Bianca Gold Band 41

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

ERSTER PREIS: EIN MANN! von FERRARELLA, MARIE
Danny weiß genau, wie sein neuer Daddy sein soll! Leider zieht seine Mutter Rosemary nicht mit; die junge Witwe verabredet sich nie. Heimlich macht Danny also für sie bei einem Preisausschreiben mit und hofft auf den Hauptgewinn: ein Date mit Chris, ihrem netten Nachbarn …

DAS DOPPELTE GLÜCK von HERRON, RITA
So gern die hübsche Modedesignerin Paige auch eine Familie hätte - sie ist überzeugt, dass sie nicht die Verantwortung für ein Kind übernehmen kann. Aber das sehen die beiden süßen Töchter des attraktiven Zeke völlig anders. Denn sie wissen mehr als Paige und Zeke …

ENDLICH WIEDER GLÜCKLICH von LANE, ELIZABETH
Kate ist dabei, sich in den erfolgreichen Architekten Jeff zu verlieben! Doch zu viel spricht gegen ein Happy End: Jeff stammt aus reichem Hause, während Kate kellnert, um sich und Tochter Flannery durchzubringen. Aber die und Jeffs Tochter Hellen tun alles dafür, Schwestern zu werden …


  • Erscheinungstag 22.09.2017
  • Bandnummer 0041
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733452
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Marie Ferrarella, Rita Herron, Elizabeth Lane

BIANCA GOLD BAND 41

1. KAPITEL

Lieber Radiosender, ich möchte für meine Mom zum Muttertag eine Verabredung gewinnen, weil sie schon lang keine mehr gehabt hat. Aber das hat nichts damit zu tun, dass sie nicht hübsch ist, weil sie nämlich hübsch ist. Echt hübsch. Aber sie arbeitet sehr viel, damit ich alles kriege, was ich will. Ich will aber jetzt was für sie. Sie soll wen haben, mit dem sie reden kann, wenn ich nicht da bin. Ich bleibe nämlich nicht immer klein, und Mom braucht wen, der sich um sie kümmert. Verrate ihr aber nicht, dass ich das gesagt habe.

Sie ist dreißig, sieht aber viel jünger aus. Und sie hat ein echt nettes Lachen. Sie mag alte Songs und alte Filme, und sie geht gern im Regen spazieren. Der Typ soll attraktiv und groß sein, und wenn er Baseball spielt, wäre das echt gut. Aber er muss zu meiner Mom nett sein, weil sie die Beste ist.

Dein Freund Tommy Smith

P.S.: Schick bitte den Brief an mich und nicht an meine Mom, weil es eine Überraschung ist. Danke.

Lächelnd betrachtete Rosemary Gallagher die kindliche Handschrift. Gerührt legte sie den Brief auf den Schreibtisch zu dem kleinen Stapel Zuschriften für das Preisausschreiben.

Was für ein netter Junge, dachte sie. Wollte da noch jemand behaupten, es würde sich nicht lohnen, Kinder zu haben? Dieser Tommy Smith wirkte genauso reizend und wunderbar wie ihr Danny.

Rosemary strich das hellbraune Haar aus dem Gesicht. Sie durfte nicht vergessen, die Haare zu schneiden. Im Moment hatte sie jedoch Wichtigeres zu erledigen. Wenn nicht noch ganz außergewöhnliche Briefe eintrafen, gehörte Tommys Mutter zu den zehn Gewinnerinnen des Preisausschreibens, das sie veranstaltete.

Sie hatte die zahlreichen Briefe, die ihr die Rundfunkstation zugestellt hatte, durchgesehen und sie auf ungefähr fünfundzwanzig reduziert. Aus diesen wollte sie zehn alleinstehende Mütter aussuchen. Zehn Frauen sollten zum Muttertag eine Verabredung gewinnen.

Diese Frauen wollte Rosemary anschreiben, damit sie den Fragebogen ausfüllten, den sie bei der Eröffnung ihrer Firma entworfen hatte. Durch die darin gestellten Fragen konnte der passende Seelenverwandte ermittelt werden.

Soulmates Inc. – so hieß ihre Agentur für Partnerschaftsvermittlung. Sie hatte die Firma eröffnet, nachdem sie wegen Einsparungen an der Universität von einer Vollzeit-Lehrkraft zur Teilzeit-Dozentin zurückgestuft worden war. Sie hatte unbedingt ihr Einkommen aufbessern müssen.

Soulmates Inc. war teils aus einem genialen Einfall und teils aus Verzweiflung heraus an ihrem Küchentisch geboren worden. Nach vier Jahren harter Arbeit lief das Geschäft mittlerweile gut und sorgte für ausreichend Beschäftigung. Es gab sogar so viel zu tun, dass sie vor zwei Monaten ihrer Cousine Teri angeboten hatte, in Teilzeit für sie zu arbeiten.

Rosemary lehnte sich auf dem Stuhl zurück und reckte sich, doch es half nicht gegen die Verspannung im Rücken. Sie wusste genau, wieso sie so verkrampft war. Ihr saß der Termin im Nacken. Um die eingeleitete Werbekampagne erfolgreich durchzuziehen, musste sie in weniger als zwei Wochen die Gewinnerinnen aussuchen, sie anschreiben, ihre Formulare auswerten und geeignete Partner finden.

Wäre Teri doch nur schon hier! Auch wenn ihre Cousine bloß stundenweise arbeitete, vermisste Rosemary die Hilfe und das pausenlose Plaudern. Da Rosemary ungefähr vier Stunden geschlafen hatte, brauchte sie jemanden, der sie am Einnicken am Schreibtisch hinderte.

Rosemary griff nach der Akte, die sie normalerweise neben dem Stuhl in Reichweite hatte, fasste jedoch ins Leere. Sie hatte völlig vergessen, dass alles vom Fußboden entfernt werden musste, was zerkaut werden konnte. Hundezähne hätten es sonst unweigerlich zerpflückt.

Tief seufzend stand sie auf und trat an den nächststehenden Aktenschrank. In der Küche gab es zwei davon, links und rechts vom Vorratsschrank. Die Stapel obenauf wuchsen immer weiter an und drohten zu kippen. Auch darum musste sie sich bei Gelegenheit kümmern und alles in den neuen Computer eingeben, um ihre Arbeitsmethoden zu straffen. Wieso war eigentlich alles, das die Arbeit erleichtern sollte, so kompliziert?

Schrilles Kläffen im Garten erinnerte sie daran, wieso sie nur vier Stunden geschlafen hatte. Als ob sie nicht schon genug zu tun gehabt hätte!

Lieber Himmel, sie war verrückt gewesen, einen Hund im Haus zu erlauben! Einen nicht erzogenen und nicht stubenreinen Hund! Es war schwer genug, allein erziehende Mutter eines kleinen Jungen zu sein. Noch schwerer war es, allein erziehende Mutter eines kleinen Jungen mit Hund zu sein.

Rosemary seufzte erneut und blickte aus dem Küchenfenster in den Garten. Ihr Sohn bemühte sich tapfer, den Welpen zu erziehen, der überhaupt nicht auf ihn hörte. Vor einer Woche hatte Danny den zotteligen Mischling nach Hause gebracht. Er hatte den Welpen auf den Armen hereingeschleppt und den geradezu in solchen Situationen typischen Satz gesagt: Sieh mal, Mom, der ist mir nachgelaufen. Darf ich ihn behalten?

Rosemary wollte sofort entschieden ablehnen. Als Kind hatte sie lediglich einen Stoffhund besessen, der auf ihrem Bett saß, keinen Schmutz machte, nicht spuckte und nie die Bettdecke anknabberte.

Dannys Findling tat das alles innerhalb der ersten Stunden, doch mit seinen großen blauen Augen hatte Danny ihre Abwehr dahinschmelzen lassen.

Der Behälter auf der Theke mit dem Spezialreinigungsmittel für Hundeflecken war schon halb leer. Wäre es nach Rosemary gegangen, wäre der Welpe aus dem Haus verschwunden. Sie konnte ihrem Sohn jedoch nichts abschlagen. Für einen Jungen war es nicht leicht, ohne Vater aufzuwachsen.

Für eine Frau ohne Ehemann ist es auch kein Zuckerschlecken, dachte sie. Doch bisher hatten sie und Danny es geschafft, genau wie die Frauen, die diese Briefe geschickt hatten.

Lächelnd betrachtete Rosemary den Stapel auf dem Schreibtisch. Danny war ihr größter Trost, auch wenn er von der Straße einen streunenden Welpen ins Haus schleppte und das Chaos in ihrem Leben noch steigerte. Danny hätte sie gegen nichts auf der Welt eingetauscht.

Er erhellte ihr Leben. Er hatte sogar den Anstoß zu dem Preisausschreiben geliefert. Verabredung zum Muttertag war zwar ihre Idee, die jedoch auf Danny zurückging. Er hatte gesagt, er wollte ihr in diesem Jahr zum Muttertag etwas echt Tolles schenken, weil sie ihm den Hund erlaubte.

„Und was?“, hatte sie geantwortet, während sie auf Knien vom Wohnzimmerteppich einen frischen Fleck entfernte.

Der Stolz ihres Lebens hatte angestrengt nachgedacht und dabei den Welpen an sich gedrückt, der ihm das Gesicht mit jener Begeisterung leckte, die nur kleine Hunde entwickeln. „Wie wäre es mit einer Verabredung?“, fragte Danny strahlend.

Rosemary lachte über den Vorschlag, der einfach komisch wirkte, weil sie selbst eine Agentur für Partnerschaftsvermittlung betrieb.

Dann fiel ihr allerdings ein, dass vielleicht auch andere kleine Jungen ähnlich wie Danny dachten. Sie wollten ihren Müttern eine besondere Freude bereiten, hatten jedoch kein Geld, um etwas zu kaufen. Eine Verabredung war doch ein ganz besonderes Geschenk, noch dazu, wenn alles gratis war. Je länger sie darüber nachdachte, desto besser gefiel ihr die Idee.

Die Reklame durch die Werbeeinschaltung im Radio hatte das Geschäft von Soulmates Inc. angekurbelt. Das entschädigte sie sogar dafür, dass ihre dunkelbraunen Wildlederschuhe nunmehr gründlich angeknabbert waren.

Die Glastür quietschte, als Danny sie mit dem Ellbogen aufschob und den Welpen hereintrug. „Na, wie läuft es?“, fragte er.

„Gut.“ Danny hatte das Tier Rocky genannt, obwohl es eine Hündin war. Rocky strampelte, um sich aus dem Klammergriff zu befreien. Ich muss die Krallen schneiden, dachte Rosemary. „Ich könnte dich das Gleiche fragen. Hört sie schon besser?“

Rosemary kannte natürlich die Antwort, aber Danny fühlte sich vielleicht besser, wenn sie so tat, als würde sie ihm einen Erfolg zutrauen. Danny liebte Tiere. Es bestand jedoch ein großer Unterschied, ob man sie auf der Straße streichelte und Tiersendungen im Fernsehen verfolgte, oder ob man selbst ein Tier hatte, das aus Schuhschachteln samt Inhalt Konfetti machte.

„Ja“, versicherte er viel zu begeistert, als dass es wahr sein konnte. So schnell und atemlos antwortete er stets, wenn er schwindelte.

Armer Danny! Rosemary winkte ihn näher zu sich heran und streichelte Rocky. Dabei lächelte sie Danny an, in dessen blauen Augen sich Frust und Hoffnung mischten. „Es dauert eben seine Zeit, Schatz.“

Rocky wedelte so heftig, dass der ganze Hund wackelte. Im nächsten Moment plätscherte der sichtbare Beweis für die Freude auf den Küchenboden, der wenigstens nicht frisch gewischt war.

„Bring sie wieder nach draußen, Danny.“

Er nickte und trug den Welpen zur Schiebetür. Rosemary stand auf und griff nach dem Mopp, den sie mittlerweile gar nicht mehr wegstellte. Wenn sie Glück hatte, roch das Haus nicht wie ein Stall, bis Rocky endlich stubenrein war.

Danny hielt sich mit einer Hand an der Tür fest und drückte mit der anderen den strampelnden Hund an sich. „Du hast mir nicht gesagt, wie es läuft.“

Rosemary wusste nicht, was er meinte.

„Der Wettbewerb.“

Der Fleck war weg. Rosemary spülte den Mopp aus und lehnte ihn an die Theke, weil sie ihn garantiert bald wieder brauchte. Während sie die Hände trocknete, wandte sie sich an ihren Sohn. „Du interessierst dich ja plötzlich sehr für meine Arbeit.“

Danny tat beleidigt, als würde das nicht stimmen. „Na ja, du benutzt schließlich meine Idee.“

Lächelnd setzte sie sich wieder an den Schreibtisch. „Und das war eine sehr gute Idee.“

Die Post lag auf der Theke viel zu nahe an der Kochplatte. Rosemary legte sie an eine ungefährlichere Stelle, aber allmählich wuchs ihr die Unordnung über den Kopf. Gleich nach dem Muttertag musste sie sich einen Tag frei nehmen und gründlich aufräumen.

„Durch dich bekommen wir eine Menge Reklame für die Agentur.“ Das stimmte. In den drei Tagen, in denen Chris Maverick die Werbung beim Sender K-LAS brachte, hatte sich die Post fast verdreifacht.

Wie ein kleiner Manager, der sich um seine Firma kümmerte, betrachtete Danny die Post. „Hast du sie schon ausgesucht? Die Gewinnerinnen?“, fügte er hinzu, bevor seine Mutter fragen konnte.

Sie griff nach dem Brieföffner, den Patrick ihr zum letzten gemeinsamen Valentinstag geschenkt hatte. „Ich arbeite noch daran.“

Danny kam näher. Rocky winselte und wollte vom Arm herunter. Die Hinterbeine hingen fast bis zu Dannys Füßen. „Kann ich mal sehen, welche du schon ausgesucht hast?“

Danny hatte ihre Tätigkeit stets als Schmusekram abgetan. Konnte es sein, dass der kleine Kerl so schnell reifer geworden war? Rosemary legte den Brieföffner auf den Schreibtisch und betrachtete das angespannte Gesicht, das dem ihren so ähnlich war. Nur das blonde Haar hatte Danny von Patrick geerbt. „Du interessierst dich tatsächlich dafür.“

Er zuckte die Schultern unter dem gestreiften T-Shirt und drückte den Welpen noch fester an sich. „Klar. Vielleicht kann ich dir beim Aussuchen helfen.“

Das klang richtig eifrig. Ja, er wuchs rasch heran. „Ich lese dir die Briefe später vor“, versprach sie und deutete ernst auf Rocky. „Erst musst du dieses Mädchen in den Garten schaffen, damit es sich entleeren kann. Raus!“ Rosemary zeigte auf die Tür ins Freie.

Danny schob die Tür ganz auf und schloss sie wieder hinter sich. Rosemary sah zu, wie der Welpe ihm endlich vom Arm sprang und weglief. Wie gut, dass sie nie Zeit für Blumenbeete gefunden hatte. Die wären mittlerweile mit Sicherheit schon alle umgegraben worden.

Rosemary versuchte, sich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren. Trotzdem dachte sie daran, wie sehr Danny sich für den Wettbewerb interessierte. Vielleicht sollte sie ihn mit einbeziehen, damit er sich bedeutend fühlte. Sein Selbstwertgefühl war zwar in Ordnung, doch es schadete nicht, wenn sie es gelegentlich weiter aufbaute. Mit seinen elf Jahren war Danny seit neun Jahren das einzige männliche Wesen in der Familie.

Mein kleiner Mann, dachte sie. Allerdings war er gar nicht mehr so klein. Im Moment machte er gerade einen Wachstumsschub durch. Bestimmt dauerte es nicht lange, bis er größer als sie war, auf eigenen Beinen stand, eine Freundin fand und …

Rosemary musste lachen. Sie plante schon seine Hochzeit, und er hatte noch nicht einmal die Grundschule hinter sich. Es war nur so, dass ihr die Zeit davonlief.

Ihr Blick fiel auf den Fußboden neben der Theke.

Apropos laufen, dachte sie und stand seufzend auf. Sie hatte einen Fleck übersehen. Also griff sie erneut nach dem Mopp.

Als sie ihn ausgewaschen hatte, klingelte es an der Tür. Wenn das so weiterging, konnte sie die Gewinnerinnen erst zum Muttertag im nächsten Jahr aussuchen. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es wahrscheinlich Teri war, die wie üblich zu spät kam. Teri, acht Monate jünger als sie, hatte sich schon bei der Geburt um drei Tage verspätet. Im Verlauf von dreißig Jahren hatte sie diese Gewohnheit nicht abgelegt.

Abgehetzt kam Teri mit einem halb gefüllten Postsack herein.

„Hi! Ich war noch auf dem Postamt und habe unsere Post geholt.“ Teri ging in die Küche und warf den Sack auf den Fußboden. „Der Wettbewerb schlägt bombig ein. Ich hätte nie gedacht, wie viele Alleinstehende einen Partner suchen.“

Rosemary hob den Sack vorsichtig auf und legte ihn auf einen leeren Hocker. „Dadurch läuft unser Geschäft, Teri“, meinte sie lächelnd.

Teri, im Gegensatz zu Rosemary blond, erinnerte sich an den Grund, aus dem der Sack hoch gelagert werden musste. „Ist der Allesfresser noch immer auf Raubzug?“

Rosemary winkte ab. „Bring mich bloß nicht in Rage. Ich weiß nicht, wieso ich das erlaubt habe!“

Lachend ging Teri an den Kühlschrank und nahm sich eine Dose Limonade. „Ich schon. Du hast eben ein weiches Herz. Aber dagegen ist nichts einzuwenden. Es macht dich liebenswert.“ Sie nahm einen Schluck und deutete auf die säuberlich aufgereihten Stapel auf Rosemarys Schreibtisch. Diese Frau könnte sogar in einen Tornado Ordnung bringen, dachte sie dabei. „Was ist bei Dannys Geniestreich herausgekommen?“

Rosemary überflog den Brief, den sie soeben geöffnet hatte. Zu gut formuliert. Den hatte kein Kind verfasst, sondern ein Erwachsener, der sich nur wie ein Kind ausdrückte. Einfache Wörter waren falsch, schwierige, die kein Kind benutzte, richtig geschrieben.

Sie legte den Brief auf den hintersten Stapel zu denen, die sie ablehnte und mit einem höflichen Schreiben zurückschickte. Allerdings würde sie auch jeweils ein Formular beifügen in der Hoffnung, dass die Absender ihre Dienste in Anspruch nahmen.

„Die Auswahl fällt mir schwer, aber ich komme voran.“ Sie warf einen Blick auf den Sack. „Die Post aus unserem Brieffach hat vermutlich nichts mit dem Wettbewerb zu tun.“

Teri schüttelte den Kopf und ging an den Tisch. „Diese Briefe haben wahrscheinlich Leute geschrieben, die im Radio von der Agentur gehört haben.“ Sie seufzte und lächelte verträumt. „Weißt du, der Moderator hat die erregendste Stimme, die ich jemals gehört habe. Wie warme Regentropfen, die einem im Herbst über das Gesicht fließen.“

Das würde ihm gefallen, dachte Rosemary und amüsierte sich über diese Beschreibung. Doch wenn sie darüber nachdachte, stimmte es sogar. Chris Maverick besaß tatsächlich eine erregende Stimme. Sie war sein Markenzeichen.

„Seine restlichen Teile sind auch nicht so schäbig“, bemerkte sie und öffnete den nächsten Brief.

Teris blaue Augen leuchteten sofort interessiert auf. Sie stellte die Dose energisch auf die Theke.

„Ach ja?“, fragte sie und betrachtete forschend Rosemarys Gesicht. Ihre Cousine verschwieg ihr etwas. Großartig! „Und welche seiner nicht so schäbigen Teile hast du schon gesehen?“

Rosemary wusste genau, dass die Fantasie mit Teri durchging. „Er ist mein Nachbar, Teri. Ich habe ihn im Garten arbeiten gesehen.“

Teri blieb der Mund offen stehen, während sie auf einen Stuhl sank. Bisher hatte Rosemary ihre Nachbarn nur flüchtig erwähnt. Chris war also Chris Maverick! Das hatte sie nicht einmal geahnt.

„Chris Maverick ist dein Nachbar?“

Teri sagte es, als hätte sie soeben erfahren, dass Rosemary eine Affäre mit Mel Gibson hatte.

„Ja“, bestätigte Rosemary geduldig, als hätte sie ein Kind vor sich, das schwer von Begriff war. „Dadurch bin ich ja auf die Idee mit dem Wettbewerb im Radio gekommen.“ Es war purer Zufall gewesen, doch darauf ging sie jetzt nicht näher ein. Chris hatte seine Hilfe angeboten. Er war wirklich nett, obwohl er für ihren Geschmack eine Spur zu gut aussah. „Er hat mir sogar einen Preisnachlass verschafft.“

Teri lächelte anzüglich. „Bevor oder nachdem du die nicht so schäbigen Teile gesehen hast?“

Teri gab bestimmt nicht auf, bevor Rosemary alles erklärt und die Fantasie ihrer Cousine eingedämmt hatte. „Die nicht so schäbigen Teile, von denen ich sprach, waren vollständig bekleidet, Teri. Zügle deine Gedanken!“ Rosemary runzelte die Stirn. Sie mussten sich an die Arbeit machen, um nicht in Rückstand zu geraten. „Das habe ich dir doch alles schon mindestens einmal erzählt.“

Falls das stimmte, erinnerte Teri sich nicht daran. Aber sicher hätte sie nicht vergessen, dass Chris Maverick gleich neben ihrer Cousine wohnte.

„Wahrscheinlich hat mir gerade einer der Zwillinge ins Ohr geschrien. Du weißt doch, dass man Müttern von Zwillingen alles mindestens zweimal sagen muss.“ Sie lehnte sich zurück und öffnete einen Brief, obwohl sie sich in Gedanken nicht mit der Arbeit beschäftigte. „Also, dann erzähl mehr über diesen nicht so schäbigen Menschen.“

Rosemary kannte dieses Funkeln in den Augen ihrer Cousine. Teri wollte kuppeln. Sie selbst brachte zwar ständig andere Leute zusammen, doch Teri war dauernd hinter ihr her und drängte sie, einen der zahlreichen männlichen Bewerber für sich zu reservieren.

Rosemary griff nach dem nächsten Brief. Für private Beziehungen hatte sie keine Zeit. „Teri, sieh mich nicht so an.“

Teri spielte mit einem Brief. Sie liebte Rosemary wie eine Schwester. Alles hatten sie geteilt, von der Schwärmerei für Shaun Cassidy in The Hardy Boys über durchgearbeitete Nächte am College, von Hochzeiten über Geburten bis hin zu Patricks Tod.

„Weißt du, Rosie, ich begreife nicht, wie du eine Partnervermittlung betreiben kannst, ohne selbst jemals mit einem Mann auszugehen. Hast du noch nie davon gehört, dass ein Arzt sich in erster Linie selbst helfen sollte?“

Rosemary nahm Teri den Brief aus der Hand. „Doch, aber ich habe noch nie gehört, dass ein Arzt sich selbst den Blinddarm herausoperiert hat.“ Im Umschlag steckte eines ihrer Formulare. Sie warf einen Blick auf den Namen und legte das Blatt auf den Stapel der Männer.

Teri schüttelte den Kopf. Rosemary würde es sich bald anders überlegen. „Du tust gerade so, als wären Verabredungen schmerzlich.“

Das trifft es, dachte Rosemary. Schmerzlich. Allein schon die Vorstellung, mit jemandem auszugehen und sich zu unterhalten, jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Sie zuckte lässig die Schultern. „Für manche sind Verabredungen schmerzlich.“

Teri verstand nicht, wieso Rosemary alles ablehnte, was sie beruflich anderen vermittelte. „Aber, Rosie, du warst verheiratet und …“

Das Thema hatte Rosemary mit ihrer Cousine schon unzählige Male besprochen. „Und es hat mir gefallen. Jede Frau sollte so glücklich sein, wie ich es mit Patrick war.“

Teri wusste sich keinen Rat. Wie sollte sie Rosemary begreifen? Wäre sie selbst wieder alleinstehend gewesen und hätte eine Partnervermittlung betrieben, wäre ihr das wie eine Goldmine erschienen.

„Und weiter?“

Rosemary dachte nicht daran, sich erneut auf eine sinnlose Diskussion einzulassen. „Und weiter – ich betreibe diese Agentur, bringe die richtigen Leute zusammen und ermögliche ihnen hoffentlich, glücklich zu werden.“ Es war eine Sache, andere Leute miteinander zu verabreden, als sich selbst in diese Lage zu begeben.

Vielleicht bin ich dumm, dachte Teri. Jedenfalls begreife ich nichts. „Und keiner dieser männlichen Bewerber …“ Sie deutete auf den Aktenschrank mit den Unterlagen über Junggesellen. „Keiner hat dich jemals interessiert? Für keinen hättest du dir die Mühe gemacht, eine Strumpfhose und schicke Schuhe mit hohen Absätzen anzuziehen?“

Rosemary wackelte mit den nackten Zehen in den Sandalen, die Rocky höchst interessant fand.

„Schon möglich, aber das heißt nicht, dass ich mich mit einem treffen will. Ich finde auch Paragliding interessant, werde mir aber trotzdem keine Flügel umschnallen und von einem Felsen springen.“ Vielleicht war sie feige. Vielleicht stand ihr auch die Erinnerung an Patrick im Weg. Hätte Teri doch mehr Verständnis gezeigt und aufgehört, immer wieder auf dem Thema herumzureiten! „Bei einer Verabredung verspüre ich den Zwang, geistreich, witzig und unterhaltsam zu sein und …“

„Das bist du doch“, wandte Teri ein.

„Schon möglich, aber nicht auf Abruf.“ Seit Patricks Tod war Rosemary nur zweimal ausgegangen. Es waren zwei Fehlschläge gewesen. „Bei einer Verabredung bin ich nicht mehr ich selbst.“ Es schauderte sie allein schon bei der Erinnerung. „Ich erstarre wie eine Schauspielerin mit Lampenfieber.“ Genauso war es. So konnte sie es Teri am besten erklären. „Ich bekomme bei Verabredungen Lampenfieber. Und das ist es mir nicht wert. Ich bin mit meinem Leben zufrieden, wie es ist.“ Rosemary zuckte zusammen, als sie ein Jaulen hörte. „Abgesehen natürlich von dem Hund, aber das wird sich hoffentlich auch bald ändern.“

Teri seufzte und gab vorerst auf. „Wie du willst.“ Sie blätterte den Stapel durch, der ihr am nächsten war, und überflog den Brief, den Rosemary unmittelbar vor ihrer Ankunft gelesen hatte. „Hey, der gefällt mir.“

Rosemary sah, welchen Teri meinte, und nickte. „Niedlich, nicht wahr? Er kommt in die Endausscheidung.“

Teri legte ihn ganz nach oben. „Also, ich stimme dafür.“

Rosemary hing aufrichtig an ihrer Cousine, aber manchmal nervte sie Teris Vorpreschen. „Du hast die anderen Briefe noch nicht gelesen.“

Teri griff nach der Limonadendose. „Das mache ich schon noch, aber der hier ist ganz reizend.“

„Ich weiß.“ Dagegen war nichts einzuwenden. „Danny könnte so schreiben, nur dass die Rechtschreibung viel besser ist.“

„Mom, sie ist durch den Zaun entwischt!“, schrie Danny.

Rosemary warf Teri einen Blick zu. „Manchmal gehen Wünsche ja doch in Erfüllung. Vielleicht will sie weglaufen.“

Danny stürmte in die Küche. „Rocky ist durch den Zaun zum Nachbarn entwischt. Du kennst doch das Loch!“

Rosemary schloss die Augen. Auf jeder Seite des Gartens gab es ein Loch im Zaun. „Na toll. Das heißt, dass sie entweder bei den O’Donnells im Teich mit den Schnappschildkröten ist oder dass ich Chris Maverick für seine Großzügigkeit damit belohne, dass die Hündin meines Sohnes seine Begonien begießt.“ Sie öffnete die Augen und sah ihren Sohn vorsichtig an. „Welcher Nachbar, Danny?“

„Der Typ“, erklärte Danny ungeduldig. „Mr. Maverick.“

„Großartig.“ Sie stand auf. „Das kann eine Weile dauern, Teri.“

„Lerne ich jetzt wenigstens Mr. Nicht-so-schäbig kennen?“, fragte Teri amüsiert.

Rosemary verließ kopfschüttelnd die Küche. Teri war hoffnungslos. „Du bist verheiratet“, rief sie zu ihrer Cousine zurück.

„Aber ich bin noch nicht tot“, erwiderte Teri und setzte sich lachend an den Schreibtisch.

Danny drehte sich um, und Teri lächelte ihm vergnügt zu, zwinkerte mit den Augen und machte sich endlich an die Arbeit.

Rosemary hatte schon bessere Tage erlebt. Sie klingelte bei Chris Maverick. Dabei hasste sie es, andere Leute zu stören. Doch darauf kam es jetzt nicht an. Der Hund tobte durch den Garten ihres Nachbarn und richtete wer weiß was für einen Schaden an.

Die Tür öffnete sich erst nach dem zweiten Klingeln. Christopher Maverick stand in voller Größe von eins fünfundachtzig vor ihr, barfuß, nass, mit einem Handtuch um die nackten Schultern und einem schwarzen Handtuch um die Hüften und den flachen Bauch geschlungen.

Lieber Himmel, auf dem Bauch kann man Hemden bügeln, dachte Rosemary, bevor sie merkte, dass sie ihn anstarrte. Verlegen hob sie den Blick zu seinem Gesicht.

Das Sprechen fiel ihr schwer. Sie bemühte sich trotzdem. „Tut mir leid“, stieß sie so atemlos hervor, dass es sogar in ihren Ohren peinlich klang. „Ich wollte Sie nicht unter der Dusche hervorholen, aber der Hund meines Sohnes ist in Ihrem Garten.“

Falls Chris verärgert war, zeigte er es nicht. „Ich habe das Bellen gehört“, meinte er freundlich. Mit dem Handtuch, das er um den Nacken geschlungen hatte, trocknete er das Haar. Einige Tropfen fielen herunter, als er zurückwich und Rosemary und Danny ins Haus winkte. „Holen wir ihn.“

Er ging voraus, und Rosemary bekam allmählich weiche Knie. Natürlich hatte sie schon einen fast nackten Mann gesehen, allerdings nicht in den letzten neun Jahren.

Endlich fand sie die Sprache wieder. „Wir möchten Ihnen keine Probleme machen. Gehen Sie ruhig nach oben und ziehen Sie sich an. Danny und ich schaffen das schon allein.“

Chris sah sie über die breite nackte Schulter hinweg an. „Das ist kein Problem“, versicherte er und ging weiter.

Und ob es ein Problem ist, dachte Rosemary und fragte sich, wie das Handtuch sich bloß auf diesen schmalen Hüften hielt und nicht nach unten rutschte.

Chris öffnete die Schiebetür zum Garten. Im nächsten Moment jagte Rocky mit erdigen Pfoten ins Haus und hinterließ überall Schmutzspuren. Es war der reinste Albtraum.

„Um Himmels willen, tut mir das leid!“ Rosemary stürzte sich auf den Hund, doch der Welpe war schneller als sie. „Ich wische gleich auf.“

Chris schüttelte den Kopf. „Kein Grund zur Aufregung. Zu mir kommt alle vierzehn Tage ein Reinigungsdienst. Es braucht Ihnen nicht leidzutun. Er ist doch noch ein Welpe.“ Als würde sie von der sinnlichen Stimme angelockt, gab Rocky die Flucht auf und kam zu Chris, als wäre sie sein Hund. Lachend bückte er sich und streichelte sie.

„Sie“, verbesserte Danny und hob den Hund hoch.

„Sie?“, fragte Chris. „Hast du ihn nicht Rocky gerufen?“

„Richtig“, bestätigte Danny lächelnd. „Sie heißt Rocky nach den Rockies in Colorado.“ Danny freute sich, dass Chris offenbar mit der Namenswahl einverstanden war.

Rocky wurde es bereits wieder zu langweilig. Sie wand sich so lange, bis sie Danny entwischte, biss in Chris’ Handtuch und landete auf dem Fußboden.

Rosemary schnappte nach Luft und wirbelte herum, während Rocky mit dem Handtuch als Trophäe des neuesten Abenteuers zwischen den Zähnen durch den Raum jagte.

„Lieber Himmel, es tut mir leid.“ Ich höre mich an wie eine geborstene Schallplatte, dachte sie hilflos und wandte Chris den Rücken zu. „Danny, fang Rocky!“

Sie wurde rot vor Verlegenheit. Bestimmt hatte sie viel mehr von Chris Mavericks nicht so schäbigen Teilen gesehen, als er ihr eigentlich zeigen wollte.

Chris schlang sich das Handtuch, das er um die Schultern gelegt hatte, um die Hüften. „Kein Problem“, versicherte er gelassen. „Ich hatte auch einmal einen Hund. Jeder Junge braucht einen Hund, nicht wahr, Danny?“

„Richtig.“

Amüsiert lächelnd tauchte er wieder vor Rosemary auf. „Ich gehe jetzt nach oben und ziehe mich an. Sie finden allein hinaus?“

Das Handtuch, das er nun um die Hüften trug, war wesentlich kleiner als das erste. Rosemary schnürte es fast die Kehle zu. „Ja, sicher“, murmelte sie und scheuchte Danny zur Tür.

Hinterher wusste sie nicht mehr, wie sie nach Hause gekommen war.

2. KAPITEL

Teri nahm die Brille ab, als Rosemary in die Küche kam. Danny folgte ihr und schleppte den Hund herein. Rocky wäre zwar eindeutig lieber gelaufen, doch Danny ließ sie nicht los. Strahlend trug er sie zu Teri, die den Hund streichelte.

„Ach, da ist ja das verloren gegangene Familienmitglied wieder.“

Rosemary sank stöhnend auf den Stuhl. „Erinnere mich bitte nicht daran!“, rief sie und warf Rocky einen vorwurfsvollen Blick zu. Wie lange dauerte es eigentlich, bis ein Hund stubenrein wurde?

„Magst du Rocky nicht, Mom?“, fragte Danny zerknirscht.

Sie hatte nicht vergessen, wie wichtig ihr in Dannys Alter Anerkennung durch ihre Eltern gewesen war, und rang sich ein Lächeln ab. „Aber sicher. Es wäre mir nur viel lieber, wäre sie richtig trainiert.“

Teri gab sich gar nicht erst die Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. „Ach, ich finde, sie ist schon sehr gut trainiert. Immerhin hat sie dich in die Höhle von Mr. Nicht-so-schäbig geführt, nicht wahr?“

Danny wandte sich an seine Mutter. „Wer ist Mr. Nicht-so-schäbig, Mom, und was für eine Höhle?“

„Teri meint Mr. Maverick und sein Haus, Schatz. Sie drückt sich heute Nachmittag nur etwas seltsam aus.“ Der warnende Blick, den sie Teri zuwarf, verfehlte völlig seinen Zweck. Teri klimperte nur mit den Wimpern und griff wieder zur Brille.

„Ach, der. Wir haben Chris … Mr. Maverick unter der Dusche hervorgeholt. Er hatte nur ein Handtuch an und war ganz nass“, sagte Danny hastig und lief zur Tür.

Allmählich merkte er, wann Rocky sich entleeren wollte, und bekam nicht mehr mit, dass Teri die Brille aus der Hand gefallen und der Unterkiefer heruntergeklappt war.

„Und es hat ihn nicht einmal gestört, dass Rocky mit seinem Handtuch weggerannt ist.“ Danny schloss hinter sich die Schiebetür.

Hätte Teri nicht gesessen, wären ihr garantiert die Beine weggeknickt. Mit weit aufgerissenen Augen wandte sie sich an Rosemary. „Du hast ihn nackt gesehen?“

Darüber hätte Rosemary lieber nicht gesprochen. Sie winkte ab, sonst hätte ihre Cousine nicht mehr aufgehört, und der ganze Nachmittag wäre verloren gewesen.

„Ich habe mich umgedreht.“

Das ging weit über Teris Begriffsvermögen hinaus. „Du hast … was … getan?“

Rosemary zuckte die Schultern. „Ich habe gesehen, wie Rocky sich auf das Handtuch stürzte. Darum habe ich mich umgedreht. Ende der Geschichte.“

Teri war fassungslos. „So was wie dich gibt es garantiert kein zweites Mal, Rosie.“ Sie hob die Brille auf. „Der Mann war tatsächlich nackt?“

Rosemary musste lächeln. „Er hatte noch ein Handtuch um die Schultern gelegt.“

„Du lieber Himmel!“ Teri fasste sich ans Herz. „Und wieso stehst du dann hier und quatschst mit mir? Rosie, wirst du auf deine alten Tage schwachsinnig?“

„Darf ich dich daran erinnern, dass meine alten Tage genau deinen alten Tagen entsprechen, liebste Cousine?“

„Nur zahlenmäßig.“ Manchmal hätte Teri an ihrer Cousine verzweifeln können. Rosemary ließ sich eine dermaßen tolle Gelegenheit entgehen! „Manche Menschen kommen schon alt auf die Welt.“

„Was sollte ich denn machen?“, fragte Rosemary, die Teri gelegentlich überhaupt nicht verstand. „Sollte ich mich auf ihn werfen?“

„Nein, aber ihn näher beschnuppern! Hey, ich kenne die Fotos von dem Kerl auf den Seitenwänden der Autobusse. Er sieht einfach hinreißend aus.“

Mit diesen Fotos wurde für Chris’ Sendung geworben. Nach Teri zu urteilen, wirkte die Kampagne eindeutig auf die weibliche Bevölkerung.

„Ja“, bestätigte Rosemary geduldig, „er ist hinreißend.“

„Na und?“, fragte Teri begierig.

Was erwartete Teri eigentlich von ihr? „Und ich muss meine Arbeit erledigen.“ Seufzend griff sie nach einem Stapel Post.

Teri hätte ihre Cousine am liebsten geschüttelt, bis sie Vernunft annahm. „Danny ist mit Allesfresser im Garten, und dieser Typ hat sich vielleicht noch nicht einmal abgetrocknet. Was machst du eigentlich hier?“

„Arbeiten.“ Rosemary bemühte sich zumindest. Was war heute bloß mit Teri los? Ihre Cousine konnte schon immer lästig sein, aber im Moment erreichte sie neue Höhen.

Teri wollte antworten, verzichtete jedoch. Wenn Rosemary dieses Gesicht machte, hatte es keinen Sinn, mit ihr zu reden. Also musste sie wieder zu Plan A greifen.

Teri schob Rosemary den Brief zu, den diese ausgesucht hatte, bevor sie den Hund holen gegangen war. „Ich habe das hier gelesen, während du eine wundervolle Gelegenheit hast verstreichen lassen, und das ist eindeutig die Siegerin.“

Rosemary nickte. Danny kam wieder in die Küche, und der Welpe trottete brav wie ein Spielzeughund hinter ihm her. Das dauert sicher nicht lange, dachte Rosemary.

Sie wandte sich an Teri. „Wenigstens darin sind wir uns einig.“ Rosemary deutete auf den kleinen Stapel Briefe der Teilnehmer an dem Wettbewerb. „Jetzt müssen wir noch vier aussuchen.“ Bevor sie nach dem nächsten Brief greifen konnte, riss Teri alle an sich.

„Ich sehe sie mir an, und du verschickst Formulare an die Gewinnerinnen, die du bereits ausgesucht hast“, schlug Teri vor.

Das war neu. Sonst ergriff Teri nie die Initiative. Vielleicht wirkte es sich auf sie gut aus, sich Chris Maverick triefend nass und nackt vorzustellen. „Du hast es mit dem Wettbewerb auffallend eilig.“

Teri lächelte verdächtig. „Das ist eben die Romantikerin in mir.“

Rosemary lachte. „Ich würde das anders nennen.“

Gleichzeitig ertönten lautes Kläffen und die Türklingel. Rosemary stand auf und ging an die Haustür. Hoffentlich bedeutete das Kläffen nicht, dass der Teppich schon wieder einen riesigen Fleck aufwies. Sie hatte zwar einen hervorragenden Teppichreiniger besorgt, aber der Teppich wurde mittlerweile gar nicht mehr trocken.

Sie schloss die Tür auf und war gespannt, was sie nun erwartete.

Der vollständig trockene und bekleidete Chris Maverick stand vor ihr. Er trug einen weißen Pulli mit V-Ausschnitt und hatte die Ärmel an den Unterarmen hochgeschoben. Die Jeans schien ihm direkt auf die muskulösen Schenkel gemalt zu sein. Rosemary war überzeugt, sogar von hier aus Teri hecheln zu hören.

Chris wirkte nicht im Geringsten verlegen. Vielleicht lief er ja auch ständig nackt in seinem Haus herum. Dafür reichte Rosemarys Verlegenheit für sie beide. Auch wenn es albern war, wurde sie doch allein schon bei der Vorstellung von Chris ohne Handtuch rot.

Erstaunt und auch seltsam berührt stellte Chris fest, dass sie rot wurde. Das hatte er von Frauen gar nicht mehr erwartet, und gesehen hatte er es noch nie.

Chris fand, dass ihr die Farbe im Gesicht gut stand. Rosemary Gallagher war auf stille Weise ganz reizend. Er hatte sie sofort gesehen, als er vor drei Monaten einzog, und hatte sich gleich zu ihr hingezogen gefühlt. Das hatte sich noch verstärkt, als er von ihrem Sohn erfuhr, dass sie nicht verheiratet war.

Leider hatte seine Nachbarin von Anfang an deutlich gezeigt, dass sie nichts weiter als eben eine Nachbarin sein wollte. Sie hatte ihm Kuchen und Getränke und auch das Telefon angeboten, bis er eingerichtet war und einen eigenen Anschluss besaß. Weitergehende Angebote hatte es nicht gegeben. Nicht einmal andeutungsweise.

Genau genommen fand Chris das sogar erfreulich. Bei seiner Arbeit traf er stets auf Verehrerinnen, die mit einer Nacht mit einem Rundfunkmoderator angeben wollten. In ihrer Gier, etwas Glanz abzubekommen, hatten sie ihn zu einer kleinen Berühmtheit hochstilisiert.

Das konnte einem Mann schon Flausen in den Kopf setzen, wenn er nicht sehr vernünftig war. Und es konnte seine Hoffnung zerstören, jemals ein nettes und altmodisches Mädchen zu finden. Wo gab es noch eine Frau, die ihn mochte, weil er nicht perfekt, aber umgänglich war, ein nettes Lächeln besaß und für alte Filme und alte Songs schwärmte? Solche Frauen existierten einfach nicht.

Oder vielleicht doch, sagte er sich, während er Rosemary betrachtete. „Hi.“

Es war schrecklich dumm von ihr, so verlegen zu werden. Schließlich war es nicht ihre Schuld, dass der Hund nach dem Handtuch geschnappt hatte. Rosemary hatte Rocky jedenfalls nicht darauf abgerichtet. Und Chris Maverick war nicht auf ihren Vorschlag eingegangen, sich erst einmal anzuziehen. Jetzt machte er jedenfalls nicht den Eindruck, als wäre ihm der Vorfall peinlich.

Trotz aller Vernunftgründe konnte Rosemary nichts gegen das Rotwerden machen. Was wollte ihr Nachbar überhaupt hier?

„Hi“, murmelte sie.

Das nächste Kläffen klang sehr klagend. Chris deutete in die Richtung, aus der sie den Laut gehört hatten. „Sie scheinen ein Problem mit Ihrem neuen Freund zu haben.“

Rosemary drehte sich um und hoffte, das Problem wegwischen zu können. „Das ist noch milde ausgedrückt.“

Chris konnte sich nicht erklären, warum sie ihn nicht ins Haus bat. Die meisten Frauen hätten ihn bereits in eine kompromittierende Situation gebracht, vor allem nach dem Zwischenfall mit dem Handtuch. „Ich kann gut mit Hunden umgehen, falls Sie Hilfe brauchen.“

Teri stand hinter Rosemary wie ein Cruise Missile, das sein Ziel aufgrund von Wärmestrahlung suchte, doch Rosemary ließ den Türgriff nicht los. „Ich merke es mir, aber ich möchte Sie nicht bemühen.“

Noch ein Kläffen, und dann splitterte etwas, das vermutlich schwer und teuer gewesen war. Rosemary schloss für einen Moment die Augen, sammelte Kraft und blickte in Chris’ amüsiert funkelnde grüne Augen.

„Vielleicht sollte ich Sie doch bemühen.“

„Es ist keine Mühe. Ich habe mich freiwillig angeboten.“

Während Rosemary die Tür freigab, verbannte sie den Anblick seines nackten Körpers aus dem Gedächtnis. Wenn er damit leben konnte, dass sie ihn gesehen hatte, konnte sie das auch.

Das Problem dabei war nur, dass sie Herzklopfen bekam.

Sie deutete zum Wohnzimmer, aus dem der Lärm gekommen war. „Ich bin Ihnen für alles dankbar, was Sie mit diesem Untier machen.“

Chris betrachtete sie eingehend und lächelte. Dieses Lächeln erinnerte an eine Blüte, die sich unter den ersten Sonnenstrahlen des Morgens öffnete.

Rosemary fühlte, wie sie darauf ansprach und wie ihr Herz sich erwärmte. Doch da es nicht weiterführen konnte, unterdrückte sie das Gefühl.

Chris sah sich um. Das Haus war genau wie das seine gebaut, doch die feminine Note sorgte für eine individuelle Atmosphäre. „Wo?“, fragte er.

Sie deutete zum hinteren Teil des Hauses. „Folgen Sie dem Kläffen.“ Rosemary warf einen Blick auf Teri. „Und achten Sie dabei nicht auf meine Cousine.“

Teri fand, dass sie bisher viel zu viel Geduld aufgebracht hatte, und streckte Chris die Hand hin. „Hi. Ich bin Teri Lawson. Ich helfe Rosemary bei Soulmates Inc. und finde, dass Sie die Busgesellschaft verklagen sollten.“

Er hatte schon so manche Vorstellung gehört, so etwas jedoch noch nicht. „Und warum?“, fragte er lachend.

„Ihr Foto auf den Bussen“, erklärte Teri. „Es wird Ihnen überhaupt nicht gerecht.“

„Danke“, sagte Chris und machte sich auf die Suche nach Danny und dem Hund.

„Die Busgesellschaft verklagen“, wiederholte Rosemary ungläubig, während sie in die Küche zurückkehrten. „Warum hast du ihm nicht gleich die Schuhe geleckt?“

Teri störte sich nicht an dem Vorwurf. Der Mann sah in natura tatsächlich viel besser aus als auf der Linie 65. Wäre sie alleinstehend gewesen …

„Um seine Schuhe wird sich schon der Hund kümmern.“ Teri sah Chris nach, der im Wohnzimmer verschwand. „Und neben so etwas wohnst du?“

„Das haben wir doch schon klargestellt.“ Rosemary bemühte sich um einen gleichmütigen Ton. Natürlich hatte sie bemerkt, wie gut Chris aussah. Sagenhaft sogar. Sie hatte Teri aber auch ernsthaft ihre Einstellung zu Verabredungen erklärt. Verabredungen waren für andere Leute sehr gut, und sie half dabei auch nach. Was sie anging, zog sie jedoch Tagträume vor.

In Tagträumen sagte sie immer das Richtige, fiel ihr stets eine geistreiche Antwort ein und brachte sie den Mann zum Lachen, anstatt sich schrecklich zu blamieren. Bei echten Verabredungen fühlte sie sich wie ein Unfall, der unweigerlich passieren musste. Wie ein tödlich langweiliger Unfall.

Teri setzte sich zu ihrer Cousine. Schon vorher hatte sie sich nur schlecht auf die Arbeit konzentrieren können. Jetzt gelang es ihr gar nicht mehr. „Du lässt dir eine Gelegenheit entgehen, Rosie. Ich an deiner Stelle …“

Rosemary konnte es nicht mehr hören. An ihrem Standpunkt würde sich nichts ändern. „Du bist nicht an meiner Stelle, und du weißt, dass ich nicht Rosie genannt werden möchte.“

Als Kind war sie Rosie gerufen worden. Das war keine Abkürzung von Rosemary, sondern kam von ihrer rosigen Sicht der Dinge. Im Moment ärgerte sie sich jedoch darüber.

Teri lehnte sich zurück und schaukelte mit dem Stuhl. „Du willst auch nicht dumm genannt werden.“

„Teri, wenn du meine Erklärungen noch immer nicht begriffen hast, nehme ich sie für dich auf Band auf.“

Teri winkte ab, als würde sie einlenken. Rosemarys Zeit kam schon noch – und viel früher, als sie ahnte.

„Ich weiß, ich weiß, die Kinder des Schusters laufen barfuß herum, und die Heiratsvermittlerin bleibt allein.“ Teri griff nach einem Brief und legte ihn wieder aus der Hand. „Ich mag nur versäumte Chancen nicht.“ Sie warf einen Blick zum Wohnzimmer. „Sieh wenigstens nach, wie es läuft.“

Genau das wollte sie nicht. „Niemand mag es, wenn er beobachtet wird“, behauptete Rosemary.

Teri hatte sich fest vorgenommen, keinen Druck auszuüben. Schließlich hatte sie bereits alles eingefädelt.

„Er arbeitet für den Rundfunk, Rosemary“, sagte sie trotz aller guten Vorsätze. „Es gehört zu seinem Beruf, beobachtet zu werden.“

„Rundfunk“, betonte Rosemary und blickte nicht einmal von der Arbeit hoch. „Nicht Fernsehen.“

Teri versuchte es noch einmal. „Was ist denn schon dabei? Außerdem musst du ihn ganz gut kennen, wenn du ihn gebeten hast, für das Preisausschreiben zu werben.“

Das hatte von Rosemary viel Mut verlangt. Sie galt als freundlich, aufgeschlossen und herzlich, aber sie fiel anderen nicht gern zur Last. „Dabei ging es ums Geschäft“, erklärte sie.

„Na und?“ Teri zuckte die Schultern. „Jetzt könnte es dir ja auch ums Geschäft gehen.“

Rosemary schüttelte lächelnd den Kopf. Teri sorgte sich um sie und war nur so verbissen, weil sie es gut meinte. Deshalb ließ sie sich nicht abweisen. „Teri, ich hatte eine romantische Liebe und eine Ehe.“

Teri beugte sich zu ihr. „Das ist wie mit Nieren“, raunte sie. „Man darf auch zwei haben.“

„Stimmt“, bestätigte Rosemary. „Man überlebt aber mit einer.“

Teri merkte, dass sie nicht vorankam. „Bist du sicher, dass wir überhaupt miteinander verwandt sind?“

„Meine Mutter behauptet das zumindest.“ Lachend strich sie das Haar zurück. Vielleicht konnten sie jetzt endlich arbeiten.

Sie hatte soeben begonnen, einen Brief zu lesen, als Chris gegen den Türrahmen klopfte und den Kopf in die Küche steckte. „Entschuldigung, haben Sie vielleicht etwas Leckeres?“

Rosemarys Herz schlug sofort schneller. „Also, im Kühlschrank ist Schokoladentorte und …“

„Nein, ich meinte für den Hund. Das hilft beim Training.“

Rosemary hatte damit gerechnet, dass er nach spätestens fünf Minuten mit dem Hund genervt aufgab. Jeder, der einigermaßen klar bei Verstand war, hätte das getan. Rocky hatte bisher nichts weiter getan, als durch das Haus zu laufen und überall kleine Visitenkarten zu hinterlassen.

„Ach so, Hundeleckerchen.“ Rosemary stand auf und strich die Bluse glatt. „Natürlich, sicher.“ Sie winkte ihn zum Vorratsschrank, in dem neben den Haferflocken ein Karton mit Hundekuchen stand. Sie wollte Chris den ganzen Karton reichen, aber er nahm nur drei Stück. „Sie möchten Rocky bestechen?“

Er steckte die drei Hundekuchen in Form von kleinen bunten Knochen in die Jeanstasche. Rosemary war überzeugt, dass sie da drinnen zerquetscht wurden. Wie bekam er überhaupt die Hand in die Tasche? Da war doch gar kein Platz mehr, so sehr spannte sich die Hose.

„Jeder arbeitet besser, wenn dafür eine Belohnung winkt.“ Als er merkte, dass Rosemary ihm nicht folgte, fragte er: „Möchten Sie nicht zusehen?“

Es lockte sie schon, doch sie war pflichtbewusst, und hier wartete eine Unmenge an Arbeit auf sie. „Ich …“

Teri schob sie geradezu zum Wohnzimmer beziehungsweise in Chris’ Arme. „Sie möchte sehr gern zusehen“, versicherte sie. „Na los, sieh zu!“, befahl sie Rosemary. „Ich war zwei Tage nicht hier und kann jetzt alles aufarbeiten. Du hast dir eine kleine Pause verdient.“

Für Rosemarys Geschmack ging Teri eindeutig zu weit. Teri band ihr ja geradezu eine Schleife um und überreichte sie Chris auf einem Präsentierteller.

„Sie arbeitet zu hart“, sagte Teri zu Chris und scheuchte ihre Cousine aus der Küche.

Es gefiel Rosemary gar nicht, dass über sie gesprochen wurde, als wäre sie nicht vorhanden. „Das muss ich in dieser Branche“, behauptete sie. „Man weiß schließlich nie, wann eine Dürreperiode einsetzt.“

Solange es genug Arbeit gab, wollte sie das ausnutzen und nicht zusehen, wie ein Hund trainiert wurde. Daran änderte auch nichts, dass der Hundetrainer ihr weiche Knie verschaffte.

Chris nickte wissend. „Wem sagen Sie das? Das gilt auch für einen Rundfunkmoderator. Eben hat man noch erfolgreich gearbeitet, und mit dem nächsten Gehaltsscheck bekommt man die Kündigung.“

Teri war überzeugt, dass er nur scherzte. Wer sollte schon einen Diskjockey entlassen, dessen Stimme Tiefgefrorenes auftauen konnte?

„Ihnen ist das sicher noch nie passiert“, meinte sie ungläubig.

„Mehr als einmal“, erwiderte er lächelnd.

„Nein!“, rief Teri fassungslos.

Rosemary wurde immer nervöser und verlegener. Wenn das so weiterging, bot Teri sie Chris nicht auf einem Präsentierteller, sondern gleich auf einem silbernen Tablett an. Sie hörte Teri förmlich schon hauchen: Ihr zwei habt ja so viel gemeinsam! Höchste Zeit, Chris von hier wegzuschaffen.

„Es stimmt“, sagte Rosemary hastig, „ich sollte zusehen, wie Rocky trainiert wird. Dann kann ich Danny helfen. Und sollten Sie eine Möglichkeit wissen, dass Rocky mit dem schrecklichen Winseln aufhört und die Nacht durchschläft, wäre ich für immer in Ihrer Schuld.“

„Alle Welpen winseln“, erklärte Chris, blieb vor dem Freizeitraum stehen und sah Rosemary überrascht an. „Sie sind doch nicht zu ihr gegangen, wenn sie winselt?“

Am liebsten hätte Rosemary es geleugnet, doch sie war ehrlich und nickte.

Anstatt sie zu belehren oder gar auszulachen, lächelte er nur. „Sie haben ein weiches Herz, nicht wahr?“

„Ich dachte, sie müsste … na ja, Sie wissen schon.“

Ja, natürlich wusste er Bescheid. Er fand es niedlich, dass sie es nicht aussprechen konnte. Er hatte schon Frauen kennengelernt, die mit ihrer Ausdrucksweise einem Seemann die Schamröte ins Gesicht trieben.

„Hunde lernen bald einzuhalten“, versicherte er. „Sie wollen sicher nicht, dass Rocky im Haus den Ton angibt.“

In Rosemarys Augen tat der Hund das bereits. „Sicher nicht.“ Sie warf einen Blick ins Wohnzimmer. Danny saß lachend auf dem Fußboden, und der Hund knabberte an seinen Schuhen. „Ich fand es grausam, das Tier die ganze Nacht einzusperren.“

Chris schüttelte den Kopf. „Sie lernt nie durchzuschlafen, wenn Sie bei jedem Winseln zu ihr gehen.“ Er merkte, wie sie ihren Sohn ansah. „Haben Sie das denn mit Danny gemacht, als er noch ein Baby war?“

Jedes Mal, selbst wenn sie vor Müdigkeit die Augen kaum öffnen konnte. „Schuldig im Sinne der Anklage.“

Chris fand sie einzigartig. „Er hat sich gut entwickelt“, meinte er lachend, „aber diese Methode würde ich Ihnen nicht für den Hund empfehlen.“

Chris legte ihr die Hand auf den Rücken und führte sie ins Wohnzimmer. Rosemary drehte sich kurz um. Natürlich starrte Teri ihnen nach und sah höchst zufrieden drein. Rosemary warf ihr einen warnenden Blick zu.

Teri senkte den Kopf und tat, als würde sie sich auf die Arbeit konzentrieren, doch Rosemary hätte schwören können, dass ihre Cousine satt lächelte.

Im Gegensatz zu ihr sah Teri überall ideale Paare und begriff einfach nicht, dass manche Leute keine Bindung wünschten. Dabei wollten manche Leute sich bloß nicht den Qualen aussetzen, die man durchleiden musste, um zu einer Bindung zu kommen.

Chris baute sich vor dem Hund auf. Rocky wedelte begeistert und blickte hingebungsvoll zu ihm auf. Vermutlich erhielt Chris nicht nur von Hunden solche Blicke.

„Jetzt müssen Sie dem Hund zeigen, wer der Chef ist. Hunde sind Rudeltiere. Sie und Danny müssen die Leithunde sein.“

Rosemary traute ihren Ohren nicht. Sie wurde jetzt also zum Hund? Eigentlich hatte sie gehofft, der Hund würde menschlicher werden, nicht umgekehrt sie und ihr Sohn hündischer.

„Die einzigen Hunde, die ich je kennenlernte, waren Lassie und Rin Tin Tin im Film. Sie waren völlig stubenrein, rochen nicht und zerkauten auch nicht meinen Schal.“ Bei der Erinnerung an die traurigen Überreste, die sie am Morgen im Schlafzimmer gefunden hatte, deutete sie anklagend auf Rocky. „Der Köter hat nie das Handbuch für Lassies gelesen.“

„Vermutlich nicht“, erwiderte Chris lachend. „Aber man kann jeden Hund trainieren.“

Danny blickte verwirrt hoch. „Dass er das Handbuch liest?“

„Nein, dass er kleine Jungen aus Brunnenschächten rettet.“

Rosemary wollte keinen heldenhaften Hund, sondern nur einen, der das Haus nicht in Stücke zerlegte. „Ich wäre schon zufrieden, wenn sie keine Bäche im Wohnzimmer macht.“

Damit wollte Chris sich ohnedies zuerst beschäftigen. „Das ist leicht.“ Er wandte sich an Danny. „Sobald sie sich hinhockt, hebst du sie hoch, sagst scharf nein und trägst sie nach draußen. Wenn sie ihr Geschäftchen verrichtet hat, sagst du braver Hund und streichelst sie. Nach einer Weile begreift sie das. Grundsätzlich ist es wie mit Babys, die man ans Töpfchen gewöhnt, nur einfacher.“

Rosemary lachte, weil er es so unkompliziert darstellte. „Mein Baby hat nichts vor den Kamin gelegt.“

„Mom!“, rief Danny betroffen.

„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich lächelnd. „Woher wissen Sie über Hunde so gut Bescheid?“, fragte sie Chris. Schließlich hatte er selbst keinen. Das wäre ihr in den letzten drei Monaten irgendwann aufgefallen.

In seine Augen trat ein liebevoller Ausdruck. Rosemary rechnete damit, dass seine letzte Freundin einen Hund besessen hatte.

„Meine Eltern haben einen Zwinger und züchten Hunde.“

Danny riss die Augen weit auf. „Wirklich?“

Chris konnte der Versuchung nicht länger widerstehen und strich Danny übers Haar. Der Junge erinnerte ihn an einen eifrigen Welpen, einen Schäferhund-Welpen. „Wirklich. Vielleicht kommst du einmal mit deiner Mutter zu Besuch.“

Für Danny war das wie eine Saisonkarte für Disneyland. „Mom, machst du das mit mir? Ja?“

Rosemary war nicht so ganz sicher, ob die Einladung auch tatsächlich ernst gemeint war, und zeigte auf Rocky. „Wir sollten uns erst einmal auf diesen Hund konzentrieren.“ Danny sah sie unverändert hoffnungsvoll an. „Außerdem habe ich noch viel Arbeit mit dem Preisausschreiben. Das weißt du doch.“

Das Preisausschreiben. „Wie läuft es?“, erkundigte Chris sich interessiert.

Sie gab sich sofort unbefangener, weil sich die Aufmerksamkeit nicht mehr auf sie, sondern auf ihre Arbeit richtete. Vielleicht brachte sie nur für ihren Sohn und ihr Geschäft Begeisterung auf.

„Die Reaktionen waren großartig“, erwiderte sie. „Und ich kann mich nicht oft genug bei Ihnen bedanken, weil Sie mir den Preisnachlass verschafft haben. Ich hätte mir sonst die Reklame im Rundfunk nicht leisten können.“

Mit seinem Lächeln ließ er ihr Herz noch schneller schlagen. Wenn er sich länger im Haus aufhielt, landete sie vermutlich bald auf der Intensivstation.

„Hey“, sagte er und wiederholte den Satz, den er von ihr gehört hatte, nachdem sie ihm die Benutzung ihres Telefons erlaubt hatte. „Wozu hat man Nachbarn?“

Um von ihnen mit offenen Augen zu träumen …

Es war Teris Schuld, dass die Gedanken mit ihr durchgingen. Chris war ein netter Nachbar, mehr nicht. Alle weiteren Überlegungen hatten keinen Sinn. Wäre sie mit ihm ausgegangen, wäre die Katastrophe unvermeidlich gewesen. Zwei Fehlschläge hatten sie davon überzeugt, dass sie bei Verabredungen zwei linke Füße und zwei linke Hände hatte. Und Chris kam für sie ohnedies nicht infrage. Welcher sagenhafte und noch dazu berühmte Mann sollte sich schon für sie interessieren?

„Also“, sagte Rosemary und wandte sich an den Hund. „Zeigen Sie mir, was dieses chaotische Fellbündel noch kann, außer alles in seiner Reichweite zu zerkauen und zu begießen?“

3. KAPITEL

Rosemary betrachtete den Fragebogen auf dem Schreibtisch. Sie hatte ihn schon mehrmals durchgelesen und die Antworten ausgewertet.

Anhand der fünfundzwanzig Fragen machte sie sich ein Bild von den Leuten. Mit Worten konnte sie schon immer gut umgehen. Außerdem hatte sie Psychologie als Nebenfach studiert. Damit und mithilfe von angeborener Intuition stellte sie rasch fest, wie Leute waren und was sie wollten.

Das klappte jedenfalls, solange es nicht um sie selbst ging. Bei der Suche nach einem Partner für sich war sie gescheitert.

Vielleicht hatte sie sich auch nicht ernsthaft bemüht. Patrick war so freundlich, rücksichtsvoll, attraktiv, warmherzig und humorvoll gewesen, dass es schwer war, einen Nachfolger für ihn zu finden. Möglicherweise stellte sie zu hohe Ansprüche.

Oder sie benahm sich bei Verabredungen einfach albern.

Solange sie Partnerschaften für andere Leute einfädelte, lief alles bestens. Bisher lag ihre Erfolgsquote bei ungefähr dreiundsiebzig Prozent. Nicht alle füllten die Postkarten, die sie nach dem ersten Zusammentreffen verschickte, aus und sandten sie zurück. Gemessen an den eingegangenen Karten war ihre Agentur dank ihres Instinkts jedoch ein großer Erfolg.

Rosemary hob alle Dankesschreiben auf und war sogar zu drei Hochzeiten eingeladen worden. Das hatte ihr Vertrauen in ihre Fähigkeiten gestärkt.

Sie las den Fragebogen erneut durch. Ausgefüllt hatte ihn Tommys Mutter. Das war der Junge, dessen Brief ihr so gut gefallen hatte. Hätte Rosemary es nicht besser gewusst, hätte sie geschworen, die Fragen selbst beantwortet zu haben. Mary hatte den gleichen Geschmack und die gleichen Vorlieben wie sie.

Wenn sie die Augen schloss, hörte sie Teri fragen, ob es keinen passenden Bewerber in den Unterlagen gab. Mary Smith … Lieber Himmel, trug wirklich jemand einen dermaßen falsch klingenden Namen? Für Mary Smith einen Partner zu finden, war geradezu, als würde sie sich selbst mit jemandem zusammenführen. Und wenn es klappte, erlebte eine andere Frau an ihrer Stelle die ihr zugedachte Romanze.

Sie selbst konnte die positiven Seiten miterleben, ohne sich die unangenehmen aufzubürden.

Andererseits würde sie natürlich bei der Verabredung nicht dabei sein und daher nicht aus eigener Anschauung wissen, wie es lief. Trotzdem konnte sie jetzt zum Spaß so tun, als hätte sie den Fragebogen ausgefüllt.

Mit wem würde sie denn gern ausgehen?

Rosemary lehnte sich zurück und ließ sich alles gründlich durch den Kopf gehen. Wenn sie die freie Wahl hatte und sich nicht auf die Männer beschränken musste, deren Fragebogen hinter ihr im Schrank lagen – mit wem würde sie besonders gern ausgehen?

Wer von den ungebundenen Männern in ihrem Bekanntenkreis …

„Braves Mädchen, Rocky. Braves Mädchen.“

Rosemary zuckte zusammen. Der Klang der tiefen Männerstimme unterbrach ihre Gedanken und holte sie aus dem Reich der Fantasie in die sonnendurchflutete Küche zurück. Im Garten lachte ein Mann.

Wer …

Im nächsten Moment erkannte sie Chris. Wenn sie den Stuhl nach hinten kippte, konnte sie ihn gerade noch sehen. Er kauerte auf dem Rasen und beschäftigte sich geduldig mit Rocky. Danny stand aufmerksam daneben und bemühte sich, etwas zu lernen und nach Möglichkeit zu helfen. Er hätte sich gern nützlich gemacht.

Danny hatte offenbar Chris dazu gebracht, wieder herüberzukommen. Bestimmt hatte er sich heimlich durch die Seitenpforte aus dem Garten geschlichen. Chris war jetzt schon innerhalb von vier Tagen zum vierten Mal bei ihnen. Rosemary bekam ein schlechtes Gewissen. Der Mann hatte schließlich ein eigenes Leben.

Zu diesem Leben gehörte garantiert ein Model-Typ mit schmaler Taille und großen Brüsten. In den letzten Monaten hatte sie ihn mehrmals mit Frauen vor seinem Haus gesehen, selten zweimal mit derselben.

Natürlich ging sie das gar nichts an!

Müde stand sie auf. Das Lachen ihres Sohnes und des Mannes, mit dem er sich angefreundet hatte, lockte sie zur Schiebetür. Sie brauchte eine kleine Pause, nachdem sie den ganzen Vormittag gearbeitet hatte.

Chris versuchte, Rocky beizubringen, sich auf Kommando flach hinzulegen. Lächelnd sah Rosemary zu. Die Frauen, mit denen er sich traf, brachte er bestimmt mühelos dazu.

Sie lehnte sich gegen den Türrahmen und betrachtete Chris anerkennend. Sogar in dieser Stellung sah er besser aus als jeder andere Mann. Die alte, verwaschene Jeans schmiegte sich um einen sehr festen Po.

Prompt sah Rosemary wieder seinen sagenhaft muskulösen nackten und noch feuchten Körper vor sich. Jede Faser in ihr spannte sich an wie … wie eine Hand, die man zur Faust ballte.

Nein, dachte sie, eher wie eine aufgezogene Feder, die auf den befreienden Moment wartete.

Ihre Feder war schon sehr, sehr lange nicht mehr befreit worden. So lange, dachte sie, während Chris Rockys Beine streckte, dass sie vermutlich eingerostet war.

Rosemary verbannte solche Gedanken, bevor sie sich selbstständig machten. Es ging ihr blendend. Die Zeit der freien Liebe war längst vorüber, und sie gehörte keiner Generation an, die nur an sich dachte. Man hielt sich zurück und wartete auf den richtigen Partner, ehe man sich auf etwas einließ.

Trotzdem fächelte sie sich unbewusst Luft zu, weil ihr auf einmal sehr warm wurde.

Seufzend strich sie sich durch das Haar. Vielleicht sollte sie sich eine Betätigung suchen und zum Beispiel in ein Fitness-Studio gehen. Ja, das war eine gute Idee. In einem Fitness-Studio konnte sie die angestaute Energie abbauen.

Vorher musste sie jedoch die Sache mit dem Muttertag hinter sich bringen.

Es reicht, ermahnte sie sich und kehrte an die Arbeit zurück.

Sie saß am Schreibtisch und betrachtete den Fragebogen, den letzten, mit dem sie sich noch beschäftigen musste. Für die anderen Gewinnerinnen hatte sie bereits passende Partner gefunden und die Unterlagen losgeschickt.

Nach dem ersten Durchlesen hatte sie es mit diesem Fragebogen gemacht wie in ihrer Kindheit mit dem Essen. Das Beste hob sie sich bis zuletzt auf.

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Chris aufstand und sich die Hände an der Rückseite der Jeans abwischte.

Das ist es, dachte sie, als ihr blitzartig eine Erkenntnis kam. Würde sie einen Mann suchen und wäre sie Mary Smith, würde sie sich für ihn entscheiden. Christopher Maverick. Er sah gut aus, war geduldig und … Teri hatte recht. Sein Lachen war wie warme Regentropfen, die einem im Herbst über die Haut flossen.

Lieber Himmel, sie musste schnellstens kalt duschen!

„Also gut, Mary Smith, sofern das dein richtiger Name ist“, sagte sie zu dem Fragebogen auf dem Schreibtisch. „Ich erweise dir einen gewaltigen Gefallen.“

Blieb nur noch das Problem, wie sie Chris zum Mitmachen überredete. Sie konnte ihn direkt bitten, am Wettbewerb teilzunehmen. Immerhin hatte seine Sendung damit zu tun, und er hatte das Preisausschreiben bekannt gemacht.

Rosemary wippte mit dem Stuhl und überlegte ernsthaft, wie sie es anstellen sollte. Durchaus möglich, dass Chris mitmachte. Sie hatte schon festgestellt, dass er kein Spielverderber war, sonst hätte er nicht den Samstagnachmittag mit dem Sohn seiner Nachbarin verbracht.

Er war ungebunden. Das stand fest, und die ständig wechselnden Frauen in seiner Begleitung dienten dafür als Beweis. Bei ihm kam es auf eine mehr oder weniger auch nicht an.

Rosemary rief sich zur Ordnung. So sorglos durfte sie an die Sache einfach nicht herangehen. Zwar handelte es sich bei der Aktion um eine Werbekampagne, aber das Endergebnis konnte durchaus sehr ernst sein. Sie musste zehn alleinstehenden Frauen wirklich passende Partner vermitteln. Für sie galt die gleiche Sorgfalt wie für alle anderen Kunden von Soulmates Inc.

Chris hatte bestimmt kein Interesse, mit einer Frau bekannt gemacht zu werden, die letztlich eine dauerhafte Bindung suchte. Das konnte einfach nicht klappen.

Sie kaute nachdenklich an ihrem Stift. Mary Smith’ Antworten entsprachen geradezu unheimlich denen, die sie selbst gegeben hätte. Und sie passten zu allem, was sie über Chris Maverick wusste.

Vielleicht …

Er lachte über etwas, das Danny zu ihm sagte, und Rosemary lief ein wohliger Schauer über die Haut … warm und sanft wie die Hand eines Geliebten.

Was soll’s, dachte sie. Was hatte sie schon zu verlieren, wenn sie ihn fragte? Schließlich hatte sie für Mary in ihren Unterlagen keinen passenden Mann gefunden, mit dem sie auch zufrieden gewesen wäre. Und dabei rückte der letzte Termin immer näher. Sie musste vorher unbedingt alles arrangieren. Der Muttertag war schließlich schon in einer Woche.

Nur wer wagt, gewinnt. Rosemary schob die Hände in die Gesäßtaschen der weißen Jeansshorts und betrat den Garten wie Galahad, der den Heiligen Gral gewinnen wollte – sofern Galahad eins fünfundfünfzig groß gewesen wäre und ein grünes T-Shirt anstelle einer eisernen Rüstung getragen hätte.

Chris hielt den Welpen in den Armen und drehte sich um, als er hörte, wie sich die Tür öffnete. Und er drückte Rocky beinahe zu fest an sich, bevor er sie auf den Boden setzte. Für eine zierlich klein gewachsene Frau besaß Rosemary Gallagher die tollsten Beine, die er jemals gesehen hatte. Die ausgefranste Shorts ließ sie noch länger und schlanker erscheinen.

Sein Verlangen erwachte.

Er war jedoch kein Mann, der eine Frau bedrängte. Niemals. Bei ihr hatte er einmal die Fühler ausgestreckt. Sie hatte jedoch deutlich gezeigt, dass sie an ihm nicht interessiert war. Vermutlich war das ganz gut so. Schließlich wäre es peinlich gewesen, nach dem Ende der Beziehung Tür an Tür mit ihr zu wohnen.

Dieses Ende war unvermeidlich. Chris dachte realistisch. Niemand nahm in der heutigen Zeit eine Ehe auf sich, wie seine Eltern sie führten. Keine seiner bisherigen Beziehungen hatte auch nur den Gedanken an eine längere Dauer aufkommen lassen. So war das immer.

Es handelte sich um die Wegwerfgesellschaft. Von Windeln bis zur Verpackung ganzer Mahlzeiten – alles wurde benutzt und weggeworfen. Das Gleiche galt eindeutig auch für Ehen. Mehrere seiner Freunde hatten geheiratet und waren wenige Jahre später bereits wieder geschieden worden. Eine Ehe hielt sogar nur sechs Monate, bevor sie sich wie ein billiges Küchentuch auflöste, mit dem man verschüttetes Wasser aufwischen wollte.

Darauf ließ er sich nicht ein.

Ein Gedanke ging ihm durch den Kopf, während Rosemary auf ihn zukam. Sollte er jemals ein altmodisches Mädchen – oder eine altmodische Frau, verbesserte er sich – finden, geriet er vielleicht doch in Versuchung und probierte es mit einer dauerhaften Beziehung.

„Ich wusste gar nicht, dass Sie hier sind“, begann Rosemary vorsichtig und fand es unwahrscheinlich erregend, wie lässig er die Schultern zuckte.

„Tut mir leid. Ich wollte nicht so einfach hereinplatzen, aber Danny …“

Sie unterbrach ihn. „Ich muss mich dafür entschuldigen, dass Danny Sie dafür einspannt“, entgegnete sie und deutete auf Rocky.

„Mom“, protestierte Danny, „ich habe ihn nicht eingespannt. Er wollte mir helfen.“

„Das stimmt“, bestätigte Chris. „Von Einspannen kann gar keine Rede sein.“ Sein Lächeln fiel so sinnlich aus, dass Rosemary die Hände zu Fäusten ballte. „Ich sagte Ihnen schon, dass ich es gern mache.“ Er lächelte Danny zu und schien nicht einmal zu merken, dass Rocky an seinen Boots knabberte. „Es erinnert mich an meine Kindheit.“ Er sah sich in dem kleinen Garten um. „Wir hatten stets Hunde. Jetzt bin ich zu beschäftigt, um selbst einen Hund zu halten. Darum würde ich Rocky gern zeitweise adoptieren, falls Sie nichts dagegen haben.“

Rocky leckte Chris die Stiefel und wackelte mit dem ganzen Hinterteil.

„Ich habe nichts dagegen“, versicherte Rosemary lachend und sah zu, wie Rocky wedelte. „Und sie ist eindeutig einverstanden. Wirken Sie auf alle weiblichen Wesen so?“

Es gefiel ihm, wie sie lachte. Es klang sanft und einschmeichelnd. „Normalerweise machen sie keine Pfützen zu meinen Füßen“, bemerkte er, ohne auf die eigentliche Frage zu antworten.

Chris holte Hundeleckerchen aus seiner Gesäßtasche und reichte sie verstohlen an Danny weiter. Der Junge nahm sie eifrig entgegen und wartete auf Anweisungen. „Zeig deiner Mutter, was Rocky gelernt hat.“

Danny nickte heftig. „Hey, Mom, das musst du sehen!“

„Stellen Sie sich am besten hierher“, schlug Chris vor, legte ihr die Hände an die Hüften und zog sie neben sich. Die Berührung half ihr keineswegs, diese eingerostete und aufgezogene Feder tief in ihr zu beherrschen.

Rosemary versuchte, sich auf Danny zu konzentrieren. Sie sah zu, wie der Welpe tatsächlich kam, wenn er gerufen wurde, sich setzte und sich auch hinlegte. Danny führte es sogar zweimal vor, wobei schwer zu entscheiden war, wer begeisterter war – er oder der Hund.

Rosemary spendete am Ende der kleinen Vorführung pflichtschuldig Beifall.

„Sehr beeindruckend.“ Sie wandte sich an Chris. „Wenn Sie Rocky jetzt auch noch dazu bringen könnten, nicht das gesamte Haus als Toilette zu benutzen …“

Er griff nach ihrer Hand. „Das erinnert mich daran, dass ich Ihnen etwas mitgebracht habe.“

Wenn schon, dann hätte sie erwartet, dass er etwas für Danny hatte. „Für mich?“

Er lachte und räusperte sich. „Na ja, eigentlich ist es für Rocky, aber indirekt auch für Sie.“

„Der Köder ist unwiderstehlich“, gestand sie. „Ich beiße. Das ist kein Stichwort für dich, Rocky“, fügte sie mit Blick auf den Hund hinzu. „Was haben Sie Rocky mitgebracht, das ich auch benutzen kann?“

„Es geht eigentlich mehr um Ihren Seelenfrieden.“ Chris lachte über ihre sichtliche Verwirrung. „Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.“

Er führte sie an der Hand durch die offene Seitentür in seinen Garten und betrat das Haus. Danny folgte mit Rocky, die treu hinter ihnen hertrottete.

Rosemary hatte sich gerade dazu aufgerafft, Chris’ Hand festzuhalten, als er losließ und auf einen großen, flachen Karton deutete, der an dem schwarz und grau gemusterten Sofa in seinem Wohnzimmer lehnte.

„Das habe ich heute auf dem Heimweg besorgt. Ich hatte im Einkaufszentrum einen Auftritt für einen wohltätigen Zweck.“

Rosemary betrachtete den Karton und Chris. „Das ist für Rocky?“ Der Hund hatte schon zwei Kartons von Haferflocken, einen von Hundeleckerchen und einen Schuhkarton mitsamt Schuhen zerkleinert. „Der Karton ist groß, aber eigentlich nicht außergewöhnlich.“

„Nein.“ Erneut griff er nach ihrer Hand und führte sie weiter. Auf der Vorderseite des Kartons befand sich eine Zeichnung von einem Welpen in einem großen Käfig. Der Hund lächelte. „Ich habe ihr einen Welpenkäfig mitgebracht.“ Chris deutete auf die Zeichnung. „Dann läuft sie nicht frei im Haus herum, während Danny in der Schule ist.“

Für Rosemary war es gerade so, als wäre die Sonne aufgegangen. Fasziniert betrachtete sie die Zeichnung. In der letzten Woche war sie ständig durch das Haus einem Hund gefolgt, der nur aus Zähnen zu bestehen schien und alles, was in Reichweite war, mindestens zweimal kostete.

„Wollen Sie heilig gesprochen werden?“, fragte sie Chris.

„Der Antrag liegt bereits ausgefüllt in der Post.“ Sein Lächeln hatte nichts mit einem Heiligen zu tun, weder tot noch lebendig. Es war eher geeignet, den Herzschlag gefährlich zu erhöhen.

Rosemary bemühte sich vergeblich, unter diesem Lächeln nicht dahinzuschmelzen. Vielleicht nannte Mary Smith eines Tages ein Kind nach diesem Mann.

„Da wir gerade von Anträgen sprechen“, begann sie zögernd. „Ich habe mich gefragt …“

„Hey, Chris“, fiel Danny ihr ins Wort. „Ich habe sie dazu gebracht, dass sie springt.“ Er hob die Hand, aus der das Leckerchen verschwunden war, mit dem er Rocky gelockt hatte. Auf Kommando sprang Rocky ein zweites Mal, weil sie sich eine Belohnung erhoffte, und winselte, als sie keine bekam.

Chris nickte anerkennend. „Sehr gut.“

Es klang ehrlich. Der Mann ist einmalig, dachte Rosemary erfreut. Wenn sie ihn jetzt noch überredete, sich mit Tommys Mutter zu treffen, war alles in Butter. Schon setzte sie zum Sprechen an, als Danny ihr wieder zuvorkam.

Ihr Sohn zog die blonden Augenbrauen zusammen, bis sie einen durchgehenden Strich bildeten, und zeigte auf den großen, flachen Karton. „Was ist das?“

Chris bückte sich, ließ sich von Rocky die Finger lecken und streichelte den Hund. „Rockys neues Zuhause. Dann kann deine Mutter in Ruhe arbeiten, während du in der Schule bist.“

Danny betrachtete die Zeichnung. „Und wie geht das?“

„Komm mit.“ Chris griff nach dem Karton. „Wir bringen ihn zu euch hinüber und bauen ihn dort zusammen.“ Er hob den Karton hoch und deutete auf die Tür. Danny eilte voraus, hielt ihm die Haustür auf und packte Rocky im letzten Moment, bevor sie ins Freie laufen konnte.

Rosemary hielt sich vorsichtshalber hinter Chris und außerhalb seiner Reichweite. Sie schloss die Tür und holte die beiden ein. Danny stieß die Tür ihres Hauses auf, und Rosemary verzog das Gesicht, als der Türknauf innen gegen die Wand krachte. Sie musste unbedingt daran denken, Gips zu kaufen.

„Was schulde ich Ihnen für den Käfig?“, fragte sie und betrachtete die Wand, nachdem sie die Tür geschlossen hatte. Wo der Türknauf aufgeprallt war, hatte sich eine Vertiefung gebildet. Immer ist irgendetwas los, dachte sie.

„Nichts.“ Er stellte den Karton im Wohnzimmer ab. „Betrachten Sie es als Bezahlung für die Freude, mit Ihrem Hund spielen zu dürfen.“

„Sie erziehen meinen Hund“, verbesserte Rosemary, obwohl sie seine Antwort charmant fand. „Dafür sollte ich Ihnen etwas zahlen.“

„Na schön.“ Er drehte sich rasch um, und unter seinem Blick bekam sie kaum Luft. „Wie wäre es mit Abendessen?“

„Abendessen?“, wiederholte sie, als hätte sie das Wort noch nie gehört.

Jetzt sah sie wieder drein, als hätte er von ihr verlangt, auf einem Hai zu reiten. Vorhin in seinem Garten hatte er schon gehofft, sie würden einander näherkommen. Offenbar hatte er erneut etwas falsch verstanden.

Chris zuckte die Schultern und öffnete die Seiten des Kartons. „War nur so ein Gedanke.“

Abendessen! Er meinte ein Essen und keine Verabredung. Was war ihr bloß eingefallen? Schließlich gingen sagenhafte Frauen in seinem Haus ein und aus. Sehnte er sich nach Gesellschaft, brauchte er sich ganz sicher nicht mit ihr zu verabreden.

„Sicher, sehr gern.“

Er sah sie überrascht an, weil sie es sich so schnell anders überlegt hatte.

„Heute Abend.“ Sie stockte und überlegte, was sie im Kühlschrank hatte. „Ich wollte Schmorbraten machen.“ Das war Dannys Lieblingsessen. Er drängte schon die ganze Woche darauf.

Chris lehnte den Karton ans Sofa und zog langsam vier lange und zwei kürzere Metallteile heraus. Klirrend fielen sie auf den hellgrünen Teppich. „Mit kleinen Kartoffeln?“

In diesem Moment wirkte er wie ein hungriger Junge. Rosemary lachte und entspannte sich. „So klein, wie Sie es wünschen.“

Vorsichtig holte er die Grundplatte aus der Verpackung und hakte die beiden Seitenteile ein. „Ich nehme Sie beim Wort.“ Sobald er die Gitter befestigt hatte, griff er nach der Deckplatte. Danny kam ihm zuvor, reichte ihm das Teil und lächelte dabei wie in einer Zahnpastareklame. „Wann soll ich kommen?“

Rosemary überschlug rasch die Zeit. Wenn sie den Braten gleich anschließend in den Herd stellte, konnte sie noch das Haus aufräumen. „Um sechs.“

Er nickte. „Um sechs.“ Chris warf einen Blick auf die Anleitung, ohne sie zu lesen. Das Bild reichte ihm. „Schön, das sieht gut aus. Jetzt schieben wir noch den Boden ein. Dann kann Rocky ihr neues Zuhause ausprobieren.“

Während der Hund Kreise um sie zog, brachten Chris und Danny den Boden an. Wenigstens bleibt jetzt der Teppich sauber, dachte Rosemary und betrachtete den Käfig, der so aussah wie jene in Tierhandlungen, in denen traurige Welpen den ganzen Tag lustlos herumlagen. Er war nur viel größer. Sie fühlte sich unsicher, weil es ihr erster Hund war. Aber Chris hatte schon viele gehabt und wusste wohl, was er tat. Trotzdem musste sie eine Frage stellen, um beruhigt zu sein.

„Ist es nicht grausam, sie in einen Käfig zu sperren?“

Es gefiel ihm, dass sie ein weiches Herz hatte. Viele Frauen machten sich nichts aus Tieren.

„Nein, weil das für sie ein Ersatz für eine Höhle ist.“ Er öffnete die Tür des Käfigs. „Alle Hunde sind grundsätzlich Wildtiere.“

„Danke.“ Rosemary schauderte und verschränkte die Arme. „Das hat mir noch gefehlt. Ich habe mir schon ausgemalt, wie sie mich ins Genick beißt.“

„Mom!“

Chris bemühte sich, nicht darauf zu achten, dass sich ihre Brüste deutlicher abzeichneten, wenn sie die Arme so hielt. Nur mit Mühe konnte er sich auf die Antwort konzentrieren. „Sie haben Angst vor Hunden?“

Rosemary nickte.

Das verstand er nicht. Wieso hatte sie denn einen Hund, vermutlich eine Kreuzung mit einem Deutschen Schäferhund, wenn sie Angst hatte?

Autor

Marie Ferrarella
<p>Marie Ferrarella zählt zu produktivsten US-amerikanischen Schriftstellerinnen, ihren ersten Roman veröffentlichte sie im Jahr 1981. Bisher hat sie bereits 300 Liebesromane verfasst, viele davon wurden in sieben Sprachen übersetzt. Auch unter den Pseudonymen Marie Nicole, Marie Charles sowie Marie Michael erschienen Werke von Marie Ferrarella. Zu den zahlreichen Preisen, die...
Mehr erfahren
Elizabeth Lane
Immer auf der Suche nach neuen Abenteuern und guten Stories, hat Elizabeth Lane schon die ganze Welt bereist: Sie war in Mexiko, Guatemala, Panama, China, Nepal und auch in Deutschland, aber am wohlsten fühlt sie sich im heimatlichen Utah, im Westen der USA. Zurzeit lebt sie mit ihrer 18jährigen Katze...
Mehr erfahren
Rita Herron
Schon im Alter von 12 schrieb Rita Herron ihre ersten Krimis. Doch sie wuchs in einer Kleinstadt auf – noch dazu in bescheidenen Verhältnissen – und konnte sich eigentlich nicht vorstellen, das „echte“ und einfache Leute wie sie Autoren werden könnten. So dauerte es viele Jahre, bis sie den Weg...
Mehr erfahren