sagte eine vertraute Stimme: „Matthew Hanover.“

Fast hätte Fleur das Handy fallen lassen. Sie hatte damit gerechnet, dass eine Sekretärin antworten würde, ja sogar Katherine Hanover selbst, obwohl sie in diesem Fall bestimmt sofort aufgelegt hätte.

Und sie erkannte, dass seine Stimme sie jetzt noch mitten ins Herz traf und schwach werden ließ.

Nach einem kurzen Moment legte sie das Handy wieder ans Ohr. Er hatte darauf gewartet, dass sie anrufen würde. Er wusste, dass sie es war. Das grausame Schweigen dehnte sich minutenlang aus, während er darauf wartete, dass sie etwas sagte.

Wie geht es dir? Was hast du die letzten sechs Jahre lang gemacht? Ich habe dich vermisst …

In ihren Träumen waren Worte nicht nötig gewesen, aber dies hier war kein Traum, es war ein Albtraum.

„Ich …, ich habe deinen Brief bekommen“, sagte Fleur schließlich und setzte schnell hinzu: „Der Bluttest ist nicht nötig. Ich will nicht, dass Tom so etwas durchmachen muss.“

„Es interessiert mich nicht, was du willst oder nicht, Fleur“, erwiderte er und kam gleich zum Kern der Sache. „Mir geht es einzig und allein um die Wahrheit.“

Direkt auf den Punkt, der Sohn seiner Mutter.

„Du kennst die Wahrheit.“

„Vielleicht, aber ich habe das Recht, sie bestätigen zu lassen. Im Dorf wird geklatscht, du wüsstest nicht, wer Toms Vater ist.“

„Seit wann hörst du auf Klatsch?“ Und dann, weil es nicht um sie ging: „Er ist noch so klein, Matt. Er würde es nicht verstehen. Ich will nicht, dass er Angst bekommt.“

„Daran hättest du früher denken müssen. Fünf Jahre lang ist es nur nach deinem Willen gegangen. Jetzt werde ich die Bedingungen diktieren.“

„Bitte …“, sie hörte, wie sie ihn anflehte, und es war ihr egal. „Ich würde alles tun.“

Erneut herrschte scheinbar endloses Schweigen, bevor er mit sanfter Stimme fragte: „Alles?“

Er gab ihr keine Gelegenheit, dies zu bestätigen, noch ihre Worte zurückzunehmen. Und sie war froh darüber.

„Also gut. Komm heute Abend in die Scheune“, sagte er energisch. Es klang so, als wollte er ein Geschäft abschließen – vielleicht war es das für ihn ja auch. „Dann können wir uns darüber unterhalten, was genau du mit ‚alles‘ meinst.“

Die Scheune? Hatte er diesen speziellen Ort extra gewählt, um ihr wehzutun?

Aber wo sonst sollten sie sich treffen? Etwa im Pub? Das wäre ein gefundenes Fressen für die Klatschmäuler des Dorfes. Die Alternative wäre, meilenweit über Land zu fahren, bis sie einen Platz gefunden hätten, wo man sie nicht kannte. Wenn Matt Erkundigungen über sie eingezogen hatte, musste er wissen, dass sie dafür keine Zeit hatte.

Sie atmete langsam ein und aus und sagte dann: „Ich kann hier erst später weg.“

„Dann hat sich also nichts verändert.“ Ein schwaches Geräusch, wie ein resignierter Seufzer, war zu hören. „Komm, wann du kannst. Ich warte auf dich.“

Matt drückte auf die Taste zum Abschalten.

Bitte …

Wenn er die Augen zumachte, konnte er sie vor sich sehen, wie sie mit achtzehn auf einem Bett aus Stroh in dem alten Heuboden gelegen hatte. Sie hatte ihn aus grünen Augen angesehen, den sinnlichen Mund einladend leicht geöffnet. „Bitte …“

Selbst jetzt noch, nach allem, was geschehen war, reagierte er auf ihre Stimme wie ein hormongesteuerter Teenager. Er musste sich bemühen, sich an seinen Zorn zu erinnern.

„Hat es geklingelt?“

Seine Mutter blieb nun auf der Türschwelle stehen, als wollte sie nicht in seinen Raum eindringen. Dabei schien sie nicht zu merken, dass es noch aufdringlicher war, seine Telefonate zu überwachen.

„Ja“, sagte er. Sie verstand es als Einladung, kam näher und setzte ihre Tasche auf dem ab, was sie bereits als „seinen“ Schreibtisch bezeichnete. Er sah hoch. „Man hat mir ein Cottage in Upper Haughton angeboten“, sagte er. Das stimmte zwar, war aber nicht die Antwort auf ihre Frage. Offensichtlich hatte sich nichts geändert.

Fleur und er waren noch immer in einer zweihundertjährigen Hassfehde gefangen. Noch immer belogen sie ihre Eltern und stahlen sich heimlich davon, um sich zu treffen. Aber während Romeo und Julia zu spielen in ihrer Jugend einen gewissen verbotenen Reiz ausgeübt hatte, hatte er inzwischen genug von solchen Tricks.

„Du bleibst nicht hier?“, fragte sie und gab sich Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen.

„Ich habe mit dem Besitzer ausgemacht, dass er mir heute Abend die Schlüssel übergibt.“

„Ein Cottage in Upper Haughton zu mieten, wird ganz schön teuer werden.“

„Nur gut, dass ich deine Geschäftstüchtigkeit geerbt habe.“

Bei diesem Kompliment lächelte sie, wie er erwartet hatte. Aber sie war nicht glücklich über die Idee und fuhr fort: „Warum willst du Geld verschwenden, wenn du hier mehr als genug Platz hast? Du warst so lange weg. Ich würde gern mehr Zeit mit dir verbringen und dich ein bisschen verwöhnen.“

Matt wusste, er hatte sie schlecht behandelt. Das bedauerte er zwar, aber nicht genug, um mit ihr unter demselben Dach zu wohnen. Doch um sie nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen, sagte er: „Es ist schließlich nicht weit. Falls ich mich entschließe hierzubleiben, sehe ich mich nach einem Haus zum Kaufen um.“

„Natürlich“, stimmte sie zu und zog sich gleich wieder zurück, als wüsste sie, dass sie sich auf gefährliches Terrain begab. „Ich kann mich einfach noch nicht daran gewöhnen, dass du …, na ja, inzwischen erwachsen bist. Natürlich will ein erwachsener Mann nicht mit seiner Mutter im selben Haus wohnen. Aber was ist mit dem Büro?“ Sie versuchte, ihn nicht zu viel von ihrer Angst spüren zu lassen, dass er sie erneut verlassen würde. „Reicht das im Moment, oder brauchst du mehr Platz?“

Matt hatte bisher noch nicht mit ihr über seine Pläne gesprochen, was auch damit zusammenhing, dass ihm selbst nicht klar war, wie es weitergehen sollte. Er konnte vom Cottage aus arbeiten, aber ein Büro in der Firma würde ihm einen guten Vorwand liefern, ins Dorf zu kommen. Daher sagte er: „Ich würde diesen Schreibtisch gern nutzen, bis ich mich entschieden habe, was ich machen will.“

„Du kannst hier so lange bleiben, wie du willst.“

„Nein, nur so lange, wie du nicht versuchst, mich in deinen Krieg mit den Gilberts hineinzuziehen.“

„Ich führe keinen Krieg gegen sie, Matt“, erwiderte seine Mutter und lachte, als wäre die Idee absurd. „Ich tue nur mein Bestes, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen.“

„Dein Bestes ist wirklich mehr als gut genug“, sagte er. Ihr Leugnen überzeugte ihn nicht, aber er war froh, das Thema zu wechseln. Er stand auf und ging zum Fenster. „Du warst unglaublich erfolgreich. Dad würde die Firma nicht wiedererkennen.“

„Nein.“ Sie klang nur ein ganz kleines bisschen stolz. Matt sah sie an. Sein Vater hätte auch seine Frau nicht wiedererkannt.

Sie war eine jener unscheinbaren, praktisch unsichtbaren Frauen gewesen, die sich nie ins Geschäft einmischten. Immer bereit, bei einer der Aktivitäten im Dorf mitzuhelfen, aber keine Frau – wie zum Beispiel Fleurs Mutter –, die durch ihre Kleider oder ihr Make-up auffiel. Als Junge war er dafür sehr dankbar gewesen. Doch als er sie jetzt betrachtete, jeder Zoll die gestylte und erfolgreiche Geschäftsfrau, kam ihm das plötzlich merkwürdig vor. Wahrscheinlich war sie sehr unglücklich gewesen.

„Warum hast du dich eigentlich dagegen entschieden, die Firma zu verkaufen und von hier wegzuziehen?“, fragte er und bemühte sich, möglichst neutral zu klingen.

„Ach, das hat sich mit der Zeit so ergeben. Ich habe fast ein Jahr mit dem Versuch verbracht, alles zu verkaufen, und jede Minute gehasst, die ich hier verbringen musste. Leider waren die einzigen Leute, die sich überhaupt dafür interessierten, Vertreter von Wohnungsbaugesellschaften. Sosehr es mir auch gefallen hätte, auf dem Land der Hanovers lauter kleine, hässliche Häuser entstehen zu sehen, konnte ich doch keine Baugenehmigung bekommen.“

Matt hatte keine Lust, sie daran zu erinnern, dass er sich dafür stark gemacht hatte, die Firma zu übernehmen. Dann hätte sie mit dem Geld, das sein Vater für sie angelegt hatte, komfortabel leben können. Bestimmt hatte sie in den letzten sechs Jahren öfter daran gedacht.

„Mir ging es ziemlich schlecht, als zwei Männer auftauchten, die aus der Firma ein Gartencenter für den Massenkonsum machen wollten“, fuhr Katherine fort. „Sie sprachen die ganze Zeit über Finanzierungen, Umsätze und Lieferanten, als gäbe es mich gar nicht. Da wurde mir klar, dass ich den Großteil meines Lebens unsichtbar gewesen sein muss.“

Matt hatte gerade dasselbe gedacht. Er fühlte sich ziemlich unbehaglich. „Hast du dich an ihnen gerächt, indem du ihre Ideen geklaut hast?“

„Im Gegenteil, ihre Ideen waren blanker Unsinn, sie hatten keine Ahnung. Bei diesem Geschäft geht es nicht darum, die Waren zum Spottpreis zu verschleudern. Du musst das Gärtnern, den Garten selbst verkaufen, so wie du eine teure Küche und exklusive Möbel verkaufen würdest. Die Leute müssen verrückt danach sein, du musst einen Lifestyle anbieten.“ Schließlich lächelte sie. „Vor allem musst du die Frauen dafür gewinnen.“

„Hast du das den Männern gesagt?“

„Wahrscheinlich hätten sie mich nur konsterniert angeschaut und dann einfach weitergeredet. Aber nachdem sie weg waren, konnte ich an nichts anderes mehr denken.“

„Gab es keine Probleme mit der Baubehörde?“

„Nein, ich hatte meine Lektion gelernt. Ich ließ mir das Haar kurz schneiden, kaufte mir ein Kostüm und verwandelte mich in eine Geschäftsfrau, die von Männern ernst genommen wird. Ich erzählte den Leuten von der Baubehörde, dass ich den Schwerpunkt von der Pflanzenzüchtung auf den Verkauf legen wollte. Dann ging ich zur Bank und präsentierte ihnen meinen Geschäftsplan.“

„Hatten die Nachbarn keine Einwände?“, fragte Matt und sah hinüber zu den Treibhäusern der Gilberts, die über den Zaun hinweg sichtbar waren. „Seth Gilbert zum Beispiel?“

„Nein, vielleicht tat ich ihm ja leid.“

„Das war sein Fehler.“

„Allerdings. Und nicht sein erster.“

Selbst an diesem Montagmorgen war der Parkplatz voller Menschen, die Paletten mit Pflanzen, Säcke mit Kompost und alle möglichen Gartengeräte in ihr Auto einluden. „Eigentlich brauchst du mehr Platz“, sagte Matt.

„Bald werde ich mehr als genug Platz haben.“ Katherine trat zu ihm ans Fenster. „Wenn du ein paar Monate wartest, kannst du das Haus der Gilberts kaufen. Es wird viel Arbeit bedeuten, aber man kann daraus ein wundervolles Heim für eine Familie machen.“

„Wirklich? Du kennst es von innen? Seit wann denn das?“

Seine Mutter wirkte so, als sei sie bei etwas Verbotenem erwischt worden. „Ach, das ist lange her. Aber Seths Mutter hat immer wundervolle Feste gegeben.“

„Und du warst dazu eingeladen?“

„Ich war schließlich nicht immer eine Hanover.“ Dann lächelte sie und meinte: „Denk über das Haus nach. Es wird Zeit, dass du dich niederlässt. Ich sehne mich nach Enkeln.“

Matt ging davon aus, dass seine Mutter ihm den Zeitungsausschnitt geschickt hatte, dass sie das Foto gesehen und die Ähnlichkeit zwischen ihm und Tom entdeckt hatte. Wenngleich er das nur vermutete, denn ihr Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Aber so war es schon immer gewesen.

„Ich hätte lieber die Scheune“, erwiderte er.

„Die Scheune?“

„Ich dachte immer, daraus könnte man ein wundervolles Wohnhaus machen.“

Sie drehte sich abrupt um. „Tut mir leid, Matt, aber ich habe bereits Pläne ausarbeiten lassen, die Scheune in ein Restaurant umzuwandeln.“

„Ein Restaurant?“

„Die Kunden erwarten heutzutage mehr als einen Kaffee und ein Stück Kuchen, wenn sie ein Gartencenter besuchen“, erwiderte sie. Sie ging zu einer Kommode, zog eine Schublade heraus und holte einige Zeichnungen hervor, die sie auf dem Schreibtisch ausbreitete.

„Hat Seth Gilbert eingewilligt zu verkaufen?“, fragte Matt überrascht. Sein Agent hatte ihm nichts davon erzählt.

„Ich habe ihm ein sehr faires Angebot für den gesamten Besitz gemacht, einschließlich der Scheune und des Hauses. Ich warte noch immer darauf, dass er endlich Vernunft annimmt und es akzeptiert.“

„Vielleicht erscheint ihm das Angebot ja nicht so fair, wie du glaubst.“

„Ich bin kein Wohltätigkeitsverein. Wenn er unbedingt Bankrott gehen will, kann ich nichts dagegen tun.“

„Lässt sich das nicht verhindern?“, fragte Matt. Dabei wusste er bis auf den letzten Penny, wie viel Seth der Bank schuldete. Er hatte die Wochen in Ungarn nicht unnütz verstreichen lassen, sondern genaue Erkundigungen über die Lage seiner Nachbarn eingeholt.

Sein Plan schien aufzugehen, denn er war noch nicht einmal einen Tag da, und schon hatte Fleur ihn angerufen und über alles informiert, was er wissen musste.

„Bei seiner Sturheit eher nicht“, meinte seine Mutter in diesem Moment. „Man braucht entweder ein exklusives Produkt, oder man muss in großen Mengen verkaufen. Wie dem auch sei, ich werde einfach abwarten und dann seine Schulden von der Bank kaufen, wenn er untergeht.“

„Verstehe. Was ist mit Plan B?“

„Plan B?“

„Ja, was machst du, wenn dein Plan nicht funktioniert? Wäre es fürs Geschäft nicht viel besser, du würdest mit der Firma in das Gewerbegebiet umziehen?“

„Ich will aber nicht umziehen. Wenn ich einen Plan B hätte, würde das bedeuten, dass ich mit einer Niederlage rechne.“

Hatte sie nicht vorhin noch geleugnet, Krieg zu führen?

„Na?“ Ihr Vater sah von der Fuchsie auf, die er gerade beschnitt, als Fleur ihm eine Tasse Tee reichte.

„Was?“

„Was hat die Frau von der Bank gesagt?“

„Oh …“

Der Brief, ihr kurzes Gespräch mit Matt, die Angst, dass Katherine Hanover ihren Einfluss geltend machen würde, um ihr Tom wegzunehmen, all das hatte Fleur an nichts anderes mehr denken lassen.

„Ich, äh, habe ihr die Mappe mit unserer Präsentation für Chelsea dagelassen.“

„Du hast darüber gar nicht mit ihr gesprochen?“

Konzentrier dich, konzentrier dich

„Sie macht sich mehr Sorgen darüber, dass wir unser Konto überzogen haben. Nächste Woche will sie mit uns beiden darüber sprechen, wie wir unseren Kontostand ausgleichen wollen.“

„Sag ihr, damit muss sie bis Ende Mai warten“, erwiderte er und wandte sich wieder der Pflanze zu. Er coupierte sie mit einem scharfen Messer und reichte sie Fleur dann befriedigt zur Inspektion.

„Vorausgesetzt, wir sind Ende Mai überhaupt noch im Geschäft.“

„Bestimmt gibt es Leute, die sagen, unsere Ziele sind zu hochgesteckt“, erwiderte er.

„Und die glauben, wenn man goldgelbe Fuchsien auf den Markt bringen will, sollte man am besten gleich Butterblumen züchten.“

Ihr Vater rieb sich die müden Augen. „Gib mir noch ein Jahr …“

„So lange können wir aber nicht mehr warten.“ Sie reichte ihm die Pflanze. Er streckte die Hand danach aus, zog sie dann aber sofort wieder zurück und schüttelte sie.

„Alles okay, Dad?“

„Ja, mir geht’s gut“, sagte er gereizt. „Stell sie einfach auf die Bank.“

Fleur sah ihn besorgt an und fragte sich, ob er sich mit der Arbeit nicht übernahm. Doch dann griff er nach einer anderen Pflanze, und sie dachte wieder über die drängendere Frage der Finanzierung nach.

Nur mit einer goldgelben Fuchsie würde ihnen der Durchbruch gelingen. Die Farbe der Pflanze, die ihr Vater ihr gezeigt hatte, ging eher in Richtung Schlüsselblume, und das würde nicht reichen.

Hoffentlich machte er sich nichts vor …

„Mrs. Johnson hat gesagt, sie würde nächste Woche zu uns in die Gärtnerei kommen.“ Fleur betrachtete die lange Reihe der Fuchsien, die in wöchentlichen Intervallen gepflanzt worden waren. Würde sie davon beeindruckt sein? Oder würde sie nur ein Treibhaus voller Pflanzen sehen, die Kosten verursachten und nichts einbrachten? „Ich werde ihr sagen müssen, was wir hier haben.“

„Nein, das wirst du nicht tun“, erklärte er mit Nachdruck.

„Dad, ich glaube, du verstehst nicht …“

„Ich verstehe das sehr gut. Willst du etwa, dass andere die Früchte meiner jahrelangen Arbeit ernten? Wenn die Leute davon Wind bekommen, dass mir ein sensationeller Erfolg gelungen ist, müssten wir sofort für größere Sicherheitsmaßnahmen sorgen, und das können wir uns nicht leisten.“ Er lächelte sie an und wirkte plötzlich wieder ein wenig so wie früher. „Das ist einer der Vorteile, wenn alle glauben, man gehöre zum alten Eisen. Man braucht sich keine Sorgen mehr zu machen, dass einem jemand seine Züchtungen stehlen will.“

„Wenigstens interessiert Katherine Hanover sich nicht dafür.“

„Unsinn, sie würde alles dafür tun, wenn sie dieser neuen Pflanze ihren Namen geben könnte.“

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Autor

Liz Fielding
<p>In einer absolut malerischen Gegend voller Burgen und Schlösser, die von Geschichten durchdrungen sind, lebt Liz Fielding in Wales. Sie ist seit fast 30 Jahren glücklich mit ihrem Mann John verheiratet. Kennengelernt hatten die beiden sich in Afrika, wo sie beide eine Zeitlang arbeiteten. Sie bekamen zwei Kinder, die inzwischen...
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Teresa Hill wurde mitten im romantischen Kentucky geboren und wuchs mit dem Gedanken auf, es gäbe nichts Schöneres auf der Welt als Bücher zu schreiben. Kein Wunder, denn die Stadtbibliothek war in einer wunderschönen alten Kirche eingerichtet, und hier verbrachte Teresa richtig viel Zeit. Bücher erschienen ihr fast als heilig...

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