Bianca Exklusiv Band 380

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DER GOLDENE RING DES FREMDEN von CHRISTY JEFFRIES
Wie kommt der Ehering an meinen Finger? Schlagartig ist Kylie hellwach. Schlimmer noch: Der Fremde neben ihr im Bett trägt den gleichen Ring! Sie kann sich an nichts erinnern. Eigentlich wirklich schade, denn offenbar hat sie zu einem sehr attraktiven Mann Ja gesagt …

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  • Erscheinungstag 12.10.2024
  • Bandnummer 380
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523417
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Christy Jeffries

1. KAPITEL

In den ersten dreißig Jahren ihres Lebens war Kylie Chatterson bisher immer allein aufgewacht.

Heute Morgen nicht.

Sie hatte sich gerade auf der weichen Hotelmatratze herumgerollt und verschlafen geblinzelt, als sie den blonden Mann mit den engelsgleichen Gesichtszügen neben sich im Bett entdeckte und die Augen erschrocken aufriss.

Wer zum Teufel war das, und wie kam er hierher?

Sein muskulöser Körper wirkte wie die Marmorstatue eines griechischen Gottes, strahlte aber weitaus mehr Wärme und Leben aus. Durchs Fenster, dessen Vorhänge sie offenbar vor dem Einschlafen nicht zugezogen hatte, strahlte rücksichtslos die Morgensonne und beleuchtete unnötigerweise die Szenerie, die ihr mit jeder Sekunde peinlicher wurde.

Kylie hielt den Atem an und versuchte, sich nicht zu rühren, damit ihr schmerzender Kopf Gelegenheit hatte zu sortieren, was sie noch wusste.

Erstens: Sie war gestern nach Reno geflogen, um am Junggesellinnenabschied ihrer Freundin teilzunehmen. Sie befand sich definitiv in ihrem eigenen Hotelzimmer, denn ihr fuchsiafarbener Koffer mit Leopardenmuster hing etwas windschief auf dem Gepäckbrett am Fußende des Bettes. Zumindest befand sie sich also dort, wo sie hingehörte. Das war schon einmal ein gutes Zeichen.

Zweitens: Sie erinnerte sich daran, auf der Party des Junggesellinnenabschieds gewesen zu sein und an der Kasinobar ein oder zwei Cocktails getrunken zu haben. Normalerweise trank sie nicht viel Alkohol, also waren es bestimmt nicht mehr als zwei Getränke gewesen. Oder doch? Neben dem Fernseher entdeckte sie drei bunt bedruckte XXL-Plastikbecher. Das war nicht so gut, erklärte aber immerhin, warum ihr Kopf so dröhnte, ihr ein wenig übel war und sie sich an nichts erinnern konnte.

Keine Gefühle jetzt, befahl sie sich selbst. Denk einfach nach.

Drittens: Auf dem Nachttisch neben ihr stand ein Strauß blau gefärbter Nelken neben einem Polaroidfoto in einem kitschigen Papprahmen. Auf dem Foto war der Schriftzug Silver Rush Wedding Chapel aufgedruckt, daneben stand Wir haben uns getraut … in Reno. Das Bild wirkte ziemlich verschwommen – aber vielleicht war auch ihr Blick noch nicht ganz klar. Vorsichtig streckte sie den Arm aus und betrachtete blinzelnd das Sofortbild. Waren sie gestern Nacht noch in irgendeiner Westernbar gewesen? Vielleicht hatte sie da den Typen kennengelernt, der auf dem Foto neben ihr stand und der jetzt neben ihr lag.

Sie atmete leise aus und suchte auf dem Bild nach weiteren Hinweisen. Sie und Mr. Adonis sahen so aus, als ob sie in einem Planwagen säßen. Neben ihnen hockten zwei Menschen in Kostümen aus der Zeit von Nevadas Silberrausch. Jedenfalls hoffte sie, dass es Kostüme waren. Das war wirklich alles ziemlich schräg. Es sei denn …

Vorsichtig blickte sie über ihre nackte Schulter. Der perfekt gebaute Mann schnarchte leise. Während sie den Blick von seinem Gesicht über seinen Körper wandern ließ, revidierte sie ihren Eindruck von engelsgleich. Vom Hals an abwärts hatte er keinerlei Ähnlichkeit mit einem Engel. War sie mit einigen der anderen weiblichen Partygäste in einer Männerrevue gelandet?

O nein … Vielleicht war der Kerl neben ihr ein Stripper, und sie hatte sich mit ihm eingelassen? Sie rieb sich die Augen und betrachtete das Foto erneut. Offenbar hatten sie sehr viel Spaß gehabt, denn sie wirkten beide sehr glücklich und zufrieden. Ob das gut war oder nicht, musste sich noch zeigen.

Viertens: Sie trug immer noch ihr blaues Set aus Spitzenhöschen und Spitzen-BH – aber sonst nichts. Was bedeutete das? Hatten sie oder hatten sie nicht?

Wieder blickte sie zu ihrem Bettgefährten hinüber. Was er unter der Bettdecke trug, wusste sie nicht, aber darüber waren nur seine beeindruckenden Arm- und Brustmuskeln und sein Lächeln zu sehen. Die peinliche Situation trieb ihr die Röte in die Wangen.

Obwohl die meisten Leute fanden, Kylie kleide sich zu aufreizend und hätte zu viele Verabredungen mit Männern, hatte sie bisher noch keinen Mann weiter an sich rangelassen, als ihr Ausschnitt reichte. Und jetzt wusste sie nicht einmal, wer da neben ihr lag oder ob sie es letzte Nacht wirklich getan hatten! Sie brauchte nicht völlig nüchtern zu sein, um zu erkennen, dass es auf keinen Fall ein gutes Zeichen war, wenn sie halbnackt mit einem Fremden im Bett lag.

Bevor sie zu fünftens kommen konnte, rückte der blonde Adonis näher an sie heran und schlang seinen muskelbepackten Arm um ihre Taille. Seine Wärme fühlte sich auf ihrer angespannten Haut wie ein kleiner Stromschlag an, und sie brauchte ihre ganze, normalerweise ziemlich beachtliche Selbstbeherrschung, um nicht aus dem Bett zu springen und wegzulaufen. Jetzt hatte sie keine Zeit mehr, weiter zu analysieren. Wenn sie weiter versuchte, die Situation gedanklich nachzustellen, würde er inzwischen womöglich aufwachen. Vielleicht konnte sie sich leise wegschleichen.

Dumm nur, dass dies hier ihr Hotelzimmer war.

Sie war als einziges Mädchen mit vier älteren Brüdern und einem starrsinnigen Vater aufgewachsen. Deshalb war sie durchaus daran gewöhnt, ihre Unabhängigkeit und Individualität zu verteidigen. Gleichzeitig war sie kein Mauerblümchen. Kylie hatte früh im Leben gelernt, sich ihren Platz selbst erkämpfen zu müssen, wenn sie es zu etwas bringen wollte. Und sie wusste, wie sie sich gegen Männer durchsetzte – selbst gegen beeindruckend gebaute nackte Männer.

Sie rüttelte an seiner Schulter. „Pst.“

Seine einzige Reaktion war, dass er sie noch näher an sich zog.

„Hey“, sagte sie ein wenig lauter, während sie versuchte, sich so taktvoll wie möglich aus seiner Umarmung zu befreien.

Er drückte seine vollen Lippen an ihren Hals, und ihr lief ein schockierendes Kribbeln den Rücken hinunter. Die intime Berührung erschreckte sie, erregte sie aber auch. Sie versuchte, sich mit den Beinen von ihm abzustoßen, rammte ihm dabei aber aus Versehen ihre Ferse ans Schienbein, woraufhin er aufschrie und seinerseits angestrengt versuchte, von ihr wegzukommen. Dadurch bekam sie so viel Schwung, dass sie über die Bettkante katapultiert wurde und auf dem gemusterten Teppichboden landete.

„Was, zum Teufel!?“, rief sie und versuchte, das Laken vom Bett zu ziehen, um sich zu bedecken.

„Wo bin ich?“, fragte er.

Nachdem Kylie sich endlich in das Laken eingewickelt hatte, kam sie auf die Beine, um sich den ebenfalls ziemlich verwirrten Fremden in ihrem Bett vorzuknöpfen. Als sie sich in ihrer behelfsmäßigen Toga im Spiegel sah, hob sie trotzig das Kinn. Ihre Freunde sagten immer, sie sähe mit ihrem hochgewachsenen kurvigen Körper aus wie die brünette Version von Wonder Woman. Im Moment fühlte sie sich allerdings eher wie deren Alter Ego, die Amazonenprinzessin Diana, die ihr Königreich vor eindringenden Männern verteidigen muss.

„Ich sage Ihnen, wo Sie sind, wenn Sie mir sagen, wer Sie sind!“, erklärte sie energisch.

„Ich bin Andrew.“ Er strich sich durch sein kurz geschnittenes Haar, und es tröstete sie ein bisschen, dass er wahrscheinlich genauso furchtbare Kopfschmerzen hatte wie sie.

Andrew klang auch nicht wie der Name eines Strippers, wobei sie in diesen Dingen nicht wirklich Erfahrung hatte.

„Also, Andrew, Sie sind in meinem Hotelzimmer im Legacy Casino in Reno. Fragen Sie mich nicht, wie Sie hierhergekommen sind. Ich bin mir über die Details auch noch nicht so ganz im Klaren.“

Der Mann betrachtete das zerwühlte Bett, dann sie, wobei er den Blick über ihren ganzen Körper wandern ließ, bevor er sich wieder auf ihr gerötetes Gesicht konzentrierte. Er blinzelte ein paarmal, dann tastete er auf dem Nachttisch nach seiner Brille mit Drahtgestell und setzte sie auf.

„Du bist Kylie“, erklärte er zögernd.

„Na schön, dann erinnert sich wenigstens einer von uns beiden, was …“ Sie unterbrach sich, als sich auch bei ihr ein Erinnerungsfetzen der letzten Nacht einstellte. „Mit der Brille siehst du aus wie dieser Freund von Cooper … Der, der beim Militär ist.“

Sein Nicken bestätigte ihre Befürchtung. O nein. Das war schlecht. Ganz, ganz schlecht.

„Ach, du meine Güte!“ Anklagend zeigte sie auf ihn, während er sich verlegen im Zimmer umschaute, offensichtlich auf der Suche nach seinen Klamotten – zumindest nach seiner Hose. „Du bist der Geistliche, der die Hochzeitszeremonie abhält. Du bist Drew Gregson!“

Stückchenweise kehrte die Erinnerung an den gestrigen Nachmittag zurück. Sie war ziemlich früh in der Cocktailbar angekommen, um auf Wunsch ihrer Freundin die anderen Gäste zu begrüßen. Drew, der beste Freund des Bräutigams, war ebenfalls schon da, wirkte ziemlich verloren und unschuldig wie ein Lämmchen und hatte sie offenbar direkt zur Schlachtbank geführt.

Stöhnend ließ sie sich auf den nächstbesten Stuhl sinken. Er war bis jetzt noch nicht aufgestanden, und sie hatte nicht vor, sich neben einen Geistlichen ins Bett zu legen. „Wir landen so was von in der Hölle …“

Gestern hatte sie ihm einen Drink bestellt und ihm gesagt, das würde ihn entspannen. Dann hatte sie einen schmutzigen Witz erzählt. Er hatte angemessen schockiert dreingeschaut, bevor er anfing zu lachen, und sie hatten auf das Brautpaar angestoßen. Danach war alles verschwommen. Auf schrecklich sündige Art und Weise.

„Ja, der bin ich, aber ich bin kein Geistlicher!“

Sie betrachtete ihn prüfend. Sagte er die Wahrheit oder betrieb er nur Schadensbegrenzung? Vielleicht war er ja daran gewöhnt, in fremden Hotelzimmern neben ihm unbekannten Frauen aufzuwachen, aber um sein Seelenheil schien er nicht allzu besorgt zu sein. Wenn er also kein Pfarrer war, was war er dann? Und wieso war er so unglaublich ruhig – und kein bisschen verlegen?

Sie senkte den Blick. Wenn sie seine steinharten Muskeln noch länger anschaute, konnte sie sich gar nicht mehr konzentrieren und würde nie herausfinden, was letzte Nacht so furchtbar schiefgelaufen war.

„Könntest du dir bitte was überziehen?“

Er fischte die Tagesdecke vom Fußboden und schlang sie um seinen Oberkörper, während er sich weiter suchend im Zimmer umschaute. Inzwischen wäre ihr wirklich jedes männliche Kleidungsstück recht gewesen, aber von seinen Klamotten war nichts zu sehen. Auch sie beteiligte sich an der Suche, aber ihr Blick kehrte immer wieder wie von selbst zurück zu seinem nackten Oberkörper, über dem er mit der linken Hand nur dürftig die Decke zusammenhielt. Und da entdeckte sie ihn: den glänzenden Goldring an seinem Ringfinger.

„Und was, bitte schön, ist das!?“ Sie zeigte auf das Corpus Delicti. „Du bist verheiratet! Ich habe gerade die Nacht mit einem betrunkenen verheirateten Mann verbracht!“

Erschauernd zog sie das weiße Laken enger um sich, als könne sie damit ihr Schamgefühl und den Zorn seiner anonymen Angetrauten von sich fernhalten.

„Wovon redest du überhaupt?“ Drew hatte offenbar endlich gefunden, was er suchte, griff nach dem weißen Unterhemd, das unter der Tagesdecke gelegen hatte, und zog es sich über. „Ich bin nicht verheiratet.“

„Aber du trägst einen Ehering.“

Blinzelnd betrachtete er seinen Finger, und in seine blauen Augen trat angesichts des glänzenden Schmuckstücks ein ehrlich verwirrter Ausdruck. Dann wandte er sich fragend an sie, als könne sie die ganze Sache erklären.

Das traf leider ganz und gar nicht zu, doch sein Blick war ebenso geduldig wie eindringlich, und Kylie beschlich das Gefühl, dass er meistens gewann, wenn sie einander um die Wette in die Augen blickten. Seine ungeteilte Aufmerksamkeit machte sie nervös und ihr rutschte das Laken aus der Hand. Hastig versuchte sie, es wieder zurechtzuzupfen. Als sie dabei sah, was genau er die ganze Zeit so anstarrte, verschlug es ihr den Atem.

„Du trägst auch einen.“ Er sagte es beiläufig, ohne jede Anklage oder Verurteilung.

Wie versteinert betrachtete sie den mit seinem Ring identischen Goldreif an ihrem Ringfinger. Zum ersten Mal in ihrem Leben war Kylie Chatterson vollkommen sprachlos und das war ungewöhnlich für die frühere Anführerin des Teams der Boise State Cheerleaders, die Zweitplatzierte bei der Wahl zur Miss Idaho und das derzeitige Genie unter den Steuerberaterinnen.

Sie ließ das Laken fallen, rannte ins Bad und schlug die Tür hinter sich zu.

Vielleicht war das keine sehr reife und vernünftige Art, mit dieser Situation umzugehen, aber sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und ihre Handflächen waren schweißnass. So musste sich eine Panikattacke anfühlen – oder ein massiver Kater. Oh, mein Gott, wie viel hatte sie letzte Nacht wirklich getrunken?

Nein, keine Panik. Wo war ihr gesunder Menschenverstand, wenn sie ihn wirklich dringend brauchte? Wahrscheinlich hockte der noch unten an der Hotelbar.

Sie drehte den Wasserhahn auf und trank einen Schluck, dann hielt sie eine Hand unter den kühlen Strahl, während sie sich dazu zwang, langsam durch die Nase ein- und auszuatmen. Als sie schließlich nicht mehr das Gefühl hatte, ihre Lungen würden jeden Moment explodieren, stellte sie das Wasser ab und trocknete sich die Hände.

Grimmig starrte sie ihr Spiegelbild an, als ob sie hier eine Erklärung für das Schlamassel finden könnte. Ihre langen rotbraunen Locken waren völlig zerzaust, und ihr gestern sorgfältig aufgetragenes Make-up war jetzt wahrscheinlich über eins der Kissen verteilt, zwischen denen der lüsterne Engel immer noch hockte.

Glücklicherweise hatte sie gestern schon ihre Kosmetiktasche ins Bad gebracht. Sie nahm den flauschigen Hotelbademantel vom Haken, streifte ihn über und verknotete den Gürtel zwei Mal. Dann bürstete sie sich die Haare und fasste sie zu einem straffen Pferdeschwanz zusammen, bevor sie sich gründlich das Gesicht wusch. Danach putzte sie sich weit über die von Zahnärzten empfohlene Zeit hinaus ausgiebig die Zähne – viel mehr konnte man im Bad ja auch nicht machen, um Zeit zu gewinnen.

Als sie gerade dabei war, die Zahnbürste auszuwaschen, klopfte es an der Tür. „Äh, Kylie?“

Na toll. Er war immer noch da. Sie musste ihn so schnell wie möglich loswerden.

„Ich habe gerade ein paar Papiere auf dem Schreibtisch gefunden“, verkündete er durch die verschlossene Tür. „Ich glaube, wir haben da ein kleines Problem.“

Drews Kopf fühlte sich an, als würde er gleich platzen. Die Heiratsurkunde in seinen leicht zitternden Händen sah echt aus, doch sein Blick war noch verschwommen, und er konnte die Worte nur gerade so lesen. Er blickte auf seine Armbanduhr. Oh, kurz vor neun. In ein paar Stunden musste er seine Neffen abholen. Die achtjährigen Zwillinge seines Zwillingsbruders warteten in ihrem Elternhaus in Boise auf ihn.

Wenigstens war er jetzt angezogen und konnte sich der unerwarteten Herausforderung, die sich im Bad eingeschlossen hatte, mit etwas Anstand annehmen. Unanständig war er ja offensichtlich letzte Nacht schon gewesen. Seine Sachen hatten im Hotelzimmer verstreut gelegen, als ob eine Bombe eingeschlagen hätte. Normalerweise faltete er alles ordentlich zusammen. Aber natürlich trank er normalerweise auch nicht zu viel Alkohol oder heiratete Frauen, die er gerade mal ein paar Stunden kannte.

Offenbar war er gerade nicht er selbst.

Die ganzen letzten zehn Minuten hatte er versucht, gelassen und gemäßigt zu reagieren, während er sich gleichzeitig den Kopf darüber zerbrochen hatte, wie er mit dieser schönen Frau im Bett gelandet war. Zum Glück war sie jetzt ins Bad geflohen. Er hoffte, dass sie sich etwas überzog, denn selbst für einen Mann, der sich geschworen hatte, sich von Frauen fernzuhalten, gab es so etwas wie zu große Versuchung.

Gestern Nachmittag war er extrem nervös und unsicher gewesen. Die Aussicht, für seine Neffen der offizielle Erziehungsberechtigte zu werden, während sein Bruder sich den ganzen Sommer über auf eine streng geheime Mission begab, lag ihm schwer im Magen. Dass er außerdem Jetlag hatte, weil er selbst gerade von einem Militärstützpunkt im Nahen Osten eingeflogen war, half auch nicht gerade. Dazu kam noch, dass er demnächst als Psychologe im Militärhospital nahe seiner Heimatstadt anfangen würde. Diese ganzen Neuanfänge stressten ihn ganz schön.

Kopfschüttelnd starrte er auf die Badezimmertür. All das war keine Entschuldigung dafür, was er getan hatte – wenn er doch wenigstens wüsste, was genau das war! Er hatte so vielen Soldaten und Seeleuten beigebracht, wie man nach einem Militäreinsatz gesund und effektiv mit Stress umgeht. Sich zu betrinken und die erste Frau zu heiraten, die einem über den Weg lief, gehörte nicht zu seinen üblichen Ratschlägen, da war er sich ziemlich sicher.

Er erinnerte sich daran, wie er sich gestern Kylie in der Cocktailbar des Casinos vorgestellt hatte, bevor die anderen Partygäste eintrafen. Er hatte sich sehr darauf gefreut, seinen besten Freund Matt Cooper wiederzusehen, der Kylies beste Freundin Maxine Walker heiraten würde.

Kylie war so freundlich und umgänglich gewesen. Als Psychologe war er normalerweise derjenige, der anderen Leuten zuhörte und sie beriet. Er selbst dagegen war es eher nicht gewohnt, über seine Gefühle zu sprechen. Kylie hatte gewitzelt, er bräuchte dringend einen Drink, um sich zu entspannen. Und er hatte angenommen, ein Glas könne ja wohl nicht schaden.

Blinzelnd betrachtete er die neongrünen Maxibecher neben dem Fernseher – tja, von wegen. Diese harmlos schmeckenden Fruchtcocktails stiegen einem schneller in den Kopf, als man bis drei zählen konnte.

Er blickte zu dem „Wir haben uns getraut“-Foto auf dem Nachttisch hinüber und fragte sich, wie viele von den Maxibechern er gebraucht hatte, bis er so betrunken war, dass er es für eine gute Idee hielt, vor Gott und ein paar als Silberschürfer verkleideten Schauspielern ein Ehegelübde abzulegen.

Doch wenn er sich die beiden Personen auf dem Foto genauer anschaute – er in seinen gebügelten Jeans und Kylie im Minirock –, sah er, dass sie beide strahlend lächelten. Sie waren vielleicht blau wie die Veilchen, aber immerhin sahen sie beide ziemlich glücklich aus. Geradezu glückselig.

Dass er eines Tages heiraten würde, hatte für ihn immer festgestanden. Sein Vater war Pfarrer und predigte oft darüber, wie wichtig es war, das Ehegelübde einzuhalten. Ob es nun daran lag, dass er altmodisch war oder allzu religiös erzogen, jedenfalls hatte Drew immer gewusst, dass er nur ein Mal in seinem Leben Ja sagen würde.

Gleich nach dem Studium hatte er sogar gedacht, Jessica wäre seine Zukünftige. Doch er wollte sich Zeit lassen und herausfinden, ob sie wirklich perfekt zueinander passten. Jessica hatte allerdings nicht so viel Geduld gehabt.

Danach hatte er sich geschworen, keine Beziehung mehr einzugehen – nicht einmal eine rein sexuelle –, wenn er sich nicht ganz sicher war, dass er die Frau auch würde heiraten wollen. Sich von Frauen fernzuhalten war für ihn einfach reine Willenssache.

Jetzt allerdings stand seine eiserne Lebensregel auf einem harten Prüfstand. Kylie sah mit ihren roten Haaren, in dem viel Haut zeigenden Outfit und den unglaublich hohen Absätzen nicht gerade aus wie die Ehefrauen seiner geschätzten Kollegen. Als er sie gestern kennenlernte, hatte er sie atemberaubend gefunden, daran erinnerte er sich noch – auch wenn sie nicht gerade konventionell wirkte. Und heute Morgen, als ihr das Laken weggerutscht war und sie in ihrer ganzen weiblichen Schönheit vor ihm stand, hatte er Schwierigkeiten gehabt, den Blick abzuwenden.

Trotz seines selbst auferlegten enthaltsamen Lebens kannte er natürlich, wie die meisten Menschen, fleischliche Gelüste. Bis jetzt hatte er sie aber immer im Griff gehabt. Und auf den Militärbasen, auf denen er die letzten Jahre verbracht hatte, war die Versuchung sowieso nicht so groß. Er stand eben nicht auf Uniformen mit Tarnmuster. Kylies Stil und Persönlichkeit dagegen waren so farbenfroh und lebendig, dass er sich sofort zu ihr hingezogen gefühlt hatte.

Das Wasserrauschen im Bad hörte auf, und er wappnete sich für ihr Wiederauftauchen. Die Tür öffnete sich, und Kylie kam ungeschminkt und mit hoch erhobenem Kopf heraus. Sogar der übergroße Hotelbademantel konnte ihre bewundernswerten Kurven nur unzulänglich verbergen. Die grünen Augen zusammengenkiffen, lehnte sie sich an den Türrahmen. „Bitte sag mir nicht, was ich denke, dass du mir sagen willst.“

„Wenn du denkst, dass ich dir sagen will, dass das Hochzeitsfoto nur ein Witz war – nein, das werde ich dir nicht sagen.“

„Woher willst du das wissen?“ Sie öffnete mühsam die Augen etwas weiter, und er reichte ihr die sehr offiziell aussehende Heiratsurkunde. Unterschrieben und gestempelt.

Sie war eine kluge Frau. Drew erinnerte sich nicht mehr daran, woher er das wusste, aber irgendwann letzte Nacht hatte er das festgestellt. Also hielt er den Mund und ließ sie ihre Schlüsse selbst ziehen.

„Wow.“ Sie ließ sich am Türrahmen zu Boden gleiten, wobei ihre langen schlanken Beine sichtbar wurden, als der Bademantel auseinanderklaffte.

Er hatte schon früh gelernt, dass man auf Augenhöhe mit Menschen sein musste, wenn man effektiv mit ihnen kommunizieren wollte. Also setzte er sich neben sie auf den Boden, obwohl sein Magen bei der Bewegung rebellierte.

„Tut mir leid“, versuchte er, sie zu trösten. „Ich weiß nicht, wie es passiert ist oder was wir uns dabei gedacht haben, aber es sieht so aus, als wären wir miteinander verheiratet.“

Sie stützte das Kinn auf einer Hand ab, in der anderen hielt sie die Urkunde. Immer wieder überflog sie das Dokument, vielleicht auf der Suche nach einem Schlupfloch oder einem Indiz dafür, dass es doch nur ein Witz war.

„Aber wie können wir verheiratet sein, wenn unsere Trauzeugen ihre Namen als Pistolenpeter und Maddogmolly angegeben haben?“

Drew reichte ihr das Hochzeitsfoto. „Ich glaube, der Kerl mit dem langen Bart und dem Goldgräberhut ist Pistolenpeter. Die grimmig aussehende Frau neben dir muss Molly sein.“

„Lieber Himmel, meine Trauzeugin war eine übergewichtige Saloondame, der ein Zahn fehlt. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich das schlimmer finde als die Tatsache, dass ich mit einem Geistlichen in dem Bett da drüben Unzucht getrieben habe.“

„Vielleicht sollten wir uns auf die Fakten konzentrieren“, schlug er vor. „Erstens: Ich bin Arzt. Klinischer Psychologe, um genau zu sein. Kein Geistlicher.“

„Aber du hältst doch die Trauzeremonie ab. Muss man dafür nicht Geistlicher sein?“

„Nein, nicht wirklich. Jeder kann im Internet ein Zertifikat dafür bekommen. Ich schuldete Cooper einen Gefallen, und er weiß, wie ich es hasse, vor Leuten zu reden.“

„Das erklärt einiges.“ Sie seufzte, dann lehnte sie den Kopf so schnell zurück, dass sie heftig gegen die Wand stieß.

„Zurück zu den Fakten?“ Er wartete auf ihr Nicken, bevor er fortfuhr. „Zweitens, es hilft uns beiden nicht weiter, wenn wir darüber nachdenken, welche Sünden wir begangen haben mögen. Drittens, egal, was in dem Bett da drüben gestern Nacht passiert ist, da wir nun mal verheiratet waren, gilt es nicht als Unzucht.“

Drew war ein geduldiger Mensch, aber er wusste nicht, ob die ziemlich fertig wirkende Frau vor ihm für Logik zugänglich war. Woher auch? Er wusste schließlich überhaupt nichts über sie.

„Bei Punkt eins und zwei stimme ich zu“, erwiderte sie schließlich, „aber da du kein Geistlicher bist, sind deine Ansichten darüber, was oder was nicht als Unzucht gilt, keine Expertenaussage.“

Wie bitte, jetzt störte es sie auf einmal, dass er kein Geistlicher war? Vielleicht konnte sie sich mal entscheiden?

„Bist du Anwältin?“, fragte er.

„Nein, Steuerberaterin. Wenn du in Zahlen mit mir sprichst, komme ich viel besser mit.“

Diese Information konnte für die Zukunft wichtig sein. „Hör zu, ich bin genauso durcheinander wie du. Aber wir müssen einen klaren Kopf behalten und vernünftig miteinander reden, wenn wir da heil wieder rauskommen wollen.“

Sie nickte, wirkte aber immer noch besorgt. „Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Für dich sind das doch bestimmt auch keine freudigen Neuigkeiten, aber du wirkst völlig gelassen.“

„Berufskrankheit. Es ist mein Job, ruhig zu bleiben, wenn um mich herum alles explodiert – wortwörtlich.“

„Tja, in meinem Leben ist das hier tatsächlich eine Explosion.“ Wieder stieß sie mit dem Kopf an die Wand, als sie zur Decke blickte.

„Wir haben eine Kaffeemaschine im Zimmer. Soll ich uns einen Kaffee machen? Dann reden wir weiter.“

Er stand auf und streckte ihr die Hand hin, dann erkannte er seinen Fehler, als sein Blick auf seinen Ringfinger fiel, an dem noch immer der Ehering glänzte. Bestimmt fand sie diese Erinnerung an die letzte Nacht nicht gerade berauschend. Aber er hatte es nicht geschafft, das Ding über seinen Knöchel zu ziehen.

Mit seinen eins neunzig Körpergröße und fast hundert Kilo Gewicht war Drew kein kleiner Mann. Er war es gewöhnt, dass es viele Dinge nicht in seiner Größe gab. Bei der Auswahl der Eheringe war das wohl auch so gewesen.

Nach kurzem Zögern legte sie ihre Hand in seine. Er zog sie mühelos hoch. Als sie ihm direkt gegenüberstand, stellte er erfreut fest, dass sie nur ein paar Zentimeter kleiner war als er. Sie dagegen betrachtete ihrer beider Hände und die zusammenpassenden Eheringe und ließ dann seine Hand so schnell los, als hätte sie sich daran verbrannt. Sie zog an dem Ring, doch auch bei ihr bewegte er sich keinen Millimeter.

„Verflixt, ich krieg ihn nicht ab. Meine Finger sind wahrscheinlich von dem ganzen Alkohol geschwollen.“

Während sie sich abmühte, fiel Drews Blick unwillkürlich auf ihre Brust, und er bemerkte, dass ihre Finger nicht die einzigen angeschwollenen Körperteile waren. Ihr Bademantel klaffte auf, und er konnte sehen, dass ihre Brüste die D-Körbchen ihres BHs fast sprengten.

Sein Hals fühlte sich plötzlich heiß an, und sein ganzer Körper kribbelte. Schnell wandte er sich ab und beschäftigte sich mit der Kaffeemaschine, die auf einem Sideboard stand.

Er wandte ihr den Rücken zu und hörte, wie sie eilig den Raum durchquerte. Hoffentlich dachte sie nicht, er würde wie ein Perverser über sie herfallen. Bestimmt hatte sie gespürt, wie er auf sie reagierte, und er konnte es ihr nicht verdenken, wenn sie einen Sicherheitsabstand brauchte.

„In einer halben Stunde fängt der gemeinsame Brunch mit allen Hochzeitsgästen an“, erklärte sie. „Meinst du, sie werden sich wundern, wenn wir beide nicht auftauchen?“

„Warum sollten wir den Brunch auslassen? Ich bin am Verhungern. Hatten wir gestern überhaupt Abendessen?“

„Keine Ahnung“, erwiderte sie, nahm ihm dankend die dampfende Tasse ab, die er ihr reichte, und setzte sich auf einen der Stühle. Ob ihre Knie sich auch wie Wackelpudding anfühlten? „Ich kann mich an nicht mehr viel erinnern, nachdem wir die Bar verlassen hatten. Und was meinst du mit ‚Warum sollten wir den Brunch auslassen‘? Wir können da schlecht reinspazieren und so tun, als wäre nichts passiert.“

„Warum nicht? Ganz offensichtlich war von unseren Freunden letzte Nacht keiner dabei, sonst hätten sie uns daran gehindert, zu … Du weißt schon.“

„Stimmt. Du meinst also, wir tun einfach so, als wäre nichts gewesen? Ich meine, ich will meine Freunde nicht anlügen, aber wenn wir sagen, dass wir einen über den Durst getrunken haben und uns an letzte Nacht nicht richtig erinnern können, dann entspräche das ja der Wahrheit, oder?“

Es war schwer, ihrem bittenden Blick zu widerstehen, aber ihn beschäftigte gerade etwas ganz anderes.

„Kann ich dich was fragen?“ Er nahm die Brille ab und rieb sich den Nasenrücken.

„Klar, aber ich kann nicht garantieren, dass ich die Antwort weiß.“

„Wie denkst du über die Ehe? Nicht speziell diese Ehe, sondern im Allgemeinen. Du bist eine attraktive Frau. Du bist intelligent. Und du weißt ganz offensichtlich, wie man Spaß hat. Gibt es also einen bestimmten Grund, warum du nicht schon verheiratet bist? Also vorher, meine ich.“

Sie lehnte den Kopf zurück, als ob die Frage sie anstrenge. Doch Drew war es gewohnt zu warten, bis die Leute die richtigen Worte fanden, um sich zu erklären. Also stand er einfach nur da, hielt sich an seiner Tasse fest und wartete auf ihre Antwort.

„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum ich nicht verheiratet bin. Jedenfalls bin ich weiß Gott mit genügend Männern ausgegangen, dass man meinen sollte, der Richtige wäre dabei gewesen.“

Das war nicht ganz das, was Drew sich erhofft hatte. Klar, Kylie war hübsch kein Wunder also, dass jeder Mann, der den Namen verdiente, mit ihr ausgehen wollte. Aber dass ihr Terminkalender randvoll war, hatte er gar nicht so genau wissen wollen.

„Für mich ist die Ehe eine ernsthafte Bindung“, erklärte er.

„Die wir sehr leichtfertig eingegangen sind.“ Selbst im Sitzen wirkte Kylie eindrucksvoll, weil sie kerzengerade saß.

„Aber wir sind die Ehe eingegangen und haben uns damit zu allem verpflichtet, was damit einhergeht.“

„Hör mal, mir ist schon klar, dass Scheidung für manche ein Tabu ist. Aber ich bin sicher, dass wir eine Annullierung bekommen können oder was anderes, was deinen Glauben oder deinen Ruf nicht beschmutzt.“

„Manche Menschen mögen das für eine Lösung halten. Aber ich habe das Gefühl, dass wir vor Gott ein Gelübde abgelegt haben.“

Kylie sah aus, als wolle sie weglaufen, was sie vielleicht auch getan hätte, wenn er nicht zwischen ihr und der Tür gestanden hätte. „Wir haben das Gelübde aber auch vor jemandem namens Pistolenpeter abgelegt, was bestimmt nicht sein Taufname ist. Auch wenn du die Dinge etwas sittenstrenger siehst, zu jeder Regel gibt es eine Ausnahme.“

Schon möglich. Kylie wirkte wie eine Frau, die es gewohnt war, ihre eigenen Regeln aufzustellen. Aber ihr Kampfgeist war verflixt attraktiv, und er begann, sich zu fragen, ob er überhaupt eine Ausnahme wollte.

„Ich kenne mich mit dem Gesetz nicht so aus, aber kann man eine Ehe annullieren lassen, wenn sie vollzogen wurde?“

Ihr schönes Gesicht wurde knallrot, und er hätte sich am liebsten geohrfeigt. Warum musste er die arme Frau so in Verlegenheit bringen? Sie war offenbar prüder, als sie zugab.

Trotz ihrer roten Wangen drückte sie den Rücken durch, doch ihre Stimme klang sehr zaghaft, als sie schließlich fragte: „Haben wir denn?“

Gern hätte er sie beruhigt, aber er wusste es wirklich nicht. Dass er sich an nichts erinnern konnte, machte ihn wirklich sauer. Aber Fakt war nun mal, dass sie geheiratet hatten und nebeneinander aufgewacht waren – so gut wie nackt. Was angesichts der Tatsache, dass seine selbst auferlegte Enthaltsamkeit nun schon über ein Jahr andauerte, bestimmt kein gutes Zeichen war.

„Ich weiß es wirklich nicht“, gab er zu. „Und wenn wir beide uns an nichts erinnern, dann wissen wir wohl auch beide nicht, ob wir … äh, verhütet haben?“

2. KAPITEL

„O nein. Nein, nein, nein.“ Kylie ging im Geiste die Flüche durch, die sie von ihrem Vater und vier großen Brüdern gelernt hatte, und wählte dann einen, der einen betrunkenen Seemann schockiert hätte. Ganz zu schweigen von dem verwirrten Psychologen vor ihr.

„’Tschuldigung“, murmelte sie dann. Es tat ihr sofort leid, dass sie Drew in Verlegenheit gebracht hatte, der nun zum ersten Mal tatsächlich etwas beunruhigt aussah. Er konnte ja nichts dafür, dass ihre wilde Seite, die sie normalerweise gut versteckte, gerade mit ihr durchging. „Normalerweise rede ich nicht so. Ist mir rausgerutscht“, versicherte sie hastig.

Er starrte auf ihre Lippen, und sie fluchte noch einmal – in Gedanken –, weil sie seine Aufmerksamkeit dorthin gelenkt hatte. „Das hätten wir nicht vergessen, egal wie betrunken wir waren. Oder?“

Er strich sich durch sein militärisch kurz geschorenes Haar. Wie war sie nur darauf gekommen, dieser konservative Mann in den ordentlich gebügelten Jeans und dem ordentlichen Pullover könnte ein Stripper sein?

„Ich würde auch gern glauben, dass wir beide, was das angeht, nicht so unvernünftig waren.“ Sein zuversichtlicher Tonfall passte nicht ganz zu seinem skeptischen Gesichtsausdruck und der leicht geröteten Hautfarbe. „Aber so, wie es hier aussieht, haben wir wohl in vielerlei Hinsicht unvernünftig gehandelt.“

„Aber versteh doch! Ich kann nicht einfach plötzlich verheiratet sein. Oder schwanger von jemandem, den ich gar nicht kenne. Mein Vater würde mich umbringen. Und meine Brüder würden dich umbringen … Jeder in Sugar Falls würde sagen, dass sie es ja immer gewusst haben und so weiter und so weiter … Ich müsste meine Steuerkanzlei aufgeben und nach Boise ziehen! Nein, warte, lieber weiter weg. Nach Sibirien oder so. Mein Leben ist komplett im Eimer!“

„Na, dann haben wir ja beide ein Problem.“

Nanu, hatte er gerade Problem gesagt? Vielleicht wurde Dr. Perfect jetzt endlich einmal klar, wie ernst die Lage war.

„Für meine Karriere oder meine Familie ist das auch nicht gerade eine Glanzleistung.“ Er machte eine Armbewegung, die den ganzen Raum, die leeren Cocktailbecher und sie umfasste. „Ich bin nicht gerade stolz auf das hier.“

Es fiel ihr schwer, seine Worte nicht als Beleidigung aufzufassen. Wieso sollte er sich schämen, sie geheiratet zu haben? Vielleicht war sie kein zugeknöpftes Spießerfräulein, aber sie sah ganz passabel aus und war beruflich erfolgreich. Außerdem hatte sie keine psychischen Probleme und keine Erbkrankheiten. Er hätte es wirklich schlechter treffen können.

Sie natürlich auch, was ihr die Loser deutlich vor Augen geführt hatten, mit denen sie in der Vergangenheit ausgegangen war. Keiner der Männer, mit denen sie ein Date gehabt hatte, hatte auch nur ansatzweise ihre Kriterien für den Mann fürs Leben erfüllt.

Zwar ging sie das Leben im Allgemeinen pragmatisch an, aber sie glaubte dennoch an die wahre Liebe. Tief im Herzen war sie romantisch veranlagt und wusste, dass irgendwo da draußen der für sie Richtige auf sie wartete. Leider würde der aber mit der schwangeren Exfrau eines Militärpsychologen nichts anfangen können.

Sie seufzte. „Tut mir leid, wenn es so aussieht, als ob ich bei dieser Sache nur an mich denke. Du hattest wahrscheinlich auch was anderes im Sinn, als wir gestern die erste Runde bestellt haben. Aber wenigstens wohnst du nicht in einer Kleinstadt wie Sugar Falls, wo jeder mit Argusaugen darüber wacht, was du so treibst. Und du wirst nicht neun Monate lang die stetige Erinnerung an diese Nacht vor dir hertragen oder ständig alten Klatschweibern begegnen, die den Kopf über dich schütteln, wenn du ihnen mit dem Kinderwagen auf der Straße begegnest. Du steigst in die nächste Militärmaschine und lässt das alles hinter dir.“

Drew hockte sich vor sie, legte die Hand unter ihr Kinn und hob sanft ihren Kopf an, damit er ihr in die Augen blickten konnte. „Ich gehe nirgendwo hin. Ganz besonders nicht, wenn du von mir schwanger bist. Du kennst mich nicht und weißt nicht, wie ich ticke, also nehme ich dir deine Worte nicht übel. Aber ich sage dir jetzt, wo ich völlig nüchtern und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und moralischen Grundsätze bin, dass ich dich nicht hängen lasse. Wir stehen das gemeinsam durch, und wenn irgendwelche Entscheidungen getroffen werden müssen, tun wir das zusammen.“

Kylie war sich nicht sicher, ob das eine Drohung oder ein Versprechen war. In diesem perfekt geformten Körper schien es eine ganze Menge moralischer Grundsätze zu geben. Doch hinter den Brillengläsern wirkten seine Augen sehr ernst und vertrauenserweckend. Irgendwie trösteten seine Worte sie, und sie hatte nicht mehr das Gefühl, allein unterzugehen. Aber natürlich ging sie immer noch unter.

Bestimmt lag es am Restalkohol, dass ihr Magen wie verrückt kribbelte. Und bis jetzt hatte sie in der Nähe eines Mannes auch noch nie so weiche Knie gehabt.

Auf jeden Fall brauchte sie bald etwas zu essen, und sie hatten nur noch zehn Minuten Zeit, wenn sie es rechtzeitig zum Brunch schaffen wollten, der unten im Hotelrestaurant stattfand.

„Na schön“, sagte sie. „Lass uns vereinbaren, dass wir einfach heute und bei der Hochzeit kommende Woche in Sugar Falls so tun, als wäre nichts gewesen.“ Danach wusste sie hoffentlich schon mehr – zum Beispiel, ob sie einen Schwangerschaftstest kaufen musste und wann er die Stadt wieder verlassen und aus ihrem Leben verschwinden würde. „Wir entscheiden nichts, bis die Hochzeit vorbei ist. Ihre Hochzeit, meine ich, die von Maxine und Cooper. Nicht unsere … Puh … du weißt schon, was ich meine.“

Na toll. Wie sollte sie den Brunch überstehen, wenn sie nicht einmal einen vernünftigen Satz herausbrachte?

„Klingt nach einem Plan.“ Er stand wieder auf und streckte ihr die Hand, mit der er gerade noch Kylies Kinn gestreichelt hatte, jetzt zum Handschlag hin. Bisher war Kylie noch gar nicht aufgefallen, dass sein rechter kleiner Finger ein wenig abstand – ein interessanter Makel an einem ansonsten perfekten Körper.

Aus irgendeinem Grund war er von einer intimen Geste zu einer geschäftlichen Haltung übergegangen, also stand auch sie hastig auf, um zu verbergen, dass sie sich zu ihm gebeugt hatte, als könnte sie gar nicht genug Streicheleinheiten bekommen. Wenn sie wie üblich ihre zehn Zentimeter hohen Absätze getragen hätte, wäre sie fast so groß gewesen wie er. Barfuß und im Bademantel jedoch fühlte sie sich zierlicher und weiblicher, als sie es in der Gegenwart normal großer Männer kannte.

Wow, er war wirklich toll gebaut. Als er ihr die Hand schüttelte, lächelte sie bei dem Gedanken daran, dass sich unter dem konservativen Pulli und den gebügelten Jeans ein heißer Mann verbarg – und sie hier die Einzige war, die ihn gesehen hatte. Das gefiel ihr.

Er hielt noch immer ihre Hand umfasst, als es zweimal scharf an die Tür klopfte. Drew drehte sich um, um aufzumachen, doch sie hielt ihn am Arm fest und zog ihn zurück. Was dachte er sich nur?

Sie legte einen Finger auf die Lippen und schob ihn ins Badezimmer. Nach einem Moment hob er überrascht die Augenbrauen, als ihm wohl endlich aufging, dass sie ihn verstecken wollte vor demjenigen, der vor der Tür stand – wer immer das auch sein mochte. Offenbar war der Mann wirklich nicht besonders geübt in Heimlichtuereien, was allerdings eher für ihn sprach. Nur nicht gerade in diesem Moment.

Sie wartete, bis er die Badezimmertür hinter sich zugezogen hatte, bevor sie die Zimmertür öffnete. Die ehemalige Schwiegermutter der Braut, Cessy Walker, und Freckles, die Besitzerin des Cowgirl-Up-Cafés in Sugar Falls, drängten an ihr vorbei.

„Treffen wir uns etwa hier zum Brunch?“, fragte Cessy.

„Nein, wieso?“ Schnell drehte Kylie sich um und hoffte, die beiden Frauen würden die verräterischen Spuren der letzten Nacht nicht bemerken, die immer noch im Zimmer verstreut waren. „Ich dachte, wir treffen uns unten am Büfett?“

Kylies panischer Blick blieb an dem Hochzeitsfoto und der Urkunde hängen, die immer noch auf dem Stuhl lagen, also setzte sie sich hastig darauf.

„Du bist aber noch nicht fertig!“, bemerkte Cessy überflüssigerweise.

„Nein, ich bin ein bisschen spät dran, Mrs. Walker. Warum gehen Sie beide nicht schon mal nach unten und sagen allen Bescheid, dass wir … Ich meine, dass ich gleich komme.“

„Kylie.“ Cessy blickte missbilligend drein. „Du bist eine der Trauzeuginnen und die Gastgeberin des Brunchs. Es ist sehr unfein, zu deiner eigenen Veranstaltung zu spät zu kommen.“

Hoffentlich fand die selbst ernannte Anstandsdame von Sugar Falls nicht heraus, wie unfein sich Kylie kürzlich verhalten hatte.

„Läuft da die Dusche?“, fragte Freckles, die älter aussah als Kylies Großmutter, aber angezogen war, als wolle sie an einem Dolly-Parton-Doppelgängerinnen-Wettbewerb teilnehmen.

„Oh. Äh, ja. Ich wollte gerade unter die Dusche, als Sie geklopft haben.“

„Ach, na ja, dann warten wir einfach hier auf dich. Vielleicht beeilst du dich dann ein bisschen.“

Kylie dachte an den Mann in ihrem Bad, der möglicherweise gerade in diesem Moment seinen muskulösen Körper einseifte. Sie konnte da jetzt nicht reingehen, oder sie würde ihn in seiner ganzen Pracht sehen. Der Gedanke gefiel ihr, und normalerweise wäre sie deshalb knallrot geworden – was aber nicht ging, weil sie schon einen hochroten Kopf hatte angesichts der Aussicht, die beiden Matronen würden tatsächlich hier im Zimmer darauf warten, dass sie sich umzog.

Bevor sie irgendetwas sagen konnte, erklang aus dem Badezimmer eine unverkennbar männliche Stimme. „Autsch! Mann, ist das glatt hier!“

Freckles begann sofort breit zu grinsen, doch ihre etwas jüngere Begleiterin blickte verwirrt drein.

„Was war das?“, fragte Cessy.

„Das war das, was ich den Beweis für eine gute Party nenne!“, kicherte Freckles und schlug sich auf den Schenkel.

„Kylie Chatterson, ich kann nicht glauben, dass du einen Mann mit auf dein Hotelzimmer genommen hast – und das ausgerechnet jetzt. Hast du es nicht ein Wochenende ohne einen Mann ausgehalten?“ Cessy wirkte weniger überrascht als entrüstet, und Kylie fühlte sich tief getroffen, weil die alte Dame zu glauben schien, sie ginge mit jedem ins Bett. Normalerweise hätte sie so richtig losgelegt, wie immer, wenn jemand gegen sie oder ihre Familie stichelte. Aber diesmal war sie ja tatsächlich auf frischer Tat ertappt worden, also konnte sie ihre Ehre nicht glaubhaft verteidigen.

„Nun tu mal nicht so prüde, Cessy“, tadelte Freckles. Wenn Kylie nicht stur auf dem Stuhl sitzen geblieben wäre, um die verräterischen Spuren zu verdecken, hätte die ältere der beiden Damen sie wahrscheinlich abgeklatscht.

Freckles war das Yin zu Cessys überkonservativem Yang. Die beiden stimmten in ihren Ansichten fast nie überein, waren aber trotzdem Freundinnen. Im Moment hätte Kylie heulen können, dass sie gerade jetzt in ihre neugierigen Fänge geraten war.

„Wag es jedenfalls nicht, irgendeinen hergelaufenen One-Night-Stand zum Brunch meiner Schwiegertochter mitzubringen. Coopers Freund, dieser wunderbare Mann, der die Hochzeitszeremonie abhält, wird nämlich auch dort sein. Sein Vater ist Pfarrer, und er selbst ist ein sehr ehrenhafter und hochgeschätzter Offizier. Wir wollen doch nicht, dass er denkt, die Brautjungfer ließe sich mit jedem ein, nicht wahr?“

Die gemeine Beleidigung traf Kylie wie ein Pfeil ins Herz.

Am liebsten hätte sie geschrien, dass der selbstgefällige Doktor Gregson gerade nackt in ihrer Dusche stand und zu viel damit zu tun hatte, sich von einem Kater gigantischer Ausmaße zu erholen, um sich über das schlechte Betragen anderer aufzuregen.

Aber sie hatte nicht vor, den Skandal noch auszuweiten und den armen Kerl vorzuführen – auch wenn geteiltes Leid halbes Leid war.

Stumm zählte Kylie bis Hundert. Das Einzige, was sie davon abhielt, Cessy Walker mit Worten in ihre Schranken zu verweisen, war die Tatsache, dass diese ausnahmsweise recht hatte – aber eben nur ausnahmsweise, und das tat besonders weh.

Sicher, Kylie trug gerne Klamotten, die für Sugar Falls in Idaho ein bisschen zu sexy waren. Aber hinter dem Lächeln der ehemaligen Schönheitskönigin, den hautengen Oberteilen und den hohen Absätzen steckte nun einmal eine sehr ausgeglichene und beruflich erfolgreiche Frau. Kylie machte ja für Cessy Walker und die meisten anderen in der Stadt sogar die Einkommenssteuererklärung. Offenbar vertraute jeder ihrer vernünftigen Ader, wenn es um Finanzen und Ersparnisse ging. Aber was moralische Werte betraf – die ja sowieso nur sie selbst etwas angingen –, schienen alle nur das Schlechteste von ihr zu denken.

Wenigstens das wollte sie gerade sagen, als Freckles das Wort ergriff und Cessy am Arm zur Tür zog. „Nun mach dem Mädchen mal keine Vorwürfe, nur weil sie ein bisschen Spaß haben wollte. Als du so alt warst wie Kylie, da warst du schon zum dritten Mal verheiratet. Komm jetzt, lass uns runtergehen zu den anderen. Kylie ist schon groß und trifft ihre eigenen Entscheidungen. Außerdem ist sie sehr klug und …“

Ihre Stimmen verloren sich, als Kylie die Tür hinter ihnen zuschlug.

Vorsichtig streckte Drew den Kopf aus dem Bad, um zu sehen, ob die Luft rein war. „Ich habe nichts anderes anzuziehen als das, was ich gestern anhatte. Meinst du, ich habe noch Zeit, mich in meinem Zimmer umzuziehen?“

Er hatte ein weißes Handtuch um die Hüften geschlungen, das gerade so eben herumreichte. Sein nackter Oberkörper und die breiten Schultern waren ihr momentan fast zu viel.

„Zieh einfach dasselbe noch mal an und sieh zu, dass du vor mir unten bist. Es wird sowieso keiner bemerken, was du anhast.“

„Hör zu“, setzte er an, und sie bemerkte seinen mitleidigen Gesichtsausdruck, „es war leider nicht zu überhören, was Mrs. Walker gesagt hat. Es tut mir sehr leid, wie sie mit dir geredet hat. Ich bin sicher, dass wir den Klatsch begrenzen können, wenn wir uns gemeinsam eine Erklärung einfallen lassen.“

Seine Worte trafen sie tiefer, als sie gedacht hatte. Sie hasste Mitleid. Dass er Mrs. Walkers Worte mitbekommen hatte, war mehr als beschämend.

Ihre Eltern hatten sie zur Stärke erzogen, und sie war schon schlimmer beleidigt worden als eben. Mit Mitleid konnte sie jedoch nicht umgehen.

„Ach was, mach dir keine Sorgen. Wenn ich eins gelernt habe, dann, dass der Klatsch in Kleinstädten immer aufs Gleiche hinausläuft. Solange also niemand herausfindet, wer der Mann in meinem Zimmer war, kann ich gut damit leben, dass mein unverdienter Ruf schon wieder einen Flecken mehr abbekommt.“

Sie ging ins Bad, warf ihm seine Sachen zu und schloss hinter sich ab. Ohne abzuwarten, ob er wirklich ging, stellte sie sich unter die heiße Dusche und spülte ihre Sünden und ihre Scham von sich ab. Hauptsache, er zog sich so schnell wie möglich an und verließ ihr Zimmer – bevor sie etwas Dummes tat wie sich in seine Arme zu werfen und sich die Augen auszuheulen.

Aber zwanzig Minuten später, als sie wie eine Schönheitskönigin auf dem Laufsteg in den Speisesaal segelte, als wäre ihr ganzes Leben eitel Sonnenschein, wurde ihr klar, dass sie die Beobachtungsgabe ihrer Freunde ernsthaft unterschätzt hatte.

Nachdem Drew am Büfett seinen Teller mit Omelett, Würstchen und vier Buttermilchpfannkuchen beladen hatte, versuchte er, sich neben Kylie zu setzen. Es sollte schließlich nicht so aussehen, als ginge er ihr aus dem Weg – und außerdem mochte er ihre Gesellschaft. Aber Matt Cooper, sein bester Freund und der Bräutigam, zog ihn zum anderen Ende des Tisches.

„Du bist wohl letzte Nacht verloren gegangen“, sagte Cooper. „Nachdem wir die Bar verlassen hatten, konnten wir dich nicht mehr finden.“

„Hmm“, machte Drew kauend. Er wollte niemanden anlügen – besonders nicht Cooper, der früher bei der Militärpolizei gewesen und gerade zum Polizeichef von Sugar Falls ernannt worden war. Eine Lüge würde Cooper sofort durchschauen. Außerdem schien er, so wie er grinste, geradezu gespannt darauf zu warten, mehr über Drews möglichen Sündenfall zu erfahren.

„Und die Fluggesellschaft hat wohl deinen Koffer verloren, weil du dasselbe anhast wie gestern Abend?“

Ja, der Polizist in ihm hatte definitiv die Fährte aufgenommen. Auch wenn Drew sich seinem Freund gern anvertraut hätte – er hielt sich an das Versprechen, das er Kylie gegeben hatte. Um einer Antwort aus dem Weg zu gehen, schob er sich schnell ein großes Stück Pfannkuchen in den Mund. Verstohlen blickte er zum anderen Tischende, um zu sehen, wie es seiner frisch gebackenen Ehefrau in der Zwischenzeit erging.

Seine Frau. Das klang seltsam. Nicht erschreckend oder furchtbar, dachte er. Nur seltsam.

Sie saß zwischen der Braut und ihrer Freundin Mia, der anderen Brautjungfer. Aber anders als Drew schob Kylie ihr Frühstück nur auf dem Teller hin und her, während ihre Freundinnen sich über ihren Kopf hinweg angeregt unterhielten.

„Und, bist du aufgeregt wegen der Hochzeit?“, fragte Drew seinen Freund, um das Thema zu wechseln. Aber damit kam er nicht durch.

„Kylie ist ziemlich still heute Morgen“, sagte Cooper. „Das sieht ihr gar nicht ähnlich.“

„Keine Ahnung. Ich kenne deine Freunde ja nicht sehr gut.“

„Wirklich? Ihr beide hattet nämlich gestern Abend einen richtig guten Draht zueinander. Ich hätte schwören können, dass ihr euch danach noch besser kennengelernt habt.“

Drew hörte seinem Freund aufmerksam zu, antwortete aber immer noch nicht. So bekam man immer die besten Informationen. Dummerweise kannte Cooper den Trick auch.

„Okay, na schön“, gab Drew schließlich nach. „Ich kann mich an gestern Nacht nicht besonders gut erinnern und ich war nicht ich selbst. Belassen wir’s dabei, okay?“

Sein Freund lachte laut und klopfte ihm auf die Schulter. „Keine Sorge, heiliger Drew. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Außerdem hättest du es weitaus schlechter treffen können als mit Kylie.“

„Was soll das denn heißen?“

„Das heißt, dass was immer zwischen dir und der besten Freundin meiner Zukünftigen passiert ist, auch wirklich unter euch beiden bleibt. Aber ich werde dich trotzdem damit aufziehen, wann immer ich kann.“

„Ja, das weiß ich. Aber was meinst du mit ich hätte es schlechter treffen können als mit Kylie? Wie gesagt, ich weiß fast nichts über sie.“

„Kylie ist ein guter Mensch.“ Von Cooper, der jedem gegenüber erst einmal misstrauisch war, war das ein großes Kompliment. „Sie ist unglaublich schlau und sagt immer, was sie denkt. Sie ist sehr loyal und verteidigt ihre Lieben gegen alles und jeden. Sie zieht sich ein bisschen übertrieben an und geht gern jede Woche mit einem anderen aus, aber Maxine sagt, sie macht das nur, weil sie als einziges Mädchen in einem Männerhaushalt aufgewachsen ist und gern ihre Weiblichkeit zeigt. Sie ist ein Hitzkopf, aber sie hat ein Herz aus Gold.“

Nachdenklich trank Drew seinen Orangensaft und versuchte, nicht wieder zu Kylie hinüberzuschauen. Coopers Einschätzung stimmte so ziemlich mit dem ersten Eindruck überein, den er gestern von Kylie gehabt hatte. Jedenfalls soweit er sich erinnern konnte.

„Und so, wie sie ganz brav dasitzt und versucht, nicht zu dir herüberzuschauen – genau wie du dasselbe versuchst –, würde ich wetten, dass auf jeden Fall was Gutes zwischen euch gelaufen ist.“

„Und ich würde sagen, du solltest heute lieber um das Kasino einen großen Bogen machen. Beim Wetten liegst du nämlich ziemlich daneben.“

Wieder lachte Cooper, was diesmal die Blicke der anderen zwanzig Gäste am Tisch auf sie zog.

Drew nutzte die ungewollte Aufmerksamkeit für sich und verkündete: „Ich muss leider nach dem Essen sofort los, weil ich meine Neffen in Boise abhole. Ich sehe euch dann alle in ein paar Tagen in Sugar Falls zum großen Ereignis.“

Dann entschuldigte er sich und ging den Tisch entlang, um sich von allen zu verabschieden, bis er schließlich zu der Person kam, mit der er am dringendsten sprechen wollte.

„Die Damen“, begann er, womit er sowohl Kylie als auch ihre Freundinnen ansprach. Doch Kylie hielt den Kopf gesenkt und wich seinem Blick aus. Sie hatte irgendwoher Eiscreme bekommen und schaufelte sie so schnell in sich hinein, als würde sie sonst sofort schmelzen. Wie kam er jetzt nur an ihre Telefonnummer? Sie hatten noch viel zu besprechen.

„Drew“, sagte Maxine Walker und blickte zwischen ihm und ihrer rothaarigen Freundin hin und her. „Wir sollten uns treffen, sobald du in Sugar Falls ankommst. Cooper hat mir erzählt, dass du deine Neffen mitbringst und den Sommer über im Blockhaus wohnst.“

„Was?“ Kylie ließ klirrend den Löffel fallen. „Du ziehst nach Sugar Falls?“

Ihr Blick wirkte misstrauisch. Offenbar gefiel ihr die Neuigkeit nicht.

„Das war der Plan.“ Er würde diesen Plan auch nicht ändern, ganz gleich, was letzte Nacht passiert war oder auch nicht passiert war.

„Drew stammt ursprünglich aus Boise“, erklärte Maxine. „Er kommt gerade aus einem Einsatz zurück und wird jetzt die Abteilung für Posttraumatische Belastungsstörungen im Shadowview Militärkrankenhaus übernehmen.“

„Aber Shadowview liegt doch näher bei Boise als bei Sugar Falls.“ Was meinte Kylie damit? Dass es ihr lieber wäre, er würde eine Stunde weit weg wohnen, damit sie nicht daran erinnert wurde, was sie getan hatten?

„Also ehrlich“, warf Mia ruhig und vernünftig ein. „Vom Blockhaus bis zum Krankenhaus fährt man gerade mal dreißig Minuten.“

„Welches Blockhaus denn?“, fragte Kylie.

„Das am Sweetwater Bend. Cooper hat da gewohnt, als er in die Stadt gezogen ist, weißt du noch?“

Drew stand unbehaglich daneben, als Kylies Freundin ihr erzählte, was Kylie letzte Nacht von ihm hätte erfahren sollen. „Es gehört Drews Familie, und er wird dort mit seinen Neffen wohnen und sich um sie kümmern, während sein Bruder auf einem Einsatz ist.“

„Ach so, Das wusste ich nicht.“ Noch immer wich Kylie seinem Blick aus und Drew beschloss, die Situation unter Kontrolle zu bekommen, bevor alle darauf kamen, warum sie sich in seiner Gegenwart so unwohl fühlte.

„Kylie, ich wollte mit dir noch über die Trauungsprobe sprechen, bevor ich fahre. Würden die Damen uns für einen Augenblick entschuldigen?“

Er streckte ihr die Hand hin und ließ ihr damit keine Wahl, als mit ihm den Tisch zu verlassen.

Eigentlich hasste er es, sie zu etwas zu drängen, zumal sie sich vorher bei dem Zwischenfall mit Cessy Walker heldenhaft vor ihn gestellt hatte. Aber jetzt konnte er sich nicht einfach zurücklehnen und sie die Suppe selbst auslöffeln lassen. Er wollte wenigstens helfen.

Sie wirkte in ihrem trägerlosen blumenbedruckten Sommerkleid genauso stolz wie heute Morgen, ins Bettlaken eingewickelt. Aber diesmal war sie fast auf Augenhöhe mit ihm. Er blickte auf ihre zwölf Zentimeter hohen Keilabsätze und fand, dass er es mochte, wie groß sie war – auch wenn sie gerade gute Lust zu haben schien, ihm ins Gesicht zu springen.

„Du hast nie was davon gesagt, dass du nach Sugar Falls ziehst“, bemerkte sie anklagend.

„Ich wusste ja nicht, dass ich deine Erlaubnis dafür brauche.“ Er versuchte, gelassen zu klingen.

Er hatte sie in die Spielhalle mit den Automaten geführt, und sie waren weit weg von den neugierigen Augen und Ohren ihrer Bekannten im Speisesaal. Wenn sie eine Szene machte, würde es also niemand mitbekommen. Aber indem er völlig ruhig blieb, würde er das hoffentlich verhindern.

„Natürlich brauchst du meine Erlaubnis nicht. Aber verstehst du nicht, wie peinlich es erst wird, wenn wir in derselben Stadt wohnen?“

„Nicht wenn wir es nicht dazu kommen lassen.“

„Du kannst vielleicht supercool tun, aber ich kann nicht rumlaufen und so tun, als wäre das …“, sie hob ihren Ringfinger, „… nie passiert.“ Offenbar war es ihr nicht gelungen, den Ring abzustreifen, aber sie hatte ihn mit einem großen rubinbesetzten Ring verdeckt, den sie darüber trug. Er hatte in der Dusche so viel Seife benutzt, dass sein Ring fast in den Abfluss geflutscht wäre. Er griff in seine linke Tasche – wie er es während des Frühstücks schon mehrere Male getan hatte –, um sich zu versichern, dass sein Ehering noch da war.

Als er das glatte, warme Metall an seinen Finger spürte und dabei ihre nackten Schultern betrachtete, wurde ihm überdeutlich, dass er alles andere als supercool war. Im Gegenteil, ihm war fast so heiß wie heute Morgen, als sie genauso kampfeslustig vor ihm gestanden hatte, wutentbrannt und mit wogenden Brüsten, die ihren provokativen Spitzen-BH fast sprengten.

„Ich glaube, ich habe mich falsch ausgedrückt.“ Er sprach langsam und hoffte, damit auch ihren Pulsschlag zu beruhigen. „Wir wissen ja noch gar nicht, was in der Zukunft auf uns zukommt, und es würde wahrscheinlich helfen, wenn wir uns wie Freunde benehmen.“

„Wie kannst du nur immer so vernünftig sein?“ Es klang wie eine Anklage. Erwartete sie darauf wirklich eine Antwort?

Sie stieß frustriert den Atem aus und stellte dann eine logischere Frage. „Also willst du mit zwei Kindern in dem Blockhaus wohnen?“

„Ja.“

„Aber nur den Sommer über?“

„Richtig. Und damit haben wir genug Zeit, uns zu überlegen, was wir wegen … Na ja, wegen allem eben machen“, sagte er und blickte auf ihren Bauch. „In der Zwischenzeit hätte ich gern deine Telefonnummer, damit ich …“

„Warum gibst du mir nicht deine?“, unterbrach sie ihn. „Ich gebe meine Privatnummer niemals Fremden. Ich lass es dich wissen, wenn es was Neues gibt.“

Wow. Das hatte gesessen. Außerdem schien sie zu denken, dass seine Meinung, was als Nächstes passieren sollte, nicht zählte. Er mochte es nicht, keine Kontrolle zu haben. Natürlich konnte er sie finden, wenn er wollte, schließlich hatten sie denselben Freundeskreis. Und Sugar Falls war nicht gerade eine Großstadt.

„Okay, dann suche ich eben ein Blatt Papier und schreibe sie dir auf.“

„Nicht nötig. Ich kann mir Zahlen gut merken.“

Er sagte die Nummer, und sie wiederholte sie ohne Zögern aus dem Gedächtnis. Beeindruckend. Wenn sie sich nur auch so gut daran erinnern könnte, was letzte Nacht passiert war …

Den ganzen Flug von Reno nach Boise über hatte Drew an Kylie denken müssen. Er hatte vom Flughafen aus ein Taxi zum Haus seiner Eltern genommen, wo er ein oder zwei Nächte bleiben wollte, damit die Kinder sich wieder an ihn gewöhnen konnten, bevor sie in die Sommerfrische zogen.

Er und Luke hatten sich als Kinder extrem nahegestanden und waren sogar zusammen zur Navy gegangen, als sie achtzehn waren. Dann jedoch hatten sie unterschiedliche Karrierewege eingeschlagen und sahen sich wegen ihrer verschiedenen Einsätze nur noch sehr selten. Daraus folgte, dass Drew seine Neffen noch seltener zu Gesicht bekam.

Wenn Luke auf einem Einsatz war, wohnten die achtjährigen Zwillinge bei ihren Großeltern oder ihrer Tante, Lukes und Drews jüngerer Schwester. Diesen Sommer aber nahm Hannah an einem Austauschprogramm für Lehrer teil, und Drews Eltern wurden langsam ein bisschen zu alt, um mit den beiden sehr lebhaften Kindern klarzukommen. Außerdem war jetzt Drew mal damit dran, was für die Familie zu tun. Als er allerdings im Haus seines Bruders angekommen war, fragte er sich nach zwanzig Minuten angesichts der wilden und lauten Kinder, ob er wirklich für so viel Chaos geschaffen war.

„Onkel Drew!“, rief Aiden, auf der Sofalehne balancierend, „du siehst genauso aus wie Dad, nur mit Haaren!“

„Und du siehst genauso aus wie Caden, nur mit Marmelade im Gesicht. Und jetzt runter von da oben.“

...

Autor

Karen Rose Smith
Karen Rose Smith wurde in Pennsylvania, USA geboren. Sie war ein Einzelkind und lebte mit ihren Eltern, dem Großvater und einer Tante zusammen, bis sie fünf Jahre alt war. Mit fünf zog sie mit ihren Eltern in das selbstgebaute Haus „nebenan“. Da ihr Vater aus einer zehnköpfigen und ihre Mutter...
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Leanne Banks
<p>Mit mehr als 20 geschriebenen Romanen, ist Leanne dafür geschätzt Geschichten mit starken Emotionen, Charakteren mit denen sich jeder identifizieren kann, einem Schuss heißer Sinnlichkeit und einem Happy End, welches nach dem Lesen noch nachklingt zu erzählen. Sie ist die Abnehmerin der Romantic Times Magazine’s Awards in Serie. Sinnlichkeit, Liebe...
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