Bianca Gold Band 34

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  • Erscheinungstag 22.07.2016
  • Bandnummer 0034
  • ISBN / Artikelnummer 9783733732820
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Leigh Greenwood, Lois Faye Dyer, Christine Rimmer

BIANCA GOLD BAND 34

1. KAPITEL

Kathryn Roper sah sich unverhofft einem sehr gut aussehenden, sehr zornigen Mann gegenüber. Er war groß und gepflegt, und er sah zu jung aus für seine konservative Aufmachung. Der maßgeschneiderte graue Nadelstreifenanzug hätte zu ihrem Vater gepasst. Diesem Mann hingegen hätte ein sportliches Outfit besser gestanden, denn er besaß den Körper eines Athleten. Doch ihrer Erfahrung nach hatten Athleten einen schlechteren Geschmack in Kleidungsfragen.

„Stehen Sie nicht einfach so da und starren Sie mich nicht so an“, beschwerte er sich. „Ich bin um die halbe Welt geflogen und will sofort zu Miss Roper.“

Wenn sie auch zuerst daran gezweifelt hatte, dass dieser Mann Ron Egan war, so war das jetzt nicht mehr der Fall. Er besaß das anmaßende Auftreten eines Menschen, der nichts und niemanden für wichtig hielt außer sich selbst. „Ich bin Kathryn Roper, und ich gestatte keine Besuche nach halb zehn abends. Sie müssen morgen wiederkommen.“

Ein ärgerlicher Blick traf sie. „Sie sind zu jung und zu hübsch, um sich wie eine Furie aufzuführen.“

Sie konnte ein Lachen nicht unterdrücken. „Wer sagt denn, dass eine Furie alt und hässlich sein muss?“

Abschätzig musterte er sie. Wie alle hochgestellten Persönlichkeiten, die sie bisher kennengelernt hatte, versuchte er, andere einzuschüchtern, die er für unwichtig hielt.

Doch ihre Reaktion auf ihn war alles andere als üblich. Sie fühlte sich zu diesem Mann hingezogen. Sie hatte nie geleugnet, dass die Chemie zwischen zwei Menschen auf Anhieb stimmen konnte, aber es passierte ihr zum ersten Mal.

Wie schade, dass sein Äußeres so wundervoll war, während sein Wesen so verderbt zu sein schien.

Offensichtlich war sie ebenso leicht zu beeindrucken wie die Mädchen, die bei ihr Hilfe suchten, die sich von Äußerlichkeiten verführen ließen. Doch sie war älter, erfahrener und hatte ihre körperlichen Bedürfnisse fest unter Kontrolle. Sie mochte heftig auf Ron Egan reagieren, aber das sollte er nie merken.

„Ich will meine Tochter sehen. Wo ist sie?“

„Im Bett, wie auch die anderen Mädchen in diesem Haus. Sie können sie morgen früh sehen.“

„Ich bin extra aus Genf hergekommen. Ich habe nach Ihrem Anruf das nächste Flugzeug genommen und sechs Zeitzonen hinter mich gebracht. Ich bin müde. Es wird ihr nicht schaden, wenn sie eine halbe Stunde Schlaf versäumt.“

„Ich sorge mich weniger um ihren Schlaf als darum, dass Ihr Besuch sie aufregen wird. Es ist äußerst wichtig, dass sie ruhig bleibt. Die Situation ist ohnehin schon sehr stressgeladen für sie.“

Sie standen sich immer noch in der Eingangshalle gegenüber wie Feinde.

„Sie ist minderjährig“, wandte er ein. „Ich kann Sie zwingen, sie herauszugeben.“

„Sie ist aus freien Stücken hergekommen. Sie will bleiben. Wenn Ihnen an ihr liegt, dann gestatten Sie es ihr.“

Ron wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte. Seit dem Moment, als er telefonisch von einer Fremden erfahren hatte, dass seine Tochter schwanger und von zu Hause ausgerissen war, wusste er nicht mehr, was er denken sollte. Er hatte nicht erwartet, sie in einem eleganten alten Herrenhaus im Herzen des ältesten und vornehmsten Viertels von Charlotte untergebracht vorzufinden. Und auch Kathryn Roper entsprach nicht dem, was er sich vorgestellt hatte.

Sein erster Impuls war, sie zurechtzuweisen für die Unterstellung, dass ihm nichts an seiner Tochter lag. Wie konnte sie sich anmaßen, ein derartiges Urteil zu fällen? Sie wusste nichts von ihm.

Doch irgendetwas an ihr veranlasste ihn, die Situation zu überdenken. Er war es gewohnt, dass Frauen sich sichtbar beeindruckt von seinem Auftreten zeigten. Sie hingegen zeigte keinerlei Reaktion. Sie wirkte überhaupt nicht eingeschüchtert von seiner Größe, seinem Ruf, seinem Geschlecht. Sie sah jung und schlank aus, ja sogar zerbrechlich, aber sie verhielt sich, als wäre sie so zäh wie ein starker Mann.

„Ich könnte Sie wegen Kidnapping verhaften lassen“, erklärte er.

„Aber Sie werden es nicht tun.“

„Warum nicht? Bestimmt nicht, weil ich zu ehrenwert bin.“

„Ich kann mir vorstellen, dass Sie reichlich schmutzige Tricks kennen, aber Sie wollen bestimmt nicht, dass diese Geschichte auf der Titelseite des Charlotte Observer erscheint.“

„Diese Zeitung ist mir völlig egal.“

„Das glaube ich Ihnen nicht.“

„Was Sie glauben, ist unwichtig. Da wir über meine Tochter reden, ist allein entscheidend, was ich glaube. Und falls Sie das nicht verstehen, kann ich es Ihnen von einem Richter erklären lassen.“

„Wen beabsichtigen Sie denn zu bemühen? Frank Emery? Der ist mein Patenonkel. Emily Anders ist eine Freundin meiner Mutter. Meine Brüder haben meines Wissens mit jedem anderen Richter in Charlotte zusammengearbeitet.“

„Wollen Sie damit sagen, dass die Richter bestechlich sind?“

Zu seiner Überraschung errötete sie. „Nein. Und es war falsch von mir, etwas Derartiges anzudeuten. Wir sollten uns setzen und in Ruhe reden. Kommen Sie doch mit ins Wohnzimmer.“

„Ich will nicht reden, und ich will mich nicht setzen.“

„Wenn Sie mich überzeugen wollen, dass Sie aus Sorge um Ihre Tochter um die halbe Welt geflogen sind, dann werden Sie sich setzen.“

„Warum sollte mich Ihre Meinung interessieren?“, hakte Ron nach.

„Weil sie Cynthia interessiert.“

Er wollte ihr nicht glauben, doch er fand keine andere Erklärung für Cynthias Anwesenheit in diesem Haus. Vielleicht war es besser, sich anzuhören, was Kathryn Roper zu sagen hatte. Nach dem Tod seiner Frau war es zunehmend schwierig für ihn geworden, mit seiner Tochter zu kommunizieren. Er konnte nicht nachvollziehen, wie sich das einst so liebenswerte, fügsame Mädchen in einen trotzigen, schmollenden Teenager hatte verwandeln können, der sich häufig sogar weigerte, die Mahlzeiten an einem Tisch mit ihm einzunehmen.

„Ich möchte gern etwas zu trinken“, sagte er.

„Gästen serviere ich keinen Alkohol.“

„Ich trinke keinen Alkohol. Ein Glas Wasser wäre schön.“

„Bin gleich wieder da.“

Ron blickte ihr nach, und der Anblick ihrer Kehrseite erweckte eine überraschende Reaktion in seiner Lendengegend. Seit Jahren war ihm so etwas nicht mehr passiert. Aber Kathryn war auch nicht zu vergleichen mit den Frauen, mit denen er geschäftlich zu tun hatte.

Ganz offensichtlich sah sie von oben auf ihn herab. Ein Grund mehr, böse auf sie zu sein. Doch es war ihm so gut wie unmöglich, zornig auf eine Frau zu sein, die ihn faszinierte. Wie sollte er sich auf ihre Unzulänglichkeiten konzentrieren, wenn ihr Körper ihn ablenkte?

Sie kehrte mit einem Glas Wasser zurück. Ihre Vorderseite war ebenso attraktiv wie die Rückseite. Zum Glück konnte sie seine Gedanken nicht erraten. Sonst hätte sie ihm das Wasser vermutlich ins Gesicht geschüttet.

Sie reichte ihm das Glas. „So, jetzt lassen Sie uns über Ihre Tochter reden.“

„Erzählen Sie mir, womit Sie sich beschäftigen“, forderte Ron sie auf. „Ich kann mir immer noch nicht erklären, wieso Cynthia sich an Sie gewendet hat.“

Sie schien es als persönliche Beleidigung aufzufassen. Doch ein Vater konnte schließlich nicht einfach davon ausgehen, dass sie qualifiziert war, sich um seine Tochter zu kümmern.

„Ich stelle dieses Haus als Obdach ledigen jungen Mädchen, die schwanger sind, zur Verfügung.“

„Und wovon unterhalten Sie dieses Haus?“

„Es gehört mir. Meine Tante hat es mir vererbt.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihre Nachbarn von Ihrer Tätigkeit begeistert sind.“ Wer zahlte schon gern über eine Million Dollar für ein vornehmes Haus, um neben einem Heim für schwangere Teenager zu leben?

„Nicht jedem gefällt, was ich tue, aber ich bin eine gute Nachbarin. Die Mädchen sind ruhig und benehmen sich anständig. Ich gestatte Männerbesuch nur von Verwandten oder den werdenden Vätern.“

„Wie viele Mädchen haben Sie hier?“

„Ich habe Platz für zehn, aber momentan sind nur vier hier.“

„Wer kümmert sich um sie, wenn Sie zur Arbeit sind?“

„Das hier ist meine Arbeit.“

„Das heißt, Sie besitzen ein Treuhandvermögen, das es Ihnen gestattet, nichts zu tun.“

„Ich habe ein Einkommen, das es mir gestattet, der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen.“

Das hatte er sich gleich gedacht. Eine reiche Frau, die nichts zu tun hatte und sich einbildete, den Mädchen eine unersetzliche Hilfe zu sein. „Wie erfahren die Mädchen von Ihnen? Machen Sie Werbung?“

Offensichtlich verärgert saß sie da, die Hände im Schoß verkrampft, den Rücken kerzengerade, die Knie zusammengepresst. „Sie hören von mir durch ihre Freunde oder Mädchen, die hier waren. Ich dränge sie immer, sich an ihre Eltern zu wenden. Ich bin stolz darauf, dass die meisten wirklich nach Hause zurückkehren. Zwei sind wieder hierhergekommen, aber die meisten stellen fest, dass ihre Angehörigen hilfsbereiter sind als erwartet. Die Mädchen fürchten vor allem, dass ihre Eltern sie hassen für das, was sie getan haben.“

„Sie können mir nicht einreden, dass Cynthia glaubt, ich würde sie hassen. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber sie …“

„Sie glaubt, dass Ihnen Ihre Arbeit wichtiger ist als sie.“

„Mein Beruf hält mich oft von zu Hause fern, aber nichts ist mir wichtiger als Cynthia. Was glauben Sie wohl, warum ich so viele Leute für ihre Fürsorge eingestellt habe?“

„Ich nehme an, sie wollte und brauchte Ihre Zeit und Aufmerksamkeit. Sie hat mir gesagt, dass sie hergekommen ist, weil sie nicht will, dass sie Ihnen in ihrem Zustand im Weg steht.“

Er konnte kaum fassen, dass Cynthia eine derart lächerliche Aussage gemacht haben sollte. „Cynthia würde mir nie im Weg stehen. Ich habe vier Leute engagiert, die sich um sie kümmern. Wenn sie etwas haben will, braucht sie es nur zu sagen.“

„Sie glaubt trotzdem nicht, dass sie Ihnen so wichtig ist wie Ihre nächste Fusionierung.“

„Natürlich ist sie das. Wenn sie will, kann sie mit mir in die Schweiz gehen, sobald die Schule vorbei ist.“

„Sie will hierbleiben. Sie will Ihnen oder dem werdenden Vater nicht zur Last fallen.“

„Wo finde ich den Jungen, der das getan hat?“

„Es gehört zu meinen Regeln, nie nach dem Namen des werdenden Vaters zu fragen und ihn nie zu enthüllen, selbst wenn ich ihn kenne.“

„Sie sind ein wahrer Ausbund an Tugend, wie?“

„Mein einziges Ziel ist, diesen Mädchen zu helfen. Ich will ihnen einen sicheren Aufenthaltsort bieten, wo sie ihre Ausbildung fortsetzen, ihre Babys bekommen und dann entscheiden können, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen wollen. Ich biete keine Dauerlösung, nur eine vorübergehende Zuflucht vor all dem Druck.“

„Das klingt alles sehr edel, aber was springt für Sie dabei heraus?“

„Wie bitte?“

„Niemand tut derartige Dinge ohne Entlohnung. Es muss einen Grund dafür geben, dass Sie Babysitter für schwangere Teenager spielen. Und es hat keinen Sinn, mich so finster anzustarren. Ich lasse mich nicht einschüchtern.“

„Ich auch nicht.“

„Gut. Dann beantworten Sie meine Frage. Warum tun Sie das alles?“

„Weil meiner Schwester so etwas passiert ist“, erwiderte sie zögernd. „Ich habe erlebt, welcher Schaden angerichtet wird, wenn die Situation schlecht gehandhabt wird.“

Es ist ihr selbst passiert, dachte er. Die Leute schoben traumatische Ereignisse immer auf Verwandte, Freunde oder Nachbarn ab.

Er musterte sie, wie sie so steif im Sessel ihm gegenübersaß, und sein Ärger schwand ein wenig. Es war bestimmt schwer für sie. Vermutlich durchlebte sie ihre Erfahrung jedes Mal erneut, wenn ein Mädchen sich an sie um Hilfe wandte. Die meisten Leute hätten Vergessen gesucht, aber sie besaß den Mut, ihre private Tragödie zum Wohl der Gemeinschaft zu nutzen. Das verdiente seine Bewunderung.

Er fragte sich, was aus dem Baby geworden sein mochte. Und was hatte Cynthia mit ihrem Baby vor? Nun erst wurde ihm bewusst, dass er werdender Großvater war, und dabei war er gerade erst vierzig geworden.

„Ich will Cynthia sehen.“

„Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass sie im Bett ist.“

„Und ich habe es gehört. Aber Sie glauben doch wohl nicht wirklich, dass ich einfach wieder gehe?“

„Es wäre besser, wenn Sie bis morgen warten würden.“

„Es wäre besser, wenn es nicht passiert wäre, aber es ist passiert, und ich werde mich um die Sache kümmern. Ich will jetzt meine Tochter sehen.“

Kathryn rührte sich nicht.

„Entweder Sie holen sie, oder ich tue es selbst. Es ist Ihre Entscheidung, aber ich lasse mich nicht abweisen.“

„Ich lasse nicht zu, dass Sie Cynthia anschreien oder zwingen, hier wegzugehen.“

„Ich hoffe, dass ich nicht schreien werde. Ich kann mir denken, dass sie bereits nervös ist, aber ich kann nichts versprechen. Wie würde es Ihnen gefallen, Ihr einziges Kind in der Obhut einer Fremden zu lassen?“

„Ich würde es nicht tun, aber Sie haben es ihr Leben lang getan.“

„Meine Arbeit macht es mir unmöglich, ständig zu Hause zu sein. Mein Personal kümmert sich seit über zehn Jahren um Cynthia.“

„Ich frage sie, ob sie herunterkommen möchte“, sagte Kathryn widerstrebend und verließ den Raum.

Ron war müde, aber zu aufgewühlt, um stillzusitzen. Er stand auf und wanderte im Raum umher. Ihm fiel auf, dass die Möbel sehr bequem und viel benutzt aussahen. Sie waren von einer zurückhaltenden Eleganz, die davon kündete, dass sie sehr teuer waren. Er kannte sich aus mit diesen Anzeichen des Wohlstands.

Gedankenverloren stellte er sein Glas in die Pralinenschale auf dem Tisch, um keine Wasserflecken auf der Glasplatte zu verursachen. Unwillkürlich fragte er sich, wie die Verhandlungen in Genf gelaufen sein mochten. Seine Kollegen Ted und Ben hatten gewiss überzeugend dargelegt, warum die beiden Firmen unter einem neuen Management besser dastehen würden. Doch er hatte nie zuvor Verhandlungen jemand anderem überlassen. Sein Ruf gründete sich zum Teil darauf, dass er sich persönlich um jedes Detail kümmerte. Nun fragte er sich, wie sich seine Abwesenheit auf sein Image auswirken würde.

Nun, am nächsten oder übernächsten Tag wollte er wieder in Genf sein. Er konnte im Flugzeug schlafen, falls ihn die Sorge um Cynthia nicht wieder wach hielt. Die „Fusionierung“ mit ihr würde schwierig werden, denn dabei ging es nicht um Geld und Papierkram, sondern um Menschen. Man musste einen Weg finden, beide Parteien auf eine gemeinsame Ebene zu bringen. Niemand verstand sich besser darauf als er. Damit hatte er sich von einem mittellosen Jungen zu einem steinreichen Mann emporgearbeitet.

Er war ein Experte darin, Menschen zu analysieren, ihre Motivation zu ergründen, sie auf seine Seite zu ziehen. Warum hatte er bei seiner eigenen Tochter derart versagt? Warum hatte sie sich an eine Fremde statt an ihn gewandt? Warum fürchtete sie sich vor ihm? Und wie hätte er reagiert, wenn sie zu ihm gekommen wäre?

Die Tür öffnete sich, und Kathryn kehrte zurück. Cynthia folgte ihr.

Ron fühlte sich, als würde er eine Fremde erblicken. Sie hatte sich Jeans und ein T-Shirt angezogen und die langen dunkelblonden Haare gekämmt. Nichts kündete von dem trotzigen Zorn, mit dem sie ihm das letzte Mal begegnet war. Sie blickte ihm mit einer neuen Gemütsruhe entgegen. Nur das Zucken ihrer Zehen – sie war barfuß – verriet einen Anflug von Unbehagen.

Ihm war bisher nicht bewusst geworden, wie sehr ihre Ähnlichkeit mit ihrer Mutter gewachsen war. Für ihn war sie sein kleines Mädchen geblieben. Ihm war entgangen, dass sie erwachsen geworden war. Und nun steckte sie in Schwierigkeiten, und er musste ihr irgendwie helfen.

„Warum bist du gekommen?“, fragte sie. „Ich will dich nicht hier haben.“

„Ich bin dein Vater.“

„Ich bin sechzehn.“

„Ich bin trotzdem dein Vater. Margaret hätte die Polizei eingeschaltet, wenn wir nicht bald von dir gehört hätten. Ich hätte dich vom FBI suchen lassen. Du hättest mir sagen sollen, dass du Probleme hast.“

„Du kannst nichts daran ändern.“

„Ich hätte versucht, dir zu helfen.“

„Ich brauche deine Hilfe nicht. Ich komme allein klar.“

Trotz ihrer zuckenden Zehen wirkte sie nicht verängstigt oder trotzig. Es schien beinahe, als wäre er ein Hindernis, das sie beseitigen wollte.

„Wann wolltest du mir von dem Baby erzählen?“

Sie antwortete nicht.

„Wie wolltest du es geheim halten?“

„Ich bleibe bis nach der Geburt hier. Ich muss nicht mehr zur Schule gehen. Hier gibt es Hauslehrer. Ich kann meinen Hauptschulabschluss hier machen.“

Er hatte Tausende von Dollar bezahlt, um sie in die beste Privatschule in Charlotte zu schicken, und sie sprach von einem Hauptschulabschluss! Wusste sie wirklich nicht, wie wichtig es war, die richtige Schule zu besuchen?

„Darüber reden wir noch. Geht es dir gut? Du siehst blass aus.“

„Weil ich schwanger bin. Mrs. Collias macht uns besonderes Essen für Schwangere. Sie sorgt dafür, dass das Baby genug kriegt und ich trotzdem nicht fett werde.“

„Alle werdenden Mütter nehmen zu.“ Seine Frau hatte zwanzig Kilo zugenommen und innerhalb weniger Monate wieder verloren.

„Wenn ich fett werde, werde ich es nie wieder los.“

Ron konnte nicht nachvollziehen, wie das Gespräch auf etwas so Triviales gekommen war. Er hatte beinahe vergessen, dass Kathryn noch immer im Raum war. Sie saß bei der Tür und blätterte in einer Zeitschrift. Offensichtlich wollte sie ihn nicht mit seiner Tochter allein lassen, aber zumindest verhielt sie sich diskret und tat so, als würde sie nicht zuhören.

„Was ist mit deinem Freund? Dem Vater des Babys.“

„Er weiß es nicht.“

„Du musst es ihm sagen.“

„Nein. Es ist mein Baby. Außerdem will ich nicht sein Leben auch noch ruinieren.“

„Es wird dein Leben nicht ruinieren.“

„Ich bin ein schwangerer, lediger Teenager“, entgegnete Cynthia heftig. „Daran kann dein Geld nichts ändern.“

„Du musst es ihm trotzdem sagen. Es ist genauso sein Baby wie deins. Er hat das Recht, es zu erfahren.“

„Hat er nicht.“

„Er wird es sich bestimmt denken, wenn du nicht zur Schule zurückgehst.“

„Ich habe allen erzählt, dass wir nach Connecticut ziehen.“

Ron wusste, dass es selbst dann kein Geheimnis bleiben würde, aber damit wollte er sich später befassen. „Geh deine Sachen holen. Ich bringe dich nach Hause.“

Cynthia wich zurück. Ihre Miene änderte sich, sodass sie plötzlich weniger wie ein Kind und mehr wie eine Frau wirkte. „Ich gehe nicht nach Hause. Ich bleibe hier.“

„Warum?“

„Das habe ich doch gerade gesagt“, entgegnete sie ungehalten. „Ich will nicht, dass es jemand erfährt.“

„Sie werden es sowieso erfahren.“

„Nicht, wenn ich hierbleibe und du wieder in die Schweiz fliegst. Alle werden glauben, dass wir wirklich nach Connecticut gezogen sind. Ich habe erzählt, dass wir das Haus und das Personal behalten für den Fall, dass es uns dort nicht gefällt. Ich habe gesagt, dass ich nicht wegziehen will, aber dass du wegen deiner Geschäfte näher bei New York sein musst.“

„Warum willst du nicht mit nach Hause? Wir können uns beide richtig ausschlafen und morgen einen Plan machen.“

„Wofür denn?“

„Alles wird sich ändern.“

„Das weiß ich. Ich bin doch nicht blöd.“

„Das habe ich nie gesagt. Aber selbst intelligenten Menschen fällt es manchmal schwer, eine ungewohnte Situation zu durchdenken. Es gibt so viele Dinge, die du in deinem Alter nicht wissen kannst.“

„Wenn du auch nur einmal sagst, dass ich es nicht verstehe, weil ich zu jung bin, dann gehe ich sofort.“

„Du kannst es nicht verstehen“, entgegnete Ron. „Nicht nur, weil du zu jung bist, sondern weil es deine Erfahrung übersteigt. Deine Mutter und ich haben es auch nicht verstanden, obwohl wir dich drei Jahre geplant hatten.“

„Alter und Erfahrung haben nichts damit zu tun. Du bist seit sechzehn Jahren Vater und verstehst trotzdem nichts von Kindern.“

„Ich verstehe nicht, warum es dich mehr aufregt, dass deine Freunde es erfahren könnten, als die Schwangerschaft selbst. Ich dachte, du wärst halb hysterisch und würdest mich anflehen, dir zu einer Abtreibung zu verhelfen.“

„Das würde ich nie tun! Ich will das Baby. Ich brauche es.“

„Cynthia, du bist gerade erst sechzehn geworden. Wie kannst du ein Baby brauchen?“

„Ich durfte nie eine Katze haben. Ich habe ewig darum gebettelt, aber du wolltest nicht.“

„Ich bin allergisch gegen Katzen. Das weißt du doch.“

Sie ging zur Tür. „Ich hätte sie in meinem Zimmer behalten. Da kommst du nie rein. Ich hätte mich ganz allein darum gekümmert“, erklärte sie mit Tränen in den Augen und lief hinaus.

Ron wandte sich an Kathryn, die während des gesamten Gesprächs stumm in der Zeitschrift geblättert hatte. Nun blickte sie ihn mitleidig an.

„Was ist?“, fragte er ein wenig ungehalten. „Warum sehen Sie mich so an?“

„Sie verstehen sie überhaupt nicht, oder?“

„Sie etwa?“

„Natürlich.“

„Hat sie Ihnen etwas erzählt, wovon ich nichts weiß?“

„Nicht ausdrücklich.“

„Wie wäre es, wenn Sie es so ausdrücken, dass es ein armer, dummer Mann verstehen kann?“

Sie stand auf und kam zu ihm. Sie war wirklich sehr hübsch und hatte eine wundervolle Figur. Es fiel ihm schwer, sich auf seine Tochter zu konzentrieren, während sein Körper so heftig auf diese Frau reagierte. Warum war sie nicht verheiratet? Was stimmte nicht mit den ledigen Männern in Charlotte, dass sie allein blieb und sich um die Kinder anderer kümmerte?

„Cynthia wollte etwas für sich allein haben, das sie lieben kann und das sie liebt“, erklärte Kathryn.

„Ich habe ihr angeboten, ihr einen Hund zu kaufen, aber sie wollte keinen.“

„Haben Sie ihr trotzdem einen besorgt?“

„Nein.“

Sie seufzte schwer.

„Was ist denn jetzt wieder?“, hakte er frustriert nach.

„Sie hätte den Hund angenommen.“

„Sie hat gesagt, dass sie keinen will, dass sie ihm nicht mal einen Namen geben würde.“

„Sie hätte ihn genommen und wäre glücklich geworden. Sie sollten mal die Frauen konsultieren, die sich um Ihre Tochter kümmern, und ihnen mehr Handlungsfreiraum einräumen.“

„Margaret ist befugt, alles zu kaufen, was Cynthia braucht.“

„Cynthias Wunsch nach einer Katze war ein Hilferuf. Sie wollte mehr Aufmerksamkeit, als sie bekommt.“

„Alle Jungen wünschen sich einen Hund. Wenn sie keinen bekommen, machen sie deswegen nicht ein Baby.“

„Sie verstehen Frauen nicht.“

„Das weiß ich.“

„Und Sie verstehen Ihre Tochter nicht.“

„Das weiß ich auch.“

„Ich nehme an, Sie haben sich bemüht.“

„Wie hochherzig von Ihnen.“

„Sie waren wahrscheinlich zu sehr mit Ihrer Arbeit beschäftigt, um sich die Zeit zu nehmen, ihr zuzuhören.“

„Ich höre ihr dauernd zu.“

„Mag sein, aber es dringt nicht zu Ihnen durch. Sie sind unempfänglich für Frauensachen. Sie müssen mehr Zeit aufbringen …“

„Ich habe nicht mehr Zeit“, unterbrach Ron. „Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie hart es auf dem internationalen Markt zugeht? Tagtäglich taucht irgendein neues Genie aus dem Nichts auf, das nur so übersprudelt von Ideen und das, was ich tue, schneller und billiger tun kann.“

„Ich bin mit der Geschäftswelt vertraut. Mein Vater hat sein ganzes Leben darin zugebracht, und er ist genau wie Sie.“

„Wollen Sie damit sagen, dass es hoffnungslos ist?“

„Nicht, wenn Sie bereit sind, sich wirklich zu bemühen. Wenn Sie es nicht tun …“

„Wäre ich sonst um die halbe Welt hierhergeflogen?“

Das Argument schien sie zu akzeptieren. Sie wandte sich ab und ging zu einem Bücherregal. „Ich kann Ihnen mehrere ausgezeichnete Bücher empfehlen.“

„Ich habe keine Zeit zu lesen.“

Mit ungehaltener Miene drehte sie sich zu ihm um. „Wie wollen Sie dann lernen, empfänglich für die Gefühle Ihrer Tochter zu werden? Sie brauchen Training.“

„Dann trainieren Sie mich.“

„Ich bezweifle, dass ich das kann.“

„Das kann doch nicht so schwer sein. Ich bin gescheit, ich bin willig, und ich bin bereit, sofort anzufangen.“

2. KAPITEL

„Ist wirklich alles glatt gelaufen?“

Ron hatte Ted angerufen, sobald er zu Hause eingetroffen war. In Genf war es kurz nach sieben Uhr morgens und somit Zeit, sich für den zweiten Verhandlungstag vorzubereiten. Ihm hingegen fehlte Schlaf, bereits mehr als sechs Stunden.

„Lord Hradschin ist für die Fusion“, erwiderte Ted. „Der alte Pirat liebt Geld über alles.“

Zu Beginn der Verhandlungen waren eigentlich keine großen Schwierigkeiten zu erwarten. Hauptsächlich mussten die Pläne für die Fusionierung, die Kostenberechnungen für die erforderliche Umstrukturierung und die Höhe des zu erwartenden Mehrgewinns dargelegt werden. Aber verstanden Ted und Ben sich darauf, die Verhandlungspartner richtig einzuschätzen, Schwierigkeiten zu antizipieren und die entscheidenden Gegenargumente vorzubringen? Das war immer Rons Aufgabe gewesen.

„Geh nicht zum zweiten Punkt über, solange du nicht völlig sicher bist, dass alle den ersten verstanden haben“, riet er. „Sonst wird es nachher nur schlimmer.“

Er hatte inzwischen den Plan verworfen, bereits an diesem Morgen nach Genf zurückzukehren. Irgendetwas war mit ihm geschehen, als Cynthia in Tränen aufgelöst aus dem Raum gerannt war. Diesmal ging es um mehr als einen Wutausbruch oder einen Anfall von Trotz. Sie war tief verletzt, und er hatte keine Ahnung, wie er das ändern sollte.

„Ruf mich an, falls es Probleme gibt … Nein, ich weiß noch nicht, wann ich komme. In ein paar Tagen. Du wolltest doch schon längst eine Chance, eine Sache allein durchzuziehen. Also, mach das Beste daraus.“

Er legte den Hörer auf und fiel auf das Bett, ohne sich auszuziehen. Dann traf ihn die allerwichtigste Frage.

Hatte er es mit Cynthia derart verdorben, dass sie ihm keine zweite Chance mehr geben wollte?

Er hoffte nicht. Bisher waren sie immer ohne größere Reiberein miteinander ausgekommen. Er konnte es kaum erwarten, den Jungen in die Finger zu bekommen, der sie geschwängert hatte. Denn nach seiner Erfahrung war es immer der Junge, der so auf Sex brannte, dass er die Konsequenzen vergaß.

„Will Daddy sich wirklich von dir beibringen lassen, Frauen zu verstehen?“, erkundigte Cynthia sich während des Frühstücks.

„Das hat er gesagt“, erwiderte Kathryn. „Aber vielleicht ist er zu sauer auf mich, um auf mich zu hören.“

„Auf dich kann bestimmt kein Mann sauer sein“, wandte Lisette ein, während sie reichlich Ahornsirup auf ihren Toast löffelte. „So hübsch wie du bist.“

„Mein Dad achtet nie auf Frauen, nicht mal auf so hübsche wie Kathryn“, entgegnete Cynthia. „Früher habe ich immer gedacht, es läge daran, dass er nach dem Tod meiner Mutter keine andere Frau lieben kann.“

Kathryn konnte sich nicht vorstellen, dass ein so gut aussehender, vitaler Mann wie Ron Egan Frauen ignorierte. Er wurde gewiss nicht ignoriert.

„Wie romantisch“, schwärmte Lisette.

„Jetzt denke ich, dass es daran liegt, dass er nie eine Frau so lieben wird wie seine Arbeit.“

„Aber er ist doch reich“, wandte Lisette ein. „Alle reichen Männer mögen schöne Frauen, und er ist nicht mal uralt und dick und glatzköpfig. Ich wette, er ist noch keine fünfzig.“

Kathryn lachte. „Fünfzig ist doch nicht uralt. Warte ab, bis du so weit bist.“

„Ich will nicht fünfzig werden. Ich will sterben, wenn ich noch jung und schön bin, genau wie Prinzessin Diana.“

„Tja, ich habe die dreißig überschritten und kann nur sagen, dass ich weit über fünfzig werden möchte. Und ich habe nicht vor, eine alte Jungfer zu werden.“

„Natürlich nicht.“ Grinsend steckte Lisette sich die Vitamintablette von ihrem Teller in den Mund und spülte sie mit einem halben Glas Orangensaft hinunter. „Du kannst dir jede Schönheitsoperation leisten, die du willst.“

„Würdest du dich operieren lassen?“, fragte Julia.

„Ich hoffe, in Würde zu altern.“

„Warum das denn, wenn du jung und hübsch aussehen könntest?“, hakte Lisette nach.

„Weil mein Mann mich als Gefährtin ansehen soll und nicht als Hohlkopf, den nur Äußerlichkeiten interessieren. Ich will jede Phase meines Lebens auskosten, jedes Alter ehrlich durchleben.“

„Kerry will nicht, dass ich alt aussehe“, erklärte Lisette. „Er will, dass ich so hübsch wie nur möglich bin. Ich will tolle Kleider tragen und zu Partys gehen und dass die Männer sich nach mir umdrehen, wenn ich vorbeigehe.“

Kathryn seufzte im Stillen. Jemand hätte Mutter Natur erklären sollen, dass manche Mädchen ungeachtet ihres Alters zu unreif waren, um Kinder zu bekommen. Lisette müsste ganz oben auf dieser Liste stehen.

Bevor sie sich zu Lisettes Einstellung äußern konnte, klingelte es an der Tür.

„Das ist Kerry“, verkündete Lisette, während sie aufsprang und aus dem Zimmer lief.

„Glaubst du, dass ihre Eltern sie heiraten lassen?“, fragte Julia. „Sie sind verrückt nacheinander.“

„Das hängt davon ab, was Kerrys Vater sagt, wenn er zurückkommt.“

„Wo ist er denn?“

„Auf Geschäftsreise. Niemand weiß, wann er kommt.“

„Mein Dad war auch auf Geschäftsreise, aber er ist sofort gekommen“, verkündete Cynthia mit einer Mischung aus Stolz und Zorn.

Kathryn schloss daraus, dass Cynthia ihren Vater sehr lieb hatte, aber momentan nicht gerade gut auf ihn zu sprechen war.

Niedergeschlagen kehrte Lisette in die Küche zurück. „Es ist Cynthias Vater. Er hat gesagt, dass er wegen des Unterrichts gekommen ist.“ Sie schnitt eine Grimasse. „Sei mir nicht böse, Cynthia, aber der Mann ist nicht normal. Es ist Samstag, aber er hat Anzug und Krawatte an.“

Kathryn verspürte ein unbehagliches Flattern in der Magengegend. „Ich habe ihn nicht so früh erwartet. Ich war mir nicht mal sicher, ob er überhaupt kommt.“

„Wenn mein Vater etwas verspricht, dann hält er es auch“, erklärte Cynthia in einem Ton, der Missfallen verriet.

„Tut er immer alles in Anzug und Krawatte?“, wollte Julia wissen.

„Ich habe ihn noch nie in was anderem gesehen, wenn er nicht zu Hause ist.“

Kathryn lag auf der Zunge, dass dieses Gebaren total veraltet war, aber sie fühlte sich auch geschmeichelt, dass er sich solche Mühe mit seiner Erscheinung gegeben hatte. „Ich muss jetzt gehen. Esst euer Frühstück auf. Gute Nahrung ist jetzt extrem wichtig für euch.“

Ron wandte sich vom Fenster ab, als Kathryn eintrat. Es war noch nicht einmal acht Uhr am Samstagmorgen, doch er sah aus wie ein Dressman. Dennoch war es töricht, sich wie ein Teenager beim ersten Date zu fühlen.

„Sie sind früher gekommen, als ich erwartet hatte“, verkündete sie.

„Ich will es hinter mich bringen, damit ich nach Genf zurückkehren kann“, erwiderte er. „Ich habe meinen Assistenten sehr schwierige Verhandlungen überlassen.“

Am liebsten hätte sie ihn gefragt, warum er sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, nach Hause zu kommen. „In Genf gibt es viele Leute, die qualifizierter sind als ich, Ihnen beim Sensitivitätstraining zu helfen. Ich kann Ihnen jemanden empfehlen. Ich weiß nicht, ob heute von hier aus ein Flug nach Genf geht, aber von Atlanta oder New York …“

„Wer sagt denn, dass ich heute zurückfliegen will?“

„Ich habe Ihre Bemerkung so interpretiert.“

„Dann haben Sie es falsch interpretiert.“ Er setzte sich auf das Sofa. „Also, bringen wir es hinter uns. Ich will mit Cynthia reden, und ich will sensitiv genug sein, um zu verstehen, wie sie in so eine Klemme geraten konnte.“

Kathryn lachte laut auf. Sie wusste nicht, warum. Die Situation war alles andere als witzig, aber sie konnte nicht aufhören.

„Worüber lachen Sie denn?“

„Ich habe kein Zaubermittel wie Achilles’ Mutter, das ich über Sie gießen könnte.“

„Sie hatte kein Mittel“, entgegnete Ron. „Sie hat ihn an der Ferse gehalten und in den Fluss Styx getaucht.“

„Entschuldigung. Ihr Wissen ist beeindruckend.“

„Ich interessiere mich eben für Mythologie.“

Das hatte sie nicht erwartet, aber sie traute ihm zu, dass er sich mit den göttergleichen Wesen der Antike verglich. „Mich reizt mehr die englische Literatur des frühen neunzehnten Jahrhunderts.“

„Die Periode der Romantik.“

„So könnte man es nennen, obwohl dieser Begriff eher auf die Poesie angewandt wird.“

„Wo würden Sie denn die Brontës einordnen?“, entgegnete er, doch dann wurde ihm bewusst, dass es nichts zur Sache tat. „Aber ich bin nicht gekommen, um über Mythologie oder Literatur zu diskutieren.“

„Sie sind gekommen, um in einer einzigen leichten Lektion sensitiv zu werden.“

„Ich erwarte nicht, dass es leicht wird.“

„Gut. Sie können damit anfangen, mich nicht so finster anzusehen. Sie müssen empfänglich für die Gefühle anderer werden, und solange Sie mir zürnen, sind Sie zu sehr damit beschäftigt, Gefühle zu projizieren, um welche empfangen zu können.“

„Ich zürne Ihnen nicht.“

„Sehen Sie sich doch mal Ihren Gesichtsausdruck an“, sagte sie und deutete zu einem Spiegel mit verziertem Goldrahmen an der Wand.

Zögernd stand er auf. „Was ist denn an meinem Ausdruck auszusetzen?“

„Sie sehen aus, als wollten Sie jemanden zur Schnecke machen.“

„So sehe ich immer aus.“

„Dann wird es höchste Zeit, das zu ändern. Lächeln Sie doch mal.“

Er versuchte es, doch es wirkte eher wie eine Grimasse.

„Ich möchte ein richtiges Lächeln sehen. Stellen Sie sich einfach vor …“

„Ich weiß selbst, was ich mir vorstellen muss.“

Sein Lächeln wirkte brillant, warm und charmant. Es verwandelte ihn in eine noch attraktivere Person. Sie wandte sich von seinem Spiegelbild ab. „Okay, Sie können also richtig lächeln. Jetzt wollen wir mal sehen, wie Sie sitzen.“

Er setzte sich auf die Stuhlkante und beugte sich eindringlich vor. „Entspannen Sie sich. Sie sehen aus, als wollten Sie jeden attackieren, der Ihnen widerspricht, oder als ob Sie so sehr darauf brennen zu sprechen, dass Sie nicht zuhören wollen.“

„Ich muss die Leute davon überzeugen, dass sie die beste Entscheidung treffen, wenn sie mein Angebot annehmen.“

„Und wenn sie es nicht tun?“

„Dann bleibe ich am Ball.“

„Warum?“

„Weil ich es nicht ausstehen kann, wenn Leute dumme Entscheidungen treffen.“

„Und wenn ich Ihnen sage, dass Ihre Einstellung zu Cynthia und ihrer Situation falsch ist?“

„Ich würde sagen, dass Sie verrückt sind.“

„Solange Sie so empfinden, werden Sie nie Verständnis für sie aufbringen. Sie muss spüren, dass Sie ihr nicht zürnen, sie nicht verurteilen und sie vor allem immer noch lieb haben.“

„Natürlich habe ich sie lieb. Aber ich bin keineswegs froh darüber, dass sie mit sechzehn schwanger geworden ist, und ich freue mich nicht darauf, den geilen Jungen kennenzulernen, der dafür verantwortlich ist.“

„Mr. Egan, so etwas dürfen Sie ihr nicht sagen.“

„Warum nicht?“

„Weil es ihr beweisen würde, dass Sie ihre Gefühle nicht verstehen.“

„Das tue ich ja auch nicht.“

„Das müssen Sie eben ändern.“

Einen Moment schwieg er nachdenklich. „Und wie soll ich das anstellen?“

„Sie können damit anfangen, Cynthia zu fragen, wie sie empfindet, welche Zukunft sie für sich und ihr Baby sieht. Sie müssen nicht mit ihr übereinstimmen, aber Sie müssen ihr das Gefühl geben, dass Sie sie nicht verurteilen. Und wenn Sie eine Entscheidung treffen, muss sie das Gefühl haben, dass Sie ihre Wünsche über Ihre eigenen stellen.“

„Sie ist erst sechzehn. Sie weiß nicht, was für sie am besten ist.“

„Dann müssen Sie ihre Einstellung beeinflussen, ohne dass es ihr bewusst wird.“

„Das kann ich nicht.“

„Ist es nicht das, was Sie in Ihrem Beruf tun? Die Leute überzeugen, dass Ihr Weg der richtige ist?“

„Ich verschwende keine Zeit damit, sie in dem Glauben zu lassen, dass sie recht haben. Ich widerlege ihre Konzepte von Anfang an so gründlich, dass sie nicht anders können, als nach einem anderen Ausweg zu suchen.“

„Vielleicht hätten Sie sich mehr mit Ihrer Frau befassen sollen.“

„Erin hat mich nie darum gebeten. Ihr war mein beruflicher Erfolg ebenso wichtig wie mir.“

„Ich glaube nicht, dass es für Cynthia so wichtig ist.“

„Was dann?“

„Sie.“

„Sie besucht die beste Schule, wir leben in einem schicken Haus im vornehmsten Viertel, und sie hat vier Personen um sich, die dafür bezahlt werden, ihr alles zu geben, was sie braucht. Was kann ich sonst noch für sie tun?“

„Mehr zu Hause sein. Ihr das Gefühl geben, dass sie wichtiger ist als Ihre Arbeit.“

„Meine Arbeit war mir nie so wichtig wie Cynthia!“

„Warum sind Sie dann in der Schweiz?“

„Weil es mein Job ist.“

„Sind Sie sicher, dass es Ihnen nicht um mehr Geld, um mehr Macht geht?“

Er presste die Lippen zu einer zornigen Linie zusammen. „Was verstehen Sie von Geschäften?“

„Nicht so viel wie Sie, aber mein Vater ist Geschäftsmann und nie zu Hause. Keines seiner vier Kinder glaubt, dass wir oder unsere Mutter so wichtig sind wie seine Arbeit.“

Lange musterte er sie nachdenklich. „Nun gut, was schlagen Sie also vor?“

„Sie könnten sich beurlauben lassen. Sie haben sogar genug Geld, um sich ganz zur Ruhe zu setzen.“

„Und den ganzen Tag nur herumsitzen und Verständnis für meine Tochter und einen Jungen aufbringen, dem ich nie begegnet bin?“

„Das ist ein guter Anfang. Cynthia ist offensichtlich nicht so materialistisch eingestellt wie Sie. Sie müssen versuchen, die Welt von ihrem Standpunkt aus zu betrachten.“

„Haben Sie Ihren Vater je gefragt, warum er so viel arbeitet?“

„Ja.“

„Was hat er geantwortet?“

„Für seinen Selbstrespekt.“

„Haben Sie das verstanden?“

„Nicht wirklich.“

Abrupt sprang er auf. „Sagen Sie Ihrem Personal, dass Sie ein paar Stunden außer Haus sind.“

„Ich kann hier nicht weg.“

„Sie wollen mir doch beibringen, sensitiv zu sein, oder? Das können Sie nur, wenn Sie meine Gefühle verstehen, und dazu will ich Ihnen etwas zeigen, wovon Sie nichts wissen.“

„Wohin wollen Sie denn?“

„An einen Ort, an dem Sie bestimmt noch nie waren.“

3. KAPITEL

Kathryn war noch nie in einem so eleganten Wagen gefahren wie in Rons Bentley, der vermutlich mehr als dreihunderttausend Dollar gekostet hatte. Und sie war sicher, dass dieses Auto noch nie durch diese Gegend gekommen war, ebenso wie sie selbst.

Sie hatten Charlotte hinter sich gelassen und fuhren in südlicher Richtung durch ein ländliches Gebiet mit kleinen Farmen. Schließlich bog er von der Straße ab und fuhr an einem Waldsee vorbei zu einem Campingplatz.

Ron hielt vor einem kleinen Wohnwagen an, der verwahrlost und verrostet aussah. „Hier bin ich aufgewachsen.“

„Wohnt noch jemand darin?“

„Nein. Er gehört immer noch mir.“

„Warum?“

„Damit ich nie vergesse, woher ich komme.“

Kathryn blickte sich um. Wäsche hing auf Leinen, Kinder spielten in der Frühlingssonne in nichts als schmutzigen Unterhosen, zwei Frauen sahen müde und abgearbeitet aus, und ein Hund schlief in der Sonne. Es erschien ihr wie das Szenario aus einem Schwarzweißfilm der fünfziger Jahre.

„Hier habe ich gelebt, bis ich vierzehn war“, sagte Ron. „Mit zehn fing ich an, es hier zu hassen.“

„Was ist denn passiert?“

„Wir wurden zur Verhinderung von Rassentrennung mit Schulbussen in andere Schulbezirke geschickt. Ich landete in einem wohlhabenden weißen Viertel, wie ich es nur aus dem Fernsehen kannte. Ich kam nach Hause und erzählte meinen Eltern davon, aber denen war es egal, dass ich keinen Wintermantel und nur Schuhe mit Löchern in den Sohlen besaß, solange sie genug Alkohol hatten. Die reichen Kinder besaßen so viel Zeug, dass sie keinen Überblick mehr hatten. Von der Fundstelle bekam ich einen Mantel und sogar ein Paar Schuhe in meiner Größe.“

Er klang, als spräche er von einer anderen Person, aber sie wusste, dass er den verrosteten Wohnwagen nicht behalten hätte, wenn er nicht mehr darunter gelitten hätte.

„Als ich von einem der reichen Jungen hörte, dass das Internat in Charlotte Stipendien an kluge Kinder vergibt, beschloss ich, eins zu bekommen. Meine Eltern wollten nicht, dass ich mich mit den reichen Kindern abgebe. Sie meinten, das würde mich zu einem Snob machen.“

„Ich nehme an, Sie haben das Stipendium erhalten.“

Er nickte. „Aber ich bekam von meinen Klassenkameraden nicht die Anerkennung, die ich mir erhofft hatte. Ich blieb ein Wohnwagenkind, und ich war übergewichtig, trug eine dicke Brille und war der Gescheiteste aus der Klasse. Daher blieb mir Zeit, hart zu lernen, um ein Stipendium fürs College zu gewinnen.“

„Yale und Harvard. Ihre Eltern müssen sehr stolz auf Sie gewesen sein.“

„Meine Eltern hätten zu meinem Examen kommen sollen. Ich war der Abschiedsredner. Sie sollten sehen, was ich geleistet hatte. Ich wollte, dass sie stolz auf mich sind.“ Seine Stimme verriet, dass er heftige Gefühle zu unterdrücken versuchte. „Stattdessen haben sie sich von einem Freund überreden lassen, saufen zu gehen. Sie wurden getötet, als er auf der Flucht vor der Polizei die Kontrolle über sein Auto verlor.“

„Das tut mir leid“, murmelte sie betroffen.

„Schon gut. Ich glaube nicht, dass ihnen meine Leistungen etwas bedeutet hätten.“

„Bedeuten sie Ihnen deshalb so viel?“

Er drehte sich zu ihr um. „Sie können nicht verstehen, was mich antreibt, weil Sie immer alles hatten – Schönheit, Geld, Anerkennung.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

Ron nahm einen Umschlag aus dem Handschuhfach und zog ein Foto heraus. „Das bin ich mit sechzehn – fett und bebrillt.“ Er holte ein zweites Bild hervor.

Zu ihrer Überraschung war es ein Foto von ihr bei ihrem Abschlussball. „Woher haben Sie das?“

„Aus den Zeitungsarchiven.“ Er zeigte ihr zwei weitere Fotos. „Das bin ich mit achtzehn, als ich im Imbiss gearbeitet habe. Und das sind Sie.“

Das Foto war aufgenommen worden, als eine Gruppe aus ihrem Internat zum Schüleraustausch nach Frankreich geschickt worden war.

„Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich Vorteile genossen habe, die andere nicht hatten.“

„Das verlange ich auch nicht. Ich sage nur, dass Sie nicht wissen, wie es ist, arm zu sein, nicht vernünftig ernährt zu werden, keine warme Kleidung zu haben, keine Weihnachtsgeschenke zu kriegen. Noch schlimmer ist es, ignoriert zu werden und zu wissen, dass es niemanden kümmern würde, wenn man nicht da wäre. Das geht einem wirklich nahe. Sie sind Ihr Leben lang akzeptiert worden. Ich musste mir Anerkennung verdienen. Nun, niemand wird Cynthia ignorieren. Dafür werde ich sorgen.“

Allmählich begriff sie, dass es ihm wirklich nicht um Geld ging. „Aber sie fühlt sich ignoriert – von Ihnen.“

„Ich habe immer alles für sie getan, was ich konnte.“

„Sie bezahlen andere dafür, das zu tun. Sie hätte es lieber von Ihnen persönlich bekommen.“

Nach einem unbehaglichen Schweigen nahm sie ein Foto von ihm zur Hand. „Sie sehen jetzt ganz anders aus. Wie haben Sie das geschafft?“

Er grinste. „Ich hatte einen späten Wachstumsschub, habe meinen Babyspeck verloren, Sport getrieben und mir Kontaktlinsen zugelegt.“

„Keine Hormone oder andere Pillen?“

„Nur vernünftige Ernährung und Körperertüchtigung.“

Sie lächelte. „Und Schuhe ohne Löcher.“

Er erwiderte das Lächeln. „Und zwar nicht von der Fundstelle.“

„War es schwer, mit Stipendium zu studieren?“, erkundigte sie sich, denn sie wusste von ihrer Schulzeit, dass diese ärmeren Studenten sich gewöhnlich ausgeschlossen und unerwünscht fühlten, weil die reicheren sie von oben herab behandelten.

„Ich habe es gehasst, dass man mir keine Chance gab, mich einzufügen. Vom ersten Tag an habe ich mir geschworen, eines Tages so erfolgreich zu sein, dass niemand mich ignorieren kann.“

Das war ihm gewiss gelungen. Im vergangenen Jahr hatte er es auf die Titelseite mehrerer Wirtschaftsmagazine gebracht, und im Charlotte Observer war ein Leitartikel über ihn erschienen. „Inzwischen weiß jeder, wer Sie sind.“

„Aber viele akzeptieren mich nicht, obwohl ich ihre Schulen besucht und mit ihnen Football gespielt habe. Ich habe das nötige Geld, aber nicht den Stammbaum.“

„Nicht alle Familien besitzen einen Stammbaum, den ich haben möchte.“

„Er muss nicht gut sein, sondern nur bekannt. Cynthia wird einen haben, wenn auch einen kurzen.“

„Vielleicht will sie nicht dieselben Dinge wie Sie.“

„Mag sein, aber sie will bestimmt kein Niemand sein.“

Sie verspürte Mitgefühl. Seine Eltern waren gestorben, ohne ihm die benötigte Liebe und Anerkennung zu zollen. Auch seine Frau war gestorben, bevor er sich einen Namen in der Geschäftswelt gemacht hatte. Cynthia war zu jung, um seine Leistungen würdigen zu können. Daher hatte er sich an die Öffentlichkeit gewandt, um dort Anerkennung zu finden.

Doch sosehr sie mit Ron fühlte, durfte sie nicht außer Acht lassen, dass ihre primäre Sorge Cynthia galt. Ron war hart. Er hatte bewiesen, dass er auf sich selbst aufpassen konnte. Cynthia hatte bewiesen, dass sie es nicht konnte.

„Gehen wir“, sagte er. „Wir fallen zu sehr auf.“

Kein Wunder, dass ein so teures Gefährt auf einem schäbigen Campingplatz Aufsehen erregte.

Er fuhr zurück zum See und hielt an einem Plankenweg an. Sie stiegen aus. Die Brise vom Wasser war erfrischend kühl und roch nach Geißblatt.

„Ich habe früher immer die Boote beobachtet und mir ausgemalt, in einer großen Jacht über den See zu rasen und mich nicht darum zu scheren, ob ein kleines Boot in meinem Kielwasser kentert.“

„Ich habe solche Leute immer gehasst. Haben Sie sich je ein Boot gekauft?“

Er schüttelte den Kopf.

„Haben Sie Ihre anderen Träume verwirklicht?“

„Ich habe ein Haus im besten Viertel gekauft und schicke meine Tochter in die beste Schule der Stadt. Sie hat von allem das Beste.“

„Und was ist, wenn Cynthia Sie für das Beste von allem hält?“

„Sie weiß, dass ich arbeiten muss, damit wir das Geld für all die Dinge haben.“

„Vielleicht will sie all die Dinge nicht.“

„Sie würde es wollen, wenn sie es nicht hätte.“

„Vielleicht nicht so sehr.“

„Hören Sie, ich kann nicht zu einer Firma gehen und sagen, dass ich nur Arbeit im Wert von siebzigtausend Dollar leiste, weil ich dieses Jahr nur siebzigtausend Dollar brauche. Sie würden mich für einen Idioten halten und jemand anderen engagieren. Aber noch wichtiger als die Kosten ist die Qualität des Services, die persönliche Aufmerksamkeit bei jedem Detail. Ich habe eine feste Belegschaft von fünfzehn Leuten. Die Zahl kann sich je nach Auftrag verdoppeln oder verdreifachen. Viele Menschen hängen von mir ab.“

„Das ändert nichts an der Tatsache, dass Sie unersetzlich sind für Ihre Tochter.“

„Was meinen Sie wohl, für wen ich das alles tue?“

„Aber Ihr Erfolg isoliert Sie zu sehr von Cynthia.“

„Das kann ich nicht ändern.“

„Natürlich können Sie. Es sind Ihre Entscheidungen, und Sie sind verantwortlich für die Ergebnisse.“

Sie fragte sich, was in ihm vorgehen mochte, während er auf den See starrte. Erinnerte er sich an seine Eltern und seine Kindheit, oder dachte er an seine Frau und Tochter?

Sie fragte sich, ob sein Beruf ihm Raum ließ, an etwas anderes zu denken. Sie fragte sich, warum er nicht wieder geheiratet hatte.

Er war noch relativ jung – laut Zeitungsberichten vierzig –, gut aussehend und reich. Dazu besaß er Intelligenz, eine schillernde Persönlichkeit, einen ausgezeichneten Geschmack in Kleidung und Autos. All das machte ihn zu einer ausgezeichneten Partie. Sie war sicher, dass er nicht immun gegen Frauen war. Ihr war nicht entgangen, wie er sie ansah. Und doch hatte sie in den Artikeln über ihn nie etwas von einer Begleiterin gelesen.

„Erin hat mich ermuntert, meine Karriere an erste Stelle zu setzen“, sagte er, ohne sich vom See abzuwenden. „Sie wollte nicht, dass ich durch die Familie eingeschränkt werde, und hat sich um alles andere gekümmert. Sie wollte, dass ich Erfolg habe.“

Kathryn erinnerte sich, gelesen zu haben, dass Erin an Krebs gestorben war.

„Nach ihrem Tod habe ich mich noch mehr in die Arbeit gestürzt. Ich fühlte mich schuldig, weil ich es nicht zu dem Erfolg gebracht hatte, den sie sich für Cynthia und unsere weiteren geplanten Kinder erhofft hatte.“ Er drehte sich zu Kathryn um. „Jetzt ist mir klar, dass ich hätte umdenken sollen, aber ich dachte, Cynthia wäre noch zu klein, um mich zu brauchen. Ich wollte hart arbeiten und mir dann Zeit für sie nehmen, wenn sie größer ist. Ich habe wohl nicht gemerkt, dass sich die Situation geändert hat.“

„Sie hat sie immer gebraucht.“

„Aber was kann ein erwachsener Mann mit einem kleinen Mädchen anfangen?“

„Es lieb haben.“

„Ich hatte sie immer lieb.“

„Davon bin ich überzeugt, aber in den Augen eines Kindes bedeutet Liebe, da zu sein, mit ihm zu spielen, ihm Geschichten vorzulesen und es ins Bett zu bringen. Die körperliche Anwesenheit zählt mehr als alles andere.“

Er wandte sich wieder dem Wasser zu. „Sie sagen also, dass ich als Vater ein Versager bin.“

„Nein. Ich sage nur, dass Sie nicht verstanden haben, was Ihre Tochter von Ihnen gebraucht hat.“

„Verstehen Sie es denn?“

„Im Allgemeinen schon. Mein eigener Vater ist auch viel unterwegs.“

„Was haben Sie denn gebraucht?“

„Das ist unwichtig. Es geht um Cynthia, nicht um mich.“

„Aber wenn ich verstehe, was Ihnen gefehlt hat, stehen die Chancen besser, dass ich Cynthia verstehe.“

„Mr. Egan, ich halte meine Beziehung zu den Angehörigen der Mädchen grundsätzlich unpersönlich.“

„Aber Sie müssen doch auch die Eltern verstehen, um die gestörte Beziehung zu den Kindern wiederherstellen zu können.“

„Das ist nicht meine Aufgabe. Ich biete den Mädchen eine Unterkunft und die Möglichkeit, ihre Ausbildung fortzusetzen. Ich habe zwar Kurse in Psychologie belegt, aber ich betrachte mich nicht als Psychologin.“

„Dann sind Sie nicht ausreichend qualifiziert für den Job.“

Sie unterdrückte ihren aufsteigenden Zorn. Sie hatte ihn kritisiert, und daher stand es auch ihm zu, sie zu kritisieren. „Sie verstehen meine Rolle nicht richtig. Ich bin die Verwalterin. Ich engagiere qualifizierte Fachkräfte, die die Mädchen unterrichten und beraten.“

„Demnach haben Sie ihnen nichts weiter zu bieten als Verständnis dafür, was sie von ihren Angehörigen wollen und brauchen. Also erzählen Sie mir, was Sie von Ihrem Vater gebraucht haben.“

„Jedes Kind braucht etwas anderes“, entgegnete sie ausweichend.

„Ich möchte es aber von Ihnen wissen.“

„Warum?“

„Weil Sie mich interessieren. Ich will wissen, was Sie auf Trab hält.“

„Ausgewogene Ernährung, genügend Schlaf und regelmäßiger Sport.“

Er lachte. Das hatte sie nicht erwartet. Es war ein volltönender Klang, der etwas in ihr rührte. Die Anziehungskraft wurde stärker, ihr Widerstand schwächer.

„Halten Sie Männer immer derart auf Distanz?“

„Ich betrachte Sie nicht als Mann, sondern als Vater eines meiner Mädchen.“

„Warum können Sie mich nicht gleichzeitig als Mann ansehen?“

„Weil es mein Job ist, Sie als Cynthias Vater zu sehen.“

„Schließt das jede andere Beziehung aus?“

„Ich unterhalte keine Beziehungen zu den Vätern meiner Mädchen. Das wäre höchst unprofessionell.“

„Sind Sie immer professionell?“, hakte er nach. „Lassen Sie sich nie von Gefühlen leiten?“

„Nein.“

„Das glaube ich nicht.“

„Es ist auch nicht nötig, dass Sie mir glauben.“

„Aber ich möchte es“, beharrte Ron.

„Warum?“

„Weil ich attraktive Frauen mag.“

„Mr. Egan, das ist kein geeignetes Gesprächsthema.“

„Was ist denn ungeeignet daran, wenn ein Mann einer Frau sagt, dass er sie attraktiv findet?“

„Die Umstände.“

„Sagen Sie mir, welche Umstände angemessen sind, und ich werde sie herbeiführen.“

Genau wie ihr Vater.

Er glaubte auch, dass Geld und Macht jedes Problem beseitigen konnten. „Sie haben im Laufe Ihrer Karriere bestimmt Hunderte von attraktiven Frauen getroffen und es trotzdem geschafft, sich auf Ihren Beruf zu konzentrieren. Und das muss ich jetzt auch tun.“

„Warum? Ich kann Sie attraktiv finden und trotzdem mit Ihnen zusammenarbeiten. Ich sehe da keinen Konflikt.“

„Mr. Egan …“

„Nennen Sie mich Ron.“

„Mr. Egan, wir sollten jetzt …“

„Ich lasse Sie nicht ausreden, solange Sie mich nicht Ron nennen.“ Er trat näher zu ihr und blickte sie so treuherzig an wie ein kleiner Junge, der sich aus Schwierigkeiten herauszuwinden versuchte.

Sie seufzte. „Also gut, Ron. Wir sollten jetzt zurückfahren. Ich finde Ihren Background sehr aufschlussreich, aber …“

„Wir fahren nicht zurück, bevor Sie mir nicht erzählt haben, was Sie von Ihrem Vater wollten und nicht bekommen haben. Ich will ein besserer Vater werden, und deshalb muss ich es wissen.“

Sie seufzte erneut. „Also gut. Er war selten zu Hause. Wenn er zufällig mal da war, wirkte er rastlos und gelangweilt. Ich hatte immer das Gefühl, dass er sich nicht wirklich für uns interessiert.“

„Und wie ist es Ihnen gelungen, eine Beziehung zu ihm aufzubauen? Vielleicht kann ich dasselbe mit Cynthia tun.“

„Die Situation ist eine völlig andere. Ich bin erwachsen und wohne nicht mehr zu Hause.“

„Soll das heißen, dass Sie keine gute Beziehung zu ihm haben?“

„Mein Vater und ich hatten vor zehn Jahren eine ernste Auseinandersetzung. Wir sehen uns kaum noch.“

„Warum?“

„Weil er meine Schwester aus dem Haus geworfen hat.“

„Erzählen Sie mir davon.“

„Sie wurde mit siebzehn schwanger. Sie war bis über beide Ohren verliebt in den Jungen, aber mein Vater wollte sie nicht heiraten lassen. Als sie es trotzdem getan hat, hat er ihr Hausverbot erteilt.“

„Mit welcher Begründung?“

„Er hat gesagt, der Junge wäre ein Taugenichts. Er hat außerdem behauptet, meine Schwester hätte ihn bestohlen. Sie war ein bisschen wild, aber so etwas hätte sie nie getan.“

„Haben Sie ihr geholfen?“

„Ich war nicht da. Ich war im Internat. Ich war die brave Tochter und habe immer alles getan, was meine Eltern wollten.“

„Also haben Sie beschlossen, sich schwangeren Teenagern zu widmen, weil Ihre Schwester Ihrer Meinung nach unfair behandelt wurde.“

„Was hätten Sie denn getan?“

„Sie zusammen in einem Raum eingeschlossen, bis eine Lösung gefunden worden wäre.“

„Das mag im Geschäftsleben funktionieren, obwohl ich es nicht glaube, aber es klappt nicht bei persönlichen Beziehungen.“

„Sie gestatten es also Ihrem Vater und Ihrer Schwester, zerstritten zu bleiben. Aber von mir verlangen Sie, dass ich mich beurlauben lasse, um die Beziehung zu meiner Tochter zu reparieren. Das ist inkonsequent.“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich keine Psychologin bin und keine Beratungen durchführe.“

„Sie beraten mich doch.“

„Nur weil Sie darauf bestanden haben“, entgegnete Kathryn.

Sie wusste selbst nicht, wieso sie sich dazu hatte überreden lassen. Alle anderen Eltern hatte sie an die empfohlenen Spezialisten verwiesen. Warum gelang es ihr nicht, Distanz zu den Egans zu wahren?

Irgendetwas war anders an ihnen. Cynthia war nicht wie die anderen Mädchen, war nicht hysterisch oder trotzig oder launisch. Kathryn fühlte sich ihr irgendwie ebenbürtig, obwohl sie doppelt so alt war.

Und was Ron Egan anging, war alles anders aufgrund ihrer körperlichen Reaktion. Auch wenn sie seine Ansichten nicht teilte, fand sie ihn als Mann ungeheuer attraktiv. Sie wollte in seiner Nähe sein, obwohl sie wusste, wie gefährlich und töricht das war.

Er schien aufrichtig bestrebt zu sein, mit seiner Tochter kommunizieren zu lernen, doch er hatte keine Ahnung, wie er es anstellen sollte. Wenn sie ihm nicht half, würde er wie bei einer feindlichen Firmenübernahme vorgehen.

4. KAPITEL

„Alle würden wissen, was ich getan habe. Was ist denn daran besser?“, wollte Cynthia wissen.

„Es ist wesentlich besser für dich, wenn du deine Freunde triffst“, beharrte Kathryn.

Die beiden redeten seit einer halben Stunde, während Ron überwiegend zuhörte und nur hin und wieder ein Wort einwarf. Er fühlte sich, als unterhielten sie sich in einer anderen Sprache. Er kannte die Wörter, aber sie schienen eine andere Bedeutung zu haben, als er vermutete. War es einfach Frauensache, oder existierte zwischen den beiden ein besonderes Band? Leider konnte er sich nicht erinnern, Cynthia jemals so offen und entspannt gegenüber Margaret und der Gouvernante erlebt zu haben, die sie seit ewigen Zeiten kannten.

Cynthias beste Freundin, Leigh Stedman, war zu Besuch vorbeigekommen. Doch Cynthia hatte sich geweigert, sie zu sehen, und sich völlig aufgelöst in ihrem Zimmer eingeschlossen.

Kathryn hatte eine Viertelstunde gebraucht, um sie zu überreden, aus dem Zimmer zu kommen, und über eine halbe Stunde, um sie zu überreden, mit ihrem Vater zu reden.

Währenddessen war er im Wohnzimmer umhergewandert und hatte sich zurechtgelegt, was er sagen wollte. Doch als Cynthia schließlich eingetreten war, hatte sie nicht länger wie eine zuversichtliche junge Frau gewirkt, sondern wie das kleine Mädchen, das sich früher auf seinen Schoß gekuschelt hatte. Instinktiv hatte er die Arme ausgebreitet, und sie hatte sich weinend an seine Brust geworfen.

Ein paar Minuten lang war alles wie früher gewesen. Doch sobald ihre Tränen versiegt waren, hatte sie sich versteift, von ihm gelöst und in einen Sessel statt zu ihm auf das Sofa gesetzt.

„Ich habe keine richtigen Freunde“, widersprach Cynthia nun, und sie wirkte klein und verloren in dem großen Polstersessel.

„Das glaube ich nicht“, wandte Kathryn ein. „Du bist erst zwei Tage hier, und schon mögen dich alle und möchten mit dir befreundet sein.“

Cynthias Stimmung schien sich ein wenig zu bessern, doch sie kaute nachdenklich an der Unterlippe. „Sie wollen bestimmt keine Freundin mit einem Baby.“

„Eine wahre Freundschaft erstreckt sich auch auf andere – Ehemänner, Kinder, andere Freunde. Das wirst du sehen, wenn du deinen Freunden nur eine Chance gibst.“

„Leighs Eltern sind die wichtigsten Leute in Charlotte“, wandte Cynthia ein. „Die erlauben ihr nie, mit einer ledigen Mutter Umgang zu haben.“

„Ich finde, du solltest Leigh und ihren Eltern die Möglichkeit geben, sich selbst zu entscheiden. Du wirst bestimmt feststellen, dass sie nicht so engstirnig und altmodisch sind, wie du glaubst.“

Ron ahnte, dass es Kathryn schwerfallen musste, dieses Argument vorzubringen, obwohl ihre eigenen Eltern ihrer Schwester den Rücken gekehrt hatten.

„Leigh will morgen wiederkommen. Du musst dich entscheiden, ob du sie dann sehen willst.“

„Magst du dieses Mädchen?“, erkundigte sich Ron.

„Natürlich. Sie ist meine beste Freundin.“

„Würdest du noch mit ihr befreundet sein wollen, wenn sie schwanger wäre?“

„Ja, sicher.“

„Dann geht es ihr bestimmt genauso mit dir.“

„Ich glaube, dass es Leigh sehr wehtut, wenn du sie aus deinem Leben ausschließt“, warf Kathryn ein.

„Das geht noch jemandem so“, sagte Ron.

„Wem denn?“

„Margaret. Sie kümmert sich um dich seit dem Tag, als deine Mutter dich aus dem Krankenhaus nach Hause gebracht hat.“

„Das hat nichts mit ihr zu tun.“

„Aber sie hat dich sehr lieb. Das bedeutet, dass alles was du tust, sie betrifft. Das gilt auch für Rose, Rosco und Gretta, auch wenn sie dich nur halb so lange kennen. Wenn du sie nicht sehen willst, dann ruf wenigstens an.“

„Ich dachte, ich wäre ihnen egal“, wandte Cynthia ein.

„Margaret liegt sehr viel an dir. Gretta hat gesagt, dass sie vor lauter Sorge um dich nicht schlafen kann.“

Cynthia stand auf. „Dann rufe ich besser sofort an.“

„Das lief besser als erwartet“, verkündete Kathryn, als Cynthia den Raum verlassen hatte.

„Mit Margaret zu reden und Leigh zu sehen, wird ihr helfen, sich nicht mehr so isoliert zu fühlen. Sie haben sehr viel erreicht.“

„Wir beide haben viel erreicht. Vergessen Sie nicht, dass Sie mich unterrichten.“

„Sie brauchen keinen Unterricht.“

„Das sagen Sie nur, weil ich für Sie ein derart hoffnungsloser Fall bin, dass es nicht der Mühe wert ist. Geben Sie mir eine Chance, Ihre Meinung über mich zu ändern. Gehen Sie heute Abend mit mir essen.“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich nicht mit Klienten ausgehe.“

„Nicht ich bin Ihr Klient, sondern Cynthia. Betrachten Sie mich einfach als einen Freund, der Ihren Rat braucht.“

„Brauchen Sie den wirklich?“

„Ja, und zwar dringend. Ich fliege noch heute Nacht in die Schweiz.“

„Ich habe mich schon gefragt, wann es passieren würde.“

„Ich bleibe höchstens zwei Tage.“ Er blickte zur Uhr und stand auf. „Ich muss jetzt in Genf anrufen und mich erkundigen, wie die Verhandlungen heute gelaufen sind. Ich hole Sie um acht ab“, verkündete er, und bevor sie protestieren konnte, war er verschwunden.

Während des Dinners plauderte Ron über Literatur, Kinofilme, Museen, Oper, Sport, Städtebau und Umweltschutz und vieles mehr.

„Wieso kennen Sie sich in kulturellen Dingen so gut aus?“, fragte Kathryn erstaunt. „Die meisten Männer interessieren sich nicht dafür.“

„Ich habe sehr früh gemerkt, dass beruflicher Erfolg nicht bedeutet, auch gesellschaftlich akzeptiert zu werden“, erwiderte Ron. „Deshalb habe ich Kurse in Kunst und Musik belegt, bin in die Oper gegangen und sogar ins Ballett.“ Er verzog das Gesicht. „Ich kann nicht behaupten, dass mir Männer in engen Trikots besonders gefallen, aber die Oper liegt mir. Es stört mich nicht mal sonderlich, wenn die Sopranistin doppelt so dick und dreimal so alt ist, wie die Heldin eigentlich sein sollte.“

„Ich kann es nicht fassen, dass Sie sich mit all diesen Dingen befassen, nur um mit den reichen Leuten auf Partys plaudern zu können.“

Er lachte, als hätte sie einen Scherz gemacht. „Als erfolgreicher Geschäftsmann muss man eben mehr als nur sein Fach verstehen. Außerdem habe ich wirklich Gefallen an einigen dieser Dinge gefunden. Wie gesagt, ich mag die Impressionisten, die Oper und die griechische Mythologie. Aber es gibt auch Dinge, die mir nicht gefallen. Golf zum Beispiel finde ich langweilig, aber jeder Geschäftsmann der Welt scheint es zu spielen. Ich sehe endlose Mahlzeiten in teuren Restaurants oder Dinnerpartys als Zeitverschwendung an. Und ich habe nichts für exzellenten Wein oder alten Whiskey übrig.“

Nun lachte sie. „Es überrascht mich, dass man Sie nicht aus dem Country Club geworfen hat.“

„Noch nicht. Aber das liegt nur daran, dass ich nicht oft genug hingehe, um jemanden zu beleidigen. Dem richtigen Club anzugehören, gehört in Europa zum guten Ton. Man muss von der richtigen Sorte sein, um aufgenommen zu werden.“

Er sagte es nebenhin, aber sie hörte einen verstimmten Unterton. Er hatte sich damit abgefunden, dass er von gewissen Leuten nicht akzeptiert wurde, obwohl er mehr geleistet hatte als sie. Aber für seine Tochter wollte – konnte er es nicht akzeptieren.

„Jetzt erzählen Sie mir etwas über sich“, forderte er sie auf. „Ich kann nicht verstehen, wieso eine hübsche Frau wie Sie ledig und kinderlos ist.“

„Taugen Frauen Ihrer Meinung nach nur dazu, Ehefrauen und Mütter zu sein?“

„Ich habe zu viele tüchtige Frauen an Konferenztischen erlebt, um das zu glauben“, entgegnete er. „Aber Sie sind offensichtlich nicht an einer Karriere interessiert. Es sei denn, Sie bezeichnen es als Karriere, sich um die Kinder anderer Leute zu kümmern.“

„Ich bezeichne es als Berufung.“

„Ich bezeichne es als eine Beschäftigung, die Ihnen zwar irgendwie wichtig, aber nicht Ihr Hauptziel im Leben ist.“

„Was ist denn mein Hauptziel?“, hakte sie nach.

„Das weiß ich nicht. Deswegen frage ich Sie ja. Haben Sie grundsätzlich etwas gegen die Ehe oder mögen Sie einfach keine Männer?“

„Ich habe weder etwas gegen die Ehe noch gegen Männer. Ich hätte wahrscheinlich schon vor zehn Jahren geheiratet, wenn mir der Richtige über den Weg gelaufen wäre.“

„Dann sollten Sie öfter ausgehen.“

„Das tue ich doch. Ich genieße all die geselligen Aktivitäten, die meinem Alter angemessen sind.“

„Ich habe eher den Eindruck, dass Sie sich vor der Welt abkapseln. Warum? Haben Sie schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht?“

„Wir kennen uns gerade mal zwei Tage. Was gibt Ihnen das Recht, mir solche Fragen zu stellen?“

„Nichts gibt mir das Recht, außer dass ich an Ihnen interessiert bin. Ich mag Sie einfach. Sie sind jung, hübsch, reich und intelligent, und Sie haben Sinn für Humor und sind extrem sexy. Es überrascht mich, dass Ihr Haus nicht von Bewunderern belagert wird, die völlig überwältigt von Ihrem Körper sind und über Sie herfallen, sobald Sie vor die Tür treten.“

„Über mich ist noch nie jemand hergefallen, weder vor meiner Tür noch sonst wo.“

„Mit was für Männern gehen Sie denn aus? Entweder haben sie keinen Funken Leidenschaft in sich, oder Sie verabreichen ihnen eine Injektion, die sie außer Gefecht setzt.“

Sie lächelte. „Nein. Ich interviewe sie. Deshalb gerate ich nie an den Falschen.“

Er blickte sie an, als wäre sie völlig verrückt geworden. „Und das lassen sie sich gefallen?“

„Nicht alle, aber einige.“

„Ich kann es kaum erwarten, dass Sie mir diese Fragen stellen.“

„Sie sind nur für Männer bestimmt, die eine ernste Beziehung mit mir suchen“, entgegnete Kathryn ausweichend.

„Dann gehen Sie davon aus, dass es der Fall ist.“

Sie konnte die sexuelle Anziehungskraft zwischen ihnen nicht leugnen, aber er musste doch wissen, dass er als Kandidat für eine ernsthafte Beziehung nicht in Betracht kam. „Ich weiß nicht, warum Sie darüber scherzen, aber ich finde es nicht sehr witzig.“

„Wer scherzt denn? Ich bin nicht anders als andere Männer und fühle mich zu schönen, verführerischen Frauen hingezogen. Sie wirken so elegant und stilvoll und cool, aber ich habe den Eindruck, dass hinter dieser Fassade heiße, leidenschaftliche Gefühle brodeln.“

„Sie haben zu viele Opern gesehen.“

„Ihr Protest kündet erst recht von starken Emotionen. Man wehrt sich nur so heftig gegen Dinge, die wahr sind.“

„Ach, Tiefenpsychologie gehört auch zu Ihrem Repertoire“, konterte sie ein wenig gereizt.

„Ich finde Sie äußerst interessant. Ohne besonderen Grund, einfach nur so. Man könnte es Chemie nennen.“

Nun sagte er ihr auch noch, dass er sie wider jede Vernunft mochte! „Falls es Sie interessiert, Sie sind bereits durch die Vorprüfung gefallen. Ich würde nicht mal mehr in Betracht ziehen, Ihnen meine Fragen zu stellen.“

Er lachte und blickte zur Uhr. „Wir müssen leider aufbrechen. Sonst verpasse ich das Flugzeug.“

„Fahren Sie allein. Ich nehme ein Taxi nach Hause.“

„Auf keinen Fall. Sie müssen mir während der Fahrt erklären, wie ich diese Vorprüfung bestehen kann.“

5. KAPITEL

„Und jetzt erzählen Sie mir, wie ich Ihren Test bestehe“, verlangte Ron, sobald sie in seiner Limousine unterwegs zum Flughafen waren.

„Erst einmal sollten Sie einer Frau nie sagen, dass Sie sich wider Willen für sie interessieren.“

„Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gemeint, dass ich nicht weiß, was mir an Ihnen so sehr gefällt. Aber unsere Bekanntschaft ist noch im Anfangsstadium. Ich werde es herausfinden.“

„Und keine Frau will hören, dass Männer nur wegen ihres Körpers den Verstand verlieren.“

„Unsinn. Jede Frau möchte verführerisch wirken.“

„Nun, ich nicht.“

„Okay, dann sind Sie eine Ausnahme. Was noch?“

„Sie will nicht von einem Mann hören, dass er sie besser kennt als sie sich selbst.“

„Das habe ich nie gesagt.“

„Sie haben gesagt, in mir würden leidenschaftliche Gefühle brodeln.“

„In jedem stecken Gefühle. Würden sie nicht brodeln, könnte man genauso gut tot sein.“

„Und es gefällt uns nicht zu hören, dass das, was wir tun, unwichtig ist.“

„Es gefällt Ihnen nicht, dass ich Ihr Heim für ungeratene Mädchen als Beschäftigung bezeichne?“

„Die Mädchen sind nicht ungeraten. Sie haben nur einen Fehler gemacht.“

„Okay, ich nehme das Wort ungeraten zurück. Aber ich bleibe dabei, dass es Ihre Beschäftigung ist. Viele Leute widmen sich ihren Beschäftigungen mehr als ihren Berufungen. Es hängt nur davon ab, wie sich ihr Leben entwickelt.“

„Es ist mehr als eine Beschäftigung für mich.“

„Wenn Sie zwischen dem Heim und einer Familie wählen müssten, würden Sie es dann aufgeben?“

„Wenn sie zwischen Cynthia und Ihrem Beruf wählen müssten, würden Sie ihn aufgeben?“

„Ich habe zuerst gefragt. Und bevor Sie sagen, dass ich unfair bin, möchte ich Sie daran erinnern, dass ich zwei Tage lang entscheidende Meetings versäumt habe.“

Sie wusste selbst nicht, warum es ihr so schwerfiel, diese Tatsache zu berücksichtigen. Immerhin bemühte er sich redlich, ein besseres Verständnis für seine Tochter zu entwickeln. Er war zwar auf dem Weg nach Genf, aber er wollte bereits nach einem Tag zurückkehren. Zumindest behauptete er das. Und ob sie es nun eingestehen wollte oder nicht, das alles hatte ihre Meinung über ihn geändert. Vielleicht war sie deswegen mit ihm ausgegangen. Er bewies, dass er nicht der herzlose Mann war, für den sie ihn zunächst gehalten hatte.

„Das kann ich nicht mit Sicherheit beantworten. Ich nehme an, ich würde das Heim aufgeben, aber dafür sorgen, dass es geöffnet bleibt.“

„Das klingt nicht gerade überzeugt.“

„Es ist schwer, über eine hypothetische Situation überzeugt zu reden.“

„Sie meinen nicht, dass es noch dazu kommen könnte?“

Sie war sehr zynisch gegenüber Männern geworden. Ihre letzten Bekanntschaften hatten sie nicht zu Optimismus verleitet. „Ich glaube schon, dass ich irgendwann heiraten werde, aber ich bin nicht so verzweifelt darauf aus, dass ich mich dafür als Mittel zum Zweck benutzen lasse.“

„Hat das jemand versucht?“

Sie nickte. „Ein erfolgreicher Anwalt, der meinte, meine Beziehungen würden ihm helfen, als Politiker Karriere zu machen. Er glaubte, ich wäre eine perfekte Tischdame bei Staatsempfängen.“

„Er hatte recht. Er war nur nicht schlau genug, um zu begreifen, dass Sie nicht wegen Ihrer Eignung für seine Karrierepläne beurteilt werden wollen. Der richtige Mann würde Sie heiraten wollen, selbst wenn Sie genau die Falsche für ihn wären.“

„Ich würde niemanden heiraten wollen, für den ich die Falsche wäre.“

„Sie wissen, wie ich es meine. Aber Sie hätten nicht erwartet, dass ich so etwas sage, oder?“

„Stimmt. Ich habe nicht bedacht, dass Sie vermutlich sehr oft von Leuten so behandelt wurden, die Sie für minderwertig hielten und trotzdem mit Ihnen zusammengearbeitet haben, weil Sie ihnen nützlich waren.“

„Es ist ein paarmal vorgekommen, aber ich habe sie ebenso benutzt wie sie mich.“

„So habe ich es nie gesehen. Aber vermutlich benutzen wir alle andere.“

„Die Kunst besteht darin, es auf faire Weise zu tun. Und jetzt möchte ich diese Fragen hören. Sie haben mich lange genug hingehalten.“

„Es hat keinen Sinn. Die meisten treffen auf Sie nicht zu, oder ich kenne die Antwort bereits.“

„Wie zum Beispiel?“

„Waren Sie schon mal verheiratet und wie oft? Wie hat Ihre letzte Beziehung geendet? Haben Sie Kinder? Wie oft rufen Sie Ihre Mutter an? Darauf können Sie nicht antworten, weil sie tot ist.“

„Ich würde sie vermutlich alle paar Wochen anrufen.“

„Wie oft reinigen Sie Ihr Badezimmer? Auch diese Frage trifft auf Sie nicht zu, weil Sie eine Putzfrau haben.“

„Das war nicht immer so.“

„Okay, wie oft haben Sie das Bad gereinigt, als Sie auf dem College waren?“

Autor

Lois Faye Dyer
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Leigh Greenwood
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Christine Rimmer
<p>Christine Rimmers Romances sind für ihre liebenswerten, manchmal recht unkonventionellen Hauptfiguren und die spannungsgeladene Atmosphäre bekannt, die dafür sorgen, dass man ihre Bücher nicht aus der Hand legen kann. Ihr erster Liebesroman wurde 1987 veröffentlicht, und seitdem sind 35 weitere zeitgenössische Romances erschienen, die regelmäßig auf den amerikanischen Bestsellerlisten landen....
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