Bianca Spezial Band 13

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

KÜSSE, LIEBE, KINDERLACHEN von CELESTE HAMILTON
Wie sehr genießt Lainey das süße Kinderlachen auf ihrer Farm! Seit der alleinerziehende Adam mit seinem Sohn das Nebengebäude bezogen hat, fühlt sich alles so richtig an. Als wären sie eine Familie! Doch die kann es für Lainey wohl nie geben …

ALLEIN MIT MEINEM TRAUMMANN von LISETTE BELISLE
Nur sie und er, eine Farm und ein Leben in Liebe! Urplötzlich ist die süße Jessie mit dem atemberaubenden Ben Harding allein auf Stone's End. Offenbart er nun endlich, dass sich unter seiner rauen Schale ein weicher Kern verbirgt?

STILLES GLÜCK UND SANFTE KÜSSE von CHRISTINE FLYNN
Das Auto streikt, ein Tornado naht, und Justin kommt gerade noch bis zur nächsten Farm. Dort trifft er auf die schöne Emily, die so ruhig lebt, wie er es nicht gewohnt ist. Mit ihr verbringt er gerne die Nacht unter einem gemeinsamen Dach.


  • Erscheinungstag 09.09.2022
  • Bandnummer 13
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510356
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Celeste Hamilton, Lisette Belisle, Christine Flynn

BIANCA SPEZIAL BAND 13

PROLOG

„Wach auf, Kleines. Wir sind gleich da.“

Die freundlichen Worte rissen Lainey aus dem Schlaf. Für einen Moment wusste sie nicht, wo sie war. Verängstigt drückte sie ihre neue Puppe an sich. Langsam erst kam die Erinnerung. Sie fuhr mit einer Frau, die sie Miss Polly nennen sollte, in einem Wagen. Es wurde schon dämmerig. Die Gegend draußen war fremd für Lainey. Sie bemühte sich tapfer, in ihrer Angst nicht zu wimmern.

„Aber, aber“, beruhigte Miss Polly sie. „Ich bringe dich zu deiner Tante und deinem Onkel.“

Tante Loretta war nur ein Name für Lainey, den ihre Mutter hin und wieder einmal erwähnt hatte und dann immer mit einem ganz merkwürdigen Gesichtsausdruck, manchmal sogar unter Tränen.

„Deine Tante und dein Onkel freuen sich auf dich. Sie haben sich immer ein kleines Mädchen gewünscht.“

„Ich will zu meiner Mutter“, stieß Lainey unglücklich hervor.

„Ach, Schätzchen, ich weiß.“ Seufzend strich Miss Polly über Laineys Arm. „Aber es ist ihr Wunsch, dass du zu deiner Tante kommst.“

Auch wenn Miss Polly wirklich nett war, so rückte Lainey doch von ihr ab und verschloss die Ohren vor dem, was die Frau sagte … was alle Leute in der letzten Zeit gesagt hatten. Ihre Mutter sei weggegangen, niemand wisse, wohin. Lainey sei mit ihren vier Jahren doch schon ein großes Mädchen, groß genug, um nicht mehr so zu weinen. Lainey wusste das alles, aber dennoch musste sie gegen die Tränen ankämpfen.

Der Wagen bog in eine andere Straße ein, und endlich hörte Miss Polly auf, über Laineys Mutter zu reden. „Jetzt sind wir gleich da.“

Lainey richtete sich auf. Vor ihr sah sie das Haus. Ein großes, solides Haus, dessen Fenster alle hell erleuchtet waren. Es erinnerte Lainey an die Häuser in der schicken Gegend der Stadt, an denen sie und ihre Mutter immer wieder einmal vorbeigegangen waren. Eines davon, ein großes mit ganz vielen Fenstern und einer riesigen Veranda, war das Lieblingshaus ihrer Mutter gewesen. „Perfekt“, hatte ihre Mutter mit leiser und sehnsuchtsvoller Stimme gesagt und dabei Laineys Hand gedrückt. „Das ideale Haus für eine Familie.“

Lainey wusste gar nicht, was eine Familie mit einem so riesigen Haus sollte. Aber ihre Mutter sagte, dass sie eines Tages, wenn Laineys Vater erst wieder da wäre, vielleicht ein Haus haben würden, und Lainey hätte dann ihr eigenes Zimmer und viele Brüder und Schwestern. Daran glaubte Lainey ganz fest. Und in den Nächten, in denen sie allein war oder ihre Mutter Männer mit lauten Stimmen und kalten Augen mit in die Wohnung brachte, fand sie Trost in den Träumen über das Haus, in dem sie eines Tages als Familie zusammenleben würden.

Aber der Vater, den sie nicht kannte, tauchte nie auf.

Und nun hatte auch ihre Mutter sie im Stich gelassen.

Doch hier war das Haus.

Lainey beugte sich erwartungsvoll und aufgeregt vor. Vielleicht war alles nur ein Spiel. Vielleicht gab es gar keine Tante und keinen Onkel. Vielleicht warteten ihre Mutter und ihr Vater hier auf sie.

Hoffnung stieg in Lainey auf. Die Straße fiel jetzt leicht ab und führte an dem Haus vorbei. Lainey drehte sich um und hatte nur Augen für die erleuchteten Fenster. Sie bemerkte es kaum, als der Wagen anhielt. Dann knallte eine Tür, und Lainey drehte sich wieder um. Ein Mann und eine Frau kamen aus einem kleineren, weißen Haus auf den Wagen zugeeilt.

Tante Loretta hatte das Lächeln von Laineys Mutter. Mit Tränen in den Augen drückte sie Lainey an sich und lobte dabei überschwänglich das schöne, lange rote Haar. Onkel Coy war ein freundlich dreinschauender Riese, der Lainey auf starken Armen vom Wagen ins Haus trug. Die beiden waren so lieb zu ihr, dass Lainey auch keine Angst bekam, als Miss Polly wieder abfuhr.

„Alles wird jetzt gut“, versprach Tante Loretta, als sie Lainey an diesem Abend zu Bett brachte.

Und von der Tür ihres Zimmers her fügte Onkel Coy hinzu: „Jetzt bist du zu Hause. Auf der Applewood Farm.“

Doch kaum waren die beiden gegangen, da schlüpfte Lainey aus dem Bett und ging zum Fenster. Das große Haus auf der Anhöhe war immer noch hell erleuchtet. „Perfekt“, flüsterte Lainey und ahmte damit genau ihre Mutter nach. „Das ideale Haus für eine Familie.“

Und das war eine Meinung, die Lainey nie mehr änderte.

1. KAPITEL

„Nun mach schon, Dad, wirf ihn mir richtig hart zu!“

Adam Cutler lächelte seinen Sohn herausfordernd an. „Und du meinst, du packst es?“

Mit ernster Miene schwenkte Gabriel seinen für ihn zu großen Schläger. „Ziel nur gut.“ Er hatte die Kappe bis tief über die Augen gezogen, und sein Mund drückte Entschlossenheit aus. In drei Monaten wurde er sechs Jahre alt, doch er hatte schon jetzt das Herz eines Kämpfers.

Adam erinnerte sich, wie er selbst in dem Alter gewesen war. Mit fünf Jahren hatte er seine Liebe fürs Baseballspiel entdeckt. Das war an einem heißen Nachmittag im August gewesen, einem Tag ähnlich dem heutigen, auf einem der unzähligen Campingplätze, auf denen er und sein Vater in jenem Sommer gelebt hatten.

Heute war seine Zeit als aktiver Spieler vorbei. Knieprobleme hatten ihn langsamer werden lassen. Die rechte Schulter war schon dreimal operiert worden. Aber das alles spielte in diesem Augenblick keine Rolle, wo er im Hof seiner Schwester dem kleinen, aber doch ernstzunehmenden Schlagmann gegenüberstand.

„Mach schon, Dad!“, forderte Gabriel ihn wieder auf.

Die Rothaarige, die hinter seinem Sohn vorgebeugt stand, rief Adam in bester Laune zu: „Wirf ihn genau hierher!“

Adam ließ sich Zeit und passte den Ball seiner Hand an. Es war ein schönes Gefühl. Ähnlich dem Gefühl, wenn man die Brust einer Geliebten mit der Hand umschmiegte.

Der Vergleich verwirrte Adam so, dass sein in diesem Augenblick ausgeführter Wurf absolut schwach ausfiel. Der Ball flog weit nach links, und die Rothaarige musste nach ihm springen. Adam gefiel es, wie sie den Ball noch auffing und sich darüber freute und lachte. Und er musste sich eingestehen – wenn auch widerstrebend –, wie sehr ihm das leichte Wippten ihrer Brüste unter dem hellblauen T-Shirt gefiel und der Anblick ihrer schlanken Hüften in der enganliegenden Jeans.

Sein Interesse war geweckt. Ach, verdammt, mehr als das! Es war reine Lust … und nicht nur erweckt, sondern voll erregt.

Vor zwei Wochen erst hatte er Lainey Bates kennengelernt und sich von Anfang an stark zu dieser für ihn so falschen Frau hingezogen gefühlt. Falsch, weil sie nicht der Frauentyp war, von dem er sich normalerweise angezogen fühlte. Und falsch waren auch seine Reaktionen auf sie, zumindest unangemessen. Wenn sie auch keine Blutsverwandte war, so war sie seine Cousine und damit ein Teil der Familie, die er bis vor einem Monat noch gar nicht gekannt hatte.

Er wollte auf keinen Fall den frisch geschmiedeten Familienverbund durch seinen plötzlich erwachten Geschlechtstrieb gefährden.

Ihre Stimme riss ihn aus seiner Gedankenversunkenheit. „Bist du dahinten inTrance oder so was, Cutler?“ Der Ball, den sie ihm zuwarf, rutschte ihm glatt aus der Hand.

Grabriel stöhnte auf. „Was ist los, Dad?“

„Vielleicht sollte Lainey werfen“, schlug Adam vor.

„Das würde mir fürs Schlagen gar nichts bringen“, brummte Gabriel. „Lainey ist ein Mädchen.“

Während Lainey gegen die sexistische Bemerkung protestierte, hob Adam den Ball auf und ging zu ihr. Lächelnd beobachtete er, wie sie Gabriel herausfordernd die Schirmkappe tiefer ins Gesicht zog. Ihr langer, roter Zopf fiel ihr über die Schulter.

Dann blickte Lainey auf und lächelte Adam an. Er hatte auf einmal das Gefühl, als würde die Sonne an diesem schwülen Sommertag noch heißer brennen. Und statt, wie er es eigentlich vorhatte, Lainey in ihrer Einschätzung über die athletischen Qualitäten von Frauen Schützenhilfe zu geben, sagte er: „Stimmt, Gabriel, Lainey ist ganz eindeutig eine Frau.“

Laineys Augen wurden größer. Eine leichte Röte legte sich auf ihre mit kleinen Sommersprossen überzogenen Wangen. Sie starrte Adam an. Adam starrte sie an. Die Spannung knisterte direkt.

Sogar Gabriel entging es nicht, dass etwas nicht stimmte. „Was ist mit deinem Gesicht los, Dad?“

Lainey starrte mit einem plötzlichen Interesse ihren Baseballhandschuh an, während sich Adam zu einem leichten Ton zwang. „Wieso?“

„Du siehst so aus.“ Gabriel schnitt eine Grimasse.

„So?“ Adam ahmte die Fratze nach.

„Oder so?“ Lainey machte das Spiel sofort mit.

Das Grimassenschneiden lenkte Gabriels Interesse von dem sonderbaren Intermezzo der Erwachsenen ab. Und außerdem wählte zum Glück Caroline, Adams Schwester, diesen Augenblick, um sie alle ins Haus zu rufen.

„Das Eis ist fertig!“, rief sie ihnen zu.

Gabriel, der selbstgemachtes Eis erst vor einer Woche kennengelernt hatte, aber schon richtig süchtig danach war, rannte aufs Haus zu. Und Adam, froh über diese Möglichkeit, sich aus Laineys Nähe zu entfernen, nahm gleich die Verfolgung auf.

Vater und Sohn sprangen die Stufen zur Veranda hoch und warfen ihre Kappen und Handschuhe auf einen Tisch. Caroline, deren Baby gerade auf ihre rosa Bluse sabberte, lachte.

„Was kommt denn da für eine wilde Horde angestürmt?“

Mit völlig unpassender Verzweiflung stieß Gabriel aus: „Ich brauche Eis.“

Caroline zeigte zur Küche. „Dort.“ Und schon fiel die Küchentür hinter Gabriel zu. Caroline sah Adam an. „Die Schnelligkeit war wirklich beeindruckend für jemanden, der behauptet, wegen angeschlagener Knie nicht mehr in der Profi-Liga mithalten zu können.“

Nach Luft ringend, beugte sich Adam über den Tisch und konnte erst nach einigen Augenblicken sprechen. „Du hättest mich im College sehen sollen. Damals war ich so schnell, dass jeder Talentsucher der Profi-Liga auf mich aufmerksam geworden ist.“

„Wie gern hätte ich dich gesehen.“ Bei den ruhig gesprochenen Worten richtete sich Adam wieder auf. Trauer und Wehmut zeigten sich deutlich in Carolines dunkelbraunen Augen. „Wenn ich es doch nur gewusst hätte, dann …“

„Nicht“, unterbrach Adam sie. „Lass die Vergangenheit ruhen. Das haben wir uns versprochen.“ Und so war es am klügsten. Auch wenn es, das wusste Adam selbst, verdammt schwerfiel, den Seelenfrieden zu bewahren, wenn ihm und Caroline Jahre der Gemeinsamkeit geraubt worden waren. Bis vor einem Monat noch hatte Adam geglaubt, dass seine Schwester tot sei.

Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, ich weiß. Aber immer wieder steigt die Wut in mir auf.“

„Was soll Wut schon bringen?“

„Nichts. Natürlich.“ Aber ihr zusammengepresster Mund, während sie ihr Kind in die Babyschaukel setzte, verriet ihre innere Aufgewühltheit. „Ich möchte es Vater ja verzeihen, dass er mit dir damals von hier weggegangen ist. Und Mutter, weil sie es zugelassen hat. Ja, ja, ich weiß, Großvater hat …“

„Du musst aufhören, unentwegt daran zu denken.“

Mit gerunzelter Stirn sah Caroline ihn an. „Du scheinst das alles so hinzunehmen. Wieso nur?“

„Vielleicht liegt es am Indianerblut. Unsere Vorfahren mussten vieles hinnehmen.“

„Aber wir haben dasselbe Blut. Und mir fällt es unglaublich schwer, die Geschehnisse der Vergangenheit einfach hinzunehmen.“

Das indianische Erbe ihres Vaters zeigte sich in Carolines hohen Wangenkochen und ihrer geraden Nase. Und Adam entdeckte den entschlossenen Zug seines Vaters um ihren Mund. Im Stillen fragte sich der Bruder, ob Caroline in seinem Gesicht etwas von ihrer Mutter wiederfand. Er hatte sich zwar lange die wenigen Fotos angesehen, die Caroline von ihrer Mutter besaß, aber er konnte sich überhaupt nicht mehr an ihr Gesicht erinnern.

„Wenn doch Großvater nicht … wenn er nicht alles zerstört hätte.“ Carolines Stimme verklang.

„Er hat deine Tränen nicht verdient“, sagte Adam leise. „Und du hast deinen Frieden mit der Vergangenheit geschlossen, bevor ich aufgetaucht bin. Ich habe wieder alles in dir aufgewühlt.“

Lainey kam auf die Veranda mit den Bällen und Schlägern, die sie im Hof gelassen hatten, und verschwand kurz darauf mit Caroline in der Küche.

Von dort her konnte Adam Gabriels Kichern und das Lachen der anderen hören. Es war schön, seinen kleinen Jungen wieder lachen zu hören. Zu lange war Gabriel nach dem Tode seiner Mutter ernst und traurig gewesen, auch während der Monate, die sie beide bei Debbies Eltern gelebt hatten. Adam wusste jetzt, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, als er seine Schwiegereltern wieder verlassen hatte. Seine Schwiegermutter neigte dazu, sich zu sehr anzuklammern, und sie übertrieb es mit dem Bemuttern. Und außerdem konnte Adam für seinen Sohn sorgen, genauso wie sein Vater für ihn gesorgt hatte.

Aber sein Vater hatte Caroline verlassen.

Mit gerunzelter Stirn versuchte Adam, den Mann, der ihn erzogen hatte, mit dem Mann in Einklang zu bringen, der die eigene Tochter verlassen hatte.

Wie hatte sein Vater das nur tun können?

Adam kannte einige Gründe dafür. Sein Großvater, der Vater seiner Mutter, hatte John Cutler gehasst. Robert Parrish wollte es einfach nicht hinnehmen, dass sein einziges Kind, Linda, einen Mann heiratete, für den ihr Vater nur die verächtliche Bezeichnung „dreckiger Indianer“ übrighatte. Und Robert Parrish tat alles, um die Ehe zu zerstören … mit Erfolg. John verließ mit dem Sohn die Farm, während Caroline bei ihrer Mutter und ihrem Großvater zurückblieb.

Nachdenklich ließ Adam den Blick über die grünen Felder von Reids und Carolines Farm wandern. Ein leichter Wind bewegte die Blätter der Bäume und strich über die Veranda. Er trug die Gerüche von frischem Heu und fruchtbarer Erde mit sich. Nach Osten hin wurde die Farm von den Ausläufen der Berge begrenzt. Im Süden bildete ein Bach die Grenze zwischen dieser und der Applewood Farm, die einmal seinem Großvater gehört hatte und nun in Laineys Besitz war.

Adam wusste, er und Caroline waren als knapp Einjährige mit ihren Eltern auf die Applewood Farm gekommen. Robert Parrish hatte fast zwei Jahre dazu gebraucht, die Familie auseinanderzureißen. War die Familie hier einmal glücklich gewesen? Eigentlich fiel es nicht schwer, sich glückliche Kinder in diesem fruchtbaren, kleinen Tal vorzustellen, das versteckt in den Bergen Tennessees lag. Vielleicht hatten er und Caroline sich in den wogenden Kornfeldern verirrt, so wie Gabriel gestern. Vielleicht hatten sie nachts in ihrem Zimmer wach gelegen und auf den Chor der Frösche vom Bach her gelauscht. Oder sie hatten Versteck in den kühlen Schatten des großen Hauses auf Applewood gespielt, des Hauses, in dem heute Lainey lebte. Adam hätte sich gern erinnert.

Aber er hatte nur ein einziges klares Bild aus dieser Zeit. Er erinnerte sich, dass er auf dem Sitz von Dads rostigem, alten Truck stand, das Gesicht an die Rückscheibe gepresst, und dass er winkte. Er konnte heute noch den Staub schmecken, den der Truck aufwirbelte. Er konnte noch seinen Vater hören, wie der ihn zum Schweigen ermahnte. Er konnte noch die Tränen sehen, die den Schmutz auf der Scheibe, an die er seine Wange hielt, verschmierten.

Hatte er Caroline zugewunken? Seiner Mutter?

Und irgendwann hatte ihm sein Vater die Lüge über den Tod Carolines und seiner Mutter erzählt.

Warum? Robert Parrish hatte die gleiche zerstörerische Lüge benutzt und Caroline und ihrer Mutter erzählt, dass Adam und John tot seien. Zwei unfassbare Lügen von zwei so unterschiedlichen Männern.

Doch ansonsten hatte sein Vater ihn nicht belogen. Denn so weit sich Adam zurückerinnern konnte, hatte er von Robert Parrish und diesem Tal am Rande des Städtchens Parrish gewusst, das seine Vorfahren vor langer Zeit einmal gegründet hatten. Adams Vater hatte von diesem Flecken Erde immer mit einer eigentümlichen Mischung aus Sehnsucht und Hass gesprochen.

In einem Frühling … damals spielte Adam noch in einem Baseball-Team der Unterliga … hatte er sich fest vorgenommen, dieses Tal zu suchen. Doch er hatte der Versuchung widerstanden. Das war wahrscheinlich auch gut so gewesen. Denn heute wusste er, dass er Caroline hier nicht angetroffen hätte. Sie war nach dem Tode der Mutter von Großvater Parrish weggelaufen und hatte sich in Kalifornien ein neues Leben aufgebaut. Sie hatte geheiratet und sich wieder scheiden lassen und unter dem Namen ihres ersten Mannes populäre Fantasy-Romane geschrieben. Romane über ein Zwillingspärchen, einen Prinzen und eine Prinzessin, die in einer gefährlichen Fantasiewelt überleben mussten.

Debbie, Adams Frau, hatte Carolines Bücher regelrecht verschlungen. Und Adam hätte sich nie träumen lassen, dass der Autor seine Zwillingsschwester war, die er verloren hatte.

Im letzten Sommer war Caroline in dieses Tal zurückgekehrt. Und hier hatte sie Reid kennen und lieben gelernt.

„Adam?“

Er sah sich um. Lainey stand hinter ihm und hielt in jeder Hand eine Schale mit selbstgemachtem Eis. Und anscheinend hatte Lainey ihn schon mehrmals angesprochen.

„Entschuldigung.“ Er nahm die Schale, die sie ihm hinhielt.

Sie nickte zur Küche hin. „Reid und Gabriel starten einen Dame-Marathon, wenn du auch Lust hast.“

„Ich bleibe lieber hier draußen und zupfe Flusen.“

Ein Lächeln ließ ihre Augen aufblitzen. „Den Ausdruck habe ich schon lange nicht mehr gehört.“

„Mein Vater hat mir häufig vorgehalten, dass ich Flusen zupfe.“

„Meine Tante Loretta mir auch.“

„Dir?“ Lainey hatte auf Adam bisher überhaupt nicht den Eindruck der Tagträumerin gemacht. Er kannte sie eigentlich nur in Aktion. Sie hielt ihr Haus und die Farm in Schuss, und sie war immer für andere da … brachte Caroline Essen, nähte eine Bluse für Sammi, Reids Teenager-Tochter aus erster Ehe, sah bei einem kranken Nachbarn nach dem Rechten.

„Tante Loretta hat Träumerei nicht hingenommen“, erklärte Lainey. „Dafür hatte sie kein Verständnis. Selbst ein Buch zu lesen war für sie Faulheit.“

Adam nahm einen Löffel Vanilleeis und ließ es genussvoll auf der Zunge zergehen. „Klingt nach einer echten Zuchtmeisterin.“

„Tante Loretta und Onkel Coy waren sehr gut zu mir.“

„Ich habe meine Worte nicht als Kritik gemeint.“

„Lass nur. Und es stimmt ja, Tante Loretta war streng. Sehr streng, damit ich nicht meiner Mutter nachschlage.“ Mit plötzlich gerunzelter Stirn schob sie ihren Löffel wieder in das Eis.

„Und wie war deine Mutter?“

„Ich kann mich kaum noch an sie erinnern.“

Sie wich aus. Wie Adam selbst war Lainey hinsichtlich ihrer persönlichen Angelegenheiten ein verschlossener Mensch. Sie war neunundzwanzig, so viel wusste er, also sechs Jahre jünger als er und Caroline. Und sie war auf die Applewood Farm gekommen, weil ihre Mutter sie im Stich gelassen hatte. Ein Vater existierte nicht. Die Schwester ihrer Mutter, Loretta, und Coy, der jüngere Halbbruder von Robert Parrish, hatten sie aufgezogen.

Lainey stellte ihre Schale mit dem halbaufgegessenen Eis auf den Tisch. „Adam, da ist etwas, worüber ich mit dir reden will.“

Ihre Nervosität übertrug sich auf ihn. Er fühlte sich alarmiert. Er dachte daran, wie es eben im Hof zwischen ihnen gefunkt hatte und wie er sich überhaupt vom ersten Augenblick an zu ihr hingezogen gefühlt hatte. Innerlich bereitete er sich auf alles Mögliche vor.

„Ich möchte, dass du einen Teil der Applewood Farm bekommst.“

Ihre Worte ergaben zunächst keinen Sinn. Adam starrte Lainey an.

Sie errötete. „Und? Was sagst du dazu?“

„Ich weiß nicht, wovon du redest.“

Lainey sprach überhastet, als sie ihm erklärte: „Deine und Carolines Mutter hätten zusammen mit Onkel Coy nach dem Tode von Großvater die Farm geerbt. Aber sie starb, und alle hielten dich und deinen Vater für tot. Und Caroline war nach Kalifornien verschwunden. Darum bekam Onkel Coy alles. Das war nicht richtig. Caroline will keinen Teil von der Farm. Aber du …“

„Ich will die Farm nicht.“

„Dem Gesetz nach müsste sie dir gehören.“

„Es ist deine Heimat.“

„Aber du … du und Gabriel, ihr braucht …“ Verunsichert brach Lainey ab.

Adam konnte die Lücke selbst füllen … arbeitsloser, körperlich verbrauchter Baseballspieler, der jede Hilfe bitter nötig hatte. „Ich will die Farm nicht. Außerdem hätte Robert Parrish es nicht gewollt, dass ich sie bekomme.“

Überrascht zog Lainey die Brauen hoch. „Was hat das damit zu tun? Er ist seit fast siebzehn Jahren tot. Es spielt keine Rolle, was er gewollt hätte.“

Adam richtete den Blick nach Applewood hinüber. Im Geiste konnte er das große Haus auf der Anhöhe sehen, dahinter den großen Rasen und dann den alten Obstgarten. „Robert Parrish hat mich und meinen Vater von diesem Land verjagt.“

„Das ist nur ein weiterer Grund, es dir zurückzuholen. Von Rechts wegen müsste es dir gehören.“

„Nein.“ Die Wut ging wieder mit Adam durch. Eine irrationale Wut, die nichts mit der Frau hier oder dem zu tun hatte, was sie ihm anbot. „Ich will deine verdammte Farm nicht. Okay?“ Er schrie es fast.

Auf der anderen Seite der Veranda bewegte sich der kleine Christopher und wimmerte ihm Schlaf. Lainey warf Adam einen verwirrten Blick zu, bevor sie zu dem Baby ging und es mit sanften Schaukelbewegungen wieder beruhigte.

Adam holte tief Luft. Was zum Teufel war nur los mit ihm, dass er Lainey so anbrüllte? „Es tut mir leid.“

„Ich wollte nur gerecht sein. Ganz bestimmt wollte ich dich nicht aufregen. Ich finde, du und Caroline, ihr solltet beide das haben, was eure Mutter euch hinterlassen hätte.“

„Das ist wirklich sehr großzügig von dir. Aber ich kann es nicht annehmen. Ich erinnere mich nicht einmal mehr an meine Mutter. Ich will nichts von ihr. Außerdem, nach dem, was ich sehen kann und was Caroline und Reid mir gesagt haben, hast du aus der Farm das gemacht, was sie ist … du und dein Onkel.“

„Er war auch dein Onkel.“

„Ich weiß. Trotzdem kann ich dein Angebot nicht annehmen. Wegen meines Vaters“, erklärte er nach längerem Schweigen. „Ich glaube, dass er hier eigentlich leben wollte. Aber er ist vertrieben worden. Und ich … ich will nicht das haben, was er nicht haben konnte.“ Er runzelte die Stirn. „Kannst du das verstehen?“

„Nein.“ Lainey hatte den Kopf auf die Seite gelegt, und, was Adam überraschte, sie lächelte … ein Lächeln, das den letzten Rest seiner Wut vertrieb.

„Du hältst mich für verrückt, stimmt’s?“

Sie nickte. „Jeder, der nicht einen Teil von Applewood will, ist meiner Meinung nach nicht mehr ganz richtig im Kopf. Es ist doch unmöglich, das alles hier nicht zu lieben.“ Mit einer Bewegung ihres Arms umfasste sie das Land um sich herum. „Ich habe nicht viel von der Welt gesehen, im Gegensatz zu dir. Aber es kann einfach nichts Schöneres geben als dieses Tal.“

Auch Adam ließ den Blick über das Land wandern, und dabei regte sich etwas in ihm. Aber er kämpfte gegen das Gefühl an. Das unstete Wanderleben hatte ihn gelehrt, sich nicht darum zu kümmern, wo er sich gerade aufhielt. Etwas Neues wartete doch schon an der nächsten Ecke.

Also betrachtete er lieber Lainey. Einige Haarsträhnen hatten sich aus ihrem langen Zopf gelöst und glänzten rotgolden in der Spätnachmittagssonne, die über die Veranda fiel. Die leuchtende Farbe war ganz besonders schön, dazu noch die tiefgrünen Augen, die von schwarzen Wimpern umgeben waren … Nicht, dass Lainey eine hinreißende Schönheit war. Manche Leute könnten sie sogar für unscheinbar halten. Aber in diesem Licht, den Kopf so wie jetzt gedreht, mit diesem Lächeln auf den Lippen, war sie … war sie einzigartig. Nur dieses Wort fiel ihm dazu ein.

Vielleicht spürte sie die Richtung, die seine Gedanken nahmen. Sie warf ihm rasch einen Blick zu und sah gleich wieder weg. Das Licht veränderte sich. Der Augenblick war vorbei. In Adam blieb der Wunsch, Lainey berühren zu wollen.

Diesen Gedanken verscheuchte er mit einem nervösen Lachen. „Das sollte wirklich festgehalten werden. Schließlich wird einem nicht jeden Tag eine Farm angeboten.“

„Stimmt.“

„Vielleicht bedauere ich es sogar, wenn ich wieder weg bin.“

„Weg?“ Das war Carolines Stimme, und Lainey und Adam drehten sich um. Sie kam mit zusammengezogenen Brauen auf sie zu. „Was meinst du damit? Du darfst nicht wegfahren. Noch nicht.“

„Caroline …“

„Du bist erst zwei Wochen hier. Viel zu kurz.“

„Ich bin nicht gekommen, um hierzubleiben.“

„Aber du könntest.“

Adam musterte seine Schwester nur schweigend.

„Ich möchte, dass du bleibst, und …“ Carolines und Laineys Blicke trafen sich, und Carolines Gesicht hellte sich plötzlich auf, als wäre ihr gerade eine großartige Idee gekommen. „Und Lainey will auch, dass du bleibst.“

Die überraschte Lainey versuchte, die stumme Botschaft zu verstehen, die Carolines Augen ihr zu übermitteln schienen.

„Lainey braucht Hilfe auf der Farm“, fuhr Caroline fort.

Adam lachte auf. „Ich habe den Eindruck, Lainey könnte zwei Farmen ohne meine Hilfe führen.“

„Nein“, betonte Caroline und warf wieder einen beschwörenden Blick in Laineys Richtung. „Erst heute Morgen hat sie mir erzählt, wie hart ihr die Arbeit in diesem Sommer fällt. Es ist so heiß. Und einer ihrer Aushilfskräfte hat sich aus dem Staub gemacht.“

Dieser Sommer war nicht heißer oder härter als die vorherigen, und dass die Aushilfskraft sie im Stich gelassen hatte, das war keine wirkliche Überraschung gewesen. Aber Lainey hatte verstanden, worauf Caroline aus war. Sie wandte sich an Adam und sagte: „Ich könnte wirklich Hilfe gebrauchen.“

Caroline drehte die Daumenschrauben noch fester. „Es würde mich wirklich freuen, wenn du Lainey helfen würdest. Sie ist auch immer so hilfsbereit zu mir. Und außerdem könnte Reid dich hier gut gebrauchen.“ Sie wandte sich halb um, als ob sie zur Küche eilen wollte. „Ich hole ihn. Er kann es dir selbst sagen.“

„Nicht nötig.“ Adam hob abwehrend eine Hand. „Natürlich will ich helfen, aber …“ 

„Wir melden Gabriel im Kindergarten an und …“

„Nun hör mal …“

Caroline schnitt ihm einfach das Wort ab. „Warum willst du nicht bleiben, Adam? Ich meine, was hast du denn sonst …“ Sie hielt inne. Aber es war schon klargeworden, was sie meinte. Was hatte er denn sonst zu tun?

„Ich habe meine Pläne.“ Adam betonte jedes einzelne Wort.

„Das glaube ich dir gern. Aber vielleicht kannst du diese Pläne noch etwas aufschieben. Es würde mich so freuen, wenn du und Gabriel noch etwas bliebet. Nach all den Jahren, Adam. Ich würde mich so freuen, wenn du hier wärst. Bei mir. Bei uns.“ Ein leichtes Zittern in ihrer Stimme verriet, wie aufgewühlt sie tatsächlich war.

Lainey ging zu ihrer Freundin und legte einen Arm um ihre Taille. „Ich wäre wirklich dankbar, wenn du mir etwas zur Hand gehen würdest“, sagte sie mit fester Stimme.

Adam musterte sie lange und nachdenklich, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Schwester. „Ich würde ja gern noch etwas bleiben. Du weißt, was es mir bedeutet, dich wiedergefunden zu haben. Aber mit Gabriel und mir platzt euer Haus aus allen Nähten. Schließlich ist da auch noch Sammi, Reids Tochter.“ Unsicher fuhr sich Adam mit der Hand durchs Haar. „Eine Siebzehnjährige ist nicht hellbegeistert darüber, wenn sie auf Dauer das einzige Bad mit so vielen anderen Leuten teilen muss.“

„Das lässt sich regeln“, entgegnete Caroline.

„Nun sag mir bloß nicht, dass du ein zweites Badezimmer anbauen lassen willst.“

„Nein. Ihr zieht nach Applewood.“

Lainey verschluckte ihren überraschten Einwand und warf Adam hastig einen Blick zu. Er sah so unbehaglich aus, wie sie sich fühlte.

Aber Caroline achtete nicht auf die unterschwelligen Spannungen. „Ihr könnt doch in das kleine Haus einziehen. Lainey hat da mit Onkel Coy und Tante Loretta gewohnt, bevor Großvater gestorben ist. Und ich habe dort einen Teil meiner Einrichtung aus meiner Wohnung in Kalifornien untergestellt. Ihr beide hättet dort alles, was ihr braucht. Und kürzlich erst hat Lainey gemeint, wie schade es sei, dass das Haus leer stehe.“

Lainey fühlte sich in einer echten Zwangslage. Sie wollte ihre Freundin zwar glücklich sehen. Aber Caroline verlangte wirklich zu viel von ihr. Mit Adam fast Tür an Tür zu leben bedeutete, dass sie sich noch häufiger als jetzt schon begegnen würden. Sie könnte ihn noch öfter beobachten, würde noch mehr auf ihn ansprechen und über ihn nachdenken.

„Ich glaube nicht …“

„Meinst du wirklich …“

Ihre hastigen, gleichzeitig ausgesprochenen Einwände schob die von ihrer Idee begeisterte Caroline einfach beiseite. „Ich weiß nicht, warum ich nicht schon früher darauf gekommen bin.“ Damit drehte sie sich um, ging eilenden Schrittes auf die Küche zu und rief den Namen ihres Mannes.

Lainey und Adam sahen einander an.

„Sie ist in dieser Sache wie ein Hund mit seinem Knochen“, brachte er endlich hervor.

Lainey, die Caroline kannte, hielt diese Beschreibung sogar noch für untertrieben. Aber sie konnte nachvollziehen, warum die Freundin gerade zu dieser List gegriffen hatte. „Sie will einfach nicht, dass du gehst. Noch nicht.“

Adam seufzte schwer. „Und es ist für dich wirklich in Ordnung? Ich will dir keine Unannehmlichkeiten bereiten oder … oder sonst etwas.“

Laineys ausgeprägter Stolz meldete sich. Auf keinen Fall sollte Adam bemerken, wie sehr die Vorstellung, ihn als direkten Nachbarn zu haben, sie verunsicherte. Auch wenn sie manchmal das Gefühl hatte, da liefe etwas zwischen ihnen, so konnte sie es sich eigentlich nicht vorstellen, dass dieser Mann wirklich von ihr angezogen sein könnte. Und sie wollte nicht, dass er mitbekam, wie anziehend sie ihn fand. Auf keinen Fall wollte sie sich zur Närrin machen. Nicht wegen ihm. Wegen keines Mannes. Niemals wieder.

Also täuschte sie Unbekümmertheit vor. „Warum solltet ihr nicht dort einziehen? Caroline hat recht. Du und Gabriel, ihr werdet es genießen, eure eigenen vier Wände zu haben. Und mich stört ihr nicht. Wahrscheinlich sehen wir uns kaum einmal.“

Mit hochgezogener Augenbraue sah Adam sie nachdenklich an. „Meinst du?“

„Ja.“ Ihre plötzlich feucht gewordenen Hände schob sie tief in die Taschen ihrer Jeans. „Wahrscheinlich merke ich es die meiste Zeit über gar nicht, dass ihr in der Nähe seid.“

Und wie sie es merkte.

Es lagen gut vierhundert Meter zwischen dem großen Haus und dem weiß umzäunten kleinen Landhaus am Fuße der Anhöhe. Die Entfernung kannte Lainey noch ganz genau von früher her, als sie sich Zeit beim „Flusenzupfen“ gelassen hatte. Aber jetzt, wo Adam und Gabriel ins kleine Haus gezogen waren, schrumpfte die Entfernung auf ein Mindestmaß zusammen.

Das kleine Landhaus lag am Ende der Zufahrt, die an dem großen Haus vorbeiführte. Die Farmgebäude, einige Ställe und Scheunen, lagen auch unterhalb des Haupthauses verstreut und waren von dem kleinen Landhaus durch eine breite Wiese getrennt, die Lainey, wie alle Rasenflächen auf ihrem Land, sorgfältig pflegte. Blumen blühten am Zaun entlang und neben dem Landhaus. Lainey, von ihren zwei Arbeitskräften unterstützt, arbeitete hart, um ihre Farm tipptopp zu halten. Und sie nahm an, dass die harte Arbeit ihr jetzt von Nutzen sein würde. Denn mit harter Arbeit konnte sie ihre Gedanken von Adam ablenken.

Am Montagnachmittag lehnte sie eine Leiter gegen das Pumpenhaus. Gabriel spielte mit Goldie, Laineys Collie, und einem großen roten Ball auf dem Rasen. Von Adam war nichts zu sehen. Lainey wollte ihn auch nicht sehen, jedenfalls redete sie sich das ein. Sie kletterte die Leiter hoch. Auf dem Dach wollte sie lose Dachschindeln festnageln. Doch sie musste hart mit sich kämpfen, um nicht immer wieder zum Landhaus hinüberzublicken.

Heute Morgen waren Adam und Gabriel eingezogen. Caroline hatte gestern Abend und heute Morgen alle zur Arbeit eingeteilt, um das Haus wieder bewohnbar zu machen. Auch Lainey hatte mitgeholfen, dabei aber kaum etwas gesagt. Auch Adam war eher schweigsam gewesen. Caroline hatte natürlich nichts davon bemerkt, sondern sich wie eine Besessene auf die Arbeit gestürzt, um ihren Bruder und Neffen so lange wie möglich in ihrer Nähe behalten zu können. Wahrscheinlich hatte sie es auch gar nicht richtig zur Kenntnis genommen, dass Adam nur versprochen hatte, zwei Wochen oder so zu bleiben, wobei er sich, was seine Zukunftspläne anging, sehr vage gab.

Wahrscheinlich hatte er gar keine wirklichen Pläne. Eigentlich merkwürdig. Adam war ein so liebevoller Vater, der zweifellos das Beste für seinen Sohn wollte. Aber was tat er, um das sicherzustellen? Adam hatte erzählt, er habe früher einmal als Lehrer und Trainer an einer Highschool gearbeitet. Später war dann sein Versuch als Profi-Spieler gekommen. Dieser Karriere war aber endgültig durch den Autounfall, bei dem er auch seine Frau verloren hatte, ein Ende gesetzt worden. Im letzten Jahr hatte er im Baumarkt seiner Schwiegereltern gearbeitet. Vielleicht wollte er dahin wieder zurück.

Vielleicht würde er ja auch seine Meinung ändern und hierbleiben.

Der Nervenkitzel, den dieser Gedanke auslöste, ließ Lainey kräftiger als nötig den Hammer schwingen. Für eine Frau wie sie, die sich so viel auf ihren gesunden Menschenverstand einbildete, kamen ihr zu viele wunderliche Gedanken in den Kopf, seit Adam Cutler in seinem verbeulten, alten Truck aufgetaucht war.

Sie nahm an, dass ein Mann wie er viele Frauen zum Träumen brachte. Er war groß und schlank und wirklich attraktiv mit seinem etwas nachlässig gekämmten schwarzen Haar, dem offenen und charmanten Lächeln und den dunklen Augen, die verrieten, dass er mehr als nur eine flüchtige Bekanntschaft mit der Härte des Lebens gemacht hatte. Er war der Held vieler Herz-Schmerz-Countrysongs. Er war der Fremde in der Stadt, er verkörperte Gefahren, von deren Reiz man sich unwiderstehlich angezogen fühlte. Und ganz sicher war er nicht ihr Typ.

Ihr Typ! Fast hätte Lainey laut gelacht. Seit wann hatte sie denn einen Typen? Wenn sie jemals eine Beziehung eingehen würde, und langsam zweifelte sie daran, dann würde es ein netter und bodenständiger und bescheidener Mann sein, der wie sie eine Familie gründen wollte. Alles würde sehr vernünftig und praktisch ablaufen. Nichts, was den Puls hochschnellen und Schmetterlinge im Bauch flattern ließ.

„Brauchst du Hilfe?“

Mit einem Ruck richtete sich Lainey auf. Adam stand oben auf der Leiter und sah Lainey über den Rand des Daches an. Vor Schreck fielen Lainey die meisten der Nägel aus der Hand. Sie rollten über die Schindeln und verschwanden über den Rand des Daches.

„Entschuldigung.“ Adam kletterte die restlichen Sprossen der Leiter herauf. Lainey musste zu ihm aufschauen. Sein lose herabfallendes, halb offenes Hemd flatterte in der heißen Brise. Laineys Blick fiel auf den flachen Bauch. Die Jeans saßen tief auf den Hüften. Bei der Gürtelschnalle gab sich Lainey einen Ruck und wandte den Blick ab.

Denn ihr Puls schnellte in die Höhe.

Und Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch.

Das einzige Wort, das ihr in diesem Augenblick in den Sinn kam, war ein knappes und vulgäres. Es passte genau. Denn Lainey kannte sich eindeutig besser mit Kuhmist aus, als dass sie mit ihren Reaktionen auf diesen Mann umzugehen verstand.

2. KAPITEL

Adam starrte Lainey verwirrt an. „Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich habe nach dir gerufen, aber du hast mich wohl nicht gehört.“

„Nein, habe ich nicht.“

„Ich dachte, du könntest Hilfe brauchen.“

„Brauche ich nicht.“

„Ich könnte dir noch ein paar Nägel bringen.“

„Lass nur. Die hier reichen.“ Lainey wollte wirklich nicht so gereizt sein, aber zum Bleiben sollte Adam auch nicht ermutigt werden. Ohne aufzublicken, schlug sie die letzten zwei Schindeln fest. Adam stand immer noch am Rande des Daches, die Hände in die Hüften gestemmt, und beobachtete sie bei ihrem Tun.

Sie richtete sich auf. Stehen auf dem schrägen Dach war schwierig, aber noch unbeholfener fühlte sich Lainey, weil Adam so hoch über ihr aufragte. Mit dem Unterarm wischte sie sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Niemand hat dich gezwungen, hier einzuziehen.“

„Gestern warst du darüber Feuer und Flamme. Außerdem sollte ich dir helfen. Oder war das nur ein Trick, den ihr zwei, du und Caroline, ausgebrütet habt?“

„Es gibt hier immer viel zu tun. Ich freue mich über jede Hilfe.“

Adam musterte sie skeptisch. „Und warum verhältst du dich dann so, als wenn ich dich irgendwie angemacht hätte?“

„Ich bin einfach nur müde und verschwitzt.“

„Dann lass uns vom Dach steigen und irgendwo darüber reden, wo es kühler ist.“

„Worüber reden?“

Er atmete langsam aus und sah Lainey an, als wäre sie etwas schwer von Begriff. „Ich will wissen, was ich tun soll, weil ich hier nicht umsonst wohnen will, Lainey.“

Schweigend schob sich Lainey zur Leiter vor. Adam stieg vor ihr hinunter.

Wahrscheinlich geschah es nur aus Höflichkeit, dass er ihr bei den letzten Sprossen behilflich war. Lainey hätte also die Hilfe ganz unbeschwert annehmen können. Doch als Adam eine Hand um ihren Arm, eine um ihre Taille legte, erstarrte Lainey mitten in der Bewegung.

Sie fühlte die Hitze seines Körpers. Sie hörte Adam plötzlich heftig einatmen und verspürte ein merkwürdiges Flattern in ihrer Brust. Sie stand mit dem Rücken dicht an seinem Körper. Wenn sie sich umdrehte, würde sie ihm direkt ins Gesicht sehen. Ihre Lippen würden sich fast berühren. Na und? Glaubte sie wirklich, er würde sie küssen? Herrje, wie dumm von ihr. Diesem Mann würde es nie in den Sinn kommen, sie zu küssen. Außerdem wollte sie gar nicht, dass er sie küsste. Diese verrückten Impulse konnte sie in ihrem Leben wirklich nicht gebrauchen.

Lainey riss sich zusammen und stieg die letzten Stufen herunter. Adam trat zur Seite. Doch statt Erleichterung fühlte Lainey einen Stich der Enttäuschung.

Mit einer Hand hielt sie sich noch an der Leiter fest, während sie beobachtete, wie sich Adam mit gespreizten Fingern durch das schwarze Haar fuhr und Lainey dabei mit einem ganz sonderbaren Gesichtsausdruck betrachtete.

Dann brach er das angespannte Schweigen. „Sag mir, was ich tun soll.“

Genau da lag ihr Problem. Sie wollte nicht, dass er irgendetwas tat, was ihn in ihre Nähe brachte. Sie griff nach der erstbesten Idee, die ihr in den Kopf kam. „Streichen. Du kannst doch streichen, oder?“

Er runzelte die Stirn. „Natürlich kann ich streichen.“

„Die Veranda hinten braucht einen neuen Anstrich.“

Er warf einen Blick zum Haus auf der Anhöhe hinüber und zog leicht eine Braue hoch. „Das dauert höchstens einen Tag.“

„Du kannst den Rasen mähen. Und die Büsche und Hecken schneiden. Jede Woche.“

Seine Mundwinkel zuckten. „Für Caroline soll ich auch jede Woche den Rasen mähen. Ihr zwei wollt mich wohl so mit Gartenarbeit beschäftigen, dass ich nicht merke, wie die Zeit vergeht. Und ehe ich mich versehe, sind Monate über Monate vergangen, und Gabriel und ich haben uns hier so eingelebt, dass wir nicht mehr fortwollen.“

Die Vorstellung würde bei Caroline Begeisterung auslösen, doch bei Lainey weckte sie nur Gefühle, mit denen sie nicht fertig wurde. „Wäre es so schrecklich, in der Nähe deiner Schwester zu sein?“

„Natürlich nicht. Aber hierbleiben …“ Er schüttelte den Kopf. „Das habe ich nicht geplant. Ich habe Freunde in Florida, alte Teamkollegen, die wollen …“

Das laute Dröhnen einer Autohupe unterbrach ihn. Adam und Lainey blickten dem blauen Kompaktwagen entgegen, der die Zufahrtstraße heruntergerast und nicht weit von ihnen zum Stehen kam. Kies wurde auf den Rasen gespritzt. Ein schlaksiger Teenager in zerrissener Jeans sprang mit einem frechen Grinsen aus der Beifahrerseite, während eine große Blondine mit langen Beinen langsam vom Fahrersitz rutschte.

Lainey murmelte eine Verwünschung und ging energisch auf den Wagen zu. „Neal Scroggins, du hast vielleicht Nerven, dich hier blicken zu lassen und dabei von einem Ohr zum anderen zu grinsen. Wo hast du die letzten zwei Wochen gesteckt?“

Der blonde Junge mit den hellblauen Augen ließ sich vor Lainey theatralisch auf die Knie fallen. „Oh, Miss Bates“, flehte er in komischer Übertreibung, „bitte, sagen Sie mir, dass Sie mir Ihre Gunst nicht entzogen haben und sie jetzt diesem Herrn gewähren!“ Er machte eine Handbewegung in Adams Richtung.

Die Frau, die den Wagen gefahren hatte, stemmte beide Hände in die Hüften. „Neal, steh auf und lass den Blödsinn.“

Lainey stellte Adam vor. „Das ist Marnie Scroggins. Und dieser Komiker ist ihr Sohn Neal. Sie besitzen eine Farm unten im Tal.“

„Es war einmal eine Farm“, stellte Marnie mit einem schweren Seufzer fest und nickte Adam zu.

„Neal“, erklärte Lainey weiter, „arbeitet eigentlich für mich. Aber ich habe schon eine ganze Weile nichts mehr von ihm gesehen. Wann ist der Bengel denn endlich wieder aufgetaucht?“, fragte Lainey seine Mutter Marnie.

„Sein Vater hat ihn gestern nach Hause gebracht.“

Lainey sah den Jungen fragend an. „Willst du deinen Job zurückhaben?“

Neal zuckte nur die Schultern, und Marnie antwortete für ihn. „Natürlich will er wieder den Job, Lainey.“

Neal selbst schien nicht gerade versessen darauf zu sein. „Ich will dich ja nicht beleidigen, aber ich …“

„Halt den Mund“, unterbrach ihn seine Mutter. „Fang jetzt nicht wieder mit dem Unsinn an, dass du dir einen Job in der Stadt suchen willst. Nach den ganzen Schwierigkeiten, in die du dich im letzten Jahr mit deinen Kumpeln gebracht hast, lasse ich dich auf gar keinen Fall jeden Tag in der Stadt arbeiten.“

Die Augen des Jungen blitzten aufsässig. „Vielleicht will ich überhaupt nicht arbeiten.“

„Um noch öfter mit diesen Nichtsnutzen herumhängen zu können?“ Seine Mutter schüttelte resolut den Kopf. „Kommt überhaupt nicht infrage. Wenn Lainey dich noch …“

Lainey wandte sich an Neal. „Das hängt allein von dir ab.“

Der trotzige Zug verschwand aus Neals Miene, als er Lainey ansah. Er hatte sogar den Anstand, beschämt den Kopf hängen zu lassen. „Tut mir leid, Lainey. Ich wollte dich nicht im Stich lassen. Aber Dad ist aufgetaucht und hat mich mitgenommen … Ja, nun, irgendwie haben wir dabei die Zeit vergessen.“

Auch wenn ihr Blick weicher geworden war, so behielt Lainey doch ihren strengen Ton bei. „Ich brauche dich hier jeden Morgen zum Melken und den ganzen Samstag für die anderen Arbeiten, so wie vorher auch. Kriegst du das mit dem Football-Training unter einen Hut?“

Der Junge grub mit der Spitze eines Tennisschuhs im Boden. „Ich habe zwei Wochen Training verpasst. Darum lässt Trainer Medford mich vielleicht nicht spielen.“

Lainey nickte ihm aufmunternd zu. „Eine Schande, wenn die Cougars einen ihrer besten Spieler verlieren würden.“

Neal hob den Kopf und hatte sein breites Grinsen wiedergefunden. „Vielleicht sieht Dad mich ja endlich einmal spielen.“

„Dein Dad?“ Lainey sah Marnie fragend an.

„Er ist wieder zu uns gezogen“, erklärte Neal mit einem raschen Seitenblick auf seine Mutter.

„Oh.“ Ein Wort nur von Lainey, doch es sprach Bände. Marnie schwieg.

„Willst du sofort mit der Arbeit anfangen?“, fragte Lainey den Jungen. Neil zuckte nur die Schultern. Lainey machte eine Kopfbewegung zum größten Kuhstall hin, wo ihre Vollzeitarbeitskraft, ein älterer Mann, gerade um die Ecke kam. „Fred kann bestimmt deine Hilfe gebrauchen. Und sicher fährt er dich auch später nach Hause.“

Resigniert trottete Neal auf den Stall zu. Seine Mutter sah ihm nach und stieß einen Seufzer aus.

Lainey nahm ihren Arm. „Fahren wir hoch ins Haus, Marnie. Du siehst aus, als könntest du ein Glas Eistee gebrauchen.“ Sie warf Adam über die Schulter hin einen Blick zu. „Lust, mitzukommen?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich sehe mir einmal die Veranda an, die ich anstreichen soll.“

„Vergiss Gabriel nicht. Behalte ihn im Auge“, forderte Lainey ihn in einem Kommandoton auf, der bestimmt die volle Zustimmung von Zuchtmeisterin Tante Loretta gefunden hätte. „Er soll nicht herumstromern. Er kennt sich auf der Farm nicht aus, und es stehen überall Geräte herum, die für ein Kind gefährlich werden können. Vergiss das nicht.“

Bei ihrem Ton wurde Adam doch tatsächlich rot. Was glaubte sie eigentlich, wer sie war, ihn so herumzukommandieren? Dachte sie, er passe nicht auf seinen Sohn auf? Er verbiss es sich gerade noch, sie anzufahren. Doch sie hätte sowieso kein Wort mitbekommen. Denn schon stieg sie mit Marnie in den Wagen, um zu dem großen Haus hinüberzufahren.

Adam holte tief Luft. Lainey Bates konnte einen wirklich umhauen. Aber vielleicht war es auch seine eigene Schuld. Vielleicht hatte er sich ja nur eingebildet, dass es gestern Nachmittag und gerade vorhin auf der Leiter zwischen ihnen gefunkt habe. Für sie war er nichts weiter als ein arbeitsloser Halbverwandter, Carolines Bruder eben, dem man aus Mitleid ein Dach über dem Kopf gab.

Verdammt, er brauchte kein Mitleid. Wenn ihm und seinem Vater auch kein Stück Dreck gehört hatte, so war Adam doch dazu erzogen worden, sich das, was er brauchte, selbst zu verdienen und für die Menschen zu sorgen, die von ihm abhängig waren. Er würde hier nur noch eine kurze Zeit bleiben, Caroline zuliebe, dann würde er von hier verschwinden. Vorher aber würde er der lieben Miss Lainey Bates noch zeigen, dass auch er etwas von Verantwortung und harter Arbeit verstand.

Er rief Gabriel, der, gefolgt von dem Collie, zu ihm gelaufen kam. Zusammen stiegen sie die Anhöhe hinauf, um sich die Veranda auf der Rückseite des großen Hauses anzusehen.

Eine nähere Prüfung ergab abblätternde Farbe und Anzeichen von Rost. Während Adam noch die Schadstellen untersuchte, kamen Lainey und Marnie mit Gläsern in den Händen auf die Veranda. Mürrisch zog sich Adam zurück.

Gabriel und der Hund sprangen fröhlich auf dem Hof herum. Adam nahm den Rest des Hauses in Augenschein. Alles war sauber und ordentlich, wie es bei einem tüchtigen Menschen von Laineys Schlag auch nicht anders zu erwarten war. Aber das Haus war alt, und an einigen Stellen bröckelte der Putz am Sockel ab. Die Traufen und Fensterläden auf der Westseite brauchten ebenso dringend einen neuen Anstrich wie die Veranda. Am Rande der Eingangsstufen vorn waren einige Ziegelsteine lose. Wenn ihn Lainey sonst nirgends brauchte – und davon ging er aus –, dann gab es hier genug zu tun, womit er sich die nächste Woche beschäftigen konnte.

Vor dem Haus bewunderte Adam die Fülle der gelb und weiß blühenden Petunien, die sich von dem Dunkelgrün der Buchsbäume abhoben. Wirklich schön, das alte Anwesen. Es war über ein Jahrhundert alt und erbaut worden, um stolz den Erfolg einer Familie zu versinnbildlichen, die mit leeren Händen einmal in dieses Tal gekommen war. Die Parrishes hatten großen Reichtum angehäuft, besaßen mehrere Geschäfte in der Stadt und eine Textilfabrik, die einem großen Teil der Bevölkerung Arbeit bot. Aber der Reichtum ging verloren. Und bei Robert Parrish’ Tod war mit Ausnahme dieser Farm und dieses Hauses nichts mehr davon übrig.

Mit vor der Brust verschränkten Armen ließ Adam den Blick über das große, alte Haus wandern. Es war immer noch eindrucksvoll. Doch Adam wollte darauf wetten, dass die großen, leeren Räume für einen Menschen, der hier allein lebte, sehr einsam sein konnten.

Er hatte sich schon oft die Frage gestellt, warum Lainey nicht geheiratet und eine Familie gegründet hatte. Sicher, sie war eine eher reservierte Frau und lernte bestimmt nicht viele Menschen kennen, so abseits, wie sie wohnte. Aber sie hatte Nachbarn, Freunde. Es hatte doch bestimmt einmal jemanden gegeben, dem sie ihr Herz geschenkt hatte. Caroline würde es ihm verraten können.

Er hielt abrupt den Gedankengang auf. Laineys Romanzen gingen ihn nichts an. Er würde Caroline nicht fragen.

Mit einem Knurren ging Adam weiter. Gabriel und der Hund lagen ausgestreckt auf dem Rasen im Schatten einer Eiche neben der Veranda. Lainey und ihr Gast waren noch da. Er hörte die gedämpften Stimmen der Frauen, während er zu seinem Sohn hinüberschlenderte und sich neben ihm ins Gras setzte.

„Goldie ist ein toller Hund, was, Dad?“

„Sie scheint dich zu mögen.“ Adam strich über das gelbbraune Fell und bekam zum Dank dafür die Hand abgeleckt.

Gabriel setzte sich auf und schlang die Arme in genau der Sitzhaltung seines Vaters um seine hochgezogenen Knie. „Ich habe mir immer einen Hund gewünscht.“

„Hast du das?“

„Großmutter mochte keine Hunde.“

Nein. Adam konnte sich auch nicht vorstellen, dass es seiner Schwiegermutter gefallen würde, wenn ein Tier ihre glänzenden Böden verkratzte oder Haare auf ihren kostbaren Antiquitäten hinterließ.

„Dad, magst du Hunde?“

„Klar mag ich Hunde.“

„Wir leben jetzt ja nicht mehr bei Großmutter und Großvater, kann ich da einen Hund haben? Vielleicht einen wie Goldie?“

Adam machte Gabriel nie Versprechungen, die er nicht einhalten konnte. Aber der sehnsüchtige Blick seines Sohnes machte ihn weich. „Vielleicht“, sagte er schließlich. „Wenn du älter bist.“

Gabriel ließ den Kopf hängen. „Ach, Dad, ich bin schon alt genug.“

„Wir reden darüber, wenn wir uns irgendwo niederlassen.“

Nachdenklich betrachtete ihn sein Sohn. „Hast du und Tante Caroline hier wirklich einmal gelebt?“

„Ja.“

„Mir gefällt’s hier.“

„Dir gefällt eben der Hund.“ Adam lachte.

Gabriel bog den Kopf zurück und sprach mit einer leisen und verträumt klingenden Stimme. „Ich mag Tante Caroline. Und Christopher und Sammi. Und die Kühe und dass mich Onkel Reid mit auf dem Traktor fahren lässt. Und ich mag Lainey. Lainey mag ich am liebsten.“

Das überraschte Adam nicht. Vom ersten Augenblick an hatte es eine enge Verbindung zwischen Gabriel und Lainey gegeben. Sie hatte so diese Art, sich auf den Jungen einstellen zu können. Und so war es ihr auf Anhieb geglückt, das Vertrauen des Jungen zu gewinnen. Sie hörte dem Kind wirklich zu. Eine seltene Fähigkeit. Die meisten Erwachsenen sind nie ganz bei der Sache, wenn es um Kinder geht, die nicht ihre eigenen sind.

„Bleiben wir hier, Dad?“

Bei der Frage war Adam wieder voll da. Gabriel sah ihn ernst, mit großen Augen erwartungsvoll an. Adam hatte diese Frage seinem eigenen Vater wieder und wieder gestellt. Bis er gelernt hatte, nicht mehr zu fragen. Würde Gabriel diese Lektion auch lernen?

Adam strich seinem Sohn über das Haar. „Wir fahren nach Florida.“

Gabriels Brauen zogen sich zusammen. „Wo ist das?“

Adam erklärte es ihm und fügte hinzu: „Freunde von mir leben dort. Leute, mit denen ich Baseball gespielt habe. Einer hat einen Autohandel, bei dem könnte ich arbeiten. Und dann, im Februar, wenn das Frühjahrstraining anfängt, dann …“

„Spielst du wieder, Dad?“ Gabriels Augen leuchteten auf.

„Nein, ich spiele nicht. Aber in einem der Teams könnte es einen Job geben.“

„Was für einen Job?“

Das wusste Adam selbst nicht genau. Auch Autoverkaufen war nicht unbedingt das, was er wollte. Aber wenn im Frühjahr die Trainingssaison begann, dann würde er bestimmt in einem Team einen Job bekommen können. Er kannte noch viele Leute aus der Sportbranche.

Adam zuckte die Schultern und zerzauste Gabriels Haar. „Warten wir es ab. Auf alle Fälle aber bleiben wir beide zusammen“, versprach er.

„Du schickst mich nicht wieder zu Großmutter zurück? Ich meine, an dem Abend, bevor wir abgefahren sind, haben sie beide gesagt, ich könne jederzeit wieder zurückkommen und bei ihnen wohnen, wenn es für dich nötig wäre. Ich meine, Mom und ich haben dort ja auch gelebt, als du mal so weit weg spielen musstest. Und Grandma sagte, so etwas kann wieder passieren, und dann könnte ich bei ihnen leben.“

Der Zorn stieg in Adam hoch, aber er ließ sich nichts anmerken. Sosehr Debbies Eltern sie auch in den vielen Jahren unterstützt hatten, so hatten sie doch immer wieder Zweifel an ihm und seinem Lebensstil geäußert. Jetzt spornte es Adam nur umso mehr an zu beweisen, dass er allein für Gabriel sorgen konnte.

Er beugte sich zu Gabriel vor. „Du und ich, wir sind ein Team. Wir gehen überall zusammen hin.“

Der Junge schlang einen Arm um Adams Hals. „In Ordnung, Dad.“ Er drückte seinen Vater fest an sich, doch als er sich von ihm löste, war wieder dieser ernste Ausdruck in seinen Augen. „Aber … wenn du mich doch einmal irgendwo lassen musst, dann könnte ich ja hierbleiben. Es gefällt mir hier.“

Da waren sie wieder am Anfang … Gabriel gefiel es hier. Adam seufzte auf.

Die Tür der Veranda fiel mit einem Schlag zu. Eine Buchsbaumreihe schirmte den Kiesweg von der Stelle ab, wo Adam und Gabriel saßen. Von Marnie war nur ein Schimmer ihrer blonden Locken zu sehen, aber ihre und Laineys Stimme wurden zu ihnen herübergetragen.

„Du hältst mich also für verrückt, weil ich es noch einmal mit Glenn versuche“, sagte Marnie.

Hastig wehrte Lainey ab: „Das habe ich nicht behauptet.“

Kies knirschte. Eine Autotür wurde geöffnet. Wieder Laineys Stimme: „Ich wollte dir nur eins sagen, Marnie, und das auch nur, weil du mich um meinen Rat gebeten hast. Glenn hat es noch nie lange irgendwo gehalten. Glaubst du wirklich, dass er sich jetzt grundlegend ändern wird?“

Marnies Antwort konnte Adam nicht hören.

Laineys Stimme: „Vielleicht bin ich von meiner eigenen Vergangenheit beeinflusst, aber ich habe einfach nichts für einen Mann übrig, der seine eigenen Bedürfnisse über die seiner Kinder stellt. Die ganzen Jahre hast du ganz allein für Neal und Jilly sorgen müssen, hast immer darauf gewartet, dass Glenn nach Hause kommt und zu Hause bleibt, dass er erwachsen wird und es länger bei einem Job aushält. Er ist vierzig Jahre alt …“

Der Rest entging Adam. Ein Glück, dass Marnie und Neal vorhin aufgetaucht waren, bevor er Lainey von seinen Florida-Plänen erzählen konnte. Zweifellos würde sie ihn mit diesem Glenn Scroggins in einen Topf werfen. Und es gefiel Adam überhaupt nicht, ihr gegenüber seine Entscheidungen und seinen Lebensstil rechtfertigen zu müssen. Schließlich war nichts Schlimmes daran, seinen Sohn mit nach Florida zu nehmen. Ob er den Job dort annahm oder nicht, ob er einen Job in einem Baseballteam bekam oder nicht, er konnte für seine Familie sorgen. Er musste sich keine Sorgen machen. Was auch geschah, er würde immer wieder auf die Beine kommen.

Das war eins der Pluspunkte seiner Erziehung. Schon früh hatte er lernen müssen, sich Veränderungen anzupassen, sich auf sich selbst zu verlassen. Diese Erfahrungen hatten sein ganzes Leben geprägt. Auf eine positive Art, wie Adam fand.

Irgendwann während dieser Gedanken war der Collie bellend weggesprungen, und Gabriel war ihm gefolgt. Marnie Scroggins’ Wagen war weggefahren, und jetzt kamen Gabriel und der Collie wieder um die Buchsbäume, von Lainey gefolgt. Adam stand auf. Lainey blieb überrascht stehen und sah ihn an.

Er fühlte sich verlegen, wie ein Kind, das beim Herumlungern im Schulgebäude ertappt worden war. Er zeigte zum Haus hinüber. „Ich fange morgen früh mit dem Streichen an, wenn du Farbe besorgt hast.“

„Alles, was du brauchst, ist im Vorratsschuppen.“

„Und welcher Schuppen ist das?“

„Ich bringe dich hin.“

„Du könntest ihn mir einfach zeigen.“

Sie warf ihren Zopf über die Schulter. „Es liegt sowieso auf dem Weg. Ich wollte Fred und Neal beim Melken helfen.“

„Das könnte ich auch tun.“

Mit einem leisen Lachen ging sie auf die Kieszufahrt zu, die zu den Ställen hinunterführte. Gabriel blieb an ihrer Seite.

Adam holte sie ein. „Was sollte das?“, fragte er Lainey.

„Was?“

„Das Lachen. Ich kann wirklich beim Melken helfen. Frag nur Reid.“

„Ich habe nicht gemeint, dass du es nicht kannst.“

„Warum hast du dann gelacht?“

„Ich habe mir nur gerade Fred vorgestellt, wenn du da auftauchst. Er lässt keinen Fremden in die Nähe seiner Kühe.“

Adam runzelte die Stirn. „Aber Fred und ich sind uns doch schon begegnet.“

„Trotzdem bist du ein Fremder.“

Ja, richtig, er war ein Fremder hier. Wie er auch der Außenseiter in der geordneten Welt seiner Schwiegereltern gewesen war. Er hatte nie das geordnete Leben der anderen geführt. Er würde es auch wahrscheinlich nie tun.

„Aber ich dachte, Dad und ich gehören zur Familie“, sagte Gabriel.

Lainey zögerte mit der Antwort, und so erwiderte Adam: „Wir sind auch alle eine Familie, Gabriel.“

„Warum bist du dann ein Fremder?“

Lainey übernahm die Erklärung. „Gabriel, ich habe nur gemeint, dass Mr. Fred, der mir bei der Farmarbeit hilft, deinen Dad nicht gut kennt.“

„Dann sag’ doch, wer Dad ist.“ Gabriel sah die Erwachsenen mit einem Blick an, als ob die zu begriffsstutzig wären, die einfachste Lösung zu kapieren. „Und dann kann Dad beim Melken helfen. Es wird ihm gefallen. Und wir könnten hierbleiben.“

Adam wollte überrascht protestieren, aber Gabriel rannte schon los. Die Arme seitlich ausgestreckt lief er den Hügel hinunter.

Lainey blickte dem Jungen mit einem sonderbaren Gesichtsausdruck nach. Dann wandte sie sich an Adam.

Adam setzte dazu an, ihr von seinen Florida-Plänen zu erzählen und seine Gründe zu erklären. Doch dann ließ er es. Er war schließlich ein Fremder. Er schuldete ihr keine Erklärungen. Es sollte ihm überhaupt gleichgültig sein, was sie von ihm dachte.

Sie straffte die Schultern. „Ehrlich, Adam Cutler, du kannst den Jungen nicht einfach von hier wegnehmen …“

„Holen wir die Farbe“, unterbrach er sie grob. „Und dann kann ich ja vielleicht beim Melken zusehen.“

Sein Sarkasmus entging Lainey nicht. Auch nicht seine Weigerung, über Gabriels Wunsch, hierzubleiben. Wie konnte der Mann überhaupt in Betracht ziehen, wegzugehen, wenn sein Junge ihn so bettelnd ansah?

Adam marschierte den Hügel hinunter, und Lainey starrte ihm missbilligend nach. Er drehte sich zu ihr um. „Und? Fangen wir endlich an?“

Bei seinem Ton funkelte Lainey ihn an.

„Was ist los? Nicht gewohnt, herumkommandiert zu werden?“

Sie starrte ihn nur an.

Adam lachte laut an. „Wenn du mir das nächste Mal Befehle gibst, die meinen Sohn betreffen, dann erinnere dich einfach daran, wie du dich jetzt fühlst.“

Sie presste die Lippen zusammen und folgte ihm. Den Rest des Tages über und noch bis in die Nacht sagte sie sich immer wieder, wie gut es wäre, wenn dieser Adam Cutler ganz schnell verschwinden würde.

In der Nacht hatte Gabriel wieder einen Albtraum. In der ersten Zeit nach Debbies Tod war er davon fast in jeder Nacht gequält worden, doch mittlerweile kamen sie nicht mehr so häufig.

Adam beruhigte seinen Jungen, bis er wieder fest eingeschlafen war. Anschließend ging er, wegen der Hitze nur mit einer Jeans bekleidet, auf die Veranda hinaus. Donner rumpelte in der Ferne. Wind kam auf. Anscheinend würde die Hitze des Tages in einem Gewitter gipfeln.

Der heiße Wind strich ihm über die nackte Brust. An einen Pfosten gelehnt, musste Adam plötzlich an die letzten Stunden mit seinem Vater denken. Adam war sechzehn gewesen. Den ganzen Tag über hatte er am Bett seines Vaters gesessen und sich bemüht, das zu verstehen, was die Ärzte ihm über den plötzlichen schweren Herzanfall seines Vaters erklärten. Immer wieder verlor John Cutler das Bewusstsein. In einem der wenigen klaren Momente hatte er Adam eindringlich angesehen und gesagt: „Wir gehen denselben Weg.“

Diese Worte hatten wenig Sinn für Adam ergeben und keinen Trost geliefert. Aber jetzt, wo er sich wieder daran erinnerte, hatte er plötzlich das Gefühl, seinen Vater neben sich zu spüren.

Adam starrte den Himmel über den Bergen im Westen an, der von Blitzen zerrissen wurde. Dann sah er gedankenverloren zu den Farmgebäuden hinüber. Erst nach einer ganzen Weile wurde ihm bewusst, dass die Tür des einen Stalles vom Wind auf- und zugeschlagen wurde.

Mit gerunzelter Stirn überquerte Adam den Rasen, der das kleine Haus von den Ställen trennte.

Die Außenbeleuchtung brannte, aber das Innere des Stalles lag im Dämmerlicht. Donnerschläge krachten, jetzt schon viel näher. In der Stille, die folgte, hörte er eine flüsternde Stimme. Allmählich gewöhnten sich Adams Augen an das Licht, und er konnte eine Gestalt ganz hinten im Gang des Stalles ausmachen. Dann erkannte er Laineys Stimme.

„Ruhig jetzt, ganz ruhig“, sagte sie leise. „Es ist gut, alles ist gut.“

Adam zögerte. Mit wem sprach sie da? War er womöglich mitten in eine intime Situation geplatzt? Die Vorstellung, dass sich Lainey hier mit jemandem traf, löste zu seinem eigenen Ärger Beklommenheit in ihm aus. Unbemerkt wollte er sich wieder zurückziehen.

Ein Pferd wieherte leise. Darauf war eine andere Stimme zu hören und ein tiefes Auflachen.

Adam beschleunigte seinen Rückzug. Dabei stieß er mit dem Fuß gegen einen Eimer. Gestalten lösten sich aus dem Dunkel am Ende des Ganges.

Adam erkannte Neal Scroggins und hinter ihm Lainey, die rief: „Wer ist da?“

„Ich, Adam!“ Er stieß gegen einen weiteren Eimer.

Das Oberlicht ging an. Blinzelnd musterten sich die drei.

Lainey trug ein weites, weißes T-Shirt und Shorts, die viel Bein freiließen. Das Haar fiel ihr in rotgoldenen Wellen offen über die Schultern und bis auf den Rücken. Sie sah so anders als sonst aus, viel weicher und gelöster.

Was zum Teufel hatte er hier nur gestört?

„Entschuldigung“, murmelte Adam und warf einen zweifelnden Blick von Lainey zu Neal und wieder zurück. „Ich wollte nicht stören.“

Lainey legte die Hände an die Hüften und nahm eine Pose ein, die Adam mittlerweile gut bei ihr kannte. Neal zog die Brauen zusammen.

„Ich gehe ja schon. Tut mir leid.“ Halt den Mund, Cutler, verordnete er sich selbst. Halt einfach den Mund, dreh dich um und verschwinde, so schnell es geht. „Lasst euch von mir nicht stören.“

Neals gerunzelte Stirn glättete sich wieder, als ihm langsam die Erleuchtung kam. Dann brach er in Lachen aus und schüttelte den Kopf. „Bis morgen, Lainey.“ An der Tür blieb er kurz neben Adam stehen, schüttelte den Kopf und lachte wieder. Dann trat er hinaus in das sich zusammenbrauende Unwetter.

„Was zum Teufel ist los mit dir, Adam Cutler?“, fuhr Lainey ihn an.

Ihr Ton stachelte Adam nur auf. „Mit mir?“

„Ja, mit dir. Kommst hier hereingeschlichen …“

„Gerade du solltest ganz ruhig sein“, unterbrach Adam sie.

„Was soll denn das wieder heißen?“

„Du bist doch diejenige, die sich hier im Dunklen mit einem Teenager herumdrückt.“

In dem langen Augenblick, der auf seine so eindeutige Bemerkung folgte, dachte Adam, dass Lainey ihn schlagen würde. Er war sich sogar ganz sicher.

Wenn nicht der nächste Blitz so nahebei den Himmel zerrissen hätte.

Wenn nicht eine tiefe Dunkelheit sie eingehüllt hätte.

3. KAPITEL

Die ersten schweren Regentropfen schlugen aufs Dach.

„Komm!“ Adam zog Lainey an der Hand aus dem Stall, und sie rannten durch den Platzregen auf das kleine Haus zu.

Drinnen war es dunkler als draußen. Lainey hörte, wie Adam herumging, dann, wie ein Streichholz angerissen wurde. Flackernd legte sich das Licht auf Adams Gesicht, als er die Kerze ansteckte.

Der Regen prasselte aufs Dach und gegen die Fensterscheiben und draußen auf die Veranda.

Laineys Zorn auf Adam war noch nicht verraucht. „Warum hast du dich eigentlich so in den Stall geschlichen? Warum hast du dich nicht bemerkbar gemacht?“

Adam stellte die Kerze auf den Couchtisch. „Um ehrlich zu sein, ich dachte, du wärst mit jemandem zusammen, mit einem Mann. Einem Liebhaber oder so“, brachte er verlegen hervor. „Das war die erste plausible Erklärung, die mir in den Sinn kam.“

Das brachte sie um die Fassung. Niemand, den sie kannte, würde auch nur im Traum darauf kommen, die vernünftige, praktische und unscheinbare Lainey Bates könne sich mit einem Liebhaber im Stall treffen.

„Neal ist zwar noch ziemlich jung, aber so was gibt es“, fuhr Adam fort.

„Bei mir nicht.“

Er sah sie nur mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Ich meine“, fügte Lainey hastig hinzu, „ich verführe keine Teenager in meinem Stall.“

„Wo verführst du sie denn?“

„Adam …“

„Schon gut. War ja auch ein schlechter Scherz. Aber was hast du da mit Neal gemacht?“ Sofort wehrte Adam mit erhobener Hand ab. „Lass nur, lass nur. Ich weiß, das geht mich nichts an.“

Ungeduldig strich sich Lainey das Haar aus dem Gesicht. „Von mir aus kannst zu wissen, dass wir nach Neals Pferd gesehen haben. Das hätte ich dir auch gesagt, wenn du dich nicht aufgeführt hättest wie …“

„Wie ein Dummkopf? Ein Blödmann? Wie ein absoluter Idiot?“

Sie musste lächeln. „Das umfasst es wohl.“

Donner krachte über ihnen, gefolgt von einem besonders greller Blitz. Die Flamme der Kerze flackerte im Wind, der durch die offene Verandatür hereinzog. Lainey fröstelte.

Adam war mit zwei Schritten bei der Tür und schloss sie. Lainey setzte sich auf die Couch und legte eine der selbstgehäkelten Decken von Tante Loretta um sich.

Jetzt erst sah sie Adam an, wirklich an. Vorher war sie in ihrer Wut so blind gewesen, dass sie seinen wenig bekleideten Zustand nicht bemerkt hatte. Jetzt, wo er ihr gegenüber in einem Sessel saß, ließ sie den Blick über seinen nackten Oberkörper gleiten, über die festen Muskeln und die glatte, tiefgebräunte Haut, die im weichen Licht der Kerzen schimmerte.

Adam betrachtete sie in diesem Augenblick auf eine so beunruhigende Weise, als wüsste er genau, in welche Richtung sich ihre Gedanken verirrt hatten.

„Warum steht Neals Pferd in deinem Stall?“, fragte er.

Sie war froh über dieses ablenkende Thema. „Deren Stall ist im letzten Jahr abgebrannt. Darum steht Blackie hier. Heute Nachmittag hat er gelahmt. Neal hat sich den ganzen Abend Sorgen deswegen gemacht. Darum haben wir uns das Pferd zusammen angesehen. Zum Glück ist es wohl nichts Ernstes. Tierärzte kosten Geld.“

„Und Geld ist im Scroggins-Haus knapp?“

Lainey zögerte. Da sie selbst schon in jungen Jahren Opfer von Klatsch geworden war, hatte sie gelernt, ihn um jeden Preis zu vermeiden. Sie lenkte die Unterhaltung lieber auf die positiven Aspekte von Neals Persönlichkeit. „Er ist ein großartiger Sportler.“

„Football, stimmt’s?“

„Und Basketball und Baseball und Leichtathletik. Marnie hofft, dass er damit ein Stipendium bekommt.“

„Nimmt ihn denn sein Trainer wieder ins Team auf?“

„Trainer Medford ist aus der alten Schule … ein strenger Trainer, der auf Disziplin achtet.“

„Dann hat Neal wahrscheinlich Pech.“

„Wenn Neal erst herausfindet, dass du einmal Profi-Spieler gewesen bist, wird er tief beeindruckt sein.“

„So lange war ich nun auch nicht in der ersten Liga.“

„Aber du warst immerhin ein Profi.“

Adam zuckte nur die Schultern.

„Ich hoffe, Trainer Medford lässt Gnade vor Recht walten und nimmt Neal wieder ins Team. Sonst macht er vielleicht wieder eine Dummheit. Im letzten Jahr hat er für etwas Wirbel gesorgt. Aber das waren Streiche von Schuljungen. Neal ist eben ein temperamentvoller Teenager und kommt nicht mit den Problemen klar, die seine Eltern miteinander haben.“

„Der Vater ist nicht oft zu Hause?“

„Wer hat dir das erzählt?“, fragte sie überrascht.

„Ich habe deine Unterhaltung mit Marnie gehört. Natürlich unbeabsichtigt“, fügte er rasch hinzu.

Lainey schob die Decke beiseite und stand auf. „Ich will nicht über meine Nachbarn klatschen.“

„Ich wollte dich nicht zum Klatsch überreden“, beruhigte Adam sie. „Es war reine Neugier von mir.“

Lainey setzte sich wieder aufs Sofa. „Tante Loretta sagte immer, reine Neugier sei nichts weiter als eine hochgestochene Umschreibung dafür, seine Nase in die privaten Angelegenheiten anderer zu stecken.“

Adam lachte leise. „Schade, dass ich mich nicht mehr an Tante Loretta erinnern kann.“

„Erstaunlich, dass jemand sie überhaupt vergessen kann.“ Lainey strich sich mit einer Hand durch ihr volles, offenes Haar und zupfte am Saum ihres übergroßen T-Shirts. Sie wusste, dass sie schrecklich aussah. „Tante Loretta war eine unkomplizierte Frau, die mir beigebracht hat, ehrlich zu sein und hart zu arbeiten.“

„Und was hat Onkel Coy dir beigebracht?“

„Diese Farm zu lieben.“ Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, und unwillkürlich musste Lainey selbst lächeln. „Er kannte hier jede Stelle wie seine eigene Westentasche.“

„Du hast ihn sehr gemocht, nicht wahr?“

Obwohl ihr eigentlich eine eher beiläufige Antwort auf der Zunge lag, antwortete sie ehrlich: „Er war der erste anständige Mann, den ich kennen gelernt habe.“

Diese Bemerkung und ihr weicher Gesichtsausdruck dabei machte Adam neugierig. Nein, Lainey machte ihn neugierig, das war die Wahrheit. Ihr hartes, einsames Farmerleben in diesem Tal war so gar nicht typisch für die ehrgeizigen modernen Frauen, die er kannte. Aber genau das war es wohl. Lainey war nicht modern. Sie war eher altmodisch. Was nicht bedeutete, dass sie nicht stark war. Im Gegenteil, ein zartes Pflänzchen könnte nicht so wie sie diese Farm führen, hätte mit ihm auch heute Nachmittag nicht in diesem Befehlston gesprochen. Wenn sie aber über ihre Nachbarn und deren Probleme redete oder über ihren Onkel, dann ließ sie eine mitfühlende und weiche Seite ihrer Persönlichkeit erkennen, die für Adam vom ersten Augenblick an anziehend gewesen war.

Plötzlich wünschte er sich, dass er hier die ganze Nacht mit Lainey sitzen und plaudern könnte … ihr Lächeln beobachten, wie es aufleuchtete und wieder erlosch … herausfinden, wie sich ihr volles rotes Haar anfühlte …

Die Bandbreite seiner Gefühle und Reaktionen auf Lainey verwirrten Adam. Heute Nachmittag noch wollte er nichts weiter, als so schnell wie möglich eine Riesenentfernung zwischen ihn und sie bringen. Und jetzt phantasierte er über eine Nähe, wie sie intimer zwischen Mann und Frau nicht sein könnte. Und unglücklicherweise war es diese zweite Reaktion auf Lainey, die stärker wirkte.

Nervös stand Adam auf und räusperte sich.

Lainey machte den Eindruck, als hätte sie seine Gedanken gelesen, und mit etwas linkischen Bewegungen erhob sie sich auch. „Ich mache mich jetzt auf den Weg.“

„Es regnet noch.“

„Nur noch wenig.“

„Du wirst nass werden.“

„Das bringt mich nicht um. Seit meinem vierten Lebensjahr renne ich bei Wind und Wetter auf dieser Farm herum.“ Nur widerstrebend nahm sie sein Angebot an, ihr eine regenfeste Windjacke von sich mitzugeben.

„Tut mir leid, aber ich habe keinen Regenschirm“, sagte er, als er Lainey auf die Veranda folgte.

„Die reicht völlig.“ Sie streckte die Hand nach der Jacke aus.

Doch statt sie ihr einfach nur zu geben, legte Adam sie um ihre Schultern.

Und das war sein erster Fehler.

Denn das brachte sie einander näher. Noch näher als heute Nachmittag, als er ihr die Leiter heruntergeholfen hatte und sich, Idiot, der er war, gefragt hatte, ob sie es mitbekam, wie stark er von ihr angezogen wurde.

Adam hätte jetzt zurückweichen und den Impuls unterdrücken müssen, der ihn antrieb. Aber er tat es nicht.

Und das war sein zweiter Fehler.

Er trat noch näher an sie heran. Und dann küsste er sie.

Sie zuckte zusammen, und er erwartete eigentlich, dass sie zurückweichen würde. Aber sie stand wie erstarrt da. Er fühlte ihren weichen Mund unter seinem. Sie erwiderte den Kuss süß und unschuldig und ganz natürlich, wie ein junges Mädchen. Aber Adams Körper reagierte gar nicht wie der eines unerfahrenen Jungen. Die Lust des Mannes, der genau wusste, was als Nächstes kommen könnte, spannte jeden seiner Muskeln hart an.

Adam ließ die Jacke fallen und legte die Hände auf Laineys Arme. Der Kuss wurde inniger. Adams Lippen öffneten sich. An ihn geschmiegt, reagierte Lainey und schob die Hände über seinen nackten Oberkörper nach oben. Tief in ihrer Kehle löste sich ein Laut, der ein Seufzen oder ein Stöhnen hätte sein können. Augenblicklich versteifte sie sich und zog sich mit einem nun eindeutig bestürzten Laut zurück. Sie starrte zu Adam auf, und in den folgenden Sekunden konnte Adam nur den Regen hören, der vom Dach der Veranda tropfte, und Laineys flache Atemzüge.

Er murmelte ihren Namen und berührte ihre Wange und hoffte, den gehetzten Ausdruck aus ihren großen Augen vertreiben zu können.

Doch er erreichte das Gegenteil. Sie drehte sich um und rannte die Stufen hinunter und in den Regen hinaus.

Mit einem Fluch auf den Lippen kehrte Adam in das kleine Haus zurück. Ihm war entsetzlich zumute. Er hatte alles vermasselt. Richtig vermasselt. Er schämte sich, weil er Laineys Reaktion hätte kennen müssen. Er hätte wissen müssen, dass man eine Frau wie Lainey nicht einfach aus dem Impuls heraus küssen konnte. Hatte er nicht vorhin gerade erkannt, dass sie eine altmodische Frau war?

Es spielte keine Rolle, dass es zwischen ihnen vom ersten Moment an gefunkt hatte. Adam hätte stark sein müssen, hätte der Kraft der Anziehung widerstehen müssen. Aber er war ein Gefangener seines Triebs gewesen und hatte sich über die Einsicht hinweggesetzt, dass Lainey keine Frau für flüchtige Abenteuer war.

Dieser Kuss hatte eine Peinlichkeit geschaffen, die von jetzt an immer zwischen ihnen stehen würde.

Dennoch, den Kuss an sich bedauerte er nicht.

Die Art und Weise, wie er mit ihr umgegangen war, ja, das bereute er. Die Art und Weise, wie Lainey sich ihm gegenüber von nun an verhalten würde, ja, das tat ihm leid. Aber nicht der Kuss. Nicht dieser Augenblick, als er ihre Lippen unter seinen spürte. Ganz sicher nicht, als sie ihn so erregte.

Das waren Gefühle, die ein Mann nicht bedauern konnte, ganz gleich welche Konsequenzen sie auch haben mochten.

Wie üblich war Lainey am nächsten Tag schon kurz vor Sonnenaufgang wach. Mit schweren Schritten schleppte sie sich durch ihr Zimmer. Den größten Teil der Nacht hatte sie wach gelegen und im Geiste wieder und wieder die Szene erlebt, als sie vor Adam weggelaufen war.

Autor

Celeste Hamilton
Mehr erfahren
Lisette Belisle
Lisette Belisle schreibt Geschichten über ganz normale Leute, die ganz besondere Taten vollbringen und damit gegen alle Regeln handeln. Aber wie kam sie zum Schreiben? Das Schreiben kam zu ihr. Im Alter von 10 Jahren las Lisette ein Buch über eine Krankenschwester, die aus dem Wunsch heraus handelte, jedem Menschen...
Mehr erfahren
Christine Flynn
Der preisgekrönten Autorin Christine Flynn erzählte einst ein Professor für kreatives Schreiben, dass sie sich viel Kummer ersparen könnte, wenn sie ihre Liebe zu Büchern darauf beschränken würde sie zu lesen, anstatt den Versuch zu unternehmen welche zu schreiben. Sie nahm sich seine Worte sehr zu Herzen und verließ seine...
Mehr erfahren