Bianca Extra Band 116

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ICH WÜNSCHE MIR NUR DEINE LIEBE von BRENDA HARLEN
So ein Weihnachtsmuffel! Bailey Stockton gibt sich als Santa Claus wirklich gar keine Mühe. Serena ist verärgert und will ihm den Zauber der Weihnachtszeit näherbringen – doch fühlt sich plötzlich magisch von dem sexy Rancher angezogen! Ein turbulentes Fest der Liebe beginnt …

EIN NEUES GLÜCK IM DEZEMBER von RACHEL LEE
Tausend Tränen hat Marisa um Johnny geweint. Sie konnte ihm nicht einmal mehr sagen, dass er Vater wird! Doch als ein halbes Jahr später sein attraktiver Kollege vor ihrer Tür steht, fragt sie sich: Hat der Himmel Ryker Tremaine geschickt, um ihr das Glück zurückzubringen?

WEIHNACHTSWUNDER UND STERNENNACHT von TERI WILSON
Dan Manning würde den 24. Dezember am liebsten aus dem Kalender streichen. Aber als er zusammen mit Weihnachtsfan Candy und ihrer kleinen Nichte eingeschneit wird, erkennt er, was ihm all die Jahre für das echte Weihnachtsgefühl gefehlt hat: eine eigene Familie!

EINGESCHNEIT MIT UNSEREM DADDY von CHRISTINE RIMMER
Keine Nachnamen, nur eine Woche voller Lust! Die schöne Payton hatte keine Chance, Easton von den süßen Folgen zu berichten! Bis er vier Jahre später zu Weihnachten in ihre Heimatstadt zurückkehrt … Soll sie ihm gestehen, was er bis heute nicht weiß: Er ist Daddy von Zwillingen?


  • Erscheinungstag 15.11.2022
  • Bandnummer 116
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507875
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Brenda Harlen, Rachel Lee, Teri Wilson, Christine Rimmer

BIANCA EXTRA BAND 116

BRENDA HARLEN

Ich wünsche mir nur deine Liebe

Die Rolle des Santa Claus ist für Bailey Stockton ein Albtraum! Auch wenn die hübsche Serena – Mrs. Claus – versucht, ihn vom Zauber der Weihnacht zu überzeugen. Erst auf der Bühne, dann dahinter …

RACHEL LEE

Ein neues Glück im Dezember

Er hat es seinem sterbenden Freund versprochen: Ryker fährt zu dessen Witwe – und ist über sich selbst schockiert. Denn für ihn ist die hochschwangere Schönheit Liebe auf den ersten Blick!

TERI WILSON

Weihnachtswunder und Sternennacht

Das soll der charmante Dan von damals sein, der sie in einer kalten Sternennacht so heiß geküsst hat? Candy erkennt ihn in dem mürrischen Kinderarzt nicht wieder. Höchste Zeit für ein Weihnachtswunder!

CHRISTINE RIMMER

Eingeschneit mit unserem Daddy

Es war eine unvergessliche Woche vor vier Jahren mit der bezaubernden Payton. Jetzt steht Easton vor ihr und ihren beiden kleinen Söhnen – Ebenbilder von ihm und seinem Zwillingsbruder …

1. KAPITEL

„Im Leben nicht!“, wies Bailey Stockton entschieden die Bitte seines Bruders zurück.

„Lass mich ausreden!“, beharrte Dan.

„Nein!“ Sie hatten ihm schon viel zu viele Aufgaben bei den Weihnachtsvorbereitungen aufgehalst: Hilfe bei der Weihnachtsdeko, Plätzchen probieren (okay, es gab Schlimmeres) und – ausgerechnet! – Babysitten bei den Drillingen seines Bruders Jamie, damit der mit seiner Frau Geschenke besorgen und eine Weihnachtsrevue besuchen konnte.

Als ob all seine Geschwister sich verschworen hätten, ihn wieder für Weihnachten zu begeistern! Offenbar wollten sie einfach nicht akzeptieren, dass er dafür schon lange keinen Nerv mehr hatte und selbst die Organisation einer Beerdigung vorgezogen hätte.

„Aber es ist für die Pfadfindergruppe!“, bettelte Dan.

„Dann mach du es halt!“, gab Bailey zurück.

„Würde ich ja gern. Doch ich habe mir die Grippe eingefangen.“

„So krank kommst du mir gar nicht vor.“

„Du hättest mich mal kotzen sehen sollen!“

„Das tut mir jetzt aber gar nicht leid, dass ich das verpasst habe.“

„Ich brauche wirklich deine Hilfe!“

„Du findest sicher jemand anderen.“

„Glaubst du, ich hätte nicht schon alle möglichen Leute gefragt? Du warst bestimmt nicht meine erste Wahl beim Thema Weihnachten, großer Bruder.“

„Wen hast du denn gefragt?“

„Luke, Jamie, Dallas Traub, Russ Campbell, Anderson Dalton, sogar Old Gene. Keiner hat Zeit. Du bist meine letzte Rettung, Bailey, und wenn auch du mich noch hängen lässt …“

„Keine Sorge“, unterbrach Annie Stockton, die ihrem Mann offenbar das Telefon aus der Hand genommen hatte. „Er lässt dich nicht hängen. Nicht wahr, Bailey?“

Bailey war wirklich hilfsbereit, doch diese Zumutung war einfach zu groß. „Ich wünschte wirklich, ich könnte, aber …“

„Du kannst!“, fiel ihm seine Schwägerin ins Wort. „Sei doch nicht so ein verflixter Weihnachtsmuffel!“

„Ein Weihnachtsmuffel ist ohnehin eine Fehlbesetzung für die Rolle des Santa Claus“, maulte Bailey.

„Unter normalen Umstanden schon“, räumte Annie ein. „Aber dies sind keine normalen Umstände, und dein Bruder ist auf deine Hilfe angewiesen. Dafür ist Familie schließlich da! Und deshalb weiß ich, dass du einspringen wirst.“

„Ach, das weißt du?!“

„Ich nehme das als Zustimmung“, sagte Annie.

Bailey seufzte resigniert. „Wann und wo?“

„Wir treffen uns in einer Stunde im Gemeindezentrum.“

Eine Stunde später fand sich Bailey im Gemeindezentrum in einem kleinen, zum Umkleideraum umfunktionierten Raum wieder mit einer um ihn herumwuselnden Annie als Garderobiere.

„Ist das denn wirklich nötig?“, fragte er, als sie ihm den wattierten Weihnachtsmannbauch umschnallte.

„Selbstverständlich! Santa ist doch kein sportlicher Rancher! Er ist ein Spielzeugmacher mit einem Milch-und-Schokoladen-Bauch.“

Er schlüpfte in den weiten roten Mantel und schlang den Gürtel um seine aufgepolsterte Mitte.

„Und jetzt setz dich, damit ich den Bart und die Perücke befestigen und dein Gesicht zurechtmachen kann.“

Stirnrunzelnd setzte er sich. „Wie meinst du das – mein Gesicht zurechtmachen?“

„Entspann dich und lass mich einfach machen.“

„Dich einfach machen zu lassen trägt bestimmt nicht zu meiner Entspannung bei!“ Misstrauisch beäugte er, wie sie aus einem Täschchen eine Tube hervorholte und etwas von dem Inhalt in seine Augenbrauen bürstete. Dann nahm sie ein Döschen heraus, öffnete es, fuhr mit einem Pinsel hinein und trug damit etwas auf Baileys Wangen auf.

„Ich kann nicht glauben, dass ich mir das hier von dir habe aufschwatzen lassen“, brummte er.

„Ist mir schon klar, dass du eine andere Vorstellung von Spaß hast. Aber Dan bedeutet es sehr viel, dass du für ihn eingesprungen bist.“

„Ich bin nicht eingesprungen. Ich wurde gezwungen.“

Sie grinste, schloss die Dose und packte sie wieder in das Täschchen. „Jetzt der Bart“, kündigte sie an und zog das Gummiband über seine Ohren.

„Wenn ich das vergeige, dankt mir keiner mehr für das, was ich hier über mich ergehen lassen muss.“

„Du wirst es nicht vergeigen.“

„Außer ‚ho ho ho‘ habe ich keinen Plan, was ich sagen soll.“

„Wenn du wirklich nicht weiterweißt, wird dir auf jeden Fall deine Frau weiterhelfen.“

„Meine was?“

„Mrs. Claus“, erläuterte Annie.

„Von einer Mrs. Claus war nie die Rede!“

Einerseits war er erleichtert, einer Horde von Kindern nicht allein ausgeliefert zu sein. Andererseits – wenn er schon Sorge hatte, ob er einen lustigen Weihnachtsmann spielen konnte, wie sollte er dann erst einen lustigen Weihnachtsmann mit einer Ehefrau spielen?

„Ich war nicht davon ausgegangen, dass ich das extra erwähnen müsste. Eigentlich wäre es meine Rolle gewesen – die Ehefrau von Dan als Santa. Doch den kann ich ja nun nicht krank allein zu Hause rumliegen lassen. Deshalb habe ich eine Freundin gebeten, für mich einzuspringen. Aber keine Bange: Mrs. Claus verteilt nur Zuckerstangen und hält den Laden am Laufen. Ein romantisches Vorspiel ist nicht vorgesehen.“

„Danke. Jetzt fühle ich mich schon viel besser“, sagte Bailey trocken.

„Fein. Und wo wir gerade von Ehegatten sprechen: Ich muss jetzt zu meinem nach Hause.“

„Soll ich dir das Kostüm hinterher vorbeibringen?“, bot Bailey an.

„Nein. Ich hole es später ab.“

Als Annie fort war, riskierte Bailey einen Blick in den Spiegel. Überrascht stellte er fest, dass er Santa doch nicht ganz unähnlich sah.

Es klopfte. „Fertig, Santa?“ Der Leiter der Pfadfindergruppe steckte seinen Kopf zur Tür herein. „Wow – du siehst klasse aus!“

„Ho ho ho“, probierte Bailey aus.

Grinsend hob der Leiter die Daumen. „Die Kids werden unruhig.“

„Mrs. Claus ist noch nicht da“, wandte Bailey ein. Auch wenn er anfangs gar nichts von einer Mrs. Claus gewusst hatte, fühlte er sich jetzt allein etwas verloren.

„Vielleicht wurde sie beim Plätzchenbacken am Nordpol aufgehalten?“, scherzte der Leiter.

Was auch immer der Grund für ihre Abwesenheit sein mochte – sie bestätigte Bailey in seinen Bedenken, dass es nie gut war, sich von einem Ehepartner abhängig zu machen. Nicht mal von einem gespielten.

„Na dann!“ Er verließ die Garderobe und folgte dem Pfadfinderleiter hinter die Bühne. Durch die geschlossenen Bühnenvorhänge hörte er das aufgeregte Geschnatter vermeintlich Hunderter, wenn nicht Tausender Kinder. Sie alle waren gekommen, um Santa zu sehen, und mussten sich stattdessen mit einer armseligen Kopie zufriedengeben.

Schweiß rann ihm über die Stirn, und seine Hände fühlten sich klamm an in den weißen Handschuhen. Der Leiter überreichte ihm einen großen Sack voller Zuckerstangen und nickte ihm aufmunternd zu.

Jetzt oder nie! Letzteres hätte er unbedingt vorgezogen, doch wenn er jetzt kneifen würde, wäre er bei seinem Bruder unten durch.

Gerade streckte er die Hand nach dem Vorhang aus, als er eilige Schritte hinter sich auf der Treppe zur Bühne hörte.

Mrs. Claus war endlich eingetroffen.

Seine Zeit reichte nur für einen flüchtigen Blick auf ihr bodenlanges rotes Kleid mit weißem Plüsch an Kragen und Manschetten und die weiße Schürze um ihre Taille. Trotz Perücke und der Omabrille sah man, dass sie noch jung war. Ihre Haut war ebenmäßig und glatt, ihre vollen Lippen fein geschwungen, und ihre blauen Augen leuchteten wie der Himmel über Montana.

„Nicht zu spät, Gott sei Dank!“, stieß sie hervor und atmete tief durch.

Das zog zwangsläufig Baileys Blick auf ihre schön gerundeten Brüste, die sich deutlich hoben und senkten.

„Bist du bereit?“, fragte sie.

Er nickte.

Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu, und plötzlich wurde ihm ganz warm. Aber vielleicht lag das ja auch an seinem voluminösen Kostüm oder den Deckenscheinwerfern …

Dann trat Mrs. Claus durch den Vorhangspalt auf die Bühne und sprach zu den Kindern:

„Also, wir sind in etwas raues Wetter geraten auf dem Weg vom Nordpol, aber schließlich haben wir es doch geschafft.“

Die Kinder jubelten.

Bailey lauschte ihren Worten und dem angenehmen Klang ihrer Stimme, als sie das Publikum einstimmte.

„Ich weiß, dass ihr alle super geduldig auf Santa gewartet habt und dass jeder ihm zuerst die ganz persönlichen Weihnachtswünsche ins Ohr flüstern möchte. Aber ich verspreche euch, dass es ganz egal ist, ob ihr Erste, irgendwo in der Mitte oder Letzter seid: Jeder kommt dran!“

Bailey sah den großen Sessel auf der Bühne neben einem geschmückten Weihnachtsbaum, unter dem Geschenkpäckchen-Attrappen dekoriert waren. Er musste also nur durch den Vorhang gehen und sich in dem Sessel niederlassen. Doch plötzlich fühlten sich seine Füße an wie festgeklebt.

„Während Santa noch die Rentiere versorgt“, erklärte Mrs. Claus die neuerliche Verspätung, „könnten wir doch schon mal sein Lieblings-Weihnachtslied singen!“ Sie ließ ihren Blick über das Publikum schweifen. „Wer kennt Santas Lieblingslied?“

Durch den Spalt im Vorhang sah Bailey Kinderhände nach oben schnellen.

„Jingle Bells“, „Let it Snow“ und „All I want for Christmas“ wurde gerufen, doch Mrs. Claus schüttelte jedes Mal den Kopf.

„Ich gebe Euch einen Tipp!“ Dann sang sie: „Wer hat einen Bart, so lang und weiß?“

Die Kinder antworteten im Chor: „Santa hat ’nen Bart, so lang und weiß.“

Die eingängige Melodie und das Frage- und Antwortspiel der Verse holten auch diejenigen ab, die den Text nicht kannten, und Baileys Fuß wippte automatisch im Takt der Musik mit.

Als Mrs. Claus sang: „Wer kommt da gleich zu euch hinaus?“ trat er schließlich durch den Vorhang.

„Santa kommt gleich zu uns …“ Der Gesang verebbte, einige Kinder klatschten, andere zeigten auf Santa, und aufgeregtes Geraune erfüllte den Saal.

„Und hier ist er!“, rief Mrs. Claus, schenkte Bailey ein warmes Lächeln und machte eine einladende Handbewegung in Richtung Sessel.

Bailey nickte und ging zum Sessel. Er war zu aufgeregt, um ihr Lächeln zu erwidern, aber hinter seinem weißen Bart hätte sie das wohl ohnehin nicht gesehen.

Also ließ er sich in den Sessel sinken, während der Leiter ankündigte, dass die jüngsten Pfadfinder, die kleinen Tiger, als Erste zu Santa gehen durften.

Als die Kinder sich anstellten, fühlte Bailey sich wieder ganz beklommen, doch den Kindern war das Prozedere vertraut. Die meisten erwarteten nur, dass er sich ihre Wünsche – bestimmte Spielsachen, Sportartikel, Computerspiele, ein Haustier – anhörte und ihnen „Frohe Weihnachten!“ wünschte. Einige stellten ihm Fragen wie „Welches ist dein Lieblings-Rentier?“ oder „Wie alt ist Rudolph?“.

Bailey hielt seine Antworten möglichst allgemein, damit sie nicht im Widerspruch zu dem standen, was ihre Eltern den Kindern erzählten, und versprach auch nicht, die Wünsche zu erfüllen, sondern sagte nur, er würde sein Bestes tun.

Mochte er auch ein wenig steif wirken, so war Mrs. Claus das komplette Gegenteil: herzlich und sehr glaubwürdig. Instinktiv fand sie die richtigen Worte, bei denen die Kinder sich wohlfühlten.

Als Bailey zur Hälfte mit der Bären-Gruppe durch war und sich allmählich etwas entspannte, kletterte ein missmutig dreinblickender Junge auf seinen Schoß und sagte: „Weihnachten ist doof!“

Bailey war verblüfft, räumte jedoch ehrlich ein: „Ja, manchmal ist es das.“

Mrs. Claus schnappte nach Luft, und die Augen des Jungen füllten sich mit Tränen.

„Du sollst mir nicht recht geben“, protestierte er. „Du sollst mir sagen, dass alles gut wird!“

Da er nicht wusste, was der Junge mit „alles“ meinte, hütete Bailey sich, das zu versprechen. Aber er sah ein, dass seine Antwort unpassend gewesen war.

„Hör mal, Santa“, sagte Mrs. Claus streng, „ich habe dir gesagt, du sollst deine schlechte Laune nicht vor den Kindern rauslassen! Sonst muss ich nämlich dich mit auf die Liste der Unartigen setzen!“

Irritiert und fasziniert zugleich schaute der Junge sie an.

„Tut mir leid, Owen“, sprach sie den Jungen direkt an. „Santa ist heute ein bisschen von der Rolle. Ich habe ihm nämlich gesagt, er soll nicht zu viele Plätzchen essen, weil er sonst am Weihnachtsabend nicht mehr durch den Kamin passt.“

Bailey fing ihren Blick auf, nickte und klopfte auf seinen ausgestopften Bauch. „Ich bin ganz wild auf Lebkuchen“, raunte er dem Jungen verschwörerisch zu. „Aber auf der Liste der Unartigen will ich auf keinen Fall landen.“

„Kann sie das wirklich machen?“, fragte Owen.

Bailey nickte wieder. „Aber sag mal, Owen, kann Santa irgendwas tun, damit Weihnachten ein bisschen schöner wird für dich?“

„Kannst du dafür sorgen, dass Riley nicht nach Bozeman zieht?“, fragte der Junge hoffnungsvoll.

Diesmal schüttelte Bailey den Kopf. „Leider nicht.“

Der Junge blickte zu Mrs. Claus. „Kann sie das?“ Wenn sie ihrem Mann Ansagen machen konnte, konnte sie ja vielleicht auch größere Wunder vollbringen!

„Tut mir leid“, bedauerte Bailey nochmals.

Owen seufzte. „Dann kannst du vielleicht ein PKT-79 unter meinen Weihnachtsbaum legen, und das gebe ich dann Riley, damit er was zur Erinnerung an mich hat.“

Das war nicht die erste Bitte um dieses PKT-79, aber obwohl Bailey keine Ahnung hatte, was das war, rührte ihn, dass der Junge ein Geschenk für jemand anderen haben wollte.

„Ich werde sehen, was sich machen lässt“, sagte er. „Fröhliche Weihnachten!“

Mrs. Claus bot dem Jungen eine Zuckerstange an.

„Und du passt wirklich auf, dass Santa durch den Kamin passt, ja?“, fragte Owen sie.

„Darauf kannst du wetten!“, versprach sie lächelnd.

Bailey achtete sorgsam darauf, dass ihm keine weiteren Ausrutscher unterliefen. Nachdem alle Kinder ihre Wünsche vorgetragen hatten, riefen Santa und seine Frau nochmals allen „Fröhliche Weihnachten!“ zu und gingen hinter die Bühne.

Bailey freute sich schon darauf, seine Kostümierung endlich ablegen zu können, doch Mrs. Claus betrat direkt hinter ihm die Garderobe, schloss die Tür und stemmte die Hände auf die Hüften.

„Keine Ahnung, weshalb man ausgerechnet jemanden, der so offensichtlich unbegabt ist als Santa, für diese Rolle ausgesucht hat! Doch das gibt dir nicht das Recht, den Kindern das Weihnachtsfest zu verderben. Die freuen sich nämlich darauf!“

Bailey hatte ohnehin schon ein schlechtes Gewissen wegen seiner unbedachten Antwort an Owen. Aber jetzt noch von einer Fremden deswegen runtergeputzt zu werden, war definitiv zu viel. „Eine Lektion von meiner liebenden Ehefrau? Da fühle ich mich ja gleich richtig verheiratet!“

„Eine Frau, die dich heiratet, wäre wirklich zu bedauern“, schoss sie zurück.

Seine Replik blieb ihm im Hals stecken, als sie die Omabrille und die Perücke absetzte. Das lange blonde Haar, das über ihre Schultern fiel, bewirkte eine atemberaubende Verwandlung.

Mrs. Claus war definitiv ein Feger.

Wie schade, dass sie außerdem herrisch und unfreundlich ist! Und irgendwo habe ich sie schon mal gesehen …

Sie verrenkte ihren Arm nach hinten und versuchte, den Reißverschluss-Zipper ihres Kleides zu erreichen, doch der saß zu weit oben.

Während sie sich weiter abmühte, entledigte sich Bailey seiner Mütze, seiner Perücke und des Rauschebarts.

Mrs. Claus unternahm einen weiteren Versuch, diesmal über ihre Schulter, aber ebenso vergeblich. Schließlich holte sie tief Luft. „Du könntest mal deine Hilfe anbieten!“

„Wenn du Hilfe möchtest, frag einfach“, gab er zurück.

„Würdest du mir bitte mit dem Reißverschluss meines Kleides helfen?“, presste sie zwischen den Zähnen hervor.

„Normalerweise lade ich eine Frau zum Essen ein, bevor ich ihr aus ihrem Kleid helfe“, konnte er sich nicht verkneifen. „Aber weil du mich so nett darum gebeten hast …“

2. KAPITEL

Bailey sah Mrs. Claus noch mit den Augen rollen, bevor sie ihm ihren Rücken mit dem Reißverschluss zuwandte.

„Bist du von Natur aus so uncharmant oder hast du das üben müssen?“, zickte sie zurück.

„Reiner Selbstschutz“, sagte er entwaffnend ehrlich. „Ich weiß, ich hab’s vergeigt. Es war mir aber auch schon vorher klar gewesen, dass es so kommen würde. Deshalb wollte ich die albernen Klamotten erst gar nicht anziehen und einen auf fröhlich machen.“

„Hast du jemals versucht, einfach fröhlich zu sein, anstatt nur so zu tun?“, fragte sie, als er den Reißverschluss runterzog.

„Durchaus. Hat aber nicht so geklappt.“

„Schade.“ Sie zog ihre Arme aus den Ärmeln des Mieders hervor, ließ das Kleid fallen und trat heraus – in einem eng anliegenden, tief ausgeschnittenen weihnachtsroten Pulli und Skinny Jeans in kniehohen Stiefeln.

Für die Kurven braucht sie glatt einen Waffenschein! dachte Bailey. Rasch wandte er seinen Blick aus der Gefahrenzone ab, zog Santas Hosenträger herunter und ließ die überdimensionierte Hose zu Boden gleiten. Darunter trug er ein langärmeliges T-Shirt mit Knopfleiste und eine alte Jeans. Er nahm sein Flanellhemd, das er ausgezogen hatte, bevor er sich in Santa verwandelte, vom Stuhl und zog es über das T-Shirt.

Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Mrs. Claus ihr Kostüm ordentlich zusammenfaltete und in einer Tüte verstaute. Sie kam ihm definitiv bekannt vor, doch ihr Name fiel ihm nicht ein.

Bevor er sie danach fragen konnte, klopfte es an der Tür.

„Herein!“, sagten sie beide wie aus einem Munde, und ihr unwillkürliches Lächeln machte Mrs. Claus nur noch attraktiver.

Annie steckte den Kopf zur Tür herein.

„Oh Serena, ich bin so froh, dass du es noch rechtzeitig geschafft hast!“

„Tut mir leid, dass ich auf den letzten Drücker gekommen bin. Aber es gab einige Aufregung in der Klinik.“

Serena.

Klinik.

Das Puzzle setzte sich zusammen, und Bailey erinnerte sich: Serena Langley war Arzthelferin in der Tierklinik, in der seine Schwägerin am Empfang arbeitete.

„Aufregung weshalb?“, fragte Annie besorgt.

„Alistair Warren brachte eine dicke Katze, die er unter seiner Veranda gefunden hatte. Die Streunerin war allerdings nicht dick, sondern trächtig, und hat neun Kittys zur Welt gebracht.“

„Neun?“, wiederholte Annie.

Serena nickte. „Behandlungsraum drei ist bis auf Weiteres gesperrt, weil Brooks die frischgebackene Mama mit ihren Babys nicht stören will.“

„Ich kann’s kaum erwarten, sie zu sehen“, begeisterte sich Annie. „Aber jetzt will ich alles über den Besuch des Aushilfs-Santas bei den Pfadfindern wissen, damit ich seinem kranken Bruder davon berichten kann.“

Bailey wandte sich wieder Serena zu. Eigentlich hatte er sie schon die ganze Zeit im Auge gehabt, weil er sich erinnern wollte, woher er sie kannte. Das wusste er ja nun, trotzdem konnte er den Blick nicht von ihr abwenden.

Bestimmt würde sie gleich erzählen, dass der Ersatz-Santa kläglich versagt und fast ein Kind zum Weinen gebracht hatte.

Doch stattdessen überließ sie es ihm zu antworten, und er sagte nur: „Es war … eine Erfahrung.“

Seine Schwägerin hob die Brauen. „Wie darf ich das verstehen?“

Wieder blickte Bailey zu Mrs. Claus.

„Es war alles okay“, versicherte Serena ihrer Freundin.

Erleichtert atmete Annie tief durch. „Ich wusste ja, dass ihr beide das rocken würdet!“

„Wenn du das gewusst hättest, wärst du sicher nicht gleich hergekommen, um uns auszufragen“, kombinierte Bailey. „Wobei deine Zweifel sicher Santa galten und nicht Mrs. Claus.“

„Du warst eben die unwilligere Vertretung“, rechtfertigte sich Annie. „Serena war sofort bereit, als ich sie gebeten habe einzuspringen.“

„Immer wieder gern“, sagte Serena. „Aber jetzt muss ich los.“

„Wieso hast du es so eilig?“, fragte Annie.

„Habe ich ja gar nicht. Doch ich bin seit heute früh unterwegs und … Marvin mag es nun mal nicht, wenn ich den ganzen Tag weg bin.“

Das schien ihr etwas peinlich zu sein, oder zumindest kam es Bailey so vor, als sie zu Boden blickte.

Wer mochte dieser Marvin sein? Ihr Ehemann? Ihr Freund? Wie äußerte er sein Missfallen darüber, dass sie so lange weg war? Ignorierte er sie, wenn sie heimkam? Oder machte er ihr eine Szene?

Auch wenn Bailey wusste, dass er selbst nicht perfekt war: Männer, die Frauen oder Kinder unterdrückten, waren für ihn schlichtweg indiskutabel.

„Du machst dir zu viele Gedanken wegen Marvin“, befand Annie.

„Ich kann es nun mal nicht gut ab, wenn er mich mit großen traurigen Augen anschaut.“

„Lass dich davon nicht manipulieren. Du musst ihm zeigen, wer der Boss ist!“

Wieso mischt Annie sich so in die Beziehung ihrer Freundin sein? wunderte sich Bailey und fragte Serena: „Ist Marvin dein … Ehemann?“

Annie kicherte, und Serena wurde rot und schüttelte den Kopf.

„Nein, er ist meine … äh … Bulldogge.“

„Deine Bulldogge“, wiederholte Bailey irritiert.

Sie nickte und errötete noch mehr.

Ach so! Das ließ die „großen traurigen Augen“ natürlich in einem ganz anderen Licht erscheinen! Bailey grinste.

„Er ist mir zugelaufen“, verteidigte sich Serena. „Er hat nun mal seine Bedürfnisse.“

„Nur, weil du das mit dir machen lässt“, sagte Annie. „Mal ganz abgesehen davon, dass er eine Hundeklappe hat, durch die er kommen und gehen kann, wie er will.“

„Ja, schon. Aber er ist trotzdem nicht gern so lange allein.“

Woraus Bailey schlussfolgerte, dass es sonst niemanden bei Serena zu Hause gab – Ehemann oder Freund –, der den Hund rauslassen oder seine sonstigen Bedürfnisse erfüllen konnte.

Obwohl das eigentlich nicht von Belang war, denn er hatte ja keinerlei Interesse an einer wie auch immer gearteten romantischen Beziehung zu der Freundin seiner Schwägerin.

Oder?

„Hoffentlich geht es Danny bis Dienstag wieder besser!“ Annie nahm die Tüten mit den Kostümen an sich.

„Was ist denn am Dienstag?“, erkundigte sich Serena.

„Dienstag sollen wir in der Grundschule Santa und Mrs. Claus spielen.“

Das war schon übermorgen.

„Ich springe gern noch mal ein“, erbot sich Serena.

„Da fällt mir wirklich ein Stein vom Herzen! Dann muss ich mir keine Sorgen machen, dass ich wieder in letzter Minute eine Vertretung finden muss. Herzlichen Dank euch beiden!“

„Uns beiden?“, sprang Bailey sofort darauf an. „Moment mal, ich habe doch gar nicht …“

Seine Schwägerin ließ ihn gar nicht zu Wort kommen. „Dann lasse ich euch die Kostüme gleich hier und flitze nur eben schnell zu Daisy’s, um etwas Suppe für Danny mitzunehmen.“

„… zugestimmt“, beendete Bailey seinen Satz.

Aber Annie hörte ihn gar nicht mehr.

Stirnrunzelnd drehte er sich zu Serena um. „Ich habe nie Ja gesagt“, protestierte er.

„Weiß ich. Doch Annie kann sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen, dass du deinem Bruder einen Gefallen verweigerst.“

Noch einen Gefallen, meinst du wohl.“

„War es denn wirklich so schlimm heute?“

„Darum geht es nicht. Du bist wahrscheinlich ein Mensch, der immer sofort Ich ruft, wenn jemand gebraucht wird, stimmt’s?“

Sie zuckte mit den Achseln.

Auch wenn sie grundsätzlich die Gesellschaft von Tieren vorzog, half sie ihren Freunden immer gern. Und als sie sich bereit erklärt hatte, als Mrs. Claus einzuspringen, hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, wer Santa spielen würde. Und selbst wenn, hätte sie ja nicht gewusst, dass ihr der Schwager ihrer Freundin so gegen den Strich gehen würde.

Sie hatte ihn zuvor schon mal kurz in der Klinik oder bei irgendwelchen Veranstaltungen gesehen und musste zugeben, dass er ein sehr attraktiver Mann war. Das lag bei den Stocktons in den Genen, aber Bailey war noch mal etwas Besonderes.

Vielleicht hatte die Verletzlichkeit in seinem Blick sie berührt, die offenbarte, dass er es augenblicklich bereute, Owen zugestimmt zu haben.

Auch Serena war bewusst, dass Weihnachten nicht nur aus Lebkuchen und Glöckchengebimmel bestand, aber mit der Zeit hatte sie gelernt, sich auf die schönen Momente zu konzentrieren und sich auf die weihnachtliche Stimmung einzulassen.

Doch hier waren jetzt keine aufgeregten Kinder mehr. Hier war sie mit Bailey allein, und jetzt wirkte er gar nicht mehr verletzlich, sondern im Gegenteil sehr männlich. Und auf diese Ausstrahlung reagierte sie mit ihrer ganzen Weiblichkeit.

Als er den Reißverschluss ihres Kostüms herunterzog, tat er ihr nur einen Gefallen, mit Verführung hatte das nichts zu tun. Trotzdem hatte Serena seinen durchtrainierten Körper hinter ihr sehr bewusst wahrgenommen und registriert, dass sich ihr Herzschlag in seiner Nähe beschleunigt hatte. Sein warmer Atem in ihrem Nacken hatte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken gejagt.

Ohne ihr Kostüm und ihre Rolle war sie nur noch Serena Langley – eine Frau, die kaum Erfahrung im Umgang mit Männern als potenzielle Partner in einer romantischen Beziehung hatte. Deshalb reagierte sie wie viele Menschen in einer unbehaglichen Situation: Sie wollte den Ort des Geschehens schnellstmöglich verlassen.

Während sie noch nach passenden Worten suchte, um sich aus der Affäre zu ziehen, grantelte Bailey weiter.

„Und wenn ich Dienstagnachmittag schon was vorhabe?“

„Wenn du keine Zeit hast, finde ich eben einen anderen Ersatz“, antwortete Serena prompt.

Wahrscheinlich wäre das sowieso das Beste, denn diese Unruhe, die Baileys Nähe in ihr auslöste, war ihr nicht geheuer. Zwar war sie einem Freund, den sie eines Tages heiraten würde, nicht prinzipiell abgeneigt, doch ihre bisherigen Beziehungsversuche hatten sich schnell als Fehlgriff erwiesen.

Hast du denn was anderes vor?“

„Nein“, gab er widerwillig zu. „Aber darum geht es ja nicht.“

„Wenn du nicht aushelfen willst, sag es einfach!“

„Ich glaube einfach nicht, dass ich in Dans große Fußstapfen treten kann.“

„Du hast es doch heute ganz gut gemacht.“

„Das sieht Owen vermutlich anders“, gab er trocken zurück.

„Ein kleiner Ausrutscher. Der passiert dir sicher nicht noch mal.“

„Ganz schön viel Vertrauensvorschuss für einen Typen, den du nicht mal kennst.“

„Ich kann Charaktere ganz gut einschätzen.“

Jedenfalls bei Hunden und Katzen, bei Männern weniger, dachte sie.

„Aber wenn du partout nicht willst, suche ich eben jemand anderen. Ist schon in Ordnung“, legte sie nach.

Doch zu ihrer Überraschung ging Bailey nicht darauf ein, sondern sagte stattdessen: „Was ich will, zählt hier aber offensichtlich nicht. Denn Annie wird Dan erzählen, dass ich einverstanden war. Und wenn ich dann absage, muss ich mich rechtfertigen und zusehen, wie ich da wieder rauskomme.“

„Heißt das jetzt, du machst es doch?“

„Sieht ganz danach aus – falls Dan nicht bis dahin eine Wunderheilung erfährt. Wir sehen uns also wohl am Dienstag in der Schule.“

Als Serena sich anschickte zu gehen, setzte er hinzu: „Oder vielleicht jetzt gleich?“ Irgendwie fiel es ihm schwer, sie gehen zu lassen. Vielleicht war er aber auch nur hungrig …

Unverwandt schaute sie ihm direkt in die Augen. „Wie – jetzt gleich?“

„Das war vermutlich ein wenig eleganter Schwenk zu der Frage, ob du was essen gehen möchtest.“

„Oh.“

„Ich war so nervös wegen des Auftritts als Santa, dass ich nichts zu Mittag gegessen habe. Und jetzt bin ich am Verhungern.“

Serena bot ihm eine übrig gebliebene Zuckerstange an.

„Die wird wohl nicht ausreichen. Und was ist mit dir? Hast du keinen Hunger?“

„Nicht besonders“, sagte sie, woraufhin ihr Magen laut vernehmlich knurrte und sie Lügen strafte.

Bailey grinste. „Möchtest du deine Antwort vielleicht noch mal überdenken?“

„Offensichtlich habe ich doch Hunger“, räumte sie ein und konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

„Wollen wir im Gold Rush Diner eine Kleinigkeit essen?“, schlug Bailey vor. Serena zögerte kurz und fragte dann vorsichtig: „Soll das eine … Verabredung sein?“

„Nein!“, antwortete er wie aus der Pistole geschossen.

Sie schien eher erleichtert als von seiner heftigen Reaktion gekränkt, lächelte und sagte: „In dem Fall: ja.“

Da es nicht weit war bis ins Zentrum von Rust Creek Falls, ließen sie ihre Autos vor dem Gemeindezentrum stehen und gingen zu Fuß. Draußen war es frisch, und der Wetterbericht hatte weiteren Schnee angekündigt.

Als Bailey die Tür des Diners für Serena aufhielt, kündigte der Klang einer Kuhglocke die neuen Gäste an.

Der Laden hatte ganztägig geöffnet, doch die Mittagsstoßzeit war vorüber. Bailey bedeutete Serena, eine der freien Nischen auszuwählen. Sie ließ sich auf einer der roten Kunststoffbänke nieder, und er setzte sich ihr gegenüber. Nach einem kurzen Blick auf die Karte entschied sich Bailey für ein Steak und Serena für einen Salat.

„Dein Magen hat ziemlich laut geknurrt. Meinst du, er gibt sich mit einem Salat zufrieden?“, wandte Bailey ein.

„Ich muss heute Abend noch zu einer Veranstaltung mit Dinner und Tanz im alten Sägewerk. Bis dahin reicht mir ein Salat.“

„Ah, die Benefizveranstaltung für Presents for Patriots! Die habe ich dieses Jahr mit Brendan Tanner organisiert.“

„Dr. Smith hat für seine Spende eine Tischreservierung erhalten und die Karten an seine Mitarbeiter weitergegeben.“

„Dann sehen wir uns dort.“

„Es sei denn, ich bleibe doch lieber zu Hause bei Marvin, Molly und Max.“

„Dass Marvin eine Bulldogge ist, weiß ich ja nun. Aber Molly und Max?“

„Katze und Kaninchen.“

„Du hast viele Haustiere.“

„Tiere sind meist die nettere Gesellschaft.“

„Gilt das auch für deine gegenwärtige?“, hakte er nach.

Sie errötete. „Vielleicht sollte ich lieber sagen, dass ich besser mit Tieren klarkomme als mit Menschen.“

„Mit den Kindern bist du heute jedenfalls super klargekommen“, versicherte er ihr.

„Danke. Aber Kinder sind generell offener und leichter zu erfreuen. Besonders wenn sie auf etwas Bestimmtes fokussiert sind – wie Santa Claus zu treffen.“

„Dabei fällt mir ein: Was ist eigentlich dieses PKT-79, das sich so viele Kinder gewünscht haben?“

„Ein Upgrade des 78ers, das im Frühjahr auf den Markt gekommen war.“

„Des 78er was?“

„Das ist ein interaktives Spielzeug, das in die Hosentasche passt und mit weiteren ähnlichen Spielzeugen kommunizieren kann.“

„Und wo bekommt man so eins?“

„Nirgends. Die sind überall ausverkauft.“

„Überall? Kann ja wohl nicht sein“, antwortete er ungläubig. Das machte seinen schönen Plan zunichte. Dankend nickte er der Bedienung zu, die gerade das Essen servierte.

„Das war eine Schlagzeile in meinem News Feeds letzte Woche: ‚Must-have-Spielzeug des Jahres überall ausverkauft.‘“ Serena gabelte ein Stück Tomate auf. „Aber du könntest natürlich noch Santa um ein PKT-79 bitten.“

„Wird das etwa auch von Santas Elfen am Nordpol hergestellt?“

„Könnte sein. Eine andere Möglichkeit wäre eBay. Doch die Preise werden total überzogen sein bei dem Missverhältnis von Angebot und Nachfrage.“

„Ich hatte gehofft, eins für Owen zu erstehen“, gestand er. „Damit er Weihnachten wieder schön finden kann.“

„Und weil du ein schlechtes Gewissen hast?“

„Auch“, gab er zu.

„Das ist eine wirklich nette Idee. Aber ich kann dir versprechen, dass er auch ohne ein PKT-79 ein schönes Weihnachtsfest haben wird.“

„Woher willst du das wissen?“

„Weil ich seine Familie kenne. Natürlich ist es doof, dass sein bester Freund nach den Feiertagen wegzieht, aber Owen wird damit klarkommen.“

„Dann muss ich mich wohl auf dein Wort verlassen. Und da ich offenbar nun noch mal den Santa gebe, könnte ich ein paar gute Tipps für den Umgang mit den Kindern gebrauchen.“

„Du warst doch selbst mal ein Kind. Erinnere dich an die Vorfreude, die du damals in der Adventszeit empfunden hast und die immer größer wurde bis zur Bescherung.“

Doch daran wollte er sich gar nicht erinnern. Er wollte überhaupt nicht an Weihnachten denken und daran, wie seine Eltern diese Zeit immer zu etwas Besonderem gemacht hatten.

In seiner Familie mit sieben Kindern hatte es zwar keine rauschenden Feste gegeben, doch es hatte immer für jeden etwas unter dem Baum gelegen – etwas Nützliches, wie neue Handschuhe oder warme Unterwäsche, und etwas, das man sich gewünscht hatte, wie ein Brettspiel oder eine DVD.

So sehr verlor er sich in seinen Gedanken – was er doch eigentlich gerade hatte vermeiden wollen –, dass er Serenas Anwesenheit fast vergaß, bis sie sich vorbeugte und seine Hand berührte.

Er zuckte zusammen, nicht nur weil er die Berührung nicht erwartet hatte, sondern auch weil sie sanft und stark zugleich war – die Berührung einer Frau. Und es war lange her, dass eine Frau ihn berührt hatte.

Hastig zog er seine Hand zurück, griff nach seinem Glas und trank einen Schluck. „Weihnachten erinnert mich nur an alles, was ich verloren habe. Natürlich erwarte ich nicht, dass jemand wie du das versteht.“

Serena setzte sich wieder aufrecht hin. „Wie meinst du das – jemand wie ich?“

Wäre er nicht so mit sich selbst beschäftigt gewesen, hätte er ihren verletzten Unterton heraushören können. Doch so antwortete er ohne nachzudenken: „Jemand, der nicht weiß, dass Glück und Freude sich in einem einzigen Moment in Schmerz und Verzweiflung verwandeln können.“

Sie verschanzte sich ebenfalls hinter ihrem Glas und sagte schließlich: „Du solltest dich hüten, Vermutungen über andere Menschen anzustellen.“ Sorgfältig faltete sie ihre Serviette wieder zusammen und legte sie neben ihren Teller.

„Danke für das Mittagessen. Aber ich muss jetzt wirklich nach Hause zu meinen Tieren.“

Und bevor er herausgefunden haben konnte, was er zu diesem Abgang beigetragen hatte, war sie verschwunden.

3. KAPITEL

Zu Hause angekommen, beschloss Serena, die Benefizveranstaltung sausen zu lassen. Obwohl es erst kurz vor sechzehn Uhr war, hatte sie schon einen langen Tag hinter sich und keine Lust, sich aufzubrezeln und auszugehen. Oder hatte sie vielleicht auch nur keine Lust, noch mal auf Bailey Stockton zu treffen?

Ein kuscheliger Pyjama und ein gemütlicher Abend auf dem Sofa mit ihren vierbeinigen Mitbewohnern wären jetzt genau das Richtige.

Nachdem sie Marvin ausgiebig die Ohren und den Bauch gekrault hatte, ging sie ins Schlafzimmer, wo Molly sich auf dem Bett zusammengerollt hatte. Eigentlich durften die Tiere nicht ins Bett, doch während Max meist zufrieden in seinem Papphäuschen hockte, scherte Molly sich eher weniger darum.

„Runter!“, befahl Serena streng und zeigte auf den Fußboden.

Die dreifarbige Katze streckte sich langsam, gähnte und hatte nicht die Spur eines schlechten Gewissens. Antreiben ließ sie sich schon gar nicht.

Als Marvin, der Serena ins Schlafzimmer gefolgt war, Molly auf dem Bett entdeckte, bellte er und erntete dafür ein Fauchen. Er setzte sich neben Serena und himmelte sie an.

„Ja, du bist ein guter Junge!“, lobte Serena ihn.

Er hechelte glücklich.

„Und du …“, hob sie ihren Zeigefinger in Richtung Molly, ließ ihn aber gleich wieder sinken, denn Katzen waren und blieben nun mal eigenwillig. Und obwohl Serena manchmal davon genervt war, bewunderte sie Molly insgeheim dafür auch ein wenig.

Schließlich sprang Molly behände vom Bett und schlenderte zur Tür. Marvin schickte sich an, ihr zu folgen, schaute dann aber wieder unschlüssig zu Serena.

„Geh ruhig mit Molly! Ich ziehe nur rasch meinen Pyjama an und komme dann nach.“

Doch als sie ihren Pulli in den Wäschekorb warf, blieb ihr Blick an dem Kleid hängen, das sie für die Abendveranstaltung schon rausgehängt hatte. Sie hatte es Anfang des Jahres gekauft – ein Schnäppchen nach den Feiertagen, dem sie nicht hatte widerstehen können – und sich seit elf Monaten auf eine Gelegenheit gefreut, es endlich zu tragen. Auch wenn sie im Allgemeinen tierische Gesellschaft der menschlichen vorzog, hin und wieder genoss sie es auch, schick auszugehen.

Seufzend strich sie über den satt weinroten Pannesamt des tief ausgeschnittenen, langärmeligen Kleides mit dem kurzen Rock. Wenn sie es heute Abend nicht ausführte, würde das Kleid wohl ein weiteres Jahr oder noch länger ungetragen im Schrank hängen.

Zwei Plätze an dem Tisch von Dr. Brooks Smith würden ohnehin leer bleiben, denn Annie musste sich ja um ihren kranken Dan kümmern. Und wenn Serena nun auch noch wegblieb, wäre sogar ein drittes Menü verschwendet.

Jedoch würde Dans Bruder Bailey dort sein. Spricht das jetzt dafür oder dagegen, hinzugehen? überlegte Serena.

Als Bailey Stockton vor dreizehn Jahren Rust Creek Falls verließ, hatte das für immer sein sollen. Die Beziehung zu seiner Familie war zerstört, und zwar durch seine Schuld, wie er es sah, und er hatte sich hier keine Zukunft mehr vorstellen können. In Wyoming und dann in New Mexico hatte er mehrere Neuanfänge versucht. Doch seine Hoffnung, vielleicht eine neue Familie gründen zu können, hatte sich zerschlagen. Seine Ehe mit Emily hatte nie wirklich eine Chance gehabt, sie waren einfach zu verschieden und zu dickköpfig, sich auf Kompromisse einzulassen.

Als er im letzten Dezember erfahren hatte, dass sein Bruder Luke nach Rust Creek Falls zurückgekehrt war, hatte er spontan beschlossen, ihn dort zu besuchen. Zufällig kam er auch noch rechtzeitig zur Hochzeit seines Bruders Dan mit dessen Highschool-Liebe Annie, bei der er auch die meisten seiner Geschwister wiedertraf. Die überredeten ihn dann zu bleiben, zumindest für eine Weile.

Obwohl er sich das nie hatte vorstellen können, wohnte er jetzt, elfeinhalb Monate später, noch immer in einem der Cottages auf der Sunshine Farm und erledigte dort alle möglichen Arbeiten. Zwar dachte er alle paar Wochen, es sei an der Zeit, wieder aufzubrechen, doch eigentlich wusste er gar nicht, wohin.

Als er, Luke und Dan damals die Stadt verließen, hatten sie gedacht, die Bank würde die Farm verkaufen, um die Hypotheken abzulösen. Zu ihrer großen Überraschung hatten ihre Eltern, Rob und Lauren Stockton, ihre Schulden jedoch mit Lebensversicherungen abgesichert, und Laurens Vater hatte die ganzen Jahre über die Grundsteuer für den Besitz gezahlt. Deshalb wollten die Geschwister nun alles tun, um ihr Erbe zu bewahren.

Das bedeutete sehr viel Arbeit, und begonnen hatten seine Brüder mit der Scheune, in der Dan und Annie geheiratet hatten.

Die einfache, doch berührende Zeremonie war völlig anders gewesen als Baileys eigene pompöse Hochzeit, doch er war zuversichtlich, dass seinem Bruder ein glücklicheres Schicksal beschieden sein würde.

Luke, sein älterer Bruder, und dessen Freundin Eva hatten sich kurz darauf getrennt, waren jedoch wieder zusammengekommen und hatten sieben Monate später ebenfalls geheiratet. Seitdem lebten sie glücklich auf der Sunshine Farm. Da auch Amy Wainwright, Evas Freundin seit Kindertagen, nach ihrer Scheidung ihren Ex-Mann ein zweites Mal ehelichte, hatte die Farm den Spitznamen „Lonelyhearts Ranch“, Ranch der einsamen Herzen, bekommen.

Offenbar waren viele Menschen in Rust Creek Falls der Liebe begegnet, einschließlich vier seiner Geschwister, war Bailey aufgefallen. Für sich selbst hatte er diesbezüglich allerdings keine Illusionen.

Doch es machte ihn glücklich, anderen zu helfen, wie zum Beispiel der Initiative Presents for Patriots, die auf Benefizveranstaltungen Spenden sammelte, um Angehörigen der Streitkräfte, die in aller Welt stationiert waren, zu Weihnachten ein kleines Geschenk zukommen zu lassen.

Das heutige Event mit Dinner und Tanz würde sicherlich jede Menge Spendengelder für die gute Sache einbringen, doch da fast ausschließlich Pärchen hier waren, fühlte Bailey sich wie das fünfte Rad am Wagen.

Er ließ seinen Blick über die Gäste schweifen in der Hoffnung, Serena zu entdecken. Würde sie überhaupt kommen, wo sie mittags so abrupt das Restaurant verlassen hatte?

Eigentlich kann mir das egal sein, ich kenne sie ja kaum, wies er sich zurecht. Doch irgendetwas an ihr zog ihn an – selbst als sie ihn für sein ungeschicktes Verhalten abkanzelte. Sein Blick war so auf ihre süßen Lippen fixiert gewesen, dass er ihr gar nicht genau zugehört hatte. Wenn ich sie küssen würde, müsste sie aufhören zu reden, war ihm durch den Kopf gegangen. Und: „Würde sie meinen Kuss wohl mit der gleichen Leidenschaft erwidern?“

Ja, er kannte die Frau kaum, und dass er dennoch den Impuls verspürte, sie zu küssen, irritierte ihn. Es war Jahre her, dass er sich so augenblicklich und instinktiv zu einer Frau hingezogen gefühlt hatte, und es wäre ihm sehr recht, wenn das auch künftig nicht mehr passieren würde. Dieses Gefühl war vergänglich und hinterließ ein lädiertes Herz.

Vielleicht hatte er ja Glück und sie war schon wieder gegangen, bevor er in Versuchung geriet, sie zu bitten, den Abend mit ihm zu verbringen. Denn selbst allein inmitten all der Paare war es immer noch weniger unbehaglich, als von irgendwelchen Begehrlichkeiten oder gar Sehnsüchten heimgesucht zu werden.

Als er sich das gerade mehr oder weniger erfolgreich eingeredet hatte und mit einem Drink in der Hand der Bar den Rücken zudrehte, sah er sie. Sein törichtes Herz setzte einen Schlag lang aus.

Serenas seidiges blondes Haar, das über ihre Schultern herabgefallen war, als sie die Mrs.-Claus-Perücke abgenommen hatte, trug sie jetzt hochgesteckt zu einem lockeren, sexy verwuschelten Lockentuff. Einige Haarsträhnen hatten sich gelöst und umspielten weich ihr Gesicht.

Der weinrote Stoff ihres knapp knielangen Kleides betonte ihre appetitlichen Kurven, und ihre Füße steckten in spitzen, hohen Pumps.

Als Bailey einige Schritte auf sie zuging, bemerkte er das Funkeln kleiner Strass-Schneeflocken in ihrem Haar. Die langen Wimpern um ihre tiefblauen Augen wirkten dunkler und voller als am Nachmittag, und dunkelrosa Gloss verlieh ihren fein geschwungenen Lippen einen verführerischen Schimmer.

„Du siehst … wow aus!“, entfuhr es ihm, denn er fand kein passendes Wort für diesen Anblick.

Sie errötete. „Gleichfalls.“

Sein klassischer Anzug mit Weste war nichts Außergewöhnliches, schon gar nicht in diesem Rahmen, doch Serenas Reaktion zeigte, dass sie ihm trotz ihres Abgangs am Mittag offenbar nichts nachtrug.

„Ich war nicht sicher, ob du kommen würdest“, sagte er.

„Ich auch nicht.“

„Umso schöner, dass du hier bist. Und ich hoffe, du hast dein Scheckbuch mitgebracht, da liegen tolle Sachen auf dem Auktionstisch.“

„Sobald ich meinen Tisch gefunden habe, schaue ich sie mir mal an.“

„Du kannst bei mir sitzen“, lud er sie ein.

„Ich sollte am Tisch von Dr. Smith sitzen.“

Er schüttelte den Kopf. „Es gibt keine namentlich reservierten Tische.“

Lange, mit Immergrün, Ilex und kleinen gläsernen Windlichtern geschmückte Tischreihen schlossen zu beiden Seiten an die Tanzfläche an.

„Es ist wunderschön hier“, bemerkte Serena. „Du und Brendan habt ganze Arbeit geleistet.“

Bailey schüttelte den Kopf. „Unser einziges Verdienst ist es, Caroline Ruth für die Organisation des Events engagiert zu haben. Und das Essen haben wir ausgesucht.“

„Was gibt es denn Leckeres?“

Er nahm eine Menükarte vom nächstgelegenen Tisch und las vor: „Landbrötchen mit cremig geschlagener Butter, gemischter Salat mit pochierten Birnen, karamellisierten Walnüssen und Honig-Vinaigrette, Rindersteak, Kartoffelpüree mit geröstetem Mais und als Dessert Blaubeer-Pie oder Mousse au Chocolat.“

„Genau deshalb habe ich heute Mittag nur Salat gegessen“, erklärte Serena.

Bailey lachte und geleitete sie zu seinem Tisch, an dem bereits Luke und Eva saßen, Brendan Tanner und dessen Verlobte Fiona O’Reilly sowie Fionas Schwester Brenna und deren Mann Travis Dalton.

Sie unterhielten sich über das anstehende Verpacken der Geschenke für die Soldaten wie auch über die kürzliche Verlobung von Brendan und Fiona.

„Und seit wann seid ihr zwei zusammen?“, fragte Brenna Bailey und versenkte ihren Löffel in ihrer Schokoladen-Mousse.

Verblüfft blicke Bailey auf. „Was?“

Serena vergaß vor Überraschung, ihr bereits erhobenes Weinglas zum Mund zu führen.

„Wie lange ihr schon zusammen seid!“, wiederholte Brenna.

„Sie sind nicht zusammen“, antwortete Eva stattdessen. „Sie sind verheiratet.“

„Wirklich?“, fragte Brenna entzückt.

„Nein!“, stellte Serena in bestimmtem Ton klar.

Eva zwinkerte Bailey und Serena zu. „Heute waren eine Menge Leute im Gemeindezentrum, die das glauben.“

Serena rollte mit den Augen. „Aber nur, weil wir als Santa und Mrs. Claus aufgetreten sind.“

„Ein kleines Rollenspiel kann sehr belebend sein im Schlafzimmer“, witzelte Brenna.

Serena errötete bis in die Haarspitzen. „Ich hätte heute Abend zu Hause bleiben sollen.“

„Ich wollte euch doch nur ein bisschen aufziehen“, sagte Brenna reumütig. „Obwohl Travis und ich uns tatsächlich verliebt haben, als wir bei ‚The Great Roundup‘ vorgaben, verlobt zu sein.“

„Ich habe mich damals wirklich für euch gefreut!“, erinnerte sich Serena.

„Und ich habe den Hauptgewinn eingeheimst!“, frohlockte Travis.

Da das hochdotierte Event mit den Western-Wettbewerben im vergangenen Jahr in Rust Creek Falls stattgefunden hatte und zwei Einheimische das Finale bestritten, war selbst Bailey, der sich ansonsten für Reality-TV-Shows nicht interessierte, nicht daran vorbeigekommen. „Es war Brenna, die die Million gewonnen hat!“, korrigierte er Travis.

„Schon richtig“, räumte Travis ein und legte seinen Arm um seine Frau. „Aber ich habe Brenna gewonnen!“

Brenna lächelte ihn an. „Und ich dich.“

„Und ich brauche frische Luft“, befand Bailey.

„Ich auch“, schloss Serena sich an und stand auf.

Sie gingen nach draußen vor die Tür, blieben jedoch im Eingangsbereich, um nicht ihre Mäntel holen zu müssen.

„Sie wollen uns gar nicht wirklich nerven“, sagte Bailey, als er mit Serena außer Hörweite der anderen war. „Glaube ich zumindest.“

Sie lachte. „Ich fand sie gar nicht nervig. Ich fand sie total süß. Und ich finde es toll, dass sie sich tatsächlich Hals über Kopf ineinander verliebt haben.“

„Bis jetzt“, schränkte Bailey ein.

Serena hob die Brauen. „Glaubst du, das hält nicht?“

Er zuckte mit den Achseln. „Die Begleitumstände sprechen nicht unbedingt dafür.“

„Liebe ist keine Frage der Umstände, sondern der inneren Einstellung.“

„Bis einer oder beide unsanft auf dem Boden der Tatsachen landen.“

„Das klingt, als hättest du Erfahrung mit unsanften Landungen.“

Er nickte. „Stimmt genau.“

„Ein paar Bruchlandungen und Schrammen hält das Leben für jeden bereit.“

„Von Bruchlandungen und Schrammen erholt man sich auch schnell wieder.“

Auch wenn sein Ton eher beiläufig war, hörte Serena aus Baileys Worten heraus, dass seine Verletzungen tiefer gingen. Hatte vielleicht das Zerbrechen einer Beziehung alte Wunden von dem Verlust seiner Eltern und der Trennung von seinen Geschwistern, die er als junger Mann erlitten hatte, wieder aufgerissen?

„Normalerweise schon“, stimmte sie ihm zu.

„Tut mir leid“, sagte er nach einer kurzen Pause.

Was tut dir leid?“, fragte sie überrascht.

„Dass ich heute Mittag beim Essen offenbar etwas gesagt habe, was dich verärgert hat.“

„Ich bin manchmal etwas überempfindlich.“

„Heißt das, du trägst es mir nicht nach?“, fragte er hoffnungsvoll.

Sie nickte. „Das heißt es.“

„Da bin ich sehr froh. Schließlich wollen wir die Kids in der Grundschule doch nicht mit Spannungen zwischen Santa und Mrs. Claus irritieren.“

„Der Zustand seiner Ehe wird sie vermutlich nicht weiter interessieren, solange er Weihnachten pünktlich ihre Geschenke abliefert.“

„Aber genau das könnte er ja nicht mehr, wenn seine Frau im Scheidungsverfahren den Schlitten und die Rentiere zugesprochen bekommt.“

„Dann sollte er zusehen, dass er sie bei Laune hält!“

„Wenn Santa ein Rezept dafür hätte, wie man eine Frau dauerhaft glücklich macht, stünde das vermutlich ganz oben auf jedem Wunschzettel.“

„Ha ha.“

„Das war durchaus ernst gemeint“, versicherte er ihr. „Und um gleich beim Thema zu bleiben: Würde es dich glücklich machen, wenn ich dich zu einem Drink einlade?“

„Nein, danke. Ich hatte schon ein Glas Wein zum Essen, und mehr trinke ich nicht.“

Ein Glas?“

Sie nickte.

„Okay. Wie wär’s mit einem Tanz?“

„Deine Frage klingt nach einer Einladung. Doch dein Ton lässt vermuten, dass du auf einen Korb hoffst.“

„Wenn, dann nur um deinetwillen. Ich bin nämlich ein lausiger Tänzer.“

„Weshalb fragst du mich dann?“

„Zwischen all den Paaren hier habe ich ein paar einsame Wölfe entdeckt, die nur darauf lauern, dich zu erbeuten, sobald ich dir den Rücken zukehre.“

„Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen? Oder mir lieber Pfefferspray besorgen?“

„Vielleicht solltest du besser doch mit mir tanzen.“

Sie ergriff seine dargebotene Hand und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen. In dem Moment, als er sie in seine Arme zog, wusste sie, dass es ein Fehler gewesen war nachzugeben. Seine Nähe löste sofort wieder diese irritierenden Gefühle in ihr aus.

Mit ihren fünfundzwanzig Jahren hatte sie natürlich einige Freunde gehabt und auch ein paar Liebhaber, aber noch nie hatte sie sich ernsthaft verliebt. Doch auch wenn sie nicht viel über Bailey wusste, ließ die Intensität seiner Anziehungskraft alle Alarmglocken bei ihr klingen.

Schließlich waren seine kurzen und bündigen Bemerkungen über seine gescheiterte Ehe eine deutliche Warnung, dass er zu einer ernsthaften Beziehung nicht bereit war. Sehr schade, denn sie fühlte sich wohl in seinen Armen. Und trotz seiner Behauptung, ein schlechter Tänzer zu sein, führte er sehr gut.

Als das Lied ausklang, lehnte Serena ihren Kopf etwas zurück und sah Bailey an.

Ihre Absätze machten sie acht Zentimeter größer, und wenn er den Kopf ein wenig neigen würde, würden seine Lippen ihre fast berühren.

In dem Moment wünschte Serena sich wirklich, er würde sie küssen.

Dabei kannten sie sich kaum – und dann noch hier in der Öffentlichkeit? Und doch schien ihre ganze Umgebung im Hintergrund zu verschwimmen, und ihr Fokus verlagerte sich nur auf sie beide.

Als er tatsächlich seinen Kopf neigte und seine Lippen nur noch einen Hauch von ihren entfernt waren, hielt sie den Atem an und wartete …

Ein lautes Gitarrensolo durchdrang den Raum, ein plötzlicher Tempowechsel für die Paare auf der Tanzfläche – und der Moment war vorbei.

Serena trat einen Schritt zurück. „Ich … schau mir mal den Auktionstisch an.“

„Als ich dir und Serena auf der Tanzfläche zugesehen habe, war mir klar, weshalb Brenna dachte, dass ihr zusammen seid“, sagte Luke, als Bailey allein zum Tisch zurückkehrte.

„Anstatt uns zuzuschauen, solltest du lieber mit deiner Frau tanzen!“, gab Bailey zurück.

„Nein, danke“, sagte Eva. „Ich habe heute seit vier Uhr früh im Daisy’s gearbeitet, und meine Füße sind sehr froh, nicht tanzen zu müssen. Aber Luke hat recht: Du und Serena gebt ein hübsches Paar ab.“

„Abgesehen davon, dass wir keins sind“, erinnerte Bailey die beiden. „Ist ja toll, dass ihr beide euch gefunden habt und im Glück schwelgt. Doch nicht jeder will so was.“

„Du meinst: Nicht jeder ist bereit zuzugeben, dass er so was will“, verbesserte Eva ihn.

Bailey schüttelte nur den Kopf.

„Vor einem Jahr hätte ich vielleicht auch noch so gedacht wie du, Bruderherz“, warf Luke ein. „Aber dann habe ich Eva getroffen.“

Die schenkte ihrem Mann ein hinreißendes Lächeln, stutzte dann und fragte: „Bellen diese Hunde tatsächlich die Melodie von ‚Jingle Bells‘?“

„Das ist der Klingelton von Serenas Handy“, erklärte Bailey.

Luke nahm das Handy vom Tisch und hob die Brauen, als er das Bild auf der Schutzhülle sah. Dann zeigte er es Eva und Bailey: eine Bulldogge mit einer Nikolausmütze.

Bailey nahm seinem Bruder das Handy aus der Hand und brachte es Serena, die am Tisch mit den zu versteigernden Sachspenden stand.

„Marvin würde ausflippen vor Begeisterung!“ Sie deutete auf einen Hundekorb voller Hundespielzeug und Leckerlis, den ihr Chef gestiftet hatte.

Bailey sah auf die Bieterliste. „Es gibt schon ein Gebot darauf.“

„Und jetzt auch eins von mir“, verkündete Serena und schrieb ihr Gebot in die Liste.

„Du hast die Summe verdoppelt“, stellte Bailey fest.

„Es ist für einen guten Zweck“, erinnerte sie ihn.

„Stimmt.“

„Hast du hier auch etwas Interessantes gefunden?“, erkundigte sie sich.

Das einzig Interessante hier bist du, dachte er. Laut sagte er: „Ich sondiere noch.“ Allerdings nicht das Angebot für potenzielle Beziehungspartnerinnen, wie er soeben Luke und Eva versichert hatte. Er hielt ihr das Handy hin. „Ist das Marvin?“

Sie grinste. „Nein, aber er sieht ihm sehr ähnlich.“

„Du hast einen Anruf verpasst.“

Rasch schrieb Serena ihre Kontaktdaten in die Bieterliste und nahm dann ihr Handy in Empfang. „Keine Ahnung, wer mich angerufen hat. Eigentlich sind alle, die ich kenne, heute Abend hier.“ Sie entsperrte den Bildschirm.

Bailey bemerkte, wie das Strahlen aus ihren Augen verschwand und sie ihre Lippen zusammenpresste, als sie die Nachricht las. Sie tippte eine kurze Antwort ein und sagte dann: „Ich muss gehen.“

„Jetzt schon? Weshalb?“

„Meine Mutter ist im Ace in the Hole.“

„Die Kneipe kenne ich. Was spricht dagegen?“

„Das ist eine lange Geschichte.“

„Soll ich mitkommen?“, bot er an.

Sie schien überrascht. „Danke für dein Angebot, aber das wird nicht nötig sein.“

Er griff nochmals nach ihrem Handy und trug seinen Namen und seine Mobilnummer in ihre Kontaktliste ein. „Nur für den Fall, dass du es dir anders überlegst.“

„Danke“, sagte sie und schenkte ihm ein Lächeln.

Doch Bailey sah ihr an, dass sie in Gedanken bereits im Ace war und bei was auch immer an Unangenehmem sie dort erwarten mochte.

4. KAPITEL

Serena fand einen Parkplatz in der Nähe des Ace in the Hole und stieg aus. Mit jedem Schritt in Richtung Eingang, von dem ihr die Musik schon entgegenschallte, vergrößerte sich ihr Unbehagen.

Vor dem Lokal lungerten einige Cowboys herum, die rauchten. Serena überhörte deren Anzüglichkeiten, stieg rasch die beiden Holzstufen zur Eingangstür hinauf und trat ein.

Ihr erster Blick galt der Bar, die sich über eine ganze Seite des Raumes erstreckte und an deren verspiegelter Rückwand man erkennen konnte, wer auf den Stühlen davor saß. Ihre Mutter war nicht dabei.

Die anderen Wände waren von Nischen gesäumt, vor denen weitere Tische und Stühle bis an die Tanzfläche heran standen, die sich in der Mitte befand.

Als Rosey Traven, die Besitzerin der Kneipe, die hinter dem langen Tresen arbeitete, Serenas Blick auffing, deutete sie mit einer Kopfbewegung in eine Richtung.

Serena folgte dem Hinweis und entdeckte ihre Mutter an einem der Tische mit einem ihr unbekannten Mann.

Amanda Langley hatte das gleiche blonde Haar und die gleichen blauen Augen wie ihre Tochter, jedoch eine knabenhaftere Figur und eine rauchige Stimme, zu der sicher auch ihr jahrelanger starker Zigarettenkonsum beigetragen hatte. Zweifellos war sie eine attraktive Frau.

Sie hatte in der Verwaltung der Mühle gearbeitet, doch privat lebte sie sehr zurückgezogen. Soviel Serena wusste, hatte ihre Mutter kaum Männerbekanntschaften.

Der ebenfalls nicht unattraktive breitschultrige Mann an ihrem Tisch trug Glatze und einen schon ziemlich ergrauten Vollbart.

Während Serena noch zögerte, ob sie hinübergehen oder das Lokal wieder verlassen sollte, sah ihre Mutter auf und entdeckte sie. Zunächst schien sie sehr überrascht, doch dann lächelte sie und winkte ihre Tochter heran.

Serena bahnte sich ihren Weg durch die Menge.

„Rena – was machst du hier?“, fragte Amanda.

Serena beugte sich hinunter und küsste ihre Mutter auf die Wange. „Die wichtigere Frage ist sicher, was du hier machst.“

„Ich esse zu Abend mit einem … Freund.“

Die intensiv blauen Augen des Mannes blitzten auf, und er grinste. Außerdem schien er gute Manieren zu haben, denn er erhob sich und streckte Serena seine Hand hin.

„Mark Kesler“, stellte er sich vor.

Serena ergriff seine Hand. „Serena Langley.“

„Es freut mich sehr, dich endlich kennenzulernen, Serena“, sagte er. „Deine Mutter hat mir so viel über dich erzählt.“

„Wie interessant! Mir hat sie über Sie nämlich gar nichts erzählt.“

„Serena!“, rief ihre Mutter tadelnd.

Doch Mark lachte nur. „Schon gut, Amanda. Es ist doch schön, dass deine Tochter auf dich achtgibt.“

„Ist das so, Serena?“, fragte Amanda.

„Anscheinend kann ich nicht anders“, gab Serena zu. Da ihr warm wurde, nahm sie ihren Schal ab, knöpfte ihren Mantel auf und griff nach dem Glas ihrer Mutter.

„Wenn du etwas trinken möchtest, bestell dir bitte ein eigenes Wasser.“

„Ich wollte nur einen Schluck“, rechtfertigte sich Serena.

„Und? Hat der Schluck deinen … Durst gestillt?“

Sie wussten beide, worauf Amanda anspielte, doch Serena hatte nicht im Mindesten ein schlechtes Gewissen.

„Ja, hat er“, gab sie zurück.

Amanda gabelte eine Fritte von ihrem Teller auf, aß sie und sagte dann ruhig: „Mark weiß, dass ich Alkoholikerin bin.“

Der zog eine Münze aus seiner Jackentasche und schob sie Serena zu.

Es war eine Sobriety-Münze, die die Anonymen Alkoholiker an Teilnehmer vergaben, die das gesamte Programm durchlaufen hatten und trocken waren. Ihre Mutter hatte kürzlich auch eine solche Auszeichnung erhalten mit einer römischen Fünf darauf, die bestätigte, dass sie fünf Jahre lang keinen Alkohol mehr angerührt hatte. Auf Marks Münze prangte eine Fünfundzwanzig.

„Mir ist absolut bewusst, dass man trotzdem immer Alkoholiker bleibt“, sagte er.

„Weshalb seid ihr dann hier?“, wollte Serena wissen.

„Weil es hier die besten Burger gibt“, erklärte Mark.

Das stimmte zwar, doch Serena war sich nicht sicher, ob ihre Mutter der Flaschenbatterie an der Bar widerstehen konnte. Ihr Lieblingsdrink war Gin gewesen, doch viele Jahre lang hatte sie wahllos alles in sich hineingekippt, was sie in die Finger bekam.

„Ich hatte allerdings ganz vergessen, wie groß hier die Portionen sind“, sagte Amanda. „Ich habe zwar den Burger geschafft, aber die Pommes kaum angerührt.“ Sie schob ihrer Tochter den Teller hin.

Serena schüttelte den Kopf. „Ich habe schon bei der Presents-for-Patriots-Veranstaltung gegessen.“

„Ach, deshalb bist du so fein angezogen!“, ging ihrer Mutter auf. „Warst du mit einem Begleiter dort?“

„Nein.“ Doch jetzt musste Serena wieder an Bailey denken, wie sie das Tischgespräch mit ihm genossen hatte – und beim Tanzen die Nähe und Wärme seines muskulösen Körpers, der lange im Verborgenen schlummernde Bedürfnisse in ihr geweckt hatte.

„Oh“, sagte Amanda enttäuscht und dann zu Mark: „Wenn Serena etwas weniger Zeit mit Tieren und etwas mehr mit Menschen verbringen würde, fände sie vielleicht einen netten jungen Mann, mit dem sie eine Beziehung eingehen könnte.“

„Vielleicht möchte sie ja gar keine Beziehung“, wandte Mark ein.

„Danke!“ Serena war froh, dass er auch ihre Sichtweise als Option sah.

So weit die offizielle Version. Insgeheim verspürte sie sehr wohl Sehnsucht, sich in einen Mann zu verlieben, der das erwiderte und mit dem sie eine gute Ehe führen, Kinder haben und in Liebe miteinander alt werden konnte.

„Natürlich wünscht sie sich einen Mann und eine Familie“, ließ sich Amanda nicht beirren, als könne sie die geheimsten Gedanken ihrer Tochter lesen. „Aber sie kann nicht vertrauen und deshalb niemanden wirklich an sich heranlassen. Und das ist allein meine Schuld“, setzte sie reumütig hinzu.

„Nicht allein deine“, widersprach Serena. „Mein Vater hat auch dazu beigetragen, als er uns beide hat sitzen lassen.“

„Und dann habe ich das noch verschlimmert.“

„Schuldzuweisungen nutzen niemandem“, erklärte Mark und legte seine Hand auf Amandas. „Schritt fünf: unsere Fehler eingestehen.“ Er wollte noch etwas sagen, doch sein Handy auf dem Tisch vibrierte. Mark warf einen Blick darauf und schaute dann Amanda an. „Es tut mir leid, aber …“

„Geh nur!“, sagte sie. „Du musst dich nicht entschuldigen.“

„Tut mir leid“, wiederholte er, diesmal an Serena gewandt, bevor er die Nische verließ und das Gespräch annahm.

„Mark ist Gruppenleiter bei den Anonymen Alkoholikern“, erklärte Amanda, als Mark außer Hörweite war.

„Habt ihr euch dadurch kennengelernt?“

„Ja, bei einem Treffen. Er war allerdings nicht mein Gruppenleiter.“

„Aber er war Alkoholiker“, hielt Serena fest.

Ist Alkoholiker. Das bleibt man immer, egal wie lange man trocken ist.“

Serena nickte. Als Angehörige einer Trinkerin hatte sie genügend Veranstaltungen der Anonymen Alkoholiker besucht, um zu wissen, dass der Kampf gegen die Sucht niemals aufhört.

Sie wusste auch, wie hart ihre Mutter dafür gekämpft hatte, trocken zu werden und zu bleiben, und dass sie dafür mehr Respekt verdiente. „Tut mir leid, dass ich überreagiert habe“, sagte sie.

„Tut mir auch leid“, räumte nun auch Amanda ein. „Denn du hast ja gute Gründe für deine Besorgnis.“

„Mark scheint nett zu sein“, sagte Serena.

„Befürchtest du, dass ich mich emotional verstricken könnte und wieder zur Flasche greife, falls es schiefgeht?“

Genau so war es, und deshalb antwortete Serena lieber nicht.

„Das haben wir beide auch befürchtet“, gestand Amanda. „Deshalb haben wir gegen unsere Gefühle füreinander lange angekämpft.“

„Wie lange kennst du ihn?“

„Zwölf Jahre.“

„Und seit wann geht ihr miteinander aus?“

„Im Laufe der Jahre haben wir immer mehr Zeit miteinander verbracht. Aber heute Abend ist unser erstes richtiges Date.“

„Und das hat deine Tochter nun gecrasht.“

Amanda lächelte. „Ich freue mich immer, dich zu sehen.“

Auch wenn Amanda das ehrlich und nicht als Spitze meinte, hatte Serena ein schlechtes Gewissen, dass sie auf die Annäherungsversuche ihrer Mutter in den letzten fünf Jahren so selten eingegangen war – nicht um ihre Mutter zu bestrafen, sondern aus Selbstschutz.

So oft hatte sie ihrer Mutter die erbetene „letzte Chance“ gewährt, dass Serena irgendwann den Glauben daran verloren hatte. Doch vielleicht war auch sie selbst nicht immer die Tochter gewesen, die ihre Mutter sich gewünscht hätte, und jetzt war es an der Zeit, das zu ändern.

Nachdem Mark an den Tisch zurückgekehrt war, wünschte Serena den beiden noch einen schönen Abend und ging zum Ausgang.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es noch nicht zu spät war, zu der Benefizveranstaltung zurückzukehren und nach dem Stand ihres Gebotes zu schauen. Doch damit würde sie sich auch wieder in die Gesellschaft des Mannes begeben, dessen Nähe sie zumindest aufwühlte.

Klüger wäre es, nach Hause zu fahren, wo die völlig ungefährliche Liebe ihrer Haustiere auf sie wartete.

Sie knöpfte ihren Mantel wieder zu, schlang den Schal um ihren Hals und verließ das Lokal, vor dem noch immer zahlreiche Raucher für den Nikotinkick in der Kälte standen.

Als sie sich mit gesenktem Kopf raschen Schrittes ihrem Auto näherte, registrierte sie eine große schlanke Gestalt, die mit dem Rücken zu ihr an der Heckklappe des Wagens neben ihrem SUV lehnte.

Hoffentlich keiner der Typen, die vor dem Lokal herumgelungert hatten!

Ihr Herz schlug schneller, und sie erwog, zurückzugehen und Mark zu bitten, sie zu ihrem Wagen zu begleiten. Doch dann atmete sie tief durch, nahm ihr Schlüsselbund aus der Tasche und steckte die Schlüsselbärte zwischen ihren Fingern durch – so wie ihre Großmutter ihr das beigebracht hatte – und ging forscher, als ihr zumute war, zu ihrem Auto.

Beim Näherkommen kam die Gestalt Serena allerdings irgendwie vertraut vor.

„Bailey?“

Als er sich umdrehte, sah sie, dass sie richtig geraten hatte. Ihr Herz klopfte zwar weiterhin schneller, doch jetzt nicht mehr vor Angst, sondern vor Erleichterung und – Freude.

„Du hast mich zwar nicht angerufen, aber hier geht es an den Wochenenden manchmal etwas rau zu, und ich wollte sichergehen, dass alles in Ordnung ist bei dir.“

„Alles in Ordnung“, versicherte sie ihm.

„Möchtest du darüber reden?“

„Nein“, rutschte ihr spontan heraus, denn seitdem ihre Großmutter sich vor drei Jahren in Arizona zur Ruhe gesetzt hatte, war Serena es gewohnt, ihre Angelegenheiten mit sich selbst auszumachen. Doch dann korrigierte sie sich: „Vielleicht.“

„Wir könnten wieder reingehen und was trinken“, schlug er vor.

„Auf keinen Fall!“, wehrte sie ab und fügte dann etwas sanfter hinzu: „Aber gegen einen heißen Kakao im Daisy’s hätte ich nichts.“

„Also dann: heißer Kakao.“

Im beliebten Daisy’s Donuts reihten Bailey und Serena sich in die Warteschlange am Tresen ein.

„Für mich einen heißen Kakao“, bestellte Serena, als sie an der Reihe waren.

„Nur einen Kakao, wie du ihn dir auch zu Hause machen könntest? Nichts von dem leckeren Gebäck?“, wunderte sich Bailey und entschied sich für einen Kaffee und ein Zimtteilchen.

„Einen so leckeren Kakao wie den hier bekomme ich nicht hin“, bedauerte Serena.

„Geheimrezept“, sagte die Bedienung augenzwinkernd. „Mit Sahne und Schokostreuseln?“

„Ja, gern.“

Als sie sich an einen Tisch gesetzt hatten, umfasste Serena ihren Becher mit beiden Händen und sagte: „Meine Mutter ist Alkoholikerin.“

„Oh.“ Nun verstand Bailey, weshalb Serena nach der Nachricht, dass ihre Mutter sich in der umsatzstärksten Kneipe im Ort aufhielt, davongestürzt war. „War sie betrunken?“

„Nein. Sie hatte Diät-Cola und einen Cheeseburger bestellt.“

„Weshalb bist du dann so durch den Wind?“

„Wenn ich so eine Nachricht kriege, kommen viele schreckliche Erinnerungen wieder hoch, wie in einem Horrorfilm im Schnelldurchlauf.“

„Wer hat dir die Nachricht geschickt?“

„Rosey. Sie kennt unser Familiendrama, das mir immer noch in den Knochen steckt, obwohl meine Mutter seit fünf Jahren trocken ist. Daran haben auch zwei Jahre Therapie mit zwei Sitzungen pro Woche nicht viel geändert.“

„Also deshalb wolltest du heute Abend nicht mehr als ein Glas Wein trinken.“

Sie nickte. „Manche Wissenschaftler glauben, es würde eine genetische Veranlagung zur Sucht geben, und ich möchte kein Risiko eingehen. Obwohl …“, sie hob ihren Becher, „… nach Schokolade bin ich wahrscheinlich süchtig.“

Als sie trank, hinterließ der Kakao einen Sahne-Schnurrbart über ihrer Oberlippe, den sie ableckte.

Fasziniert schaute Bailey auf ihren verführerischen Mund. Zu schade, dass er auf der Tanzfläche die Gelegenheit zu einem Kuss hatte verstreichen lassen!

Aber ich sollte ihr lieber zuhören, anstatt Wunschträumen nachzuhängen, nahm er sich vor.

Doch dieses kleine Pünktchen Schlagsahne, das noch immer das Herz ihrer Oberlippe zierte, hing, lenkte ihn auch weiterhin ab. Schließlich beugte er sich über den Tisch und fuhr mit dem Daumen zart über Serenas Lippe, um die Sahne abzuwischen.

Er hörte, wie sie scharf die Luft einsog, und sah, wie sich ihre Pupillen weiteten. War da vielleicht so etwas wie – Erregung? Oder projizierte er nur seine eigene Erregung auf Serena?

„Schlagsahne“, erläuterte er.

Sie nahm ihre Serviette und tupfte ihren Mund ab. „Ich hätte die Sahne und die Schokostreusel besser weglassen sollen, sie kleckern nur.“

„Macht doch nichts!“, sagte er und stellte sich vor, wie sie gemeinsam mit Schlagsahne und geschmolzenen Schokostreuseln eine Menge Spaß haben konnten …

Serena errötete. Hatte sie etwa etwas Ähnliches gedacht?

Es lag definitiv ein Prickeln in der Luft, das die Atmosphäre aufheizte – wie immer, wenn er in Serenas Nähe war.

In dem einen Jahr, in dem er nun wieder in Rust Creek Falls war, waren ihm viele attraktive Frauen begegnet. Mehrere hatten mit ihm geflirtet und einige mehr als nur ihre Telefonnummer angeboten. Wirklich interessiert hatte ihn keine von ihnen.

Serena Langley hingegen konnte er schon nach wenigen Stunden nicht mehr aus seinen Gedanken verbannen. Schon nachdem sie mittags das Gold Rush Diner so plötzlich verlassen hatte, hatte er einem möglichen Wiedersehen am Abend bei der Benefiz-Veranstaltung entgegengefiebert. Und nun saß er ihr im Daisy’s gegenüber und kämpfte gegen die Versuchung an, sie sich nackt vorzustellen.

Sein ganzes Leben erschien ihm plötzlich heller. Serenas strahlende Augen, ihr warmes Lächeln und ihr offenes Wesen stellten eine ernsthafte Gefahr dar für die Mauern, die er so mühsam um sein verletztes Herz errichtet hatte.

Also musste er auf der Hut sein und lieber einen Schritt zurücktreten – vielleicht auch mehrere –, um sich nicht noch einmal emotional auszuliefern. Aber das hat Zeit bis morgen, beschloss er und aß das letzte Stück von seinem Zimtteilchen.

Vorher wollte er den Abend mit Serena richtig genießen.

5. KAPITEL

„Ich weiß ja, dass ich versprochen habe, nicht so spät heimzukommen“, sagte Serena, als sie ihre Schuhe im Flur abstreifte. „Aber ich wurde aufgehalten.“

Marvin saß wie angewurzelt auf der Stelle, wo er gesessen hatte, als Serena die Tür aufgeschlossen hatte, und blickte sie vorwurfsvoll an.

„Tut mir leid!“ Sie hockte sich neben ihn und kraulte seine Ohren.

Er schloss die Augen und sog ihren Duft ein.

Sie seufzte. „Eigentlich stimmt das nur halb. Es tut mir zwar leid, dass du mich vermisst hast. Aber dass es spät wurde, tut mir überhaupt nicht leid. Ich hatte nämlich einen tollen Abend mit Bailey.“

Marvin hob den Kopf.

„Verzeihst du mir?“ Sie massierte seine Lieblingsstelle.

Er leckte ihre Hand.

„Danke!“ Noch einen Kuss auf seinen Kopf, und dann erhob sie sich und ging ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Kaninchen Max schlief friedlich in seinem Papphäuschen, und Molly hatte sich natürlich doch wieder auf Serenas Bett zusammengerollt. Doch Serena beschloss, das jetzt zu übersehen.

Sie hängte ihr Kleid auf einen Bügel und schlüpfte in ihren kuscheligen Pyjama. Nach dem Zähneputzen wollte sie eigentlich nur noch ins Bett. Doch ihre Gewissensbisse, Marvin heute tagsüber und auch den ganzen Abend allein gelassen zu haben, trieben sie noch mal ins Wohnzimmer, um noch ein bisschen mit ihm zu spielen.

Als er genug hatte, kroch er auf ihren Schoß und schloss die Augen, während Serena seine Ohren kraulte.

„Ich glaube, ich bin dabei, mich zu vergucken“, vertraute Serena ihrem Hund an.

Marvin öffnete ein Auge.

„Das ist verrückt, ich weiß. Ich kenne den Typen ja kaum. Aber … er hat so was an sich …“

Sie streichelte weiter Marvins kurzes, glänzendes Fell.

„Vielleicht liegt es auch nur daran, dass ich so lange nicht mehr mit einem Mann zusammen war, und jetzt interpretiere ich da was rein, was gar nicht da ist. Es war ja nicht mal eine Verabredung, wir haben nur gleichzeitig dieselbe Veranstaltung besucht. Allerdings hat es sich angefühlt wie ein Date. Und es war nett, mich mit einem Mann zu unterhalten, der mir zugehört hat. Du bist natürlich auch ein guter Zuhörer“, versicherte sie ihrem vierbeinigen Freund. „Aber manchmal ist es einfach schön, mit jemandem zu reden, der auch antwortet.“

Marvin gab ein freundliches Brummen von sich.

Serena lachte. „Ich wollte damit nicht sagen, dass man sich mit dir nicht unterhalten kann. Doch um ehrlich zu sein: Ich schaue Bailey Stockton auch gern an. Er ist ein wirklich heißer Typ. Und wenn er mich anschaut, fühle ich mich nicht mehr nur als Tierarzthelferin oder das nette Mädchen von nebenan, sondern attraktiv und begehrenswert. Und das hatte ich schon sehr lange nicht mehr.“

Marvin hob den Kopf und leckte ihre Hand.

„Ich weiß ja, dass du mich lieb hast. Und ich hab dich auch lieb! Aber so süß deine Hundeküsschen auch sind – echte Küsse können sie nicht ersetzen. Obwohl ich mich kaum noch erinnern kann, wie die sich anfühlen, so lange ist das her.“

Nach dem, was dieser Beinahe-Kuss auf der Tanzfläche schon bei ihr ausgelöst hatte, konnte sie sich aber ausmalen, wie ein richtiger Kuss von Bailey Stockton sie elektrisieren würde.

„Morgen bin ich jedenfalls den ganzen Tag zu Hause, und dann gibt es ein paar von deinen Lieblingsleckerlis“, versprach sie und musste lachen, weil er beim letzten Wort seinen Kopf gehoben hatte.

„Und weil du manchmal zu viele Leckerlis bekommst, machen wir einen schönen langen Spaziergang.“

Augenblicklich ließ Marvin seinen Kopf wieder sinken, schloss die Augen und tat, als schliefe er.

„Ein Spaziergang tut uns beiden gut, auch mir nach meinem Kakao mit Schlagsahne und Schokostreuseln heute Abend.“

Die Erinnerung, wie Bailey mit seinem Daumen die Sahne von ihren Lippen gewischt hatte, sorgte bei ihr für einen wohligen Schauer. Doch sie schob die Gedanken gleich wieder beiseite und konzentrierte sich auf Marvin. „Wenn du dich jetzt nicht weiter unterhalten möchtest, ist wohl Schlafenszeit.“

Das Wort „Schlafenszeit“ kannte er, sprang vom Sofa und flitzte zur Hundeklappe. Dort wartete er artig auf seiner Matte, bis Serena ihm gefolgt war, und ging dann durch die Klappe nach draußen, um sein Geschäft zu verrichten.

Nach ein paar Minuten kam er wieder rein und legte sich in seinen Hundekorb in der Ecke.

Serena kehrte ins Schlafzimmer zurück, wo Molly noch immer zusammengerollt mitten auf der Bettdecke lag.

„Du könntest wenigstens etwas zur Seite rutschen!“

Doch die Katze rührte sich erst, als Serena ihr Kissen aufgeschüttelt hatte und unter die Decke schlüpfte. Sie kuschelte sich an Serenas Brust und schnurrte unablässig.

So sehr Serena Mollys Zuneigung auch schätzte, sehnte sie sich doch nach anderer Gesellschaft in ihrem Bett. Als sie in den Schlaf hinüberglitt, stellte sie sich vor, in Baileys starken Armen zu liegen und sein Herz im Gleichklang mit ihrem schlagen zu hören.

Am Dienstagmorgen informierte Annie ihren Schwager per Telefon, dass es Dan zwar besser ginge, sie jedoch nicht riskieren wolle, dass er als Weihnachtsmann die Kinder ansteckte.

Normalerweise hätte es Bailey gegraut davor, nochmals den Santa spielen zu müssen. Stattdessen fuhr er fröhlich pfeifend zur Grundschule, wo er mit Mrs. Claus auf dem Parkplatz verabredet war.

Gemeinsam gingen sie zum für sie reservierten Lehrerzimmer und legten ihre Kostüme an. Auf dem anschließenden Weg in die Turnhalle war Bailey an Serenas Seite sehr viel entspannter als noch weniger Tage zuvor.

Der Blick seiner Nichte Janie und ihr Grinsen offenbarten, dass sie hinter dem weißen Bart ihren Onkel erkannt hatte, aber sie hielt dicht.

Als der Rektor ihn um eine kleine Ansprache bat, redete Bailey darüber, dass es Weihnachten nicht nur darum geht, Geschenke zu bekommen, sondern auch darum, etwas zu geben, und legte den Kindern ans Herz, ihre Eltern um Unterstützung für Presents for Patriots zu bitten.

Der Nachmittag verlief fröhlich, und schließlich kletterte ein kleines Mädchen, das einen Haarreif mit Rentiergeweih trug, auf Santas Schoß.

„Ho ho ho“, sagte Bailey. „Und was wünschst du dir zu Weihnachten?“

Im Gegensatz zu den anderen Kindern, die sich Spielsachen gewünscht hatten, sah die Kleine ihn groß an und sagte: „Ich wünsche mir, dass mein Daddy nach Hause kommt.“

Bailey geriet völlig ins Schwimmen. Was mochte den Vater davon abhalten, Weihnachten bei seiner Familie zu verbringen? War er verreist, die Eltern getrennt oder war er vielleicht sogar gestorben?

Hilflos blickte er sich nach Mrs. Claus um, die ihm wieder einmal zu Hilfe kam.

Sie hockte sich neben Santas Stuhl und sagte sanft zu dem Kind: „Dein Dad hat einen wichtigen Auftrag zu erfüllen, Harley, und er kann erst zurückkommen, wenn der erledigt ist. Aber ich weiß, dass er dich, deine Mommy und deinen Bruder genauso sehr vermisst wie ihr ihn. Und er möchte, dass ihr ein fröhliches Weihnachtsfest erlebt und ihm davon erzählt, wenn er heimkommt.“

Das kleine Mädchen nickte ganz ernst und war entschlossen, jedes Wort von Mrs. Claus zu glauben.

„Gibt es irgendwas Besonderes, das du unter dem Weihnachtsbaum finden möchtest?“, fragte Santa noch einmal.

Diesmal antwortete sie, ganz Kind: „Über eine Stardust-Stacie-Puppe könnte ich Daddy sicher gut was erzählen.“

„Ich will sehen, was ich tun kann“, versprach Santa und hoffte, dass diese Puppe nicht ebenfalls vergriffen war.

Nachdem alle Kinder, die Santa ihre Wünsche mitteilen wollten, Gelegenheit dazu bekommen hatten, zogen sich Mr. und Mrs. Claus wieder ins Lehrerzimmer zurück, um aus ihren Kostümen und wieder in ihr wahres Ich zu schlüpfen.

„Wer war die Kleine, die sich ihren Papa gewünscht hat?“, fragte Bailey und rollte Santas riesige rote Hose zusammen.

„Harley Williams. Ihr Dad ist zurzeit in Syrien stationiert.“

„Weißt du alles über jeden in dieser Stadt?“

„Kaum. Aber die Familie hat zwei Katzen, Ernie und Bert. Du glaubst gar nicht, was die Leute einem alles erzählen, wenn man für ihre Tiere da ist.“

„Danke, dass du mir wieder aus der Patsche geholfen hast!“

„War mir ein Vergnügen!“

„Heute hat es wirklich Spaß gemacht“, musste er zugeben und überlegte, was er noch sagen könnte, um noch etwas Zeit mit Serena verbringen zu können.

Anscheinend wollte auch Serena seine Gesellschaft noch etwas länger genießen, denn sie fragte: „Hast du Lust, mit mir mitzukommen? Ich bringe dich anschließend wieder her.“

„Anschließend an was?“

Sie lächelte verschmitzt. „Traust du dich nun oder nicht?“

„Soll ich nicht fahren und danach setze ich dich wieder hier bei deinem Auto ab?“ Er behielt gern das Steuer in der Hand – sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn.

„Danach? Wonach?“, griff sie neckisch seine vorige Frage auf.

Er zuckte mit den Achseln.

„Und genau deshalb fahre ich.“ Sie entriegelte die Türen ihres Autos mit dem Funkschlüssel. „Ich weiß nämlich, wo es langgeht!“

Zuvorkommend öffnete er ihr die Fahrertür und stieg dann selbst auf der Beifahrerseite ein.

Es ging aus der Stadt heraus in Richtung Highway. Mehrere Hinweisschilder zum Falls Mountain ließen Bailey vermuten, dass das ihr Ziel war.

Tatsächlich fuhr Serena weiter den Berg hinauf, wo sie schließlich rechts von der Straße auf einen kleinen unbefestigten Parkplatz fuhr, von dem ein Weg zum Owl Rock führte, dem nach dem großen eulenförmigen weißen Felsen benannten Aussichtspunkt.

Im Sommer drängten sich hier die Ausflügler, doch jetzt, Anfang Dezember, gab es nur ein paar Unerschrockene, die sich vom Wetter nicht abhalten ließen und zu denen offenbar auch Serena zählte.

„Guter Tag für eine Wanderung“, bemerkte Bailey. Die Luft war kühl, aber die Sonne schien. Außerdem hatte er vor sich den reizenden Anblick von Serenas wohlgeformtem Po in ihrer eng anliegenden Jeans.

„Hier war ich das letzte Mal als Teenager“, sagte er, als sie den Aussichtspunkt erreichten. „Ich hatte diesen Ort schon ganz vergessen.“

„Es ist einer meiner Lieblingsplätze.“ Serena setzte sich auf einen flachen Felsen und zog die Beine in den Schneidersitz hoch. „Grams – so nenne ich meine Großmutter – ging bei meinem ersten Besuch in Rust Creek Falls mit mir hier hoch. Immer wenn ich mich angeschlagen fühle, zieht es mich wieder hierher. In der Natur zu sein hebt meine Stimmung.“

„Und weshalb wolltest du heute kommen?“

Sie schwieg einen Moment und sagte dann: „Weil Harleys Wunsch nach ihrem Vater bei mir schmerzhafte Erinnerungen ausgelöst hat.“

Bailey setzte sich zu ihr, so nah, dass seine Schulter ihre berührte. Nach einer kleinen Pause fragte er. „Was für Erinnerungen?“

„Als ich ungefähr in Harleys Alter war, ging ich zu Santa und bat ihn, meine Schwester rechtzeitig zu Weihnachten aus dem Krankenhaus nach Hause zu bringen.“

„Ich wusste nicht, dass du eine Schwester hast.“

„Habe ich auch nicht.“ Sie löste ihre Beine aus dem Schneidersitz, zog ihre Knie hoch und umschlang sie. „Nicht mehr.“

Er hakte nicht nach. Sie würde ihm mehr erzählen, wenn sie so weit war.

„Sechs Jahre war ich ein Einzelkind“, fuhr sie fort. „Aber ich hatte mir schon immer sehnlichst ein Geschwisterchen gewünscht. Als meine Eltern mir erzählten, dass ein Baby in Mommys Bauch ist, konnte ich es kaum erwarten. Ich hatte mir von Anfang an eine Schwester vorgestellt.“

Sie machte eine Pause und sammelte sich.

„Dann gab es Komplikationen, und meine Mutter musste ins Krankenhaus. Grams kam und sagte, sie würde für ein paar Tage bei mir bleiben. Miriam wurde sechs Wochen zu früh geboren, und ich habe Grams gefragt, weshalb sie sich nicht darüber freuen würde. Sie sagte, das Baby wäre zu klein und würde es vielleicht nicht schaffen. Da ich das nicht verstanden habe, sagte sie ganz freiheraus, Miriam würde vielleicht sterben. Ich konnte das nicht glauben: Babys sterben nicht, nur alte Leute sterben! Da ich darauf bestand, hat Grams mich beim nächsten Besuch mit ins Krankenhaus genommen. Miriam lag in einem Glaskasten und war an lauter Schläuchen angeschlossen. Meine Mutter ist ausgeflippt, weil Grams mich mitgebracht hatte, aber die fand, dass es wichtig für mich wäre, meine Schwester zu sehen, besonders, falls was passieren würde. Dad sagte, alles würde gut, denn Mimi – so nannten wir sie – wäre stark, genau wie ich. Er versprach, dass wir Weihnachten alle zusammen feiern würden. So Mitte Dezember – Mom und Mimi waren immer noch im Krankenhaus – fuhr Dad mit mir ins Einkaufszentrum zu Santa. Als ich an der Reihe war, hatte ich meine Wünsche ganz vergessen und konnte nur noch daran denken, dass meine kleine Schwester Weihnachten aus dem Krankenhaus nach Hause kommen sollte.“

„Hat Santa den Wunsch erfüllt?“, fragte Bailey sanft.

Sie nickte. „Mimi kam am vierundzwanzigsten Dezember nachmittags nach Hause. Es war unser ganz persönliches Weihnachtswunder. Am nächsten Morgen habe ich nicht mal unter dem Weihnachtsbaum nach Geschenken geschaut, sondern bin nur ins Babyzimmer geflitzt, um mich zu vergewissern, dass sie noch da war. Natürlich hat sie ganz viel Zuwendung gebraucht, und die hat sie von mir bekommen. Ich habe sie hochgenommen, wenn sie gebrüllt hat, und habe ihr die Flasche gegeben. Als sie in ihrem Hochstuhl sitzen konnte, habe ich ihr was vorgesungen, und sie hat dazu in die Händchen geklatscht und mit ihren Füßen gestrampelt. Musik fand sie klasse.“

Die Erinnerung zauberte ein warmes Lächeln auf Serenas Gesicht. „An ihrem zweiten Weihnachtsfest, als sie dreizehn Monate alt war, hat sie Weihnachtskekse gemampft und die Schleifen und das Papier von den Geschenken gerupft. Ein Jahr später hat sie bunten Zucker auf unsere Plätzchen gestreut und sogar beim Dekorieren des Baums geholfen.“

Serena legte ihr Kinn auf die Knie, und ihr Blick verlor sich in der Ferne – oder in der Vergangenheit. „Und dann, wenige Wochen nach ihrem dritten Geburtstag, ist sie verschwunden.“

6. KAPITEL

„Sie ist verschwunden?“

Auf einmal hatte die Geschichte eine völlig andere Wendung genommen. Bailey sah Tränen in Serenas Augen aufsteigen und dass sich ihre Arme um ihre Knie verkrampften. Er rückte hinter Serena, spreizte seine Beine, sodass sie Serenas Hüften umfingen, und legte seine Arme um Serenas, um sie zu halten.

„Wir fuhren nach Missoula, um uns die Parade of Lights, diesen tollen weihnachtlichen Straßenumzug, anzuschauen und danach das Ballett ‚Der Nussknacker‘. Ich hatte damals schon seit fünf Jahren Ballettunterricht und war hin und weg von der Aufführung – neben Mimi mein bis dahin schönstes Weihnachtsgeschenk. Am Morgen unserer Rückfahrt wollten meine Eltern auf dem Kunsthandwerkermarkt noch etwas einkaufen. Es war schrecklich voll, und sie hatten mir eingeschärft, Mimi fest an der Hand zu halten, was ich auch getan habe. Doch dann entdeckte sie einen Korb mit Puppen, die aussahen wie die Zuckerfee aus dem Ballett. Mimi ließ meine Hand los, um eine Puppe herauszunehmen, und auch ich nahm eine heraus, um einen Blick auf die Details des Puppenkleids zu werfen. Dann drehte ich mich wieder um, um Mimi das zu zeigen. Doch sie war nicht mehr da.“

Serenas Stimme klang hölzern. „Eben war sie noch neben mir – und dann war sie weg. Meine Eltern gerieten in Panik. Weihnachten war vergessen, wir haben nur noch nach Mimi gesucht. Aber sie blieb spurlos verschwunden. Die Polizei erhielt ganz viele Hinweise und verfolgte zahlreiche Spuren, doch die verliefen alle im Sande. Aus Tagen wurden Wochen, aus Wochen Monate, und allmählich haben wir die Hoffnung verloren, dass Mimi jemals wieder nach Hause kommen würde. Ich weiß, dass sie irgendwo da draußen ist!“, beharrte Serena. „Und ich bin von ganzem Herzen überzeugt, dass sie noch lebt. Nur nicht mehr bei uns. Im Sommer hat meine Mutter angefangen zu trinken. Ich konnte das alles nicht einordnen, habe nur mitbekommen, dass sie lallte und torkelte und viel schlief und dass meine Eltern andauernd stritten. Noch vor dem nächsten Weihnachtsfest hat mein Vater uns verlassen.“

Und ich habe ihr vorgeworfen, sie hätte keine Ahnung, dass Glück in einem einzigen Moment zerplatzen kann! dachte Bailey beschämt.

„Er hinterließ uns eine Nachricht, in der stand, dass er sich als Versager in seiner Familie fühlen und jeder Tag ohne Mimi ihn aufs Neue daran erinnern würde.“

„Das tut mir so schrecklich leid, Serena“, sagte Bailey mit heiserer Stimme. „Es ist bestimmt furchtbar schwierig zu feiern, wenn man ein Kind verloren hat.“

„Mimis Verschwinden war für uns alle eine Katastrophe. Doch meine Eltern hatten zwei Kinder. Und sie waren ja nicht beide verschwunden.“

Bailey wurde klar, dass Serena nicht nur ihre Schwester, sondern durch dieses Ereignis praktisch auch ihre Eltern verloren hatte. So viel Schmerz!

„Nachdem mein Vater weg war, wurde die Trinkerei meiner Mutter noch schlimmer. Im folgenden Jahr verständigte mein Lehrer das Jugendamt, weil ich in der Schule tagelang dieselben Klamotten trug und öfter nichts zu essen dabeihatte. Dann kam Grams wieder zu uns. Meine Mutter hat versucht, mit dem Trinken aufzuhören, doch früher oder später endete sie doch wieder volltrunken auf dem Sofa.“

Auch Bailey kannte jenes schwarze Loch, in dem nichts den Schmerz zu lindern oder die Leere zu füllen vermochte, als sich zu betäuben. Er wusste, wie gefährlich diese Spirale war, und war sehr dankbar, dass er gerade noch rechtzeitig die Notbremse hatte ziehen können.

„Schließlich hat Grams meinen Krempel zusammengepackt und mich zu sich nach Hause nach Rust Creek Falls mitgenommen. Meiner Mutter hat sie gesagt, dass sie – wenn sie nachweisen kann, dass ihre Tochter ihr wichtiger ist als eine Flasche Schnaps – ebenfalls zu uns kommen kann. In den folgenden Jahren habe ich meine Mutter kaum gesehen. Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, das zu sagen, aber diese Jahre waren die normalsten meiner Kindheit. Bei meiner Oma hatte ich alles, was ich brauchte. Es war mein Glück, dass sie da war.“

Ein solches Glück hatte Bailey nicht gehabt, als er seine Eltern verlor. Seine Großeltern hatten ihren drei ältesten Enkelsöhnen im Grunde genommen mitgeteilt, dass sie nun für sich selbst sorgen mussten, und die beiden jüngsten Kinder in Pflegefamilien gegeben. Die sieben um ihre Eltern trauernden Geschwister waren getrennt worden.

„Lebt deine Großmutter noch in Rust Creek Falls?“, fragte er Serena.

Sie schüttelte den Kopf. „Vor ein paar Jahren, als ich meinen Collegeabschluss in der Tasche und meine Mutter sich wieder gefangen hatte, ist Grams nach Arizona in die Wärme gezogen. Dort hat sie mit Golf angefangen, spielt Bridge, macht Wassergymnastik. Und sie hat einen neuen Verehrer“, setzte Serena lächelnd hinzu.

„Ich vermisse sie, aber ich freue mich auch für sie. Und mir hat das die wichtige Erfahrung beschert, dass ich jetzt auch allein zurechtkomme. Sie ist eine kluge Frau und hat mir beigebracht, mich auf die glücklichen Weihnachtserinnerungen zu fokussieren. Auch Mimi liebte Weihnachten. Und wenn ich mir ihre Freude in Erinnerung rufe, verspüre ich auch selbst wieder welche.“

Ich habe aus ihrer scheinbaren Frohnatur völlig falsche Schlüsse gezogen, ging Bailey auf. Nachdem er nun wusste, was sich unter ihrer Oberfläche verbarg, sagte er voller Überzeugung: „Du bist eine wunderbare Frau, Serena Langley.“

„Ach, ich weiß nicht …“

In einem Anfall von Sympathie und da er keine Worte für dieses Gefühl fand, zog er sie noch enger an sich.

Serena lehnte ihren Kopf zurück gegen seine Schulter. Als sie schräg zu ihm aufblickte, sah er, dass ein kleines Lächeln ihre Lippen umspielte. Sie hatte ihm seine harschen Worte von neulich vergeben.

Ohne eine bestimmte Absicht beugte Bailey instinktiv seinen Kopf vor und hauchte einen ganz zarten Kuss auf ihre Lippen.

Und Serena erwiderte ihn. Ihre Lippen waren tatsächlich so weich und schmeckten so süß wie in seiner Vorstellung.

Hier auf dem Owl Rock mit Serena zu sitzen und sie zu küssen, war Baileys Highlight des Tages, der Woche – ach was, vermutlich dieses ganzen Jahres.

Autor

Brenda Harlen
<p>Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
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