Bianca Exklusiv Band 384

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  • Erscheinungstag 01.02.2025
  • Bandnummer 384
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531115
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Joanna Sims

1. KAPITEL

Clint McAllister kannte das Geräusch – unverkennbar das Klicken eines Revolvers. Er hatte sich am Vorabend seinen üblichen Tequila gegönnt und war mit einem anständigen Kater erwacht. Noch halb benommen von dem dumpfen Kopfschmerz, war er zum Rand des Waldes geschlurft. Wenn er etwas erwartet hatte, dann nicht, barfuß und mit offenem Hosenlatz überrascht zu werden. Ohne seinen Revolver. Das war nun wirklich das Letzte!

„Hände hoch und langsam herumdrehen!“ Taylor Brand hielt die Waffe, wie sie es im Training gelernt hatte. Wie bei allem im Leben hatte sie hart daran gearbeitet, dort als Beste abzuschneiden.

„Nur mit der Ruhe …“ Der Cowboy hob die linke Hand, während seine Rechte zum Reißverschluss seiner Hose ging.

„Die Hände so, dass ich sie sehen kann!“, befahl Taylor. „Umdrehen – sofort!“

Der Fremde hob kurz die rechte Hand. „Hören Sie, ich muss meine Hose schließen, bevor ich mich herumdrehe – es sei denn, Sie wollen eine Show der besonderen Art. Okay?“

„Beeilen Sie sich“, herrschte Taylor ihn an. „Dann drehen Sie sich um!“

Der Mann schloss die Hose, nahm die Hände hoch und drehte sich langsam herum. Sein Gürtel hing noch herab, die Knöpfe des Hemds waren offen.

„Wieso folgen Sie mir?“ Taylor hielt die Waffe auf die Brust des Mannes gerichtet.

„Befehl vom Boss.“ Der Mann ließ den Blick nicht von der Waffe. „Ihr Onkel hat mich gebeten, Ihnen zu folgen und dafür zu sorgen, dass Ihnen nichts passiert. Nichts anderes mache ich.“

Taylor musterte den Cowboy abschätzend. Sie war jetzt einen Tag unterwegs Richtung Continental Divide Trail, dem fünftausend Kilometer langen Wanderweg, der die nordamerikanische Wasserscheide von Mexiko bis Kanada entlangführte. Sie mochte über die Jahre vieles vom Leben in der Natur vergessen haben, aber beruflich war sie durch die ganze Welt gereist und hatte ein feines Sensorium für Gefahr entwickelt.

Als sie sicher gewesen war, dass jemand ihr folgte, hatte sie bis zum ersten Licht des Morgens gewartet und sich dem Mann in einem großen Bogen von hinten genähert. Die leere Flasche, die sie bei seinen Sachen gesehen hatte, erklärte vielleicht, wieso es so leicht gewesen war, ihn zu überrumpeln – er war ein Trinker.

„Sie arbeiten auf Bent Tree?“

Der Cowboy knurrte eine Bestätigung. Jetzt, da sie ihn sich genauer ansehen konnte, kam er ihr irgendwie bekannt vor. Sie erinnerte sich an einen Mann, der ihr an ihrem ersten Tag auf der Ranch ihres Onkels grüßend zugenickt hatte – das Hemd schweißgetränkt, einen schwarzen Stetson auf dem Kopf und schlammverkrustete Stiefel an den Füßen. Aber nur, weil sie sich an ihn erinnerte, bedeutete das nicht, dass er im Auftrag ihres Onkels hier war. Onkel Hank hatte kein Wort davon gesagt, bevor sie sich auf den Weg gemacht hatte.

„Ich nehme jetzt die Arme runter, Lady. Verstanden?“ Er schien zu glauben, Herr der Lage zu sein.

Das kragenlange dunkle Haar des Mannes war noch vom Schlaf zerzaust. Er schien sich seit einigen Tagen nicht mehr rasiert zu haben. Arme und Brust wiesen eine Reihe von Tattoos auf. Er war nicht übermäßig groß, wirkte aber durchaus muskulös und kräftig, auch wenn er im Moment eindeutig unter einem Kater litt. Wäre er ihr Angestellter gewesen, sie hätte ihn auf der Stelle entlassen.

„Falls Sie nicht die Absicht haben, mich zu erschießen, sollten Sie die Waffe wegstecken“, knurrte er.

„Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich Sie erschieße oder nicht.“ Die Arroganz des Mannes kam nicht unerwartet – er war ein Cowboy.

Clint hielt sie im Blick, während er sein Hemd zuknöpfte. Von Hanks Nichte derart überrumpelt worden zu sein, hatte ihn augenblicklich nüchtern werden lassen. Er mochte es nicht, wenn man eine Waffe auf ihn richtete.

„Ich bin eine gute Schützin“, beschied sie ihm knapp. „Und jetzt will ich Ihre Hände wieder oben sehen.“

Clint hörte das leichte Beben in ihrer Stimme. Sie wollte sich nichts anmerken lassen, aber sie war nervös. Eine Waffe in den Händen einer nervösen Frau – nicht gut.

„Hören Sie …“ Clint stopfte sich das Hemd in die Hose. „Rufen Sie Ihren Onkel an. Überzeugen Sie ihn, dass Sie mich nicht brauchen, und ehe Sie ‚Gucci‘ sagen können, bin ich verschwunden.“ Er deutete zu seinem Zelt. „Ich gehe jetzt da rüber – falls Sie mich erschießen wollen, dann bitte wie ein Profi. Sollten Sie mich nur verletzen, wird es Ihnen leidtun …“

„Wie heißen Sie?“ Ihre Anspannung war unverkennbar. Sie hatte die Kontrolle über die Situation verloren. Ein Anruf bei ihrem Onkel war der nächste logische Schritt.

„Clint.“ Der Cowboy schob sich den Stetson auf den Kopf. „Clint McAllister.“

Sein schroffer Ton gefiel ihr nicht. Überhaupt war er für ihren Geschmack ein ziemlich grober Klotz.

„Bleiben Sie da stehen, bis ich mit meinem Onkel gesprochen habe“, befahl Taylor, als Clint den Sattel aufnahm und damit zu seinem Pferd hinüberging.

Er schüttelte frustriert den Kopf. Der Tag konnte nur besser werden!

Taylor steckte die Waffe ins Holster. „Onkel Hank!“ Die Verbindung war schlecht. „Hier ist Taylor. Kannst du mich verstehen?“

„Ich verstehe dich …“

„Hör mal, hier ist ein Mann, der sagt, er heiße Clint. Er folgt mir und behauptet, du hättest es ihm angeordnet. Stimmt das, oder soll ich ihn erschießen?“

„Es wäre mir lieber, du ließest ihn am Leben, Taylor“, kam rasch die Antwort. „Er wäre schwer zu ersetzen.“

Taylor sah zu Clint hinüber. Er hatte ihr den Rücken zugekehrt, aber sie wusste, dass er das Gespräch verfolgte.

„Onkel Hank, ich habe dir gesagt, dass ich diese Tour allein machen muss.“

Es war immer ihr Traum gewesen, ein Stück des Continental Divide Trail auf dem Pferd zurückzulegen. Allein.

„Abgelehnt.“ Hank war kein Mann vieler Worte. Er hielt es nicht für nötig, seine Entscheidungen zu erklären.

Taylor senkte die Stimme. „Ich will das nicht, Onkel Hank. So habe ich mir das Ganze nicht vorgestellt.“

„Dein Pech“, knurrte er. „Entweder du akzeptierst Clint, oder du machst auf der Stelle kehrt und kommst wieder nach Hause.“

Taylor brachte etwas mehr Abstand zwischen sich und ihren Cowboy-Bodyguard. „Hat Dad dich angerufen? Ist es das? Falls ja, lass dir sagen …“

„Dein Dad hat mich nicht angerufen – er hat mich schon seit Jahren nicht mehr angerufen, und ich erwarte nicht, dass er jetzt damit anfängt.“

Hank war der ältere Bruder ihres Vaters. Nach dem Tod ihres Großvaters war es über dessen letzten Willen zu einem Streit in der Familie gekommen, der nun schon seit Jahren anhielt.

„Onkel Hank!“ Sie klang jetzt wie ein flehendes Kind. „Bitte! Es ist mir wirklich wichtig.“

„Und du bist mir wichtig, Taylor. Ich hätte mich von vornherein nicht auf diese verrückte Idee einlassen sollen. Ich bin jetzt zu Verstand gekommen, und du wirst meine Meinung nicht ändern. Also?“

„Ich muss es machen“, sagte sie ruhig. „Ich kann jetzt nicht kehrtmachen.“

„Wie bitte?“

„Ich kann nicht kehrtmachen“, wiederholte sie lauter.

Nicht, nachdem sie schon so weit gekommen war: weiter, als es je irgendjemand für möglich gehalten hätte – sie selbst eingeschlossen.

„Es ist besser so“, versicherte ihr Onkel ihr.

Sie wusste, wann sie sich geschlagen geben musste.

„Und Taylor?“

„Ja?“ Sie machte kein Hehl aus ihrer Enttäuschung.

„Clint kennt den Divide wie seine Westentasche. Ich vertraue ihm.“

Clint musste die Details der Unterhaltung nicht verstehen, um zu begreifen, dass das Gespräch nicht so lief, wie Taylor es sich erhofft hatte. Ihre Körpersprache – angespannte Schultern und ein gesenkter Kopf – sagte alles. Das hieß, dass es dabei blieb: Er musste den Babysitter spielen für eine Frau, die aussah, als würde sie eher in ein Wellnesshotel gehören als auf den Rücken eines Pferdes in der Einöde. Er verstand sie nicht. Und er mochte nichts, was er nicht verstand.

„Alles geklärt?“ Clint warf den Sattel auf sein stämmiges hellbraunes Quarter Horse.

„Sieht so aus, als hätten wir einander am Hals.“ Taylor schlug eine Fliege fort. „Ich weiß nicht, was in meinen Onkel gefahren ist … Ich brauche keinen Babysitter.“

Clint zurrte den Sattelgurt fest. „Und ich bin kein Babysitter.“

Ihr war klar: Ihm lag ebenso wenig an dieser Situation wie ihr. Sie saßen beide im selben Boot. Aber so abgerissen, wie er aussah, ließ er sich vielleicht überzeugen …

„Sie könnten hier auf mich warten. Niemand müsste es erfahren“, schlug sie vor. Als sie seine Aufmerksamkeit hatte, setzte sie hinzu: „Ich könnte Sie dafür bezahlen.“

Der Cowboy angelte nach einer Packung filterloser Zigaretten in seiner Hemdtasche und schüttelte eine heraus. „Nicht mit mir, Lady.“

Er brauchte den Job. Er versuchte, sich aus einem tiefen finanziellen Loch zu befreien. Und er hatte nicht die Absicht, die Hand, die ihn fütterte, zu beißen. Er war Hank Brand verpflichtet. Wenn er Taylors Geld nahm, mochte das kurzfristig ein Gewinn sein, aber langfristig hatte es mit Sicherheit negative Folgen.

Bevor er sich die Zigarette zwischen die Lippen schob, um sie anzuzünden, kam er mit einem eigenen Vorschlag: „Sie könnten nach Bent Tree zurückreiten und uns das alles hier ersparen.“

„Ausgeschlossen.“ Taylor hatte nicht die Absicht, ihren Plan aufzugeben. Ihr Onkel und dieser Cowboy hatten gut reden. Sie konnten nicht ahnen, was sie alles aufgegeben hatte, um endlich hier zu sein. Für sie war dieser Ritt auf dem Divide wichtig. Ganz außerordentlich wichtig sogar.

Clint sog an seiner Zigarette. Als er sprach, kam weißer Rauch aus Mund und Nase. „Dann müssen wir wohl unseren Frieden mit der Situation machen.“

Sie spürte Tränen von Frust und Zorn in sich aufsteigen. Das war typisch für sie. Sie weinte nicht, wenn sie traurig war, sondern wenn sie wütend wurde. Sie hasste Clint dafür, dass er nicht bestechlich war. Energisch schluckte sie die Tränen hinunter – das brachte sie nun wirklich nicht weiter. Im Moment brauchte sie ihre ganze Energie, um noch einen Tag im Sattel durchzustehen.

„Ich bleibe auf Abstand.“ Clint drückte seine Zigarette aus und warf sie auf die kalte Feuerstelle. „Mehr kann ich nicht tun.“

Taylor war viele Jahre lang die stellvertretende Leiterin einer großen Bank gewesen. Sie wusste, wann eine Verhandlung am Ende war. Sie hatte dem Cowboy nichts mehr zu sagen. Wortlos ging sie zurück auf die Kuppe des Hügels, wo sie die Nacht verbracht hatte, um ihr Lager abzubrechen. Sie durfte keine Zeit mehr verlieren.

Ihr Onkel hatte ihr eine kleine Stute mit dem Namen Honey zur Verfügung gestellt und seinen erfahrenen Packesel Easy-Does-It. Sie brauchte nicht lange, um alles zu verstauen.

Bevor sie von Chicago nach Montana aufgebrochen war, hatte sie die Möbel in ihrem Wohnzimmer beiseitegeräumt, um dort ein kleines Übungscamp aufzubauen. Die Handbücher, die zu ihrer neuen Campingausrüstung gehörten, hatte sie mehrfach gelesen und sogar einige Wochen im Zelt geschlafen, um sich an die harte Bettstatt zu gewöhnen. Diese Vorbereitungen machten sich jetzt bezahlt – sie konnte ihr Lager zügig auf- und wieder abbauen. Ihr Onkel selbst hatte ihr gezeigt, wie sie den Esel am besten belud, und er hatte ihr auch wieder in Erinnerung gerufen, wie man das Pferd am besten aufzäumte. Alles in allem war sie sehr zufrieden mit sich.

Im Grunde gab es nur ein einziges Problem, allerdings ein großes: auf das Pferd hinaufzukommen. Sie war relativ klein, und sie war nicht mehr so gelenkig wie in ihrer frühen Jugend. Es war schon schwer genug, den Fuß in den Steigbügel zu bekommen, aber das war noch das kleinere Übel: Wenn sie es so weit geschafft hatte, war es ihr so gut wie unmöglich, ihren Körper gegen den Sog der Schwerkraft nach oben zu hieven. Sie konnte nur in den Sattel gelangen, wenn sie etwas fand, worauf sie sich stellen konnte – einen Baumstumpf, einen Stein oder Ähnliches –, und nicht einmal das war eine Garantie. Sie wusste, sie musste diese Schwäche irgendwie in den Griff bekommen, denn sollte sie einmal keine passende Steighilfe finden, musste sie zu Fuß gehen. Keine verlockende Aussicht.

Sie führte Honey zu dem gefallenen Baumstamm, der ihr am Vorabend als mögliche Steighilfe aufgefallen war. Sie zurrte den Sattelgurt fest und ließ den Steigbügel noch ein Stück herunter. Honey war ein trittsicheres Pferd, keine Frage, aber sie war schrecklich zu besteigen. Die Stute tänzelte seitwärts vom Baumstamm fort, gerade als es Taylor gelungen war, ihren Fuß in den Steigbügel zu bekommen.

„Brrr!“ Sie versuchte, das Pferd zurückzuziehen, während ihr Stand immer unsicherer wurde. Verzweifelt versuchte sie, einen verdrehten Spagat zu verhindern, indem sie ihren Fuß aus dem Steigbügel befreite.

„Brrr, Honey!“ Taylor konnte ihren Sturz in letzter Sekunde verhindern. Das war knapp gewesen! Und nicht ungefährlich. Die Muskeln an den Innenseiten ihrer Schenkel schmerzten noch vom Ritt des vergangenen Tages, und der fehlgeschlagene Versuch, in den Sattel zu kommen, hatte insbesondere die rechte Seite schmerzhaft überspannt.

Taylor rieb sich die Innenseite ihres Schenkels. Auch ihre linke Hüfte schmerzte. Honey stand jetzt ein paar Meter entfernt, wie angewurzelt.

„So von Frau zu Frau, Honey“, stöhnte Taylor. „Mach’s mir nicht so schwer, okay?“

Sie führte die Stute in einem Halbkreis, bis sie wieder längs am Baumstamm stand. Nach drei weiteren – vergeblichen – Versuchen, in den Sattel zu gelangen, war sie geneigt, einfach zu Fuß zu gehen, bis sie einen besseren Platz zum Aufsteigen fand. In dem Moment kam Clint auf die Lichtung geritten. Er schien sie beobachtet zu haben, denn er sprang ab und stellte sich schweigend an Honeys rechte Seite, damit sie nicht länger zur Seite tänzeln konnte.

Als Taylor im Sattel saß, kontrollierte er den Gurt und die Länge der Steigbügel. Anschließend holte er den Esel und übergab ihr die Leine.

Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Sie sah, dass seine Augen so blau waren wie der Himmel über Montana. Er wandte sich sofort ab, schwang sich in den Sattel und verschwand zwischen den Bäumen.

Sie gab es nur ungern zu, sehr ungern: Clint hatte soeben bewiesen, wie sinnvoll seine Anwesenheit für sie war. Sie hatte sich nicht für seine Hilfe bedankt, und er hatte keinen Dank erwartet. Er hatte getan, wofür ihr Onkel ihn bezahlte – er hatte sich um sie gekümmert. Und dann war er wie versprochen wieder im Hintergrund verschwunden.

Mit einem Druck der Schenkel und einem Schnalzen der Zunge setzte Taylor ihre Tiere in Bewegung, immer weiter in Richtung des Continental Divide. Im Moment befand sie sich noch auf dem Land ihres Onkels. Bent Tree war Hunderte von Hektar groß. Sie musste noch einen letzten Lagerplatz aufsuchen, der schon seit Generationen von den Brands genutzt wurde, dann hatte sie endlich den Divide erreicht. Ob es ein so erhebender Moment sein würde, wie sie es sich seit Teenagertagen erträumte?

Es ließ sich nicht leugnen: Den ganzen Tag im Sattel zu sitzen, war in Taylors Vorstellung weitaus leichter und vor allem romantischer gewesen als in Wirklichkeit. Mit zwanzig hatte sie das letzte Mal auf einem Pferd gesessen. Jetzt ging sie auf die vierzig zu, und ihr Körper war nicht mehr so geschmeidig wie früher. Jeder einzelne Muskel schmerzte. Ihre Schenkel, ihre Hüften, ihr Rücken – einfach alles.

Sie setzte jeden ihr bekannten psychologischen Trick ein, um die Gedanken an die Schmerzen zu verdrängen und sich bis zum Lagerplatz im Sattel zu halten. Verzweifelt klammerte sie sich am Sattelknauf fest, als Honey einen steilen Hügel hinaufgaloppierte, den sie offensichtlich gut kannte.

Das mit Gras bewachsene Plateau, das sie schließlich erreichten, war der ideale Lagerplatz. Zutiefst dankbar, ihr Tagesziel erreicht zu haben, ließ Taylor sich aus dem Sattel gleiten. Sie verzog das Gesicht. Über der alten Blase an ihrer rechten Ferse hatte sich noch eine weitere Blase gebildet. Aber das sollte ihr im Moment einerlei sein. Sie hatte ihr Ziel erreicht! Sie hatte es geschafft!

Humpelnd lud sie den Esel ab und band die Tiere fest, bevor sie sich auf die Suche nach Clint machte. Es war albern, weiter so zu tun, als sei sie allein. Sie hatte es den ganzen Tag über versucht, aber es hatte nicht funktioniert. Das So-tun-als-ob war noch nie ihre Sache gewesen.

„Was ist?“ Clint war überrascht und sichtlich nicht erfreut, sie kommen zu sehen. Rasch verschloss er die Flasche, die er gerade in der Hand hatte, und schob sie zurück in die Satteltasche.

„Wir können unser Lager auch zusammen aufschlagen.“

Clint hatte sein Pferd noch nicht abgesattelt und sich noch nicht für die Nacht eingerichtet. „Das also wollen Sie?“

Sie wollte es nicht, aber es war einfach praktischer. Und sie war schon immer eine praktisch denkende Frau gewesen.

„Von hier dürfte es Ihnen schwerfallen, den Babysitter für mich zu spielen.“

Clint nickte nur, nahm sein Pferd beim Zügel und ging neben Taylor her. Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich. Taylor fühlte sich unwohl dabei – und wenn sie sich unwohl fühlte, redete sie. Es war eine dumme Angewohnheit, die sie nie hatte ablegen können, ganz gleich, wie oft ihr Exmann sich darüber beklagt hatte.

„Sie haben wirklich Pech gehabt, diesen Job aufs Auge gedrückt bekommen zu haben.“

Keine Antwort.

„Meine ganze Familie ist überzeugt, dass ich einen Dachschaden habe.“

„Und? Stimmt es?“

Taylor atmete schwer. Vor gut einem Jahr hatte sie den Mitgliedsausweis des Fitnessstudios mehr oder weniger eingetauscht gegen eine Stammkundenkarte bei ihrem Bäcker. Sie hatte etliche Kilos zugelegt, und ihr Blutdruck war so niedrig wie noch nie. Entweder brachte diese Aktion sie um, oder sie half ihr, diese tödliche Routine zu durchbrechen.

Sie sah an Clints Blick, dass er wirklich eine Antwort erwartete. Er wollte wissen, ob er es mit einer Wahnsinnigen zu tun hatte oder nicht.

Vielleicht war es nicht klug, offen mit ihm zu sein, aber sie war es leid, immer etwas vorzugeben, was sie nicht war. Das hatte sie in ihrer Ehe zur Genüge getan – hatte ihre wahren Bedürfnisse immer verborgen, um die perfekte Ehefrau zu spielen. Also sagte sie Clint die Wahrheit.

„Ich weiß es nicht.“ Sie runzelte nachdenklich die Stirn. „Vielleicht bin ich tatsächlich verrückt.“

2. KAPITEL

Es war merkwürdig. Sie waren Fremde füreinander, aber sie gaben ein gutes Team ab. Clint suchte sich einen Platz auf der einen Seite der Feuerstelle, während sie ihr Zelt auf der anderen Seite aufschlug.

Während sie arbeitete, warf sie immer wieder verstohlen einen Blick zu ihrem Cowboy-Bodyguard hinüber. Er war so ganz anders als die Männer, mit denen sie bislang zu tun gehabt hatte. Er wirkte wie ein Mann, der nicht nur ein Mal im Leben harte Zeiten gesehen hatte. Die Jahre hatten ihre Spuren in sein Gesicht gegraben, auch um seine tief liegenden Augen. Alles an dem Mann schien bessere Tage gesehen zu haben – angefangen von den geflickten Lederstiefeln bis hin zu dem Stetson, der einmal schwarz gewesen sein mochte, inzwischen aber von der Sonne zu einem dunklen Grau verblichen war.

Clint begab sich auf die Suche nach Kleinholz, um Feuer zu machen. Als er zurückkehrte, hatte sie die Tiere versorgt und ihr Zelt aufgeschlagen. Er ließ das Holz auf die Feuerstelle fallen und ging auf die Knie. Taylor sah, wie er das Gesicht verzog. Ihr war schon aufgefallen, dass seine Beine merkwürdig steif waren beim Gehen. Es erinnerte sie an den Gang ihres Großvaters, bevor er sich einer Knieoperation unterzogen hatte.

„Ich muss mich mal hinlegen.“ Jetzt, wo alles getan war, kehrte das Bewusstsein für ihren schmerzenden Körper zurück, gepaart mit einer bleiernen Müdigkeit.

Clint nickte kurz, um ihr zu zeigen, dass er sie gehört hatte. Der Mann war ein großer Schweiger, und er schien entschlossen, ihr aus dem Weg zu gehen. Das wusste sie zu schätzen. Wenn sie schon Gesellschaft ertragen musste auf diesem Selbstfindungstrip, dann zumindest stille Gesellschaft.

Taylor verschwand in ihr kleines Zelt und streckte sich aus. Sie stöhnte, lang gezogen und tief. Falls es eine Stelle an ihrem Körper gab, die ihr nicht wehtat, hatte sie sie noch nicht entdeckt. Unter Aufbietung aller Willenskraft setzte sie sich auf und griff nach ihrem Stiefel. Sie hatte während der vergangenen sechs Monate ein ziemliches Bäuchlein entwickelt, das es ihr jetzt schwer machte, ihren Fuß zu erreichen.

Ihre Finger waren steif davon, den ganzen Tag die Zügel zu halten. Taylor schloss die Augen und biss die Zähne zusammen, während sie den Stiefel langsam von ihrem Fuß löste.

„Ahhhh!“ Sie warf ihn aufatmend beiseite. Sogar eine simple Aufgabe wie das Ausziehen der Stiefel wurde ihr durch die zusätzlichen Pfunde erschwert. „Meine Güte, wie kann man so die Form verlieren“, murmelte sie vor sich hin, während sie am zweiten Stiefel zerrte.

Sie warf die Stiefel aus dem Zelt und zog die schweißdurchtränkten Socken aus. Die Socken rochen unangenehm, genau wie ihre Füße. Die Blase bedeckte jetzt ihre ganze rechte Ferse. Taylor zog die Nase kraus, während sie sie betastete. Wieso war das dämliche Ding noch nicht geplatzt?

Seufzend streifte sie ihre Jeans ab, ließ T-Shirt und BH folgen und zog sich ein frisches T-Shirt über, das ihr bis fast an die Schenkel reichte. Sie schob sich in den Schlafsack und legte ihre Schlafmaske an. Dann seufzte sie wie eine Frau, die nach einem langen Tag der Pein endlich eine halbwegs bequeme Lage gefunden hatte. Sie kroch tiefer in den Schlafsack, sodass sie bis unters Kinn zugedeckt war. Seit ihrer Scheidung hatte sie nicht mehr gut geschlafen. Sie hoffte, sich auf diesem Ritt derart auszupowern, dass die Erschöpfung sie einschlafen ließ.

Zuerst war Clint dankbar dafür, Taylor in ihrem Zelt zu wissen, da musste er sich zumindest keine Sorgen um sie machen. Ihm lag nichts an diesem Job. Sein Stiefbruder Brock, der Vorarbeiter auf der Bent Tree Ranch war, hatte ihn ihm vermittelt. Bei den tiefroten Zahlen seines Bankkontos und den Gläubigern, die ihn suchten, hatte Clint letztlich keine Wahl gehabt.

Er machte Feuer und aß etwas von dem Trockenfleisch, das er immer dabeihatte, wenn er längere Zeit unterwegs war. Dazu trank er seinen billigen Tequila und rauchte eine Zigarette, während die Sonne langsam hinter den Bergen versank. Die Abenddämmerung war immer seine liebste Tageszeit gewesen. Es war dann so ruhig. So friedlich. Seit seiner Kindheit hatte es beides in seinem Leben nur selten gegeben. Deswegen genoss er Momente wie diesen – ein flackerndes Feuer, einen vollen Magen und einen Tequila.

Aber hin und wieder fiel sein Blick auf das kleine Zelt auf der anderen Seite des Feuers. Hanks verrückte Nichte war immer noch nicht wiederaufgetaucht. Er konnte nicht behaupten, sich Sorgen um sie zu machen – er ging davon aus, dass sie noch lebte –, aber er machte sich Sorgen, dass es ihm selbst an den Kragen gehen könnte. Brock hatte nie viel übriggehabt für ihn. Als Vorarbeiter der Bent Tree Ranch brauchte er keinen großen Vorwand, um ihn auf die Straße zu setzen. Falls er die Sache mit Taylor in den Sand setzte, hatte er bei Brock nichts mehr zu melden. Nein. Er war jetzt verantwortlich für Taylor. Er musste dafür sorgen, dass sie wieder heil zur Ranch zurückkehrte. Davon hing nicht nur ihr Leben ab, sondern auch sein eigenes.

Es war schon dunkel, als Taylor erwachte. Nachdem sie ihre Schlafmaske abgenommen hatte, brauchte sie einen Moment, um sich zu orientieren. Erst als sie begann, sich zu bewegen, war mit einem Schlag alles wieder da – vor allem die Schmerzen. Stöhnend setzte sie sich auf und stützte den Kopf zwischen die Hände. Sie brauchte eine Weile, bis sie sich einen Ruck geben konnte, um aufzustehen und sich im Schein der Taschenlampe, die unter der Decke des Zelts hing, anzuziehen. Statt ihre schmerzenden Füße wieder in die Stiefel zu quälen, entschied sie sich für hinten offene Sandalen. Ihr Magen knurrte laut, als sie das Zelt öffnete. Sie trat ins Freie. Clint saß an seinen Sattel gelehnt neben dem Feuer.

Clint fühlte so etwas wie Erleichterung, als er Hanks Nichte erblickte. Ihre Blicke trafen sich für einen Moment, ohne dass ein Wort zwischen ihnen fiel. Taylor schnappte sich etwas aus einer ihrer Taschen und verschwand in den Wald.

Seine Anspannung ließ erst nach, als sie kurze Zeit später wiederauftauchte. Erst jetzt wurde ihm wirklich bewusst, wie wichtig ihre Sicherheit für ihn war.

Taylor erwog ihre Möglichkeiten. Sie konnte sich wieder ins Zelt zurückziehen, oder sie konnte sich zum Cowboy setzen. Es schien albern, ihm aus dem Weg zu gehen – sie waren für die nächsten Wochen aneinandergekettet. Sie sollten das Beste daraus machen. Langsam ging sie zum Feuer. Sogar in den Sandalen war jeder Schritt eine Qual. Sie setzte sich und machte die Taschenlampe aus.

Clint hatte sie nicht aus den Augen gelassen. „Sie hinken“, sagte er ruhig.

Sie sind aber scharfsinnig! hätte sie ihn am liebsten angefaucht, entschied sich aber für ein freundlicheres: „Ja, eine Blase. Tut weh.“

Clint erhob sich und schnippte seine Zigarette ins Feuer. Er kam zu ihr herüber und kniete sich neben sie. „Zeigen Sie mal.“

Hastig zog Taylor ihren Fuß beiseite. „Was?“

Ohne viel Federlesens packte Clint ihr Fußgelenk und drehte es so, dass er sich ihre Ferse im Schein des Feuers ansehen konnte.

„Hey!“, protestierte Taylor. „Hey!“

„Halten Sie still“, befahl er und zog ein kleines Messer aus einer Halterung an seinem Gürtel.

Als Taylor die Klinge blitzen sah, entriss sie Clint ihren Fuß und wich zurück. „Denken Sie nicht mal daran!“, fuhr sie ihn an.

Er hatte ihren Fuß berührt. Sie mochte es nicht, wenn irgendjemand ihre Füße anfasste. Deswegen ging sie auch nie zur Pediküre.

„Sie muss aufgestochen werden.“ Clint hielt die Klinge für einen Moment über das Feuer.

„Jeder weiß, dass man eine Blase nicht aufstechen soll.“

„In diesem Fall schon. Sieht ganz so aus, als wäre sie dabei, sich zu entzünden. Wir stechen sie auf und legen sie trocken – ich bin sicher, Sie haben das nötige Verbandszeug dabei in Ihrem Gepäck …“ Er deutete mit dem Kopf in Richtung ihrer Taschen. „Wir tun ein bisschen Alkohol darauf und lassen es über Nacht austrocknen. Dann werden Sie sich morgen wesentlich besser fühlen.“

Der Mann schien zu wissen, wovon er redete. Aus irgendeinem Grund glaubte sie ihm.

„Okay.“ Sie nickte ergeben. „Aber machen Sie bitte schnell.“

„Schon passiert.“ Der Cowboy rieb die Klinge des Messers an seinem Hosenbein ab.

Verblüfft betrachtete Taylor ihren Fuß. „Das hat ja gar nicht wehgetan.“

Sie sagte Clint, wo er ihren Erste-Hilfe-Kasten finden konnte. Der Cowboy ging klinisch und völlig ohne Mitgefühl zu Werke, als er die Wunde mit Alkohol reinigte. Er erwartete, dass sie nicht mit der Wimper zuckte und es ertrug wie eine Frau. Es war eine stumme Herausforderung, die sie annahm. Sie konnte sich gut vorstellen, was der Mann von ihr dachte – eine Frau aus der Stadt, die keine Ahnung hatte, wie sie in der rauen Natur von Montana zurechtkommen sollte. Okay, sie war aus der Stadt und stolz darauf, aber sie würde hier zurechtkommen.

Der Fuß war verarztet, und der Cowboy kehrte auf seine Seite des Feuers zurück. Er begann, auf einer Mundharmonika zu spielen, die er aus seiner Satteltasche gezogen hatte. Clint entlockte dem Instrument nicht einfach nur irgendwelche Töne, er konnte wirklich spielen. Seine langsamen Melodien verwoben sich mit dem Prasseln des Feuers und dem fernen Ruf einer Eule.

Taylor atmete tief durch. Hier so am Feuer zu sitzen, über sich den schwarzen Nachthimmel mit seinen hellen Sternen, ihr gegenüber einen Cowboy, der auf seiner Mundharmonika spielte – das alles gab ihr das Gefühl, wirklich in Montana angekommen zu sein.

Versonnen sah sie ins Feuer. Hin und wieder setzte Clint die Mundharmonika ab, und sie sah aus den Augenwinkeln etwas blitzen. Neugierig blickte sie hinüber. Clint trank rasch einen Schluck aus einer Flasche. Er hatte ihr den Rücken zugewandt, weil er offensichtlich nicht wollte, dass sie sah, was er tat.

„Was ist in der Flasche?“

„Tequila“, sagte er widerstrebend.

„Genug für zwei?“

Das war nicht eben die Reaktion, die er erwartet hatte. Taylor Brand erschien ihm nicht wie eine Frau, die Alkohol direkt aus der Flasche trank, schon gar nicht billigen Tequila. Er legte den Kopf in den Nacken, um sie unter dem Rand seines Stetsons betrachten zu können. Im Lichte des Feuers wurde er zum ersten Mal ihrer natürlichen Schönheit gewahr. Ihre Schönheit war nicht die eines Models, aber sie hatte die Art Gesicht, die ein Mann ein Leben lang ansehen konnte. Und da er ein Mann war, bemerkte er auch die üppigen Kurven ihres Körpers – die gerundeten Hüften, eine schmalere Taille und einladende Brüste. Er mochte Frauen, die nicht so aussahen, als könnte der kleinste Windstoß sie gleich hinwegfegen. Abgesehen von der unverkennbaren Tatsache, dass sie ein Stadtmensch war, war Taylor Brand genau sein Typ Frau.

Clint reichte ihr die Flasche. Als Taylor die Hand danach ausstreckte, sah er einen großen runden Diamanten und einen Ehering an ihrer linken Hand blitzen. Wieso um alles in der Welt trieb eine verheiratete Frau sich allein auf dem Divide herum? Aber auch wenn seine Neugier geweckt war – er hatte schon früh im Leben gelernt, dass es am klügsten war, die Nase nicht in fremde Angelegenheiten zu stecken.

Taylor hielt die Flasche etwas weiter entfernt, dann wieder näher, um das Label lesen zu können. Wenn sie wieder in Chicago war, musste sie unbedingt ihre Sehstärke überprüfen lassen. „Corazon Blanco … Weißes Herz“, las sie laut, ohne etwas mit der Marke anfangen zu können. Ihre Freunde wären entsetzt, könnten sie sie dabei sehen, wie sie direkt aus einer Flasche trank. Aber war das nicht gerade der Sinn dieser ganzen Aktion? Aus den gewohnten Gleisen auszubrechen?

Taylor rieb den Flaschenhals innen und außen mit einem Zipfel ihrer Bluse ab. Dann setzte sie die Flasche an die Lippen und versuchte, die klare Flüssigkeit in ihren Mund fließen zu lassen, ohne das Glas zu berühren. Sie hob die Flasche etwas zu stark an. Ein kräftiger Strahl der klaren Flüssigkeit schoss in ihren Mund und direkt in ihren Hals. Sie begann zu husten. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie winkte Clint mit der Flasche, damit er sie ihr abnahm. Ihre Zunge, ihr Gaumen, ihre Lippen, ihr Hals – alles brannte. Der bittere Geschmack des Tequilas ließ sie würgen. Sie rieb sich mit dem Ärmel über die Augen und musste ein paarmal den Kopf schütteln, bevor sie den Husten wieder in den Griff bekam. „Furchtbar!“, keuchte sie.

Clint lehnte sich zurück und genoss das Schauspiel. Die Frau hatte das Gesicht zu einer Grimasse verzogen und rieb sich die Augen. Tequila war eindeutig nicht ihr Ding. Ihr Kommentar zu seinem Getränk ließ ihn lächeln.

„Es tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein“, entschuldigte Taylor sich schließlich, immer noch ganz heiser. „Aber das Zeug ist wirklich widerlich.“

Clint hielt die Flasche in den Schein des Feuers. Es lohnte nicht, den Rest noch einmal wegzustecken, also leerte er die Flasche in einem Zug, als sei es Wasser. Er trank Tequila schon solange er denken konnte. Sein Vater hatte ihn zum ersten Mal davon probieren lassen, als er neun gewesen war. Damals hatte er im Hals gebrannt. Jetzt brannte er erst, wenn er den Magen erreichte. Dieses Brennen zeigte ihm, dass er noch lebte – ein Gefühl, das er brauchte.

„Ich gebe zu …“, der Cowboy steckte die leere Flasche in die Satteltasche, „… man braucht eine Weile, bis man sich daran gewöhnt hat.“

„Ich weiß nicht, wieso irgendjemand sich daran gewöhnen möchte.“

Clint schwieg und widmete sich wieder seiner Mundharmonika.

„Also …“ Taylor rollte sich auf die Seite und versuchte, so elegant wie möglich auf die Füße zu kommen. „Ich versuche jetzt zu schlafen. Wir sehen uns dann morgen früh …“

Clint wartete, bis sie den Reißverschluss des Zeltes hinter sich geschlossen hatte, bevor er die Mundharmonika gegen eine Zigarette tauschte. Er nahm den Stetson ab, rutschte nach unten und benutzte den Sattel als Kissen. Versonnen betrachtete er die Sterne am nachtschwarzen Himmel. Am nächsten Tag würden sie den Gipfel des Berges erreichen. Er hatte das Gefühl, dass Taylor dann gesehen haben würde, was sie sehen wollte, und dass sie zur Ranch zurückkehren würden. Er hatte nicht genügend Tequila und Zigaretten für eine lange Tour eingepackt. Morgen wollte er tun, was er von Anfang an hätte tun sollen: herausfinden, wie ihre Pläne aussahen. Besser spät als nie. Clint schnippte seine Zigarette ins Feuer, schloss die Augen und bedeckte das Gesicht mit dem Stetson. Taylor war unerfahrener, als er anfangs angenommen hatte. Er hatte das Gefühl, dass sie für manche Überraschung gut sein konnte. Er musste wirklich auf sie achtgeben – und das hieß, er musste etwas nüchterner werden. Verdammtes Pech!

Taylor erwachte von dem Gefühl eines scharfen Steins, der sich in ihre rechte Schulter bohrte. Stöhnend setzte sie sich auf. Wie konnte es sein, dass ihr Körper immer noch überall wehtat? Sollte er sich nicht allmählich an die Strapazen gewöhnen? Sie zwang sich aufzustehen, ohne zu sehr an die Schmerzen zu denken. Vorsichtig betastete sie ihren rechten Fuß. Clint hatte wohl recht gehabt damit, dass die Blase aufgestochen werden musste. Sie schlüpfte in Jeans und Stiefel und rollte ihren Schlafsack auf. Als sie aus dem Zelt kam, kniete Clint schon vor einem kleinen Feuer.

„Ist das Kaffee?“, fragte sie voller Hoffnung. Sie hatte keinen Kaffee eingepackt. Hatte nur das genommen, was ihr absolut lebensnotwendig erschienen war, um das Gepäck leicht zu halten. Wie hatte sie glauben können, Kaffee sei nicht lebensnotwendig?

Clint hatte Kaffee für sie beide gemacht. Sein Becher enthielt zusätzlich einen Schuss Tequila. Ja, er musste sich ans Nüchternsein gewöhnen, aber Rom war schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden. Taylor hielt ihm ihre Aluminiumtasse hin.

„Da ist Kaffeesatz unten drin“, warnte er.

Das war ihr einerlei. Die heiße Flüssigkeit wärmte bereits das Metall der Tasse und strahlte auf ihre kalten Hände aus. Der Duft des starken schwarzen Kaffees stieg ihr in die Nase. Sie versuchte, den bitteren Geschmack zu ignorieren. Noch vor weniger als einem Monat hätte sie die Nase gerümpft über jeden Kaffee, der nicht von feinsten Arabica-Bohnen stammte. Es tat ihr gut zu spüren, dass sie sich änderte, und sei es auch nur ein ganz klein wenig.

Taylor trank noch ein paar kleine Schlucke und genoss es, wie sich ihr Körper allmählich erwärmte. Sie schenkte Clint ein Lächeln. „Danke.“

Nachdem sie einen Müsliriegel gegessen hatte, machte sie sich daran, ihr Zelt einzupacken. Es wäre schneller gegangen, hätte sie die Hilfe des Cowboys angenommen, aber es ging bei dieser Tour ja gerade darum, Selbstvertrauen aufzubauen. Dankbar stellte sie fest, dass Clint sich zurückhielt. Er löschte das Feuer und rauchte dann eine Zigarette, wobei er sich so hinstellte, dass der Wind ihr nicht den Rauch ins Gesicht blies.

Während sie packte, überlegte sie fieberhaft, wie sie auf ihr Pferd kommen sollte. Verstohlen sah sie sich um, aber es war weit und breit nichts zu sehen, was als Steighilfe in Frage gekommen wäre. Vielleicht gelang es ihr an diesem Morgen ja, ohne Hilfe in den Sattel zu kommen. Sie machte Clint ein Zeichen, dass es Zeit war zum Aufbruch. Er schwang sich elegant in den Sattel. Sie nicht. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, ihren Fuß in den Steigbügel zu bekommen, während Honey sich im Kreis bewegte, überraschte es Taylor nicht, Clint an ihrer Seite auftauchen zu sehen.

Ihre widerspenstige Stute wurde lammfromm, sobald Clint da war. Sie verharrte regungslos, während er Taylor mit seinen Händen eine Steighilfe bot. Sie brauchte die Hilfe, also nahm sie sie an. Sie stellte ihren Fuß auf seine Hände und ließ sich von ihm in den Sattel schieben. Als sie sich umdrehte, um ihm zu danken, ging Clint bereits zurück zu seinem Pferd. Zum zweiten Mal schwang er sich in den Sattel und wartete darauf, dass sie die Richtung vorgab.

Sie lenkte ihre Stute auf den schmalen Pfad, der zu dem Ort führte, an dem das Gut ihres Onkels an öffentliches Land stieß. Dort hatte sie endlich ihr Ziel erreicht: den Continental Divide Trail.

3. KAPITEL

Das Licht des Morgens warf einen grauen Schein über die hohen Tannen. Weiße Nebel schwebten über dem Pfad und dämpften die leuchtenden Farben der Wildblumen im Gras. Taylor war wie benommen von der Schönheit der Natur. Und schön war auch der gleichmäßige Schlag der Hufe.

Wieso hatte sie so viele Jahre verstreichen lassen, bis sie hierher gekommen war? Dies war der Friede, den sie vermisst hatte. Würde sie sich je wieder wohlfühlen können in der Hektik der Großstadt? Sie hatte Mühe, es sich vorzustellen.

Am späten Vormittag, als die Sonne auch die letzten Spuren des Morgennebels vertrieben hatte, erreichten sie den Teil des Pfads, der über die Baumlinie führte. Taylor verspürte ein tiefes Glücksgefühl beim Anblick der Berggipfel in der Ferne. Eine Woge der Gefühle brach über sie herein – eine Mischung aus Ehrfurcht und Freude und sogar so etwas wie Trauer darüber, dass Christopher nicht hier war, um diesen Augenblick mit ihr zu teilen. Tränen strömten ihr übers Gesicht, als sie das schwarz-weiße Metallschild erblickte, das sie darauf hinwies, dass sie den Continental Divide Trail erreicht hatte.

„Machst du ein Foto von mir?“, bat Taylor, als Clint sie einholte. Sie war bewegt von diesem vertrauten Augenblick.

Sie stieg ab und reichte ihm ihr Handy. Der Cowboy sah ihre Tränen, stellte aber keine Fragen.

„Bitte mach ein paar mehr, damit eines dabei ist, auf dem ich die Augen offen habe.“ Taylor stellte sich neben das Schild.

Sie beschlossen, eine kleine Pause einzulegen. Die Tiere konnten in kniehohem Gras weiden. Clint rauchte eine Zigarette, während Taylor den Flecken zu Fuß erkundete. Den Divide zu erreichen stand ganz hoch oben auf der Liste der Dinge, die sie sich vorgenommen hatte, aber es war noch nicht der Endpunkt.

Der Pfad fiel steil nach unten ab und führte dann über einen felsigen Abhang zum Ufer eines Sees, der sich aus geschmolzenem Schnee speiste.

„Das ist es.“ Taylors Blick hing an dem See. „Das ist der Ort.“

Sie kehrte um und war überrascht, wie weit sie sich von Clint und den Tieren entfernt hatte. Ihre Wangen glühten vor Freude und Erschöpfung, als sie die Anhöhe wieder erreichte. Es kam ihr vor, als sehe sie eine Szene aus einem Film vor sich. Clint wirkte wie einem alten Western entsprungen mit seinem Stetson, den Stiefeln und dem Holster mit dem Revolver um die Hüften. Der Mann hatte etwas an sich, das ihn wie einer anderen Zeit entsprungen wirken ließ. Er war ein echter Cowboy. Unverfälscht.

„Fertig?“ Der Mann hatte eine Vorliebe für Ein-Wort-Sätze.

Sie nahm die Zügel ihrer Stute auf und nickte. „Vor uns liegt ein See. Das ist mein nächstes Ziel.“

Er fragte nicht nach dem Grund, half ihr nur schweigend in den Sattel, schwang sich auf seinen Hengst und folgte ihr wortlos. Vom Rücken des Pferdes aus schien der Abstieg zum See wesentlich steiler als zuvor.

„Der Rückweg wird schwierig“, bemerkte Clint.

In ihrem Job kannte man sie als Spezialistin für heikle Situationen. Sie begriff, dass Montana nicht viel anders war. Wenn es schwierig wurde, brauchte es eine gute Strategie und Entschlossenheit.

„Das kriegen wir hin.“ Sie ließ sich nicht beirren.

Sie banden die Pferde an einem Platz fest, an dem man sie vom See aus sehen konnte, und machten sich zu Fuß an den Abstieg. Mehrfach verlor Taylor den Boden unter den Füßen, weil sich Steine unter ihr lösten. Einmal musste sie sich mit den Händen festkrallen. Doch der Anblick des Sees mit seinem kristallklaren Wasser entschädigte sie fraglos für kleinere Schürfwunden.

Clint stand ein paar Meter von ihr entfernt. Die dunkle Sonnenbrille verbarg seinen Blick. Unmöglich auszumachen, was er dachte. Taylor stand am Ufer des Sees, schloss die Augen und lauschte dem Wasser, das gegen ihre nagelneuen Stiefel schlug. Lauschte auf ihren eigenen Atem. Lauschte auf das Singen eines Vogels in der Ferne. Lauschte auf ihr Herz. Sie hatte nicht erwartet, dass der Tag je kommen würde. Und nun war er da.

Sie warf einen Blick auf die Ringe an ihrer linken Hand – den Verlobungsring und den dazu passenden Ehering. Christopher hatte ihr einen sehr romantischen Antrag gemacht, als er ihr diesen runden Zwei-Karat-Diamanten geschenkt hatte. Es war alles gewesen, was eine pragmatische und doch romantische Zweiundzwanzigjährige sich von ihrem Heiratsantrag nur erträumen konnte. Er hatte ein Essen in ihrem Lieblingsrestaurant arrangiert und einen Gitarristen bestellt, der ihr eine Serenade darbrachte. Sie tanzten und lachten, und dann ging er auf ein Knie, nahm ihre bebende linke Hand und bat sie, seine Frau zu werden.

Sie konnte es nicht erwarten, dass er ihr den Ring auf den Finger schob. Es war ein sehr großer, in Platin eingefasster Stein – natürlich von Tiffany. Größer, als sie es sich gewünscht hatte und mehr, als sie wollte. Das Zurschaustellen von Erfolg war Christopher immer wichtiger gewesen als ihr. Doch sie wusste, dass ihre Mom, die eigentlich ständig etwas an ihr auszusetzen hatte, – sei es in Fragen der Frisur, sei es in Fragen der Mode –, Christopher voll und ganz akzeptierte. Und ebenso würde es sich mit dem Verlobungsring verhalten.

„Das war’s“, murmelte Taylor zu sich und versuchte, sich die Ringe vom Finger zu ziehen. Aber ihre Hände waren geschwollen, und die Ringe ließen sich nicht bewegen.

Clint wollte Taylor nicht stören. Er mochte manchmal ein gewisses Feingefühl vermissen lassen, aber auch er begriff, dass dies ein besonderer Moment für sie war. Als er sah, dass sie sich vergebens bemühte, die Ringe abzuziehen, beschloss er allerdings einzugreifen. Schließlich ging es auch darum, bald zur Ranch zurückzukehren.

„Halte die Hand ins Wasser“, riet er.

Das war eine gute Idee. Die einfachste Lösung war ihr nicht in den Sinn gekommen. Nachdem sie die Hand ein paar Minuten lang ins eisige Wasser gehalten hatte, ließen sich die Ringe problemlos abziehen.

„Hey!“ Taylor schenkte Clint ein spontanes Lächeln. „Es hat geklappt!“

Clint betrachtete sie fasziniert. Taylors ganzes Gesicht war verändert, wenn sie lächelte. Sie hatte hinreißende Grübchen in den rundlichen Wangen, und das Lächeln lenkte den Blick auf ihre vollen rosigen Lippen. Er tippte als Antwort nur stumm mit zwei Fingern an die Krempe seines Stetsons.

Taylor hatte Christopher bald nach der Schule geheiratet, hatte die Ringe also fast ihr ganzes Erwachsenenleben getragen. Ihr Finger fühlte sich ohne die Ringe nackt an. Sie betrachtete sie ein letztes Mal, bevor sie die Finger über ihrer Handfläche schloss und ausholte wie ein Baseballspieler, um sie so weit wie möglich in den See zu schleudern.

„Hey, halt! Stopp!“ Clint hatte ihr Handgelenk gepackt, um sie aufzuhalten. „Ich bin kein Experte, aber die Ringe sehen aus, als wären sie etwas wert.“

Taylor entwand sich ihm. „Meine Ehe ist vorbei. Die Ringe haben keine Bedeutung mehr für mich.“

„Mag sein, aber ich möchte wetten, es gibt Menschen, die könnten ein oder zwei Jahre vom Erlös leben.“

Verdrossen betrachtete Taylor die ungeliebten Erinnerungen an ihre Vergangenheit. Gut, Clint hatte recht. Die Ringe waren viel wert. Sie war eine verwöhnte Frau, ja, aber sie war nie verschwenderisch gewesen. Wieso sollte sie sie nicht verkaufen und den Erlös stiften? Ihre Entscheidung war gefallen.

Wortlos steckte sie sie in die Tasche.

Ihre Augen trafen sich. „Wir können zurückgehen“, sagte sie.

Statt die Führung zu übernehmen, wie sie erwartet hatte, folgte Clint ihr. Es war absurd, ausgerechnet jetzt Eitelkeit zu entwickeln, aber die ganze Zeit, während sie sich einen Weg den Abhang hinauf suchte, musste sie daran denken, dass ihr im letzten Jahr beträchtlich gewachsenes Hinterteil sich genau auf Clints Augenhöhe befand. Auch wenn er gewollt hätte, hätte er den Anblick nicht vermeiden können. Der arme Mann.

„Vorsicht!“

Sie hatte nicht auf den Weg geachtet und geriet ins Stolpern. Der Cowboy fing sie auf, mit einer Hand auf jeder Pobacke.

Taylor schob seine Hände abrupt beiseite, zog ihre Bluse nach unten und stieg weiter.

„Tut mir leid“, murmelte sie, ohne ihn anzusehen.

Es war demütigend. Sie hasste es, wie ihr Körper in den letzten Monaten aus dem Leim gegangen war. Sie war nie gertenschlank gewesen, nicht einmal als Teenager, aber ihr Po hatte ihr immer gefallen. Nun sah er nur noch groß aus. Und alt.

Im steilsten Teil des Anstiegs musste sie ihr Gewicht mit den Händen halten. Hier übernahm Clint die Führung. Er wartete oben, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Sie hatte die letzte Klippe fast genommen, als sie noch einmal den Halt verlor. Sie begann zu rutschen – und spürte gleichzeitig Clints Hand an ihrem Handgelenk. Ihre Blicke trafen sich. Sie nickte unmerklich, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie wieder Halt hatte und den Rest allein schaffen konnte.

Als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, sah sie noch einmal zum See hinunter. Sie hatte die Ringe nicht mit einer dramatischen Geste fortgeworfen, aber dennoch fühlte es sich nun so an, als sei die Scheidung endgültig. Christopher hatte sie schon lange vor dem juristischen Ende ihrer Verbindung freigegeben, nun endlich begann auch sie ihr neues Leben.

„Wenn wir gleich starten, können wir wieder an derselben Stelle übernachten.“ Clint hatte sich rechts neben Honey gestellt, damit sie sich nicht wegbewegen konnte, während Taylor einen Felsblock benutzte, um aufzusteigen.

„Ich will nicht zurück zur Ranch.“

Clinch schwang sich in den Sattel und behielt die Leine des Packesels in der Hand, ohne dass Taylor dagegen protestierte. Er schloss zu ihr auf. „Nein?“

„Nein.“

Clint stützte sich auf seinen Sattelknauf. „Wie weit willst du noch?“

„Zwei Wochen hin und zwei Wochen zurück.“

„Einen ganzen Monat!“

Taylor sah ihn fragend an. „Hat mein Onkel dir das nicht gesagt?“

Es kostete ihn seine ganze Selbstbeherrschung, jetzt nichts zu sagen, was er später bedauern würde. Hank hatte es nicht für nötig befunden, ihn zu informieren. Genauso wenig sein Stiefbruder. Das sah Brock ähnlich. Wieso hatte er geglaubt, zwischen ihnen könne sich etwas geändert haben, nach einer Pause von fünf Jahren? Wenn er das Geld nicht so dringend brauchte, hätte er Taylor jetzt sich selbst überlassen und wäre seiner Wege gezogen. Aber er hatte Schulden, sein Truck musste abgezahlt werden, und sein Handy war gesperrt. Ohne Startgeld konnte er nicht zurück zum Rodeo. Er war schlicht und ergreifend pleite und konnte nicht vor und nicht zurück.

„Es spielt keine Rolle“, erklärte er. „Reiten wir.“

Taylor legte für den Rest des Tages ein gemächliches Tempo vor. Es war Clint einerlei, wo sie ihr Lager für die Nacht aufschlugen. Für ihn spielte nur eine Rolle, dass sie nicht auf dem Weg zur Ranch waren. Er mochte betrunken gewesen sein, als Brock ihm den Auftrag gegeben hatte, aber nicht betrunken genug, eine so wichtige Information zu verpassen: dass es um einen ganzen Monat ging. Nein, dieses kleine Detail hatte Brock nicht erwähnt. Nur gut, dass sein Stiefvater ihm beigebracht hatte, wie er in der Natur überleben konnte. Er hatte ihm allerdings nicht beigebracht, wie er ohne Zigaretten und Tequila auskommen sollte.

Am Abend rückte Taylor nah ans Feuer. Die Temperaturen wechselten rasch auf dem Divide – in einem Moment brannte die Sonne vom Himmel, im nächsten war sie untergegangen, und es wurde eiskalt. Wenigstens gewöhnte ihr Körper sich allmählich an die neuen Anforderungen – an die schmerzenden Muskeln und Gelenke sowie an die drastischen Veränderungen in ihrer Ernährung. Es wurde höchste Zeit, dass sie ein paar Kilo verlor, damit sie die neue Phase ihres Lebens mit Schwung beginnen konnte.

„Du redest nicht gern, oder?“ Taylor sah Clint fragend an, nachdem sie lange geschwiegen hatten.

„Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten.“ Clint schnippte seine Zigarette ins Feuer. Er griff in die Satteltasche und zog die Mundharmonika heraus.

Taylor lächelte – sie hatte sein Spiel am Vorabend sehr genossen und gehofft, dass er wieder spielen würde. Sie mochte keine Gesellschaft erwartet haben, aber jetzt hatte sie ihren Frieden damit gemacht, dass Clint dabei war. Er war ihr Beschützer. Ihr Cowboy-Bodyguard wider Willen.

„Wer hat dir das Spielen beigebracht?“

„Mein Stiefvater.“ Nach kurzem Schweigen setzte er hinzu: „Er hat mich adoptiert, als ich acht oder neun war. Er hat mir seinen Namen gegeben. Das ist mehr, als ich von meinem leiblichen Vater gekriegt habe.“

Clint steckte die Harmonika zurück und erhob sich, um ein paar Meter beiseitezugehen. Im Schein des Feuers sah Taylor, wie er sich eine Zigarette ansteckte. Offensichtlich hatte sie unbeabsichtigt einen wunden Punkt getroffen. Sie wollte dieses Thema nicht wieder ansprechen. Aber in ihren Gedanken war Clint ohnehin nichts weiter als jemand, der dafür bezahlt wurde, dass er für ihre Sicherheit sorgte. Sie musste nicht mehr von ihm wissen.

Taylor erhob sich. „Gute Nacht.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand sie in ihrem Zelt, zog sich aus und kroch in ihren Schlafsack, bevor sie das Licht der Taschenlampe löschte.

Gedankenverloren tastete sie nach dem Ringfinger ihrer linken Hand. Würde es je wieder einen Mann geben, der ihr seinen Ring darauf stecken wollte? Wollte sie das überhaupt? Es war fraglich. Aber Kinder … Taylor ließ eine Hand über ihren Bauch gleiten. Wie sehr hatte sie sich immer Kinder gewünscht!

Es war eine Woche, in der Taylor viel lernte. Clint zeigte ihr, wie frische Markierungen von Grizzlybären zu erkennen waren und wie sie die Pferde so anleinen konnte, dass die Baumrinde keinen Schaden nahm. Sie wusste jetzt, wie man ein Pferd auf dem freien Feld richtig festmachen und wie sie es vermeiden konnte, auf eine Klapperschlange zu treten.

Jetzt begriff sie, wieso ihr Onkel Clint zu ihrem Bodyguard gemacht hatte – er wusste wirklich alles über den Continental Divide Trail. Es gab keine Vogelart, keine Wildblume und keine Baumart, die er nicht kannte. Er mochte nicht studiert haben, aber die Wildnis war seine Universität gewesen.

„Alles hier ist einfach … atemberaubend.“ Voller Bewunderung ließ Taylor ihren Blick über eine endlose Wiese mit Wildblumen gleiten. Die Hügel waren übersät mit gelben und blau-roten Blüten.

„Glaubst du, dass es hier irgendwo einen Ort gibt, an dem ich baden könnte?“ Sie fühlte sich schon ganz klebrig von den Tagen, an denen sie sich nur mit einem Schwamm abgerieben und die Haare mit Trockenshampoo gereinigt hatte. Sie hatte Vorräte an Trinkwasser dabei, ging aber sehr sparsam damit um. Jetzt drängte es sie danach, richtig in Wasser einzutauchen, ganz gleich wie kalt, und einmal wieder richtig sauber zu werden.

„Ich glaube, ich habe da eine Idee.“ Clint schwang sich in den Sattel. „Ich habe das Trockenfleisch satt. Wie wäre es mit Fisch zum Abend?“

„Nichts lieber als das.“

„Es ist ein Ritt von einer guten Stunde.“ Clint gab Easys Leine einen Ruck, um den Esel in Bewegung zu setzen. „Wir können das Lager ja heute etwas früher als sonst aufschlagen.“

Der Gedanke an ein richtiges Essen ließ den Ritt erträglich werden. Aber auch nach einer vollen Woche im Sattel schmerzten ihre Muskeln immer noch, als sie sich an der Stelle, die Clint für ihr Lager ausgesucht hatte, vom Pferd gleiten ließ. Sie hatten eine gewisse Routine entwickelt. Clint hatte seine Pflichten, sie ihre. Als sie in der Bank gearbeitet hatte, war es Teil ihres Jobs gewesen, Teams so zusammenzustellen, dass sie eine Aufgabe möglichst effektiv bewältigten. Sie hatte ein Gespür dafür, auch ungleiche Menschen in einem erfolgreichen Team zusammenzubringen. So war es jetzt mit Clint – sie waren sehr unterschiedlich, aber irgendwie funktionierten sie zusammen, als hätten sie bereits seit Jahren zusammengearbeitet.

„Ich glaube, es zieht ein Unwetter auf.“ Clint nahm den Stetson ab und fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn. „Am besten ist, du wartest noch ein wenig mit dem Bad.“

„Und das Essen fällt auch aus?“

„Nicht, wenn ich mich beeile.“ Clint warf einen kritischen Blick auf die dunkle Wolkenwand in der Ferne. „Machst du Feuer?“

„Kein Problem.“

Clint eilte zu dem Bach hinunter, in dem er schon seit Jahren manchen Fisch gefangen hatte.

„Hey, Clint!“

Er drehte sich um und sah Taylor fragend an.

„Was ist, wenn es regnet?“

Eine merkwürdige Frage. „Dann werden wir nass.“

Taylor lachte. „Nein, ich meine … du hast kein Zelt.“

„Das brauche ich nicht.“ Clint zuckte wegwerfend die Achseln. „Du machst das Feuer, und ich mache dir den besten Fisch, den du in deinem Leben gegessen hast.“

4. KAPITEL

Clint hielt Wort: er fing, säuberte und kochte die beste Forelle, die Taylor je gegessen hatte. Und auch wenn das heraufziehende Unwetter ihr Essen verkürzte und ihre Pläne für ein Bad vereitelte, legte sie sich zum ersten Mal während dieser Tour rundum gesättigt und zufrieden in ihren Schlafsack.

Als der Regen einsetzte, lud sie Clint ein, zu ihr ins Zelt zu kommen, aber er lehnte ab. Sie hatte einen Blick hinausgeworfen und gesehen, dass er eine kleine Regenplane über sich gezogen hatte. Sie wiederholte ihre Einladung kein zweites Mal. Clint war hier aufgewachsen, und sie konnte davon ausgehen, dass es nicht das erste Mal war, dass er einem Unwetter nur mit seinem Sattel als Kissen und einer Plane als Regenschutz trotzte.

Am nächsten Morgen erwachte Taylor bei strahlend blauem Himmel und dem Duft von Kaffee. Von Clint keine Spur. Ihr erster Gedanke war, rasch ein Bad im Bach zu nehmen. Sie schnappte sich ihre Utensilien und machte sich auf den Weg durch das kleine Wäldchen zum Wasser. Sie entdeckte Clint mit nacktem Oberkörper am Ufer des Bachs. Auf einer Schulter sah sie das Wort Rodeo als Tattoo, daneben zog sich über seinen ganzen Rücken das Bild eines Rodeoreiters auf einem wütenden Stier. Eine lange, gezackte Narbe lief quer über seinen Rücken, direkt über den Jeans.

Taylor verharrte einen Moment unschlüssig. Sie wusste nicht, ob sie ins Lager zurückgehen oder bleiben sollte. Clint richtete sich auf. Er winkte sie herbei.

„Guten Morgen!“, begrüßte sie ihn.

Je näher sie ihm kam, desto mehr bestätigte sich ihr Verdacht, dass auch er die Idee gehabt hatte, vor der nächsten Etappe ein Bad zu nehmen und einige Sachen zu waschen. Sein Haar war noch nass, ebenso sein Bart, der zunehmend dichter wurde. Er war gerade dabei, das Hemd auszuwringen, das er während der letzten Tage getragen hatte.

„Das war ja ein schönes Unwetter“, bemerkte sie, um das Schweigen zu überbrücken.

Neben dem halb nackten Clint zu stehen, verursachte ihr Unbehagen, auch wenn es ihm nichts auszumachen schien. Er war nicht übermäßig groß und eher dünn, aber alle Muskeln seines Körpers waren gut definiert. Sie versuchte, ihren Blick auf sein Gesicht gerichtet zu halten, doch er wurde unwiderstehlich angezogen von den Tattoos und Narben seines Oberkörpers.

„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht“, bekannte sie.

„Überflüssig.“

Er streifte sich ein T-Shirt über und strich sich das Haar zurück, bevor er sich den Stetson auf den Kopf schob. „Ich passe auf, dass niemand dich stört.“

„Danke.“ Taylor ging in die Knie, um eine Hand ins Wasser zu stecken. Es war eiskalt.

Clint stand ein paar Meter entfernt und rauchte. Er hatte ihr den Rücken zugekehrt. Sie war sicher, dass es dabei bleiben würde – er mochte nicht immer die besten Manieren haben, aber er hielt Wort. Nur bekleidet mit Höschen, BH und ihren Gummischlappen, um die Füße gegen Steine zu schützen, wagte sie sich in den Bach und watete zu dem tieferen Teil. Sie musste ein paarmal tief durchatmen, bevor sie sich dazu bringen konnte, sich ins eisige Wasser zu setzen.

Ihr Bedürfnis nach Sauberkeit war größer als die Schreckstarre, die die Kälte für einen Moment in ihr auslöste. Sie legte den Kopf zurück und wusch ihr Haar, bevor sie ihren Körper einseifte. Das Bad war extrem kurz, aber das war mehr als in Ordnung für sie. Sie eilte zu ihrem Handtuch. Vor Kälte zitterte sie am ganzen Körper. Sie trocknete sich flüchtig ab und konnte es nicht erwarten, ins Zelt zu kommen und sich etwas Trockenes anzuziehen. Hastig schlang sie das Handtuch um den Körper, schnappte sich ihre Sachen und rannte los.

Clint hörte Taylor kommen. Er hatte nicht erwartet, sie nur mit einem Handtuch bedeckt zu sehen, mit entblößten Schultern und Beinen. Sie duftete nach Orange und Honig. Ihr war erkennbar kalt, und dennoch – sie war ausgesprochen sexy.

„Fertig?“ Ihm war klar, dass sie bemerkt haben musste, wie er auf den Ansatz ihrer Brüste starrte.

Sie nickte. Wollte nur eines: so schnell wie möglich in ihr Zelt. Dort streifte sie die nassen Dessous ab und legte sich erst einmal in den Schlafsack, um sich aufzuwärmen.

„Taylor?“ Clint stand vor ihrem Zelt. „Hier ist Kaffee.“

Sie öffnete den Verschluss weit genug, um ihm den Becher abzunehmen. Kaum hatte sie einen Schluck des heißen Gebräus getrunken, fühlte sie sich besser. Es war die perfekte Medizin, und es rührte sie, dass Clint daran gedacht hatte.

Sobald sie sich wieder im Griff hatte, zog sie sich an und machte sich wie ...

Autor

Caro Carson
Schon als in West Point, New York, ausgebildete Armee-Offizierin stand Caro Carson auf die Happy Ends guter Liebesromane, die sie überall las, wohin ihre Einsätze sie verschlugen. Anschließend arbeitete sie in der Pharmaindustrie und führte daher zahlreiche Fachgespräche mit Ärzten. Damals hatte sie noch keine Ahnung, dass diese Gespräche ihr...
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Cindy Kirk
<p>Solange sie denken kann, liebt Cindy Kirk das Lesen. Schon als kleines Mädchen in der ersten Klasse hat sie einen Preis dafür gewonnen, hundert Bücher gelesen zu haben! 1999 war es so weit: Ihr erster eigener Roman erschien bei Harlequin. Seitdem muss die Autorin ihr Lieblingshobby Lesen damit unter einen...
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