Bianca Extra Band 45

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DENN MEINE WELT BIST DU von DUARTE, JUDY
Carly will als Countrysängerin um die Welt reisen, Rancher Ian hingegen in ihrem Heimatort bleiben. Da kann es noch so heiß knistern, es gibt einfach keine gemeinsame Zukunft für sie! Bis die süße Folge ihrer einzigen Liebesnacht plötzlich all ihre Pläne auf den Kopf stellt …

EINFACH ZUM VERLIEBEN, DIESE FAMILIE! von JEFFRIES, CHRISTY
Seine achtjährigen Zwillinge halten Witwer Luke Gregson ziemlich auf Trab. Ihr jüngster Coup: Sie haben heimlich eine neue Mommy ausgesucht! Zwar fühlt Luke sich ohne es zu wollen tatsächlich zu Carmen hingezogen. Aber ist er überhaupt schon bereit für eine neue Beziehung?

HOL MIR DIE STERNE VOM HIMMEL von WOODS, AMY
Den Glauben an die Liebe hat Lucy längst verloren. Bis der mysteriöse Sam in der Stadt auftaucht und sich so liebevoll um ihre Adoptivtochter Shiloh kümmert, dass er damit auch ihr Herz erobert. Doch kaum beginnt Lucy ihm zu vertrauen, macht Sam ihr ein schockierendes Geständnis …

VORSICHT: VERFÜHRERISCHE NANNY! von LOVELACE, MERLINE
Flammend rote Haare, leuchtend grüne Augen und üppige Kurven: Dawns Anblick verführt Singledad Brian Ellis sofort zu sinnlichen Fantasien. Doch er muss sich zügeln! Sie ist nicht nur die aktuelle Nanny seines Sohnes, sondern steht auch in dem Ruf, äußerst flatterhaft zu sein …


  • Erscheinungstag 06.06.2017
  • Bandnummer 0045
  • ISBN / Artikelnummer 9783733732929
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Judy Duarte, Christy Jeffries, Amy Woods, Merline Lovelace

BIANCA EXTRA BAND 45

JUDY DUARTE

Denn meine Welt bist du

Carly ist Ians Traumfrau – eigentlich! Denn anders als er will sie niemals sesshaft werden. Doch gerade als er sie schweren Herzens ziehen lassen will, gesteht sie ihm: Sie ist schwanger! Was nun?

CHRISTY JEFFRIES

Einfach zum Verlieben, diese Familie!

Einfach zum Verlieben, diese Familie! Officer Carmen hat alles im Griff – selbst Aiden und Caden. Die wilden Zwillinge muss man einfach gernhaben, findet sie. Komplizierter ist es mit ihrem sexy Dad. Denn seine Küsse machen sie schwach …

AMY WOODS

Hol mir die Sterne vom Himmel

Bevor Sam der kleinen Shiloh erklärt, dass er ihr Vater ist, will er sie erst mal etwas kennenlernen. Dass er sich dabei in ihre schöne Ersatzmutter Lucy verliebt, damit hat er nicht gerechnet!

MERLINE LOVELACE

Vorsicht: verführerische Nanny!

Dawn begehrt den gut aussehenden Singledad Brian genauso wie er sie. Trotzdem wäre es besser, sich zurückzuhalten! Schließlich weiß sie, dass er nicht auf eine feste Beziehung aus ist …

1. KAPITEL

Carly Rayburn war wieder zurück in der Stadt. Zwar wurde es nicht groß angekündigt, doch in Brighton Valley verbreiteten sich Neuigkeiten immer schnell. Und auch wenn nicht, so entging Ian McAllister so gut wie gar nichts.

Carly hatte einen Auftritt in San Antonio gehabt, jedoch war dieser offensichtlich nicht gut gelaufen. Sie träumte davon, mit der Countrymusik den Durchbruch zu schaffen – ein Traum, den Ian nicht länger hatte. Doch er konnte Carly nur zu gut verstehen.

Ihr älterer Bruder Jason sagte, dass sie für einige Zeit auf der Ranch der Familie bleiben wollte, was Ian nicht überraschte. Er hatte den Eindruck, als käme Carly immer dann nach Hause, wenn ihr Leben nicht so verlief, wie sie es wollte. Sie würde also gleich nach der Hochzeit auf der Ranch aufschlagen.

Als Vorarbeiter auf der Ranch der Familie war Ian auch zur Trauung und zum Empfang eingeladen worden, doch er hatte die Einladung dankend abgelehnt und dem Brautpaar stattdessen nur ein Geschenk überreicht. Die einzigen Gäste waren die Familie und ein paar enge Freunde gewesen, sodass sich Ian fehl am Platz gefühlt hätte – aus mehreren Gründen. Also war er auf der Ranch geblieben.

Nun, während die Dunkelheit über Brighton Valley hineinbrach, setzte er sich wie so oft nach dem Abendessen auf die Veranda vor seiner kleinen Hütte und genoss die abendliche Stille, den Geruch der nächtlichen Jasminblüte und den endlosen Sternenhimmel über Texas.

Die Ranch war seit Jahren in Familienbesitz. Sie war ziemlich heruntergewirtschaftet, dennoch barg sie großes Potenzial. Zudem stellte sie den perfekten Ort für Ian dar, um sich zu verkriechen. Hier kannten die Leute ihn nur als in sich gekehrten Cowboy, der sich in Gesellschaft von Kühen und Rindern wohler fühlte als auf den Straßen einer Großstadt.

Ian blickte auf den Welpen auf seinem Schoß, ein Australian Shepherd. Die kleine Hündin gähnte und streckte sich.

„Was ist los, Cheyenne?“ Er streichelte ihr schwarz-weißes Fell. „Hast du dein Nickerchen beendet?“

Als der Welpe ein kurzes Jaulen von sich gab, setzte Ian ihn auf dem Boden ab und beobachtete, wie er über die Veranda tapste und in aller Ruhe an den Geranien in den Keramiktöpfen schnupperte, während er unentwegt mit dem Stummelschwänzchen wackelte. Dann trottete er die Stufen hinunter.

„Lauf nicht zu weit weg!“, sagte Ian zu ihm. „Es ist dunkel da draußen, und du kennst die Umgebung noch nicht.“

Der Welpe sah zu ihm herüber, als hätte er ihn verstanden, dann tapste er weiter.

Ian liebte Hunde. Er war mit mehreren auf der Ranch seines Grandpas aufgewachsen, doch als er von dort ausgezogen war, hatte er keine Zeit für einen eigenen Hund gehabt – bis zum jetzigen Zeitpunkt. Endlich verlief sein Leben so, wie er es sich gewünscht hatte. Sobald die Ranch zum Verkauf stünde, Carlys Bruder hatte davon erzählt, würde Ian sie erwerben. Als der Vermögensverwalter und Testamentsvollstrecker der Rayburn-Familie war Jason nun für alles zuständig. Um das Land verkaufen zu können, benötigte er allerdings die Zustimmung von Carly und deren Halbbruder Braden.

Braden hatte sein eigenes Land, etwa zehn Meilen entfernt, und Carly beabsichtigte nicht, die Ranch zu übernehmen. Als sie Brighton Valley das letzte Mal verlassen hatte, war sie fest entschlossen gewesen, sich einen Namen zu machen. Mit ihrem Talent gab es keinen Zweifel daran, dass sie es schaffen würde. Es gab jedoch immer einen Preis, den es für den Ruhm zu zahlen galt, und Ian hoffte, dass sie wirklich bereit dafür war.

Er nahm seine Gitarre, die neben dem Fenster stand, und legte sie auf seinen Schoß. Als er die Akkorde seines neuen Songs darauf anspielte, durchdrang die Musik die stille Nacht. Auch wenn er die Arbeit auf der Ranch liebte, hatte er die Musik niemals ganz aufgegeben. Er spielte gerne zum Vergnügen und um sich nach einem langen Tag zu entspannen. Er hatte erst auf die harte Tour lernen müssen, welche Folgen es haben konnte, jeden Abend zur Entspannung eine Flasche Whiskey zu trinken.

Jetzt, da er die Worte über eine verlorene Liebe sang, wartete er darauf, dass Carly nach Hause kam. Vielleicht hatte sie ihre Pläne geändert und sich durch einen Wink des Schicksals für ein anderes Leben entschieden.

Plötzlich klingelte sein Handy.

„Hey, Mac“, hörte er eine rauchige Stimme sagen. „Wie geht’s?“

Es war Onkel Roy, einer der wenigen, die ihn Mac nannten, und wussten, wie man ihn erreichte. „Ganz gut. Was gibt’s Neues in Sarasota? Wie geht es Grandma und Grandpa?“

„Denen geht’s gut. Moms Cholesterin ist etwas zu hoch, aber der Arzt hat ihr ein paar Tabletten dagegen verschrieben. Ansonsten gewöhnen sie sich an das Rentnerleben hier in Florida und lernen neue Leute kennen.“

Ian freute sich, das zu hören, obwohl er traurig gewesen war, als seine Großeltern die Ranch verkaufen mussten. Sein Grandpa hatte ein langes und erfolgreiches Leben gehabt – erst war er ein Rodeocowboy gewesen, dann hatte er die Ranch geführt. Und da Grandma immer schon von einem Leben am Meer geträumt hatte, konnte Ian es seinem Grandpa nicht übel nehmen, dass er das Land verkauft hatte und sie zu ihrem einzigen Sohn gezogen waren – auch wenn Ian sich eher wie ein Bruder als ein Neffe seines Onkels fühlte.

„Also, ich rufe an, um dir zu sagen, dass sie nächsten Monat ihren fünfzigsten Hochzeitstag feiern. Deine Tante Helen und ich planen eine Feier. Wir wollen sie damit überraschen, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob wir es schaffen, das Fest zur goldenen Hochzeit zu verheimlichen. Es wäre schön, wenn du kommen könntest.“

„Ich werde kommen.“ Ian wusste zwar nicht, wer sich dann um die Ranch kümmern sollte, aber er wollte die Feier für das Paar, das ihn aufgezogen hatte, nicht verpassen.

„Dad sagt, du denkst darüber nach, die Ranch zu kaufen?“, fragte Roy.

„So ist der Plan.“

„Hast du schon ein Angebot eingereicht?“

„Noch nicht.“ Doch Ian war bereit.

„Was hindert dich daran?“

„Die Ranch wird treuhänderisch verwaltet, die Treuhänder sind drei Halbgeschwister. Sie sind sich noch nicht darüber einig zu verkaufen. Zumindest waren sie es bisher nicht. Aber ich denke, das wird demnächst geschehen.“

„Warum wollen sie nicht verkaufen?“

„Zwei von ihnen wollen, dass die Ranch in der Familie bleibt, doch keiner von ihnen will einziehen und sie übernehmen.“

Onkel Roy schien kurz darüber nachdenken zu müssen, dann fragte er: „Bist du sicher, dass das ein gutes Geschäft ist?“

„Auf jeden Fall! Die Witwe des Mannes, dem die Ranch früher gehörte, hat sich gut um sie gekümmert, aber ihr Enkel, der vorherige Treuhänder, war so ein Schreibtischhengst, der die Ranch vor die Hunde hat gehen lassen. Es ist eine Schande. Du hättest sehen sollen, wie die Ranch früher aussah – und was sie werden könnte, mit ein wenig Geld und Liebe. Ich würde mich gerne so um sie kümmern, wie es Mrs. Rayburn tun würde, wäre sie heute noch am Leben.“

„Nun, Helen und ich drücken dir die Daumen. Ich weiß schließlich, wie lange du schon diesen Traum hast, eine eigene Ranch zu leiten.“

Und dieser Traum war in den letzten Jahren umso größer geworden. „Danke, Onkel Roy.“

„Ich habe jedoch nie verstanden, wie du dein altes Leben aufgeben konntest. Dad hat immer gesagt, dass du auf eine Ranch gehörst und nicht auf die Bühne. Und er kennt dich am besten. Aber, verdammt Junge, du hast es einfach drauf gehabt mit deiner Stimme und der Gitarre.“

Ian hatte es immer noch drauf. Es war der Ruhm, der ihm nicht gefiel. Er war immer schon ein in sich gekehrter Mensch gewesen, und auch wenn er nicht der Frontsänger der Band gewesen war, so waren die Auftritte für ihn – ohne ein paar Gläschen Tequila – immer schwieriger zu bewältigen gewesen.

Als das Rampenlicht zu grell wurde, die Fans zu zahlreich und seine Angst zu real, er könnte in die Fußstapfen seines Alkoholikervaters treten, ließ er die Band und Nashville für ein ruhiges Leben als Cowboy hinter sich.

„Ich muss los. Und vergiss nicht, die Party ist geheim“, sagte Roy.

„Werde ich nicht.“

Als Roy aufgelegt hatte, nahm Ian die Gitarre und spielte weiter.

Nicht jeder verstand, warum er sein altes Leben aufgegeben hatte, doch Ian war hier auf der Ranch glücklich. Nur Carly hatte einige Zeit lang alles durcheinandergebracht, als sie in sein Leben getreten war.

Und jetzt war sie wieder da.

Carly Rayburn hatte über ihr hellgrünes Kleid, das sie als Trauzeugin auf der Hochzeit ihres Halbbruders getragen hatte, eine Jeansjacke gezogen und war aus ihren High Heels in ihre Lieblingscowboystiefel geschlüpft.

Normalerweise hätte sie sich eine Ausrede einfallen lassen, um nicht zur Hochzeit gehen zu müssen, denn sie fand es schwierig, Freude für das Brautpaar zu empfinden, da sie dem lebenslangen Versprechen gegenüber eher skeptisch eingestellt war.

Warum auch nicht? Ihr Vater hatte eine Tochter und zwei Söhne von drei verschiedenen Frauen. Nachdem ihre Eltern sich getrennt hatten, war ihre Mutter mit vielen Männern ausgegangen – alles Berühmtheiten, die aus Carlys Leben wieder so schnell verschwanden, wie sie hineingetreten waren. Es war also kein Wunder, dass sie nicht an die wahre Liebe glaubte und es vorzog, nur darüber zu singen.

Heute aber, als sie am Altar stand und ihrem ältesten Bruder Jason zusah, wie er Juliana Bailey seine Liebe schwor in guten wie in schlechten Zeiten für den Rest ihres Lebens, da war Carly nicht nur gerührt gewesen, sondern auch von einer hoffnungsvollen Freude für die Frischvermählten ergriffen. Und das zum allerersten Mal.

Sie war nun auf dem Weg zur Ranch der Familie und freute sich für Jason und Juliana, gleichzeitig aber dachte sie über ihre Zukunft nach, die jetzt ungewiss war. Vor fünf Wochen hatte sie noch gehofft, sie könnte mit einem Auftritt in einem Nachtclub in San Antonio ihren Durchbruch schaffen, doch ein Magen-Darm-Infekt hatte ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Im Großen und Ganzen fühlte sie sich mittlerweile besser. Doch jedes Mal, wenn sie glaubte, den Infekt überstanden zu haben, ging es ihr wieder schlechter. So wie heute beim Empfang. Sie wollte ein Glas Champagner trinken, doch noch bevor sie einen Schluck nehmen konnte, wurde ihr bei dem Geruch schon übel. Jetzt ging es ihr wieder etwas besser.

Als sie die Grippe, oder was auch immer es war, zum ersten Mal erwischt hatte, wollte sie in San Antonio gerade auf die Bühne gehen. Ihre Freundin Heather hatte vermutet, dass es Lampenfieber war, aber das konnte es nicht sein – Carly war schon als kleines Kind vor Publikum aufgetreten.

Sie nahm also an, dass sie einfach müde und ausgelaugt war. Mit ein wenig Entspannung und Ruhe auf der Ranch ihrer Familie würde sie in null Komma nichts wieder im Sattel sitzen.

Als sie sich der Ranch näherte, musste sie an Ian denken – an den gut aussehenden Cowboy, der mit dem einfachen Leben auf dem Land zufrieden war. Bei ihrem letzten Besuch hatten sie etwas miteinander gehabt, und so schön und heiß und magisch ihr Zusammensein auch gewesen war – Carly wollte sich nicht wieder darauf einlassen.

Deshalb hatte sie sich gezwungen, auf die Hochzeit zu gehen. Sie hatte im „Maestro“ stattgefunden – dem neuen italienischen Restaurant. Es handelte sich um einen schönen Ort für eine kleine, aber elegante Feier – wahrscheinlich schon zu exklusiv für Brighton Valley. Während alle vom Essen begeistert waren, dachte Carly, der Chefkoch habe mit Knoblauch und Basilikum völlig übertrieben. Sie hatte nur kurz am Essen gerochen und musste den Teller sofort beiseiteschieben.

Nachdem sich das frisch vermählte Hochzeitspaar in einer Limousine verabschiedet hatte, war Carly in ihren Pick-up gestiegen und hatte die Stadt verlassen. Ihrem Plan zufolge würde sie nach Einbruch der Dunkelheit auf der Ranch ankommen, sodass es nicht sehr wahrscheinlich war, jemandem – nämlich Ian – über den Weg zu laufen. Sie hoffte, sich unbemerkt ins Haus stehlen zu können, und dort würde sie bleiben, bis sie sich einen Plan B überlegt hätte.

Doch wie es der Zufall wollte, brannte in Ians Hütte noch Licht. Und zu allem Überfluss saß er auch noch auf der Veranda.

Also musste sie sich dem Mann in Brighton Valley stellen, der unwissentlich die Macht besaß, sie von ihrem eigentlichen Plan abbringen zu können – wenn sie ihn ließ. Das würde sie jedoch nicht erlauben. Vielleicht dann, wenn sie so wäre wie die anderen Mädchen, die hier aufgewachsen waren – zufrieden mit einem Leben auf dem Land mit irgendeinem Cowboy und zwei Komma vier Kindern, und die es kaum erwarten könnten, dass der attraktive Vorarbeiter sie zu seiner ehrenwerten Frau nahm. Doch Carly war schon immer anders gewesen. Sie hatte große Träume und wollte die Welt sehen, während Ian in Brighton Valley glücklich war.

Jetzt konnte sie ihm also nicht aus dem Weg gehen. Sie stieg aus ihrem Truck und lief auf seine kleine Hütte zu.

„Hey, wie geht’s?“, begrüßte sie ihn.

„Gut“, antwortete er und stellte die Gitarre ab. „Wie war die Hochzeit?“

„Klein, aber schön. Wenn man auf diese Dinge steht.“

„Und du stehst nicht drauf.“ Es war eine Aussage, keine Frage. Ian wusste, wie Carly über Liebe und die Worte bis ans Ende ihrer Tage dachte. Carly zuckte nur mit den Achseln. Seine unbeschwerte und nicht wertende Art waren vor allem der Grund dafür, dass sie vor vier oder fünf Monaten kurz etwas mit ihm gehabt hatte. Und die Tatsache, dass er in diesen verwaschenen Jeans so verdammt gut aussah.

Er hatte seinen Hut abgesetzt. Seine braunen Haare waren dicht und zerzaust. Carly fand seine grünen Augen schon immer faszinierend – wie sie vor Freude leuchteten und ihr intensiver Blick, wenn sie miteinander geschlafen hatten.

Er musterte sie von oben bis unten, als würde er nach der Stelle suchen, an der sie aufgehört hatten. Ihr Herz blieb für einen Moment lang stehen.

In Wahrheit gab es auf der Hochzeit einen flüchtigen Augenblick, in dem ihre Überzeugung ins Wanken geraten war. Sie sah, wie die Augen ihres spießigen Bruders geglänzt hatten, als seine hübsche Braut den Gang entlanggeschritten war, und dieser Moment hatte Carly zutiefst berührt. Sie hoffte aufrichtig, dass sie entgegen ihren eigenen Erwartungen für immer glücklich zusammenblieben. Doch sie konnte sich ihren eigenen Körper nicht in einem weißen Kleid vorstellen und konnte nicht glauben, jemandem lebenslange Versprechen zu geben. Schließlich hatte sie noch nie jemanden kennengelernt, der wirklich die Frau oder den Mann fürs Leben getroffen und sich auf eine Beziehung eingelassen hatte, die länger als ein oder zwei Jahre gedauert hatte.

Sie betrachtete Ian auf dem Verandastuhl. Er saß mit ausgestreckten Beinen da, seine Beine waren lang und geschmeidig, muskulös und kräftig. Natürlich stand sie auf gut aussehende Cowboys. Und Ian war einer, wie er im Buche stand. Er wusste zudem, wie er eine Lady zu behandeln hatte – und zwar in jeglicher Hinsicht.

Sie schob den Gedanken schnell beiseite. Sie hatten sich im Guten getrennt, beide waren sich darin einig gewesen, dass ihr sexuelles Abenteuer – egal, wie gut es auch gewesen sein mochte – nur zu Schwierigkeiten geführt hätte, wären sie etwas Ernsthaftes miteinander eingegangen. Und Carly wollte sich an diese gemeinsame Vereinbarung halten.

„Das ist ein interessantes Outfit für eine Trauzeugin“, bemerkte er, nachdem er sie von Kopf bis Fuß begutachtet hatte.

„Ein Outfit für eine Trauzeugin? Die Hochzeit war so kurzfristig angesetzt, dass ich keine Zeit mehr zum Einkaufen hatte. Also habe ich ein altes Kleid anziehen müssen.“ Sie sah auf das Kleid hinunter und drehte sich etwas nach rechts.

„Was stimmt nicht mit dem Kleid?“

„Gar nichts.“ Er lächelte verschmitzt. „Ich meinte die Boots und die Jeansjacke. Julianas und Jasons Hochzeit wird doch eher förmlich gewesen sein.“

Carly lächelte. „Ja, das stimmt. Ich habe die High Heels bei der ersten Gelegenheit ausgezogen, und da es etwas kalt und mein Kleid ärmellos ist, habe ich die erstbeste Jacke übergeworfen.“

„So oder so, du gibst eine gut aussehende Trauzeugin ab, Carly.“

Bevor sie das Gespräch auf ein sichereres Thema als Bräute und Liebesversprechen lenken konnte, bemerkte sie etwas in einem Busch neben der Hütte.

War dieser lästige Waschbär etwa schon wieder da? Wenn ja, wurde er von Mal zu Mal dreister. Aber statt Rocky, wie Ian und sie diesen kleinen Racker genannt hatten, der sich über Mülltonnen hergemacht hatte, trottete ein goldiger kleiner Welpe aus dem Busch.

„Oh mein Gott!“, entfuhr es Carly. „Wie süß ist der denn!?“

„Er ist eine Sie. Und ihr Name ist Cheyenne.“

Als sie sich nach dem Welpen bücken wollte, wurde ihr plötzlich schwindelig. Einen Moment lang glaubte sie, alles um sie herum schien sich zu drehen. Sie würde jetzt doch nicht etwa in Ohnmacht fallen?

Sie hielt kurz inne und blinzelte. Jetzt drehte sich nichts mehr. Sie ging langsam in die Hocke und streckte die Hände nach dem Welpen aus. Er kam sofort zu ihr hinüber. Sie verharrte noch etwas in dieser Position, damit ihr nicht wieder schwindelig wurde.

„Was für ein süßes Ding du bist!“, sagte sie zu dem Welpen. Dann sah sie zu Ian, der selbstzufrieden grinste. „Wo hast du sie her?“

„Ich habe sie bei Paco gekauft, dem Besitzer des Futterladens. Eine Ranch wie diese braucht einen guten Treibhund.“

Carly nahm den Welpen auf den Arm und richtete sich auf. „Aber was ist, wenn die neuen Besitzer nicht wollen, dass du bleibst?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ich mache mir da keine Sorgen.“

Ian machte sich nicht über vieles Gedanken. Tatsächlich schien er alles einfach auf sich zukommen zu lassen, was von Vorteil war für einen Flirt, aber nicht für eine dauerhafte Beziehung. Er verfolgte nicht die gleichen Ziele wie Carly.

Sie wollte schon immer etwas Besonderes aus ihrem Leben machen und nicht etwa nur das hübsche Mädchen bleiben, dessen geschiedene Eltern – ein wohlhabender Geschäftsmann und eine glamouröse Countrysängerin – zu beschäftigt waren, um mit ihr Zeit zu verbringen. Der beste Ort dafür war die Bühne, fand sie.

„Der Welpe macht dein Kleid ganz schmutzig“, bemerkte Ian.

„Das macht nichts.“ Sie warf Ian ein Lächeln zu, als Cheyenne ihr über die Nase leckte. „Ich wollte schon immer einen Hund haben, aber ich bin einfach zu viel unterwegs.“

„Ich teile Cheyenne gerne mit dir, wenn du hier bist.“

So nett dieses Angebot auch gemeint war, es würde nicht funktionieren. „Du weißt doch, dass Jason die Ranch verkaufen will.“

„Jepp. Das weiß ich.“

„Also werde ich nicht mehr hierher nach Hause kommen können. Und wie ich schon gesagt habe, du weißt nicht, ob der neue Besitzer dich hierbehalten will. Ich hoffe es natürlich für dich.“

„Wie ich schon sagte …“ Seine Augen leuchteten, und ein leichtes Grinsen umspielte seine Lippen. „Ich mache mir da keine Sorgen.“

„Okay, aber du hast jetzt Verantwortung für einen Welpen.“

„Das wird mir guttun.“

Carly musste an ein paar Obdachlose denken, die sie in der Stadt auf der Straße gesehen hatte, die einen Einkaufswagen mit ihren Habseligkeiten vor sich herschoben und woran ein Hund festgebunden war, der neben ihnen hertrottete. Nicht, dass sie wirklich daran glaubte, Ian könnte jemals obdachlos werden. Er hatte sich einen guten Ruf als Vorarbeiter gemacht. Er arbeitete hart und würde zweifellos irgendwo einen Job finden. Doch er ließ sich durchs Leben treiben wie ein Steppenläufer im Wind – vor allem, wenn es darum ging, Pläne zu machen, was ein weiterer Grund dafür war, dass sie nichts Ernsthaftes miteinander eingegangen waren. Sie wollten einfach andere Dinge vom Leben.

„Im Ranchhaus ist schon so gut wie alles gepackt. Juliana hat fast alle Sachen in Kisten verstaut. Es ist also nicht gerade gemütlich. Du darfst sehr gerne bei mir übernachten.“

Die Erinnerung an die gemeinsamen Nächte in seinem Bett ließ ihren Puls schneller schlagen, und sie spürte ein Kribbeln im Bauch. Doch das würde keinem von beiden guttun. Vielleicht für den Moment, aber Carly befand sich gerade an einem Punkt ihrer Karriere, an dem sie es sich nicht leisten konnte, sich auf ihn – oder jemand anderen – einzulassen.

„So verlockend das Angebot auch sein mag“, erwiderte sie, „ich muss leider passen. Außerdem hat Juliana mir gesagt, dass die Küche noch nicht ausgeräumt wurde. Und das Gästebett ist frisch bezogen. Ich werde schon klarkommen.“

„Wie du willst!“

Sie sahen sich im hellen Mondschein einen Moment lang an. Und während Ian kein weiteres Wort sagte, hatte Carly das Gefühl, sie müsste sich verteidigen.

„Wir haben das doch schon besprochen.“

Er lächelte sie herausfordernd an. „Ich habe nichts davon gesagt, dass du mit mir schlafen sollst, obwohl ich nicht Nein sagen würde, wenn du darauf bestehen würdest.“

Sie schnalzte mit der Zunge und erwiderte sein Lächeln.

„Du bist unverbesserlich, Ian McAllister. Du wirst mir noch zum Verhängnis werden.“

„Nein, werde ich nicht. Du hast es selbst gesagt, eine Beziehung zwischen uns wäre aussichtslos und würde nur Streit bedeuten. Und ich stimme dir darin zu.“

Das hatte er tatsächlich, und es stimmte. Doch dadurch fühlte sie sich nicht weniger zu ihm hingezogen – im Gegenteil, die Anziehung war immer noch genauso stark. Sie musste einfach standhaft bleiben und ihm, wann immer es möglich war, aus dem Weg gehen.

Sie betrat die Veranda und setzte Cheyenne neben dem Stuhl ab. Dabei nahm sie für einen kurzen Moment den Duft von Seife und Leder, Moschus und Cowboy war. Verdammt, die Anziehungskraft zwischen uns zu ignorieren, wird nicht leicht werden.

Er griff nach ihrer Hand und streichelte dabei mit dem Daumen über ihr Handgelenk. Ihr Herz machte einen Satz.

Sie hatte ihn vermisst – mit ihm auszureiten, auf der Veranda gemeinsam zu singen, mit ihm in seiner Hütte zu schlafen, am Morgen in seinen Armen zu erwachen … Doch sie zog die Hand weg. Sie musste nicht viel Kraft aufwenden. Seine Hand hatte sich gelöst, noch bevor sie es überhaupt bemerkte.

„Ich sollte jetzt reingehen. Es war ein langer Tag“, sagte sie.

„Gute Nacht“, erwiderte Ian.

Er will mich nicht überreden? Nicht, dass ich es mir wünsche, aber normalerweise lassen die Männer nicht so schnell locker. Also warum bin ich nicht erleichtert, dass er nicht versucht, mich umzustimmen? Weil das Leben komplizierter wird, wenn Hormone im Spiel sind – deshalb.

„Schlaf gut.“ Als sie sich auf den Weg zum Haus machte, erfüllte der Klang seiner Gitarre die Dunkelheit. Er spielte ein Lied, das sie nie zuvor gehört hatte. Sie drehte sich noch einmal um, verschränkte die Arme und schob die Hüfte raus.

Ian hörte auf zu spielen.

„Das ist schön. Hast du das geschrieben?“, fragte Carly.

„Jepp. Magst du es?“

„Ja, sehr. Du hast viel Talent, Ian. Du solltest etwas daraus machen.“

„Habe ich doch gerade, wie du gehört hast.“

„Das meine ich nicht. Du solltest mich – oder jemand anderen – diesen Song aufnehmen lassen. Er könnte ein Hit werden.“

„Du hast eine wunderschöne Stimme, Carly, aber ich muss trotzdem ablehnen. Ich habe ihn für meine Großeltern geschrieben. Er soll ein Geschenk sein.“

„Das ist ja toll. Ich bin mir sicher, sie werden das Stück lieben. Aber was ist, wenn du mehr damit erreichen könntest? Würdest du ihnen damit nicht noch mehr zeigen, wie sehr du sie wertschätzt?“

„Ich möchte, dass sie ihn als Erste hören, wenn ich ihn auf ihrem Hochzeitstag vorsinge.“

„Aber danach könntest du doch vielleicht …“

„Tut mir leid. Ich habe mich entschieden.“

So war es. Und das zeigte wieder einmal, dass Ian kein Mann der Tat war, im Gegensatz zu Carly. Natürlich gab er alles, wenn es um die Arbeit auf der Ranch ging, aber er hatte keine anderen Ziele, außer einem einfachen Leben. Zudem hatte sie festgestellt, dass Ian McAllister, so unbeschwert er auch war, stur wie die alte Milchkuh von Granny Rayburn sein konnte, wenn es darum ging, sich zu entscheiden.

Carly nickte und ging weg. Auf dem Weg zum Haus hörte sie die Gitarre und Ians gefühlvolle Stimme. Es war ein Lied über zwei einsame Herzen, die in einer Mondnacht zueinanderfanden, sich Hals über Kopf verliebten und sich versprachen, für immer beieinanderzubleiben.

Gerne hätte sie das Paar kennengelernt, das ihn zu diesem wunderschönen Lied inspiriert hatte. Würde sie es kennen, könnte sie es sich selbst vielleicht vorstellen, eines Tages mit jemandem sesshaft zu werden. Allerdings nicht für sehr lange – und ganz bestimmt nicht mit Ian.

2. KAPITEL

Als Carly durch die Vordertür in das Ranchhaus eintrat, ergriff sie ein Gefühl von tiefer Traurigkeit. An den Wänden reihten sich Stapel von Kartons. Carly wusste, dass ihre Schwägerin eine Bestandsaufnahme von Grannys Sachen gemacht und die Dinge verpackt hatte, doch dieses Wissen bereitete sie noch lange nicht auf diesen schmerzlichen Anblick vor.

Die wertvollen Erinnerungen verstaut in Kartons zu sehen, vor allem die Tafeln, Bilder und den ganzen Krimskrams, der die Ranch zu ihrem Zuhause gemacht hatten, erinnerte sie daran, dass Granny nicht mehr da war und dass die Ranch bald jemand anderem gehören würde. Und zum ersten Mal in ihrem Leben war das Nachhausekommen kein bisschen tröstlich.

Als sie durch das leere Haus lief, weitete sich der Schmerz in ihrer Brust aus. Sie brauchte jetzt eine Aufmunterung und ging schnell in die Küche, wo sie und Granny viel Zeit miteinander verbracht hatten. Sie brach fast in Tränen aus, als sie sich in gewohnter Umgebung wiederfand. Nur in diesem Raum war noch Grannys Handschrift zu erkennen – der einzige Ort, der immer noch eine sichere Zuflucht vor den Widrigkeiten der Welt da draußen bot.

Sie betrachtete die ausgeblichene blaue Tapete, auf der Strohkörbe mit Wildblumen darin zu sehen waren. Die Farben hatten einst die Küche erstrahlen lassen, wo Carly sich oft vor dem Essen aufgehalten und Granny gebeten hatte, ihr beim Kochen oder Backen helfen zu dürfen.

Granny war ihr viel mehr eine Mutter gewesen als ihre leibliche, die sie von Geburt an für die meiste Zeit in die Obhut von Kindermädchen gegeben hatte. Natürlich würde Raelynn Fallon dieser Version nicht zustimmen. Und niemand legte sich mit ihr an, schon gar nicht ihre Tochter.

Glücklicherweise hatte es Granny gegeben, die Großmutter ihres Vaters, und sie hatte die Elternrolle für Carly übernommen. Deshalb trauerte Carly auch mehr um den Tod ihrer Urgroßmutter als um den Tod ihres Vaters, der vor vier Monaten bei einem Autounfall in Mexiko verunglückt war.

Sie sah auf die katzenförmige Wanduhr, deren schwarzer Schwanz sich im Sekundentakt bewegte. Das Leben geht weiter, dachte sie. Doch momentan fühlte sie sich verloren. Beim letzten Besuch hatte sie einiges vorgehabt, aber diesmal war es anders. Am liebsten hätte sie die Sachen ihrer Großmutter wieder aus den Kisten geholt und dort hingestellt, wo sie hingehörten. Doch das konnte sie nicht tun.

Was sollte sie nun mit ihrer Zeit anfangen – vor allem, weil sie Ian aus dem Weg gehen wollte. Sie entdeckte Grannys alte Kiste mit Rezepten auf der Küchentheke. Sie öffnete sie und sah die gelben zerknickten Karten durch.

Vorspeisen, Getränke, Brote, Kuchen …

Granny hatte auf der Rückseite vieler Karten etwas notiert. Wie schön es war, ihre Handschrift zu sehen und ihre Gedanken lesen zu dürfen. Carly machte es sich mit einem Tee an dem alten Eichentisch gemütlich. Sie fand eines ihrer Lieblingsrezepte: Sugar Cookies. Wie sehr es ihr Freude bereitet hatte, den Teig auszurollen und Formen auszustechen. Besonders an Weihnachten, wenn Granny und sie die Plätzchen anschließend noch glasiert hatten. Auf der Rückseite der Karte hatte Granny etwas notiert: Carlys Lieblingsplätzchen. Die Feiertage sind nicht dieselben ohne diese Plätzchen. Es wärmt mir das Herz, wenn ich sehe, wie sie ihre Augen zum Leuchten bringen.

Darunter stand eine weitere Notiz: Es war traurig, als Carly zu alt wurde, um mit mir zu backen.

Carly dachte an Grannys letztes Weihnachten. Ihre Großmutter hatte Carly um der alten Zeiten willen zum Plätzchenbacken eingeladen, aber Carly hatte keine Zeit gehabt. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihrer Granny abgesagt hatte, jedoch war es das allerletzte Mal gewesen.

Hatte Granny die zweite Notiz vielleicht an diesem Tag aufgeschrieben?

Tiefe Schuldgefühle stiegen in Carly auf. Sie hatte einen Kloß im Hals, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Granny“, sagte sie laut, „ich werde dir einen Berg Sugar Cookies backen, um der alten Zeiten willen, noch bevor deine Küche eingepackt wird.“

Sie suchte ein paar weitere Rezepte aus der Box aus, darunter Brownies und Grannys Texas Chocolate Cake. Auf die Rückseite des Brownie-Rezepts hatte Granny geschrieben: Männer und Jungs können ihnen nicht widerstehen! Eignen sich auch prima als Wiedergutmachung oder auch zur Bestechung!

Carly nahm aus der Küchenschublade Zettel und Stift und verfasste eine lange Einkaufsliste. Sie hatte zwar keine Ahnung, wer all das essen sollte, was sie backen wollte, doch sie wusste, dass ihr das Backen guttun würde. Und im Moment musste sie alles tun, damit es ihr wieder besser ging.

Als die Sonne hoch am texanischen Himmel stand, kam Ian mit Cheyenne an einer Leine aus der Scheune. Carly war vor ein paar Stunden weggefahren, Ian hielt sich auf der südlichen Weide auf und hatte ihren Wagen auf der Landstraße vorbeifahren sehen.

Er hatte kein Recht zu wissen, wo sie hinfuhr, und trotzdem hätte er es gerne gewusst.

Als er sich auf den Weg zum Gatter machte, wo Jesse Ramirez, einer der Teenager, die Jason angestellt hatte, die Umzäunung strich, kam Carly angefahren. Wenigstens hatte sie nicht der Anblick der gepackten Kisten verjagt, und sie schien nun etwas länger bleiben zu wollen.

Als sie ihm zuwinkte, machte sein Herz einen Satz. Warum auch nicht? Carly Rayburn war ein Traum für jeden Cowboy – eine 1,60 Meter große Blondine mit blauen Augen, und eng anliegende Jeans und weiße Spitzenblusen standen ihr unglaublich gut.

Heute hatte sie sich aufgedonnert. Sie trug Boots, schwarze Jeans und eine blaue Rüschenbluse. Ihre blonden Locken fielen ihr über die Schultern, und sie sah aus, als wollte sie zu einem ihrer gemeinsamen Ausritte starten, die sie damals oft unternommen hatten. Beinahe hätte er sie danach gefragt. Doch Carly wollte nach den Sternen greifen und Ruhm erlangen, den Ian nur zu gern hinter sich gelassen hatte.

Natürlich wusste sie nicht, warum Ian damals alles aufgegeben hatte, und das sollte auch so bleiben.

Carly stieg aus dem Truck und fragte: „Ich nehme an, du willst mir nicht helfen, die Sachen ins Haus zu tragen?“

„Doch. Was hast du denn da?“

„Lebensmittel.“

Er sah auf die Tüten und Kartons, welche die ganze Ladefläche ihres Pick-ups einnahmen und pfiff überrascht. „Was ist das alles? Mehl, Zucker, Kakao …? Willst du eine Bäckerei eröffnen?“

„Vielleicht sollte ich das tun. Ich habe letzte Nacht Grannys Rezeptkiste gefunden. Auf der Rückseite hat sie Notizen gemacht, und da ich nicht schlafen konnte, habe ich sie lange durchgesehen und dann eine Einkaufliste geschrieben und … Na ja, es sieht so aus, als würde ich wohl etwas backen. Ich muss nur noch jemanden finden, dem ich das Gebäck geben kann, oder ich sehe am Ende aus wie ein dicker Truthahn.“

„Hey, du weißt, wo ich wohne. Ich hatte schon ewig keinen hausgemachten Kuchen mehr. Am liebsten mag ich Schokolade, aber ich bin nicht wählerisch. Es reicht schon, wenn es süß ist.“

Sie strahlte ihn an. „Ich werde daran denken.“

Als sie die Lebensmittel in die Küche trugen, sagte sie: „Rate mal, wen ich im Supermarkt getroffen habe!? Earl Tellis, den Besitzer vom ‚Stagecoach Inn‘.“

Der war einkaufen?“, erwiderte Ian lachend. „Hätte nicht gedacht, dass der so häuslich ist.“

„Ich auch nicht. Aber seine Frau hatte eine Blinddarm-OP, und deshalb hilft er aus, wo es geht. Earl hat mich gefragt, ob ich Samstagabend bei ihm auftrete.“

„Schön für dich.“

„Ja, schon. Es ist zwar nichts Großes, aber ich kann wenigstens irgendwo auftreten, solange ich hier bin.“ Sie biss sich auf die Lippe.

Oh, oh! Ian konnte sich denken, worauf sie hinauswollte.

„Earl hat mich gefragt, ob ich eine Band habe, und ich habe ihm gesagt, dass ich vielleicht einen Gitarristen auftreiben könnte.“

„An wen hast du da gedacht?“ Er kannte die Antwort. Sein Magen zog sich zusammen.

„An dich natürlich!“

Ian schüttelte den Kopf. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht auf die Bühne gehöre.“

„Das weißt du doch noch gar nicht – nicht, wenn du es nicht wenigstens versuchst. Komm schon. Hilf mir nur dieses eine Mal. Ohne dich nimmt Earl mich nicht.“ Wieder biss sie sich auf die Lippe und sah ihn mit einem Dackelblick an.

„Sieh mich nicht so an!“

Ihr Mund öffnete sich leicht, und ihre Augen wurden größer. „Wie?“

Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin nicht dein Daddy, der bei diesem Blick nachgegeben hat.“

Carly stemmte die Arme in die Hüften, und sie sah ihn wie ein wütender Terrier an. „So etwas tue ich nicht! Ich habe nie versucht, meinen Dad auf diese Art und Weise zu überreden.“

Ian zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Komm schon, Carly. Ich habe dich dabei gesehen.“

„Wann?“

„An dem Tag, als wir uns kennenlernten – als dein Dad vorbeigekommen ist und herausgefunden hat, dass der alte Vorarbeiter sich zur Ruhe gesetzt hatte und Granny mich als neuen Vorarbeiter eingestellt hatte.“

„Mein Dad war nicht besonders glücklich darüber, dass Reuben Montoya zurück nach Mexiko gegangen war. Und ich hatte Angst, er könnte … etwas Dummes tun.“

„Und was?“

„Ihm hinterherfahren vielleicht. Oder dich feuern, bevor du dich beweisen könntest.“ Sie zuckte leicht mit den Schultern. „Ich habe nur versucht, das Thema zu wechseln, damit er nicht mehr darüber nachdachte. Aber ich habe ihn nicht mit Blicken bearbeitet, wie du anzudeuten versuchst.“

„Das war nicht das einzige Mal. Und du warst ziemlich gut darin. Bei mir wird das allerdings nicht funktionieren.“

„Das ist ungerecht, Ian. Du stellst mich dar, als wäre ich ein verzogenes Gör. Und das bin ich nicht.“

Vielleicht nicht von Natur aus, dachte er. Aber wenn man einen superreichen Vater hat, der glaubt, Geld könne Zuneigung ersetzen, dann ist es wahrscheinlich schwer, gelegentlich nicht seinen Willen zu bekommen.

„Ich will dich nicht beleidigen oder dich verärgern. Und ich will deine Chance, dich hier zu präsentieren, nicht kaputtmachen, aber ich habe kein Interesse daran, im ‚Stagecoach Inn‘ aufzutreten.“

„Wirst du etwa nervös, wenn du vor Publikum spielen musst?“

„Nein.“ Lampenfieber war nie ein Problem. „Ich will einfach nicht.“ Das Gleiche hatte er Felicia Jamison gesagt, einer bekannten Countrysängerin, als er die Band verlassen hatte. Und Felicia hatte diese Begründung genauso wenig akzeptieren können wie Carly jetzt. Und doch schuldete er keinem Menschen eine weitere Erklärung.

Vor zehn Jahren war Felicia ein aufsteigender Stern gewesen, als sie Ian als ihren Leadgitarristen angeheuert hatte. Sie passten perfekt zusammen. Felicia konnte die Menge mit ihrer Stimme zum Kochen bringen, aber es waren Ians Songs, die sie noch erfolgreicher machten.

Viele von Carlys Fans hatten wahrscheinlich noch nie etwas von einem Mac McAllister gehört, doch dieser Name war immer noch eine Größe im Countrymusic-Geschäft.

Bisher wusste in Brighton Valley niemand, wer sich dahinter verbarg. Felicia war diejenige, die man wiedererkannte. Ian galt nur als ein Mitglied ihrer Band, aber wenn er auf die Bühne gehen würde, dann wäre die Chance größer, dass ihn jemand erkennen könnte. Zudem war es ihm todernst gewesen, als er Felicia gesagt hatte, er wolle keine Musik mehr machen.

„Dann kannst du es mir aber auch nicht übel nehmen, wenn ich versuche, dich umzustimmen“, sagte Carly.

Ian wusste nicht, was sie vorhatte, und in Wahrheit fand er Carly immer noch verdammt attraktiv. Und während sie ihm deutlich gemacht hatte, dass sie den Flirt vom letzten Mal nicht fortsetzen wollte, war Ian sich nicht mehr so sicher, dass er genauso dachte.

Carly hatte ein Nein noch nie akzeptiert – vor allem jetzt nicht, da sie Ian gegenüber nicht ehrlich gewesen war. Earl Tellis hatte sie nicht nur gefragt, ob sie am Samstag bei ihm auftreten würde, sie hatte auch schon fest zugesagt, und zwar für sich und einen Gitarristen.

Und da Ian ziemlich stur sein konnte, musste sie sich ins Zeug legen. Jede Menge saftige Schokoladenbrownies mit Karamellfrosting – einer Haube aus köstlicher Karamell-Frischkäse-Creme – würden den gutaussehenden Cowboy ganz bestimmt beeindrucken. Und hatte Granny nicht gesagt, das Rezept eignete sich auch sehr gut zur Bestechung?

Nach dem Essen zog Carly sich ein hübsches gelbes Kleid an, warf ihre Jeansjacke über und schlüpfte in ein Paar Cowboystiefel. Dann kümmerte sie sich um ihr Make-up und ihre Haare, bevor sie mit einem Teller Brownies zu Ians Hütte ging.

So wie am Abend zuvor saß Ian auf seiner Veranda und zupfte auf seiner Gitarre. Nur diesmal spielte er ein anderes Lied mit einer schwermütigen Melodie und sang einen rührenden Text dazu.

Es war keine Überraschung, dass das Stück genauso einprägsam und genauso gut wie das Lied war, das er für seine Großeltern geschrieben hatte.

Er hörte auf zu spielen, als sie sich näherte, und warf ihr ein herzliches Lächeln zu.

„War das auch ein neues Lied?“

„Jepp.“

Ian war sich nicht bewusst, wie talentiert er war. Er konnte nicht nur spielen und singen, sondern wusste auch, wie man Songtexte schrieb. Die meisten Musiker würden ihr Leben dafür geben, Songs wie Ian verfassen zu können.

Er stellte seine Gitarre neben Cheyenne ab, die auf dem Boden schlief. „Was hast du da? Nachtisch für mich?“

Carly stieg auf die Veranda und nahm die Folie von den Brownies. „Das ist mein erster Versuch, Grannys ausgezeichnete Brownies nachzubacken. Sag mir deine Meinung.“

Ian nahm ein Stück und biss hinein. Während er kaute, schloss er seine Augen und machte ein derart zufriedenes Gesicht, dass Carly kein weiteres Wort mehr gebraucht hätte.

„Die sind großartig, Carly! Ich wusste nicht, dass du so gut backen kannst.“

„Danke, aber ich habe mich einfach an das Rezept gehalten. Granny war die Bäckerin in unserer Familie.“

„Das stimmt. Ein paar Tage, nachdem ich hier angefangen hatte, lud sie mich zum Abendessen ein.“ Ian grinste über das ganze Gesicht, und seine Augen leuchteten. „Gebratenes Hühnchen, Kartoffelbrei und saftige, frische grüne Bohnen. Ich werde dieses Essen niemals vergessen – oder eins der folgenden. Ich hätte alles für Granny getan, nur um noch mal an ihrem Tisch sitzen zu dürfen.“

Das war die Magie, die Carly sich von den Brownies erhofft hatte. Sie lächelte Ian freundlich an. „Granny hat es geliebt, für andere zu kochen und zu backen.“

„Ja, das hat sie. Ich hatte wirklich Glück, dass ich hier auf der Ranch einen Job bekommen habe. Und nicht, weil ich die Arbeit brauchte, sondern weil ich Heimweh hatte, und so taten wir uns beiden etwas Gutes.“

Schuldgefühle stiegen wieder in Carly auf, und ihr Magen zog sich zusammen. „Ich denke, dass sie sich allein gefühlt hat, als meine Brüder und ich erwachsen geworden waren, und sie nicht mehr nach uns sehen musste.“

„Sie hat verstanden, dass Kinder ihr eigenes Leben leben müssen. Es war dein Vater, der sie verlassen hat. Der hatte sich so sehr seinem Leben und seinem Geschäft gewidmet, dass sie sich oft zurückgewiesen und verlassen gefühlt hat.“

„Ich weiß. Granny hat mir davon erzählt. Seine Eltern starben bei einem Flugzeugabsturz, als er ein kleines Kind war, und Granny zog ihn auf, bis sein Großvater mütterlicherseits darauf bestand, dass er in Kalifornien aufs College ging. Diese Seite seiner Familie war sehr reich, und ihm gefielen Glanz und Glamour.“

„Granny hat ihm das nie vorgehalten, aber sie hätte sich gewünscht, er hätte sich öfter gemeldet oder sie besucht.“

„Ich hoffe, ich habe Granny nicht enttäuscht.“

„Darüber hat sie nie etwas gesagt.“

Carly betrachtete den attraktiven Cowboy, der in Grannys letzten Tagen ihr Vertrauter geworden war. „Ihr beiden scheint euch gut verstanden zu haben.“

Ian zuckte mit den Schultern. „Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen, und als sie die Ranch verkauft haben, musste ich mir einen neuen Platz suchen, an dem ich mich zurückziehen konnte. So traf ich Granny. Vor drei Jahren. Ich fuhr durch Brighton Valley und hielt bei ‚Caroline’s Diner‘ an. Granny brauchte jemanden, der ihr zur Hand ging, und ich brauchte einen Job.“

„Aber ich verstehe nicht, warum du immer noch hier bist, vor allem, da du nicht weißt, wie es mit der Ranch weitergeht. Ich hätte gedacht, dass du nach einem sicheren Job auf einer erfolgreichen Ranch suchst.“

Ian sah die hübsche Blondine an. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „War die Frage so kompliziert, dass du erst noch darüber nachdenken musst? Die meisten Vorarbeiter wären längst weitergezogen, vor allem, da sich seit Grannys Tod niemand mehr für die Ranch zu interessieren scheint.“

Es gab vieles, was Carly nicht über Ian wusste – vieles hatte er ihr nicht mitgeteilt. Und er wusste nicht, ob er wollte, dass sie so viel wusste. Als er den Job auf der Ranch bekam, war er nicht nur auf der Suche nach Arbeit gewesen, sondern nach einem Ort, den er sein Zuhause nennen konnte. Und Granny hatte nicht nur einen neuen Vorarbeiter gefunden, sondern auch einen Enkelsohn, der Charles nie gewesen war. Ian und Granny hatten sich bis zu Grannys Tod umeinander gekümmert. Und auch danach hatte Ian sich so auf der Ranch engagiert, wie es sich Rosabelle Rayburn gewünscht hätte. Charles war es egal, was mit der Ranch geschah. Was wäre aus ihr geworden, wenn Ian nicht da gewesen wäre?

Ians Granddad hatte immer gesagt: Loyalität kann man nicht kaufen, mein Sohn. Aber wenn sie verdient und wahrhaftig ist, dann überdauert sie sogar den Tod.

„Ich weiß nicht, wo ich sonst hingehen soll. Außerdem mag ich Brighton Valley. Ich würde gerne hierbleiben und ein Stück Land kaufen“, sagte Ian zu Carly.

„Ich verstehe. Du legst etwas Geld zur Seite“, erwiderte Carly.

„So kann man es sagen.“

„Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Ich würde mich freuen, dir etwas Geld leihen zu dürfen.“ Carly hatte einen Treuhandfond und somit überhaupt keine finanziellen Sorgen. Offensichtlich glaubte sie, Ian war etwas mehr als ein Landstreicher und brauchte ihre Unterstützung.

„Danke, aber ich schaffe das schon.“

Es würde Carly und ihre Brüder vielleicht überraschen – so wie Ralph Nettles, den Makler des Grundstücks –, aber Ian hatte aus seiner Zeit auf der Bühne Geld zur Seite gelegt. Er bekam zudem einige Tantiemen von den Liedern, die er komponiert hatte.

„Weißt du, das Lied, das du vorhin gespielt hast …“, sagte Carly.

„Was ist damit?“

„Würdest du es mir von Anfang an vorsingen?“

Ian hatte es geschrieben, gleich nachdem sie ihr gemeinsames Abenteuer beendet und Carly die Ranch verlassen hatte. Im Gegensatz zu Carly war er sich jedoch nicht sicher gewesen, ob ihre Affäre damals wirklich zu Ende war. Denn früher oder später würde sie auf die Ranch zurückkehren, wenn es in ihrem Leben mal wieder schieflief. Natürlich wünschte er ihr das nicht.

Carly besaß viel mehr Talent als ihre Mutter und hatte ein großes Herz. Ian glaubte, dass sie in Wirklichkeit einfach jemanden brauchte, der sie liebte und wertschätzte. Er war sich aber nicht sicher, ob er dieser Jemand war – genauso wenig wusste er, ob er es nicht war.

Er deutete auf einen leeren Stuhl, und als sie sich hingesetzt hatte, sang er das Lied. Ob sie merken wird, dass es um uns als Paar geht? Dass sie mich zu diesem Song inspiriert hat!?

Als die letzten Akkorde in der Dunkelheit verklungen waren, klatschte Carly leise. „Das war wunderschön, Ian. Ich liebe das Stück. Aber sag mal, handelt der Song von uns?“

„Nein, nicht wirklich“, schwindelte er.

Er konnte ihr nicht sagen, dass dieses Lied von Herzen kam. Er war so geübt darin, seine Gefühle zu verbergen, dass es ihm leichter fiel, sie durch sein Gitarrenspiel fließen zu lassen.

„Du solltest etwas aus diesem Song machen. In den richtigen Händen würde es ein Hit werden!“

Das war Ian durchaus bewusst. Ein Anruf bei Felicia würde genügen. Doch dann stünden bald jeder Agent und Musiker aus Nashville auf seiner Veranda, und sein friedliches Leben und die Privatsphäre wären dahin.

„Würdest du das Stück bitte mit mir zusammen am Samstag im ‚Stagecoach Inn‘ singen?“, fragte Carly und hielt den Teller mit den Brownies verführerisch vor sein Gesicht. „Wenn du Ja sagst, lasse ich den Rest davon hier.“

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Ian hatte Carly schon immer verführerisch gefunden, vor allem, wenn sie sich durchsetzen wollte. Manchmal hatte er nachgegeben, aber diesmal konnte er ihr nicht den Gefallen tun. „Ich habe vielleicht einen süßen Zahn, aber du kannst mich nicht mit Kuchen erpressen. Das wird nicht funktionieren.“

Carly seufzte und zog den Teller zurück. „Bitte bring mich nicht dazu, Don Calhoun fragen zu müssen.“

Diesen hinterhältigen Typen? Das konnte sie nicht ernst meinen. „Dieser Typ, der dich einmal angegraben hat, als wir auf dem Heimweg vom Kino noch etwas trinken waren?“

„Don ist mit mir zur Schule gegangen, und wir sind schon einmal zusammen aufgetreten.“

Ian schnalzte mit der Zunge. „Calhoun ist ein absoluter Blödmann. Ich habe damals genau gesehen, wie er dich von der anderen Seite des Raums aus beobachtet hat und sich auf meinen Platz gesetzt hat, sobald ich in der Toilette verschwunden war.“

„Wie gesagt, wir sind alte Freunde. Und falls es dich beruhigt, ich habe ihm damals gesagt, dass wir zwei miteinander ausgehen.“

Aber jetzt gingen sie nicht mehr miteinander aus. Und alte Freunde hin oder her, der Typ war einfach ein Idiot.

„Was findet am Samstag im ‚Stagecoach Inn‘ statt?“, fragte Ian.

„Eine Talentshow. Wir würden ein paar Songs spielen, vielleicht dreißig Minuten. Singst du bitte mit mir?“

„Auch noch singen!?“

Sie hielt ihm wieder die Brownies vor das Gesicht und lächelte ihn an.

Doch es war nicht das Gebäck, das ihn dazu gebracht hatte, sie zu retten. Es war diese wunderschöne Blondine, die ihn mit ihren strahlend blauen Augen und den Grübchen ganz durcheinanderbrachte. Er hatte schon mit vielen Frauen etwas gehabt, aber nicht viele davon waren an ihm interessiert gewesen, wie er wirklich war, und so hatte Ian seinen Kopf nie verloren. Doch an Carly Rayburn hatte ihn etwas zutiefst berührt – etwas Bezauberndes und Verletzliches.

„Verdammt, Carly. Ich mach’s. Aber nur dieses eine Mal!“

„Danke, Ian. Du wirst es nicht bereuen.“

Sie irrte sich. Sie mussten von nun an jeden Abend üben. Und er bereute es jetzt schon.

3. KAPITEL

Carly konnte nicht fassen, wie talentiert Ian war – und wie gut sie beide im Gesang harmonierten. Mit ihm zu üben, erleichterte diesen Eindruck nicht. Tatsächlich war jede neue Probe umso schwerer zu ertragen, und die heutige war entsetzlich.

Zwischen ihnen knisterte es nur so – Ians sanfte Stimme und der berauschende Duft seines Rasierwassers zogen sie in seinen Bann, und Carly sang aus tiefstem Herzen.

„Lass uns noch ein letztes Mal Breathe singen. Dann machen wir Schluss für heute“, sagte Ian.

„Alles klar.“ Doch Carly befürchtete, wenn sie diesen leidenschaftlichen Song noch einmal singen würde, dann könnte sie keineswegs eher Schluss machen, als bis sie Ian um den Verstand geküsst hätte. Sie saß eindeutig in der Patsche.

Sie sah heimlich zu Ian und entdeckte ein Schimmern in seinen Augen. Sein verschmitztes Grinsen bedeutete ihr, dass er ganz genau wusste, was er angerichtet hatte. Den Faith-Hill-Hit zum Schluss zu singen, war nur Teil eines Plans.

Verdammt! Wahrscheinlich glaubte er, sie würde ein letztes Mal mit ihm schlafen wollen, nachdem sie dieses Lied über ihr gemeinsames Verlangen gesungen hätten – um der alten Zeiten willen. Doch das konnte sie nicht tun, auch wenn der Gedanke daran sehr verlockend war.

Sie stand kurz davor, das Lied von der Liste zu streichen. Und sie hätte es auch getan, wenn sie sich zusammen nicht so wunderschön angehört hätten.

Als der Song zu Ende war, stellte Ian seine Gitarre ab. „Das sollte für morgen Abend reichen.“

Hatte sie sich etwa geirrt, was seine Absichten angingen?

Offensichtlich. Sie sollte erleichtert sein, aber stattdessen versuchte sie sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

„Danke, dass du mit mir singst“, bedankte Carly sich erneut.

Er antwortete nicht, was bedeutete, dass er nicht glücklich darüber war, dazu gezwungen worden zu sein – nein, nicht gezwungen. Sie hatte ihn ja nur ermuntert. Und wenn er jemandem sein Wort gab, dann hielt er es auch.

„Ich denke, wir werden sie morgen im ‚Stagecoach Inn‘ umhauen“, sagte Carly.

„Ja, wahrscheinlich. Aber denk dran, dass es eine einmalige Sache ist!“, erwiderte Ian.

So hatten sie es abgemacht, aber Carly hoffte, dass es der Anfang weiterer Aufritte werden würde. Doch das behielt sie für sich. Sie wollte Ian nicht noch mehr verärgern. Sobald er mit ihr auf der Bühne stehen würde, war Carly sich sicher, dass das Publikum ihn davon überzeugen würde, dass sie ein perfektes Duo abgaben. Und dann könnte auch Ian nicht mehr abstreiten, dass die Chemie zwischen ihnen nicht nur im Bett unglaublich war, sondern dafür bestimmt war, sie auf der Bühne zum Strahlen zu bringen.

Ian war am Anfang seiner Karriere in vielen Kneipen wie dem „Stagecoach Inn“ aufgetreten. Als er die Stufen hinaufging und die Tür öffnete, schlugen ihm der Geruch von Alkohol und Zigaretten sowie Musik und Gelächter entgegen. Die Atmosphäre versetzte ihn zurück in die Zeit, der er damals entflohen war.

Er stand einen Moment lang in der Tür und beobachtete die Leute. Als er als Mac McAllister in der Band Felicia’s Wiley Five gespielt hatte, trug er langes Haar und einen Dreitagebart. Damals mochte er den verwegenen Look.

Hoffentlich würde ihn niemand erkennen, jetzt, da er keinen Bart und kurze Haare hatte. Er trug zudem ein weißes Hemd und ausgewaschene Jeans. Früher hatte er auf der Bühne hauptsächlich schwarze Kleidung angezogen.

Erst als hinter ihm ein Pärchen auf die Tür zukam, trat er ein und ging mit seiner Gitarre zu der langen Bar. Früher hätte er sich jetzt ein paar Gläser Tequila bestellt, um den Auftritt durchstehen zu können. Doch heute hatte er einfach nur einen trockenen Hals.

Zudem war er wütend auf Carly, dass sie ihn dazu überredet hatte – oder vielleicht war er auch sauer auf sich selbst, dass er nicht standhaft geblieben war. Normalerweise tat er nichts, wonach ihm nicht zumute war.

Also warum hatte er zugestimmt, es für sie zu tun?

Warum hier? Warum jetzt?

Und warum wollte sie sich mit ihm hier treffen? Warum waren sie nicht zusammen hierhergekommen? Irgendetwas stimmte nicht. Sie würde vielleicht behaupten, sie hätte ihn nicht wie ihren Daddy um den Finger gewickelt, aber das stimmte nicht. Nach heute Abend würde ihm das kein zweites Mal passieren.

Eine um die dreißig Jahre alte Barkeeperin mit vollen Brüsten und braunen Haaren lehnte sich in einem tief ausgeschnittenen Top auf die Bar und bot Ian einen tiefen Einblick. „Was darf’s denn sein, Cowboy? Es ist Happy Hour. Zwei Biere vom Fass zum Preis von einem.“

„Danke. Kein Interesse.“

„Oh, ich mag es, wenn Männer nicht geizig sind.“

Ian mochte es, wenn Barkeeper ruhig waren und ihren Job machten. Anstatt die Gäste zu bedienen, sollte diese kokette Brünette besser auf der anderen Seite der Bar sitzen und sich von den männlichen Gästen Drinks ausgeben lassen.

„Ich nehme ein Root Beer.“

Sie sah ihn mit großen Augen ungläubig an. „Ernsthaft?“

„Hast du ein Problem damit?“

„Nope.“ Sie stellte sich gerade hin, und ihr Lächeln verschwand. „Dein Kräuterbier kommt sofort.“

Ian sah zur Tür. Wo bleibt sie nur? Sie würde nicht zu spät kommen. Dazu war ihr der Auftritt einfach zu wichtig.

Die vollbusige Barkeeperin stellte eine Dose und einen Krug mit Eiswürfeln vor ihm auf die Bar. „Soll ich’s auf den Deckel schreiben?“

„Nope.“ Er legte einen Zehn-Dollar-Schein auf die Bar und nahm einen Schluck.

„Schade, ich hab mich schon gefreut, dich den ganzen Abend zu bedienen.“

Als die Brünette Ians Wechselgeld holte, tauchte Carly endlich auf. Sie trug ein brandneues Outfit – zumindest soweit er das beurteilen konnte. Sie war wunderschön wie immer, obwohl Ian sie ohne das ganze Make-up, Haarspray und Geglitzer lieber mochte.

„Entschuldige, dass ich zu spät bin.“

„Ich bin auch noch nicht lange da.“

Carly lachte. „Ich bin nur froh, dass du überhaupt gekommen bist.“

Ian nahm ihre Hand. Mit seinem Daumen konnte er ihren Puls fühlen, der sich zu beschleunigen schien. „Ich habe gesagt, dass ich komme, Carly. Und auch wenn ich zugeben muss, dass ich nicht glücklich damit bin, ist es so, dass ich niemals mein Wort breche, wenn ich es jemandem gegeben habe. Wenn du wirklich Zweifel hattest, kennst du mich nicht so gut, wie du vielleicht glaubst.“

Sie sah ihn mit großen Augen erstaunt an. Er war sich nicht sicher, ob seine Worte oder seine Berührung sie verunsicherten. So oder so, es war ihm egal. Es gab einige Dinge, die er klarstellen musste. Er legte großen Wert auf Loyalität und Ehrlichkeit, doch er war nicht das Schoßhündchen für andere.

Er ließ ihre Hand los. Er spürte, wie sein Blut durch seine Adern pulsierte. Was hatte Carly Rayburn nur an sich, das ihn so aus dem Konzept brachte?

„Ich wollte dich zu nichts zwingen. Entschuldige. Aber das wird lustig werden. Du wirst es nicht bereuen, sobald du siehst, wie die Leute auf uns reagieren werden. Außerdem haben wir geübt und zusammen klingen wir toll.“

Ja, sie hatten geübt. Und sie waren gut zusammen. Carly besaß eine wunderschöne Stimme, vielleicht sogar schöner als die von Felicia. Sie war sinnlich, leidenschaftlich und berauschend, die Fans würden sie lieben. Ian könnte ihr den ganzen Abend zuhören, wenn sie sprach, lachte oder sang.

„Willst du hier an der Bar bleiben, oder sollen wir uns an einen Tisch setzen?“, fragte Carly.

Er beobachtete, wie die Barkeeperin Carly unfreundlich ansah, als sie sein Wechselgeld vor ihn auf die Bar legte.

„Wir setzen uns an einen Tisch“, entschied er, ohne ihre Zustimmung abzuwarten.

Carly folgte Ian durch die Menge in eine ruhige Sitzecke. Sie wollte Ian zu nichts zwingen oder ihn verärgern. Egal, wie er über sie dachte, so eine Frau war sie nicht. Doch in diesem Fall hatte sie das Gefühl, ihm einen Gefallen zu tun. Sich selbst tat sie damit auch einen.

Es gab nur eine Möglichkeit, ihr romantisches Abenteuer neu zu entfachen und zu beweisen, dass es mehr als das sein könnte. Würden sie zusammen auftreten, würde auch Ian begreifen, dass er dazu bestimmt war, Musik zu machen – so wie sie. Doch auch dann wäre eine feste Beziehung fraglich. Carly war an durchsetzungsfähige Männer gewöhnt. Und Ian war so … ruhig und bescheiden. Vielleicht brauchte er nur einen kleinen Schubser, um sein Selbstbewusstsein zu stärken.

Bis die Mutter ihres Halbbruders Braden, Shannon Miller, sie damals ermuntert hatte, im Sonntagschor zu singen, hatte Carly nicht an sich geglaubt. Danach war sie wie verwandelt.

Ian musste nur begreifen, dass es für ihn eine Zukunft als Sänger und Musiker gab – eine Zukunft, die aufregender und lukrativer war, als die eines Vorarbeiters auf einer Ranch. Doch so, wie Ian vorhin ihre Hand genommen und ihr deutlich gemacht hatte, dass er immer zu seinem Wort stand, zweifelte Carly an ihrer ersten Einschätzung von Ian.

Natürlich wusste sie, dass er ein guter Mensch war. Er war ehrlich und ohne Frage ein wundervoller und aufmerksamer Liebhaber. Trotzdem hatten sie der Affäre ein Ende gesetzt, weil sie sich auf unterschiedlichen Wegabschnitten befanden. Es war für sie beide das Beste gewesen, wirklich.

Jetzt saßen sie in einer dunklen Ecke, und Ian sah bedrückt aus. Carly dachte darüber nach, was sie sagen konnte, um ihn aufzumuntern, als eine blonde Kellnerin an ihren Tisch kam.

„Kann ich euch was zu trinken bringen?“, fragte sie.

Carly hätte gerne ein Glas Wein bestellt, doch ihr Magen bereitete ihr wieder Probleme, und sie wollte nichts riskieren. „Ich nehme eine Zitronenlimonade.“

„Alles klar.“ Die Kellnerin sah zu Ian und lächelte. „Was ist mir dir?“

„Tequila. Patrón oder den besten, den ihr habt.“

Wie ungewöhnlich. Ian trank sonst nie Alkohol, zumindest hatte Carly ihn noch nie welchen trinken sehen. Anscheinend kannte sie ihn doch nicht so gut, wie sie dachte.

„Ich wusste gar nicht, dass du Tequila magst“, sagte sie.

Ian antwortete nichts. Er sprach kein Wort. Als die Kellnerin seinen Drink brachte, stürzte er den Tequila runter, als wäre es der süße Tee, den er manchmal trank.

Okay, vielleicht war er nicht schon immer ein Antialkoholiker gewesen, wie Carly gedacht hatte. Aber gegen ein Glas zur Entspannung war nichts einzuwenden.

Earl Tellis rief sie nach zwei Cowboys auf, die gerade die Fiedel spielten. Carly fragte Ian daraufhin: „Bist du bereit?“

Ian, der sein leeres Glas in den Händen hin- und hergerollt hatte, kletterte übellaunig aus der Sitzecke – wie ein Bär, der im Frühling zum ersten Mal nach dem Winterschlaf die Höhle verlässt.

Schuldgefühle überkamen Carly. Ihr Magen fing an zu rumoren. Na gut, vielleicht hätte sie Ian nicht dazu überreden sollen, aber jetzt war es zu spät. Also gingen sie auf die Bühne und spielten und sangen, wie sie es auf seiner Veranda geübt hatten. Als sie fertig waren, klatschten und jubelten die Gäste in der Kneipe überschwänglich.

Das war zwar nicht die Bühne, von der Carly träumte, aber definitiv die Reaktion des Publikums, die sie sich erhofft hatte. Sie sah zu Ian. Er nickte der Menge einfach nur zu und kehrte zu seinem Platz in der Sitzecke zurück – so viel zu Carlys Wunsch, die Reaktion des Publikums könnte ihn inspirieren.

Als Carly sich zu Ian gesetzt hatte, kam Earl Tellis an ihren Tisch.

„Das war großartig! Ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr ich es genossen haben, euch beiden zuzuhören. Was für ein Talent! Ihr scheint das Beste im anderen zum Klingen zu bringen.“

Carly strahlte. Sie hatte diese Chemie zwischen ihnen gefühlt, wenn sie in seinen Armen gelegen hatte, und auch, als sie zusammen auf seiner Veranda gesungen hatten. Es war schön, dass es nicht nur ihr aufgefallen war. „Wow, danke Earl!“

„Ich würde euch gerne anbieten, jeden Freitag und Samstag hier zu singen.“

„Das wäre großartig!“ Carly sah zu Ian und hoffte, dass er sich genauso geschmeichelt fühlte wie sie.

„Danke für das Angebot, aber ich bin nicht interessiert.“

Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht, und Carly brauchte einen Moment, um sich wieder zu fangen. „Mr. Tellis, wir werden das besprechen und uns dann bei Ihnen melden.“

„Es gibt nichts zu besprechen. Ich hatte mich schon entschieden, bevor ich hier reingekommen bin.“

„Kannst du nicht wenigstens ein paar Tage darüber nachdenken?“

„Ich bin ein Vorarbeiter, kein Sänger.“ Ian tippte an seinen Hut Richtung Earl. „Aber danke noch mal für das Angebot, Mr. Tellis.“

Carly verschränkte die Arme. „Also ich habe mich noch nicht entschieden.“

„Nein? Tja, es hält dich keiner auf. Mir würde es nicht im Traum einfallen, dich zu etwas zu überreden, was du nicht machen willst.“

Schuldgefühle trieben ihr die Schamesröte ins Gesicht, und sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte, außer sich noch einmal zu entschuldigen, doch sie bezweifelte, dass das noch helfen würde.

„Bis später auf der Ranch“, sagte Ian und ging.

„Geben Sie mir einen oder zwei Tage Zeit. Ganz gleich, was passiert, ich werde auftreten, auch wenn das bedeutet, dass ich mir vielleicht einen anderen Gitarristen suchen muss“, sagte sie zu Earl. Dann lief sie Ian nach.

Auf dem Parkplatz holte sie ihn endlich ein. „Es tut mir leid, dass ich dich so unter Druck gesetzt habe. Aber was ist nur los mit dir? Ich verstehe es nicht. Ich habe noch nie jemanden mit so viel Talent wie dich getroffen. Du könntest es echt weit bringen. Weißt du eigentlich, wie viele Leute für dein Talent alles tun würden?“

Ian wurde langsamer und drehte sich zu ihr. „Ich habe kein Interesse daran, es weit zu bringen. Erinnerst du dich?

„Ja, aber warum nicht? Hast du Angst vor dem Publikum? Jeder hat vor dem Auftritt etwas Lampenfieber, aber da gewöhnt man sich dran. Versprochen.“

„Lass es gut sein, Carly. Du willst vielleicht mit dem Singen Karriere machen, ich aber nicht. Kannst du nicht einfach verstehen, dass ich mit meinem Leben hier in Brighton Valley glücklich und zufrieden bin?“

„Doch. Das hast du gesagt, aber ich kann es nicht wirklich nachvollziehen. Nicht, wenn man musikalisch so talentiert ist. Hast du dich selbst schon einmal spielen oder singen gehört? Du bist der Traum eines jeden Countrygirls!“

Ian hob seinen Hut hoch und fuhr sich durch die Haare. „Dieses Leben ist nichts für mich, Carly. Und du kannst nichts sagen, um mich umzustimmen.“

„Du bist so stur wie ein Esel, Ian McAllister.“

Er atmete schwer aus und schüttelte den Kopf. „Du konntest vielleicht deinen Daddy oder deine Mummy um den Finger wickeln, aber bei mir wird das nicht funktionieren.“ Dann ging er zu seinem Truck.

„Verdammt, Ian!“ Sie lief ihm hinterher. „Du hast keine Ahnung, wie es für mich als Kind war.“

Als er die Autotür öffnen wollte, hielt sie ihn am Ärmel seines T-Shirts fest und zog kurz daran. „Warte, bitte!“

Er drehte sich zu ihr, und sie sahen einander an. Sie streichelte über seinen muskulösen Arm, weil sie hoffte, Ian dadurch beruhigen zu können. Für einen kurzen Moment flammte das Verlangen zwischen ihnen auf, so wie immer, wenn sie ihn berührt hatte. Doch dieses Mal bebte ihr ganzer Körper. Farben verschwammen, und Ians Gesicht verschwand vor ihren Augen.

Sie öffnete ihren Mund, und bevor sie sagen konnte, dass ihr schwindelig war, wurde alles um sie herum schwarz.

Noch nie in seinem Leben war Ian so wütend auf eine Frau gewesen. Er wollte es Carly gerade sagen, als sich ihr Griff um seinen Arm löste und sie einen seltsamen Laut von sich gab, bevor sie ohnmächtig umfiel.

Was zum Teufel war los? Er konnte sie noch im letzten Moment auffangen, bevor sie mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug.

„Carly? Alles okay bei dir?“ Er kniete sich mit ihr hin und hielt sie ganz fest an sich gedrückt. Sein Herz raste wie wild. „Süße, sprich mit mir. Was ist los?“

Ein paar Cowboys liefen an ihm vorbei Richtung Kneipe. Als sie ihn entdeckten, wie er Carly schlaff in den Armen hielt, kamen sie zu ihm herüber.

„Ist sie in Ordnung?“, fragte einer. „Sollen wir einen Krankenwagen rufen?“

„Ja, könntet ihr das bitte tun!?“

Er hatte keine Ahnung, was mit ihr los war. Zwar wusste er, dass sie nach Hause gekommen war, weil sie so etwas wie eine Grippe gehabt hatte. Zumindest hatte Jason das gesagt.

War es vielleicht doch etwas Ernstes? Etwas, das Carly ihm nicht hatte sagen wollen?

Der Gedanke, sie verlieren zu können, sie im Krankenhaus mit Schläuchen und Kabeln und …

Okay, beruhige dich. Vielleicht ist sie einfach nur in Ohnmacht gefallen, weil sie zu wenig gegessen hat oder weil sie Eisenmangel hat.

„Kannst du eine Herz-Lungen-Wiederbelebung?“, fragte ihn einer der Cowboys.

Ian hatte in der Highschool einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht. Er war zwar kein Experte, doch er konnte sich an einiges erinnern. Carlys Puls war stark, ihre Atmung langsam und stetig. „Sie braucht keine.“

Noch nicht, jedenfalls.

„Der Krankenwagen ist unterwegs“, sagte der andere Cowboy.

Um sie herum hatte sich eine kleine Menschenmenge gebildet, und man fragte sich, was mit diesem hübschen Mädchen passiert war, das gerade noch auf der Bühne gesungen hatte. Ian kümmerte sich nicht um die Schaulustigen, sondern konzentrierte sich nur auf Carly.

Als sie stöhnte und die Hand an ihre Stirn legte, deutete er das als gutes Zeichen. „Süße, ist alles okay?“

Ihre Augen flackerten. Sie sah ihn an und blinzelte ein paar Mal.

Nach gefühlten Stunden, bei denen es sich eher um Minuten gehandelt haben musste, waren in der Ferne Sirenen zu hören.

„Was … was ist passiert?“, fragte Carly.

„Du bist in Ohnmacht gefallen.“ Ian strich ihr das Haar aus dem Gesicht und streichelte ihre Wange.

Sie sah zu den Leuten, die um sie herumstanden.

„Macht ihr Platz zum Atmen!“, wies Ian die Leute an.

Carly versuchte, sich hinzusetzen, aber Ian ließ es nicht zu. „Bleib einfach liegen, bis der Krankenwagen da ist. Wir lassen dich im Krankenhaus untersuchen, und dann bist du in null Komma nichts wieder gesund.“

Sie ließ sich wieder in seinen Arm fallen. „Ich wollte am Montag einen Termin beim Arzt machen.“

„Ja, das brauchst du jetzt nicht mehr.“ Bevor er noch etwas sagen konnte, fuhr der Rettungswagen auf den Parkplatz.

Die Menge machte Platz für die Sanitäter. Ian legte Carly eine Jacke von einem der beiden Cowboys unter den Kopf, blieb aber neben ihr knien. Die Rettungssanitäter untersuchten Carly und nachdem sie ihre Vitalfunktionen überprüft hatten – Bewusstsein, Atmung, Kreislauf –, fragte einer der beiden: „Besteht die Möglichkeit einer Schwangerschaft?“

Bei dieser Frage blieb Ian beinahe die Luft weg, und während er Carlys Antwort abwartete, dachte er, er würde auch gleich in Ohnmacht fallen.

4. KAPITEL

Schwanger!?

Natürlich hatte Carly ab und zu mal daran gedacht, doch sie hatte nie Morgenübelkeit empfunden. Sie war einfach nur müde gewesen. Außerdem hatte sie zwischendurch ihre Tage bekommen, wenn auch nur leicht, was für sie nicht ungewöhnlich war. Welchen Unterschied machte es schon? Es war laut ihrer Ärztin sowieso unwahrscheinlich, dass sie jemals schwanger werden könnte.

War diese Diagnose etwa falsch gewesen? War es doch während der Romanze mit Ian passiert? Sie hatten zwar verhütet, aber manchmal war ihre Leidenschaft so groß gewesen, wenn ihr Verlangen ins Unermessliche wuchs, dass sie ein oder zwei Mal nicht daran gedacht hatten. Doch das konnte sie hier und jetzt nicht zugeben. Nicht vor den ganzen Leuten und ganz bestimmt nicht vor dem Mann, der also der Vater des Babys sein könnte.

„Nein, ich denke nicht.“

Ian stand auf und trat einen Schritt zurück, um die Sanitäter arbeiten zu lassen. Doch er blieb bei ihr, wartete und beobachtete und hörte zu.

„Es scheint alles in Ordnung zu sein, aber wir würden sie gerne mitnehmen, um ein paar Tests zu machen.“

Ein Schwangerschaftstest stünde wahrscheinlich ganz oben auf der Liste, doch Carly konnte sich heute Abend nicht damit befassen.

„Ich fühle mich schon besser. Ich gehe lieber einfach nach Hause und ruhe mich aus. Ich rufe gleich am Montag bei meiner Ärztin an und mache einen Termin.“

Ian kam wieder näher. „Carly, ich würde lieber in die Notaufnahme fahren und dich untersuchen lassen.“

War er um sie besorgt? Oder wollte er einfach nur wissen, ob sie schwanger war? Sie wollte es doch auch wissen, damit sie es ausschließen konnte. Oder um sich mit dem Gedanken anzufreunden.

Je mehr sie darüber nachdachte, desto plausibler erschien es ihr – abgesehen davon, was ihre Ärztin zum Thema Schwangerwerden gesagt hatte. Aber wenn sie schwanger war, dann wäre sie im … wie bitte? … im vierten Monat!?

Sie versuchte, die aufkommende Panik zu unterdrücken, ebenso wie das Bedürfnis, sich die Hand auf den Bauch zu legen – es war ihr durchaus aufgefallen, dass sie dort zugenommen hatte.

Sie sah in die Gesichter der Fremden, die um sie herumstanden.

Das passiert nicht wirklich.

Denk nach, Mädchen. Denk nach.

„Ich bin mir sicher, dass es nichts Schlimmes ist.“ Sie setzte sich auf und atmete hörbar aus. „Mir geht’s gut. Ich hatte nicht viel zu Mittag. Ich muss wahrscheinlich einfach nur etwas essen.“

Als die Aufregung vorbei war, verschwanden die Schaulustigen in der Kneipe, und die Sanitäter packten ihre Sachen wieder ein. Carly hatte sie überzeugen können, dass es ihr besser ging. Der Einzige, der ihr das nicht abnahm, war Ian.

Sorgen und ein Verdacht kreisten in Ians Kopf. Carly sagt zwar, dass sie nicht glaubt, schwanger zu sein, aber warum ist sie dann ohnmächtig geworden? Hatte sie einfach nur etwas mit dem Magen?

Sollte sie allerdings schwanger sein, und das Baby wäre von Ian, dann müsste sie jetzt ungefähr im vierten Monat sein. Doch sie könnte auch jemand anderes kennengelernt haben – jemanden, der ihr das Herz gebrochen hatte und hinter ihrer Flucht auf die Ranch steckte.

Als er und Felicia Jamison mehr als nur Bandkollegen wurden, lief es zwischen ihnen lange Zeit gut. Doch dann wurde Felicia schwanger. Ian war überrascht und gleichzeitig freute er sich darauf, Vater zu werden. Doch Felicia entschied sich für eine Abtreibung. Sie wollte ihre Karriere nicht gefährden. Ian war am Boden zerstört, denn er wollte schon immer eine eigene Familie gründen. Von diesem Zeitpunkt an ließ der Zauber nach, auf Tour zu gehen und auf der Bühne zu stehen. Die Beziehung zu Felicia verblasste ebenso, und sie fand schnell jemand Neues.

Ian hatte die Trennung nicht viel ausgemacht, denn die Tatsache, dass Felicia so wenig für ihr Baby übriggehabt hatte, zeigte ihm, wie viel ihr die Beziehung zu ihm wert gewesen war – und wie viel er ihr wert gewesen war.

Ian reichte Carly die Hand und half ihr auf.

„Dann lass uns nach Hause fahren. Dein Auto holen wir morgen früh ab.“

„Okay.“

„Und unterwegs holen wir dir einen saftigen Burger“, fügte er hinzu.

„Hört sich gut an. Danke.“

Auf dem Weg zu „Burger Junction“ sprachen sie kein Wort. Ist Carly immer noch erschöpft? Oder denkt sie darüber nach, was wirklich mit ihr los ist? Ians Neugier und die Stille waren unerträglich, und er glaubte, verrückt zu werden.

Nachdem sie sich ihre Burger geholt hatten und zur Ranch zurückfuhren, beobachtete er Carly, wie sie aus dem Fenster starrte. Jetzt hielt er es nicht mehr aus.

„Du glaubst also nicht, dass du schwanger sein könntest?“

Sie biss sich auf die Lippe. Dann drehte sie sich zu ihm. „Ich wüsste nicht wie. Ich meine, wir haben Kondome benutzt.“

Bedeutete das, er war der einzig mögliche Vater?

„Sie sind nicht hundertprozentig sicher.“

„Ich weiß, aber ich bezweifle, dass ich schwanger bin.“

„Vielleicht sollten wir beim Drugstore vorbeifahren und einen Schwangerschaftstest kaufen.“

„Das müssen wir nicht machen. Ich warte lieber bis Montag darauf, was die Ärztin sagt.“

Verdammt. Genau das brauchte er jetzt – Carly schwanger mit seinem Baby und versessen darauf, ein Countrystar zu werden.

Doch sie hatte gesagt, dass sie nicht glaubte, dass es überhaupt möglich war. Und zu diesem Zeitpunkt gab es keinen Grund für ihn, an ihr zu zweifeln.

Ian brachte Carly am nächsten Morgen zu ihrem Pick-up, der noch am „Stagecoach Inn“ stand. Damit keine unangenehme Stille zwischen ihnen herrschte und um nicht über ihre Gesundheit reden zu müssen, lenkte Carly das Gespräch auf Themen wie das Wetter oder die längst vergessenen Möbelstücke von Granny auf dem Dachboden, die sortiert und eingepackt werden mussten.

Sobald sie die Kneipe erreicht hatten, bedankte Carly sich bei Ian und sprang aus dem Wagen.

„Kein Problem. Ich fahr dir hinterher.“

Unter seiner Beobachtung stehen? Innerhalb einer Stunde wäre sie das reinste Nervenbündel. „Fahr du ruhig zurück. Ich muss noch etwas in Wexler besorgen. Bis später also.“

Um ehrlich zu sein, würde sie sich heute rarmachen, auch wenn sie gar nichts zu besorgen hätte. Sie musste seinem durchdringenden Blick entfliehen, mit dem er tief in sie hineinsehen konnte und alles infrage stellte, was sie jemals gesagt, getan oder gefühlt hatte. Sie würde also erst am Abend wieder auf die Ranch zurückkehren.

Zunächst musste sie etwas Wichtiges besorgen. Ian hatte es gestern auf dem Rückweg schon vorgeschlagen, doch er war der Letzte, den sie beim Kauf eines Schwangerschaftstests dabeihaben wollte. Jetzt, da sie allein war, konnte sie es jedoch nicht erwarten, einen zu kaufen und den Test zu machen.

Fünfzehn Minuten später fuhr sie auf den Parkplatz des größten Drugstores in Wexler, setzte eine Sonnenbrille auf und hoffte, auf diese Weise nicht erkannt zu werden. Damit nicht auffiel, was sie eigentlich kaufen wollte, nahm sie einen Einkaufskorb und füllte ihn mit Dingen, die sie nicht wirklich brauchte.

Sie griff nach einer Pralinenschachtel, Pfirsichlotion und einer Karte zur Genesung für Bradens Grandpa. Außerdem legte sie Deo, Zahnpasta und Tampons, die von einem Verdacht ablenken würden, in den Korb. Schließlich ging sie in den Gang, wo sich die Schwangerschaftstests befanden und nahm den Erstbesten aus dem Regal.

Dann ging sie so unauffällig wie möglich zur Kasse. Sollte die Kassiererin sie für ihren Einkauf seltsam ansehen, würde sie nicht mit der Wimper zucken. Doch stattdessen scannte sie nur alle Produkte und wartete auf die Bezahlung.

Kurze Zeit später war Carly wieder draußen und überlegte, was sie als Nächstes tun sollte. Sie könnte bis zum Abend warten, doch bis dahin würde sie vor Neugier platzen. Doch wo sollte sie hingehen?

Als sie sich in ihren Wagen setzte, entdeckte sie ein Schnellrestaurant – „Billy Bob’s Burgers“. Sie parkte nah am Eingang, ging hinein und bestellte einen Burrito und einen Orangensaft. Dann ging sie in die Damentoilette und schloss sich in einer Kabine ein.

Ihre Finger zitterten, als sie die Schachtel aus ihrer Handtasche holte. Sie riss sie auf und las die Packungsbeilage. Nachdem sie den Anweisungen gefolgt war, legte sie den schmalen Plastikstab auf ein Stück Toilettenpapier und wartete. Es würde einige Minuten dauern, bis man sehen konnte, ob der Test positiv war, doch das Ergebnis ließ nur sehr kurz auf sich warten.

Carly kniff die Augen zusammen – in der Hoffnung, das Ergebnis würde sich ändern.

Schwanger.

Als das Ergebnis noch deutlicher zu sehen war, fing ihr Herz an zu rasen. Das konnte nicht wahr sein. Oder etwa doch? Dr. Connor hatte ihr doch gesagt, dass es nicht sehr wahrscheinlich wäre, dass sie jemals schwanger werden könnte. Doch der Plastikstab auf dem Toilettenpapier sagte ihr etwas anderes.

Die Ärztin musste sich geirrt haben.

Oder irrte sich der Test?

Die Tür zur Toilette öffnete und schloss sich. Jemand war hineingekommen. Carly musste raus aus der Kabine, doch sie stand wie angewurzelt da. Sie war … schwanger!? Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Wahrscheinlich würde sie sich nach einiger Zeit an den Gedanken gewöhnen. Doch was sollte sie Ian sagen, wenn sie wirklich ein Baby bekommen sollte?

Am Montagmorgen rief Carly in aller Frühe in der Praxis von Dr. Selena Connor an. Die Sprechstundenhilfe sagte Carly, dass sie nur noch heute um zwei Uhr mittags einen Termin frei hätte und Frau Doktor ab morgen im Urlaub wäre. So früh? Alles schien jetzt so schnell zu gehen. Sie musste ja nicht einmal mehr neun Monate, sondern nur fünf auf das Baby warten.

Nachdem Carly aufgelegt hatte, bereitete sie sich einen Kräutertee zu und schmierte sich etwas Butter auf ein Toastie. Da klopfte plötzlich Ian an der Hintertür.

„Komm rein!“, rief sie ihm zu.

Er kam durch die hintere Garderobe in die Küche, Cheyenne lief hechelnd an der Leine hinter ihm her, da sie Mühe hatte, mit ihren kurzen Beinen mitzuhalten. In der Tür blieb er stehen und sah sie mit gerunzelter Stirn an. „Guten Morgen. Wie geht es dir?“

Sie lächelte ihn an. „Gut.“ Doch dieser durchdringende Blick aus diesen wunderschönen Augen brachte sie durcheinander und bereitete ihr weiche Knie – denn ja, er stellte ihre Antwort infrage.

„Hast du einen Termin beim Arzt bekommen?“, fragte er.

„Ja, habe ich.“

„Soll ich dich begleiten?“

Auf keinen Fall. Sie musste selbst erst begreifen, was sie gerade herausgefunden hatte, und sich auf seine Reaktion vorbereiten, wenn sie es ihm sagen würde.

„Danke, aber ich fahre allein.“

Er sah sie zweifelnd an.

„Mir geht es wirklich gut.“

„Da bin ich mir nicht so sicher.“

Konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen? Das Letzte, was sie jetzt brauchte, war, mit ihm im Wartezimmer zu sitzen. Sicher würde sie es bereuen, sein nettes Angebot nicht angenommen zu haben, wenn sie eine schlechte Diagnose von Dr. Connor bekäme.

Ian sah sie immer noch skeptisch an. Um seiner Begutachtung zu entgehen, bot sie ihm Kaffee und ein Toastie an.

„Nein, danke, Ich habe vor ein paar Stunden schon gefrühstückt.“

Natürlich hatte er das. Sein Tag begann für gewöhnlich bei Sonnenaufgang, während Carly eine Nachteule war. Als sie zusammen waren und beieinander übernachtet hatten, hatte er sich morgens immer leise aus dem Bett gestohlen, um sie nicht zu wecken.

Carly konnte sich und ihn im Bett vor sich sehen. Doch diesmal schliefen sie nicht. Ian war ein aufmerksamer Liebhaber. Und dazu ein unglaublich guter, aber es gab im Leben Wichtigeres als Sex. Dennoch versetzte sie sein Duft von Moschus und Leder in Erregung und entfachte ein Verlangen, das ihre Entschlossenheit ins Wanken brachte. Ian hingegen setzte bloß seinen Hut auf, drehte sich um und stolzierte in Cowboymanier zur Tür hinaus.

Carly widmete sich der Inventurliste von Juliana und war eine Stunde lang damit beschäftigt. Offenbar waren nicht nur die Sachen auf dem Dachboden noch nicht verstaut, sondern auch die Dinge, die sich im Keller befanden. Also ging Carly nach unten und sah sich die verschiedenen Antiquitäten und alten Kisten der Rayburn-Familie an, die sich über Generationen angesammelt hatten.

Leider konnte sie sich nur schwer auf etwas anderes konzentrieren als darauf, was sie beim Arzt erfahren würde. Deshalb beschloss sie, nicht noch mehr Zeit zu verschwenden, ging unter die Dusche und fuhr in die Stadt.

Da sie noch viel Zeit bis zu ihrem Termin hatte, fuhr sie bei der „Burger Junction“ vorbei und bestellte ein Grilled Chicken Sandwich und etwas zu trinken. Dann fuhr sie zum Brighton Valley Medical Center und parkte im Schatten einer Eiche. Sie versuchte, etwas zu essen, doch ihr Magen rebellierte.

Um 13.30 Uhr ging sie zu dem roten Backsteingebäude, in dem einige Ärzte ihre Praxis hatten. Sie fuhr mit dem Aufzug in die zweite Etage, und als sich die Türen öffneten, entdeckte sie Shannon Miller, Bradens Mom, die sich gerade mit einem Arzt unterhielt.

Sie hatte die Mutter ihres Halbbruders Braden schon immer gemocht. Shannon war gleich, nachdem sie Carlys Dad nach der Highschool geheiratet hatte, schwanger geworden. Der wohlhabende Geschäftsmann hatte mit ihr eine Affäre gehabt, während er noch mit der Mutter von Carlys weiterem Halbbruder Jason verheiratet gewesen war. Zwar war Carly damals noch nicht geboren, doch konnte sie die Leute heute noch darüber reden hören. Es musste ein ziemlicher Skandal gewesen sein.

Carly konnte sehen, dass Shannon gerötete Augen hatte, als sie Carly zu sich winkte. Carly begrüßte den Arzt, den Shannon als Dr. Erik Chandler und alten Freund vorstellte, und sagte zu ihr: „Ich habe gehört, dass es deinem Vater nicht gut geht.“

Shannon strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Es ist nicht leicht im Moment. Die Schwester vom Hospiz konnte es nicht sicher sagen, aber sie glaubt, er habe nur noch ein oder zwei Wochen.“

Dr. Chandler legte Shannon tröstend die Hand auf den Rücken und sagte: „Ich muss zurück zu meinen Patienten, aber ich fahre heute Abend bei ihm vorbei.“

Sie schenkte dem Mann ein Lächeln, das sie jünger aussehen ließ. „Danke, Erik! Ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun sollte.“

Der gut aussehende Arzt legte ihr eine Hand auf die Wange. „Du bist eine starke Frau, Shannon. Bis später.“

Als er durch eine Tür verschwunden war, sagte Shannon: „Erik und ich sind in der Highschool ausgegangen, bis er aufs College gegangen ist. Er ist erst seit Kurzem wieder in der Stadt, aber seitdem unterstützt er mich. Es ist wirklich ein Segen.“

Carly konnte Shannon gut verstehen, doch der Arzt hatte damit recht, dass sie eine starke Frau war. Sie hatte Braden alleine aufgezogen und sich nicht von dem Gerede der Leute in der Stadt unterkriegen lassen, sie sei eine Ehebrecherin.

Nachdem Carlys Eltern sich hatten scheiden lassen, verbrachte Carly viel Zeit bei Granny auf der Ranch, und wann immer sie dort verweilte, lud Shannon sie ein, Zeit mit Braden zu verbringen. Und an Weihnachten kaufte sie für Carly und für Carlys anderen Halbbruder Jason Geschenke.

Rückblickend betrachtet, vermutete Carly, dass Shannon ein schlechtes Gewissen und Mitleid mit ihr hatte. Und gewissermaßen hatte sie auch Grund dazu. Als Kind war Carly nämlich oft allein gewesen.

„Braden sagte, du wärst hier und dass du krank wärst und die Show in San Antonio deshalb absagen musstest. Ich hoffe, es ist nichts Ernsthaftes!?“

War es nicht, doch die Diagnose hatte sie ziemlich durcheinandergebracht, vor allem, da Carly sich eine völlig andere Zukunft für sich ausgemalt hatte.

„Ich bin nur zur Kontrolle hier“, entgegnete Carly.

„Das ist vernünftig. Ich weiß doch, wie gerne du auf der Bühne stehst. Du hast von nichts anderem gesprochen, als du klein warst.“

Als Kind hatte Carly Gesang- und Tanzstunden genommen, und ihr Talent war weitaus größer als das ihrer Mutter. Sie hatte sogar ein angesehenes College für darstellende Kunst besucht. Doch als die Zeit für sie auf der Bühne gekommen war und ihre Mutter ihr bei der Karriere hätte helfen können, hatte Raelynn einen Politiker kennengelernt, David Crower, und sich zur Ruhe gesetzt. Trotzdem wollte Carly als Countrysängerin Karriere machen und erfolgreicher als ihre Mutter werden.

„Diesen Traum verfolge ich immer noch. Und ich werde es schaffen.“

„Da bin ich mir sicher.“ Shannon sah zum Aufzug. „Ich sollte jetzt besser nach meinem Dad sehen.“

„Mach’s gut! Und bitte melde dich, wenn ich etwas für dich tun kann.“

„Danke, Schätzchen. Das werde ich.“

Carly ging in die Praxis und meldete sich an. Dank dem Gespräch mit Shannon musste sie nicht lange im Wartezimmer sitzen.

Nachdem sie gewogen worden war, wurde sie ins Untersuchungszimmer geführt. Kurze Zeit später kam Dr. Selena Connor herein.

„Womit kann ich Ihnen helfen?“, fragte die hübsche Brünette.

Carly erzählte ihr von der Übelkeit, der Müdigkeit und dem positiven Schwangerschaftstest. „Ich bin niemand, der diese Symptome ignorieren würde, doch ich hatte zwischendurch leicht meine Periode, und morgens war mir auch nicht übel.“

„Jede Frau ist anders, und die Symptome können variieren.“

„Zudem gibt es ziemlich viele Gründe, warum ich nicht schwanger sein kann. Einer davon ist, dass Sie mir gesagt haben, es wäre nicht sehr wahrscheinlich, dass es jemals passieren könnte. Außerdem habe ich verhütet.“ Sie legte eine Hand auf den Bauch und fühlte die kleine Wölbung, die sie auf ein dämliches Durcheinander ihrer Hormone oder auf Blähungen geschoben hatte. In ihrem Inneren meldete sich das kleine Mädchen, das damals mit Puppen gespielt und davon geträumt hatte, Mutter zu sein. Doch sie schob dieses Gefühl beiseite.

„Ich kann das nicht glauben. Und wenn Sie in meine Krankenakte sehen, werden Sie selber feststellen, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist.“

Dr. Connor sah nicht in ihre Akte. „Ja, ich erinnere mich, dass ich das gesagt habe. Aber ich habe Ihnen auch gesagt, dass es nicht unmöglich ist.“

Carlys Herz machte aus Angst und Vorfreude einen Satz. Die Stimme des kleinen Mädchens wurde wieder lauter, und sie stellte sich vor, wie es sein würde, das Kind in ihr wachsen zu spüren, wie es sich bewegen und irgendwann treten würde. Doch würde sie eine gute Mutter sein? Sie hatte nie gelernt, was es bedeutete, eine Mutter zu sein, die sich um ihre Kinder kümmerte.

„Jetzt werde ich Sie erst einmal untersuchen“, wies Dr. Connor sie an.

Carly legte sich auf die Liege. Sie starrte an die Decke, sprach vor Angst kein Wort und hielt die Luft an.

Die Ärztin hatte ihren Unterleib kaum abgetastet, als sie sagte: „Ihre Gebärmutter ist definitiv vergrößert.“

Carly legte eine Hand auf die Augen. „Also ist es wahr!? Ich bin schwanger.“

Autor

Merline Lovelace
Als Tochter eines Luftwaffenoffiziers wuchs Merline auf verschiedenen Militärbasen in aller Welt auf. Unter anderem lebte sie in Neufundland, in Frankreich und in der Hälfte der fünfzig US-Bundesstaaten. So wurde schon als Kind die Lust zu reisen in ihr geweckt und hält bis heute noch an.
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<p>Christy Jeffries hat einen Abschluss der University of California in Irvine und der California Western School of Law. Das Pflegen von Gerichtsakten und die Arbeit als Gesetzeshüterin haben sich als perfekte Vorbereitung auf ihre Karriere als Autorin und Mutter erwiesen. Mit zwei Energiebündeln von Söhnen, der eigenwilligen Großmutter und einem...
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