Bianca Extra Band 94

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DU HAST MEIN HERZ IM STURM EROBERT von BRENDA HARLEN

Kenzie ist beeindruckt, wie liebevoll der sexy Rodeoreiter Spencer sich um seine Tochter kümmert. Als sie bei einem Picknick zu zweit Unterschlupf suchen müssen, flammt die Leidenschaft zwischen ihnen wieder auf. Doch meint Spencer es ernst oder sucht er nur eine Mutter für seine Tochter?

FLIEHEN ODER LIEBEN? von MICHELLE MAJOR

Jahrmarktbummel, Dinner unterm Sternenhimmel - ausgerechnet der ernste Finn zeigt Kaitlin die leichte Seite des Lebens. Schon träumt sie von einer gemeinsamen Zukunft, da erfährt sie, was der Investmentbanker wirklich von ihr denkt. Soll sie wieder fliehen - oder zum ersten Mal in ihrem Leben kämpfen?

SO VIEL MEHR ALS NUR EIN SPIEL von KERRI CARPENTER

Eigentlich gibt sich der attraktive Jack als Emersons Freund aus, damit sie ihm hilft, seine Bar zu retten. Doch in Wahrheit ist er bis über beide Ohren in die quirlige Eventplanerin verliebt. Und auch sie scheint Gefühle für ihn zu haben. Es gibt nur ein Problem: Emerson glaubt nicht mehr an die Liebe …

EIN GEFÜHL VON HEIMAT von STELLA BAGWELL

Chandler Hollister ist nicht auf der Suche nach einer Frau. Schließlich ist er schon mit seiner Arbeit als Tierarzt verheiratet. Und vor allem will er keine Frau, die vor ihrer Vergangenheit wegläuft. Warum nur tut er dann alles, um der bezaubernden Roslyn zu helfen?


  • Erscheinungstag 09.03.2021
  • Bandnummer 94
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500340
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Brenda Harlen, Michelle Major, Kerri Carpenter, Stella Bagwell

BIANCA EXTRA BAND 94

BRENDA HARLEN

Du hast mein Herz im Sturm erobert

Nie hätte Spencer damit gerechnet, dass er in seiner alten Heimat ausgerechnet seiner Jugendliebe wiederbegegnet. Sofort flammen die alten Gefühle wieder auf. Nur ist Spencer heute ein anderer als damals …

MICHELLE MAJOR

Fliehen oder lieben?

Klug, umsichtig und umwerfend attraktiv – so wie Kaitlin hat Finn sich immer seine Traumfrau vorgestellt. Doch ist sie wirklich nur die Assistentin seine Vaters? So richtig traut er ihren Motiven nicht …

KERRI CARPENTER

So viel mehr als nur ein Spiel

Den attraktiven Jack zu überreden, sich als ihr Freund auszugeben, war ein genialer Schachzug, findet Emerson. Mit den Emotionen, die er in ihr weckt, hat sie allerdings nicht gerechnet ...

STELLA BAGWELL

Ein Gefühl von Heimat

Wie gern würde Roslyn für immer auf der Ranch von Chandler Hollister bleiben. Doch der sanfte Tierarzt stellt ihr dafür eine Bedingung: Lauf nicht mehr vor deiner Vergangenheit davon!

1. KAPITEL

Spencer Channing fühlte sich, als wäre er von einem Bullen überrannt worden.

Und für einen Cowboy, der seit über fünf Jahren dem professionellen Rodeo-Zirkus angehörte, war das nicht nur eine nichtssagende Floskel.

Wenn auch nicht überrannt, so war er doch häufig von einem Bullen in die Luft geschleudert, umgeworfen, mitgeschleift und getreten worden. Selbst erfolgreiche Ritte hinterließen oftmals Spuren in Form von Zerrungen, Verstauchungen und Prellungen, trotzdem hatte er jede Minute davon genossen.

Nun war er allerdings wirklich reichlich angeschlagen.

Er hatte sich immer damit gerühmt, hart im Nehmen zu sein und stets das Richtige zu tun. Aber jetzt hab’ ich es so richtig vergeigt, und zwar im ganz großem Stil.

Also war er nach Hause zurückgekehrt, um seine Wunden zu lecken und seine ausgekugelte Schulter zu kurieren.

Sein Arzt hatte ihm versichert, dass er rechtzeitig wieder fit sein würde, um an den National Finals in Las Vegas teilzunehmen.

Wenn du das wirklich willst, heißt das. Vor sechs Wochen hätte er das ohne Wenn und Aber bejaht. Natürlich wollte er am größten Wettbewerb der Saison teilnehmen. Cowboy zu sein, war für ihn mehr als nur ein Job, es war sein Leben.

Er hatte hart dafür gearbeitet, um an die Spitze zu kommen, und noch härter, um dort zu bleiben. Doch dieses Mal, nach genau 6,2 Sekunden, hatte sich auf einmal alles geändert. Vielleicht lag es an der unerwarteten Begegnung kurz vor dem fatalen Ritt, denn genau deshalb hatte er sich nur für den Bruchteil einer Sekunde nicht auf das tausendfünfhundert Pfund schwere Tier unter sich konzentriert. Dieser winzigen Unachtsamkeit waren ein brutaler Wurf in die Luft und eine halsbrecherische Landung gefolgt.

Und wieder mal kriecht einer im Staub. Das hatte der Moderator hämisch über die Stadionlautsprecher verkündet.

Nach Haven zurückzukehren, war eine schwere, aber letzten Endes richtige Entscheidung gewesen. Trotzdem wusste Spencer sechs Wochen nach dem lebensverändernden Vorfall immer noch nicht, was er seinen Eltern sagen sollte. Er war achthundert Meilen gefahren, um hierherzukommen, und trotzdem waren seine Gedanken noch genauso verwirrt wie beim Antritt der Fahrt.

Es war fast neun Uhr abends, als er das Ortsschild passierte. Die Main Street lag fast verlassen da, so wie gewöhnlich an einem Dienstagabend. Vor Diggers’ Bar & Grill standen allerdings mehrere Fahrzeuge.

Impulsiv stellte er seinen Truck in einer Parklücke ab, betrat das Lokal und setzte sich an die Bar.

„Spencer?“

Er musterte die langhaarige Brünette hinter dem Tresen und sah ein hübsches Gesicht mit dunkelbraunen Augen und geschwungenen Lippen. Sie trug ein weißes T-Shirt zu einer hautengen Jeans, die ihre weiblichen Kurven deutlich unterstrich. An ihrer linken Hand prangte ein riesiger Diamantring.

Praktisch ein glitzerndes Stoppschild im Brillantschliff.

Haben wir vielleicht mal miteinander geschlafen? Er war sich nicht sicher und fragte deshalb lieber unverfänglich: „Kennen wir uns?“

Während seiner Zeit im Rodeo-Zirkus hatte er viele Frauen gehabt. Zu viele Frauen; zu viele One-Night-Stands. Einige Abenteuer hatten eine Zeit lang angedauert, aber es war nie zu einer Langzeitbeziehung gekommen. Es war einfach zu schwierig, in Verbindung zu bleiben, wenn man ständig zu neuen Veranstaltungen in anderen Städten unterwegs war – und wenn diese Städte voll mit neuen willigen Frauen waren. Die längste Beziehung hatte er mit Emily Whittingham gehabt. Sie war sogar eine Weile mit dem Rodeo-Zirkus mitgereist und …

„Nein“, antwortete die hübsche Barkeeperin und zog seine Aufmerksamkeit wieder in die Gegenwart zurück. „Aber du siehst Jason so ähnlich, dass du sein Bruder sein musst.“

„Und du bist?“

„Alyssa Cabrera … seine Verlobte.“

Während Spencer ihr die Hand schüttelte, wunderte er sich insgeheim über die Wahl seines Bruders. Jason hatte von jeher viel Erfolg bei Frauen – was in der Familie lag –, aber er stand für gewöhnlich eher auf langbeinige Blondinen – was ebenfalls in der Familie lag.

„Ich weiß“, sagte sie lächelnd. „Ich bin eigentlich gar nicht sein Typ.“

„Offensichtlich hat er die Messlatte höher gelegt.“

Sie lachte leise. „Du bist offenbar genauso schlagfertig wie er und hast die gleichen blauen Augen.“

Channingblau, nannte seine Mutter den klaren kräftigen Farbton, den jedes ihrer Kinder vom Vater geerbt hatte.

„Jason hat erzählt, dass du Lehrerin bist“, sagte er verwundert.

„Das stimmt. Hier arbeite ich nur an zwei Abenden in der Woche. Aber seit wir die Hochzeit planen, habe ich dafür eigentlich gar keine Zeit mehr. Ich bleibe nur solange, bis Duke einen Ersatz für mich gefunden hat, oder mich feuert, weil ich meine Pflichten zu sehr vernachlässige und dir die ganze Zeit die Ohren vollquatsche, anstatt zu fragen, was du trinken willst.“

„Ich nehme ein kleines Icky.“

Während sie das Bier zapfte, erkundigte sie sich: „Wann bist du in der Stadt angekommen?“

Spencer blickte zur Uhr hinüber. „Vor ungefähr zehn Minuten.“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Dann bist du als Erstes hier eingekehrt?“

„Als Verlobte meines Bruders hast du meine Eltern bestimmt schon kennengelernt und kannst das Bedürfnis nach einer kleinen Stärkung vor der Begegnung mit ihnen garantiert verstehen.“

Alyssa fixierte ihn mit einem strengen Blick, der bei ihren Schülern vermutlich gefruchtet hätte, doch er sah außerdem den Hauch eines Lächelns auf ihren Lippen, als sie ihm das Bier hinstellte. Instinktiv wusste er, dass sie Jason guttat, und beglückwünschte ihn im Stillen zu seiner Wahl.

„Weiß denn jemand, dass du hier bist?“, erkundigte sich Alyssa.

„Hier am Tresen?“

„In Haven.“

„Nein, noch nicht. Ich habe meiner Mutter nur gesagt, dass ich hierher unterwegs bin, aber nicht, wann ich ankomme.“

„Wolltest du damit verhindern, dass man dir zu Ehren das Mastkalb schlachtet?“

„Unbedingt. Sonst hätte sie womöglich noch versucht, es zuzubereiten.“

„Das hätte sie wohl eher ihrer Köchin überlassen“, vermutete sie grinsend. Kurz darauf wurde sie ernst. „Wie gehts deiner Schulter?“

„Sie heilt.“

„Wie lange willst du denn bleiben?“

„Das weiß ich noch nicht.“ Zum ersten Mal seit dem Studienbeginn an der Universität von Las Vegas war Spencer nach Haven zurückgekehrt, ohne schon vorher die Tage zu zählen, bis er wieder verschwinden konnte. Dieses Mal war es sogar durchaus möglich, dass er sich zum Bleiben entschied. Zumindest für eine Weile.

„Wirst du bei deinen Eltern wohnen?“

„Vorläufig ja. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich es auch nur eine Woche bei ihnen aushalten werde.“

„Falls du dich dazu entscheidest, länger zu bleiben, kannst du gern in meiner Wohnung unterkommen.“

„Ich weiß nicht, wie mein Bruder dazu stehen würde, wenn ich bei seiner Braut einziehe.“

Ihre Wangen röteten sich augenblicklich. „Nicht bei mir, bloß in mein Apartment. Ich wohne nämlich praktisch schon bei Jason.“

„Ist es möbliert?“

Sie nickte. „Es ist zwar nicht luxuriös, aber alles Notwendige ist vorhanden.“

„Bad, Dusche und Fernseher?“

„Und Kühlschrank und Herd.“

Er verriet ihr nicht, dass er nicht kochen konnte, weil er es über kurz oder lang wahrscheinlich sowieso lernen musste. Das war nur eine von unzähligen Änderungen, die er in seinem Leben bewerkstelligen musste.

„Das klingt gar nicht schlecht.“

„Sag mir einfach Bescheid, ob und wann du es besichtigen willst.“

Er trank sein Bier aus. „Wie wäre es mit jetzt gleich?“

Sie lachte. „Jetzt muss ich erst mal arbeiten. Außerdem wolltest du doch ein paar Tage bei deinen Eltern wohnen.“

„Nur, weil ich dachte, dass ich keine andere Wahl habe.“

Schmunzelnd legte sie ihm eine Hand auf den Arm. „Es ist toll, dich endlich kennenzulernen, Spencer. Es werden sich bestimmt alle freuen, dass du endlich wieder zu Hause bist.“

Er wusste nicht, ob es an der Wärme ihrer Berührung oder an der Aufrichtigkeit in ihrer Stimme lag, aber ein Teil der Last, die er seit Beginn dieser Reise auf den Schultern gespürt hatte, fiel plötzlich von ihm ab.

In den vergangenen fünf Jahren hatte er wie ein Nomade gelebt und beim Aufwachen am Morgen oftmals gar nicht gewusst, wo er am Abend schlafen würde. Ohne festen Wohnsitz hatte er in unzähligen Hotelzimmern gehaust, die doch irgendwie alle gleich ausgesehen hatten.

Alyssa hat recht. Hier ist mein Zuhause. Es tut wirklich gut, wieder hier zu sein.

Spencer Channing kommt nach Hause!

Diese Neuigkeit war eine ganze Woche lang das Stadtgespräch Nummer eins in Haven gewesen.

Am Montag hatte Kenzie Atkins von der bevorstehenden Rückkehr des Cowboys im Daily Grind gehört, wo sie sich jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit einen großen Vanilla Latte holte.

„Er kommt zur Hochzeit seines Bruders hierher“, hatte Lacey Seagrim verlauten lassen.

Das war zwar eine plausible Erklärung, aber Kenzie wusste, dass Jason und Alyssa erst im Dezember heiraten wollten … und noch dazu in Kalifornien.

Am nächsten Tag war ihr dann zu Ohren gekommen, dass er angeblich wegen einer Schlägerei vom Rodeo-Verband gesperrt worden war. Diese Vorstellung war absurd, denn der Mann, den sie von früher kannte, hätte seine Karriere niemals aufs Spiel gesetzt. Allerdings waren sieben Jahre eine lange Zeit.

Was weiß ich denn schon von seinem jetzigen Leben? Rein gar nichts.

Als sie sich am Mittwoch mit Megan Carmichael – einer Freundin aus der Highschool – im Diggers’ zum Lunch traf, wurde ihr schließlich ein weiteres Szenario präsentiert.

„Hast du schon das Neueste gehört?“, fragte Megan.

„Falls du Spencers Rückkehr meinst, dann ja. Die ganze Stadt redet über nichts anderes mehr.“

„Ich meinte den Grund für seine Rückkehr.“

„Entweder die Hochzeit von Jason und Alyssa oder weil er vom Rodeo-Verband gesperrt wurde.“

„Er wurde nicht gesperrt, sondern verletzt.“

Mit zitternder Hand hob Kenzie ihr Glas Eistee an die Lippen. Sie wusste natürlich, dass Bullenreiten ein körperlich fordernder und gefährlicher Sport war, aber sie hatte trotzdem nie in Betracht gezogen, dass ihm etwas dabei zustoßen könnte. Anderen Cowboys, ja, aber doch nicht Spencer, der immer so stark, furchtlos und unschlagbar gewirkt hatte.

Bei der Vorstellung, dass er ernsthaft verletzt sein könnte, drehte sich ihr unwillkürlich der Magen um. Was komisch war, da es sie eigentlich nicht sonderlich berühren sollte, außer dass er der Bruder ihrer besten Freundin Brielle war, die mittlerweile seit geraumer Zeit in New York City lebte.

Vielleicht ist es ja auch nur ein weiteres Gerücht, das in der Stadt kursiert. „Woher weißt du denn überhaupt von dieser Verletzung?“

„Von Becky.“

Da Becky im Büro von Blake Mining, dem Betrieb seiner Eltern, arbeitete, entsprach diese Behauptung also höchstwahrscheinlich der Wahrheit. „Was ist ihm denn passiert?“

„Ein Bulle namens Desert Storm hat ihn bei einem Rodeo in Justice Creek erwischt.“

„Wie schlimm ist es?“

Megan zuckte mit den Schultern. „Es muss wohl ziemlich schlimm sein, wenn er deshalb nach Hause kommt.“

Kenzie nahm einen winzigen Bissen von ihrem Hähnchen-Wrap. Sie hatte das Lokal eigentlich mit großem Hunger betreten, doch der Gedanke, dass Spencer so malträtiert worden war, hatte ihr den Appetit gründlich verdorben.

„Wir müssen wohl abwarten, bis er hier ist. Bis dahin kann man nur hoffen, dass er …“, Megan zwinkerte anzüglich, „… nicht vollkommen außer Gefecht gesetzt ist.“

„Ich dachte, du bist mit Brett Tanner zusammen.“

„Stimmt. Aber solange ich keinen Ring am Finger trage, kann ich mich doch noch weiter umsehen. Es sei denn, ich trete dir damit auf die Zehen.“

Was? Nein, natürlich nicht!“

„Bist du dir sicher? Ich weiß, dass du in der Highschool total verknallt in Spencer warst.“

Das ist kaum zu leugnen. „Darüber bin ich aber schon seit vielen Jahren hinweg.“

„Ich war auch in ihn verknallt.“

Das war nicht überraschend. Die meisten Schülerinnen der Westmark Highschool hatten ihn angeschmachtet.

„Mich hat er allerdings nie beachtet.“

„Er war ja auch ein paar Klassen über uns“, gab Kenzie zu bedenken. „Außerdem waren wir mit seiner kleinen Schwester befreundet.“

„Weshalb er nie mehr als eine brüderliche Begrüßung für uns übrighatte.“

Das stimmt … zumindest weitestgehend. Mit einer einzigen Ausnahme an seinem letzten Abend in der Stadt. Da hat er mich auf einmal so angesehen, als ob er mich wirklich wahrnimmt und mich sogar begehrt …

Gelegentlich fragte sie sich, ob ihr Leben vielleicht anders verlaufen wäre, wenn jene Nacht anders geendet hätte. Doch sie grübelte nie lange darüber nach, weil Spencer ihr mit seinen hochtrabenden Träumen für die Zukunft stets überlebensgroß erschienen war, wohingegen ihre eigenen Pläne viel bescheidener ausgefallen waren.

Letztendlich hatten beide bekommen, was sie wollten. Er war ein berühmter Rodeo-Star und sie eine Kleinstadt-Massagetherapeutin geworden. Wir werden nie ein Paar werden. Außer vielleicht in meinen Träumen.

Ja, gelegentlich träumte sie noch von ihm, und ihr Unterbewusstsein gaukelte ihr dann vor, dass der Sex mit Spencer Channing irgendwie anders und besser wäre als mit jedem anderen Mann, mit dem sie je intim geworden war.

„Aber ich bin längst nicht mehr nur eine Freundin seiner kleinen Schwester“, erklärte Megan, „und er braucht bestimmt ein Date für die Hochzeit seines Bruders.“

„Die Hochzeit findet in Irvine statt“, wandte Kenzie ein.

„Ich fahre liebend gern im Dezember nach Südkalifornien. Zusammen mit Spencer wäre es das Nonplusultra.“

„Hast du schon mal daran gedacht, dass er möglicherweise nicht mehr so ist, wie er mal war?“

„Hast du das Juni-Titelbild vom ProRider nicht gesehen?“, konterte Megan.

„Doch.“ Natürlich hatte Kenzie es gesehen. Weil Spencer nämlich die größte Berühmtheit war, die Haven in Nevada jemals hervorgebracht hatte. Sobald die neueste Ausgabe des Magazins in den Kiosken erschienen war, hatte die ganze Stadt nur noch darüber geredet, dass ihr Sohn ganz groß rausgekommen war. Als ob es eine bewundernswerte Leistung wäre, sich acht Sekunden lang auf einem wütenden Bullen zu halten!

Na ja, vielleicht war es das schon. Sie hatte einige seiner Wettkämpfe im Fernsehen verfolgt und dabei unwillkürlich den Atem angehalten und ihm die Daumen gedrückt, als könnte sie ihm dadurch irgendwie helfen, sich oben zu halten. Insgeheim war sie jedes Mal begeistert von ihm gewesen und stolz, wenn er den Buzzer überdauert hatte. Trotzdem war er kein Weltveränderer. Er spielte nur einen Cowboy, wie er es sich früher immer gewünscht hatte, damit er nicht erwachsen werden und einer richtigen Arbeit nachgehen musste.

Also ja, sie hatte das Magazin gesehen. Sie besaß sogar eine Ausgabe davon – genau wie von allen anderen Magazinen, in denen er auf dem Cover geprangt oder auch nur nebenbei erwähnt worden war.

„Dann weißt du ja, dass er immer noch all das ist, was er in der Highschool war … und dazu noch viel mehr.“

„Das viel mehr könnte nachbearbeitet sein“, gab Kenzie grinsend zu bedenken.

Megan schob ihren leeren Teller beiseite. „Deine Skepsis wundert mich. Von sämtlichen Mädchen in unserer Klasse warst du schließlich am meisten in ihn verknallt. Wenn er dir nur auf drei Meter nahegekommen ist, hat es dir doch schon total die Sprache verschlagen.“

„Das war verdammt peinlich, und ist sehr lange her.“

„Interessiert es dich wirklich nicht, dass er nach Hause kommt?“

Das Einzige, was sie beschäftigte, war ein mögliches Zusammentreffen mit ihm, und dass sie sich dann ihren Erinnerungen und der letzten peinlichen Begegnung stellen musste … als sie sich ihm praktisch an den Hals geworfen und ihn angefleht hatte, sie zu entjungfern.

Erwartungsgemäß hatte er ihr Angebot abgelehnt.

Sie war deshalb untröstlich und erleichtert zugleich gewesen, als er am folgenden Tag zum Studium nach Las Vegas aufgebrochen war. Sie war überzeugt davon gewesen, dass sie ihm nie wieder unter die Augen treten konnte.

Im Laufe der Jahre war er selten nach Hause zurückgekehrt, und sie hatte sorgsam darauf geachtet, sich in dieser Zeit von all den Orten fernzuhalten, an denen er hätte auftauchen können.

Doch wenn seine Rückkehr tatsächlich verletzungsbedingt war und er beabsichtigte, für längere Zeit hierzubleiben, war es praktisch unvermeidbar, dass sich ihre Wege irgendwann kreuzen würden.

Trotzdem war Kenzie überzeugt davon, dass er bei der selbstbewussten und fähigen Frau, zu der sie sich entwickelt hatte, keinerlei Anzeichen des erbärmlichen liebeskranken Teenagers mehr entdecken würde.

Als sie nach der Mittagspause in die Praxis zurückkehrte, verkündete Jillian, ihre Rezeptionistin: „Dein Zwei-Uhr-Termin wartet in Behandlungsraum vier.“

„Mrs. Ferris ist heute aber früh dran.“

„Nein, die hat abgesagt. Sie fühlt sich nicht wohl.“

„Wer ist denn dann mein Termin?“

„Ein ganz neuer Patient mit einer Schulterverletzung.“ Jillian seufzte verträumt. „Der hat aber vielleicht fabelhafte Schultern! Außerdem ein sexy Lächeln, das jeder Frau selbst von Weitem das Höschen schmelzen lässt.“

Kenzie war schon daran gewöhnt, dass Jillian jeden attraktiven Patienten auf unverschämte und dreiste Art als Sexobjekt ansah, doch diese obszöne Bemerkung war ihr so peinlich, dass sie sich erst einmal unauffällig umsah, ob auch kein Patient in Hörweite war. „Bestimmt nicht mein Höschen“, konterte sie entschieden. Denn das hatte nur das Lächeln eines einzigen Mannes vollbracht, und das Ganze lag schon unglaublich lange zurück.

„Wenn du fünf Minuten später gekommen wärst, hätte ich mich bestimmt in den Behandlungsraum geschlichen, um ihn selbst zu massieren“, gestand Jillian ihr. Doch dann korrigierte sie sich grinsend: „Nein, das stimmt nicht. Ich hätte wahrscheinlich keine drei Minuten durchgehalten.“

Kenzie schüttelte den Kopf. „Hat dieser Höschenschmelzer auch einen richtigen Namen?“

„Natürlich.“ Jillian konsultierte kurz den Monitor. „Spencer Channing.“

Das darf doch nicht wahr sein! Spencer Channing kann unmöglich hier sein. In Haven, ja. In meinem Behandlungsraum, nein. „Entschuldige, das habe ich jetzt nicht richtig mitgekriegt.“

„Spencer Channing“, wiederholte Jillian.

Laut und deutlich … unmissverständlich.

2. KAPITEL

Kenzie hielt mit einer Hand auf der Türklinke inne, um erst einmal tief durchzuatmen und ihr rasendes Herz zu beruhigen. Ich bin selbstbewusst und fähig, rief sie sich nervös in Erinnerung, bevor sie das Behandlungszimmer betrat. „Es stimmt also tatsächlich.“

Spencer wandte den Kopf zum Eingang, und seine weitaufgerissenen tiefblauen Augen verrieten, wie überrascht er war, sie zu sehen. Seine Lippen verzogen sich zu einem charmanten sexy Lächeln, das Jillians Einschätzung bezüglich der Wirkung bestätigte.

Dieses Lächeln war verheerend, und es war nicht die einzige Waffe in seinem Arsenal, zu dem ein umwerfend attraktives Gesicht, ein straffer muskulöser Körper, eine schnelle Auffassungsgabe und unwiderstehlicher Charme zählten.

Ja, Spencer Channing ist tatsächlich all das und noch viel mehr.

Aber ihre Aufgabe bestand darin, seine Verletzung zu behandeln, und sich nicht wie ein hormongesteuerter Teenager nach seinem Körper zu verzehren.

„Schön, dich wiederzusehen, Kenzie.“

„Du wusstest also gar nicht, dass du den Termin bei mir hast?“

„Stimmt. Als ich erfahren habe, dass jemand abgesprungen ist, habe ich einfach sofort zugesagt.“

Hätte es denn etwas geändert, wenn du es gewusst hättest? Diese Frage schoss ihr spontan durch den Kopf, doch sie fragte stattdessen: „Was führt dich denn her?“

„Eine Schulterluxation rechts.“

Sie verzog das Gesicht bei der Vorstellung, welche Schmerzen er erlitten hatte. Natürlich war ihm nun keinerlei Unbehagen anzumerken. Er hatte andere niemals spüren lassen, was in ihm vorging.

Er reichte ihr einen großen Umschlag. „Das sind die Arztberichte.“

„Warst du schon in Therapie?“

Spencer schüttelte den Kopf. „Frühestens nach sechs Wochen, hat der Doc gesagt.“

„Wie lange ist die Verletzung denn her?“

„Sechs Wochen und drei Tage.“

Trocken bemerkte sie: „Ungeduldig bist du wohl gar nicht, was?“

Er grinste. „Ich halte eben nichts davon, untätig rumzusitzen.“

Weil sie sich nicht eingestehen wollte, dass sein Lächeln seltsame Dinge in ihr bewirkte, stichelte sie: „Aber das ist doch dein Job, oder? Acht Sekunden auf dem Rücken eines Bullen herumzusitzen.“

Seine Belustigung schwand nicht. Ganz im Gegenteil, sein Grinsen wurde eher noch breiter, und ein Funkeln in seinen Augen verriet, dass er ganz genau wusste, was ihr gerade durch den Kopf ging. „Die meisten Leute würden das nicht als gemütliches Sitzen bezeichnen.“

Kenzie zog die Papiere aus dem Umschlag.

„Du siehst anders aus“, meinte er jetzt.

„Ich bin ja auch keine sechzehn mehr.“

„Das merke ich.“ Er ließ den Blick langsam und gründlich über ihren Körper gleiten. „Du trägst keinen Ring.“

„Ringe stören bei der Arbeit.“

„Soll das heißen, dass du sonst einen trägst?“

Sie blickte auf. „Was willst du wirklich wissen, Spencer?“

„Bist du verlobt? Verheiratet?“

Er hatte kein Recht, solche Fragen zu stellen, denn ihr Privatleben ging ihn nichts an. Dennoch regte sich etwas in ihr als Reaktion auf seine Wissbegierde … als ob ihr sein Interesse gefiel … als ob es darauf hindeutete, dass ihm etwas an ihr lag.

Vielleicht will er aber auch einfach nur Small Talk machen. „Nicht mehr“, antwortete sie schließlich.

„Nicht mehr verlobt oder nicht mehr verheiratet?“, hakte er nach.

„Nie verheiratet. Kurz verlobt.“

„Mit jemandem, den ich kenne?“

„Dale Shillington.“

Er zog eine Grimasse. „Wie kurz? Lass mich raten, du warst eines Abends so richtig betrunken und hast Ja gesagt, dann bist du nüchtern geworden und hast ihm den Ring vor die Füße geworfen?“

„Nicht ganz so kurz.“

„Du kannst etwas weitaus Besseres als Shillington kriegen.“

„Dale hat viele gute Eigenschaften“, konterte sie, um nicht nur den Mann zu verteidigen, sondern auch ihre Zustimmung zu seinem Antrag.

Damals hatte sie geglaubt, dass er ihr alle Wünsche erfüllen könnte: zu jemandem zu gehören, geliebt zu werden und eine Familie gründen zu können. Im Nachhinein sah sie das Ganze als Fehler an.

Sosehr sie sich auch bemüht hatte, es war ihr nicht gelungen, sich richtig in ihn zu verlieben, und sie hatte einfach nicht so enden wollen wie ihre eigene Mutter … abserviert und alleinerziehend.

„Wenn es in diesem Nest keine besseren Kandidaten gibt, solltest du es vielleicht verlassen“, schlug Spencer vor.

Sie schüttelte den Kopf. „Das ist nicht für jeden die Lösung.“

„Für mich anscheinend auch nicht.“

Bevor sie nachhaken konnte, was hinter dieser geheimnisvollen Bemerkung steckte, fragte er: „Bist du aktuell mit jemandem zusammen?“

„Du stellst aber furchtbar viele Fragen für einen Typen, der nach sieben Jahren plötzlich wieder in der Stadt aufgetaucht ist.“

„Das war gar nicht so plötzlich und auch nicht das erste Mal.“

Das wusste Kenzie natürlich. Er war jedes Jahr zu Weihnachten, häufig zu Muttertag und gelegentlich auch zu anderen Anlässen nach Hause gekommen. Allerdings nie zu seinem Geburtstag, denn am 4. Juni fand offenbar immer irgendwo eine bedeutende Rodeo-Veranstaltung statt. „Warum bist du hergekommen?“

„Ich bin momentan leider nicht in der Verfassung für Wettkämpfe, und Haven schien mir so gut wie jeder andere Ort für eine Reha zu sein.“

Eine einleuchtende Erklärung. Trotzdem spürte Kenzie, dass es nicht der einzige Grund war. Es war jedoch der einzig wichtige Grund, deswegen saß er auch gerade auf ihrem Behandlungstisch. „Du musst den Oberkörper frei machen“, sagte sie, während sie ein Laken aus einem Schrank holte.

Als sie sich wieder umdrehte, hatte er das Hemd ausgezogen und glatte gebräunte Haut über steinharten Muskeln enthüllt.

In ihrem Beruf verbrachte sie viel Zeit mit mehr oder weniger entkleideten Menschen. Daher war sie vertraut mit schlaffen und auch mit straffen Körpern, mit Sportskanonen und mit Sesselathleten. Doch noch nie zuvor hatte sie so heftig reagiert wie nun bei dem Anblick der breiten starken Brust.

Ihr Herz klopfte auf einmal schneller, ihr Mund wurde trocken und ihre Knie weich … weil es nicht irgendein Patient war, sondern Spencer.

Mein erster Schwarm. Mein erster Kuss. Mein erster Liebeskummer.

Doch das lag mittlerweile viele Jahre zurück. Sie war kein Teenie mehr, der in den Bruder ihrer besten Freundin verknallt war. Inzwischen war sie dreiundzwanzig Jahre alt und staatlich geprüfte Massagetherapeutin. Seit er die Stadt verlassen hatte, war sie einige Freundschaften eingegangen und hatte sogar ein paar Liebschaften gehabt. Doch ihr Körper reagierte immer noch extrem auf seine Nähe, so als wäre sie wieder sechzehn und würde glatt vergehen, wenn er ihre Gefühle nicht erwiderte.

Sie schob mühsam all die Altlasten beiseite und verschanzte sich hinter professionellem Gebaren wie hinter einem Schutzschild. Leichthin fragte sie: „Du willst wahrscheinlich kein Laken, oder?“

„Brauche ich denn eins?“

„Nein, aber manche Leute decken sich lieber zu. Der Raum kann sich gelegentlich kalt anfühlen.“

„Danke, aber mir ist warm genug.“

Warm? Garantiert. Vielleicht sogar heiß. Ihre Körpertemperatur schien auf jeden Fall gestiegen zu sein.

Flüchtig spielte sie mit dem Gedanken, Spencer nahezulegen, sich von einem ihrer Kollegen behandeln zu lassen, doch das hätte automatisch impliziert, dass ihr die Situation unangenehm war. Was ja auch tatsächlich zutraf, sie aber ausgerechnet diesem Mann nicht eingestehen wollte, der offenbar vollkommen unberührt von Erinnerungen an ihre letzte Begegnung war.

Nach sieben Jahren ist es durchaus möglich, dass er sich überhaupt nicht mehr an die Ereignisse jener Nacht erinnert.

Sie legte das Laken in den Schrank zurück.

„Soll ich die Hose auch ausziehen?“, fragte er.

Ja! „Nein!“, antwortete sie vielleicht ein bisschen zu schnell und zu heftig.

Er zog eine Augenbraue hoch.

Kenzie räusperte sich. „Heute konzentrieren wir uns nur auf die Schulter, um den Bereich aufzulockern und den Grad der Heilung einstufen zu können.“

„Okay.“

„Leg dich auf den Tisch.“

„Auf den Bauch oder Rücken?“

„Bauch.“ Zum Glück konnte er sie dann nicht mehr mit diesen tiefblauen Augen beobachten, die früher immer viel zu viel von ihren Gedanken und Gefühlen wahrgenommen hatten.

Er streckte sich auf dem Tisch aus.

Im Stillen atmete sie erleichtert auf, denn nun konnte sie so tun, als wäre er einfach nur ein Patient wie jeder andere.

Doch das Kribbeln in ihrem Körper, als sie mit den Händen über seine Haut strich, sagte etwas ganz anderes aus.

Es könnte ein Fehler sein, sich von ihr behandeln zu lassen, dachte Spencer, als Kenzie behutsam die verletzte Schulter abtastete.

Er hatte Haven damals mit dem festen Entschluss verlassen, sich die beste Freundin seiner kleinen Schwester ein für alle Male aus dem Kopf zu schlagen. Trotzdem war sie ihm die ganze Zeit über in Erinnerung geblieben … als naives kleines Mädchen ohne weibliche Rundungen, das total in ihn verknallt gewesen war.

Zu Highschool-Zeiten hatte er nicht das geringste Interesse an einer romantischen Beziehung mit ihr gehegt, ihre Gefühle aber nicht verletzen wollen. Also hatte er sich bemüht, Distanz zu ihr zu wahren. Das war ihm auch gelungen … bis zu dem Tag vor seiner Abreise nach Las Vegas.

Für jenen Abend war ein Treffen mit seiner damaligen Freundin Ashleigh in der Scheune der Crooked Creek Ranch geplant gewesen, um unter vier Augen ausgiebig Abschied voneinander nehmen zu können.

Als er auf den Heuboden hinaufgeklettert war, hatte sein Körper bereits vor Vorfreude gekribbelt. Aber er war auch ein wenig skeptisch gewesen, weil sie angekündigt hatte, dass sie alles tun wollte, um ihn zum Bleiben zu bewegen. Doch er hatte sich von nichts und niemandem von seinem Ziel, diesem Kuhdorf zu entkommen, abbringen lassen wollen. Schon gar nicht von einem Mädchen, mit dem er erst seit Kurzem liiert war.

Denn er liebte sie nicht. Dennoch war sie hübsch und anscheinend bereit, das volle Programm durchzuziehen, und er brannte darauf, das Kondom in seiner Tasche zu benutzen.

Als er den Heuboden erreicht hatte, hatte dort allerdings nicht Ashleigh auf ihn gewartet, sondern Kenzie …

„Woran denkst du gerade?“

Ihre Frage setzte seiner Reise in die Vergangenheit spontan ein jähes Ende. „An nichts Besonderes.“

„Bist du dir sicher?“ Ihre Hände, die unverhofft stark waren, glitten tastend und knetend über seine Schulter.

Sie verstand ihr Handwerk offenbar, doch ihre Berührung weckte unweigerlich Erinnerungen an das letzte Mal, als sie ihn angefasst hatte – und sich von ihm hatte anfassen lassen. „Ganz sicher“, behauptete er.

„Du bist nämlich so angespannt wie ein Flitzebogen.“

Spencer war außerdem so hart wie Stein. Die Bauchlage gestattete es ihm zum Glück, dieses kleine – oder auch nicht so kleine, wie er unbescheiden berichtigte – Geheimnis für sich zu behalten.

„Manche Patienten unterhalten sich gern, während sie auf dem Tisch liegen.“

„Ich stehe nicht so auf Gerede.“

„Ach sag bloß! Dabei warst du mal so ’ne Plaudertasche.“

Die Situation war peinlich und unangenehm – vermutlich für sie beide. Er grinste über ihre trockene Bemerkung und konterte: „Du hingegen warst nie so eine Klugscheißerin.“

Sie lachte leise. „Wahrscheinlich, weil ich damals in deiner Nähe kaum einen zusammenhängenden Satz zustande gebracht habe.“

„Ich schätze mal, es stimmt, dass sich die Leute mit der Zeit ändern.“

Offensichtlich traf es auf Kenzie zu, denn das dürre linkische Mädchen von früher hatte sich zu einer attraktiven Frau gemausert. Einer äußerst attraktiven Frau.

Schweigend konzentrierte sie sich auf ihre Aufgabe, während er sich auf nichts anderes als darauf konzentrieren konnte, wie gut sich ihre Hände auf seinem Körper anfühlten … bis er sich irgendwann vorzustellen begann, dass ihre Hände auch andere Körperteile streichelten … und je mehr er sich bemühte, nicht daran zu denken, umso härter wurde er.

Mein Leben ist schon kompliziert genug, auch ohne außerplanmäßige Aktivitäten.

Diese Einsicht wirkte ziemlich ernüchternd auf ihn.

Bei der Ankunft in Haven hatte Spencer zwar ein Gefühl der Vertrautheit, aber nicht der Heimkehr verspürt. Er empfand die Stadt schon lange nicht mehr als sein Zuhause. Es war nur der Ort, an dem er aufgewachsen war und wo der Großteil seiner Familie immer noch lebte. Er hatte nichts dagegen, sich dort hin und wieder zu Besuch aufzuhalten, hatte jedoch keineswegs die Absicht, in der trockenen harten Erde Wurzeln zu schlagen.

An dieser Einstellung hatte sich auch nichts geändert, als er bei seinen Eltern eingetroffen war. Er wohnte zwar während seiner Besuche in einem Zimmer, das seine Mutter mit Andenken an seine Kindheit versehen hatte, doch er hatte nie selbst in dem Haus gelebt.

Seiner Meinung nach war die dreistöckige Villa lediglich eine prahlerische Zurschaustellung von Wohlstand und Status – weshalb Ben und Margaret Channing sie vermutlich überhaupt erst erbaut hatten. Nachdem drei ihrer vier erwachsenen Kinder aus dem Haus waren, brauchten sie nämlich gewiss keine sechs Schlafzimmer oder sieben Bäder und auch keinen gigantischen Wohnraum mit vier Meter hoher Decke und einem riesigen Kamin aus Flusssteinen. Aber wenn es sie glücklich macht …

Als Spencer nun vom Highway auf die Zufahrt der Crooked Creek Ranch abbog, regte sich plötzlich etwas in seiner Brust. Sosehr er auch darauf gebrannt hatte, Haven zu entfliehen, hegte er doch auch viele schöne Erinnerungen an die Ranch.

Einige waren mit Pflichten verknüpft, da sein Großvater keine Faulheit toleriert hatte. Doch Spencer scheute keine Arbeit. Tätigkeiten wie Ställe auszumisten, Pferde zu striegeln und Zaumzeug zu pflegen, sorgten für Beschäftigung in einer Kleinstadt, die außer Kinovorführungen wenig an Unterhaltung zu bieten hatte. Wenn ich meine Aufgaben zufriedenstellend erledigt hatte, durfte ich mit Gramps auf die Weiden reiten, um dort die Kühe zu zählen.

Obwohl die Familie aufgrund ausgiebiger Gold- und Silberfunde auf dem Gelände irgendwann vom Ranch-Betrieb auf Bergbau umgestiegen war, züchtete Gramps nach wie vor Vieh. Seine Herde war zwar klein, aber trotzdem sein ganzer Stolz.

Wann immer Spencer nach Haven zurückkehrte, fuhr er zu ihm und ritt mit ihm aus. Dieses Mal diente sein Besuch allerdings auch noch einem anderen Zweck. Er wollte nach Copper Penny sehen.

Er hatte die Stute zur Ranch transportieren lassen und an diesem Morgen die Nachricht erhalten, dass sie eingetroffen war. Nun brannte er darauf, sich zu überzeugen, dass sie die lange Reise unbeschadet überstanden hatte.

Sobald er den Hof der Ranch erreichte, sah er sie auch schon auf einer Koppel grasen. Ihr kastanienbraunes Fell glänzte in der Sonne wie Kupfer, was ihr ihren Namen verliehen hatte. Sie schlug gelassen mit dem Schweif und es gab keinerlei Hinweise darauf, dass sie sich nicht rundum wohlfühlte.

Gramps gesellte sich kurz darauf zu ihm an den Zaun und sagte: „Sie ist eine echte Schönheit.“

Spencer nickte. Die Stute war ihm fünf Jahre zuvor bei einem Barrel Race sogar noch vor dem hübschen Mädchen im Sattel ins Auge gestochen. Pferd und Reiterin hatten den kleeblattförmigen Parcours mit großer Anmut und Geschwindigkeit bewältigt. Nach dem Wettkampf hatte das Mädchen namens Emily sich außerhalb der Arena als ebenso schnell erwiesen.

„Wo hast du sie denn aufgegabelt?“

Diese Frage verblüffte Spencer, bis ihm bewusst wurde, dass sein Gramps die Stute meinte. „In Denver.“

„Hast du sie aus einem bestimmten Grund gekauft?“

„Ich hab’ sie gar nicht gekauft. Sie ist ein Geschenk gewesen.“

Gramps musterte das Pferd intensiv. „Ein verdammt gutes Geschenk.“

„Stimmt, und das ist noch nicht alles gewesen.“

„Ich dachte mir schon, dass du nicht nur nach Hause gekommen bist, um ein Pferd abzuliefern.“

„Ich will außerdem meine Schulter auskurieren, weil ich hoffe, dass ich doch noch an den National Finals in Las Vegas teilnehmen kann.“

„Wie gut, dass du dich normalerweise acht Sekunden auf einem Bullen halten kannst“, meinte Gramps, „denn beim Glücksspiel würdest du in Vegas bestimmt kein Geld verdienen.“

„Was willst du denn damit sagen?“

„Dass dein Talent fürs Bluffen nicht das Zeug wert ist, das aus dem Hinterteil der Viecher kommt, die du reitest.“

Spencer grinste breit wegen der beschönigenden Ausdrucksweise. Seine Großmutter hatte Kraftausdrücke stets missbilligt. Obwohl sie vor über drei Jahren gestorben war, lebte Gramps immer noch nach ihren strikten Regeln.

„Wir wissen doch beide, dass du diese Verletzung überall auskurieren könntest.“

„Vielleicht will ich es aber lieber zu Hause tun.“

„Vielleicht lassen sich die Kühe da draußen auch bald Flügel wachsen und fliegen davon.“

Spencer blickte zur Weide hinüber, auf der das Vieh graste. „Na schön, ich habe beschlossen, mein Leben und meine Prioritäten zu überdenken.“

Gramps bewegte den Zahnstocher von einem Mundwinkel zum anderen. „Hast du ein Mädchen geschwängert?“

Obwohl Spencer sich oft über die Direktheit seines Großvaters amüsierte, konnte er sich nun nicht einmal den Hauch eines Schmunzelns abringen.

Sein Körper schmerzte, ihm schwirrte der Kopf, und an seiner gegenwärtigen Situation war rein gar nichts amüsant.

Sieben Jahre hätten doch wohl locker ausreichen sollen, um eine alberne Schwärmerei zu überwinden. Kenzie war überzeugt davon gewesen, dass jegliche Gefühle für Spencer Channing vor langer Zeit vergangen waren – bis sie ihr Behandlungszimmer betreten und ihn wiedergetroffen hatte.

Durch ihr Studium wusste sie genau, wie sämtliche Muskeln im Körper funktionierten, wie sie auf Verletzungen reagierten und was zu tun war, um Verspannungen und Schmerzen zu lindern.

Sie hatte im Laufe der Jahre schon sämtliche Arten von Schultertraumata bei vielen anderen Patienten behandelt, doch beim Anblick von Spencers bloßem Oberkörper war ihr all das Wissen plötzlich abhandengekommen. Die straffe gebräunte Haut und die harten kräftigen Muskeln hatten sie fasziniert und den Drang in ihr geweckt, die Lippen auf seine Schulter zu pressen und die breite Brust und den Waschbrettbauch mit Küssen zu übersäen.

Sie war sich nicht sicher, ob sie professionelle Distanz wahren konnte, deshalb hätte sie ihn eigentlich an einen ihrer Kollegen verweisen sollen. Doch sie wollte sich nicht eingestehen, dass der Kontakt mit seinem fantastisch ausgeformten Körper, nach dem sie sich als hormongesteuerte Teenagerin mit jeder Faser ihres Seins verzehrt hatte, schlummernde Gefühle in ihr erweckt und in ihrem Kopf ein Playback gewisser Erinnerungen gestartet hatte.

Sie hatte sich schon immer gern auf der Crooked Creek Ranch und vor allem bei den Pferden herumgetrieben. Brielles Großvater hatte ihr sogar das Reiten beigebracht. Beim ersten Ausritt auf einem schwarzen Wallach namens Domino hatte ihr Herz vor Aufregung und Angst gleichermaßen rasend schnell geklopft. Genau wie an dem Abend, als sie auf Spencer gewartet hatte.

Er war seit ein paar Wochen mit Ashleigh Singer liiert gewesen. Vor ihr war er schon mit vielen Mädchen gegangen – und zwar aufs Ganze, wenn man den Gerüchten glauben konnte.

Kenzie war zu Ohren gekommen, dass Ashleigh sich an dem Abend vor seiner Abreise mit ihm auf dem Heuboden treffen wollte, um es mit ihm zu treiben und ihn dadurch zum Bleiben zu bewegen.

Kenzie hatte ihre Konkurrentin kurzerhand vor der Scheune abgefangen und behauptet, mit Spencer verabredet zu sein. Erbost über seine vermeintliche Untreue war Ashleigh davongestürmt. Als er schließlich auf dem Heuboden aufgetaucht war, hatte er statt seiner Freundin die Freundin seiner kleinen Schwester dort angetroffen.

„Wo ist Ashleigh?“, hatte er schroff wissen wollen.

Ihr Herz hatte wild geklopft, ihre Kehle war trocken und ihre Knie weich geworden. „Sie musste weg.“

„Wohin?“

Sie hatte mit den Schultern gezuckt, weil sie es wirklich nicht gewusst hatte und es ihr auch egal gewesen war. Wichtig war nur, dass Spencer bei ihr gewesen war. „Aber ich habe auf dich gewartet.“

Misstrauisch hatte er gefragt: „Warum?“

„Weil Brie mir gesagt hat, dass du morgen wegfährst.“

„Hat sie dir auch gesagt, dass du mich hier treffen sollst?“

Kenzie war rot geworden. „Natürlich nicht. Sie hat keine Ahnung, dass ich hier bin.“

„Ich warte immer noch auf eine Erklärung. Warum bist du hier?“

„Ich wollte dir nur auf Wiedersehen sagen.“

„Auf Wiedersehen“, hatte er gemurmelt und sich abgewandt.

„Warte!“

Er hatte ungehalten geseufzt und sich wieder zu ihr umgedreht. „Was willst du, Kenzie?“

„Kommst du irgendwann wieder?“

„Ich gehe bloß aufs College. Ich komme Weihnachten wieder nach Hause.“

Aber bis Weihnachten war es noch sehr lange hin und sie hatte nicht so lange warten können. „Ich hatte letzte Woche Geburtstag.“

„Herzlichen Glückwunsch nachträglich.“

„Ich bin jetzt sechzehn.“

„Und?“

„Mit sechzehn ist man in Nevada offiziell mündig.“

Er hatte die Brauen zusammengezogen. „Warum erzählst du mir das?“

„Weil ich bereit bin.“

„Wofür?“

„Es zu tun … mit dir.“

Er hatte geseufzt. „Kenzie, du bist bestimmt nicht bereit für Sex, wenn du nicht mal das Wort aussprechen kannst.“

Sie hatte das Kinn vorgereckt. „Ich bin aber bereit, und ich will, dass du mein Erster bist.“

Er hatte vehement den Kopf geschüttelt. „Das wird ganz bestimmt nicht passieren.“

„Warum denn nicht? Du wolltest es doch auch mit Ashleigh tun, oder nicht?“

„Ich will nicht mit dir über Ashleigh reden.“

„Aber sie ist weg und ich bin hier.“ Früher war es Kenzie kaum gelungen, in seiner Gegenwart einen zusammenhängenden Satz zu formulieren, doch nun war sie sechzehn geworden und hatte sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen wollen. Sie war einen Schritt nähergetreten, hatte sich auf die Zehenspitzen gestellt und den Mund auf seinen gepresst.

Zuerst hatte Spencer überhaupt nicht reagiert, doch dann hatte er leise geflucht und war der tiefen und unvergänglichen Liebe, die er ihrer Ansicht nach für sie empfinden musste, erlegen.

Sie hatte nach Atem gerungen, als seine Zunge zwischen ihre geöffneten Lippen geglitten war, doch sie war nicht zurückgewichen. Nicht einmal, als er sie an die Heuballen zurückgedrängt und seinen Körper an ihren gepresst hatte …

Das Klingeln ihres Handys brachte Kenzie abrupt in die Gegenwart zurück.

Selbst nach sieben Jahren waren die Erinnerungen an jenen Abend noch so lebhaft, dass sie ganz heiß und zittrig geworden war. Sie presste sich die kühlen Hände an die glühenden Wangen und atmete mehrmals tief durch, bevor sie den FaceTime-Anruf von Spencers Schwester annahm. „Hey, Brie! Wie läuft es denn so im Big Apple?“

„Großartig. Aber auf Haven könnte ein Erdbeben zukommen“, verkündete Brielle besorgt. Obwohl sie nicht im Detail wusste, was damals auf dem Heuboden vorgefallen war, waren ihr Kenzies Schwärmerei und Liebeskummer hinreichend bekannt.

„Falls du damit Spencers Rückkehr meinst, kommt die Warnung leider ein bisschen zu spät.“

„Wer hat dir davon erzählt?“

„Die Liste der Leute, die es nicht getan haben, ist kürzer.“

„Das zählt zu den vielen Dingen, die ich wirklich nicht am Kleinstadtleben vermisse.“

„Aber du vermisst doch deine Freunde, oder?“

„Ich vermisse vor allem dich. Zu den anderen habe ich kaum noch Kontakt.“

„Es würden sich garantiert alle freuen, dich zu sehen, wenn du mal zu Besuch kommen würdest“, versicherte ihr Kenzie.

„Das tue ich bestimmt“, versprach Brielle. So wie immer. Seit sie studienhalber nach New York City gezogen und anschließend dortgeblieben war, hatte sie sich jedoch nur ein einziges Mal in Haven blicken lassen, und zwar anlässlich der Beerdigung ihrer Großmutter. „Jedenfalls solltest du wissen, dass Spencer unterwegs nach Haven ist.“

„Auch diese Information ist bereits veraltet.“

„Wieso?“

„Er ist schon längst hier. Er war heute Morgen sogar in der Klinik.“

„Wie schlimm ist es denn mit seiner Schulter?“, wollte Brielle daraufhin besorgt wissen.

„Du weißt genau, dass ich nicht über die Behandlung eines Patienten reden darf.“

„Er ist aber kein Patient, er ist mein Bruder.“

„Also gut. Er wird wieder gesund“, versicherte ihr Kenzie.

„Du glaubst also nicht, dass es ihn vom Rodeo abhalten wird?“

„Wieso fragst du? Ist da etwas, das du mir nicht erzählen willst?“

„Als ich letzte Woche mit ihm telefoniert habe, hat er angedeutet, dass er an einen Laufbahnwechsel denkt, und ich hatte das Gefühl, dass dies nicht ganz freiwillig geschieht.“

„Bullenreiten strapaziert einen Körper sehr. Wahrscheinlich spürt er allmählich sein Alter.“

„Er ist doch gerade mal fünfundzwanzig!“

„Aber schon seit fünf Jahren Profireiter, nachdem er vorher ich weiß nicht wie lange als Amateur angetreten ist“, gab Kenzie zu bedenken.

„Mindestens zehn Jahre. So alt war er nämlich, als er seinen ersten Gürtel gewonnen hat.“

„Vielleicht ist ihm einfach nur nach einer Veränderung.“

„Kann sein“, räumte Brielle ein, doch es klang nicht überzeugt.

Während Kenzie die Möglichkeit in Betracht zog, dass Spencer vielleicht nicht nur auf Besuch, sondern für immer nach Hause gekommen sein könnte, entfaltete sich in ihrem Herzen augenblicklich eine winzige Blüte, die nach Hoffnung roch.

Doch dann rief sie sich in Erinnerung, wie sehr er damals darauf gebrannt hatte, Haven zu verlassen. Wie fest entschlossen er gewesen war, Ruhm und Reichtum weit weg von „diesem zurückgebliebenen Provinznest“ zu suchen, und schon verwelkte die winzige Blüte in ihr wieder.

3. KAPITEL

„Spencer? Was willst du denn hier?“

Kenzies Stimme verriet Überraschung und Zurückhaltung. Nichts deutete darauf hin, dass sie ihn sehen wollte. Wegen ihrer langjährigen Freundschaft mit seiner Schwester baute er aber darauf, dass sie ihn trotzdem hereinließ. „Kann ich raufkommen, oder müssen wir uns die ganze Zeit über diese blöde Sprechanlage unterhalten?“

Statt einer Antwort ertönte der Haustürsummer.

Sie ließ ihn in ihr Apartment kommen, erkundigte sich dann aber: „Verrätst du mir jetzt, warum du hier bist?“

Er nahm sich einen Augenblick, um sie zu mustern. Sie trug eine hautenge Jeans und ein fließendes Top im Patchwork-Look. Die offenen Haare umrahmten ihr Gesicht wie schimmernde Seidenfäden in einer faszinierenden Mischung aus Gold- und Kupfertönen.

„Spencer?“, hakte sie nach, als er ihr nicht antwortete.

„Entschuldige bitte … aber wow … Kenzie, du siehst großartig aus.“

„Danke“, murmelte sie.

Er konnte ihr nicht verdenken, dass sie argwöhnisch war. Obwohl sie die beste Freundin seiner Schwester war, hatte er ihr nie besonders nahegestanden. Abgesehen von dem einen Mal … Aber es war wohl besser, nicht gerade jetzt an jenen Abend zu denken.

Allerdings konnte er seit der Rückkehr nach Haven und dem Wiedersehen mit Kenzie einfach nicht aufhören, an jenen Abend zu denken, und er wusste immer noch nicht, ob er erleichtert oder enttäuscht darüber war, dass er so und nicht anders geendet hatte.

Entschieden verdrängte er die Erinnerungen und fokussierte sich wieder auf die Gegenwart – und auf seinen leeren Magen. „Ich wollte dich fragen, ob du einen Happen mit mir essen gehen willst.“

Einen Happen essen gehen?“, wiederholte sie verblüfft, als hätte er ihr einen Kurztrip zum Mond vorgeschlagen.

Ein Lächeln spielte um seine Lippen. „Bei einem Dinner. Du weißt schon – wenn man sich an einen Tisch setzt und eine Mahlzeit genießt.“

„Das Konzept ist mir vage bekannt“, sagte sie trocken. „Ich bin sogar gerade dabei, mir eine Suppe aufzuwärmen.“

„Eine Suppe ist doch keine vollwertige Mahlzeit. Selbst in der Speisekarte des Diggers’ ist sie nur als Vorspeise gelistet.“

„Tja, heute Abend ist sie aber meine Hauptmahlzeit.“

Sie drehte ihm den Rücken zu, wodurch sie ihm einen spektakulären Blick auf ihren wohlgeformten Po in hautengem Denim bot.

Er folgte dieser aufreizenden Rundung in die Küche, wo Kenzie gerade die Suppe mit einem Holzlöffel umrührte.

Widerstrebend wandte er den Blick ab, um nicht als geiler Gaffer ertappt zu werden, und sah sich stattdessen in der Küche mit der ultramodernen Edelstahleinrichtung um. Eine Kochinsel mit Granitplatte trennte die Küche vom Wohnraum, dessen drei große Fenster einen Blick auf die Main Street gewährten. „Hübsches Apartment.“

„Danke, mir gefällt es auch.“

„Wie lange wohnst du schon hier?“

„Etwas über ein Jahr. Katelyn hat es mir vermietet, als sie den neuen Sheriff geheiratet und mit ihm ein Haus gekauft hat.“

„Katelyn Gilmore?“

„Sie heißt jetzt Davidson und hat eine bezaubernde kleine Tochter.“

„Das wusste ich gar nicht. Wahrscheinlich höre ich nie richtig zu, wenn meine Mutter über lokale Ereignisse tratscht.“ Spencer setzte sich auf einen Hocker, der vor der Kochinsel stand. Sein Magen knurrte vernehmlich. „Wenn du Sandwiches zu der Suppe machst, kriegst du vielleicht auch zwei Leute satt.“

„Ist das etwa deine Art, dich bei mir zum Dinner einzuladen?“

„Eine Suppe ist keine richtige Mahlzeit“, beharrte er, „aber wenn es dazu ein Sandwich gibt …“

Sie seufzte, doch ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Mit Grillkäse?“

Er grinste. „Das würde am besten zu einer Suppe passen.“

Kenzie stellte eine Bratpfanne auf den Herd und butterte mehrere Brotscheiben.

„Kann ich dir vielleicht helfen?“

„Behalte bitte die Suppe im Auge.“

Er bewaffnete sich daraufhin mit dem Holzlöffel.

„Wenn du nicht auf dem neuesten Stand der Dinge hier in Haven bist, woher wusstest du dann, dass ich hier wohne?“

„Deine Mutter hat es mir verraten.“

Das Messer, mit dem sie gerade den Käse schnitt, glitt ihr aus der Hand und fiel klappernd auf die Arbeitsfläche. „Wann hast du denn mit ihr gesprochen?“

„Als ich vorhin bei ihr vorbeigefahren bin.“

„Das erklärt zumindest die drei Sprachnachrichten, die sie mir hinterlassen hat.“

Drei Nachrichten … und du hast nicht zurückgerufen?“, fragte Spencer gespielt schockiert.

„Wenn es was Wichtiges wäre, hätte sie es schon gesagt.“

Theatralisch täuschte er vor, sich einen Dolch ins Herz zu rammen. „Aua!“

Kenzie verdrehte die Augen und fuhr fort, den Käse zu schneiden.

„Sie war sehr überrascht, mich zu sehen“, gab er zu, „und sie hat mir nur sehr ungern verraten, wo ich dich finden kann.“

Die Butter brutzelte, als sie die Brotscheiben in die heiße Pfanne legte. „Sie hat mich früher immer vor dir zu beschützen versucht.“

„Das wusste ich, aber mir war trotzdem nicht klar, wie sehr sie mich ablehnt. Normalerweise finden die meisten Frauen mich charmant. Sogar Mütter.“

„Zweifellos.“

„Ich habe doch nie etwas getan, um bei ihr in Verruf zu geraten. Zumindest nichts, wovon sie weiß.“ Er warf Kenzie einen fragenden Blick zu. „Oder doch?“

Sie konzentrierte sich auf die Pfanne, als würden die Sandwiches ihre gesamte Aufmerksamkeit fordern. „Es gibt nichts für sie zu wissen.“

Er nickte erleichtert. Er war froh zu hören, dass jenes Intermezzo auch für sie keine große Bedeutung gehabt hatte … froh und auch ein bisschen skeptisch.

Doch er sprach seine Zweifel nicht aus, denn er wollte das unangenehme Gespräch, das vor sieben Jahren hätte stattfinden sollen, immer noch nicht führen, und schon gar nicht wollte er alte Schuldgefühle aufwärmen – weder ihre noch seine eigenen.

Sie holte Geschirr und Besteck aus den Schränken und er stand hastig auf, um ihr zur Hand zu gehen.

„Ich weiß das zu schätzen.“ Spencer ließ die Sandwiches aus der Pfanne auf Teller gleiten, während sie die Suppe in Schalen füllte. „Dass du mich beköstigst, meine ich.“

Sie grinste. „Als ob ich eine Wahl gehabt hätte.“

„Man hat immer eine Wahl.“

Sie setzte sich zu ihm. „Dann sag mir mal, warum du bei mir und nicht bei einem der Jungs aufgetaucht bist, mit denen du früher abgehangen hast.“

Er tauchte seinen Löffel in die Schale. „Ich bin mit niemandem in Kontakt geblieben, als ich damals weggegangen bin. Abgesehen von dir habe ich nicht mehr viele Freunde in dieser Gegend.“

„Ich war die Freundin deiner Schwester, nicht deine“, entgegnete sie, während sie energisch ein Stück von dem Sandwich abriss und es sich in den Mund stopfte.

„Vielleicht waren wir keine Freunde, aber wir waren fast ein Paar.“

Kenzie schüttelte energisch den Kopf. „Ein kleines Schäferstündchen hätte uns noch lange nicht zu einem Paar gemacht.“

Er legte ihr eine Hand auf den Arm. „Ich habe dich an jenem Abend mies behandelt, und das tut mir wirklich leid.“

„Das ist lange her und längst vergessen.“

Das glaubte er ihr nicht. Er selbst hatte es jedenfalls nicht vergessen. „Dann bist du also nicht mehr sauer auf mich wegen dem, was an dem Abend passiert ist?“

„Es ist nichts passiert.“ Sie riss noch ein Stück von dem Sandwich ab. „Außerdem war ich nie sauer auf dich, sondern auf mich selbst … und beschämt.“

„Warum hättest du dich denn schämen sollen?“

Sie rührte wild mit dem Löffel in ihrer Suppenschale herum. „Weil ich mich dir an den Hals geworfen habe.“

„Wie du schon gesagt hast, es ist lange her und es ist nichts passiert.“

„Nichts von Bedeutung zumindest. Aber das lag nicht daran, dass ich es nicht versucht habe.“

„Du und ich …“ Spencer schüttelte den Kopf. „Das wäre damals ein Fehler gewesen.“

„Allerdings.“

„Aber jetzt …“ Er wackelte bedeutungsvoll mit den Augenbrauen.

Sie schmunzelte. „Jetzt wäre es sogar ein noch größerer Fehler.“

„Warum sagst du das?“

„Weil ich glaube, dass du bei mir aufgetaucht bist, weil du gerade einen Freund brauchst – auch wenn wir früher eigentlich gar keine Freunde waren.“

„Zumindest wollte ich ein freundliches Gesicht sehen“, gab er zu und steckte sich den letzten Bissen des Sandwiches in den Mund.

„Ist bei deinen Eltern irgendwas Besonderes los oder warum wolltest du heute Abend nicht bei ihnen essen?“

„Celeste ist bei einer Babyparty oder Brautparty oder so was in der Art. Ich hab’ ihr deshalb gesagt, dass ich mich selbst versorge und sie sich ruhig Zeit lassen kann.“

Trocken hakte Kenzie nach: „Dich selbst versorgen bedeutet, dich bei mir einzuladen?“

„Ich hab’ dir angeboten, dich auszuführen. Du hättest ein dickes saftiges Steak im Diggers’ kriegen können oder auch alles andere von der Speisekarte.“

„Ich liebe Rumpsteak, aber so ist es besser.“

„Inwiefern?“

„Wenn wir zusammen im Diggers’ aufgetaucht wären, hätte die ganze Stadt bereits darüber geredet, noch bevor das Steak auf dem Grill gelandet wäre.“

„Und das würde dich stören?“

„Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt von Klatsch und Tratsch.“

„Befürchtest du dann kein Gerede darüber, dass mein Truck vor deiner Wohnung steht?“

Sie runzelte die Stirn, während sie das Geschirr und Besteck einsammelte. „Bis jetzt habe ich das nicht getan.“

Um sie zu beruhigen, sagte er hastig: „Bestimmt haben die Leute über viel interessantere Dinge zu tratschen.“

„Du bist die größte Berühmtheit, die diese Stadt je hervorgebracht hat“, entgegnete Kenzie trocken. „Alles, was dich betrifft, ist also automatisch Thema Nummer eins.“

„Dann werden die Klatschmäuler wohl eine Konfettiparade veranstalten, wenn sie von Dani erfahren.“

„Wer ist Dani?“

„Meine Tochter.“

„Ist das dein Ernst? Du hast eine Tochter?“

Spencer nickte.

Unzählige Gedanken und Fragen wirbelten Kenzie daraufhin im Kopf herum. „Wie alt ist sie?“

„Drei. Fast vier.“

„Bist du … verheiratet?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich hätte Emily tatsächlich geheiratet, aber sie hat mir nichts von der Schwangerschaft gesagt. Ich habe erst vor sechs Wochen von Dani erfahren.“

Sie konnte nicht fassen, dass das schwarze Schaf der ehrenwerten Familie Channing und das Objekt ihrer jugendlichen Schwärmerei jetzt ein Kind hatte und an ihrem Küchentisch saß, um mit ihr darüber zu reden.

Die Situation war ihr mehr als unangenehm. Denn nun wusste sie, dass sie während des gemeinsamen Dinners nicht den heißesten Jungen der ganzen Schule, sondern den Vater eines kleinen Mädchens begafft hatte – wenn auch verstohlen.

Anscheinend brauchte ihr Gehirn dringend Koffein, um die Neuigkeit verarbeiten zu können. Sie steckte eine Kapsel in die Maschine. „Möchtest du auch einen Kaffee?“

„Gern.“

Sie holte zwei Becher aus dem Schrank. „Milch? Zucker?“

„Schwarz.“

Sie reichte ihm den ersten Becher, brühte einen zweiten Kaffee auf und goss einen Spritzer Milch hinein. „Du hast also vor sechs Wochen erfahren, dass du eine fast vierjährige Tochter hast?“

Spencer nickte.

Sie nahm einen Schluck. „Warum hat die Mutter dich erst jetzt kontaktiert?“

„Das hat sie nicht. Sie ist vor drei Monaten bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen.“

„Oh.“ Instinktiv legte Kenzie ihm eine Hand auf den Arm. „Das tut mir sehr leid.“

„Mir auch. Vor allem für Dani. Aber ich bin auch enttäuscht, weil ich jetzt niemals erfahren werde, warum sie mir mein Kind vorenthalten hat.“

„Wie hast du es denn herausgefunden?“

„Linda – Emilys Mutter – hat mich über den Rodeo-Verband ausfindig gemacht.“

„Um dir zu sagen, dass du Vater bist?“

„Nein, um mir zu sagen, dass Emily testamentarisch verfügt hat, dass ich ihr Pferd Copper Penny und das Sorgerecht für Dani bekomme.“

„Wow.“

„Kannst du dir mich mit einem Kind vorstellen?“

Sie nahm noch einen Schluck Kaffee. Ganz spontan hätte sie mit Nein geantwortet, denn den Spencer Channing, an den sie sich aus der Highschool erinnerte, konnte sie sich partout nicht in der Vaterrolle vorstellen. Doch wenn sie ihn nun betrachtete, erkannte sie, dass ihre instinktive Einschätzung nicht nur unfair, sondern auch falsch war. „Ja, das kann ich. Es ist gar nicht mal so schwer.“

„Tja, ich kann es aber nicht. Was hat sie sich bloß dabei gedacht? Wir haben uns beim Rodeo kennengelernt. Sie hat genau gewusst, was für ein Leben ich führe.“

„Wahrscheinlich hat sie sich gedacht, dass ein Kind wenigstens bei einem Elternteil aufwachsen sollte.“

„Ohne mir Bescheid zu geben, dass ich überhaupt Vater bin?“

Kenzie konnte seinen Frust durchaus nachvollziehen, doch ihr gingen gerade wichtigere Dinge durch den Kopf. „Wo ist Dani jetzt?“

„In Denver, bei Linda.“ Er schaltete sein Handy ein und drehte es in ihre Richtung.

Das Hintergrundbild zeigte ein kleines Mädchen mit den vertrauten channingblauen Augen, flaumigen blonden Haaren und einem süßen zaghaften Lächeln. „Oh, Spencer, sie ist entzückend!“

„Allerdings“, bestätigte er stolz.

„Wirst du den Wünschen ihrer Mutter denn nachkommen?“

Er drehte das Handy zu sich herum und musterte das Foto eine volle Minute, bevor er antwortete: „Ich will es versuchen. Ich hab’ zwar riesige Angst, dass ich es vermassle, aber ich will ihr Vater sein.“ Er grinste verlegen. „Das überrascht übrigens niemanden mehr als mich selbst.“

Da Kenzie ohne Vater aufgewachsen war, machte Spencers Bereitschaft, die Verantwortung übernehmen zu wollen, ihn nur noch anziehender für sie. Nicht, dass sie ihm ihr Herz wieder öffnen wollte. Auf keinen Fall. Denn Danis Herz war das Einzige, was im Moment wirklich zählte. „Hast du denn schon konkrete Pläne? Wie soll alles weitergehen?“

„Ich hoffe immer noch, dass ich bei den National Finals in knapp sechs Wochen teilnehmen kann.“

„Ich meine wegen Dani.“

„Die Sozialarbeiterin meint, dass sie solange bei Linda bleiben soll, bis ich eine angemessene Unterkunft gefunden habe.“

„Wieso Sozialarbeiterin?“

„Die Polizei hat Dani nach Emilys Unfall der Fürsorge übergeben, bis die nächsten Angehörigen kontaktiert werden konnten. Zum damaligen Zeitpunkt war das ihre Großmutter, weil die Behörden von mir ja nichts wussten.“

Kenzie wollte ihn nicht beunruhigen, musste aber dennoch fragen: „Hältst du es für möglich, dass sie das Sorgerecht beantragt?“

„Nein“, sagte er zuversichtlich. „Linda hat unmissverständlich klargestellt, dass sie bereits eine Tochter großgezogen hat und dieses Kind unter meine Verantwortung fällt.“

„Wie charmant.“

„Sie liebt Dani wirklich und kümmert sich seit dem Unfall rührend um sie. Sie ist sogar in Emilys Wohnung gezogen, damit Dani in ihrer vertrauten Umgebung bleiben kann.“

„Aber nur vorübergehend.“

„Ihr Freund ist ein wohlhabender internationaler Banker, der gern durch Europa jettet. Sie will frei sein, um mit ihm die Welt erkunden zu können.“

Sie fühlte instinktiv mit dem kleinen Kind, das den einzigen ihm bekannten Elternteil verloren hatte und kurz vor weiteren tief greifenden Veränderungen stand. „Apropos Großeltern. Wie haben deine Eltern denn auf die Neuigkeit reagiert?“

Spencer atmete tief durch. „Mein Dad hat geflucht, und meine Mom hat geweint.“

„Allmählich verstehe ich, warum du so verspannt warst, als ich dich heute massiert habe.“

„Ja, das ist einer der Gründe.“

„Deine Verletzung natürlich auch.“

„Ganz genau“, behauptete er.

In dem riesigen Haus am Miners’ Pass war alles dunkel, als Spencer nach Hause kam.

Er spielte kurz mit dem Gedanken, im Wohnzimmer etwas fernzusehen, doch ihm war nicht nach einer weiteren Diskussionsrunde mit seinen Eltern zumute, wenn diese wie gewöhnlich spät aus der Firma kamen.

Schon vor langer Zeit hatte er akzeptiert, dass er ihren Ansprüchen nicht gerecht werden konnte. Nicht, solange sie von ihm erwarteten, dass er in ihren Betrieb einstieg. Morgens einen Anzug anzuziehen und den ganzen Tag in einem Büro eingesperrt zu verbringen, war nun mal das Letzte, was er wollte.

Nicht mal, wenn es ein Eckbüro mit Rundumverglasung wäre.

Er hatte absolut keine Lust, ein Rädchen in der Maschinerie von Blake Mining zu werden.

Sein Bruder und seine jüngste Schwester hatten ähnliche Entscheidungen getroffen. Jason leitete einen familienfreundlichen Erholungspark am Stadtrand und Brielle war Vorschullehrerin in New York City. Nur Regan hatte sich für den Familienbetrieb entschieden, denn sie liebte die Arbeit mit ihrer Familie genau wie mit Zahlen.

Spencer war jedenfalls nicht erpicht darauf, sich erneut von seinen Eltern anzuhören, wie enttäuscht sie von ihm im Allgemeinen und wie schockiert sie über seine Vaterschaft im Besonderen waren.

Ihn selbst hatte es genauso schockiert, als Linda bei ihm in Justice Creek aufgetaucht war, um ihm mitzuteilen, dass er ein Kind hatte. Ja, der Zeitpunkt der Geburt stimmte, und es hatte da tatsächlich diesen kleinen Ausrutscher mit dem Kondom gegeben …

Trotzdem hatte er es zunächst nicht glauben wollen, weil es für ihn bedeutete, dass er sein Leben endgültig verkorkst hatte und weil er befürchtete, auch das Leben des Kindes zu ruinieren.

Diese Angst hatte ihn schließlich dazu getrieben, sich Kenzie anzuvertrauen. Nicht, weil sie eine Freundin war, sondern weil sie es eben nicht war. Dadurch fühlte sie sich nicht verpflichtet, die Wahrheit zu beschönigen, denn sie schuldete ihm nichts. Er konnte also davon ausgehen, dass sie ehrlich zu ihm war.

Zu seiner Überraschung – und vielleicht auch zu ihrer eigenen – konnte sie sich ihn als Vater vorstellen. Ihre Zuversicht gab ihm wieder ein wenig Hoffnung.

Dieses Vertrauensvotum hatte ihm ein wenig von der Sorge genommen, die ihn quälte, seit er von Danis Existenz erfahren hatte. Er zweifelte zwar noch immer an seiner Fähigkeit als alleinerziehender Vater, aber er würde dennoch sein Bestes geben, und er war nach Haven zurückgekehrt, weil er auf die Unterstützung seiner Familie und Freunde hoffte.

Inzwischen hielt er es sogar für möglich, dass er auch Kenzie eines Tages zu seinem Freundeskreis zählen konnte, und er war überzeugt davon, dass sich die unerwartete und unwillkommene Anziehungskraft, die er in ihrer Gegenwart spürte, irgendwann ignorieren ließ.

Das glaubte er zumindest so lange, bis er einschlief und prompt von ihr träumte … von dem Abend, an dem sie auf dem Heuboden der Crooked Creek Ranch auf ihn gewartet hatte …

Als sie den Mund auf seinen presste, hielt er ganz still, weil ihm kein besserer Weg einfiel, um sein Desinteresse zu bekunden.

Doch er hatte nicht damit gerechnet, dass ihre Lippen so weich waren. So weich und süß und verführerisch, und als sie den Mund zögerlich auf seinem bewegte, reagierte er unwillkürlich darauf.

Sie rang nach Atem, als seine Zunge zwischen ihre geöffneten Lippen glitt, aber sie wich nicht zurück und als er sie gegen die Heuballen drängte und den Körper an ihren presste, protestierte sie nicht dagegen. Selbst als er sich an ihr rieb und sie seine Erektion spüren ließ, leistete sie keinen Widerstand.

Nicht, dass er mit der besten Freundin seiner kleinen Schwester schlafen würde. Auch wenn sie glaubte, bereit für ihn zu sein. Auch wenn sie wollte, dass er ihr Erster war. Ein solcher Schuft war er nicht.

Aber er wollte ihr eine Lektion erteilen. Damit sie begriff, dass sie sich in Schwierigkeiten brachte, wenn sie sich Jungs in dunklen Ecken anbot. Also zerrte er ihr die Bluse aus der Jeans und schob die Hände unter den Stoff. Seine Finger glitten über ihre nackte Haut, von der schmalen Taille über die Rippen.

Er wollte ihre Brüste nur durch den BH anfassen, damit sie merkte, dass alles viel zu schnell ging, und ihn von sich stieß. Aber als seine Hände die sanften Rundungen erreichten, stellte er fest, dass sie gar keinen BH trug.

Ihre Brustwarzen pressten sich in seine Handflächen und machten ihre Erregung offensichtlich. Die unschuldige sechzehnjährige Kenzie Atkins war heiß. Sanft zwickte er die harten Nippel, und sie stöhnte und bog sich ihm entgegen.

Durch die instinktive Bewegung presste sich ihr Becken an seines, und ihre sinnlichen Laute und die Reibung schürten das Feuer, das sowieso schon in ihm brannte, und er spürte ein hartes Pochen zwischen seinen Beinen.

„Kenzie“, murmelte er.

„Ja“, wisperte sie.

Er hatte nicht beabsichtigt, so weit zu gehen, doch sein Körper und sein Verstand kämpften gegeneinander zwischen Begierde und Anstand.

Warum sollte er nicht ihr Erster sein, wenn sie es sich wünschte?

Weil sie gerade mal sechzehn ist. Weil sie die beste Freundin deiner Schwester ist. Weil sie glaubt, dich zu lieben, und weil du ihr das Herz brichst, wenn du morgen weggehst.

Obwohl er die bohrende Stimme seines Gewissens verfluchte, wusste er, dass er die Sache beenden musste. Und zwar sofort.

Dann senkte sie eine Hand und betastete ihn durch seine Jeans hindurch. Er vermutete, dass die kühne Berührung eher auf Neugier als auf Verlangen basierte, aber der Effekt war derselbe …

Spencer erwachte keuchend und äußerst erregt.

Wenigstens konnte er nun im Bett an sich halten, was ihm vor sieben Jahren in der Scheune nicht gelungen war.

Er warf die Decke zurück und lief ins Badezimmer. Das Allerletzte, was er zurzeit brauchte, war eine unangebrachte Neigung zur besten Freundin seiner kleinen Schwester, die aber angesichts seiner offenkundigen Erregung nicht zu leugnen war.

Zum Glück herrschte derzeit kein Wassermangel in der Stadt, denn er sah einen gesteigerten Bedarf an kalten Duschen voraus.

4. KAPITEL

Am Freitagabend saß Kenzie schon um acht Uhr im Schlafanzug vor dem Fernseher und zappte durch die Kanäle. Doch kein Programm schaffte es, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln; ihre Gedanken kreisten unentwegt um Spencer.

Vor dem ersten Wiedersehen hatte sie befürchtet, dass ihre jugendliche Schwärmerei nicht vollständig abgeklungen sein und sie sich deshalb zum Affen machen könnte. Wieder einmal.

Inzwischen war sie überzeugt davon, dass sie diese Begegnung professionell gemeistert hatte. Zumindest weitgehend. Dass sie währenddessen eine gewisse sexuelle Anziehungskraft verspürt hatte, war ja nicht weiter beunruhigend. Schließlich war er ein attraktiver Mann und sie eine heißblütige Frau, die schon zu lange abstinent lebte.

Mittlerweile wusste jeder in der Stadt, dass Spencer wegen seiner lädierten Schulter hierher zurückgekehrt war. Trotzdem wurde immer noch eifrig darüber spekuliert, wie ernst diese Verletzung war, wie lange er bleiben und ob er das Bullenreiten vielleicht aufgeben würde.

Kenzie ließ sich in derartiges Gerede nicht hineinziehen, aber sie machte sich natürlich so ihre eigenen Gedanken. Besonders über seine Zukunftspläne. Erst recht, seit sie wusste, was für ihn auf dem Spiel stand.

Seit er an diesem Morgen wieder halb nackt auf ihrem Behandlungstisch gelegen hatte, fragte sie sich, ob seine verspannte Muskulatur nur auf der Luxation oder auch auf Vorbehalte gegen sein Vatersein basierte. Er hatte ihr nämlich erzählt, dass Linda am folgenden Wochenende mit Dani nach Haven kommen wollte, was ihm nicht allzu viel Zeit ließ, um sich auf den Besuch vorzubereiten.

Das Summen der Gegensprechanlage unterbrach ihre Überlegungen. Sie ging zur Tür und drückte die Sprechtaste. „Hallo?“

„Kannst du mich reinlassen?“

„Spencer?“

„Ja.“

Sie blickte hastig an sich hinab. „Ich bin aber nicht gesellschaftsfähig angezogen.“

„Bist du etwa nackt?“

„Nein!“

„Schade“, erwiderte er murrend. Als sie nicht reagierte, erklärte er: „Mir ist egal, was du anhast. Ich muss dir was Wichtiges sagen. Also lass mich rein.“

Sie drückte den Summer, rannte schnell ins Bad und schlüpfte in ihren Bademantel, bevor sie die Wohnungstür öffnete.

Spencer musterte sie gemächlich und schüttelte dann den Kopf. „Du bist ja nicht mal unter dem Bademantel nackt.“

Prüfend blickte sie ihm ins Gesicht. „Hast du getrunken?“

„Ja, aber nicht genug.“

„Komm rein. Ich mache dir schnell einen Kaffee.“

„Ich will aber keinen Kaffee.“ Er packte die Enden ihres Gürtels. „Ich will dich.“

Ihr Herz stolperte. Es war höchst erfreulich, aufregend und auch verlockend, diese Worte aus dem Mund ihres ehemaligen Schwarms zu hören. „Du bist ja tatsächlich betrunken.“

Er fixierte sie mit einem erstaunlich klaren Blick. „Du gehst mir einfach nicht mehr aus dem Kopf, und ich hab’ schon zu viele andere Dinge, die mich beschäftigen, auch ohne diese blöde Besessenheit.“

Kenzie fühlte sich geschmeichelt und beleidigt zugleich.Wer hat denn gerade an wessen Tür geklopft?“

Er verzog das Gesicht. „Du hast ja recht. Ich dürfte gar nicht hier sein.“

„Na dann“, sagte sie und schickte sich an, die Tür vor seiner Nase zu schließen.

Doch er stellte eine Stiefelspitze in den Spalt. „Aber du hast mich doch reingebeten.“

„Nur auf einen Kaffee“, sagte sie entschieden und ließ ihn eintreten.

„Ich möchte aber lieber ein Bier.“

Sie fragte nicht, wie viele er bereits intus hatte, weil er erwachsen war und es sie nichts anging, allerdings warnte sie ihn auf dem Weg in die Küche: „Du solltest Alkohol nicht mit Schmerztabletten kombinieren.“

„Ich nehme gar keine.“

Sie hatte sich zwar noch nie eine Schulter ausgekugelt, wusste aber, dass es eine höllisch quälende Verletzung war und die Medikation zur Genesung beitrug. Während sie einen Kaffee zubereitete, fragte sie daher streng: „Warum nicht?“

„Weil die immer ganz benebelt im Kopf machen.“

„Der Alkohol nicht?“

„Touché.“ Schmunzelnd setzte Spencer sich an die Kochinsel. „Was sind das denn für Muffins?“, fragte er neugierig und streckte eine Hand nach dem Backblech aus.

Hastig zog sie es aus seiner Reichweite. „Die sind für Mrs. Powell.“

„Wer ist denn das?“

„Eine ehemalige Nachbarin, die in meiner Kindheit oft auf mich aufgepasst hat, wenn meine Mutter arbeiten war. Seit sie verwitwet ist, wohnt sie in dem Apartmenthaus, das deinem Bruder Jason gehört.“

Weil er so enttäuscht wirkte, legte sie einen der Muffins für ihn auf einen Teller. „Du hast gemeint, dass du mir etwas zu sagen hast.“

Er nickte und biss in das Gebäck.

„Worum geht es denn?“

„Ich hab’ darum gebeten, von jemand anderem therapiert zu werden.“

„Was?“, rief sie verblüfft. „Warum?“

„Weil sich meine Schulter währenddessen nicht lockert, sondern mein ganzer Körper sich verspannt, wenn du mich anfasst.“

Kenzie widerstand dem Drang, ihm den Kaffee ins Gesicht zu schütten, und stellte den Becher behutsam neben seinen Teller. Widerstreitende Gefühle tobten in ihr. Es verletzte sie irgendwie, dass er diesen Schritt unternommen hatte, ohne vorher mit ihr zu reden, doch es erleichterte sie zugleich auch, dass sie so nicht länger der Versuchung seines halb nackten Körpers ausgesetzt wurde. Es ärgerte sie wiederum, dass sie seinen Bedürfnissen nicht gerecht wurde – in rein professioneller Hinsicht natürlich.

Triefend vor Sarkasmus bemerkte sie deshalb: „Hoffentlich hast du der Klinikleitung meine Inkompetenz auch deutlich genug dargelegt. Das wirkt sich zweifellos sehr hilfreich auf meine nächste Leistungsbewertung aus.“

„Ich habe nicht gesagt, dass du inkompetent bist, sondern dass wir eine persönliche Vorgeschichte haben, die sich auf den Erfolg der Behandlung auswirken könnte.“

„Eine persönliche Vorgeschichte?“, spottete sie. „Ich war die beste Freundin deiner Schwester. Nichts weiter.“

„Ich habe wirklich versucht, von dir als die beste Freundin meiner Schwester zu denken.“ Spencer schüttelte den Kopf. „Nein, das stimmt nicht. Weil du die beste Freundin meiner Schwester bist, habe ich eigentlich versucht, gar nicht an dich zu denken.“

„Ich bin wirklich gut in meinem Job. In den fünfzehn Monaten, die ich jetzt in der Klinik arbeite, hat sich noch nie jemand über meine Techniken oder die Resultate beschwert.“

„Das glaube ich dir gern.“

„Doch jetzt sind meine Aussichten auf einen Vollzeitjob, wenn Eva in Mutterschaftsurlaub geht, so gut wie futsch, und das bloß, weil wir uns vor ein paar Jahren mal geküsst haben!“

„Nicht bloß deswegen.“

„Weswegen denn sonst?“

Er trat auf sie zu. „Weil ich dich wieder küssen will … jetzt sofort … und weil ich es nicht dabei belassen will.“

Bevor Kenzie entscheiden konnte, wie sie auf dieses unerwartete Geständnis reagieren sollte, küsste er sie tatsächlich, und …

Wow! Es war genauso, wie in ihrer Erinnerung, und irgendwie sogar noch besser. Weil es dieses Mal nicht nur eine Erinnerung war, sondern wirklich passierte.

Sein Mund war heiß und hungrig und forderte eine Reaktion von ihr. Willig gab sie ihm, was er wollte … was sie wollte.

Sie öffnete die Lippen und er vertiefte den Kuss. Ihre Zunge spielte in einem sinnlichen Rhythmus mit seiner. Ihre Knie wurden weich. Zum Glück hatte er starke breite Schultern, an denen sie sich festhalten konnte.

Seine Verführungskünste faszinierten sie. Dass er ihren Bademantel öffnete, wurde ihr erst bewusst, als seine starken rauen Hände unter ihrem Pyjamaoberteil über ihre zarte Haut glitten und Schauer der Erregung in ihr auslösten. Wie sehr sie ihn begehrte!

Sei vorsichtig! Du wolltest ihn schon einmal, und wohin hat dich das geführt?

Die Warnung ihrer inneren Stimme war durchaus angebracht, denn Kenzie hatte ihrem Verlangen schon einmal nachgegeben und danach die Scherben ihres gebrochenen Herzens einsammeln müssen.

Doch genau dieses Herz hämmerte nun kräftig, als ob es beweisen wollte, dass es vollkommen genesen war und perfekt funktionierte.

Hatte sie nicht kurz vor Spencers Auftauchen darüber nachgedacht, dass sie schon viel zu lange enthaltsam lebte? Demnach passte es doch gut, dass er gewillt war, dieses Problem zu beheben.

Es war außerdem unglaublich erregend, wie seine starken Hände ihre Brüste sanft umfassten und seine Daumen aufreizend ihre Brustwarzen umkreisten.

Aber reicht es dir, mal eben schnell mit ihm ins Heu zu gehen?

Auch wenn sie dieses Mal nicht auf einem Heuboden waren, wusste sie, dass es für ihn nicht mehr bedeuten würde. Sie hingegen konnte nicht hundertprozentig ausschließen, dass sie sich wieder in ihn verliebte, und deshalb war das Risiko einfach zu groß.

Schweren Herzens wandte sie den Kopf ab. „Das geht nicht“, sagte sie, doch es klang selbst in ihren eigenen Ohren nur wenig überzeugend.

Er knabberte an ihrem Ohrläppchen und murmelte heiser: „Ich verspreche dir, dass es sehr gut geht.“

Sie schüttelte den Kopf, obwohl sie vor Verlangen erschauerte, als sie das Kratzen seiner Bartstoppeln auf ihrem empfindsamen Hals spürte.

„Lass mich dir all die Dinge zeigen, die gehen“, drängte er sie.

Doch Kenzie legte ihm die Hände auf die Brust, schob ihn sanft von sich und trat dann einen Schritt zurück. „Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss, aber ich bin nicht mehr das verknallte Mädchen, das du von früher kennst.“

Er brauchte einen Moment, um durchzuatmen und seine Hormone wieder unter Kontrolle zu bringen. Das war allerdings keine leichte Aufgabe angesichts ihrer feuchten, von seinen Küssen geschwollenen Lippen und der Brustwarzen, die vor Erregung deutlich unter dem dünnen Stoff hervorstachen. „Das habe ich durchaus gemerkt, und es enttäuscht mich ganz und gar nicht.“

Als stumme Antwort zog sie den Bademantel noch fester um sich.

Als ob ich dadurch vergessen könnte, wie ihre Brüste aussehen und sich anfühlen.

Kenzie war eine Spätzünderin. Die Jungs in der Highschool hatten sie lange Zeit Ken genannt, weil ihr Körper so wenig Kurven wie Barbies Plastikfreund aufgewiesen hatte.

In den vergangenen sieben Jahren war es Spencer meistens gelungen, seine Erinnerungen an sie zu verdrängen und sie einfach als verknalltes kleines Mädchen abzutun, dem es an Erfahrung, aber nicht an Enthusiasmus und Wollen gemangelt hatte.

Doch im Laufe der Zeit war sie wirklich sehr ansehnlich herangereift. Es fand sich kaum noch eine Spur von jenem Mädchen in der Frau, die nun vor ihm stand. Die neue Kenzie war selbstbewusst, stark und unglaublich sexy … und schlau genug, um ihn abzuweisen.

Sie räusperte sich. „Haben wir uns nicht erst vor Kurzem darauf geeinigt, dass das mit uns keine gute Idee ist?“

„Ich hab’ mir die Sache noch mal durch den Kopf gehen lassen und meinem Herzen einen Ruck gegeben.“

„Ich denke nicht, dass dein Kopf oder dein Herz bei dieser Sache das Sagen haben.“

Er ignorierte diesen Seitenhieb. „Soll ich mich etwa dafür entschuldigen, dass ich dich geküsst habe?“

„Nein, du sollst nur versprechen, dass es nicht wieder vorkommt.“

„Das kann ich aber nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil ich in letzter Zeit an nichts anderes mehr denken kann als daran, wie sehr ich dich will.“

„Du suchst bloß Zerstreuung.“

Was?“

„Ich kann mir vorstellen, wie schwierig die letzten Wochen für dich waren … herauszufinden, dass du ein Kind hast … mit der Verletzung umzugehen … nach Hause zurückzukehren.“

„Nichts davon hat etwas mit uns zu tun.“

„Nicht mit dir und mir im Besonderen“, räumte Kenzie ein, „aber all das verursacht Stress, den du durch Sex abbauen willst.“

Spencer wusste nicht, ob er beleidigt oder belustigt über ihre nüchterne Einschätzung sein sollte. „Du hast dich wirklich verändert. Als wir uns das letzte Mal geküsst haben, konntest du das Wort Sex nicht mal aussprechen, ohne knallrot zu werden.“

„Ich bin eben keine sechzehnjährige Jungfrau mehr.“

„Gott sei Dank.“

„Ich werde bestimmt nicht mit dir ins Bett steigen, bloß weil du glaubst, dass du es willst.“

„Ich weiß, dass ich es will, und ich glaube, dass du es auch willst.“

Kenzie schüttelte entschieden den Kopf. „Dazu wird es nicht kommen.“

„Aber du leugnest nicht, dass du mich willst?“

„Ich will viele Dinge, die mir nicht guttun.“

„Ich werde dir aber guttun, das verspreche ich.“

Erneut schüttelte sie den Kopf, auch wenn ein Lächeln um ihre Lippen spielte. „Gute Nacht, Spencer.“

Er seufzte theatralisch. „Ich schätze mal, das ist mein Stichwort zum Abgang.“

„Wow! Nicht bloß attraktiv, sondern auch noch blitzgescheit.“

„Du findest mich also attraktiv?“

Sie schob ihn zur Tür.

Er leistete keinen Widerstand. Doch kurz bevor er hinausging, neigte er den Kopf zu einem letzten flüchtigen Kuss. Nur aus Trotz.

Er grinste, während er die Treppe hinunterging, und pfiff vor sich hin, während er den Parkplatz zu seinem Truck überquerte.

Ein paar Küsse mit einem hübschen Mädchen konnten zwar nicht alles geraderücken, was in seiner Welt gerade schieflief, aber zum ersten Mal seit langer Zeit schien es wieder bergauf zu gehen.

Die unverhoffte Begegnung mit Kenzie war nicht Spencers erste Überraschung an diesem Tag und auch nicht die größte, aber die bei Weitem angenehmste. Seine Freude über den Anblick eines vertrauten freundlichen Gesichts hielt allerdings nur so lange an, bis Dani ihm die Hand entzog, sich an Kenzies Beine klammerte und heulte: „Will nach Hause zu Nana.“

Kenzie zog eine Augenbraue hoch, er zog die Schultern hoch.

„Wenn uns die Sozialarbeiterin jetzt sehen könnte …“, murmelte er.

Sie strich Dani tröstend über das seidige blonde Haar. Er hatte ebenfalls versucht, ihr Trost zu spenden, doch vergeblich. Offensichtlich gab seine Tochter ihm die ganze Schuld an dem verstörenden Umbruch in ihrem Leben.

„Habe ich irgendwie eine Woche verschlafen?“, fragte Kenzie erstaunt. „Sollte deine Tochter nicht erst nächste Woche kommen?“

„Eine Planänderung.“

Sie ging in die Hocke und sagte: „Du bist bestimmt Dani, oder?“

Die Kleine schniefte und nickte.

„Dein Daddy hat mir schon ganz viel von dir erzählt.“

Dani warf ihm einen flüchtigen Blick zu und beharrte trotzig: „Will nach Hause.“

„Aber dein Daddy ist echt glücklich, dass du hier bei ihm bist, und schon ganz bald fühlst du dich hier wie zu Hause.“ Sie wandte sich an Spencer. „Was macht ihr denn hier? Wollt ihr deinen Bruder besuchen?“

„Nein, ich wohne zur Untermiete in Alyssas Apartment. Aber was machst du hier?“

„Ich habe Mrs. Powell besucht.“

„Die Mrs. Powell von den Muffins?“

Sie schmunzelte. „Ja, genau die.“

„Muffins?“, wiederholte Dani mit Tränen in den Augen.

„Hast du Hunger?“

Sie nickte heftig.

„Sie hat Pfannkuchen gefrühstückt“, erklärte Spencer hastig. „Im Sunnyside Diner mit ihrer G-r-o-ß-m-u-t-t-e-r.“ Er buchstabierte das letzte Wort, damit Dani nicht merkte, von wem er sprach, und wieder in Tränen ausbrach. „Aber dann hat sie sich vor lauter Aufregung übergeben müssen.“

„Es gibt doch nichts Schöneres, als ganz behutsam in die Welt der Vaterschaft eingeführt zu werden“, frotzelte Kenzie.

„Wem sagst du das.“

Sie wandte sich wieder an seine Tochter. „Was für Muffins isst du denn gern?“

„Mit Schokostückchen.“

„Die mag ich auch am liebsten.“

Dani belohnte dieses Geständnis mit einem zögerlichen Lächeln.

„Direkt um die Ecke ist ein kleiner Coffeeshop. Da gibt es riesige Schoko-Muffins. Wenn du deinen Daddy fragst, geht er bestimmt mit dir hin.“

„Ich und du gehen.“

Verwundert blickte Kenzie zu Spencer.

Er bemühte sich sehr, es nicht persönlich zu nehmen, dass seine Tochter lieber bei einer Fremden anstatt bei ihrem Vater Trost suchte. Eigentlich konnte er es ihr auch nicht verdenken, da auch er in Kenzies Armen Trost gefunden hatte – wenn auch nicht annähernd so viel wie erhofft. „Die Sozialarbeiterin meint, dass sie bisher nicht viel Umgang mit Männern hatte und deshalb womöglich etwas Zeit braucht, um mit mir warm zu werden“, erklärte er.

„Das leuchtet mir ein.“

„Kommst du mit uns?“

Sie richtete sich wieder auf. „Zum Daily Grind? Nein.“

„Warum denn nicht?“

„Auch wenn du lange weg warst, hast du bestimmt nicht vergessen, dass die Gerüchteküche in dem Laden noch heißer ist als der Kaffee.“

„Bitte!“ Er blickte vielsagend zu Dani, die erneut die Arme um Kenzies Beine geschlungen hatte.

„Ich habe eine bessere Idee. Dani und ich warten hier, während du die Muffins holst.“

Spencer kniete sich neben Dani hin. „Willst du hier bei Kenzie bleiben, während ich dir einen Muffin hole?“

Natürlich wollte sie das.

Denn offenbar war alles besser, als bei dem großen unheimlichen Mann zu bleiben, der behauptet, ihr Daddy zu sein. Er unterdrückte seine Enttäuschung, stand auf und schloss die Apartmenttür auf. „Möchtest du auch etwas?“, fragte er Kenzie.

„Ein Vanilla Latte wäre nicht schlecht.“

5. KAPITEL

Kenzie und Dani saßen aneinander gekuschelt auf dem Sofa vor einem Tablet, als Spencer mit Muffins, Kaffee und Milch zurückkehrte.

Kenzie lächelte ihn an und flüsterte dann: „Die Müdigkeit war anscheinend größer als der Hunger.“

Erst jetzt bemerkte er, dass Dani schlief, den Zipfel einer Decke in einer Hand und den Daumen der anderen Hand auf den Lippen, als wäre sie beim Nuckeln eingeschlafen.

Er stellte das Gebäck und die Getränke vorsichtig auf den Esstisch und setzte sich dann auf die andere Couch.

Kenzie bettete Danis Kopf behutsam auf ein Kissen und gesellte sich dann zu ihm. „Wann hast du von der Planänderung erfahren?“

Er blickte zur Uhr hinüber. „Vor etwa drei Stunden.“

„Du machst Witze!“

Er schüttelte den Kopf. „Ich wollte gerade zum Baumarkt, um Wandfarbe für Danis Zimmer zu holen, als Linda angerufen und mir gesagt hat, dass sie nicht wie geplant nächstes Wochenende kommen kann.“ Er starrte in die dunkle Flüssigkeit in seinem Becher. „Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass meine erste Reaktion Erleichterung war.“

„Das wundert mich nicht. Du hattest schließlich kaum Zeit, dich daran zu gewöhnen, dass du Vater bist.“

„Dann ist mir eingefallen, was du gesagt hast. Dass Linda das Sorgerecht für Dani beantragen könnte. Bei dem Gedanken daran, dass ich meine Tochter verlieren könnte, die ich noch nicht einmal kenne, bin ich auf einmal in Panik geraten.“

Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. „Genau deswegen weiß ich auch, dass du ein großartiger Vater sein wirst.“

„Momentan wäre ich schon froh, wenn Dani nicht sofort in Tränen ausbrechen würde, nur weil sie bei mir bleiben soll.“ Spencer atmete tief durch. „Doch bevor ich vorschlagen konnte, sie am nächsten Wochenende in Denver abzuholen, hat Linda plötzlich angeboten, sie mir heute zu bringen, weil sie – ganz zufällig natürlich – bereits in Haven waren.“

„Was ist, wenn du Nein gesagt hättest? Was ist, wenn du nicht zu Hause gewesen wärst?“

„Ich glaube nicht, dass sie diese Möglichkeiten überhaupt in Betracht gezogen hat. Eine halbe Stunde später hat sie Dani, einen großen Koffer, ein paar Kartons und den Autositz bei mir abgeliefert. Sie hat sie umarmt und zu ihr gesagt: Sei ein braves Mädchen für deinen Daddy. Dann ist sie einfach ins Auto gestiegen und abgefahren.“

„Ich fasse es nicht!“, rief Kenzie empört.

„Dani hat total verwirrt dagestanden. Es hat ein paar Minuten gedauert, bis sie begriffen hat, dass ihre Nana weg ist und sie hier zurückgelassen hat. Seitdem ist sie untröstlich. Ich wollte ihr die Wohnung zeigen, aber sie hat sich mit beiden Händen an den Türknauf geklammert und versucht, die Tür zu öffnen, um mir zu entkommen. Mit Nana nach Hause gehen, hat sie immer wieder geheult.“

Kenzie stiegen Tränen in die Augen. „Ich hoffe, dass ich dieser Frau niemals begegnen muss!“

Spencer wusste, wie sie sich fühlte. Er selbst hätte auch am liebsten mit Dani mit geweint. Als ihre herzzerreißenden Schluchzer schließlich verebbt waren, hatte sie – wenn auch nicht gerade begeistert – eingewilligt, mit ihm im Park spazieren zu gehen.

Beim Verlassen der Wohnung waren sie dann auf Kenzie gestoßen.

„Hat Linda denn eine Erklärung dafür geliefert, dass sie ihre Enkelin früher als vorgesehen bei dir abgeladen hat?“

„Aber ja. Ihr Freund muss geschäftlich nach Montpellier und sie will ihn begleiten.“

„Wegen eines Vergnügungstrips stellt sie das Leben eines kleinen Mädchens komplett auf den Kopf?“

„Sieht ganz so aus.“

„Allmählich verstehe ich, warum Emily nicht ihre Mutter als Vormund eingetragen hat.“

„Das ist noch nicht mal alles“, teilte ihr Spencer mit. „Die Sozialarbeiterin hat mich vorhin angerufen, um mir mitzuteilen, dass Dani nicht zu der Sitzung erschienen ist, die für heute anberaumt war, um sie auf den bevorstehenden Umzug vorzubereiten.“

„Wie hat sie darauf reagiert, dass Dani schon hier ist?“

„Sie war zuerst erleichtert, dass sie nicht wie befürchtet ein Kind in ihrer Obhut verloren hat, war aber natürlich besorgt über den abrupten Ortswechsel. Außerdem war sie ganz schön wütend auf Linda wegen der unvorhergesehenen Planänderung.“

„Was alles zugunsten deines Sorgerechtsantrags spricht.“

Er lächelte. „Du gehörst wohl zu denjenigen, deren Glas immer halb voll ist, stimmt’s?“

„Ich bemühe mich darum. Dani und ich haben uns vorhin hier umgesehen und festgestellt, dass ihr Zimmer total leer ist.“

„Ich habe eine komplette Einrichtung für sie bestellt, die aber erst am Mittwoch ankommt. Ich dachte, dass ich noch genug Zeit hätte, ihr Zimmer zu streichen, bevor sie hierherkommt.“

„Wie sieht dein Plan B aus?“

Spencer zuckte mit den Schultern. Aus seinen Augen sprach verzweifelte Hilflosigkeit.

Obwohl Kenzie wusste, dass sie sich eigentlich aus der ganzen Sache heraushalten sollte, musste sie einfach auf seine Mutlosigkeit reagieren. Vielleicht lag es auch daran, dass das kleine Mädchen sich an sie geklammert hatte wie an eine Boje in stürmischer See. Jedenfalls verkündete sie plötzlich: „Ich weiß, was dazu beitragen könnte, dass Dani sich hier wohlfühlt.“

„Ich höre.“

„Lass sie doch einfach helfen, das Gästezimmer in ihr Zimmer zu verwandeln.“

„Wie denn?“

„Nimm sie mit zum Baumarkt, lass sie die Wandfarbe aussuchen und dir beim Malern helfen.“

„Aber sie ist doch noch nicht mal vier“, wandte er ein.

„Du sollst sie ja auch nicht mit einem Farbroller auf eine Leiter stellen. Drück ihr einfach einen Pinsel in die Hand und lass sie zum Beispiel den Wandschrank von innen anstreichen. Wenn sie bei der Gestaltung mithilft, wird sie später bestimmt stolz darauf sein, dass das Zimmer ihr gehört.“

Er blickte sie skeptisch an.

„Lass sie wenigstens die Bettwäsche und die Gardinen aussuchen.“

„Am Fenster hängen aber schon Gardinen.“

„Das geometrische Muster hat bestimmt gut in Alyssas Gästezimmer gepasst, aber es ist nichts für ein kleines Mädchen.“

Autor

Brenda Harlen
<p>Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
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<p>Die USA-Today-Bestsellerautorin Michelle Major liebt Geschichten über Neuanfänge, zweite Chancen - und natürlich mit Happy End. Als passionierte Bergsteigerin lebt sie im Schatten der Rocky Mountains, zusammen mit ihrem Mann, zwei Teenagern und einer bunten Mischung an verwöhnten Haustieren. Mehr über Michelle Major auf www.michellemajor.com.</p>
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