Bianca Gold Band 38

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NUR DEIN HERZ WEIß DIE ANTWORT von DUARTE, JUDY
Zauberhaft war Simones eine Liebesnacht mit ihrem Kollegen Mike. Nur dass sie gleich schwanger wird, ist eine Katastrophe! Da sie glaubt, keine gute Mutter sein zu können, will Simone das Kind zur Adoption freigeben. Doch Mike hat auch noch ein Wörtchen mitzureden ...

MINDYS SÜßES GEHEIMNIS von FORBES, MARY J.
Er wollte es nicht zugeben, aber er liebte sie immer! Beim Wiedersehen bekennt Jason es Mindy - versinkt endlich in einem Kuss mit der Frau, deren Traummann er schon in der Highschool war. Ohne zu ahnen, als sie ohnmächtig wird, dass ein süßes Geheimnis dahinter steckt ...

PLAN B WIE BABY von SAFREY, JEN
Disziplin und eine Checkliste für jede Lebenslage: So lautet das Motto von Geschäftsfrau Molly - bis sie schwanger wird und den Auftrag eines Kunden braucht, der Single-Mamas ablehnt. In ihrer Not bittet sie Jugendfreund Adam, den liebenden Ehemann zu spielen - mit ungeplanten Folgen ...


  • Erscheinungstag 24.03.2017
  • Bandnummer 0038
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733421
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Judy Duarte, Mary J. Forbes, Jen Safrey

BIANCA GOLD BAND 38

1. KAPITEL

Simone Garner starrte auf den Schwangerschaftstest und wartete gespannt. Jede Sekunde schien sich zu einer Ewigkeit zu dehnen.

Simone war siebenunddreißig und Krankenschwester im Walnut River General Hospital, und eigentlich hätte ihr das hier nicht passieren dürfen. Aber es war nun mal geschehen, und schuld daran war allein sie.

Vor zwei Monaten, auf einer Cocktailparty ihres Chefarztes Dr. James Wilder, hatte ein Kellner Simone ein Glas Champagner angeboten. Normalerweise trank sie keinen Alkohol, aber die fröhliche Stimmung war ansteckend, also hatte sie nicht abgelehnt. Zuerst kribbelte das Getränk nur in der Nase, doch dann schmeckte es ihr immer besser und stieg ihr zu Kopf.

Deshalb sagte sie auch nicht Nein, als Mike O’Rourke sie nach Hause fahren wollte. Immerhin kannte sie den Rettungssanitäter schon eine ganze Weile und fand ihn attraktiv. Und dann, als er ihr die Beifahrertür seines Jeeps öffnete, ließ sie sich von ihm küssen.

Oder hatte sie ihn sogar dazu ermuntert?

Jetzt war sie nicht mehr sicher, wer den ersten Schritt gemacht hatte. Sie wusste nur noch, dass ihre Knie weich geworden waren und sie den Kuss genossen hatte.

Als sie vor ihrem Haus hielten, hätte sie sich fürs Mitnehmen bedanken und es dabei belassen sollen. Aber aus irgendeinem Grund fühlte sie sich verpflichtet, Mike hineinzubitten. Sie führte ihn durch die Räume, die sie gerade renoviert hatte, schaltete ihre neue Stereoanlage an und legte eine CD ein – einen langsamen, verführerischen Liebessong.

„Möchtest du tanzen?“

Jetzt, im Rückblick, war ihr klar, dass nur der ungewohnte Alkohol sie so mutig gemacht hatte. Der Champagner, das enge schwarze Cocktailkleid, das sie extra für diesen Abend gekauft hatte, und die schicken, aber unpraktischen High Heels, die sie wahrscheinlich nie wieder anziehen würde.

Halb berauscht vom Alkohol und von dem Charme dieses Mannes hatte Simone sich in Mikes Arme geschmiegt, seinen frischen Duft eingeatmet und seine leicht raue Wange an ihrer gefühlt. Sie bewegten sich eng umschlungen zur romantischen Musik, mit klopfenden Herzen – bis sie stolperte.

Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, hielt sie sich an Mike fest. Sie lachten über das kleine Missgeschick und schauten einander tief in die Augen.

Dann küssten sie sich zum zweiten Mal an diesem Abend.

Und was für ein herrlicher Kuss es gewesen war!

Danach hatte sie ihn – vermutlich im Eifer des Gefechts – ins Schlafzimmer geführt.

In Mikes Armen aufzuwachen und ihn nach Hause zu schicken wäre ihr viel leichter gefallen, wenn der Sex mit ihm nur … so lala gewesen wäre. In dem Fall hätte er sicher verstanden, warum sie es bei einem One-Night-Stand belassen wollte.

Aber die ganze Nacht war unglaublich gewesen.

Jetzt fühlte sich Simone so nervös wie noch nie im Leben. Denn wenn großartiger Sex etwas mit Zeugungsfähigkeit oder Fruchtbarkeit zu tun hatte, würde sie vermutlich Siebenlinge bekommen.

Oh nein. Bitte nicht.

Allein bei dem Gedanken, was der pinkfarbene Punkt auf dem Testgerät bedeutete, wurde ihr übel. Und das, obwohl sie sich heute Morgen schon zur Genüge übergeben hatte.

Zuerst hatte sie sich gesagt, dass ihre Periode nur deshalb ausgeblieben war, weil sie bei der Arbeit so viel Stress hatte. Schließlich wurde dem Krankenhaus vorgeworfen, bei den Versicherungen falsch abgerechnet zu haben. Und das ausgerechnet jetzt, da der Klinikkonzern Northeastern HealthCare das Walnut River General Hospital übernehmen wollte.

Aber irgendwann waren die Symptome damit nicht mehr zu erklären gewesen, und deshalb hatte sie sich den Schwangerschaftstest gekauft.

Das kleine, gelb gestrichene Badezimmer schien immer enger zu werden, während sie die Luft anhielt.

Kein pinkfarbener Punkt.

Vielleicht war es doch der Stress gewesen. Vielleicht hatte ihr schlechtes Gewissen, gepaart mit ihrer Fantasie, ihr einen Streich gespielt. Als Strafe dafür, dass sie – wenn auch nur dieses eine Mal – ihre Hemmungen abgelegt hatte.

Natürlich hatte Mike Kondome verwendet, aber leider waren sie im Laufe der Nacht ein wenig leichtsinnig geworden.

Seufzend warf Simone einen Blick auf die Uhr. Es war unsinnig, darüber zu spekulieren, wie das Ergebnis ausfallen mochte. In ein paar Minuten würde sie wissen, ob sie schwanger war.

Während der letzten fünf Wochen hatte sie sich mindestens hundert Mal gesagt, dass sie einfach nur eine gesunde Frau mit ganz natürlichen Bedürfnissen war, die sie schon sehr, sehr lange nicht befriedigt hatte. Und dass der dunkelhaarige Rettungssanitäter zu sexy war, um ihm auf Dauer zu widerstehen.

Aber Mike O’Rourke war fünf Jahre jünger als sie. Und er verdiente ein Mädchen in seinem Alter, mit dem er eine glückliche Familie gründen konnte.

Simone war klar, was sie tun würde, wenn sie tatsächlich schwanger war. Sie würde sich einen Termin bei Mark Kipper, einem niedergelassenen Gynäkologen in Walnut River, geben lassen. Auf jeden Fall wollte sie alles tun, um sicherzustellen, dass sie ein gesundes Kind bekam.

An der Tür ertönte ein dumpfes Geräusch, gefolgt von einem Bellen und einem Winseln.

„Warte, Woofer“, rief sie dem großen, tollpatschigen Hund zu. „Ich bin gleich da.“

Jeden Tag, wenn sie nach dem anstrengenden Dienst in der Klinik nach Hause kam, wartete der nicht besonders hübsche, aber liebenswerte Hund am Gartentor auf sie. Dass sie Woofer damals spontan aus dem Tierheim geholt hatte, war zwar ein Segen für sie und den Hund, aber manchmal konnte er ziemlich anstrengend sein.

Wenigstens konnte sie ihn in den Garten lassen, wo er sich mit Schmetterlingen und Kauknochen amüsierte, während sie arbeitete. Bei einem Baby ging das nicht.

Gebannt starrte Simone auf den Schwangerschaftstest, auf dem ein pinkfarbener Punkt erschienen war. Dann stieß sie die angehaltene Luft aus und seufzte.

Sie war schwanger.

Von Mike O’Rourke.

Was um alles in der Welt sollte sie jetzt tun?

Sie konnte nicht wissen, wie der gut aussehende Sanitäter die Nachricht aufnehmen würde. Vermutlich würde sie ihn schlagartig ernüchtern, und er würde bereuen, dass er sie nach Hause gefahren hatte. Vielleicht war es besser so – jedenfalls für ihn. Trotzdem hatte Simone es nicht eilig, ihm von der Schwangerschaft zu erzählen.

„Ar…uuf.“ Woofers Schwanz schlug immer schneller gegen die Tür. „Ar…uuuf, ar…uuf.“

Der blöde Hund konnte manchmal ein echtes Baby sein.

Und zwar das einzige, das eine Frau wie sie haben sollte. Genau deshalb gab es nur eine Lösung. Sie musste das Kind zur Adoption freigeben.

Verwirrt und verunsichert beobachtete sie, wie der Punkt immer dunkler wurde.

Mike hatte schon vorher mehr als nur Freundschaft gewollt, und seit sie miteinander geschlafen hatten, war er noch entschlossener, zu ihrem Leben zu gehören.

Wäre er nicht so ein netter Kerl, der sie wie kein anderer zum Lachen brachte, hätte sie ihm die kalte Schulter gezeigt, bis er aufgab und sie in Ruhe ließ. Aber dazu war er einfach zu süß und charmant.

Wieder klopfte es an der Badezimmertür, gefolgt von lautem Bellen. „Okay, Woofer. Wir gehen spazieren. Gib mir eine …“

In diesem Augenblick läutete es an der Haustür, und Woofer preschte los. Sein Jaulen hallte durch das kleine Haus.

„Na großartig“, murmelte Simone. Vermutlich war es ein Nachbar oder ein Vertreter. Laut rief sie: „Komme schon!“

Sie eilte nach vorn, um sich zwischen den Besucher und ihren vierbeinigen Mitbewohner zu drängen. Woofer sah aus wie ein scharfer Wachhund und klang auch so, aber in Wirklichkeit war er ein richtiger Softie. Einen Einbrecher würde er wahrscheinlich umwerfen und zu Tode lecken.

Als Simone die Haustür erreichte und durch den Spion sah, blieb ihr fast das Herz stehen.

Draußen stand Mike O’Rourke, groß und attraktiv wie immer. Er trug verwaschene Jeans, ein dunkelblaues T-Shirt mit dem weißen Logo der Feuerwehr von Walnut River und ein atemberaubendes Lächeln auf dem markanten Gesicht. In den Händen hielt er einen Karton.

Was wollte er hier?

„Augenblick.“ Simone zog Woofer am Halsband aus dem Weg und tastete nach dem Türknauf. Hoffentlich hielt das Fliegengitter den Hund davon ab, sich auf Mike zu stürzen. Und ihn auf dem Hintern landen zu lassen – einem Hintern, den mehr als nur eine Schwester in der Notaufnahme bewunderte und der unbekleidet sogar noch bemerkenswerter war.

Simone öffnete.

„Ich habe dir etwas mitgebracht“, verkündete Mike. Seine grünen Augen funkelten, das schwarze Haar war modisch zerzaust. „Kannst du Woofer kurz in den Garten sperren?“

Er hatte ihr etwas mitgebracht?

Blumen waren es nicht. Und auch keine Pralinen.

„Warte einen Moment, ja?“ Sie packte Woofer. „Bin gleich zurück.“ Damit zog sie den Hund in die Küche und riss die Hintertür auf.

Aber ihr zotteliger Mitbewohner freute sich über jeden Besucher und dachte gar nicht daran, nach draußen zu gehen. Simone dagegen war keineswegs begeistert über Mike O’Rourkes Auftauchen, noch dazu heute.

Na ja, sie konnte sich immerhin mit ihm auf die Veranda setzen und ein wenig plaudern. Doch dann quietschte das Fliegengitter, und Schritte kamen näher. Das mulmige Gefühl in Simones Bauch wurde so stark, dass sie tief durchatmen musste. Und um sich das zu erklären, brauchte sie weder einen Psychologen noch eine Sozialarbeiterin.

Der Schwangerschaftstest im Badezimmer reichte völlig, denn das Ergebnis war so offensichtlich wie eine pinkfarbene Neonreklame.

Mike konnte sich nicht vorstellen, dass Simone ihn wie einen Pizzaboten vor der Haustür stehen lassen wollte. Sie hatte ihn zwar noch nicht hereingebeten, aber sie war dabei, den Hund in den Garten zu lassen, und würde gleich wiederkommen.

Also ging er ins Wohnzimmer, setzte sich auf die hellgrüne Couch und wartete.

Eigentlich war das, was er mitgebracht hatte, gar kein richtiges Geschenk – es sei denn, sie wollte es behalten. Er schaute auf den Karton, in den er Luftlöcher gebohrt hatte. Er hatte ein Problem, und als Erste war ihm Simone eingefallen. Schließlich hatte sie ein Herz für Tiere.

Und was für eins! Woofer war der lebende Beweis dafür.

„Ich glaube, das ist der hässlichste Hund, den ich je gesehen habe“, hatte Mike an jenem Abend gesagt, nachdem Simone ihm den zottigen Riesen vorgestellt hatte.

„Ich weiß“, hatte sie nicht ohne Stolz erwidert. „Genau deshalb habe ich ihn adoptiert. Er brauchte ein Zuhause, und zwar dringender als alle anderen Hunde. Außerdem ist er ein Schatz.“

Und dann hatte sie Woofer umarmt, wobei ihr Kleid nach oben gerutscht war und äußerst reizvolle Oberschenkel entblößt hatte.

Die Erinnerung ließ Mike lächeln, und das nicht nur wegen des sexy Anblicks. Nein, an jenem Abend hatte er die wahre Simone Garner kennengelernt: die lebensfrohe, braunhaarige Schönheit, die sich hinter der strengen und sachlichen Krankenschwester verbarg.

Genau wie seine Kollegen bei der Feuerwehr, so hielten auch Simones Kollegen im Walnut River General sie für kühl und distanziert, aber Mike wusste jetzt, dass sie auch anders sein konnte. Er vermutete, dass jemand ihr mal sehr wehgetan hatte und sie deshalb vorsichtig war.

Er kannte Simone seit ein paar Jahren. Ein junges Mädchen war von einem Auto angefahren worden, und er und sein Partner hatten die Verletzte in die Notaufnahme gebracht. Sie hatte große Schmerzen gehabt und nach ihrer Mutter gerufen.

Simone sprach sanft auf sie ein, beruhigte und tröstete sie, während sie die klaffende Wunde säuberte und versorgte. Gleichzeitig schaffte sie es, der Patientin den Namen und die Telefonnummer ihrer Familie zu entlocken.

Nicht nur damit hatte die ebenso fähige wie einfühlsame Schwester seinen Respekt erworben. Aus Respekt wurde bald Bewunderung, und noch im selben Jahr verliebte Mike sich in Simone Garner.

Natürlich entging ihm nicht, wie sie ihn manchmal ansah. Aber obwohl sie sein Interesse offenbar erwiderte, hatte sie jede Einladung zu einem Date abgelehnt.

Bis zu der Cocktailparty bei Dr. Peter Wilder. An diesem Abend hatte er sie als warmherzige, äußerst attraktive Frau erlebt, die keine Mauern mehr um sich errichtete.

Aber nach dieser Nacht war sie wieder auf Abstand gegangen. Sie hatte sogar behauptet, mit ihm zu schlafen sei ein Fehler gewesen. Ein One-Night-Stand, der sich auf keinen Fall wiederholen würde.

Als Mike leise Schritte hörte, hob er den Kopf und lächelte.

Sie erwiderte das Lächeln nicht. Stattdessen wirkte sie nervös, erschöpft und ein wenig durcheinander.

Warum wunderte es ihn? So war sie seit der Nacht, in der er sie nach Hause gefahren hatte. Vielleicht sollte er nicht zu viel hineindeuten.

Sie zeigte auf den Karton. „Was ist das?“

Lächelnd hob er den Deckel und holte einen schläfrigen Welpen mit lockigem schwarzweißem Fell heraus. Auch ohne Test war klar, dass sich in ihm das Erbgut von Cockerspaniel, Pudel und Terrier vereinigte.

„Du meine Güte, ist der süß!“ Simone ging auf ihn zu, blieb abrupt stehen und erstarrte. „Augenblick mal. Ich hoffe, du erwartest nicht, dass ich noch einen Hund aufnehme!“

„Nun ja, natürlich soll es nicht von Dauer sein, aber Wags und ich brauchen deine Hilfe.“

Sie neigte den Kopf zur Seite. „Was soll das heißen?“

Als Mike den Welpen an sich drückte, leckte der ihm begeistert das Kinn. „Ich war gestern Joggen, und der kleine Kerl hier ist mutterseelenallein über den Weg am Fluss gekrochen. Da es dort weit und breit keine Häuser gibt, muss er wohl ausgesetzt worden sein. Ich konnte ihn nicht einfach zurücklassen.“

Ihre strenge Miene entspannte sich – ein bisschen.

„Also habe ich ihn mit nach Hause genommen und im Tierheim angerufen. Bisher hat niemand ihn als vermisst gemeldet.“

Simone betrachtete den Welpen, der sich zappelnd zu befreien versuchte, um die neue Umgebung zu inspizieren.

„Armer Kerl.“ Sie kraulte ihm den Kopf. „Wer bringt es bloß fertig, so ein kleines Tier auszusetzen?“

„Genau deshalb habe ich ihn behalten.“

Sie sah Mike an. „Warum ist er dann hier?“

„Weil ich im Moment mit meinem Kollegen Leif unter einem Dach wohne. Und als ich mit Wags angekommen bin, hat er mir erzählt, dass er allergisch gegen Haustiere ist. Wenn ich Wags behalten will, muss ich wohl früher als geplant umziehen. Bis dahin brauche ich jemanden, der ihn aufnimmt.“

„Und dieser Jemand bin ich?“ Sie streichelte Wags über die Ohren.

„Leifs Schwester ist Maklerin und will für mich eine bezahlbare Wohnung suchen.“

Bis sie etwas fand und er einziehen konnte, würde Simone hoffentlich für seinen neuen Schützling die Babysitterin spielen.

„Hier.“ Er reichte ihr den Welpen. „Er ist noch so jung, da kann ich ihn doch nicht einfach in eine Hundepension geben, oder?“

Es gab noch eine andere Möglichkeit. Er könnte unter den Kollegen in der Feuerwache fragen, ob jemand ihn haben wollte. Ein so süßes Tier wie Wags würde leichter ein Zuhause finden als Woofer. Aber das erwähnte Mike nicht, denn er hoffte inständig, dass Simone den Welpen adoptieren und ihm selbst erlauben würde, ihn regelmäßig zu besuchen.

Der kleine Hund schleckte Simone liebevoll das Kinn ab, als wollte er Mikes Worten Nachdruck verleihen.

„Na gut“, antwortete sie schließlich. „Er kann bleiben. Aber nur, bis du eine neue Wohnung findest. Ich habe keine Ahnung, was Woofer davon hält.“

„Du hast gesagt, Woofer weiß gar nicht, dass er ein Hund ist. Dass er glaubt, er sei ein Mensch. Und alle Kinder brauchen ein Haustier. Bestimmt freut Woofer sich riesig über einen Spielkameraden.“

„Das hoffe ich.“

Mike wusste es. Dass er Wags gefunden hatte, war kein Zufall gewesen, sondern ein Wink des Schicksals. Es wollte, dass Simone und er sich häufiger trafen.

„Wo sind seine Sachen?“, fragte sie.

„Welche Sachen?“

„Du weißt schon, Hundefutter, Spielzeug …“ Ihre hübschen braunen Augen wurden groß. „Alles, was du mitgebracht hast, ist ein Welpe und ein leerer Pappkarton?“

Oh. Er hatte es so eilig gehabt, dass er daran gar nicht gedacht hatte. Gestern Abend hatte er einen Knoten in eine alte Socke gemacht, damit der Kleine etwas zum Kauen hatte, aber die hatte er zu Hause gelassen. Heute Morgen hatte er Wags Rührei und Schinken gegeben. Niemand konnte behaupten, dass er den Hund vernachlässigt hatte, aber wahrscheinlich war eine Einkaufstour angesagt.

Er konnte allein losfahren, aber vielleicht war es besser, Unwissenheit vorzuschützen. „Ich kaufe gern, was er braucht, aber könntest du nicht mitkommen? Ich bin nicht sicher, was ich besorgen muss.“

Ungläubig sah sie ihn an.

Doch erneut schien das Schicksal einzugreifen, denn sie gab ihm Wags zurück. „Einverstanden. Geh du mit ihm zum Wagen, wir treffen uns draußen.“

„Was hast du vor?“

„Ich muss ins Bad und meine Handtasche holen.“

„Deine Handtasche ist im Bad?“

Ihr Stirnrunzeln verriet, dass sie die Frage nicht lustig fand. „Gib mir eine Minute, ja?“

Natürlich. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst, dachte Mike.

Er war zweiunddreißig und konnte sich durchaus vorstellen, sie zu heiraten. Vielleicht war Simone noch nicht so weit, aber er konnte warten.

Was machte es schon, dass sie älter als er war? Oder dass sie keine Erfahrung mit großen, glücklichen Familien hatte?

Und dass sie sich vielleicht gar keine gründen wollte?

Mike besaß ein riesiges Selbstvertrauen und war fest davon überzeugt, dass er alles schaffen konnte – wenn er es sich erst einmal in den Kopf gesetzt hatte.

Und Simone Garner ging ihm nicht mehr aus dem Kopf – und erst recht nicht aus dem Herzen.

2. KAPITEL

Simone gab Mike den Welpen zurück. Hoffentlich wollte er nicht selbst ins Bad, bevor sie den Schwangerschaftstest verschwinden lassen konnte. Sonst müssten sie beide sich ein Rennen liefern.

Mit verschränkten Armen wartete sie darauf, dass er zu seinem Jeep ging, aber er blieb einfach im Wohnzimmer stehen und betrachtete sie mit seinen ausdrucksvollen grünen Augen.

„Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du uns hilfst“, sagte er.

Ja, das tat er wohl. Trotzdem war sie nicht gerade begeistert, für ihn auf Wags aufzupassen. So süß Mike und der Welpe auch waren. Und auf die Einkaufstour hatte sie auch keine große Lust. Aber offenbar bekam sie ihn anders nicht aus dem Haus. Und je früher sie aufbrachen, desto besser.

„Ich komme gleich nach“, versprach sie. „Du kannst dich schon mal ans Steuer setzen, wenn du willst.“

„Kein Problem. Ich warte hier.“ Er warf Wags einen Blick zu. „Das macht uns doch nichts aus, oder, Kumpel?“

Simone wurde immer nervöser.

Ahnte er etwas?

Andererseits – wie sollte er?

„Na gut“, gab sie schließlich nach, eilte ins Bad und schloss hinter sich ab.

Seufzend lehnte sie sich gegen die Tür, bevor sie den Test im Schrank hinter einem Stapel Handtücher versteckte.

Sobald sie wieder zu Hause war, würde sie ihn in zwei undurchsichtige Plastiktüten wickeln und in den Müll werfen.

Sicher, irgendwann musste sie Mike sagen, dass sie schwanger war. Aber erst einmal wollte sie selbst die Neuigkeiten richtig verarbeiten. Sie würde auf den richtigen Zeitpunkt warten und Mike erklären, dass es allein ihr Problem war und sie nichts von ihm brauchte. Dass sie das Baby zur Adoption freigeben würde, weil das das Beste für alle Beteiligten wäre, vor allem für das Kind.

Simone wünschte, ihre eigene Mutter hätte sich zu diesem Schritt entschieden, als sie mit ihr schwanger war. Die Beziehung zu ihrer Mom war von Anfang an gestört gewesen, und Simone litt noch immer darunter.

Damit Mike nicht misstrauisch wurde, betätigte sie die Spülung. Dann wusch sie sich die Hände und trocknete sie mit einem der flauschigen weißen Gästetücher ab. Die wurden selten benutzt, denn meistens waren Woofer und sie allein. Manchmal kam Dr. Ella Wilder vorbei, manchmal Isobel Suarez, die Sozialarbeiterin des Krankenhauses.

Jetzt war Mike da – und wartete.

Simone schaute in den Spiegel und erschrak über ihr blasses Gesicht. Sie trug kein Make-up, aber dafür alte Jeans und ein mit Farbflecken übersätes T-Shirt, das sie zur Hausarbeit anzog. Ihr Spiegelbild hatte nichts gemeinsam mit der schicken, sexy Frau, die vor fünf Wochen Mike in ihr Haus und in ihr Bett eingeladen hatte.

Aber ihr war überhaupt nicht danach, sich zu schminken und eine fröhliche Miene aufzusetzen. Und besonders feminin wollte sie auch nicht wirken. Was hatte es ihr eingebracht, sich für die Cocktailparty schön zu machen und sich so zu geben, wie sie in Wirklichkeit gar nicht war?

Nach kurzem Zögern streifte sie das Gummiband vom Pferdeschwanz und bürstete sich das Haar. Dann holte sie einen Lippenstift heraus … und hielt inne.

Mike sollte nicht denken, dass sie sich für ihn hübsch machte.

Sie legte den Lippenstift wieder weg und eilte ins Schlafzimmer, um ein sauberes T-Shirt anzuziehen und ihre Handtasche zu holen. Und einen Pullover, denn der April in Neuengland konnte sich ziemlich wechselhaft gebärden.

Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, hatte Mike den Welpen auf einem Arm. Mit der freien Hand öffnete er ihr die Haustür.

„Wohin fahren wir?“, erkundigte er sich auf dem Weg zum Wagen.

„In der Lexington Street gibt es ein Geschäft für Haustierbedarf. Die haben alles, was wir brauchen.“

„Okay. Ich weiß, wo das ist.“ Er hielt ihr die Beifahrertür auf, sie stieg ein, und er reichte ihr Wags. „Es ist besser, wenn du ihn nimmst. Er hasst die Transportbox, wenn er wach ist.“

Simone setzte sich den zappelnden Welpen auf den Schoß. Zugegeben, er war ein süßes kleines Ding, aber ein zweiter Hund im Haus war das Letzte, was sie jetzt brauchte. Worauf hatte sie sich da bloß eingelassen?

Würde sich ihr Leben in den nächsten sieben oder acht Monaten nicht kompliziert genug gestalten?

„Danke, dass du mitkommst“, bemerkte Mike. „Ich möchte nichts vergessen.“

„Kein Problem“, erwiderte sie, obwohl das nicht stimmte.

Sie wäre lieber zu Hause geblieben. Heute war ihr freier Tag, und eigentlich wollte sie waschen, den Kühlschrank sauber machen und die Fenster putzen. Außerdem hatte sie Woofer einen langen Spaziergang versprochen.

Nicht, dass der Hund sie beim Wort nehmen würde, aber manche Gewohnheiten waren schwer abzulegen. Sie wollte sich lieber nicht ausmalen, wie sich ein neuer Vierbeiner auf ihren Alltag auswirken würde.

Und erst ein Baby!

Aber darüber konnte sie sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen.

„Dieses Viertel habe ich immer gemocht“, sagte Mike, als sie durch Riverdale fuhren, den älteren Stadtteil direkt am Fluss.

„Ich auch.“ Simone schaute auf die Ahornbäume, Platanen und Hemlocktannen, welche die ruhige Wohnstraße säumten.

Als Teenager hatte Mike in den Sommerferien zusammen mit seinen Brüdern bei seinem Onkel, einem Bauunternehmer, gearbeitet. Dabei hatten sie all die Dinge gelernt, die man brauchte, um ein altes Haus zu renovieren. Sie konnten elektrische Leitungen legen, Wände und Fenster streichen und zur Not sogar ein Abflussrohr austauschen.

Viele Leute kauften lieber Neubauten, aber Mike liebte diese malerische, altmodische Gegend und hatte den Makler gebeten, sich hier umzusehen.

„Hast du an deinem Haus viel erneuern müssen?“, fragte er.

„Ja, aber es hat großen Spaß gemacht, die Ärmel aufzukrempeln und selbst Hand anzulegen. Ich habe sogar an ein paar von den Heimwerkerkursen teilgenommen, die Hadley’s Baumarkt anbietet. Ich hatte nicht genug Geld, um alles auf einmal zu machen, also habe ich mir ein Zimmer nach dem anderen vorgenommen. Als Erstes habe ich die alten Teppiche herausgerissen und den Holzboden aufgearbeitet. Danach habe ich gestrichen.“

Mike gefiel das, was Simone aus dem kleinen Backsteinhaus gemacht hatte. Natürlich hatte er an dem Abend, an dem er sie heimgefahren hatte, weniger auf die beigefarbenen Wände und die Stuckleisten geachtet. Schon als sie an seinem Jeep standen, hatte er sie geküsst, und danach hatte seine Hormone ihn nur noch an eins denken lassen. Er hatte geahnt, dass ihm der Sex mit ihr gefallen würde, aber dass er so gut sein würde, hatte er nicht erwartet. Am Morgen danach waren sie eng aneinandergeschmiegt erwacht.

Eine Nacht war einfach nicht genug.

Mike warf Simone einen verstohlenen Blick zu und sah, wie sie starr nach vorn schaute und an der Unterlippe nagte. Plötzlich drehte sie sich zu ihm und öffnete den Mund ein wenig.

Hatte sie etwa auch daran gedacht? An das Vergnügen, das sie einander bei Kerzenschein in dem antiken Bett bereitet hatten?

Er vermutete es, denn sie war plötzlich sehr schweigsam geworden.

Um sich abzulenken, erzählte er ihr von seinen Umzugsplänen. „Ich habe Leifs Schwester Karen gebeten, nach einem Haus in Riverdale zu suchen. Am liebsten hätte ich eins, das renovierungsbedürftig ist.“

Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr. „Ich kann mich ja mal umhören. Mike Griffith wohnt mit seiner Frau und seinem Sohn in der Ash Street und soll in einen anderen Bundesstaat versetzt werden. Vielleicht will er sein Haus ja verkaufen.“

„Das wäre toll.“ Da Simone nichts dazu sagte, dass sie beide möglicherweise bald Nachbarn sein würden, ließ er das Thema ebenfalls ruhen.

Minuten später parkte er in der Lexington Street.

„Woher kennst du den Laden?“, fragte er.

„Ella Wilder hat mir davon erzählt. Da hatte ich Woofer noch gar nicht.“

„Sag bloß, sie hat Haustiere?“

„Ja, eine Katze namens Molly. Das arme Ding lag verletzt am Straßenrand. Es hatte ein Bein verloren, und die meisten Leute hätten es einschläfern lassen, aber nicht Ella. Sie hat Molly gesund gepflegt.“

Mike hätte die junge Chirurgin nie für eine Tierfreundin gehalten. Aber von Simone hatte er es auch nicht geglaubt. Bis er sie mit Woofer gesehen hatte.

„Irgendwann wollte ich nach dem Einkaufen bei Prudy’s etwas essen. Der Laden der Baxters liegt gleich gegenüber, und Ella hatte mir von den netten Inhabern vorgeschwärmt. Also dachte ich mir, ich sehe ihn mir mal an. Das war der Tag, an dem ich Woofer begegnet bin.“

„Im Ernst? Verkaufen Zoohandlungen denn nicht nur Hunde und Katzen mit Stammbaum?“

„Im Gegenteil. Die Baxters veranstalten regelmäßig Adoptionstage für herrenlose Tiere aus Heimen. Sie laden die verschiedenen Tierschutzvereine dazu ein. Wie der Zufall es wollte, hat gerade einer stattgefunden, als ich zum ersten Mal dort war.“

„Augenblick mal“, sagte Mike verblüfft. „Heißt das, du gehst dort vorbei, auch wenn du gar nichts kaufen willst?“

„Ja. Hin und wieder. Millie und Fred Baxter sind sehr nette Leute. Ich habe sie vor etwa einem Jahr kennengelernt, als Fred mit Schmerzen in der Brust in die Notaufnahme gebracht wurde.“

„Tatsächlich?“

Simone hatte ihm erzählt, dass sie immer versuchte, zu den Patienten eine professionelle Distanz zu wahren. Deshalb arbeitete sie auch am liebsten in der Notaufnahme, wo niemand lange behandelt wurde. Offenbar hatte sie zu einigen trotzdem eine nähere Beziehung entwickelt.

„Er hatte einen schweren Herzinfarkt erlitten“, erklärte sie.

„Offenbar hat er ihn überlebt.“

Simone nickte. „Millie wollte tapfer sein, aber ich habe die Angst in ihren Augen gesehen. Die beiden waren viel zu jung, um so etwas durchmachen zu müssen. Und aus irgendeinem Grund hat sie mir besonders leidgetan. Außerdem war sie mir auf Anhieb sympathisch. Also habe ich nach meinem Dienst einen Becher Kaffee aus dem Ärztezimmer geholt und ihr gebracht. Ich habe mich für ein paar Minuten zu ihr gesetzt, und wir sind ins Gespräch gekommen.“

Mike hatte oft genug erlebt, wie Simone mit Notfallpatienten umging. Sie war zu allen freundlich, aber wenn die Behandelten entlassen oder stationär aufgenommen wurden, hielt sie keinen Kontakt zu ihnen. Und sie besuchte sie schon gar nicht in ihrer Freizeit.

„Was war denn an Millie so besonders?“, fragte er neugierig. Es musste etwas geben, das ihr an der Frau gefiel, und er wollte wissen, was er war. Vielleicht erfuhr er dadurch auch mehr über Simone.

Sie zuckte mit den Schultern und betrachtete den Welpen auf ihrem Schoß. Als sie den Kopf hob, ging ihr verlegenes Lächeln Mike unter die Haut. „Ich bin kein romantischer Mensch, aber Fred und Millie sind wirklich ein Herz und eine Seele – falls es so etwas gibt.“

So etwas gibt es, dachte er. Vielleicht waren Simone und er füreinander bestimmt, auch wenn sie es noch nicht ahnte.

„Jedenfalls“, fuhr sie fort, „hat Millie sich verständlicherweise große Sorgen um Fred gemacht. Und dann hat sie erwähnt, dass die beiden versuchen wollen …“ Sie schwieg und sah zur Seite, als hätte sie plötzlich den Faden verloren.

„Was wollen sie versuchen?“, fragte er nach.

Simone räusperte sich. „Sie haben jahrelang versucht, ein Baby zu bekommen, und schließlich aufgegeben. Eine künstliche Befruchtung können sie sich nicht leisten, weil sie den Laden noch nicht lange haben und alle ihre Ersparnisse hineingesteckt haben. Sie hatten sich gerade bemüht, ein Kind zu adoptieren, als Fred ins Krankenhaus musste. Und Millie hatte natürlich Angst, dass sein schwaches Herz eine Adoption erschweren würde.“

Wieder schaute sie gedankenverloren aus dem Wagen, und Mike wünschte, sie würde aussprechen, was sie gerade dachte.

Er selbst konnte sich eine Zukunft ohne Kinder nicht vorstellen. Er vergötterte seine Nichten und Neffen und freute sich darauf, ihnen neue Spielgefährten schenken zu können.

Simone schien es leidzutun, dass Millie nicht die Familie bekommen würde, von der sie träumte. Vielleicht wollte auch sie selbst gern Mutter werden. Falls ja – dabei konnte er ihr helfen.

Es sei denn, sie befürchtete, keine Kinder bekommen zu können. Vielleicht wollte sie deshalb nicht heiraten oder auch nur eine feste Beziehung eingehen.

„Eine Adoption ist eine gute Sache“, sagte Mike. Simone sollte wissen, was er davon hielt. Sicher, er wäre enttäuscht, wenn sie unfruchtbar wäre, aber er könnte damit leben. „Und liebevolle Pflegeeltern werden immer gesucht, also gibt es viele Möglichkeiten, eine Familie zu werden.“

„Ja, da hast du recht.“ Ihre Stimme wurde sanft. „Millie wäre eine großartige Mutter. Wenn ich ein Kind wäre, würde ich gern von jemandem wie ihr adoptiert werden.“

Eines Abends in der Notaufnahme hatte er ihr erzählt, dass er aus einer großen Familie kam und hoffte, irgendwann eigene Kinder zu haben. Sie habe keine Geschwister und sei keine große Kinderfreundin, hatte sie erwidert.

Das konnte er kaum glauben. Niemand ging so liebevoll und einfühlsam mit kleinen Patienten um wie sie.

„Weißt du“, begann Mike. „Keine Kinder bekommen zu können ist nicht das Ende der Welt.“

„Das stimmt. Und ehrlich gesagt hatte Millie auch mehr Angst davor, Fred zu verlieren, als davor, für eine Adoption nicht mehr in Frage zu kommen. Sie liebt ihn über alles, und ich glaube, sie hat sich damit abgefunden, dass ihre einzigen Kinder die Haustiere sind.“ Sie löste den Sicherheitsgurt, reichte Mike den Welpen und tastete nach dem Türgriff. „Komm schon, ich mache dich jetzt mit einem der glücklichsten Ehepaare von Walnut River bekannt.“

Millie Baxter war schlank, blond und Ende dreißig und strahlte übers ganze Gesicht, als Simone ihren Laden betrat.

„Na, wenn das nicht meine Lieblingskrankenschwester ist!“ Sie eilte um den Verkaufstresen herum und drückte Simone an sich.

Die Baxters waren für ihre herzliche Art in ganz Walnut River bekannt und merkten sich die Namen sämtlicher ihrer Kunden, sogar die von deren Haustieren. Aber mit einer Umarmung wurde trotzdem nicht jeder begrüßt.

„Wo ist Woofer?“, fragte Millie.

„Der ist zu Hause und nicht sehr glücklich darüber. Wenn er wüsste, dass ich hier bin, wäre er richtig sauer. Er liebt euren Laden. Natürlich vor allem, weil er jedes Mal einen kleinen Leckerbissen bekommt.“ Simone stellte ihr Mike als guten Freund vor und erwähnte auch, dass er Rettungssanitäter war.

„Und wer ist dieser süße kleine Kerl?“ Lächelnd betrachtete Millie den Welpen auf Mikes Armen.

„Er heißt Wags“, antwortete er. „Und er bleibt bei Simone, bis ich eine neue Wohnung gefunden habe.“

„Ich wette, Woofer ist verrückt nach dir“, sagte Millie zu Wags und kraulte ihn hinter den Ohren.

„Die beiden kennen sich noch gar nicht“, warf Simone ein. „Und ich weiß gar nicht, ob Woofer so begeistert sein wird.“

„Natürlich müssen die beiden sich erst aneinander gewöhnen, aber ich bin sicher, sie werden dicke Freunde.“ Millie sah Mike an. „Soll ich ihn halten, während Sie sich umschauen?“

„Danke. Ich glaube, ich werde beide Hände brauchen.“ Er reichte ihr den Welpen. „Ich hole einen Einkaufswagen.“

„Wo ist Fred?“, fragte Simone.

„Helen Walters hat ihrem Neffen ein neues Aquarium gekauft, und Fred ist zu dem Jungen gefahren, um beim Aufbau zu helfen. Er ist schon eine Weile weg, müsste also bald zurück sein.“

„Das ist wirklich nett von ihm.“

„Ach, du kennst ihn ja.“ Millie lächelte. „Wenn es etwas gibt, das er mehr liebt als Tiere, dann sind es Kinder.“

„So …“ Mike schob den Wagen vor sich her. „Wo finden wir die Sachen für Hunde?“

„Im ersten Gang.“ Millie zeigte nach rechts. „Ich helfe euch.“

Auf dem Weg durch den kleinen, aber gut sortierten Laden kamen sie an dem Basset vorbei, der neben der Kasse auf einer blauen Decke schnarchte. Wie immer trug er ein Halstuch, heute ein rotes.

„Das ist Popeye Baxter“, erklärte Simone. „Er kommt jeden Morgen mit Fred und Millie her und gehört praktisch zum Inventar.“

„Glücklicher Hund.“

„Ja, das ist er. Die Baxters haben mehre Haustiere.“ Die sie alle als ihre „Kinder“ bezeichneten, aber das behielt Simone für sich.

„Halten sie die alle im Laden?“

„Die meisten. Die Katze Tina hockt bestimmt irgendwo auf einem Kletterbaum, und der Papagei Herb sitzt in der Vogelabteilung.“

Mike schaute sich um. „Jetzt verstehe ich, warum du so gern herkommst.“

„Wirklich?“ Früher hatte sie Tierfreunde immer für … Spinner gehalten – bis sie die Baxters kennengelernt und Woofer bei sich aufgenommen hatte.

„Honey“, ertönte eine tiefe Stimme. „Ich bin wieder da.“

„Das ist Fred.“ Simone lächelte dem stämmigen Mann zu, der gerade durch die Hintertür kam. „Ich mache euch bekannt, wenn wir alles zusammen haben.“

Zehn Minuten später lagen im Wagen ein Hundebett, mehrere Kauknochen, Snacks und Futter, ein Spieltau, ein Transportbehälter, ein Halsband und eine Leine.

„Hey, warte.“ Mike warf ein mehrfach verknotetes Tau und einen Kauknochen aus Rinderhaut dazu. „Wir wollen doch nicht, dass Woofer sich ausgeschlossen fühlt.“

„Um den brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“ Irgendwann würden die beiden Hunde sich alles teilen.

„Kann sein, aber meine Schwester Kari hat gerade ihr zweites Baby bekommen. Einen Jungen. Also hat sie seiner großen Schwester eine Puppe und einen Spielzeugkinderwagen gekauft, damit sie nicht eifersüchtig auf das neue Baby ist.“

Simone sagte nichts. Mit so etwas kannte sie sich nicht aus. Noch ein Grund, weshalb sie eine lausige Mutter abgeben würde.

„Weißt du was?“ Mike schob den Wagen zur Kasse. „Wir beide hören uns an, als wären wir gerade dabei, ein Hundekinderzimmer einzurichten.“

Er lachte, aber Simone fand die Bemerkung überhaupt nicht lustig. Woofer und Wags gehörten schließlich nicht ihnen beiden zusammen. Und an ihrer Beziehung war absolut nichts Elterliches, obwohl in ihrem Körper auch sein Kind heranwuchs.

Bei der Vorstellung, das Baby wegzugeben, beschlich sie ein ungutes Gefühl. Aber es verdiente ein liebevolles Zuhause mit einer Mutter und einem Vater, die sich darauf freuten, endlich eine kleine Familie zu werden.

Simone schaute zu der Ladenbesitzerin hinüber und lächelte ihr tröstend zu. Millie und Fred würden wahrscheinlich nie gemeinsam ein Kinderzimmer einrichten. Dabei wären sie die besten Eltern, die Simone sich vorstellen konnte. Aber vielleicht …

Wie von selbst schlugen ihre Gedanken eine interessante Richtung ein.

Ob die beiden ihr Baby wollten?

Wäre es nicht leichter, das Kind an Menschen zu geben, die sie kannte? Einem Paar, dem sie vertraute?

Die Idee war nicht schlecht. Sie konnte nur hoffen, dass Mike es auch so sah – wenn sie ihm erzählte, dass sie in ihrer einzigen gemeinsamen Nacht ein Baby gezeugt hatten.

Aber was, wenn er das Kind behalten wollte? Wenn er sie zu etwas drängte, von dem sie wusste, dass es falsch war? Jedenfalls für sie.

„Das macht einhundertsiebenundzwanzig Dollar und sechzehn Cent“, verkündete Millie.

Mike zückte seine Kreditkarte – so schnell, dass sie vor Simones Augen verschwamm. Oder kam es ihr nur so vor?

Blinzelnd schnappte sie nach Luft, als ihr schwindlig wurde und der Laden sich um sie zu drehen schien.

Oh nein. Sie durfte auf keinen Fall ohnmächtig werden. Das wäre genau das, was ihr verliebter Rettungssanitäter brauchte.

Bitte nicht!

In ihren Ohren begann es zu rauschen, und unwillkürlich griff sie nach Mikes Arm, um sich festzuhalten.

Er drehte sich zu ihr um. Sein überraschtes Lächeln verwandelte sich in ein besorgtes Stirnrunzeln. „Was hast du?“

„Ich …“ Verdammt. Sie wollte es ihm nicht sagen. Aber wenn sie es nicht tat, würde er von allein darauf kommen. „Ich glaube, ich …“

Bevor sie den Satz beenden konnte, gaben ihre Knie nach.

3. KAPITEL

Mike fing Simone auf, bevor sie auf dem Boden der Zoohandlung landen konnte.

Am liebsten hätte er sie fest an sich gedrückt und den Zitrusduft ihres Haars eingeatmet, aber er beherrschte sich und legte sie behutsam hin, bevor er sich neben sie kniete. Als Rettungssanitäter war er für solche Notfälle ausgebildet, doch Simones Zusammenbruch kam völlig überraschend.

„Oh, meine Güte!“, rief Millie aus und eilte um den Verkaufstresen herum. „Geht es ihr gut? Was ist passiert?“

Mike war sich nicht sicher. „Ich glaube, sie ist ohnmächtig geworden.“

Er tastete nach ihrem Puls, überzeugte sich, dass sie gleichmäßig atmete, und legte ihr eine Hand auf die Stirn. Fieber hatte sie jedenfalls nicht.

Die dunklen Wimpern hoben sich deutlich von ihrer blassen Haut ab. Sie zuckten leicht.

„Fred!“, rief Millie. „Komm schnell her!“

Simone schlug die Augen auf und schaute heftig blinzelnd in Mike Gesicht.

Als sie sich aufzusetzen versuchte, hinderte er sie daran. „Bleib besser noch ein bisschen liegen.“

„Na gut.“ Sie holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus.

„Wie fühlst du dich?“ Mit den Fingerknöcheln strich er über ihre Wange – und erst jetzt wurde ihm bewusst, wie sehr er es vermisst hatte, sie zu berühren.

„Mir ist etwas schwindlig, aber es tut nichts weh.“

Wieder wollte sie sich aufsetzen, und dieses Mal legte er ihr beide Hände auf die Schultern und drückte sie sanft wieder zu Boden. „Ich habe hier das Sagen, und ich sage dir, dass du noch nicht aufstehen darfst.“

Sie lächelte matt. „Ich dachte, ihr Sanitäter müsst uns Krankenschwestern gehorchen?“

„Stimmt, aber nicht, wenn die Schwester außer Gefecht ist.“ Er versuchte, sich keine Sorgen zu machen, doch es gelang ihm nicht. Was zum Teufel war gerade passiert? Und warum?

Verdammt. Er hätte gern mehr für sie getan, aber inzwischen war sie wieder bei Bewusstsein. Puls und Atmung gingen normal, es gab keine Anzeichen für etwas Ernstes. Seine Erfahrung sagte ihm, dass sie in Ordnung war. Sein Herz wollte, dass er seine Kollegen rief.

Mike entschied sich für einen Kompromiss. „Sobald du gehen kannst, bringe ich dich ins Krankenhaus, damit sie dich untersuchen können.“

„Nein, das ist nicht nötig. Ich bin okay.“ Sie schloss kurz die Augen. „Es ist nichts Schlimmes, Mike. Außerdem bin ich selbst schuld.“

„Was meinst du damit?“

„Ich habe seit gestern Mittag nichts mehr gegessen und hätte mir einen Snack mitnehmen sollen.“

Er konnte nur hoffen, dass sie keine Diät machte. Abzunehmen brauchte sie jedenfalls nicht.

„Ich habe mich etwas schwindlig gefühlt, und …“, sie zuckte mit den Schultern, „dann wurde mir schwarz vor Augen.“

Er beobachtete, wie ihr Gesicht langsam wieder Farbe bekam. „Warum hast du nichts gegessen?“

„Als ich gestern Abend von der Arbeit gekommen bin, war ich müde und habe mich auf die Couch gelegt, um vor dem Essen ein bisschen fernzusehen. Als ich aufgewacht bin, war es Morgen.“ Langsam setzte Simone sich auf und lehnte sich gegen den Tresen. „Und dann … Na ja, ich hatte viel zu tun. Das ist alles.“

Und er hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als sie aus dem Haus zu schleifen, um für Wags einzukaufen! Großartig.

Fred Baxter kam angerannt und keuchte stärker, als es nach einer so kurzen Strecke der Fall sein sollte. „Du meine Güte, Simone! Was ist passiert?“

„Ich bin ohnmächtig geworden. Bestimmt bin ich nur unterzuckert.“

„Ich hole dir einen Orangensaft. Und einen Keksriegel“, bot Millie an.

„Gute Idee.“ Simone strich sich etwas fahrig durchs Haar. „Danke.“

„Du brauchst mehr als Saft und einen Snack“, meinte Mike, als die Ladeninhaberin davoneilte. „Wir gehen in das Café gegenüber, und da isst du etwas Richtiges.“ Mit einem strengen Blick machte er ihr klar, dass Widerspruch sinnlos war.

Nachdem Fred ihre Einkäufe in den Jeep geladen und Mike die Wagenschlüssel zurückgebracht hatte, ließ Simone sich über die Straße zu Prudy’s führen. Sie setzten sich unter einen der Sonnenschirme vor dem kleinen Café. Eine Kellnerin brachte ihnen Wasser und nahm die Bestellung auf.

„Fühlst du dich jetzt besser?“, fragte Mike nach, als die junge Frau wieder gegangen war.

„Ich bin noch ein bisschen wacklig auf den Beinen, aber das geht gleich vorbei.“ Simone schenkte ihm ein Lächeln und hoffte, dass es überzeugend ausfiel.

Sie war es nicht gewohnt, umsorgt zu werden. Selbst wenn sie als Kind krank gewesen war, hatte sie allein zurechtkommen müssen. Dabei war es geblieben, und eigentlich war es ihr ganz recht so.

Und dank Millies Saft und Keksriegel ging es ihr tatsächlich schon besser, wenn auch nur körperlich. Emotional war sie noch immer aufgewühlt. Immerzu musste sie an die Schwangerschaft denken … an das Baby … an Millie und Fred …

Das Kind wegzugeben wäre keine leichte Entscheidung, aber mit Sicherheit die vernünftigste.

„Ist dir kalt?“, fragte Mike. „Oder zu warm? Wir können auch reingehen.“

Sie griff nach seiner Hand. „Es geht mir gut. Und wenn ich meine Suppe bekomme, geht es mir noch besser. Außerdem müssen wir mit Wags sowieso draußen bleiben.“

„Millie und Fred hätten bestimmt gern auf ihn aufgepasst.“

Simone schaute unter den Tisch, wo Mike den Welpen mit der neuen roten Hundeleine an einen Stuhl gebunden hatte. Wags war so sehr mit einem Rinderohr beschäftigt, dass er noch nicht einmal den Kopf hob. „Sieh mal, wie zufrieden er ist.“

Mike wandte den Blick nicht von ihr. „Wenn dir zu warm wird, sag Bescheid, dann bringe ich ihn in die Zoohandlung, und wir gehen rein.“

„Die frische Luft hilft mir, einen klaren Kopf zu bekommen.“ Sie schenkte ihm noch ein Mach-dir-keine-Sorgen-Lächeln und hielt das Gesicht in die Sonne. Hoffentlich blieb es so warm.

Offenbar war Prudys Tochter Belle sicher, dass der Frühling da war, denn sie hatte Töpfe mit roten Geranien bepflanzt.

Als die Kellnerin das Essen brachte, ein Puten-Sandwich und Gemüsesuppe für sie und ein Pastrami-Sandwich für Mike, ließ Simone es sich schmecken. An der kurzen Ohnmacht waren vermutlich die Schwangerschaftshormone schuld, kombiniert mit einem zu niedrigen Blutzuckerspiegel. Vorsichtshalber würde sie den Arzt fragen. Sie wollte keine unnötigen Risiken eingehen, die das Baby gefährden konnten. Ab jetzt war das Ungeborene wichtiger als sie selbst.

Trotzdem war sie überzeugt, dass es dem Kind bei einer anderen Mutter besser ergehen würde. Hunderte Male hatte sie schon gewünscht, ihre eigene Mom hätte sie nicht behalten. Susan Garner hätte sich selbst und Simone den Gefallen tun sollen, ihre Tochter zur Adoption freizugeben.

Was für eine Ironie des Schicksals, dass Simone jetzt vor der gleichen Entscheidung stand.

Würde das Baby wie Mike aussehen, mit seinen grünen Augen und dem schwarzen Haar? Oder würde es nach ihr kommen?

Hatte ihre Mutter sich diese Fragen damals auch gestellt?

Vermutlich war Susan Garner innerlich zusammengezuckt, als man ihr ein Baby reichte, dass seinem Vater glich.

Gene konnten manchmal richtig gemein sein.

Als Simone wieder in ihr Sandwich biss, sah sie, dass Mike sie immer noch beobachtete. Sein rabenschwarzes Haar war lässig gestylt, die Augen so grün wie frisches Gras. Ihre Blicke trafen sich, und ihr entging nicht, dass in seinem mehr als nur Freundschaft und beruflicher Respekt lag.

Und wenn schon! Natürlich fand sie ihn attraktiv. Sogar sehr. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie diesem Gefühl auch nachgeben musste. Lieber konzentrierte sie sich wieder aufs Essen.

„Vielleicht solltest du deinen Blutzuckerspiegel checken lassen“, schlug er vor.

„Keine Sorge. Es geht mir schon viel besser.“

„Na gut, aber versprich mir, dass du dir einen Arzttermin geben lässt.“

Simone legte das halb gegessene Sandwich auf den Teller zurück und griff nach dem Löffel. „Versprochen.“

Aber sie würde nicht ihren Hausarzt Dr. Grayson anrufen, sondern zu Dr. Kipper, dem Gynäkologen, gehen. Mit siebenunddreißig und unverheiratet schwanger zu werden war ihr ein wenig peinlich. Aber wenn sie mit Millie und Fred eine private Adoption arrangieren konnte, hatte die Sache zumindest etwas Gutes.

Sicher, Fred war nicht gerade kerngesund, aber ein wunderbarer Mann. Ihr Baby konnte von Glück sagen, einen Daddy wie ihn zu bekommen.

„Ja, vermutlich hast du recht“, sagte Mike.

Sie schaute vom fast leeren Suppenteller auf. Bestimmt hatte sie nicht laut ausgesprochen, was ihr durch den Kopf ging, aber irgendwie hatte sie das seltsame Gefühl, dass er ihre Gedanken lesen konnte. „Womit habe ich recht?“

„Du schlingst alles runter, als hättest du seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen.“

„Habe ich auch nicht. Hast du mir etwa nicht geglaubt?“

„Dazu hatte ich keinen Grund. Schließlich hast du mich noch nie angelogen.“

Würde er sich noch mehr Sorgen machen, wenn er wüsste, dass sie schwanger war? Er hatte mal angedeutet, dass sie für ihn die ideale Ehefrau wäre. Und er hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass er eine Familie gründen wollte.

Hoffentlich würde er ihr nicht vorwerfen, dass sie das Kind nicht selbst großziehen wollte. Bestimmt würde er einsehen, dass es das Beste war.

Und wenn nicht?

Es gab viele Argumente gegen eine feste Beziehung zwischen ihnen. Zum einen war da der Altersunterschied. Und zwar nicht nur nach Lebensjahren. Schon als Kind war sie vernünftiger als ihre Spielkameraden gewesen, denn sie hatte früh erwachsen werden müssen.

Zweitens war er ganz anders aufgewachsen. Sie beide hatten kaum etwas gemeinsam. Mike konnte stundenlang von seiner Kindheit erzählen. Er tat es gern und lächelte dabei. Bei ihr dagegen … na ja, da gab es wenig Schönes zu berichten.

Hinzu kam, dass er in einer großen, glücklichen Familie aufgewachsen war. Simone hatte keine Geschwister, war immer eine Einzelgängerin gewesen, und zu viel Nähe zu anderen Menschen verunsicherte sie – vor allem wenn jemand Intimitäten erwartete.

Der einzige Freund, den sie auf dem College gehabt hatte, hatte sie „Eiskönigin“ genannt. Damals hatte sie darüber gelacht, aber sein Urteil war ihr nicht aus dem Kopf gegangen, und seitdem war sie keine Beziehung mehr eingegangen.

Aber auch wenn sie nicht von einer eigenen Familie träumen konnte, war sie mit sich und ihrem Leben zufrieden. Irgendwann würde Mike begreifen, dass sie ihnen beiden einen Gefallen getan hatte. Dass er mit ihr nicht glücklich geworden wäre.

Sie betrachtete ihn unauffällig. Er genoss sein Sandwich, als gäbe es für ihn kein Problem auf der Welt.

Gab es ja auch nicht.

Sie war diejenige, die schwanger war.

Simone schob den leeren Teller von sich.

Was, wenn Mike nicht damit einverstanden war, dass Baby zur Adoption freizugeben? Wenn er darauf bestand, dass sie es gemeinsam großzogen?

Sie mochte den gut aussehenden Sanitäter wirklich und wollte ihre Freundschaft nicht aufs Spiel setzen.

Aber wenn es nicht anders ging, würde sie ihn aus ihrem Leben ausschließen – für immer.

Als Mike Simone zu ihrer Haustür führte, sprang Woofer begeistert am Gartenzaun hoch und begrüßte sie lautstark.

„Hallo, Partner“, sagte Mike. „Wir haben eine Überraschung für dich.“

„Kann man wohl sagen.“ Simone betrachtete den Welpen in ihren Armen. „Ich bin gespannt, wie Woofer auf unseren neuen Gast reagiert.“

„Er gewöhnt sich an den Kleinen, da bin ich sicher.“

Sie betraten das Haus, und Simone ging nach hinten, um Woofer hereinzulassen. Mike setzte sich auf die Couch und wartete gespannt.

„Ar…uuf.“ Woofers Schwanz schlug gegen etwas in der Küche, und seine Krallen kratzten über den Boden.

Mike sah Wags an. „Wäre sie heute Morgen nicht in Ohnmacht gefallen, würde ich mich jetzt besser fühlen“, flüsterte er.

Gleich darauf erschienen die beiden im Wohnzimmer. Woofer entdeckte Mike und wollte ihn freudig begrüßen. Doch im nächsten Moment sah er den Welpen, blieb wie angewurzelt stehen und knurrte.

Mike setzte Wags auf den Boden, und der Kleine schaute sich neugierig um, ohne auf den älteren und viel größeren Hund zu achten – bis Woofer beschloss, sich den Neuankömmling genauer anzusehen.

Nach zehn Minuten, viel Gebell, etwas Jaulen und jeder Menge Schnüffeln schienen die Vierbeiner einander zu tolerieren.

„Was denkst du?“, fragte Mike.

„Ich denke, ich war verrückt, dir Wags abzunehmen. Wahrscheinlich darf ich die beiden keine Sekunde aus den Augen lassen.“

„Ich kann vorbeikommen und auf sie aufpassen, wenn du nicht zu Hause bist“, bot er an.

Nach kurzem Zögern zuckte sie mit den Schultern. „Warten wir ab, was passiert. Ich muss erst morgen wieder arbeiten, also übernehme ich die erste Wache.“

„Okay.“ Mike sah auf die Uhr. „Ich muss gehen. Danke, dass du dich um Wags kümmerst.“

„Dafür bist du mir einen großen Gefallen schuldig.“ Simones Augen glitzerten.

„Da hast du recht.“ Er stand auf, und sie brachte ihn zur Tür.

„Was hältst du davon, wenn ich dich am Samstagabend zum Essen einlade? Bei Rafael’s?“, fragte er. „Vielleicht könntest du das schwarze Kleid tragen, in dem du so atemberaubend aussiehst.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich fürchte, das Kleid und Rafael’s sind mir etwas zu romantisch.“

„Hör mal.“ Mit dem Zeigefinger hob er ihr Kinn an. „Warum wehrst du dich gegen deine Gefühle für mich?“

„Darüber haben wir oft genug gesprochen.“

„Du bist nicht zu alt für mich. Und wir müssen nicht dauernd ausgehen. Ein ruhiger Abend zu Hause kann auch sehr nett sein.“ Er lächelte jungenhaft. „Ich bin jederzeit bereit, hier zu übernachten, falls es spät wird.“

Unbehaglich trat sie von einem Fuß auf den anderen, und ihre Wangen röteten sich. „Die Nacht war sehr schön, aber es war und bleibt ein One-Night-Stand.“

„Niemals, Honey. Ich weiß zwar nicht, wie viele davon du schon erlebt hast, aber ich kann dir sagen, dass flüchtiger Sex anders ist.“

„Okay, ich gebe zu, es war gut. Großartig sogar. Aber eine Beziehung zwischen uns würde nicht funktionieren. Ich bin kein Familienmensch, und du bist aufgewachsen wie bei den Waltons.“

Er hatte vier Geschwister, Simone war Einzelkind, aber wo war das Problem? Paare gingen dauernd Kompromisse ein und lebten mit ihren Unterschieden. Sein Vater war katholisch gewesen, seine Mom durch und durch protestantisch, und es hatte keinen von beiden gestört.

„Denkst du denn gar nicht mehr daran? An unsere Nacht?“

Sie antwortete nicht, doch in ihren Augen spiegelte sich der Kampf zwischen Herz und Verstand. Jedenfalls hätte er das schwören können. Normalerweise lief er einer Frau nicht nach, wenn sie nicht an ihm interessiert war.

Aber Simone war anders. Sie war weder schüchtern noch spröde, und sie trieb auch keine Spielchen. Sie begehrte ihn so sehr wie er sie, und es gab nur einen Grund, warum sie sich dagegen wehrte.

„Jemand hat dir mal wehgetan, Simone“, bemerkte er. Sofort sah er ihr an, dass er einen wunden Punkt getroffen hatte. „Ich will dich nicht ausquetschen. Das brauche ich nicht, denn ich sehe es in deinen Augen. Du hast Angst, mich zu lieben. Aber die Gefühle sind da, sie brodeln dicht unter der Oberfläche.“

„Das ist nicht Liebe, sondern Lust“, erwiderte sie heiser.

„Ja, die gibt es auch.“ Er war versucht, sie lange und leidenschaftlich zu küssen, aber er wollte nicht beginnen, was er nicht beenden konnte. Sein Dienst fing bald an. „Ich lasse dir Zeit.“

Damit öffnete er die Tür und schickte sich an zu gehen.

„Du hast recht“, gab sie zu.

Mike drehte sich zu ihr um. „Womit habe ich recht?“

„Damit, dass jemand mir wehgetan hat. Und dass ich Angst vor Nähe habe. Aber das sind tiefe Narben.“

„Dann verstehst du sicher, dass ich sie beseitigen möchte.“

Eine Weile standen sie so da: ein Mann und eine Frau an einem emotionalen Abgrund, den jemand anders geschaffen hatte.

Mike musste sich beherrschen, sie nicht auf den Mund zu küssen und an das Vergnügen zu erinnern, das sie einander bereitet hatten. Stattdessen gab er ihr einen Kuss auf die Stirn, wie seine Mutter es getan hatte, um ihn und seine Geschwister zu trösten.

„Ich rufe dich morgen früh an“, sagte er und ging zum Wagen.

Die Zeit war sein Verbündeter. Er wusste, dass ihre Narben tief waren, und hoffte nur, dass sie nicht so dauerhaft waren, wie sie selbst zu glauben schien.

4. KAPITEL

Woofer fand seinen neuen Spielgefährten unterhaltsam, auch wenn der Welpe zunächst etwas anstrengend war. Aber inzwischen hatten die beiden sich beruhigt und kamen gut miteinander aus.

Normalerweise schlief Woofer im Schlafzimmer, doch da Wags noch nicht stubenrein war, sperrte Simone die Hunde in die Küche. Danach duschte sie ausgiebig und ging zu Bett.

Als sie das Kopfkissen aufklopfte, stieg ihr der frische Duft des Weichspülers in die Nase, und zum ersten Mal an diesem Tag dachte sie an etwas anderes als ihre vierbeinigen Mitbewohner.

Ob sie noch an ihre gemeinsame Nacht dachte, hatte Mike gefragt.

Natürlich tat sie das.

Noch nie zuvor hatte sie ihre Hemmungen so abgelegt wie auf der Cocktailparty bei Dr. Wilder. In High Heels und dem sexy Kleid hatte sie sich elegant und attraktiv gefühlt – eine nette Abwechslung für eine Frau, die an ihren Arbeitstagen in blauer OP-Kleidung und zu Hause in alten T-Shirts und Jeans oder Jogginghosen herumlief.

Außerdem hatte der äußerst aufmerksame Kellner sie ständig mit Champagner versorgt, bis ihr der Abend fast unwirklich vorgekommen war.

Sie fühlte sich wie im Märchen. Zumal Mike sie ständig ansah, als wäre sie eine Prinzessin.

Und als er ihre Hand nahm und sie zum Wagen führte, fragte sie sich, ob die frische Luft auf sie so ernüchternd wirken würde wie der Schlag der Uhr um Mitternacht auf Aschenputtel.

Doch das geschah nicht. Über ihr funkelte eine Million Sterne, und um sie herum glitzerte der frische Schnee.

An seinem Jeep zog Mike sie an sich und küsste sie. Schon an dieser Stelle hätte sie sich beherrschen und ihn abweisen müssen, aber ihre Hormone hatten sie dazu verleitet, sich gehen zu lassen. Und spätestens, als seine Lippen ihre berührten, war es um sie geschehen. Zitternd und mit weichen Knien hatte sie sich an ihn geschmiegt.

Selbst jetzt, über einen Monat später, brauchte Simone nur die Augen zu schließen, und schon fühlte sie seine Lippen auf ihren.

Natürlich hatte sie nur deshalb so ungestüm auf ihn reagiert, weil der Alkohol ihr die Hemmungen genommen hatte. Aber ob es ihr nun gefiel oder nicht, Mikes Charme und seine Komplimente taten ihr gut. Deshalb ließ sie sich von ihm nach Hause fahren und spielte ihre Rolle weiter. Aschenputtel und der Märchenprinz. Sie vergaß, dass sie sonst nie eine so elegante Frisur, ein hinreißendes Kleid und High Heels trug.

Aber das war ein Spiel, das sie nicht fortsetzen durfte. Nicht mit einem Mann wie Mike, der viel mehr wollte als einen One-Night-Stand. Er wollte, dass sie ihn liebte und heiratete – und beides kam für eine Frau wie sie nicht in Frage.

Leider hatte sie ihm das bisher nicht klarmachen können.

Zum Teil verstand sie, warum er es ihr nicht glaubte. Weil sie es geschafft hatte, ihre Hemmungen abzulegen und Nähe und Intimität zuzulassen, war der Sex einfach unglaublich gewesen.

Sie hatten miteinander geschlafen, bis er keine Kondome mehr hatte, und es war die lustvollste Nacht ihres ganzen Lebens gewesen.

Doch als das erste Tageslicht durch die Jalousie drang, kehrte sie abrupt in die Realität zurück. Der Zauber verflog, Aschenputtel landete auf dem Boden der Tatsachen. Die Sonne schien, das Märchen war vorüber. Also war Simone rasch aufgestanden und hatte Mike unter einem Vorwand aus ihrem Bett und ihrem Haus geschickt.

Leider war die Erinnerung an diese Nacht nicht so leicht abzuschütteln.

Ein lautes, klagendes Winseln holte sie schlagartig in die unromantische Gegenwart zurück. Sie sprang aus dem Bett.

Armer kleiner Wags!

Als sie die Küche erreichte, war der Welpe verstummt und hockte neben Woofer vor dem Türgitter, zu dem Millie Baxter ihr geraten hatte. Ihre Schwänze wischten über das Linoleum, während die beiden sie zufrieden ansahen. Offenbar war das Winseln nur ein Trick gewesen, um sie aus dem Bett zu locken.

Trotzdem nahm sie Wags auf den Arm und sah ihn sich genau an.

Kein Blut.

„Ganz schön gerissen“, murmelte sie.

Wäre Mike zu Hause, hätte sie ihn angerufen und darauf bestanden, dass er den Welpen sofort abholte. Leider hatte er heute Nachtdienst.

Und sie musste durchhalten, bis er wieder daheim war.

Am nächsten Morgen um Viertel nach sieben gab Simone endgültig auf, schlug die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Dank der beiden Vierbeiner, die immer wieder jaulend und winselnd gegen die Freiheitsberaubung protestierten, hatte sie kaum geschlafen. Jetzt wusste sie, woher der Ausdruck hundemüde kam. Und da Wags noch nicht stubenrein war, hatte sie mehrmals aufstehen und ihn in den Garten lassen müssen.

Am schlimmsten war, dass ihr jedes Mal dabei übel wurde und sie ins Bad rennen musste.

Nein, schwanger zu sein machte überhaupt keinen Spaß, und am liebsten hätte sie Mike, den Sternen oder einfach nur ihrem persönlichen Pech die Schuld daran gegeben. Aber sie machte sich nichts vor. Verantwortlich dafür war nur die blasse Frau, die ihr mit geröteten Augen und zerzaustem Haar aus dem Spiegel über dem Waschbecken entgegenstarrte.

Sie wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, ließ die Hunde ins Freie und stand in ihrem hellgrünen Bademantel und den flauschigen pinkfarbenen Hausschuhen auf dem vom Tau noch feuchten Rasen, während Woofer dem aufgeregten Wags – hoffentlich! – beibrachte, dass ein ordentlicher Welpe sein Geschäft draußen und nicht in der Küche verrichtete.

Der Himmel war bedeckt, es wehte wieder ein kühler Wind, und fröstelnd steckte Simone die Hände in die Taschen. Sie wollte nicht hier im Garten herumstehen, sie wollte zurück ins Bett.

Was sollte sie bloß tun? Am Nachmittag musste sie zur Arbeit, und eigentlich wollte sie Wags und Woofer im Garten lassen. Aber konnte sie das?

Mike hatte erst um achtzehn Uhr frei, also würde sie nicht mal ein Nickerchen machen können, bevor ihr Dienst in der Notaufnahme begann. Es sei denn, sie fand einen anderen Hundesitter.

Denk nach, befahl sie sich. Es muss jemanden geben, den du anrufen kannst.

Und dann hatte sie einen Geistesblitz. Vielleicht konnte Millie sich um Wags kümmern! Dann könnte sie noch ein wenig schlafen, bevor sie zum Dienst musste.

„Kommt schon, Jungs.“ Gefolgt von den beiden Hunden, ging sie ins Haus, um Mike in der Feuerwache anzurufen und ihm zu sagen, dass er den Welpen im Laden der Baxters abholen konnte.

Woofer, der vermutlich auch nicht viel geschlafen hatte, rollte sich zu ihren Füßen zusammen, sobald sie im Wohnzimmer angekommen waren. Wags dagegen preschte los, um endlich seine neue Umgebung richtig zu erkunden.

Nach dem zweiten Läuten nahm jemand ab. „Feuerwache.“

Sie kannte den Mann nicht. „Hier ist Simone Garner. Kann ich Mike O’Rourke sprechen?“

„Augenblick. Ich hole ihn.“

Sie musste einen Moment warten, dann hörte sie die vertraute Stimme. „Hallo, Simone. Wie läuft’s?“ Er klang unbeschwert.

Sie leider nicht. „Es funktioniert nicht, Mike.“

„Was ist los?“

„Die Hunde, das ist los! Ich habe kaum geschlafen und muss Millie Baxter bitten, Wags zu nehmen, damit ich vor meinem Dienst ein Nickerchen machen kann. Hoffentlich sagt sie Ja. Kannst du ihn nachher in der Zoohandlung abholen, falls sie einverstanden ist?“

„Klar.“

„Und du musst heute Abend auf sie aufpassen. Woofer ist nicht immer begeistert, dass er sein angestammtes Revier mit einem nervigen Welpen teilen soll, also musst du sie manchmal trennen.“ Als sie den Kopf hob, sah sie, dass Wags zurück war und etwas im Maul hatte.

Dann knurrte er, als hätte er einen gefährlichen Eindringling geschnappt und wollte ihn zu Tode schütteln. Erst jetzt schaute Simone genauer hin.

Ihr Schuh!

„Oh nein!“ Sie ließ den Telefonhörer auf die Arbeitsfläche fallen und rannte zu dem kleinen Vierbeiner, der auf einem ihrer nagelneuen und sündhaft teuren High Heels herumkaute.

Doch bevor sie ihn erreichen konnte, wetzte er davon. Mit dem Schuh.

Wahrscheinlich würde sie dieses Paar ohnehin nie wieder anziehen, aber darauf kam es nicht an. „Komm sofort her damit! Du machst ihn kaputt!“

Fluchend rannte sie hinter ihm her.

Endlich hatte sie etwas, an dem allein Mike schuld war.

Mike presste den Hörer fester ans Ohr. Was war bei Simone los?

„Honey?“ Das Kosewort entfuhr ihm, bevor er sich zügeln konnte. Als sie nicht antwortete, atmete er erleichtert auf.

Was zum Teufel ging dort vor?

Er hörte, wie sie laut mit Wags schimpfte. Zweifellos hatte der Kleine sich etwas Wertvolles geschnappt.

„Nein, Wags. Nein! Böser Hund.“

Dann kamen Schritte näher.

„Was ist passiert?“, fragte Mike, als sie wieder dran war.

„Wags hat meinen nagelneuen Schuh zerfleischt.“

Oh. Sein Welpe machte sich unbeliebt. Vielleicht sollte er ihn besser bei einem Kollegen mit Familie unterbringen. Das hieß, dass er herumfragen musste.

„Es tut mir wirklich leid, Simone. Ich kaufe dir ein neues Paar.“

„Das brauchst du nicht. Ich hätte sie wahrscheinlich sowieso nie wieder getragen. Es ist nur, dass … dass …“ Sie schluchzte auf und brach in Tränen aus.

Verdammt. Simone Garner weinte nie. Jedenfalls nicht laut oder wenn jemand dabei war. Sie hatte Gefühle, das war nicht zu übersehen, aber sie ließ sie nicht heraus. Warum tat sie es jetzt?

Vielleicht hatte sie ihre Tage.

Oder zu viel Stress, und Wags war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.

Was auch immer, er hatte ihr den Welpen aufgehalst, und das offenbar zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Dumm gelaufen, dachte er betrübt.

„Es tut mir wirklich leid, dass ich dir so viel Ärger mache, Simone.“

„Das sollte es auch.“ Sie schluchzte wieder und war nur mit Mühe zu verstehen. „Da siehst du mal, was passiert, wenn ich nicht genug schlafe. Ich breche zusammen!“

„Bitte, Simone …“

Einerseits ertrug er es nicht, sie weinen zu hören. Andererseits freute es ihn, dass sie ihm gegenüber Gefühle zeigte – nur wenige Menschen kannten sie anders als kühl und effizient. Er wünschte, er wäre bei ihr. Dann könnte er den Arm um sie legen und sie trösten.

„Zwei Nächte hintereinander halte ich das nichts aus, Mike.“

Und er ihre Tränen nicht – jedenfalls nicht auf die Entfernung.

„Ich kümmere mich um alles“, versprach er, ohne zu wissen, ob er das auch einhalten konnte. „Wenn du Wags zu Millie bringst, hole ich ihn nachher ab. Und wenn es dir nichts ausmacht, schlafe ich heute Nacht auf deiner Couch und passe auf die Hunde auf. Dann kannst du dich nach der Arbeit sofort ins Bett legen und ausschlafen.“

Mike rechnete fest damit, dass sie sein Angebot ablehnen würde. Wahrscheinlich würde sie Wags aus dem Haus werfen, und er hätte keinen Grund mehr, sie zu besuchen. Aber sie überraschte ihn. „Okay. Aber wenn das nicht klappt, musst du dir etwas anderes einfallen lassen.“

Glück gehabt. „Einverstanden.“

„Ich lege den Schlüssel unter den Blumentopf auf der Veranda.“

Er lächelte. Er hatte gehofft, dass sie ihm einen Schlüssel zu ihrem Haus geben würde, wenn auch unter angenehmeren Umständen.

Aber hey, er beklagte sich nicht.

Später am Nachmittag saß Simone im Stationszimmer und überflog gähnend die Anweisungen des Arztes für einen Patienten. Am liebsten hätte sie sich in einer Ecke zusammengerollt, um ein Nickerchen zu machen.

Sie hatte Wags zu Millie gebracht, war wieder nach Hause gefahren und hatte ein paar Stunden geschlafen, bevor sie zur Arbeit fuhr.

Warum war sie trotzdem so müde?

Es konnte nur an den Schwangerschaftshormonen liegen, also würde sie sich wohl daran gewöhnen müssen, sich dauernd kaputt zu fühlen.

Simone schaute auf die Wanduhr gegenüber dem Schreibtisch. Kurz nach halb neun.

In der Notaufnahme war es an diesem Abend ziemlich ruhig. Ein typischer Mittwoch, nichts Ungewöhnliches. Sie hatten ein Baby mit Krupp behandelt, eine Frau, die sich in den Finger geschnitten hatte, und einen Teenager mit Magengrippe, der zu wenig getrunken hatte und unter Flüssigkeitsmangel litt.

Im Moment wurde ein Kleinkind mit gebrochenem Daumen untersucht. Und eine Frau, die von einem Motorroller gefallen war und sich das Knie aufgeschürft und das Handgelenk verstaucht hatte.

Nur wenige Schritte entfernt notierte Dr. Ella Wilder den Befund.

Mit neunundzwanzig gehörte sie zu den jüngsten Ärzten am Walnut River General. Und zu den attraktivsten. Ihr brauner Bubikopf erinnerte Simone an Fotos aus den wilden Zwanzigerjahren. Die Frisur passte zu ihr.

Genau wie ihr Beruf.

Ella Wilder stammte aus einer Medizinerfamilie. Ihr Vater, Dr. James Wilder, war bis zu seinem Tod Chefarzt hier gewesen. Peter, ihr ältester Bruder, war Internist und hatte derzeit den Chefarztposten inne, bis ein passender Nachfolger gefunden wurde. Ein anderer Bruder, David, hatte als bekannter Schönheitschirurg in Los Angeles gearbeitet und war erst kürzlich nach Walnut River gezogen, um hier eine Praxis zu eröffnen.

Nur Anna, Ellas Adoptivschwester, hatte einen anderen Beruf ergriffen.

Simone wusste, dass es zwischen Anna und ihren Geschwistern Spannungen gab, wollte jedoch nicht neugierig sein. Was wusste sie als Einzelkind schon über das Innenleben von Familien?

Aber sie mochte Ella. Die junge Frau hatte ihre Ausbildung zur Fachärztin in einer renommierten Klinik in Boston gemacht und arbeitete seit einiger Zeit in Walnut River.

„Dr. Wilder“, sagte Simone zu der jungen Chirurgin. „Haben Sie einen Moment Zeit? Dr. Fitzgerald möchte, dass Sie sich ein paar Röntgenaufnahmen ansehen. Jeffrey Colwell, der kleine rothaarige Junge in 4-A, hat sich den Daumen gebrochen.“

„Ich bin hier gleich fertig.“ Ella schmunzelte, als Simone ein Gähnen nicht unterdrücken konnte.

„Ich fürchte, ich habe letzte Nacht nicht viel geschlafen“, gab sie verlegen zu.

Die Ärztin warf ihr einen Blick zu und lächelte. „Ich hoffe, Sie hatten einen guten Grund dafür – zum Beispiel einen besonderen Mann in Ihrem Leben. Vielleicht ein gut aussehender Rettungssanitäter?“

Seit einiger Zeit strahlte Ella förmlich, was zweifellos an dem „besonderen Mann“ in ihrem eigenen Leben lag. Es war J. D. Sumner, der seinen Managerjob bei Northeastern HealthCare aufgegeben hatte, weil der Konzern das Walnut River General übernehmen wollte.

„Tut mir leid, dass ich Sie enttäuschen muss“, erwiderte Simone. „Der besondere Mann in meinem Leben ist klein und hat vier Beine. Es ist ein Welpe.“

„Wirklich?“ Ella klappte die Akte zu. „Sie haben einen zweiten Hund adoptiert? Als Spielgefährten für Woofer?“

„Nein, ich bin nur Welpensitter für Mike O’Rourke.“

Ella lächelte wissend. „Ich habe mich schon gefragt, was aus euch beiden geworden ist. Der Kerl ist verrückt nach Ihnen, das ist nicht zu übersehen.“

Am Tag nach der Cocktailparty war Simone der Ärztin gegenüber herausgerutscht, dass sie mit Mike geschlafen hatte. Ella hatte nämlich gesehen, wie sie beide sich an Mikes Jeep leidenschaftlich geküsst hatten.

„Er ist wunderbar“, gab Simone zu. „Und die Frau, die ihn mal heiratet, kann sich glücklich schätzen. Aber ich bin immer eine Einzelgängerin gewesen.“

Sie war es gewöhnt, allein zu leben. Selbst eine weibliche Mitbewohnerin konnte sie sich kaum vorstellen, denn wenn sie von der Arbeit kam, wünschte sie sich zu Hause nichts als Ruhe und Frieden. Ein zweiter Hund war anstrengend, aber Mike wollte umziehen und Wags zu sich nehmen, also würde Simones Leben bald wieder in geordneten Bahnen verlaufen.

„Trotzdem finde ich es schade, dass es nur der Hund und nicht der Mann war, der Sie um den Schlaf gebracht hat“, sagte Ella.

Simone gähnte schon wieder. „Am liebsten würde ich früher Feierabend machen und nach Hause gehen.“

„Ich sehe mir noch rasch die Aufnahme von Jeffreys Daumen an, dann trinken wir zusammen einen Kaffee“, schlug Ella vor.

„Einverstanden.“ Sie bezweifelte, dass das Koffein gut für das Baby war, aber ihr Dienst war erst um elf zu Ende. Vielleicht eine halbe Tasse.

Eine Viertelstunde später war Jeffreys Hand eingegipst. „Kommen Sie“, sagte Ella zu Simone. „Machen wir eine kurze Pause, bevor der nächste Ansturm kommt.“

Simone meldete sich beim diensthabenden Arzt und ihrer Kollegin ab und setzte sich mit Ella in den Aufenthaltsraum.

„Ich habe zwei Tage frei gehabt und bin nicht auf dem Laufenden. Gibt es etwas Neues über Northeastern HealthCare und die Übernahme?“, fragte sie nach dem ersten Schluck Kaffee. Viele im Krankenhaus waren besorgt, weil der Konzern für seine Fließbandmedizin bekannt war. Das Walnut River General dagegen galt als besonders patientenfreundliches Krankenhaus.

„Na ja“, begann Ella. „Die Staatsanwaltschaft will den angeblichen Versicherungsbetrug bei uns untersuchen.“

Simone wusste, dass jemand anonym Anzeige gegen das Krankenhaus erstattet hatte, weil es angeblich Patienten länger als nötig behandelte. Es hieß, damit sollten den Versicherungen mehr Leistungen in Rechnungen gestellt werden. Simone seufzte. „Es ist doch kein Betrug, wenn man einen Patienten nicht zu früh nach Hause schickt. Ich weiß, dass wir sie länger hierbehalten als die meisten Krankenhäuser, aber das tun wir doch nicht des Geldes wegen!“

„Ganz meine Meinung. Aber ein solcher Verdacht ist nicht gerade hilfreich, wenn wir die Übernahme verhindern wollen.“

„Das ist wahr.“ Simone legte die Hände um ihre Tasse. „Wenn das Krankenhaus verklagt wird, gehen unsere Einnahmen zurück, und es wird schwierig, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Dann spielt NHC den Retter in der Not und gliedert uns in seine ‚Familie‘ ein.“

„Genau.“ Ella schaute auf die Uhr. „Wo ist bloß die Zeit geblieben? Ich bin seit heute früh hier und will endlich heim.“ Sie lächelte glücklich. „J. D. wohnt bei seinem Vater, seit er bei NHC ausgestiegen ist, aber wir ziehen zusammen, und wenn ich nach Hause komme, wollen wir uns ein Festessen gönnen.“

„Glückwunsch. Geht er mit Ihnen essen?“

„Nein, er kocht und hat sogar schon eine Flasche Champagner kalt gestellt. Auf mich wartet ein romantischer Abend, deshalb muss ich gleich los.“

Das konnte Simone gut verstehen. „Ich wünsche Ihnen eine wunderschöne Nacht.“

„Danke. Die werde ich haben.“

Simone dachte an den Mann, der bei ihr zu Hause wartete.

Natürlich war das nicht zu vergleichen.

Auch wenn Mike sich sicher wünschte, es wäre so.

5. KAPITEL

Mike war nicht in erster Linie der Hunde wegen in Simones Haus, und deshalb hatte er nach der Arbeit gleich eingekauft. Gleich kam sie nach Hause, und er wollte sie mit einem Mitternachtssnack überraschen. Dazu hatte er eine Platte mit Käse, Crackern und frischem Obst vorbereitet, und falls Simone richtig hungrig war, hatte er auch noch alles besorgt, was man für ein herzhaftes Sandwich benötigte.

Jetzt brauchte er nur noch zu warten.

Bei den Baxters hatte Wags dem armen Popeye keine ruhige Minute gelassen und sich danach auf Woofer gestürzt, aber jetzt lagen die beiden Hunde friedlich am Kamin, in dem ein kräftiges Feuer brannte.

Simones behagliches kleines Haus war an diesem Abend noch einladender als sonst. Die Kerzen, die Mike auf den Kaminsims gestellt hatte, flackerten und tauchten das Wohnzimmer in ein romantisches Licht.

Hoffentlich freute sich Simone darüber, dass jemand sie liebte, auf sie wartete und wusste, was ihr gefiel.

Als Mike einen Wagen hörte, ging er zur Haustür und öffnete. Wags war zu erschöpft, um ihn zu begleiten, und Woofer hob nur kurz den Kopf.

„Guten Abend“, sagte er, als Simone ihre Jacke an den Haken hängte.

Selbst nach einem anstrengenden Dienst und in blauer OP-Kleidung war Simone eine äußerst attraktive Frau, die sein Herz schneller schlagen ließ.

Überrascht sah sie sich im Wohnzimmer um. Ihr Blick fiel auf die frischen Blumen auf dem Couchtisch. „Was ist das denn?“

„Ein Friedensangebot“, sagte Mike. „Von Wags. Er sieht im Moment vielleicht nicht gerade reuevoll aus, aber es tut ihm sehr leid, dass er dich letzte Nacht so auf Trab gehalten hat.“

Sie lächelte dankbar, aber ihm entgingen die dunklen Ringe unter ihren Augen nicht. Vielleicht sahen sie im flackernden Schein der Kerzen schlimmer aus, als sie waren. Er sagte nichts dazu, aber er nahm sich fest vor, dafür zu sorgen, dass sie in dieser Nacht genug Schlaf bekam.

„Falls du Hunger hast, ich habe etwas vorbereitet. Falls nicht, stelle ich es in den Kühlschrank.“

„Danke. Das ist süß von dir. Ein kleiner Snack klingt gut. Wenn ich nichts im Magen habe …“

Autor

Mary J Forbes
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Jen Safrey
Jen Safrey wurde in Queens, New York, geboren und wuchs in Valley Stream, auf Deutsch Talstrom, auf – einem Städtchen in der Nähe von New York, das interessanterweise trotz seines Namens weder ein Tal noch einen Strom aufweist. (Dafür aber viele Imbissbuden und Pizzerien.)

Als Kind war Jen ein Strich in...
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