Bianca Extra Band 146

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ZURÜCK ZU DIR – FÜR IMMER? von CHRISTINE RIMMER

Hunter Bartley wiederzusehen ist nichts Besonderes, glaubt Jobeth. Er ist inzwischen ein TV-Star in Hollywood, der in ihrem Heimatstädtchen dreht, sie lebt immer noch auf der elterlichen Ranch. Viel zu spät erkennt sie: Die erste große Liebe ist immer etwas Besonderes …


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  • Erscheinungstag 08.03.2025
  • Bandnummer 146
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531252
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Christine Rimmer

1. KAPITEL

Aus dem Fenster des zweiten Stocks hatte man die beste Sicht auf den Eingang des Statesman Hotels, und das nutzte Jobeth Bravo schamlos aus.

Sie befand sich in dem Büro ihrer Schwester Starr, der die Zeitung Medicine Creek Clarion gehörte. Im Augenblick war Starrs Blick auf den Bildschirm vor ihr geheftet, und ihre Finger huschten in schwindelerregender Geschwindigkeit über die Tastatur.

Dann hob sie mit einem Mal den Blick und kräuselte die Stirn. „Geh von dem Fenster weg“, sagte sie. „Du bist besessen.“

Jobeth rührte sich nicht. Stattdessen wiegte sie behutsam ihr Baby auf dem Arm und berührte mit der Nasenspitze dessen Wange. Das kleine Mädchen gurrte zufrieden. Neun Monate war Paisley bereits und meistens ein wahrer Sonnenschein.

Jobeth starrte auf den Hoteleingang. Ihre Gedanken wanderten immer wieder in die Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die sie am liebsten geändert hätte – oder zumindest vergessen. Sie wünschte, sie könnte morgen aufwachen, lächeln, alles abschütteln und nur noch nach vorne sehen.

Ohne auch nur die geringste Erinnerung an Hunter Bartley.

„Da-ga-wa“, brabbelte Paisley und versuchte, einen Finger in Jobeths Nase zu schieben. „Das wirst du schön sein lassen“, sagte Jobeth und hielt die winzige Hand fest. Paisley gab ein glucksendes Geräusch von sich.

Jobeth versuchte, den Blick von dem Hotel zu lösen.

Eine Menge Fernsehleute aus Hollywood waren dort untergebracht. Sie alle arbeiteten für die beliebte Heimwerker-Show Rebuilt by Bartley. Umbauen mit Bartley.

Zu dumm, dass der Heimwerkerstar dafür in seine Heimat zurückgekehrt war.

Die Produzenten waren offensichtlich so begeistert von der Idee, dass sie beschlossen hatten, die Serie zu erweitern – mit der Miniserie Hunter Comes Home. Hunter kommt nach Hause. Dafür hatten sie ganze vier Monate veranschlagt, während der Hunter und sein Team sich mehrere Gebäude in Medicine Creek vornehmen sollten.

Unglücklicherweise würde Hunter aber nicht mit den anderen im Hotel wohnen.

Jobeth seufzte. „Ich gehe nie wieder nach Hause. Zumindest nicht in den nächsten vier Monaten.“

Starr beendete mit fliegenden Fingern einen weiteren Absatz ihres Artikels und bemerkte dann trocken: „Bitte. Es ist ja nicht so, als ob er mit dir in deinem Haus wohnen würde.“

Jobeth vergrub die Nase in Paisleys dunklen Kringellöckchen und murmelte: „Aber beinahe.“

Dank der Hollywoodinvasion, wie Jo es insgeheim nannte, waren die bekanntesten Hotels in Medicine Creek bereits voll belegt. Trotzdem gab es auch hier noch andere Möglichkeiten zum Übernachten. Während der wärmeren Sommermonate war das Städtchen bei Touristen beliebt, und inzwischen gab es Ferienwohnungen von privat zu mieten.

Warum hatte ihr Vater also Hunter unbedingt anbieten müssen, auf der Ranch zu wohnen? Und warum hatte Hunter auch noch zugesagt?

Als Star der Show hätte er das beste Hotelzimmer haben können.

Stattdessen hatte er sich für ein einzelnes Zimmer auf der Rising Sun Ranch entschieden, wo er sich das Bad mit jemandem teilen musste. Wieso? Was hatte ihn dazu bewogen? Warum ausgerechnet auf der Ranch?

Jobeths Kopf war voller Fragen.

Zum Glück hatte Jobeth ihr eigenes Häuschen auf dem elterlichen Grundstück. Ein kleines Haus, das sie selbst vor sechs Jahren erbaut hatte. Allerdings befand es sich nur fünfzig Meter vom Haupthaus entfernt.

„Früher oder später werden wir uns über den Weg laufen“, sagte sie finster. Sie verlagerte das Gewicht des Babys auf ihren Armen. „Es geht gar nicht anders.“

Der Bürostuhl quietschte, als Jos Schwester sich nun von ihrem Platz erhob. Starr war zweiundvierzig Jahre alt und eine echte Schönheit – und im Augenblick hochschwanger. Sie rieb sich den Rücken. „Du hättest einfach Nein sagen sollen, als Dad dich gefragt hat, ob er Hunter einladen soll.“

Sie kam hinter dem Schreibtisch hervor und trat neben Jobeth. Ihr gigantischer Bauch nahm inzwischen eine Menge Raum ein. Sie war im achten Monat, und die Schwangerschaft war eine echte Überraschung für sie gewesen. Allerdings hielt sie das nicht von ihrer Arbeit ab. Starr war Besitzerin und Chefredakteurin des Clarion, und sie liebte ihren Job ebenso sehr wie ihre Familie.

Jobeth schüttelte den Kopf. „Es ist sechzehn Jahre her. Ich war inzwischen verheiratet. Er war verheiratet. Damals waren wir Kinder. Es ist keine große Sache, das weiß ich. Das habe ich auch Dad gesagt.“

„Ap!“ Paisley streckte die pummeligen Ärmchen nach ihrer Tante aus.

Starr nahm das Baby und wiegte es an ihrer Brust. „Warum drehst du dann so durch?“

Jo starrte aus dem Fenster. „Ich weiß, dass ich mich total albern benehme.“

„Das habe ich nicht gesagt“, entgegnete Starr sanft.

„Nein, hast du nicht. Aber ich sage das. Ich habe wirklich geglaubt, ich wäre darüber hinweg.“ Hunter Bartley und seine Crew waren gestern angereist. „Aber jetzt ist er wirklich hier, und ich will ihn gar nicht sehen. Aber auf der Ranch wird sich das nicht vermeiden lassen.“

„Wird schon gut gehen.“

„Nein, wird es nicht.“

„Ach komm schon, Jo. Du machst dir zu viele Gedanken. Wenn du den ersten Wiedersehensmoment erst mal überstanden hast, wirst du merken, dass es gar keine große Sache ist.“

„Ach ja?“ Jo behielt ihre Gedanken für sich. Sie dachte an Beau, Starrs Ehemann. Ihre Schwester hatte Beau schon gekannt, bevor er zu einigen Jahren im Staatsgefängnis von Wyoming verurteilt worden war. Beau hatte ihr das Herz gebrochen. Ihn wiederzusehen, nachdem er entlassen wurde, war für Starr eine enorm große Sache gewesen.

All das lag bereits Jahrzehnte zurück. Inzwischen war Starrs Herz vollständig geheilt … von dem Mann, der es einst gebrochen hatte. Aber ganz sicher hatte Starr niemals den Moment vergessen, als sie ihn zum ersten Mal wiedergesehen hatte.

„Na schön.“ Starr drückte Paisley an ihre rechte Schulter und umarmte ihre Schwester mit dem freien Arm. „Vielleicht untertreibe ich ein bisschen.“

„So?“

„Ich will doch nur sagen: Alles wird gut. Du fühlst eben, was du fühlst, Jo. Vergiss nur nicht zu atmen. Und mach dich nicht selbst fertig.“

„All die Jahre …“ Jobeth sah durch das Fenster auf die rostrote Ziegelsteinfassade des altehrwürdigen Hotels. Ein durchtrainierter Mann in enganliegenden Jeans, einer Lederjacke und einem zweifellos teuren Haarschnitt trat unter dem gestreiften Vordach der Lobby hervor.

Das ist nicht Hunter, dachte sie. Sie sah ihm nach, wie er die Straße hinabging. Nicht Hunter, aber eindeutig so ein Hollywoodtyp. Sie rieb sich den verspannten Nacken.

Paisley gab eine Reihe unzusammenhängender Laute von sich und brachte Starr damit zum Lachen.

Jobeth bemerkte es kaum. Sie sah dem Fremden nach, bis er außer Sichtweite war. „Ich habe nie versucht, herauszufinden, was Hunter macht. Jedes Mal, wenn ich versucht war, online nachzusehen, habe ich mir gesagt, dass es besser ist, loszulassen. Die Vergangenheit hinter mir zu lassen. Nach vorne zu sehen.“

Sie seufzte. „Aber jetzt? Starr, ich dreh noch total durch.“ Sie fing Starrs Blick. „In den vergangenen Wochen habe ich angefangen, ihn online zu stalken. Bin ich verrückt?“

„Nein, Jo. Du bist nicht verrückt.“

„Warum komme ich mir dann vor wie eine hoffnungslose Vollidiotin?“

„Komm her.“ Starr zog Jobeth an sich, was gar nicht einfach war, denn Jo war zwischen Starrs riesigem Bauch und einer girrenden Paisley eingeklemmt. „Du hast ihn geliebt. Wirklich geliebt“, flüsterte Starr. „Liebe ist kein Verbrechen.“

„Vielleicht nicht. Ich habe trotzdem das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben. Und jetzt kommt alles wieder hoch.“

Gegen Mittag war die dichte graue Wolkendecke vom Morgen aufgerissen, und nun strahlte der Himmel in einem klaren Babyblau. Die Tageshöchsttemperatur versprach milde fünfzehn Grad.

Hunter Bartley war sehr zufrieden mit sich, als er jetzt in seinem geliehenen Ram 2500 in die Stadt fuhr. Der mächtige Geländewagen schnurrte zuverlässig und widerstandslos über die unebene Landstraße, und durch die geöffneten Fenster wehte der Duft von Kiefernholz und Gras herein.

Hunter war auf dem Weg zu einer Reihe von Meetings, bei denen die letzten Schritte vor Produktionsbeginn der Serie besprochen würden. Wenn er einen Blick in den Rückspiegel warf, konnte er die Bighorn Mountains sehen, die sich erhaben in den Himmel reckten.

Vor ihm lag seine ehemalige Heimatstadt Medicine Creek.

Das Heimkehren war ihm bisher nicht annähernd so schwergefallen wie erwartet. Das überraschte ihn, denn vor sechzehn Jahren hatte er geglaubt, nie wieder in diesen Teil der Welt zurückkehren zu wollen.

Er hatte sein Werkzeug und seine wenigen Habseligkeiten zusammengepackt und hatte Medicine Creek den Rücken gekehrt. Damals hatte er einen verbeulten alten Ford Maverick gefahren. Er hatte den Weg in Richtung Süden eingeschlagen und nicht mehr zurückgesehen.

Vor ihm lag ein anderes Leben. Ein größeres Leben. Eines, in dem er nicht für immer und ewig der verarmte Junge war, der ohne Mutter aufwuchs, mit einem Verlierer von einem Vater.

Ein leises Lachen löste sich in seiner Brust. Das alles war Vergangenheit. Vorbei.

Heute führte er ein gutes Leben. Ein ziemlich gutes Leben.

Das Soundsystem seines Pick-up-Truck klang wie in einem Konzertsaal. Bei einem Song von Chris Stapleton gab Hunter dem Googleassistenten den Befehl, die Lautstärke hochzuregeln. Das Lied Starting Over drang aus den Boxen. Die raue, nach Whiskey und Rauch klingende Stimme des Sängers hatte Hunter schon immer gemocht.

So wand sich der Wagen durch die sanften Hügel rund um die Rising Sun Ranch, und die friedlich weidenden Rinder wandten verblüfft die Köpfe, als der Pick-up mit laut schallender Musik vorbeifuhr.

Hunter sang mit und trommelte den Rhythmus auf das Lenkrad, während seine Gedanken zum wiederholten Male zu Jobeth schweiften. So viele Jahre waren vergangen, und er fragte sich, wann er sie wohl wiedersehen würde. Sicher würde sich bald eine Gelegenheit ergeben – nun, da er auf ihrer elterlichen Ranch wohnte.

Die Straße wand sich einen weiteren Hügel hinauf. Auf der Spitze sah Hunter sich unerwartet einer Kuh gegenüber, die mitten auf dem Weg stand. „Was zur …“

Mit voller Wucht trat er auf die Bremse. Schmutz und Steine spritzten zu beiden Seiten des Geländewagens auf. Nur wenige Meter von dem Tier entfernt kam er zum Stehen.

Er hatte geglaubt, der wuchtige Pick-up würde das Tier erschrecken und zum Weitergehen bewegen, doch es rührte sich nicht von der Stelle. „Google, mach die Musik leiser.“

Chris Stapleton wich zu einem leisen Hintergrundgeräusch. Hunter streckte den Kopf aus dem Fenster. „Na geh schon weiter! Geh!“

Die große rotbraune Kuh schien wenig beeindruckt. Sie starrte ihn an und begann zu kauen.

Hunter ließ den Wagen langsam weiterrollen, in der Hoffnung, das Tier möge zurückweichen.

Fehlanzeige. Das Einzige, was sich bewegte, waren der Kiefer und der Schwanz der Kuh, der gemächlich eine Fliege davonwedelte. Und ihr Ohr zuckte kurz, jenes, in dem ein Stecker mit ihrer Kennnummer angebracht war.

Hunter drückte lang haltend auf die Hupe.

Nun zuckten beide Ohren, doch die Kuh rührte sich keinen Zentimeter. Sie starrte ihn aus braunen, seelenvollen Augen an.

Na schön. Zeit, andere Maßnahmen zu ergreifen.

Hunter kletterte vom Fahrersitz und ging langsam auf die Kuh zu. Stur blieb sie stehen.

Immerhin ging sie nicht zum Angriff über, sondern kaute in aller Ruhe weiter. Selbst, als Hunter sich auf Armeslänge genähert hatte, blieb sie ungerührt stehen. Behutsam griff er nach der Marke in ihrem Ohr und las. „Also, RS-241, du bist ein echter Rebell, was?“

Ihr Blick aus großen, weisen Augen ruhte auf seinem Gesicht. „Hast du nichts zu deiner Verteidigung zu sagen?“

Offenbar nicht.

Hunter war fast so weit, ihr einen Klaps auf das Hinterteil zu geben, als sich ein zweiter Wagen näherte. Unweit der starrsinnigen Kuh kam er zum Stehen. Dann stieg eine Frau. Sie trug alte Jeans und ein kariertes Hemd.

Er brauchte einige Sekunden, um zu erkennen, dass es Jobeth war.

Verdammt, sah sie gut aus. So schlank und stark wie früher, das glatte, hellbraune Haar zu einem Pferdeschwanz im Nacken gebunden. Ihre großen, ernsten blauen Augen weiteten sich.

So kannte er Jo. Sie war älter geworden, ja, aber noch immer genauso reizend, mit diesen süßen, hellen Sommersprossen auf Nase und Wangen.

Dieselbe Jo …

Zweifellos stand sie noch immer morgens um vier Uhr auf, wenn sie das Gefühl hatte, dass es einem der Kälbchen nicht gut ging. Ganz gleich, wie kalt oder stürmisch es draußen war.

Ein oder zwei Mal hatte er sie auf diesen frühmorgendlichen Touren begleitet. Sie hatte ihn den Wagen fahren lassen …

Er erinnerte sich so lebhaft daran, als sei es gestern gewesen.

Wie sie an einem eisigen Frühlingsmorgen nach einem Kälbchen Ausschau gehalten hatten, das sich offenbar verirrt hatte und bei der verängstigten Mutterkuh panische Schreie auslöste. Als sie das Kälbchen endlich fanden, war das Tier halb erfroren und verhungert.

Jobeth hatte es auf den Beifahrersitz verfrachtet und die Heizung auf volle Leistung gestellt. Zurück auf der Ranch, hatte sie das Kälbchen behutsam unter eine Wärmelampe gelegt. Sobald das Kälbchen erholt war, hatten sie es zur Mutter zurückgefahren und abgewartet, bis es endlich zu trinken begann.

„Hallo, Hunter.“ Noch immer lag dieser ernste Ausdruck in ihrem Gesicht, als sie ihn nun über den Rücken der Kuh hinweg ansah.

Was für ein seltsamer, beinahe surrealer Augenblick, dachte Hunter.

Im hellen Licht der Nachmittagssonne konnte er nun deutlich sehen, dass um ihren Mund erste Lachfältchen lagen. Auch um ihre strahlenden, aquamarinblauen Augen zeigten sich erste Linien.

Die vergangenen Jahre waren zwar kaum merklich an ihr vorbeigegangen, trotzdem brach es ihm fast das Herz, an all die verlorene Zeit erinnert zu werden.

Es war einfach zu verdammt lange her.

Er berührte den Schirm seines Basecaps zum Gruß mit dem Zeigefinger. „Jobeth. Schön, dich zu sehen.“

Denn das war es wirklich. Sehr schön sogar.

Sie musterte sein Gesicht. „Gibt es ein Problem?“

„Nun, RS-241 will den Weg nicht freigeben.“

Sie zog das Handy aus der Hemdtasche und drückte offenbar eine Kurzwahlnummer. „Hi. Ich bin’s.“ Dann erwähnte sie die Kuh und ratterte routiniert eine Ortsbeschreibung hinunter.

„Kommt sie jemand abholen?“, fragte Hunter. „Großartig. Danke dir.“

Sie steckte das Handy weg und sah ihn an. „Ich locke sie von der Straße, dann kannst du weiterfahren.“

Fasziniert sah er ihr nach, wie sie zu ihrem Truck sprintete. Unwillkürlich blieb sein Blick auf ihrem Po haften. Gleich darauf kehrte sie mit einem Seil zurück, legte es der Kuh um den Hals und führte sie zum Straßenrand, wo sie das andere Ende des Seils um einen Zaunpfosten band.

Von ihr hatte sich das Tier widerstandslos führen lassen.

Hunter überkam das ungute Gefühl, dass sie nun einfach in ihren Wagen steigen und davonfahren würde. Rasch eilte er an ihre Seite.

Allerdings hatte er keine Ahnung, was er zu ihr sagen sollte.

Er wollte sie einfach eine Weile ansehen. Ihre Stimme hören.

Es kam ihm so vor, als hätte er sie erst gestern zurückgelassen … und doch war seither eine gefühlte Ewigkeit vergangen.

Sie war einen Schritt zurückgewichen. Wachsam sah sie ihn an. Ihre unvergleichlichen, strahlenden Augen glommen in einem Mix aus Blau, Grau und lebhaftem Grün.

Er öffnete den Mund, ohne genau zu wissen, was er sagen sollte … als er vom Rücksitz ihres Wagens das Weinen eines Babys zu hören glaubte.

War zur Hölle …? Sie hatte ein Baby?

Der Magen sank ihm bis in die Kniekehlen. Ihr Vater hatte mit keinem Wort ein Kind erwähnt. Nicht, dass Hunter danach gefragt hätte.

Dennoch … hätte er nicht wissen müssen, dass Jo ein Baby hatte?

Denn, zugegeben: Hin und wieder hatte er während der vergangenen Jahre online nach ihr gesucht.

Aus ihrem ansonsten wenig informativen Facebook-Profil hatte er entnommen, dass sie Nick Collerby geheiratet hatte. Sogar ein Hochzeitsbild hatte sie damals gepostet.

Dass sie ausgerechnet Nick geheiratet hatte, war ein Schock gewesen. Damals in der Schule hatten sich die beiden nicht ausstehen können.

Und offenbar hatte die Ehe auch nicht lange funktioniert. Denn vor etwa vier Jahren hatte sie ihren Status wieder auf Single umgestellt.

Doch was in ihrem Leben wirklich vorging, davon hatte Hunter keine Ahnung.

Sein Blick suchte ihre linke Hand.

Kein Ehering.

Jo lachte.

Der Klang ihres Lachens löste etwas in ihm aus, das ihn beinahe innerlich verbrannte. Es machte ihn wehmütig. Es machte ihn … sehnsüchtig.

„Wonach suchst du, Hunter?“

„Gar nichts.“

„Klar …“

Wirklich, er hätte sich mehr Mühe geben sollen, etwas über sie herauszufinden. Er hätte mit jemandem in der Stadt in Kontakt bleiben sollen. Aber im Grunde genommen gab es da niemanden. Er hatte keine echten Freunde gehabt. Außer Jo. Jo hatte ihm die Welt bedeutet.

Womöglich hatte er gar nichts herausfinden wollen. Denn weder er noch sie würde sich jemals ändern, und für sie beide gab es einfach keinen gemeinsamen Weg. Den würde es niemals geben.

Nur in seinen schwachen Momenten hatte er nach Informationen über sie gesucht. An jenen Tagen, an denen er sich einfach nicht aufhören konnte zu fragen, was aus ihnen hätte werden können.

Das Baby weinte jetzt leise. Jobeth ging um ihn herum zu ihrem Geländewagen.

Jetzt hätte er sie einfach gehen lassen sollen.

Aber das konnte er nicht. Wie in Trance folgte er ihr zu ihrem Wagen.

Jobeth öffnete die hintere Tür, lehnte sich vor und brachte ein süßes kleines Baby zum Vorschein. Dem pinkfarbenen Fleecepullover nach zu urteilen, war es ein Mädchen. Es hatte hellbraune Haut und lockiges schwarzes Haar, das zu beiden Seiten des Kopfes in steifen Zöpfchen abstand.

Sobald Jobeth es an sich drückte, hörte es auf zu weinen.

„Das ist meine Tochter Paisley.“ Jos Gesicht hatte einen sehr sanften Ausdruck angenommen. Sie rieb die Nase an Paisleys Wange. Das kleine Mädchen blickte Hunter aus großen, dunklen Augen an.

Dann erschien auf ihrem Gesicht ein strahlendes Lächeln, und dieses Lächeln enthüllte vier winzige Zähnchen – zwei oben und zwei unten. Das Baby brabbelte etwas und streckte die dicken Ärmchen nach ihm aus.

Beinahe hätte er ebenfalls die Arme nach ihr ausgestreckt … doch Jo drückte das kleine Mädchen fester an sich und küsste es auf die mollige Wange. „Sie ist neun Monate alt. Eigentlich sollten Babys in ihrem Alter Fremden gegenüber misstrauischer sein. Aber Paisley überhaupt nicht. Sie denkt, jeder sei ihr bester Freund. Stimmt’s, Purzelchen?“

Die Kleine berührte Jos Wange mit einem pummeligen kleinen Händchen. „Ma-ma-ma!“

Ihm war klar, dass er das nicht fragen sollte. Aber er tat es trotzdem. „Also bist du verheiratet?“

„Nein. Ich habe Paisley adoptiert. Gleich nach ihrer Geburt.“

Jetzt hatte er erst recht Tausende Fragen. Kannst du keine eigenen Kinder bekommen? Wer ist die leibliche Mutter? Wo ist der Vater? Wann ist das passiert? Warum weiß ich nichts davon?

Nur mit Mühe gelang es ihm, den Mund zu halten.

Noch bevor er sich sammeln konnte, hatte Jobeth das Baby zurück auf den Rücksitz gebettet. Sie reichte ihm eine farbenfrohe Rassel aus Plastik, die Paisley unwillkürlich versuchte, in den Mund zu nehmen.

Jobeth schloss die Tür und wandte sich zu ihm um. „War schön, dich zu sehen, Hunter.“ Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen.

Da wurde ihm bewusst, dass sie darauf wartete, er würde ihr den Weg frei geben. Sich verabschieden. Als er das nicht tat, sagte sie: „Ich fahre jetzt nach Hause.“

Sie wand sich an ihm vorbei, umrundete den Truck und setzte sich auf den Fahrersitz.

Wortlos blieb er mitten auf der Straße stehen und sah ihr nach, wie sie davonfuhr.

Jobeths Hände wollten nicht aufhören zu zittern.

Sie hielt das Lenkrad fester und zwang sich, ruhig zu atmen. Ihr Herz pochte schmerzhaft hart in ihrer Brust. Es fühlte sich schwer an.

Wie seltsam. Hunter gegenüber hatte sie sich ruhig und gelassen gegeben, aber im Nachhinein hatte ihr Herz wie wild zu schlagen begonnen. Eine Schweißperle löste sich von ihrer Schläfe und rann über ihre Wange.

Sie umrundete einen Hügel, nahm eine Kurve und noch eine. Als sie sicher war, dass Hunter ihr nicht folgte, lenkte sie den Wagen an den Straßenrand und legte die Stirn an das Lenkrad.

Auf dem Rücksitz brabbelte Paisley fröhlich und selbstvergessen vor sich hin, völlig nichtsahnend von dem Gefühlschaos ihrer Mutter.

Jo holte ein paarmal tief Luft. Dann rief sie sich zur Ordnung.

So, jetzt war es eben passiert. Sie hatte Hunter wiedergesehen. Es war nicht besonders erfreulich gewesen. Aber er war höflich geblieben, und sie war es ebenfalls. Beim nächsten Mal würde es einfacher werden. Und irgendwann würde sie ihm einfach im Vorbeigehen freundlich zuwinken und weitermachen.

Sie ließ sich in den Sitz zurücksinken und hob die Hände. Immerhin hatten diese aufgehört zu zittern. Jobeth lenkte den Wagen zurück auf die Straße. Sie fuhr auf die mächtigen Berge zu, deren wolkenverhangene Spitzen noch immer mit Schnee bedeckt waren.

Als sie die Ranch erreichte, wurde ihr leichter ums Herz. Die Straße mündete in eine kreisförmige Einfahrt. Sie passierte das Haus des Vorarbeiters und fuhr weiter bis zu dem großen, zweistöckigen Haupthaus.

Ihr Ururgroßvater Ross Bravo hatte dieses Haus vor etwa siebzig Jahren im klassischen Ranchstil erbaut. Zur Vorderseite gab es eine breite Veranda, und zu jeder Seite der Eingangstür lagen je zwei große Panoramafenster.

Ein wunderschönes Haus, dachte Jo voll Stolz.

Lächelnd sah sie ihrer Mutter entgegen, die nun durch die Eingangstür kam und auf den Wagen zueilte. Sie ließ die Autoscheibe herunter, und ihre Mutter legte den Arm auf den Fensterrahmen.

Tess Bravo hatte lockiges dunkles Haar und dunkle Augen. Jobeth dagegen kam mit ihrem hellen Haar und den blauen Augen mehr nach ihrem leiblichen Vater. Josh DeMarley war bei einem Unfall auf einer Ölbohrplattform ums Leben gekommen, als Jo gerade einmal sieben Jahre alt gewesen war.

Später hatte Tess dann Zach geheiratet, und Zach hatte Jo adoptiert. Sie waren zu einer richtigen Familie geworden. Mit Zach hatte Tess noch zwei weitere Söhne bekommen, Jos Halbbrüder Ethan John und Brody. Starr hatte Zach aus seiner ersten Ehe mitgebracht.

Auf dem Rücksitz ließ Paisley die Rassel fallen und streckte die Ärmchen nach ihrer Großmutter aus. „Ga-ga-ma!“

„Soll ich sie nehmen?“, fragte Tess hoffnungsvoll.

„Das wäre toll. Ich will Dad suchen und ihn fragen, was heute noch zu tun ist. Und ich würde gerne mit Moonshine trainieren.“ Moonshine war eine zweijährige Araberstute, und Jo brachte ihr gerade bei, sich an den Sattel zu gewöhnen.

Ihre Mutter hatte bereits die Tür geöffnet und Paisley aus ihrem Kindersitz befreit. Die Tasche mit den Windeln ließ sie im Wagen liegen. Im Haupthaus hatte sie alles zur Verfügung, um Paisley zu versorgen – und das kam recht häufig vor.

Dann trat Tess noch einmal an die Fahrertür. „Du bist nicht zufällig Hunter begegnet?“, fragte sie betont beiläufig.

Jo versuchte, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen. „Ja, bin ich.“

„Und ist … alles in Ordnung?“

„Er hatte ein kleines Problem mit einer der Kühe, aber ich habe mich darum gekümmert.“

„Eigentlich habe ich mich mehr gefragt, ob …“ Sie ließ den Satz unvollendet.

Aber Jo tat ihr nicht den Gefallen, den Satz zu beenden. „Was hast du dich gefragt, Mom?“

Der Gesichtsausdruck ihrer Mutter war zugleich geduldig und resigniert. „Du willst nicht über ihn reden.“

Nein. Das wollte sie nicht. „Hab dich lieb, Mom.“

Tess lächelte sanft. „Ich hab dich auch lieb.“

Jo lehnte sich aus dem Fenster und winkte Paisley übertrieben zu. „Bye-bye.“ Paisley winkte zurück und antwortete: „Bye, bye, bye …“

„Ich hole sie gegen fünf Uhr wieder ab.“

„Bleibst du zum Abendessen?“

„Mal sehen“, log Jo.

Nein, sie würde ganz gewiss nicht mit den anderen zu Abend essen. Immerhin war es möglich, dass Hunter dabei war. Ja, sie wusste, dass sie sich schließlich an seinen Anblick gewöhnen musste. Sein Anblick in ihrem eigenen Elternhaus.

Aber nicht heute.

Sie winkte noch einmal und lenkte den Wagen in Richtung ihres eigenen Häuschens.

Hunters Produktionsfirma, Home Restoration Media, hatte in der Stadt ein Gebäude gemietet. Das große, luftige, scheunenartige Bauwerk in der Mill Street diente als Büro und barg zwei weitere große Räume, die für Meetings genutzt wurden.

Davon hatte Hunter heute gleich mehrere, und es war bereits nach fünf Uhr am Nachmittag, als er das Gebäude wieder verließ.

Doch bevor er zur Rising Sun Ranch zurückkehrte, wollte er sich noch die Bibliothek ansehen. Er überquerte die Straße. Gleich mehrere Menschen winkten ihm zu und grüßten lächelnd. „Willkommen zu Hause, Hunter!“, hörte er jemanden rufen.

Einige Gesichter kamen ihm bekannt vor. Es überraschte ihn, wie sehr man sich hier freute, ihn zu sehen. Er hatte mit misstrauischen Blicken gerechnet, mit Argwohn oder zumindest Distanz. Sicher hatten sie nicht vergessen, wie Hunter die Stadt verlassen hatte. Fiel es ihnen nicht schwer, zu glauben, dass der Sohn des nichtsnutzigen Esau Bartley zum TV-Star geworden war?

Hunters Blick glitt über die Fassade der Bibliothek. Es war ein großes, einfaches Gebäude aus Ziegelstein. Eines der Projekte, die er sich für die Show vorgenommen hatte. Die Bibliothek sollte offener gestaltet werden und insgesamt einladender wirken.

Im Inneren fielen ihm zuerst die müden, alten grauen Teppiche auf. Die Regale quollen mit Büchern über, und der Sitzbereich war viel zu vollgestellt, um gemütlich zu sein.

Die erste Person, der er in die Arme lief, war Mrs. Copely. Die Bibliothekarin hatte auf ihn schon damals wie mindestens achtzig gewirkt, und seither hatte sie sich überhaupt nicht verändert.

Ihre faltigen Lippen kräuselten sich zu einem strahlenden Lächeln. „Hunter Bartley!“, rief sie aus. „Gut siehst du aus! Es ist so schön, dich wieder hier zu haben.“

Hunter starrte sie einen Moment lang an.

War er in eine Parallelwelt geraten? Warum wurde er von Mrs. Copely wie königlicher Besuch behandelt? Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit.

Sicher lag es nur daran, dass er hier war, um die in die Jahre gekommene Bibliothek wieder aufzumöbeln.

Zu allem Überfluss legte Mrs. Copely nun allen Ernstes ihre Hand auf ihr Herz und sagte: „Wir sind so unglaublich stolz auf dich. Du hast etwas aus dir gemacht, und du hast uns nicht vergessen. Es war mehr als großzügig von dir, wie du die Spendenaktion ins Leben gerufen hast, um unsere alten Gebäude wieder flottzumachen.“

Fröhlich plapperte sie über all die Projekte, die Hunter und „seine Leute“ sich vorgenommen hatten. Neben der Bibliothek wollten sie die Handelskammer renovieren, einen Geschenkeladen, die Bungalows für die Arbeiter auf der Rising Sun Ranch und eine Lodge am Fuße der Bighorn Mountains.

Für die drei privaten Unternehmen würden sich die Produktionsfirma und die Besitzer die Kosten teilen.

Ganze zehn Minuten lang ereiferte sich die Bibliothekarin über Hunters Großartigkeit, ohne dass er überhaupt etwas dazu sagen musste. Dann senkte sie die Stimme. „Ich habe immer gewusst, dass du es zu etwas bringen würdest. Immer. Aber ich bin nie zu dir durchgedrungen. Du warst ein so zurückhaltender, argwöhnischer Junge. Ich hätte mir mehr Mühe geben sollen.“

Sie zog die Stirn in Falten. „Ich hätte dir sagen sollen, dass das Leben noch mehr für dich bereithält. Aber was sage ich! Das hast du auch alleine herausgefunden. Du hast dich von deiner schwierigen Kindheit befreit und bist absolut erfolgreich geworden!“

Zum Abschluss umarmte sie ihn. Hunter wurde in eine Wolke ihres pudrigen, blumigen Parfums gehüllt und beteuerte, dass es ganz wunderbar war, sie wieder zu sehen.

Und das war nicht gelogen. Immerhin war es ganz erstaunlich, herauszufinden, dass jemand, von dem er immer geglaubt hatte, sie könne ihn nicht ausstehen, in Wahrheit auf seiner Seite gewesen war.

Etwas benommen von so viel Bewunderung verließ Hunter die Bibliothek und machte sich auf den Weg zu Amestoy’s Treasure Trove, dem Geschenkeladen.

Bei seinem Anblick trat die Besitzerin des Ladens hinter der Theke hervor und kam breit lächelnd auf ihn zu. Carmen Amestoy empfing ihn mit ebenso viel Herzlichkeit wie zuvor die Bibliothekarin.

Sie lobte seine Show und sagte dann: „Ich habe immer bewundert, wie du damals für deinen Vater eingesprungen bist, wenn er es nicht zur Arbeit geschafft hat.“

Hunter lächelte. Das war eine sehr nette Formulierung für das, was sein Vater getan hatte. Volltrunken, das war er gewesen.

„Du warst schon damals so erwachsen“, sagte sie und tätschelte seine Wange. „Wir haben alle gehofft, du würdest Jobeth heiraten. Ihr zwei habt so gut miteinander harmoniert.“

Hatten sie das? Vermutlich. Aber offenbar nicht genug, um zusammenzubleiben.

Als Hunter den Laden verließ, fragte er sich, ob er womöglich in einem anderen Medicine Creek gelandet war. Einer Stadt, die zwar genauso aussah wie seine alte Heimatstadt … in der sich aber alles anders anfühlte.

Hier wurde er empfangen wie ein Held.

Damals hatte er sich gefühlt wie ein Verlierer. Ein Außenseiter. Er war der mürrische Junge gewesen, dessen Mutter verstarb, als er vier war. Dann wurde er zum finster dreinblickenden Jugendlichen, der es nicht abwarten konnte, die Stadt zu verlassen.

Er war immer davon ausgegangen, dass die Bewohner von Medicine Creek froh waren, ihn los zu sein. Doch bisher war ihm nur Wärme entgegengebracht worden.

Wenn seine Begegnung mit Jobeth doch so gut verlaufen wäre wie diese beiden …

Als er nun in seinen Wagen stieg und zur Ranch fuhr, kreisten seine Gedanken immer wieder um Jo. Sie hatte kein bisschen erfreut gewirkt, ihn zu sehen. Im Gegenteil, sie hatte buchstäblich die Flucht ergriffen, ohne ihm die Gelegenheit zum Reden zu geben.

Er hätte sie auf einen Kaffee in die Stadt einladen können. Oder zu einem Spaziergang am Crystal Creek, der pittoreske Fluss, der sich in sanften Kurven über das weitläufige Gelände der Rising Sun Ranch wand.

Außerdem fragte er sich noch immer, was es mit dem Baby auf sich hatte. Wieso entschied sich eine Single-Frau, alleine ein Baby zu adoptieren?

Ja, er wollte Jobeth wirklich wiedersehen. Immerhin lag das doch nahe. Nach all der Zeit hatten sie sich eine Menge zu erzählen.

Nein, er machte sich keine Illusionen darüber, wieder mit ihr zusammen zu kommen. Dafür war die Trennung zu schmerzhaft gewesen. Zu viel Zeit war inzwischen vergangen. Sie hatten zwei völlig verschiedene Lebenswege eingeschlagen.

Trotzdem fühlte er sich noch immer von ihr angezogen.

Warum sollte er nicht versuchen, sie wieder ein bisschen kennenzulernen?

2. KAPITEL

Jobeth wieder zu sehen, war schwieriger als gedacht.

Sie war weder zum Abendessen auf der Ranch erschienen, noch lief er ihr am nächsten Morgen über den Weg. Ein Tag verging, dann ein weiterer, ohne dass er sie zu Gesicht bekam.

Am Donnerstagmorgen befand er sich in Carmen Amestoys Geschenkeladen, um eine Wand einzureißen, als sein Handy klingelte. Der Nummer nach musste der Anrufer aus der Gegend kommen.

„Hallo, Hunter. Hier ist Starr Tisdale. Wie geht’s dir?“, meldete sich Jobeths Schwester.

„Ich kann mich nicht beklagen. Schön, dich zu hören.“ Das war es wirklich. Hunter hatte Starr immer gemocht. Sie war clever, furchtlos und sagte immer offen, was sie dachte.

„Wie du vielleicht weißt, bin ich die Chefredakteurin vom Clarion“, sagte Starr. „Ich möchte gerne eine Reportagereihe darüber bringen, wie ihr Hollywoodleute über unser beschauliches Städtchen herfallt.“

„Das klingt sehr positiv“, bemerkte Hunter grinsend.

Starr lachte. „Wie sieht das aus? Bist du dabei? Immerhin bedeutet das auch Werbung für euch.“

Hunter wollte es sich mit Starr auf keinen Fall verspielen. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass er über sie an Jobeth herankommen konnte. „Na schön. Ich bin dabei.“

„Großartig. Ich nehme an, jetzt muss ich mich an irgendeinen Produzenten wenden. Sagst du mir, wer das ist?“

Er nannte ihr Name und Nummer sowohl des Produzenten in Los Angeles als auch der Produzentin vor Ort. „Sag ihnen, dass ich dich empfohlen habe.“

„Das mach ich. Du bist ein guter Kerl, Hunter Bartley.“

Dann verrate mir doch, wie ich Jobeth treffen kann, dachte er, doch er sprach die Worte nicht aus. „Bis bald, Starr.“

„Danke, Hunter.“

„Jederzeit.“ Er zögerte. „Ach, und Starr …“

„Hunter …?“ Sie schwieg bedeutungsvoll. Diese Frau wusste ganz genau, was er wollte.

Hunter überwand sich. „Gibst du mir Jos Handynummer?“

„Du könntest einfach an ihre Tür klopfen.“

„Ist das ein Nein?“

Starr ratterte die Nummer herunter. Hunter nahm den Bleistift, den er sich hinter das Ohr geschoben hatte, und schrieb die Nummer auf ein staubiges Stück Karton. Dann sagte sie: „Sie wird sauer auf mich sein.“

„Danke.“

„Verdirb es nicht, Hunter.“

„Ich tue mein Bestes.“

„Bis bald.“ Und schon hatte sie aufgelegt.

Mehrmals versuchte Hunter im Laufe des Tages, sich die passenden Worte zurechtzulegen. Doch er rief Jo nicht an.

Er sagte sich, dass sie irgendwo auf dem Gelände der Rising Sun Ranch unterwegs war, wo sie einen Zaun reparierte oder ein verirrtes Kalb wieder einfing. Sie würde ihm sagen, dass sie zu tun hatte, und einfach wieder auflegen. Wahrscheinlich war es besser, sie am frühen Abend zu erwischen.

Doch als es so weit war, griff Hunter noch immer nicht zum Telefon.

Er ging zum Abendessen ins Haupthaus, wo er Jos Familie traf, doch sie selbst tauchte nicht auf.

Stattdessen tauchte am nächsten Morgen Jos Schwester in der Bibliothek auf.

Sie war hochschwanger und dabei so umwerfend wie eh und je. Die Produzentin Melanie Huvey verkündete ihr zu Ehren eine fünfminütige Pause, um sie allen vorzustellen.

Dann wurde Starr ein Stuhl gebracht. Sie ließ sich darauf nieder, balancierte das Laptop auf ihren Knien und begann sofort zu schreiben.

Hunter hatte vor, im Laufe des Tages zu ihr zu gehen und beiläufig nach Jo zu fragen. Doch es herrschte ein straffer Drehplan, und Hunter musste stundenlang in die Kamera sprechen, Einstellungen wiederholen und weitere Szenen gemeinsam mit der Bibliothekarin abdrehen.

Als er endlich dazu kam, nach Starr zu sehen, hatte sie den Drehort bereits verlassen. Hunters Produzentin kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. „Starr ist großartig! Die heiße, hochschwangere Journalistin – wir müssen sie unbedingt zu einem Interview überreden!“

„Warum nicht“, bemerkte Hunter. „Sie ist clever und ziemlich schlagfertig.“

„Was ist mit ihrer Schwester? Jobeth, richtig? Ihr habt euch doch mal ziemlich nahegestanden.“

„Woher weißt du das?“

„Ich stelle vielen Leuten viele Fragen.“ Mel grinste wie ein Haifisch. „Für die Show brauchen wir sowieso noch ein paar Interviews mit Leuten, die dich von früher kennen.“

„Keine Chance, Mel.“

Sie machte einen Schmollmund. „Das bist ein Spielverderber, Hunter. Was ist mit den Anstreichern? Sie heißen Bartley mit Nachnamen. Sind sie mit dir verwandt?“

Hunter zögerte. Damals hatten seine Onkel eine Firma für Renovierungsarbeiten gegründet. Inzwischen hatten seine Cousins das Geschäft übernommen. Als Hunters Produktionsfirma nach lokalen Anstreichern suchten, um mit ihnen zusammenzuarbeiten, hatte Hunter eine Empfehlung abgegeben.

Er war gerne bereit, ihnen einen Auftrag zu verschaffen. Aber er war nicht bereit, seine Familiengeschichte vor der Kamera auszurollen.

Mel bemerkte sein Zögern. Sie seufzte. „Du willst wirklich nichts über deine Vergangenheit verraten, was? Na schön. Kommt Zeit, kommt Rat. Immerhin haben wir Zach Bravo. Und jetzt haben wir auch noch Starr.“

Zach Bravo, Jos Vater, war immer gut zu Hunter gewesen. Als die Produzenten der Show angefangen hatten, sich über Medicine Creek zu informieren, war Terry Sloane auf die Idee gekommen, auch die malerische Rising Sun Ranch in den Dreh einzubinden. Terry Sloane war der leitende Produzent von Rebuilt by Bartley in Los Angeles.

Daraufhin hatte sich Hunter an Zach gewandt, ohne weiter über die Konsequenzen nachzudenken. Zu seinem Erstaunen hatte Zach eingewilligt, Teil der Show zu werden. Dass Hunter bald darauf so nahe bei Jobeth sein würde, hatte ihn zunächst nicht beunruhigt. In seinem Kopf war die Show eine gute Gelegenheit, sich auf unverfängliche Weise seiner Vergangenheit zu nähern und vielleicht endlich Frieden zu schließen.

Doch womöglich war das ein Fehler gewesen.

Jo hatte ihn angesehen, als würde sie sich weit wegwünschen. Und wenn Hunter ehrlich zu sich war, hatte ihn das schwer getroffen.

Denn jetzt wollte er sie unbedingt wiedersehen.

An diesem Abend nahm Hunter sich vor, in der Stadt essen zu gehen. Es war einfach zu deprimierend, jeden Abend mit Jos Familie am Tisch zu sitzen – ohne Jo. Ganz offensichtlich wollte sie nichts mit ihm zu tun haben.

Dass sie sonst öfter mit ihrer Familie gemeinsam zu Abend aß, hatte er schon am ersten Tag von Zach und Tess erfahren. Wenn sie jetzt in ihrem eigenen Häuschen blieb, war das ein ganz klares Zeichen: Sie hatte mit Hunter abgeschlossen.

Also ging Hunter zu Fuß ins Arlington’s Steakhouse. Dort bestellte er einen steifen Whiskey und ein T-Bone-Steak.

Während er auf das Essen wartete, fragte er sich, warum er sich so albern benahm. Er hätte Jo einfach anrufen sollen.

Immerhin war er Frauen gegenüber nicht schüchtern.

Als er nach LA zog, hatte er viele Frauen gedatet. Er hatte geheiratet und sich wieder scheiden lassen. Danach hatte er noch mehr Frauen gedatet. Kultivierte, glamouröse Frauen.

Mit dem Umzug nach Los Angeles hatte er sich selbst neu erfunden. Heute hatte er keine Probleme mehr damit, Menschen anzusprechen. Wenn er eine Frau interessant fand, hatte er keine Scheu, sich ihr zu nähern.

Was also war nur los mit ihm?

Er legte das Handy auf den Tisch. Während des Essens spähte er immer wieder auf das Display, als ob er dort eine Antwort finden könnte.

Doch er rief Jo nicht an.

Weder an diesem Abend noch am nächsten.

Eine weitere Woche verging.

Am Donnerstag erschien Starrs erster Artikel über die Show im Medicine Creek Clarion. Der Text war charmant, lustig und entwaffnend leutselig und kam beim Publikum gut an. Auch Mel und Terry waren hingerissen von Starrs Artikel.

Die Drehtage waren lang und arbeitsreich.

Da keines der Gebäude während der Renovierung geschlossen wurde, bedeutete das zusätzliche Arbeit für die Crew, weil bestimmte Bereiche abgedeckt und der Baulärm während des laufenden Betriebs auf ein Minimum reduziert werden musste.

Tagsüber verging die Zeit wie im Flug, nachts lag Hunter oft wach und dachte an Jobeth.

Am zweiten Dienstag im Mai betrat er noch vor Sonnenaufgang die Küche auf der Rising Sun Ranch. Es erstaunte ihn nicht im Geringsten, dort Jos Mutter Tess zu treffen. Rancher waren immer früh wach.

Bei ihr saß Edna Heller. Deren Tochter Abby war mit Zachs Cousin Cash Bravo verheiratet. Vor vielen Jahren war Edna auf der Ranch als Haushälterin beschäftigt gewesen. Heute bewohnte sie das ehemalige Haus des Vorarbeiters und war eine von Tess’ engsten Vertrauten.

Gut gelaunt befragte sie Hunter zu seiner Show, während Tess das Frühstück zubereitete. „Möchtest du Eier und Schinken, Hunter?“, fragte Tess.

„Sehr gerne.“

Hunter sog den Duft des gebratenen Specks ein. Er hatte die heimelige Atmosphäre hier immer gemocht. Alles wirkte einladend, und man konnte den starken Familienzusammenhalt spüren.

Sein Blick glitt über die Küchenzeile. Alles befand sich noch am selben Platz, genau wie damals. Hier hatte er mehr Zeit verbracht als in seinem eigenen, düsteren Zuhause.

Nachdem er gefrühstückt hatte, bedankte er sich und wandte sich zum Gehen. Da sagte Edna: „Jobeth ist schon eine Weile nicht mehr zum Essen gekommen.“

Er hielt inne. Ihr Ton war freundlich und neckend. War das eine Aufforderung? Zwei Wochen waren vergangen, seit er und Jo sich auf der Straße begegnet waren.

Allerdings hatte er praktisch nichts dafür getan, sie wieder zu sehen.

Inzwischen war da dieser Hunger in ihm, alles über Jo zu erfahren. Selbst über ihre Ehe mit Nick. Was natürlich Unsinn war, denn er hatte Nick nie leiden können.

Er fing Ednas Blick. Die weißhaarige alte Dame mit den feinen Gesichtszügen musste inzwischen um die achtzig sein, aber sie hatte noch immer einen stählernen Willen und einen scharfen Sinn für Humor.

„Ich habe den Eindruck, Jo ist sehr beschäftigt“, sagte er.

„Abends hat sie frei“, entgegnete Edna beiläufig.

„Am besten nach sieben, wenn sie Paisley ins Bett gebracht hat“, fügte Tess hilfreich hinzu. „Vielleicht klopfst du heute Abend einfach mal an ihrer Tür.“

Wärme erfüllte Hunters Brust. Diese beiden Frauen gaben ihm genau die Ermunterung, auf die er gewartet hatte. „Nach sieben. Das mache ich. Danke.“

„Und nicht klingeln“, fügte Enda hinzu. „Sonst weckst du das Baby.“

Hunter grinste. Er grinste noch auf dem Weg in die Stadt, und er grinste auch noch, als er an den Drehort kam.

Dass Tess und Edna auf seiner Seite waren, bedeutete ihm eine Menge.

Jobeth hatte gerade Paisley ins Bett gebracht und ging durch den Flur, als es an der Tür klopfte.

Es war ein sanftes Pochen. Wahrscheinlich ihre Mutter.

Sie öffnete, ohne einen Blick durch das kleine Fenster im Türrahmen zu werfen.

Draußen stand Hunter. Er trug verwaschene Jeans und eine mittelbraune Fliegerjacke aus Lammfell, die weich und teuer aussah.

Er hatte sich wirklich verändert. Weniger sein Aussehen als vielmehr seine Haltung. Der Wind griff in sein dunkles Haar. Heute wirkte Hunter wie jemand, der sich in seiner eigenen Haut sehr wohl fühlte. Selbstsicher. Erfolgreich. Jemand, der sich eine schicke Frisur und eine sehr teure Jacke leisten konnte.

„Äh, Hunter. Hi.“

Seine samtbraunen Augen fanden ihren Blick und hielten ihn fest. „Starr hat mir deine Nummer gegeben. Aber so, wie du mich über den Rücken von dieser Kuh hinweg angesehen hast, habe ich mich nicht getraut, dich anzurufen.“

„Und stattdessen stehst du vor meiner Tür?“

Er nickte. „Deine Mutter und Edna waren der Meinung, nach sieben Uhr sei eine gute Zeit dafür.“

Starr, Edna und ihre Mutter. Alle drei so eifrig dabei, Hunter in ihre Arme zu treiben. Alle drei hielten große Stücke auf ihn. Genauso wie ihr Dad.

Genauso wie der Rest der Stadt.

Nicht, dass sie das nicht nachvollziehen konnte. Immerhin war Hunter ein guter Kerl. Selbst, nachdem er ihr das Herz gebrochen hatte, war ihr immer klar gewesen, dass er viel besser war, als er selbst glaubte.

Aber deswegen musste sie ihn noch lange nicht hereinlassen. Auf keinen Fall wollte sie hier sitzen, in sein hübsches Gesicht sehen und sich von den Erinnerungen einholen lassen.

„Ich will nicht darüber sprechen, was vor sechzehn Jahren passiert ist“, entfuhr es ihr. „Wirklich nicht.“

Er schob die Hände in die Jackentaschen, sah auf seine Stiefel und hob wieder den Blick. „Dann reden wir über etwas anderes.“

„Was denn?“

„Was du möchtest. Zum Beispiel darüber, wie du dein kleines Mädchen adoptiert hast.“ Sein Ton war dabei so sanft, dass sie beinahe gelächelt hätte. Doch dann fügte er grimmig hinzu: „Oder warum zur Hölle du Nick geheiratet hast.“

Als ob er ein Recht dazu hätte, über sie zu urteilen. Er hatte sie verlassen. Was ging ihn das an?

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Mit aller Macht musste sie sich daran erinnern, jetzt nicht wütend zu werden. Warum auch? Sie bedeuteten einander nichts. Sie beide waren nichts als eine Erinnerung. Eine Liebe, die nicht stark genug gewesen war.

Ihr Herz sprach allerdings eine andere Sprache. Es pochte schmerzhaft in ihrer Brust. Außerdem hätte sie ihm gerne eine reingehauen – dafür, in welch gemeinem Ton er sich über ihre Ehe geäußert hatte.

„Du hast doch auch geheiratet“, schoss sie zurück. „Irgend so eine berühmte Produzentin … Lauren Maris, richtig? Hat sie dir nicht zum großen Durchbruch verholfen?“

Sein Gesicht blieb unbewegt. „Lass mich rein. Ich werde dir alles erzählen, was du wissen willst.“

Sie starrte auf ihre Füße. Obwohl es nicht besonders kalt war, trug sie ihre Hausschuhe aus Schaffell. Doch draußen wehte ein kühler Wind, und die feinen Härchen in ihrem Nacken richteten sich auf.

Warum gab er nicht einfach auf und ließ sie in Ruhe?

„Na komm schon, Jo. Sieh mich an.“

Sie hob den Kopf und fing seinen Blick. Jetzt fiel es ihr leichter, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. „Es hat doch keinen Sinn. Warum sollen wir miteinander reden? Das führt zu nichts. Es hat auch damals zu nichts geführt. Und genau wie damals wirst du wieder gehen, und ich werde bleiben. So sind wir nun einmal. Es wird nichts dabei herauskommen.“

„Wer hat gesagt, dass etwas dabei herauskommen muss?“

In gewisser Weise hatte er recht. Es musste nichts dabei herauskommen. Und es würde nichts dabei herauskommen. Er wusste das. Sie wusste das. Trotzdem hatte sie das Bedürfnis, noch einmal darauf hinzuweisen. Auch wenn sie sich dabei ein bisschen kleinlich vorkam. Sie benahm sich, als würde es ihr noch immer eine Menge ausmachen.

Als sei sie nie über ihn hinweggekommen … „Ich, äh …“

„Wir haben einander die Welt bedeutet.“ Sein Ton war sehr sanft und aufrichtig. Ihr Herz begann zu schmelzen. „Wir waren so jung. Aber heute sind wir erwachsen. Sollten wir nicht in der Lage sein, nach all der Zeit Frieden zu schließen?“

Schon wieder hatte er recht.

Sie sollte sich zusammenreißen. Stärker sein. Weniger wütend.

Aber jedes Mal, wenn sie ihn ansah, spürte sie die Bitterkeit in sich aufsteigen.

„Gib dir einen Ruck, Jo. Irgendwie müssen wir anfangen. Ich werde Monate lang im Haupthaus wohnen.“

Sie verzog den Mund. „Ich weiß.“

„Denk doch mal darüber nach. Du kannst nicht jedes Mal davonrennen, wenn du mich siehst. Und du solltest mal wieder mit deiner Familie zu Abend essen. Ich fühle mich schlecht, weil ich dich offensichtlich davon abhalte. Aber als ich deinen Vater gefragt habe, ob du damit einverstanden bist, mich hier aufzunehmen, hat er gesagt, du hättest nichts dagegen.“

„Ich habe auch nichts dagegen.“

„So kommt es mir aber nicht vor.“

Wenn er ihr ein schlechtes Gewissen einreden wollte, war ihm das beinahe gelungen.

Jetzt fragte er: „Möchtest du lieber, dass ich in die Stadt ziehe?“

Beinahe hätte sie Ja gesagt. Aber das war nicht fair.

Die Liebe, die sie einst miteinander verbunden hatte, war vergangen. Damals hatte er gewollt, dass sie mit ihm wegzog, aber sie hatte bleiben wollen.

Damals war ihr sein Abschied wie ein Verrat vorgekommen.

Aber jetzt, da sie ihm nach all den Jahren wieder gegenüberstand, wurde ihr etwas bewusst: Sie hatte sich selbst belogen. Sie hatte sich von ihrer Wut leiten lassen.

Er hatte das neue, aufregende Leben ihrer Beziehung vorgezogen.

Doch hatte sie nicht auch ihr gemütliches, vertrautes Leben der Beziehung vorgezogen?

Es war an der Zeit, sich nicht mehr wie eine beleidigte Achtzehnjährige zu benehmen. Sie sollte sich zusammennehmen und einen Weg finden, mit seinem Anblick klarzukommen.

Hunter war ein anständiger Kerl. Und er hatte sich ihr gegenüber anständig benommen, seit er wieder hier war.

Scham stieg in ihr auf und färbte ihre Wangen rosig.

Sie sollte die Vergangenheit endgültig loslassen und sich wie eine Erwachsene benehmen. Loslassen versprach eine neue Art von Freiheit.

Ob sie tatsächlich Freunde sein konnten?

Das schien ihr ein bisschen weit hergeholt.

Aber miteinander sprechen, das sollte doch möglich sein, da er die nächsten Monate nun einmal hierbleiben würde.

„Also, darf ich jetzt reinkommen?“, fragte er.

Sie trat einen Schritt zurück und winkte ihn herein.

3. KAPITEL

„Das ist ein fantastisches Haus.“

Hunter sah sich um. Das einstöckige, weitläufige Gebäude mit der scheunenhaften Struktur war einfach, aber effizient. Barndominium, nannte man diese neue Mischung aus Wohnhaus und Scheune. Die Basis war komplett aus Metall, nicht aus Holz. Das war praktisch, denn heutzutage war Holz sehr teuer und die Lieferketten oft unzuverlässig, und viele Menschen entschieden sich beim Bau für Metall.

„Danke. Was kann ich dir anbieten? Einen Kaffee?“

„Hast du vielleicht ein Bier?“

„Sicher.“

Jo holte zwei Flaschen Bier, und sie nahmen auf dem langen Sofa Platz.

Eine grau getigerte Katze schlich heran und strich um Hunters Beine. „Ist das etwa Grumpy?“

„Richtig.“ Der launische Kater hatte seinem Namen schon immer alle Ehre gemacht.

Hunter bückte sich, um dem Tier über den Kopf zu streichen. „Wie alt ist er jetzt?“

„Achtzehn Jahre. Und so mürrisch wie eh und je.“ Jo lachte leise.

Es entstand eine Pause.

„Erzähl mir von Paisley“, bat er. „Wie kam es dazu, dass du sie adoptiert hast?“

„Na schön. Ich wollte ein Baby, meine eigene Familie gründen. Aber ich war nun einmal Single, und höchstwahrscheinlich wird das auch so bleiben.“

Warum? Was ist passiert? Hunter wollte alles wissen, hielt sich aber mit seinen Fragen zurück.

Jo nahm einen Schluck Bier und stellte die Flasche auf den Couchtisch. „Ich hatte schon an Adoption gedacht, aber als Single-Mutter ist das schwierig. Meistens werden Paare bevorzugt. Also dachte ich an künstliche Befruchtung. Aber dann wurde die Tochter von Moms Cousine aus South Dakota schwanger. Sie hatte gerade die Highschool abgeschlossen. Auf sie wartete ein Stipendium auf einem großartigen College. Mit dem Vater des Babys war sie nicht mehr zusammen. Keiner von beiden sah sich in der Lage, ein Kind großzuziehen. Also haben wir die Adoption unabhängig von einer Agentur in die Wege geleitet. Ich war bei Paisleys Geburt dabei und habe sie schon wenige Tage danach mit nach Hause genommen. Sie gehört ganz offiziell zu mir. Beide Eltern haben alle Papiere unterzeichnet.“

Tausend Fragen wirbelten durch Hunters Kopf, doch er wagte nicht, sie zu stellen.

Jo sah ihn an. „Paisley wird erfahren, dass sie adoptiert ist. Und mit achtzehn wird sie die Möglichkeit haben, nach ihren leiblichen Eltern zu suchen, wenn sie das möchte.“

Bei diesen Worten sah sie für einen Moment so traurig aus, dass Hunter sie am liebsten in den Arm genommen und getröstet hätte. Doch das stand ihm nicht zu.

Stattdessen hakte er nach: „Warum glaubst du, dass du Single bleibst? Willst du nicht irgendwann wieder heiraten?“

Sie setzte sich aufrecht und hob die Schultern. „Ich bin nicht auf der Suche. Und ich wollte nicht warten, bis irgendwann der Richtige auftaucht, um ein Baby zu haben.“

„Verstehe.“ Was sollte er auch sonst dazu sagen?

Sie sah ihn misstrauisch an. Dann schob sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.

Sein Blick glitt über ihr Gesicht. Auch nach all der vergangenen Zeit mochte er noch alles an ihr. Ihren Stolz. Die etwas steife Art. Ihre Stärke und ihre Unabhängigkeit.

Außerdem sah sie verdammt gut aus in den alten Jeans und dem Wyoming-Cowboys-Sweatshirt. Umwerfend, auch ohne einen Hauch Make-up im Gesicht.

„Jetzt bin ich dran“, sagte sie.

„Schieß los.“

„Nun, Hunter, du konntest es damals nicht erwarten, von hier wegzugehen.“

Nicht von dir, Jo. Nicht von dir. „Ja, das stimmt.“

„Warum bist du zurückgekommen?“

Er dachte einen Moment nach.

Sollte er ihr die Wahrheit sagen? Aber was war überhaupt die Wahrheit? Bisher hatte er sich selbst nicht eingestehen können, warum er zurückgekehrt war. „Das Thema Heimat ist gerade total angesagt. Viele Produzenten schicken ihre Protagonisten in ihre Heimatstadt, um dort zu drehen.“

„Aber was ist mit dir? Du hattest dir geschworen, niemals zurückzukommen.“

„Damals habe ich das auch so gemeint. Ich war ein ziemlich verbitterter Junge, erinnerst du dich?“

„Ja. Ich erinnere mich …“

„Seither ist viel Zeit vergangen. Mir geht es gut. Ich bin nicht mehr so wütend. Aber ich muss zugeben, dass ich zuerst Nein gesagt habe, als Terry mir von seiner Idee erzählt hat.“

„Und trotzdem bist du jetzt hier.“

„Du kennst Terry nicht. Das Wort Nein existiert für ihn gar nicht. Aber abgesehen von seiner Hartnäckigkeit gab es noch einen weiteren Grund, warum ich mich letztendlich habe überzeugen lassen. Bitte raste jetzt nicht gleich wieder aus, aber ich wollte dich wiedersehen.“

Da. Jetzt waren die Worte heraus, obwohl er sich geschworen hatte, es nicht zu sagen.

Sie wurde sehr still. Dann fragte sie tonlos: „Warum?“

Er nahm sich vor, die Wahrheit zu sagen. Zumindest einen Teil davon. „Ich hatte gehofft, wir könnten Frieden schließen. Miteinander reden, so wie jetzt. Vielleicht schaffen wir es, mit der Vergangenheit abzuschließen.“

Sie saß jetzt sehr steif und aufrecht, und das machte ihm Sorgen. Er atmete hörbar aus. „Tut mir leid. Das geht womöglich ein bisschen zu schnell.“

Sie verlagerte das Gewicht. „Nun …“

„Ich überfordere dich damit, stimmt’s?“

„Nein. Wirklich nicht. Ich habe bloß nicht damit gerechnet.“

„Okay.“ Er versuchte, sich zu entspannen. „Natürlich gab es noch einen weiteren Grund“, sagte er dann und grinste. „Ich wollte allen zeigen, was aus mir geworden ist.“

Zum Glück erwiderte sie sein Grinsen. „Das verstehe ich.“

„Ich wollte herumstolzieren und endlich allen beweisen, dass ich mehr bin als der Sohn eines Trinkers, auf den alle nur herabsehen.“

„Niemand hat auf dich herabgesehen, Hunter.“

„Ja. Das hast du mir immer gesagt“, sagte er sanft.

„Aber du hast es mir nie geglaubt.“

„Ich war total kaputt“, gab er zu.

Seine Mutter war an einer Blinddarmentzündung gestorben, als er vier war. Mit dem Tod seiner Frau war Hunters Vater nicht fertiggeworden.

Esau Bartley hatte immer behauptet, am Todestag seiner Frau mit dem Trinken begonnen zu haben. „An diesem Tag“, murmelte er oft, und die Worte waren vom Alkohol verschwommen. „An diesem Tag hab ich angefangen, und ich werd nie mehr aufhören.“

Jos Mund bildete nun ei...

Autor

Tara Taylor Quinn
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Als Tochter lesebegeisterter Eltern ist Kathy Douglass mit Büchern aufgewachsen und hat schon früh eins nach dem anderen verschlungen. Dann studierte sie Jura und tauschte Liebesgeschichten gegen Gesetzestexte ein. Nach der Geburt ihrer zwei Kinder wurde aus der Liebe zum Lesen eine Liebe zum Schreiben. Jetzt schreibt Kathy die Kleinstadt-Romances,...
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