Bianca Spezial Band 15

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SO FREI WIE DER HIMMEL von LINDA LAEL MILLER
Ein lukrativer Auftrag lockt Cheyenne in ihre alte Heimat Little Rock zurück. Sie soll einfach nur den Rancher Jesse McKettrick überreden, ihr Teile seines Landes zu überschreiben. Aber Jesse ist äußerst verkaufsunwillig. Und leider auch äußerst charmant und attraktiv ...

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  • Erscheinungstag 09.09.2023
  • Bandnummer 15
  • ISBN / Artikelnummer 9783751516990
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Linda Lael Miller, Leigh Greenwood, Charlotte Douglas

BIANCA SPEZIAL BAND 15

1. KAPITEL

Das Land der McKettricks, dachte Cheyenne Bridges.

Sie stand neben ihrem Mietwagen auf dem Seitenstreifen und schirmte ihre Augen mit einer Hand gegen die Sonne ab.

Ein bittersüßes Gefühl stieg in ihr auf, eine Mischung aus Einsamkeit und Heimweh und noch mehr, was sie nicht benennen konnte. Vor Jahren hatte sie sich geschworen, nie mehr zurückzukehren.

Ihr Handy klingelte.

„Wird auch Zeit, dass du rangehst“, zischte Nigel Meerland, bevor sie sich überhaupt melden konnte. „Hast du ihn schon gesprochen?“ Nigel hielt sich nie lange mit Höflichkeiten wie „Hallo, wie geht es dir?“ auf, weder von Angesicht zu Angesicht noch am Telefon. Er sagte einfach, was er wollte – und meistens bekam er es auch.

„Nigel.“ Cheyenne versuchte, ruhig zu bleiben. „Ich bin eben erst angekommen. Also, nein, ich habe noch nicht mit ihm gesprochen.“ Er hieß Jesse McKettrick und war der letzte Mensch auf dieser Welt, den sie sehen wollte.

„Nun, dann mal ran an den Speck“, rief Nigel. Ihr Chef war Ende dreißig und Engländer. „Ich muss dir ja wohl nicht sagen, wie erpicht unsere Investoren darauf sind, dieses Apartmenthaus endlich auf den Weg zu bringen.“

„Jesse wird nicht verkaufen“, sagte sie.

„Er muss verkaufen“, versetzte Nigel. „Du darfst auf keinen Fall versagen. Alles, und ich meine wirklich alles, hängt von diesem Geschäft ab. Wenn die Investoren sich zurückziehen, geht die ganze Firma den Bach runter. Du verlierst deinen Job, und ich muss auf den Knien zu meiner Familie kriechen und um mein karges Erbe als zweitgeborener Sohn betteln.“

Cheyenne schloss die Augen. Auch für sie stand eine Menge auf dem Spiel. Nicht nur ihr Job. Sie musste auch an ihren jüngeren Bruder Mitch denken. Und an ihre Mutter. Der Erfolgsbonus, den Nigel ihr schriftlich zugesichert hatte, würde ihnen eine Sicherheit bieten, von der sie bisher nur geträumt hatten.

Ihr Magen verkrampfte sich.

„Ich weiß“, sagte sie düster. „Ich weiß.“

„Dann leg dich ins Zeug, Pocahontas“, befahl Nigel und legte auf.

Die Stadt hatte sich nicht sehr verändert, seit sie mit siebzehn weggezogen war, um in Tuscon aufs College zu gehen. Am alten Bahnhof, der schon vor langer Zeit in ein kleines Einkaufszentrum umgebaut worden war, bog sie links ab.

Das Haus war in den letzen Jahren ziemlich heruntergekommen. Überall wucherte Unkraut, rostige Stacheldrahtspulen lagen verstreut auf dem Boden. Die Veranda war ein paar Zentimeter abgesackt.

Gram war so stolz auf ihr Haus und den Garten gewesen. Es würde ihr das Herz brechen, es jetzt so zu sehen. Der alte Lieferwagen ihrer Mutter, genauso ein Flickwerk wie das Haus, stand mit offener Tür in der Auffahrt.

Cheyenne stellte den Motor ab und musterte das einzige Heim, das sie je gekannt hatte.

„Ich könnte dir mein Erbteil zeigen, Nigel“, murmelte sie. „Du müsstest nur in deinen Bentley hüpfen und nach Indian Rock in Arizona fahren.“

Die Eingangstür schwang auf, und Ayanna Bridges trat in einem ausgebleichten Baumwollkleid, Turnschuhen und zaghaft lächelnd auf die Veranda. Ihr glattes schwarzes Haar reichte ihr bis zu den Hüften, locker zusammengehalten von einer silbernen Spange, die sie vermutlich schon seit den Sechzigerjahren besaß. Als ihre Mutter die wackelige Treppe hinunterlief, sprang Cheyenne aus dem Auto.

„Sieh nur“, rief Ayanna. „Ich habe ein paar alte Bretter hinter dem Schuppen gefunden und eine Rampe gebaut. Mitch saust rauf und runter wie nichts!“

„Gute Arbeit“, bemerkte Cheyenne.

Ayanna hatte inzwischen die Mitte des Gartens erreicht und schloss Cheyenne derart liebevoll in die Arme, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie musste ein paar Mal blinzeln, bevor sie den zärtlichen Blick ihrer Mutter erwidern konnte.

„Wo ist Mitch?“, fragte Cheyenne.

„Drinnen“, antworte Ayanna leise. „Mal wieder am Grübeln. Er vermisst seine Freunde in Phoenix. Aber er wird schon wieder, wenn er erst mal eine Weile hier ist und sich eingewöhnt hat.“

Cheyenne verstand ihren Bruder. Auch sie selbst dachte sehnsüchtig an ihre Einzimmerwohnung im sonnigen San Diego, eine halbe Meile vom Strand entfernt, die sie nun untervermietet hatte.

„Komm hinein, Liebling“, sagte Ayanna, und nahm Cheyenne am Arm, die am liebsten umgedreht und mit dem Mietwagen davongebraust wäre. „Deine Sachen können wir später holen.“

Nurleen Gentry mischte und teilte aus – zwei Siebener und eine Königin. Sie legte die Karten verdeckt auf den mit grünem Filz bezogenen Tisch.

Jesse lehnte sich in seinem angestammten Stuhl im Hinterzimmer von Lucky’s Main Street Bar and Grill zurück und tat, als überlegte er. Durch den blauen Zigarettenqualm spürte er die Blicke der anderen Pokerspieler auf sich ruhen, ließ sich aber nichts anmerken. Er war ein Meister im Verbergen der sogenannten Tells, womit im Poker alles bezeichnet wird, was die Stärke des Blatts eines Gegenspielers verrät.

„Setzen oder passen, McKettrick“, grummelte Wade Parker.

Daraufhin hob Jesse einen Mundwinkel und schenkte ihm sein berühmtes Fahr-zur-Hölle-Grinsen, das er seit seinem elften Lebensjahr perfektioniert hatte. Dann warf er einen Seitenblick auf seinen Cousin Keegan, der mit verschränkten Armen an der Jukebox lehnte. In seiner maßgeschneiderten Hose, der Weste und dem perfekt gebügelten Hemd sah er wie ein Anwalt aus.

„Ich muss mit dir sprechen“, sagte Keegan, der zugleich distanziert und unerbittlich wirkte. „Vielleicht könntest du eine Runde aussetzen.“

Nach diesem Vorschlag sahen Wade und Don so erwartungsvoll aus, dass Jesse mit Nurleen einen Blick wechselte und dann seinen Stuhl nach hinten schob. Er durchquerte den Raum, dessen Boden Erdnussschalen und Sägespäne bedeckten.

„Was ist so wichtig, dass es nicht warten kann?“, fragte er. Seine tiefe Stimme mischte sich unter Kenny Rogers berühmtes Vibrato aus der Jukebox.

Keegan war genauso groß wie Jesse. Aber damit hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Im Gegensatz zu Jesses dunkelblondem Strubbelkopf hatte Keegan ordentlich geschnittenes, rotbraunes Haar. Außerdem besaß er die marineblauen Augen der McKettricks, während Jesses himmelblau wie die von Jebs Ahnen waren.

„Wir hatten eine Konferenz, schon vergessen?“, zischte Keegan.

„Ich dachte nicht, dass es dir wichtig ist, Keeg“, erwiderte Jesse schleppend.

„Verdammt noch mal“, brummte Keegan. „Du hast denselben Anteil an der Firma wie ich. Wie wäre es, wenn du mal etwas Pflichtgefühl an den Tag legen würdest?“ Keegan arbeitete zwölf Stunden pro Tag für McKettrickCo, studierte Tabellen und strich ein siebenstelliges Gehalt ein.

Jesse hingegen ritt Rodeos, jagte Frauen hinterher, spielte Poker und löste seine Dividendenschecks ein. Er betrachtete sich als Glückspilz, und gelegentlich tat Keegan ihm leid.

Beide waren zusammen auf Triple M aufgewachsen, hatten im Sommer gezeltet und Fische gefangen und waren im Winter Ski gefahren. Zusammen mit Rance, einem dritten Cousin, der das unheilige Trio vervollständigte. Sie besuchten alle die Northern Arizona University in Flagstaff, wo Keegan Betriebswirtschaft und Rance Hochfinanz studierte, während Jesse nur gelegentlich zwischen Rodeowettbewerben und Kartenspielen zu Vorlesungen erschien. Trotz ihrer Gegensätzlichkeit hatten sie sich gut verstanden – bis Rance und Keegan heirateten. Danach hatte sich alles verändert.

„Kann ich dich zu einem Bier einladen?“, fragte Jesse, der einen Moment hoffte, dass Keegan vielleicht doch noch der Alte wäre.

Sein Cousin sah auf seine Rolex. „An diesem Wochenende ist Devon bei mir“, sagte er. „Ich muss sie um halb sieben abholen.“

Devon war Keegans neunjährige Tochter. Seit er und Shelley sich vor einem Jahr hatten scheiden lassen, pendelte das Kind zwischen der schicken Eigentumswohnung von Shelleys Freund und dem Farmhaus auf Triple M hin und her.

Jesse zögerte, dann legte er eine Hand auf Keegans Schulter. „Ist schon gut“, sagte er sanft. „Ein anderes Mal.“

Keegan seufzte. „Ein anderes Mal“, stimmte er resigniert zu. Er ging zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. „Und Jesse?“

„Was ist?“

Das altbekannte Grinsen breitete sich auf Keegans Gesicht aus. „Werd endlich erwachsen, ja?“

An der Rezeption bei McKettrickCo fragte Cheyenne nach Jesse. Die Frau hinter dem Schalter musterte Cheyenne mit mildem Interesse.

„Jesse könnte überall sein“, sagte sie nach einer Weile, „aber wenn ich raten sollte, würde ich darauf tippen, dass er im Hinterzimmer vom Lucky’s sitzt und Poker spielt.“

Unwillkürlich versteifte Cheyenne sich. Natürlich war er bei Lucky’s. Wie oft war sie als Kind von der kleinen Gasse aus durch die Hintertür der Kneipe geschlüpft, um ihren Vater vom Pokern abzuhalten?

Sie holte eine Visitenkarte aus der Tasche. „Vielen Dank für den Tipp“, sagte sie.

Draußen stieg Cheyenne wieder in ihren Wagen und fuhr zu Lucky’s Main Street Bar and Grill.

Für ein paar Sekunden war sie wieder das Kind, das von seiner Mutter losgeschickt worden war, um ihren Daddy aus der Kneipe nach Hause zu holen. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihr Fahrrad neben der Mülltonne gegen die Wand gelehnt hatte. Anschließend hatte sie noch einmal wiederholt, was sie sagen wollte. Dann stieg sie die zwei Stufen hoch und trat durch die knarzende Fliegengittertür.

Als ebendiese Tür plötzlich aufsprang, zuckte Cheyenne erschrocken zusammen und überlegte tatsächlich, sich hinter der Mülltonne zu verstecken, bis wer auch immer verschwunden war.

Jesse trat auf die Straße und schob seinen Cowboyhut zurecht. Er trug alte Jeans, ein bis zum Schlüsselbein aufgeknöpftes Westernhemd und Stiefel. Doch selbst Schmutz und Stallmist konnten nicht verbergen, dass es sich um teure, vermutlich maßgefertigte Stiefel handelte.

Als Cheyennes Blick wieder zurück zu seinem Gesicht wanderte, bemerkte sie, dass Jesse sie ansah. Und ihr sein Killerlächeln schenkte.

Sie errötete.

Lässig tippte er an die Krempe seines ramponierten Huts. „Haben Sie sich verlaufen?“, fragte er.

Bevor sie antwortete, musste Cheyenne erst einmal Atem holen. „Nein“, entgegnete sie dann und fischte in ihrer Tasche nach einer weiteren Visitenkarte. „Mein Name ist Cheyenne Bridges, und ich würde Ihnen gern ein geschäftliches Angebot machen.“

Er kam die Stufen hinunter und streckte seine Hand aus. „Jesse McKettrick“, sagte er.

Darauf gab es nichts anderes zu entgegnen als „Ich weiß“. Womit sie sich natürlich verriet.

„Bridges“, sagte er nachdenklich, betrachtete die Karte und steckte sie dann in seine Hemdtasche.

Cheyenne versuchte, sich innerlich zu wappnen. Sie sah zu der Fliegengittertür, durch die Jesse wenige Sekunden zuvor gekommen war.

„Irgendwie verwandt mit …?“ Er brach ab und legte den Kopf schief, um in ihr Gesicht zu schauen. „Moment Mal. Cheyenne Bridges. Ich erinnere mich an dich – Cashs Tochter. Wir sind ein paar Mal zusammen ins Kino gegangen.“

Sie schluckte, nickte und hob das Kinn. „Das ist richtig“, sagte sie vorsichtig. Cashs Tochter, das also war sie für ihn. Ein scheuer Teenager, mit dem er zweimal ausgegangen war, an dem er dann aber das Interesse verlor.

„Ich habe vom Unfall deines Bruders gehört“, sagte er. „Tut mir leid.“

Aus ihren Träumereien gerissen, nickte Cheyenne erneut. „Danke.“

„Das mit deinem Dad auch.“

Ihre Augen brannten. Sie versuchte etwas zu sagen, konnte aber nur schlucken.

Jesse lächelte sanft und fasste sie am Ellbogen. „Machst du immer auf der Straße Geschäfte?“, zog er sie auf.

Einen Moment kränkte sie das, bis ihr aufging, dass es sich um eine vollkommen angemessene Frage handelte. „Nein“, sagte sie.

„Ich wollte gerade ins Roadhouse, um eine Kleinigkeit zu essen. Möchtest du nicht mitkommen?“ Er deutete auf den schmutzigen Truck.

„Wir treffen uns dort“, sagte Cheyenne. Auf keinen Fall konnte sie mit diesem engen Rock in seinen Lastwagen klettern.

„Okay“, sagte Jesse ungezwungen. Er brachte sie zu ihrem Mietwagen, der neben seinem Truck ziemlich langweilig wirkte.

Als sie hinter dem Steuer saß und das Fenster herunterkurbelte, lehnte sich Jesse lässig an die Tür ihres Wagens und sah sie an.

„Es ist schön, dich wiederzusehen, Cheyenne“, sagte er.

„Ebenso“, entgegnete sie. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Fang gar nicht erst an, ermahnte sie sich streng. Hier geht es ums Geschäft. Du willst Land kaufen. Du wirst Nigel helfen, sein Projekt auf die Beine zu stellen. Dann streichst du deinen Bonus ein und kümmerst dich um Mitch und deine Mutter. Danach gehst du zurück nach San Diego und vergisst, dass Jesse McKettrick jemals existierte.

„Wer’s glaubt“, murmelte sie.

Jesse, der gerade zu seinem Truck gehen wollte, drehte sich noch einmal um. „Hast du was gesagt?“

Sie schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. „Bis gleich“, sagte sie.

Wenn sie so klug wäre, wie andere Leute von ihr dachten, würde sie einfach weiterfahren. Raus aus Indian Rock, vorbei am Roadhouse, weit weg von Jesse und all den Erinnerungen und unmöglichen Träumen.

2. KAPITEL

Jesse erreichte das Roadhouse als Erster und blieb in seinem Truck sitzen, bis Cheyenne auftauchte.

Leise lächelnd zog er Cheyennes Visitenkarte aus der Tasche und las sie noch einmal. Meerland Real Estate Ventures, Ltd.

Diesmal machte es Klick.

Sein Lächeln erstarb.

Sie wollte Land.

„Verdammt“, murrte er und beobachtete durch den Seitenspiegel, wie Cheyenne auf den Parkplatz fuhr. Er seufzte. Sie war ein hübsches Mädchen gewesen. Merkwürdig ängstlich allerdings – wie ein Reh, das an der Wasserstelle beim Knacken eines Zweigs sofort den Kopf hebt und Gefahr wittert. Jetzt, als Frau, sah Cheyenne Bridges wunderschön aus. Nicht mehr so dürr wie früher, sondern mit perfekten Rundungen. Wenn sie ihr kräftiges schwarzes Haar offen tragen würde, wäre sie ein echter Hingucker.

Jesse stieg aus dem Truck und wartete, bis Cheyenne auf ihren lächerlich hohen Absätzen auf ihn zugestakst kam. Sie lächelte schwach und berührte ihr Haar.

Eines stand fest. Cheyenne hatte es ganz schön weit gebracht. Das Auto war zwar nichts Besonderes – vermutlich ein Mietwagen –, aber ihre Kleidung wirkte teuer und elegant. Und auch wenn sie noch ihren Mädchennamen trug, bedeutete das nicht, dass sie nicht verheiratet war. Seine älteren Schwestern Sarah und Victoria hießen auch nach ihrer Heirat noch immer McKettrick: Auf der Suche nach einem Ring musterte er Cheyennes Hand, doch ein breiter Riemen ihrer Handtasche verdeckte den Ringfinger.

„Sollen wir?“, fragte er und deutete auf den Eingang.

Sie wirkte erleichtert. „Klar“, sagte sie.

Jesse hielt ihr die Tür auf.

Drinnen rutschte Cheyenne auf den roten Plastikstuhl, während Jesse sich ihr gegenübersetzte und seinen Hut auf das breite Fensterbrett hinter der Miniatur-Jukebox legte. Er bestellte Kaffee, sie Mineralwasser mit einem Stück Zitrone. Dann studierten sie die eingeschweißte Speisekarte. Als eine andere Bedienung an ihren Tisch kam – mit der Jesse ebenfalls zur Schule gegangen war und deren Namen ihm ein Blick auf ihr Namensschild verriet – bestellte Cheyenne eine französische Zwiebelsuppe, und er nahm einen doppelten Cheeseburger mit Pommes Frites.

„Danke, Roselle“, sagte er, um sich wieder in die Wirklichkeit zu befördern.

Roselle berührte seine Schulter, lächelte ihm verführerisch zu und tänzelte davon.

Cheyenne hob eine Augenbraue, sagte aber nichts.

Warum lange um den heißen Brei herumreden, überlegte Jesse. „Also, Cheyenne, was bringt dich nach all den Jahren zurück nach Indian Rock?“, fragte er leichthin.

Sie nippte an ihrem Wasser. „Geschäfte“, antwortete sie.

Jesse dachte an sein Land. An die Bäume und Weiden, an den Bach, der in der Sonne so hell glitzerte, dass man blinzeln musste.

Er probierte seinen Kaffee und wartete.

Cheyenne seufzte. Sie wirkte wie jemand, der sich bereit machte, in einen eiskalten See zu springen. „Meine Firma möchte dir einen sehr großzügigen Preis für …“

„Nein“, unterbrach Jesse sie.

„Nein?“

„Nein“, wiederholte er.

„Du hast mich aber noch nicht ausreden lassen“, entgegnete sie. „Wir sprechen über mehrere Millionen Dollar. Ohne Hypotheken. Keine Ballonzahlungen. Cash. Wir können das Geschäft innerhalb von zwei Wochen nach Vertragsunterzeichnung abwickeln.“

Ganz instinktiv griff Jesse nach seinem Hut, seufzte, dann zog er die Hand wieder zurück. Er hatte es kommen sehen. Warum fühlte er sich jetzt wie ein Kind, das sich zu Weihnachten eine Spielzeugpistole gewünscht und Unterwäsche bekommen hatte?

„Es wird keinen Vertrag geben“, sagte er.

Sie wurde blass und lehnte sich zurück. Ihre Hände zitterten, als sie ihr Wasserglas abstellte.

„Über den Preis können wir reden“, sagte sie nach einer Weile.

Er wusste, was sie dachte. Es stand deutlich in ihrem Gesicht. Mit Geld bekommt man alles. Sie dachte, er wollte den Preis in die Höhe treiben.

„Du solltest niemals Poker spielen“, sagte er.

Das Essen kam.

Roselle zwinkerte ihm zu, als sie den Cheeseburger vor ihn stellte.

„Ich kann solche Frauen nicht leiden“, sagte Cheyenne, nachdem Roselle mit wackelnden Hüften wieder Richtung Küche verschwunden war.

Jesse, der gerade seine Pommes in Angriff nehmen wollte, hielt bei dieser überraschenden Wendung des Gesprächs mitten in der Bewegung inne. „Was war das?“

„Solche Frauen“, erklärte Cheyenne, beugte sich etwas vor und senkte die Stimme. „Für die sind andere Frauen unsichtbar. Wenn es nach ihnen ginge, wäre die ganze Welt sozusagen ein umgekehrter Harem.“

Jesse lachte. „Nun, das ist mal ein interessanter Aspekt“, räumte er ein. „Die Suppen hier sind trotzdem ziemlich gut.“

Sie nahm ihren Löffel, legte ihn aber wieder hin. „Es ist ja nicht so, als ob ich dich bitten würde, einen Teil von Triple M zu verkaufen“, sagte sie. Wieder eine Kehrtwende, doch diesmal war Jesse darauf vorbereitet. „Das Land liegt einfach brach. Ungenutzt.“

„Unberührt“, korrigierte Jesse sie. „Ich schätze, ihr wollt daraus ein Industriegebiet machen. Oder eine Fabrik bauen – die Welt braucht nämlich noch viel mehr Wegwerfplastik.“

„Eigentumswohnungen“, sagte Cheyenne und reckte die Schultern.

Er zuckte zusammen. „Noch schlimmer“, entgegnete er.

Cheyenne richtete sich auf. „Ich würde dir gern die Entwürfe zeigen“, sagte sie. „Unser Projekt soll sich anmutig in die Landschaft einfügen und die Umgebung so wenig wie möglich verändern. Sieh dir einfach mal die Pläne an“, bat sie.

„Sieh dir einfach mal das Land an“, erwiderte er scharf.

Sie lächelte. „Das mache ich, wenn du dir die Pläne anschaust.“

Er lachte. „Du bist hartnäckig.“

„Und du bist dickköpfig.“

Jesse nahm seinen Cheeseburger in die Hand. Inzwischen hatte er festgestellt, dass sie keinen Ehering trug.

„Warst du je verheiratet?“, fragte er.

Sie schien froh über den Themenwechsel, obwohl noch immer ruhige Wachsamkeit in ihren Augen und der Art, wie gerade sie ihre Schultern hielt, lag. „Nein“, sagte sie. „Du?“

„Nein.“ Vor Jahren hatten er und Brandi, ein Rodeo-Groupie, sich von einem Elvis in Las Vegas trauen lassen. Sie waren aber zur Vernunft gekommen, bevor irgendjemand davon erfuhr, und hatten sich darauf geeinigt, sich sofort wieder scheiden zu lassen. Später trennten sie sich in aller Freundschaft. Ab und zu haute sie ihn um ein paar Hundert Dollar an, die er immer schickte. Doch seit ein paar Jahren hatte Jesse nichts mehr von ihr gehört.

Seiner Ansicht nach beantwortete er die Frage also aufrichtig.

„Wie ist die Suppe?“, fragte er.

„Kalt“, entgegnete sie. „Und der Burger?“

„Der verstopft meine Arterien sogar, während wir uns unterhalten.“

Cheyenne hob eine Augenbraue, lächelte aber. „Und das ist gut?“

„Vermutlich nicht. Aber es schmeckt gut.“

Danach verlief das Gespräch ganz ungezwungen. Sie aßen zu Ende, und Jesse bezahlte. Er brachte Cheyenne zu ihrem Wagen. In Indian Rock gab es zwar praktisch keine Verbrechen, doch diese Art von Höflichkeit war ihm von Kindesbeinen an anerzogen worden.

„Wirst du dir die Pläne wirklich ansehen?“, fragte sie leise und mit glänzenden Augen, als sie hinter dem Steuer saß.

„Wenn du dir das Land ansiehst“, sagte Jesse. „Komm morgen hinauf zur Ranch, so gegen neun. Bis dahin bin ich mit dem Füttern der Pferde fertig.“

Sie nickte. Er sah ihren Puls am Hals klopfen. „Ich bringe die Entwürfe mit.“

„Ja“, rief er spöttisch. „Unbedingt.“

„Ich hab’s total vermasselt“, verkündete Cheyenne ihrer Mutter, als sie das Haus betrat.

Ayanna saß auf dem alten Sofa und häkelte etwas aus vielen Fäden bunten Garns. „Inwiefern?“, fragte sie ruhig.

Aus dem Nebenzimmer drang Kampflärm. Mitch spielte ein Videospiel auf seinem Laptop. Mitch spielte ständig Videospiele auf seinem Laptop. Als ob er seine eigenen Dämonen in Schach halten könnte, indem er Zeichentrickfiguren erschoss.

„Jesse hat rundweg abgelehnt, das Land zu verkaufen“, sagte Cheyenne.

Ayanna lächelte. „Damit hast du doch gerechnet.“

Mit einem Seufzer warf Cheyenne die schwere Handtasche auf einen Stuhl und schleuderte die Schuhe von den Füßen. „Stimmt.“

„Möchtest du etwas essen?“, fragte Ayanna. „Mitch und ich hatten Käsemakkaroni.“

„Ich hatte Suppe“, entgegnete Cheyenne.

Ihr Handy klingelte.

„Geh nicht ran“, riet ihr Ayanna.

„Das geht nicht.“ Cheyenne holte das Telefon aus der Tasche. „Hallo Nigel.“

„Hast du schon was erreicht?“, fragte Nigel.

Cheyenne sah auf ihre Uhr. „Himmel, Nigel. Du hast dich ja erstaunlich zusammengerissen. Es ist mindestens eineinhalb Stunden her, seit du das letzte Mal angerufen hast.“

„Und da hast du gesagt, dass du mit McKettrick zum Essen verabredet bist. Wie ist es gelaufen?“

„Er hat abgelehnt“, berichtete Cheyenne.

„Einfach so?“

„Einfach so.“

„Wir sind erledigt.“

„Zumindest ist er bereit, sich die Baupläne anzusehen. Unter einer Bedingung.“

„Und die wäre?“

„Dass ich einen Blick auf das Land werfe. Morgen früh. Ich treffe ihn um neun auf seiner Ranch.“

„Also sind wir noch im Rennen?“

„Keine Ahnung“, sagte Cheyenne müde und sank auf einen Stuhl.

„Du musst das für mich hinkriegen, Babe“, flehte er.

„Nenn mich nicht Babe.“ Aus den Augenwinkeln sah sie ihre Mutter lächeln. „Und dräng mich nicht. Wenn ich Neuigkeiten habe, melde ich mich.“

„Aber …“

„Gute Nacht, Nigel.“ Cheyenne drückte auf die Taste.

Ayanna legte das Häkelzeug weg, stand auf und ging Richtung Küche. „Ich koche dir einen Kräutertee“, sagte sie. „Das hilft dir bestimmt, besser zu schlafen.“

„Danke.“ Cheyenne schob die halb geschlossene Zimmertür ihres Bruders auf.

Mitch hockte über seinen Computer gebeugt. Er wirkte so schmal und zerbrechlich in seinem Rollstuhl. Früher war er sportlich gewesen – und einer der beliebtesten Jungs an seiner Schule.

„Hey“, sagte Cheyenne.

„Hey“, entgegnete Mitch, ohne den Blick vom Bildschirm zu lösen.

„Es tut mir leid, Mitch“, sagte sie.

„Was?“, fragte er.

„Alles.“

„War nicht dein Fehler“, sagte Mitch. „Der Unfall, meine ich.“

„Hier wäre der Unfall nicht passiert.“

„Wer weiß“, murmelte er. „Vielleicht war es Schicksal – vielleicht wäre ich so oder so im Rollstuhl gelandet.“

Wegen all der Bilder, die immer irgendwo in ihrem Unterbewusstsein lauerten, schloss Cheyenne die Augen: Mitch, sechzehn und übermütig, wie er in der Wüste mit seinen Freunden auf einem Four-Wheeler ein Rennen fuhr. Der Unfall und die schlimme Verletzung des Rückgrats. Wie sie nach dem panischen Anruf ihrer Mutter ins Krankenhaus gerast war, das lange Warten in der Notaufnahme, als niemand ihnen sagen konnte, ob er überleben würde.

„Meinst du, wir könnten uns vielleicht einen Hund anschaffen?“

Cheyenne blinzelte. „Einen Hund?“

Mitch lächelte, und das kam so selten vor, dass ihr Herz höher schlug. „In unserer Wohnung ging das nicht“, erklärte er.

„Aber ihr werdet zurückgehen …“

„Ich gehe nie mehr zurück“, verkündete er voller Überzeugung.

„Warum sagst du so was?“

„Hier müssen wir keine Miete zahlen. Außerdem redet Mom davon, wieder mit dem Malen anzufangen, sich eine Arbeit als Bedienung zu suchen oder Souvenirs zu verkaufen. Wahrscheinlich lernt sie bald irgendeinen Versager kennen und wird dann alles tun, um ihn vor sich selbst zu retten.“

Obwohl Ayanna eine kluge Frau war, stolperte sie in ihrem Liebesleben von einer Katastrophe in die nächste. Aber zumindest hatte sie nach Pete nicht noch einmal geheiratet.

„Ich wünschte“, begann Mitch, als Cheyenne nichts sagte, nichts sagen konnte, doch dann brach er ab.

„Was, Mitch?“, fragte sie nach einer Weile. „Was wünscht du dir?“

„Ich wünschte, ich könnte mir einen Job suchen, eine Freundin haben … ich wünschte, ich könnte ein Pferd reiten.“

Cheyenne wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie blieb noch ein paar Minuten in seinem Zimmer. Dann legte sie kurz die Hand auf seine Schulter und verließ das Zimmer.

Jesse trat durch die Küchentür ein und knipste das Licht an.

In dem Haus, das seinen Cousinen Meg und Sierra gehörte, spukte es angeblich. Jesse wünschte oft, es wäre hier ebenso, dann würde er sich zumindest nicht so einsam fühlen. Er ging zu dem begehbaren Kühlschrank, nahm eine Flasche Bier heraus und ließ den Verschluss aufschnappen. Eigentlich sollte er sich einen Hund anschaffen, doch dafür war er zu selten zu Hause. Es wäre unfair, einer armen, unschuldigen Kreatur ein einsames Leben aufzuzwingen, nur damit ihn jemand freudig begrüßte, wenn er nach Hause kam.

„Du drehst langsam durch, McKettrick“, sagte er laut.

Er dachte an Cheyenne – er dachte die ganze Zeit an sie, seit sie sich auf dem Parkplatz verabschiedet hatten. An ihre langen Beine, die ausdrucksvollen Augen und die vollen Lippen. Sie war wirklich hübsch. Und intelligent.

Das Telefon klingelte. Verärgerte stellte er sein Bier ab und griff nach dem Hörer. „Yo“, sagte er. „Hier spricht Jesse.“

„Selber yo“, entgegnete Sierra. Sie wollte in knapp einem Monat Travis Reid, einen seiner besten Freunde, heiraten. Die beiden wünschten sich Jesse als Trauzeugen.

„Was gibt’s?“, fragte er.

„Wir feiern eine Vorhochzeits-Party“, sagte Sierra. „Samstagabend. Livemusik. Barbecue. Fahrt auf dem Heuwagen. Das volle Programm. Du bist eingeladen. Bring jemanden mit.“

„Samstag habe ich ein wichtiges Turnier. Im Cliffcastle Kasino. Kein Limit und jede Menge Touristen, die glauben, das Spiel zu beherrschen, nur weil sie die World Poker Tour im Fernsehen verfolgen.“

„Komm schon, Jesse. Du verbringst sowieso zu viel Zeit am Spieltisch. Und zwing mich nicht, dir ein schlechtes Gewissen zu machen. Nach dem Motto: Du bist der Trauzeuge und somit verpflichtet, am Samstag zu kommen. Liam rechnet fest damit, dich zu sehen. Meg fliegt extra aus San Antonio hierher, und Rance und Keegan haben ihre Termine so gelegt, dass sie auch kommen können. Es wäre natürlich reichlich plump von mir zu betonen, dass ihre Termine sicher wichtiger sind als ein Pokerturnier. Deshalb tue ich es nicht.“

Jesse seufzte. „Okay“, sagte er. „Aber dafür schuldest du mir etwas.“

„Was denn?“

„Schick mir eins eurer Gespenster rüber, okay? Es ist viel zu still hier.“

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen erschien Cheyenne um punkt neun Uhr auf der Ranch. Jesse hatte alle Pferde bis auf zwei zum Grasen auf die Koppel gebracht und danach seinen schwarzweißen Wallach Minotaur gesattelt. Jetzt kümmerte er sich gerade um Pardner.

„Was für ein schöner Morgen“, sagte sie.

„Is’ hier immer so. Das ganze Jahr.“

„Lass uns einen Blick auf das Land werfen“, sagte sie, während der Autoschlüssel in ihrer rechten Hand klimperte.

Einen langen Moment betrachtete Jesse ihre Kluft und sah dann zu Pardner und Minotaur, die fertig gesattelt und aufgezäumt geduldig warteten. „Dein kleines Auto da“, sagte er, „wird es niemals bis auf den Bergrücken schaffen. Da oben gibt es nichts als Trampelpfade.“

„Du willst doch nicht etwa vorschlagen, dass wir … reiten? Auf Pferden?“

„Das ist üblicherweise der Grund, warum man Pferde sattelt“, sagte er. „Zwei Menschen. Zwei Pferde. Man muss kein Genie sein, um diese Aufgabe zu lösen.“

Daraufhin trat Cheyenne unbehaglich von einem Bein aufs andere. Ihre Schuhe passten vielleicht in einen Konferenzraum, aber nicht nach Triple M. Hier wirkten sie geradezu lächerlich. „Ich habe nicht mit einem Ausritt gerechnet.“

„Das sehe ich“, bemerkte Jesse trocken. „Aber dir ist schon klar, dass diese fünfhundert Morgen Land, die du unbedingt mit einem Bulldozer plattmachen willst, um hübsche Apartments darauf zu errichten, ziemlich weit vom Schuss wegliegen?“

„Selbstverständlich“, erwiderte sie ein wenig stockend. „Ich habe wochenlang recherchiert. Ich kenne mich in meiner Branche aus, Mr. McKettrick.“

„Jesse“, korrigierte er sie. Er betrachtete ihren Hosenanzug. „Zumindest bist du vernünftig genug, um Hosen zu tragen“, fügte er wohlwollend hinzu.

„Wie bitte?“

„Besitzt du überhaupt eine Jeans?“

„Ich trage während der Arbeit keine Jeans“, erwiderte sie scharf.

„Ich schätze, das gilt dann auch für Stiefel.“

„Das schätze ich auch.“

„Komm rein.“ Er deutete auf sein Haus. „Mom hat ungefähr deine Größe. Du kannst dir was von ihr leihen.“

Doch Cheyenne stand so reglos da, als ob sie Wurzeln schlagen wollte. „Ich weiß nicht …“

Vielleicht sollte ich den Einsatz um ein oder zwei Chips erhöhen, dachte Jesse. „Haben Sie Angst, Ms. Bridges?“

Ihr Mundwinkel zuckte, und er überlegte, ob sie sich ärgerte oder ein Lächeln unterdrückte. „Ja“, gestand sie dann mit einer Aufrichtigkeit, dass Jesse wünschte, er hätte sie vorher nicht so aufgezogen.

„Pardner ist völlig harmlos“, sagte er. „Man könnte sich unter seinen Bauch setzen, in eine Trillerpfeife blasen, seinen Schwanz mit beiden Händen packen, und er würde noch immer keinen Mucks von sich geben.“

Stumm biss sie sich auf die Lippe. Jesse sah, wie ihre Augen sich weiteten, als sie Minotaur taxierte und dann hoffnungsvoll zu Pardner sah.

„In Ordnung“, sagte sie nach einer Weile.

„In Ordnung was?“

Cheyenne seufzte. „In Ordnung, ich leihe mir etwas von deiner Mutter und reite auf dem elenden Gaul. Aber wenn ich mir das Genick breche, wirst du damit leben müssen.“

Ein breites Lächeln erhellte Jesses Gesicht. Er hatte Cheyenne von Anfang an gemocht. Doch jetzt respektierte er sie auch, und das gab dem Ganzen noch eine ganz andere Dimension. Sie war so mutig gewesen, ihre Angst einzugestehen, und bereit, sie zu überwinden, um weiter im Spiel zu bleiben.

„Das wird nicht passieren“, versicherte er. „Ich weiß, dass du keine Ahnung vom Reiten hast. Schon allein deshalb würde ich dich niemals auf ein gefährliches Pferd setzen.“

Mit diesen Worten führte er sie ins Haus. Während sie in der Küche wartete, suchte er eine alte Jeans, ein Paar abgetragene Stiefel und ein Flanellhemd seiner Mutter zusammen. Als er zurückkam, sah sie durch das Fenster über dem Spülbecken auf das alte Schulgebäude.

„Ist das wirklich eine Ein-Zimmer-Schule?“, fragte sie, als er ihr den Kleiderhaufen in den Arm drückte.

Er nickte. „Die Tafel ist noch da, und ein paar Tische. Sieht noch ziemlich genauso aus wie 1880, als Jeb sie für seine Braut gebaut hat.“

Mit großen und wehmütigen Augen sah sie ihn an. „Dürfte ich mir die mal ansehen?“

„Klar.“ Er runzelte die Stirn. „Warum siehst du so traurig aus, Cheyenne?“

Ihr Versuch zu lächeln misslang. Sie drückte die Kleider fester an sich. „Habe ich traurig ausgesehen? Ich bin nicht traurig, ich habe mir nur überlegt, wie es sein muss, so eine Familiengeschichte wie die der McKettricks zu haben.“

„Jeder hat eine Familiengeschichte“, erwiderte er und wusste, dass sie gelogen hatte. Denn zweifellos war Cheyenne traurig.

„Wirklich?“, fragte sie leise. „Ich habe die Eltern meines Vaters nie kennengelernt. Die Mutter meiner Mutter starb, als ich dreizehn war. Und niemand hat etwas erzählt oder aufgeschrieben. Es gibt ein paar wenige Fotos. Aber auf ihnen erkenne ich nicht mehr als ein oder zwei Leute. Es ist, als ob wir alle einfach aus dem Nichts aufgetaucht wären.“

In diesem Moment wollte er Cheyenne küssen. Doch er beschränkte sich darauf, nur kurz mit dem Finger an ihre Nase zu tippen, weil sie noch immer so wachsam wirkte wie das Reh, an das er bei ihrem ersten Treffen hatte denken müssen. Und er wollte nicht, dass sie weglief.

„Bereit für den Ausritt?“, fragte er.

„Ich könnte nicht bereiter sein“, antwortete sie.

Also erklärte Jesse ihr den Weg zum nächstgelegenen Badezimmer, woraufhin sie mit erhobenem Kopf losmarschierte wie zur Kleiderkammer eines Gefängnisses.

Die Jeans waren ein wenig zu weit, doch die Stiefel passten. Cheyenne faltete Hose, Blazer und die Seidenbluse sorgfältig zusammen.

„Du kannst das“, sagte sie zu sich selbst. „Du musst es einfach können.“ Sie drehte den Kopf und betrachtete sich erst von der einen und dann von der anderen Seite. „Und übrigens, dein Haar sieht so aufgesteckt total albern aus.“

„Kann man nichts machen“, entgegnete ihr Spiegelbild.

Auf dem Weg zurück in die Küche verlief sie sich zwei Mal.

„Wie gesagt, Pardner ist ein gutes Pferd, und er ist an Kinder und Angsthasen gewöhnt“, sagte Jesse, als sie wieder bei den Pferden ankamen.

„Ich bin kein Angsthase“, entgegnete Cheyenne knapp.

„Und ein Kind bist du ganz offensichtlich auch nicht. Mein Fehler.“

„Du genießt das ganz offensichtlich“, sagte Cheyenne und lief geradewegs auf Mann und Pferd zu, aus Angst, den Mut zu verlieren, wenn sie nur einmal stehen blieb.

„Hast du noch nie auf einem Pferd gesessen?“, wunderte er sich, als sie neben ihm stand. „Wie hast du das denn hinbekommen in Indian Rock?“

Vielleicht hatten sie als Kinder dieselbe Postleitzahl gehabt und waren auf dieselbe Schule gegangen. Doch davon abgesehen hätten sie auch auf unterschiedlichen Planeten aufwachsen können. Unfähig, ihren Ärger zu verbergen, warf sie Jesse einen bösen Blick zu, während sie einen Fuß in den Steigbügel schob und den Sattelknauf mit beiden Händen umklammerte. „Ich war wohl zu beschäftigt mit Debütantinnen-Bällen und Teetrinken im Country Club“, konterte sie. „Da blieb keine Zeit, um auf die Jagd zu gehen oder Polo zu spielen.“

Immerhin brachte sie Jesse damit zum Lachen. Gleichzeitig schob er eine Hand unter ihren Hintern und hievte sie mit einer kräftigen Bewegung aufs Pferd. Dort landete sie mit einem Plumps, der ihren Körper vom Kopf bis zu den Zehen durchschüttelte.

Jesse reichte ihr die Zügel. „Halt die Zügel ganz locker“, wies er sie an. „Genau so. Er bleibt schon bei einem ganz leichten Anziehen stehen. Also zerr nicht, sonst tust du ihm weh.“

Cheyenne nickte nervös. Vermutlich wog das Tier so viel wie ein Volkswagen, und wenn einer von ihnen verletzt wurde, dann wohl eher sie. Aber wie auch immer, sie wollte ihm gewiss keine Schmerzen zufügen.

Obwohl sie ganz gut in Form war, taten ihr die Innenseiten ihrer Schenkel jetzt schon weh. Sollte sie ein paar Tonnen Wundsalbe auf ihr Spesenkonto setzen?

„Alles klar?“, fragte Jesse.

Unfähig, zu antworten, biss sie sich fest auf die Unterlippe und nickte einmal lebhaft.

Lächelnd legte er kurz eine Hand auf ihren Schenkel. Dann wandte er sich ab und bestieg sein Pferd mit der Eleganz eines Cowboys. Damit Minotaur sich in Bewegung setzte, stieß Jesse dem Wallach leicht in die Seite.

„Keine Sporen?“, fragte Cheyenne, die ihre Kenntnisse über Pferde einzig und allein aus Western bezog. Natürlich wusste sie, wie albern ihr Kommentar klang. Doch nachdem Pardner nun auch loslief, musste sie einfach irgendetwas sagen, um ruhig zu bleiben.

Jesse betrachtete sie so düster, als hätte sie vorgeschlagen, das arme Viech auf eine Heugabel zu spießen. „Keine Sporen auf Triple M“, sagte er. „Niemals.“

Mit schweißnassen Händen umklammerte Cheyenne die Zügel und wartete darauf, dass ihr Herzschlag wieder seine übliche Frequenz annahm. Und tatsächlich war es gar nicht so schlimm – sie schaukelte einfach nur ein wenig hin und her.

Am Gatter angekommen, beugte Jesse sich vor und schob den Riegel zurück. Genauso wenig wie Sporen gab es auf Triple M offenbar Stacheldraht. In Anbetracht der Größe des Grundstücks – die Einheimischen scherzten gern, dass man es besser in Staaten als in Morgen messen könne – eine ziemlich beachtliche Leistung.

Cheyenne ritt durch das Gatter und wartete, bis Jesse es wieder geschlossen hatte.

„Ich sehe keinen Stacheldraht“, sagte sie.

„Weil es keinen gibt.“ Jesse schob sich den Hut tiefer über die Augen. „Pferde verletzen sich auch ohne rostige Stacheln leicht genug.“

Obwohl er ihr so viel zumutete, bevor er sich die Entwürfe ansah, stieg ihre Achtung vor Jesse. Sporen waren grausam und Stacheldraht auch. Offensichtlich lehnte er beides ab, und das brachte ihm einige Pluspunkte bei ihr ein.

Andererseits war Jesse auch früher nie gemein, dachte sie. Nur ein bisschen wild.

„Und was machst du so den ganzen Tag?“, fragte sie, als sie durch das hohe, duftende Gras auf einen entfernten Berg zuritten.

„Was ich den ganzen Tag mache? Du meinst, außer mit attraktiven Frauen durch das Gelände zu reiten?“

Das Kompliment schmeichelte ihr, doch sie rief sich sofort wieder zur Vernunft. Daher lächelte sie nur und nahm beide Zügel in eine Hand, um sich die andere an der Jeans abzutrocknen. „Du musst doch bestimmt die Rinderherden hüten oder so etwas“, präzisierte sie ihre Frage.

„Rance hätte gern ein paar Hundert Rinder“, sagte er und trieb sein Pferd ein klein wenig an. „Aber auf Triple M gibt es eigentlich keine Viehzucht mehr. Wir sind inzwischen eher Hobbyfarmer, könnte man sagen. Ich trainiere ein paar Pferde, reite gelegentlich Rodeo und spiele verdammt oft Poker. Und du, Cheyenne? Was machst du den ganzen Tag?“

„Ich arbeite.“ Verärgert stellte sie fest, dass sie wie eine arrogante Zicke klang. Aber noch mehr ärgerte sie sich darüber, dass sie zu stolz war, den Satz ein wenig zu entschärfen.

Er tat so, als ob er sich einen Pfeil oder einen vergifteten Speer aus der Brust reißen müsste. Doch dabei lächelte er so unverschämt wie immer. Nichts, was sie sagte, würde ihm jemals unter die Haut gehen.

Was sie natürlich auch gar nicht beabsichtigte. Zumindest nicht sehr.

„Wie weit werden wir reiten?“

„Nur diesen Berg hinauf.“ Sein Pferd trabte jetzt, und Pardner machte es Minotaur nach. „Von dort aus hat man eine Sicht, die dir den Atem rauben wird.“

Cheyenne schluckte, sie hopste im Sattel so hart auf und ab, dass sie befürchtete, sich die Zunge abzubeißen. Ihre Großmutter, die von Apachen abstammte, würde beim Anblick ihrer Enkelin auf dem Pferd vor Scham sterben – wenn sie nicht schon tot wäre.

O bitte, lass mich dieses Land nicht allzu sehr lieben, betete sie.

Durch ein kaum bemerkbares Ziehen an den Zügeln bremste Jesse sein Pferd etwas. „Wünschst du dir manchmal, etwas anderes zu tun?“, fragte er.

Die Frage verwirrte Cheyenne zunächst, weil sie sich auf zwei ganz andere Dinge konzentrieren musste: erstens nicht vom Pferd zu fallen und zweitens nicht einfach alles wegzuwerfen, wofür sie hart gearbeitet hatte, nur weil ihr die Landschaft hier so gut gefiel.

„Es ist eine Herausforderung“, erklärte sie. „Manchmal macht es Spaß, manchmal frustriert es mich. Unser letztes Projekt richtete sich an die mittlere Einkommensschicht, und ich fand es schön zu wissen, dass junge Familien dort wohnen und ihre Kinder aufziehen werden.“

Dass dieses Projekt Nigel fast in den Ruin getrieben hätte, brauchte Jesse nicht zu wissen. Genau deshalb war ihr Chef jetzt ja so versessen darauf, dieses Land zu erwerben.

„Wo war das?“, fragte Jesse.

„Außerhalb von Phoenix.“ Nun ritten sie einen steilen Pfad hinauf. Bevor er fragen konnte, fügte sie hinzu: „Der Name würde dir nichts sagen.“

„Wie hieß denn die Apartmentanlage?“

Sie vermied es, ihn anzusehen. Oben entdeckte Cheyenne ein weiteres Gatter. Dahinter lagen prächtige Föhren, deren Nadeln sich scharf gegen den Himmel abhoben. „Casa de Meerland“, sagte sie.

„Einprägsamer Name“, meinte er trocken. „Ich habe davon in der Republic gelesen.“

Toll, dachte Cheyenne. Also wusste er von den Verzögerungen, den Gerichtsprozessen, den unverkauften Einheiten und den wütenden Investoren. „Wie ich dir schon gestern Abend sagte“, erklärte sie betont fröhlich, „sind wir bereit, in bar zu zahlen. Also brauchst du dir über den Ruf der Firma keine Sorgen zu machen. Wir sind absolut solide.“

„Der Ruf deiner Firma ist das Letzte, worüber ich mir Gedanken mache. Diesen wunderbaren Wald abzuholzen und die Wiesen einzuzementieren – nun, darüber mache ich mir allerdings schon ein paar Gedanken.“

„Wir hatten eine Vereinbarung“, sagte Cheyenne. „Ich schaue mir das Land an, und du gibst den Entwürfen eine Chance. Ich hoffe, dass du Wort hältst.“

„Ich halte mein Wort immer“, erklärte Jesse. Nach einer kurzen Pause fragte er: „Was tust du sonst, wenn du nicht gerade die Umwelt verschandelst?“, fragte er.

Dafür erntete er einen bitterbösen Blick, der ihm jedoch nur ein weiteres Lachen entlockte.

„Ich habe keine Zeit für Hobbys“, erwiderte sie knapp.

„Ich könnte dir Reitunterricht geben.“

„Danke, nein“, entgegnete sie etwas zu schnell und zu barsch.

„Nur mal angenommen, ich verliere völlig den Verstand und verkaufe dir das Land. Würdest du dann noch eine Weile in der Stadt bleiben?“

Diese Frage erschütterte sie ein wenig, wobei sie hoffte, das einigermaßen verbergen zu können. Gab es vielleicht doch noch einen Funken Hoffnung auf das Geschäft? Und auf welche Antwort hoffte er? Dass sie verschwand, sobald die Tinte auf dem Vertrag getrocknet war, oder dass sie auf unbestimmte Zeit blieb? Letztlich spielte es keine Rolle, was er wollte.

„Dann würde ich ein halbes Jahr oder ein Jahr bleiben, die Bauarbeiten überwachen und ein kleines Verkaufsbüro einrichten“, antwortete sie wahrheitsgemäß.

„Du könntest vielleicht den leeren Laden neben Cora’s Curl and Twirl mieten“, sagte er. „Als Büro, meine ich.“

Bei diesem Satz schienen Cheyennes Herz kleine Flügel zu wachsen, die kurz aufschlugen und sich dann wieder legten.

Doch ihr blieb nicht viel Zeit, um sich über Jesses Vorschlag zu freuen, da er nun auf einen schmalen, steinigen Weg zeigte, der steil nach oben führte. „Da müssen wir lang. Reite mir einfach nach. Und wenn es steil wird, lehn dich im Sattel nach vorn.“

Wenn es steil wird? Zum Glück übernahm das Pferd die Führung. Sie musste sich nur darauf konzentrieren, im Sattel zu bleiben und sich nicht das Gesicht von herabhängenden Ästen zerkratzen zu lassen.

Als sie schließlich den Gipfel erreichten, war Cheyenne schweißgebadet.

Auf den Ausblick jedoch war sie in keiner Weise vorbereitet. Tausende von Bäumen. Sonnenbeschienene Wiesen, auf denen Wild graste. Ein geschwungener Bach funkelte wie die Quasten an den Tambourstöckchen bei Cora’s.

„Ich sagte doch, dass der Blick dir den Atem rauben wird.“

Cheyenne war sprachlos. Jesse streckte ihr eine Hand entgegen, um ihr aus dem Sattel zu helfen. Beim Aufprall auf den Boden schmerzten ihre Füße. Doch sie war dankbar für diesen Schmerz, denn er brach den Zauber.

„Es ist wunderschön“, wisperte sie.

„Als Kinder haben Rance, Keegan und ich hier oft gezeltet. Und auch heute komme ich noch ab und zu mit meinem Schlafsack her, um unter den Sternen zu schlafen. Vor einigen Jahren, ungefähr zu der Zeit, als der Gouverneur von Arizona beschloss, kein Naturschutzgebiet aus diesem Gebiet zu machen, habe ich ein Pokerturnier gewonnen und sofort das Land gekauft.“

„Das muss ein großes Turnier gewesen sein“, bemerkte Cheyenne so beiläufig wie möglich.

„Weltmeisterschaft“, erklärte er schulterzuckend. „In ein paar Monaten fahre ich nach Las Vegas, um meinen Titel zu verteidigen.“ Wieder glitt sein Blick über die Landschaft. „Im Frühling quillt dieser Bach fast über vor Forellen. Es gibt Rehe, wie du sehen kannst, außerdem Adler, Wölfe, Luchse, Kojoten und Bären – so ziemlich alles, was man in diesem Landstrich erwarten kann.“

Er betrachtete Cheyenne, suchte offenbar nach Worten und drehte dabei den Cowboyhut in den Händen – wie es seine Cowboy-Vorfahren vermutlich auch schon getan hatten. „Wo sollen sie deiner Meinung nach hin, wenn du und deine Firma dort das Apartmenthaus und einen Golfplatz bauen?“

4. KAPITEL

Cheyenne blinzelte. Sie wünschte, das Land würde verschwinden, und damit auch Jesses Frage.

Denk an deine Mutter. Denk an Mitch.

Jesse drehte sie sanft zu sich. „Als Angus McKettrick Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hierherkam, muss der ganze nördliche Teil des Staats ungefähr so ausgesehen haben. Er hat Bäume gefällt, um sein Haus und einen Stall zu bauen, und er benutzte herabgestürzte Äste als Brennholz. Er baute auch Zäune für sein Vieh. Aber davon abgesehen hat er das Land nicht sehr verändert. Seine Söhne bauten auch Häuser, als sie heirateten – mein Haus, dann das Haupthaus auf der Ranch, wo Keegan inzwischen wohnt, und eines auf der anderen Seite des Baches. Das gehört Rance. Diese Häuser wurden umgebaut und modernisiert, aber mehr nicht. Keine Planierarbeiten. Keine Tennisplätze. Wir McKettricks schätzen dieses Land sehr, Cheyenne, und ich habe nicht vor, diese Familientradition zu brechen.“

„Du hast versprochen, dir die Pläne anzuschauen“, sagte sie ein wenig lahm und gegen ihre eigene innere Überzeugung.

Jesse setzte den Hut wieder auf, half Cheyenne auf ihr Pferd und bestieg Minotaur. Auf dem Ritt zurück zur Ranch sprach keiner von ihnen ein Wort.

„Es ist mir nicht egal, was aus dem Land wird“, sagte sie ernst, als sie den Stall erreichten.

„Wirklich nicht?“ Doch offenbar erwartete er keine Antwort. „Hol deine Entwürfe“, sagte er mit einem Blick auf ihren Wagen. „Ich bringe Pardner und Minotaur in den Stall und treffe dich im alten Schulhaus.“

Sie wischte sich die feuchten Hände an Callie McKettricks Jeans ab und nickte ihm zu. Als er mit den beiden Pferden im Stall verschwunden war, legte sie den Kopf in den Nacken und sah in den Himmel.

„Was soll ich nur tun?“, fragte sie leise. So stand sie ein paar Sekunden, dann lief sie zu ihrem Mietauto und nahm die dicke Rolle mit den Bauplänen vom Rücksitz.

Im Schulhaus war es kühl. Cheyenne legte die Rolle auf einen großen Tisch, hinter dem ein alter Stuhl stand. Dann sah sie sich interessiert um. Behutsam fuhr sie mit den Händen über die Reihe kleiner Tische, bewunderte den Kachelofen und wandte sich dann dem Globus zu.

Obwohl sie hörte, dass Jesse eintrat, drehte sie sich nicht um. Für ein paar Sekunden wollte sie sich so fühlen wie die Lehrerin Chloe McKettrick, und Jesse war ihr Mann Jeb. Solange sie ihn nicht ansah, konnte sie dieses Gefühl ein wenig auskosten.

„Hier saßen nie mehr als ein Dutzend Schüler auf einmal“, sagte Jesse leise. „Nur die Kinder von Chloe und Jeb, ihre Cousins und Cousinen, ein paar Herumstreuner und die Kinder der Rancharbeiter.“

„Das Leben muss wunderbar einfach gewesen sein.“

„Es war auch hart.“ Sie hörte, wie er das Gummi von den Entwürfen streifte und sie ausrollte. „Kein fließendes Wasser, kein Strom. Elektrisches Licht gab es hier erst Ende der Dreißigerjahre. Zwar existierte bereits 1919 eine Stromleitung, aber die versorgte nur eine einzige Glühbirne in der Küche.“

„Wie schön, dass die Ranch all die Zeit so gut erhalten wurde“, sagte sie, während Jesse die Pläne studierte. Er hielt den Kopf so gesenkt, dass sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte. „Aber soweit ich weiß hat das Land, von dem wir sprechen, nie zu Triple M gehört.“

Erst jetzt sah er auf, zeigte aber sein Pokerface. Und trotz all der Erfahrungen, die sie bei ihrem Vater hatte sammeln können, ließ sich nicht das Geringste daraus lesen.

„Land“, sagte er, „ist Land.“

In ihrem Kopf begannen sämtliche Alarmglocken zu schrillen. Doch sie behielt die Ruhe, stellte sich neben Jesse, lächelte und deutete in die Mitte des Bauprojekts. „Das ist die Grünanlage. Es wird jede Menge Rasenflächen geben, einen Brunnen, Bänke, Spielplätze für die Kinder. Wenn wir den Bach eindämmen, könnten wir einen Fischteich …“

„Daraus wird nichts“, sagte er.

„Jesse …“

Er schob ihr die Entwürfe hin. „Du hast dein Versprechen gehalten, und ich meines. Aber ich will verdammt sein, wenn ich dich und eine Horde von Idioten in dreiteiligen Anzügen an diesem Bach herumpfuschen lasse, damit die Eigentümer Kois züchten können.“

„Bitte, hör mir zu …“ Sie war so verzweifelt, dass sie nicht länger versuchte, ihm etwas vorzuspielen.

„Ich habe genug gehört“, sagte er.

„Sieh mal, der Fischteich ist bestimmt nicht so wichtig.“

Mit wenigen Schritten durchquerte Jesse den Raum und riss die Tür auf. „Da hast du verdammt noch mal recht.“

Er stürmte auf das Haus zu, und wieder blieb Cheyenne keine andere Wahl als ihm zu folgen, nachdem sie die Entwürfe durch das offene Fenster in ihr Auto geschleudert hatte.

Im Haus stand Jesse vornübergebeugt am Spülbecken und starrte aus dem Fenster.

„Es reicht, einfach Nein zu sagen, Jesse“, erklärte sie ruhig. „Es gibt keinen Grund, so wütend zu werden.“

„Tut mir leid“, sagte er. „Ich bin auf mich wütend, nicht auf dich. Ich hätte gleich an den Bach denken sollen“, fuhr er fort. „Stattdessen habe ich ganz kurz tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, zu verkaufen. Ich habe mir kleine Kinder auf Dreirädern vorgestellt, und erst als du den geplanten Fischteich erwähnt hast, habe ich wieder Vernunft angenommen.“

„Und wenn wir versprechen, den Bachverlauf auf keinen Fall zu ändern?“

Jesse seufzte. „Das kannst du mir nicht versprechen, und das weißt du auch. Sobald die Wohnungen verkauft sind und deine Firma sich um andere Projekte kümmert, kann alles geschehen. Selbst wenn die Eigentümer beschließen, den Bach in die Luft zu sprengen, könnte ich nichts dagegen tun. Warum willst du dieses spezielle Stück Land so unbedingt?“, fragte er. „Es geht um mehr als um deine Arbeit, oder?“

„Im Falle eines Verkaufs würde ich einen Bonus bekommen“, sagte sie. „Und dieses Geld ist für meine Familie sehr wichtig.“

„Es gibt eine Menge Leute, die ganz wild darauf sind, ihr Land zu verkaufen. Warum muss es ausgerechnet meines sein?“

„Weil Nigel es will“, sagte Cheyenne schlicht.

Er hob eine Augenbraue. „Nigel?“

„Mein Chef. Und jetzt bin ich meinen Job vermutlich los.“

„Du kannst dir immer einen anderen suchen.“

„Das sagt sich leicht, wenn man selbst keinen braucht.“

„Touché. Vielleicht ist bei McKettrickCo etwas frei. Ich könnte Keegan fragen.“

„Ich schaffe das schon“, sagte sie. Zum Glück musste sie das nicht näher ausführen, denn in Wahrheit hatte sie nicht die geringste Idee. „Stellt das Roadhouse noch Bedienungen ein? Ich könnte auch Karten im Hinterzimmer vom Lucky’s mischen …“

Er griff nach ihrer Hand und drückte sie. „Du bist klug, Cheyenne. Das warst du schon immer. Du hast Erfahrung und einen Abschluss, wie ich vermute. Es gibt eine Menge Möglichkeiten für dich.“

„Nicht in Indian Rock. Und hier stecke ich im Moment fest.“

Mit dem Daumen kreiste Jesse über ihre Handfläche. Ein köstlicher Schauer fuhr durch ihren Köper. „Ich kann nicht behaupten, dass ich mich nicht freuen würde, wenn du eine Weile hierbleibst. Und Flagstaff ist nur ein paar Minuten entfernt. Da gibt es für jemanden mit deinen Fähigkeiten bestimmt jede Menge Arbeit.“

„Klar, es muss in der Gegend doch mindestens eine Firma geben, die wilde Tiere aus ihrer natürlichen Umgebung verjagt und Bäume fällt. Worüber mache ich mir eigentlich Sorgen?“

„Du scheinst es doch recht weit gebracht zu haben, Cheyenne. Warum steckst du dann so in der Klemme?“

„Wie kommst du darauf, dass ich in der Klemme stecke?“ Woher zum Teufel weißt du das? Bist du so eine Art Cowboy-Gedankenleser?

„Das sehe ich in deinen Augen. Komm schon. Was ist los? Vielleicht kann ich dir helfen.“

Dagegen sträubte sich alles in ihr. „Wenn du helfen willst, Jesse, dann verkauf mir das Land. Ich bettle hier nicht um Almosen. Ich biete dir mehr Geld als die meisten Leute sich erträumen.“

„Sachte, sachte“, sagte Jesse ruhig. „Ich will nicht an deinem Stolz kratzen. Wir sind in dieselbe Schule gegangen und alte Freunde. Ich möchte einfach nur wissen, was los ist.“

Ich werde nicht weinen.

„Arztrechnungen“, sagte sie mit brüchiger Stimme.

„Der Unfall deines Bruders.“

„Ja.“

„War er nicht versichert?“

„Nein. Meine Mutter hat damals als Bedienung gearbeitet. Und mein Stiefvater war Tagelöhner – wenn er überhaupt gearbeitet hat, was nicht oft vorkam. Ihm reichte die Sozialhilfe, weil er dann den ganzen Tag Billard spielen konnte.“

„Also hast du die Kosten übernommen? Dazu warst du gesetzlich aber nicht verpflichtet, Cheyenne. Warum hast du dir das aufgehalst?“

„Mitch ist mein Bruder“, sagte sie. „Dank der Beihilfe kann er überleben. Aber ich will nicht, dass er nur überlebt … ich will, dass er ein gutes Leben hat.“

„So sehr, dass du dein eigenes dafür aufgibst?“

Darauf schwieg sie lange. „Ich dachte nicht, dass es so hart werden würde“, gestand sie schließlich. „Ich dachte, es hört irgendwann auf. Dass Mitch eines Tages wieder laufen kann und alles wieder gut ist.“

„Und der Verkauf des Landes würde das ändern? Dann wäre alles ‚gut‘?“

Cheyenne seufzte. „Nein. Wäre es nicht.“

Ohne ein weiteres Wort ging sie ins Badezimmer, zog sich um und brachte Jesse Jeans, Stiefel und Flanellhemd zurück.

„Tut mir leid“, sagte er.

Sie glaubte ihm – so verrückt das auch klang. „Danke für den Ausritt.“

Er hielt ihr die Küchentür auf und begleitete sie zum Auto.

„Freunde?“, fragte er.

„Freunde“, nickte sie und startete den Wagen.

„Dann könntest du mir vielleicht einen Gefallen tun. Am Samstagabend bin ich zu einer Party eingeladen, eine Art Vorhochzeits-Party meiner Cousine Sierra. Barbecue, eine Fahrt mit dem Heuwagen und so was alles. Ich brauche eine Begleitung.“

„Wieso ich?“, fragte Cheyenne.

„Weil ich dich mag. Deine Mom und Mitch können auch kommen. Das wäre doch eine prima Gelegenheit, hier wieder ein paar Kontakte zu knüpfen.“

Wenn er nur sie eingeladen hätte, wäre Cheyenne ganz sicher nicht hingegangen. Aber sie wusste, dass Ayanna und Mitch sich in Indian Rock einsam fühlten. „Der Transport von Mitchs Rollstuhl ist immer ein ziemlicher Zirkus …“

„Das bekomme ich schon hin. Samstagabend. Sechs Uhr.“ Er verzog amüsiert die Lippen. „Besorg dir eine Jeans.“

Als Cheyenne überlegte, wann sie zum letzen Mal irgendetwas aus reinem Spaß unternommen hatte, fiel ihr nichts ein. Natürlich hatte sie viele berufliche Verabredungen, aber das war auch schon alles.

„Gut“, sagte sie. „Um sechs.“

Jesse winkte ihr nach, und sie war plötzlich bester Laune – bis sie die Hauptstraße nach Indian Rock erreichte. Dort geschahen zwei Dinge: Erstens klingelte ihr Handy, und zweitens fiel ihr plötzlich wieder ein, wo sie wohnte. Wenn Jesse kam, um sie abzuholen, würde er den vernachlässigten Garten, die verrosteten Drahtspulen und die alten Reifen sehen.

„Hallo Nigel“, seufzte sie ins Telefon.

„Du klingst nicht gerade glücklich“, sagte Nigel, der selbst ziemlich bedrückt wirkte.

„Jesse hat mir das Land gezeigt und ich ihm die Entwürfe. Er weigert sich, über einen Verkauf auch nur nachzudenken.“

„Dann bring ihn dazu, seine Meinung zu ändern.“

„Man merkt, dass du noch nie einen McKettrick getroffen hast.“ Auf einmal wurde ihr übel. Sie fuhr auf den Seitenstreifen, weil sie befürchtete, sich übergeben zu müssen.

„Er ist eine alte Flamme von dir, nicht wahr?“

„Wir waren zwei Mal zusammen im Kino, Nigel. Damals ging ich noch auf die Highschool. Das war nicht mal ein Funken, geschweige denn eine Flamme.“

„Und wenn du mit ihm schlafen würdest …“

Cheyenne erstarrte. „Ich fasse nicht, dass du das gerade wirklich gesagt hast“, sagte sie tonlos.

„Nun komm schon, Cheyenne. Geschäfte werden ständig so abgeschlossen.“

„Aber nicht in meinem Fall!“

„Du hast erst letztes Jahr eine Woche mit Dr. Wie-hieß-er-noch-mal in Aspen verbracht, und danach hat er dreihunderttausend Dollar investiert.“

„Seine Frau war auch dabei. Du hast doch nicht im Ernst geglaubt …“

„Selbstverständlich habe ich das. Du hast einen Wahnsinnskörper und ein tolles Gesicht. Wie sonst hättest du so viele kluge Geschäftsleute überzeugen können, dicke Schecks für Meerland Ventures auszustellen?“

„Vielleicht mit Hirn?“

Einen Moment herrschte Schweigen. Dann ruderte Nigel zurück. „Cheyenne, sei vernünftig. Es war doch nur normal, anzunehmen …“

„Du Mistkerl!“

„Cheyenne …“

Sie kurbelte das Fenster herunter, schleuderte das Telefon hinaus, blickte kurz in den Rückspiegel, bevor sie es mit den Vorderrädern überfuhr.

Als sie zu Hause vorfuhr, kam Ayanna ihr entgegen. Sie sah besorgt aus. „Nigel hat angerufen. Das Telefon war noch keine fünf Minuten angeschlossen …“

„Nigel kann mich mal.“ Stur starrte Cheyenne geradeaus durch die Windschutzscheibe.

„Ich vermute, mit Jesse ist es nicht besonders gut gelaufen?“

Plötzlich öffnete Cheyenne mit Schwung die Tür, Ayanna trat hastig einen Schritt zurück. „Es lief sogar sehr gut mit Jesse – davon abgesehen, dass er wohl lieber sterben würde, als mir oder sonst jemandem das Land zu verkaufen.“

„Ach, Liebes.“

„Ist schon gut, Mom.“

Ayanna musterte sie. „Ich habe heute einen Job gefunden“, sagte sie dann. „Im Supermarkt. Die Einkäufe der Kunden in Tüten packen. Wenn ich das gut mache, stellen sie mich sogar ein. Cheyenne, das würde bedeuten, ich wäre krankenversichert und hätte Urlaubsanspruch.“

Am liebsten hätte Cheyenne geweint. Ihre Mutter war zwar noch nicht alt, aber trotzdem sollte sie nicht mehr den ganzen Tag auf den Füßen stehen, Tüten packen und zu den Autos der Kunden tragen.

„Dann hat wenigstens eine von uns einen Job“, sagte sie jedoch nur.

Nach Cheyennes Aufbruch wollte Jesse nicht zurück ins Haus. Also bürstete er die Pferde, brachte ihnen Wasser und Futter und fuhr anschließend in die Stadt zu McKettrickCo.

Myrna Terp, die Empfangsdame, begrüßte ihn mit einem erfreuten Lächeln. „Sie kommen einen Tag zu spät zu der großen Konferenz.“

„Ich bin hier, um mit meinem Cousin zu sprechen. Und natürlich, um mit Ihnen zu flirten.“

Myrna lachte. „Ich sage Keegan Bescheid. Aber ich warne Sie, er hat schon den ganzen Tag schlechte Laune.“

Ohne abzuwarten, ging Jesse den Gang hinunter und wollte gerade Keegans Bürotür öffnen, als sie aufschwang und sein Cousin vor ihm stand.

„Was...

Autor

Linda Lael Miller
<p>Nach ihren ersten Erfolgen als Schriftstellerin unternahm Linda Lael Miller längere Reisen nach Russland, Hongkong und Israel und lebte einige Zeit in London und Italien. Inzwischen ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt – in den weiten „Wilden Westen“, an den bevorzugten Schauplatz ihrer Romane.</p>
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Leigh Greenwood
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Charlotte Douglas
Die Autorin Charlotte Douglas wurde in Kings Mountain im Bundesstaat North Carolina geboren. Schon im Alter von drei Jahren konnte Sie lesen und steckte von da an ihre kleine Nase fast nur noch in Bücher – so war es unausweichlich, dass sie eines Tages selbst eins schreiben würde. Als Sie...
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