Bianca Spezial Band 9

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BLEIB FÜR IMMER - DARLING! von TRISHA DAVID
Was für ein unerzogenes Tier, aber was für eine tolle Frau! Jack ist entsetzt, als ein kleiner grauer Schnauzer den Hütehundwettbewerb sprengt. Doch dann lernt er dessen Besitzerin - die bezaubernde Bryony - kennen. Er ist hingerissen von der schönen Rothaarigen. Wird seine kleine Tochter sie genauso wunderbar finden wie er - und Bryony sein Kind mögen?

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  • Erscheinungstag 13.03.2020
  • Bandnummer 9
  • ISBN / Artikelnummer 9783733715779
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Trisha David, Penny Jordan, Marion Lennox

BIANCA SPEZIAL BAND 9

1. KAPITEL

Jack Morgan hatte sechs Jahre lang versucht, Gefühle aus seinem Leben zu verbannen.

Es war ihm nicht gelungen. Seit kurzem war seine kleine Tochter wieder bei ihm, die nach der Scheidung bei ihrer Mutter in Amerika gelebt hatte, und er liebte Maddy von ganzem Herzen.

Sie stand am Rand des „Ring“ genannten, eingezäunten Areals, in dem der Wettbewerb für Hütehunde stattfand, und sah der Vorführung zu. Und im „Ring“ befand sich seine Hündin Jessie, die bestimmt nicht nur ihn begeisterte.

Das alles ist zu schön, um von Dauer zu sein, dachte Jack pessimistisch. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt, als er das letzte Kommando geben wollte.

Die Schafe standen ordentlich aufgereiht vor dem Tor. Jack pfiff auf zwei Fingern: das Signal für Jessie, die Tiere in den Pferch zu treiben. Es hatte allerdings nicht die gewünschte Wirkung.

Plötzlich raste nämlich ein kleiner grauer Hund von der Zuschauertribüne heran. Er war kein Collie wie Jessie, sondern gedrungen und rundlich, hatte weiße Haarbüschel auf der Brust, buschige schwarze Augenbrauen, außerdem einen drahtigen grauen Bart und Schnurrbart. Hinter ihm stieg eine Staubwolke auf, und er kläffte.

Jack pfiff nochmals scharf. „Treib die Schafe weiter, Jessie“, rief er dann. „Nur noch eine Minute, und du bist australischer Champion.“

Der fremde Hund stürzte sich direkt auf die Schafe, die so panisch in alle Richtungen davonstoben, als wäre eine Bombe zwischen ihnen explodiert. Es gab nichts, was Jessie, Jack oder irgendeine Macht auf Erden hätte tun können, um sie aufzuhalten. Die Tiere rannten zum Zaun, zwängten sich darunter durch oder übersprangen ihn wie ein Hindernis beim Reitturnier. Der graue Köter setzte ihnen nach – und Jessie folgte ihm. Jack stand wie betäubt plötzlich allein im „Ring“.

„Harry!“, rief eine Frau irgendwo in der Menge verzweifelt.

Es herrschte totales Chaos. Die Leute wichen den Schafen aus, und niemand machte den Versuch, die Tiere aufzuhalten. Nicht einmal Jessie. Offensichtlich war sie an ihrer Arbeit als Hütehund nicht länger interessiert.

Bryony Lester sah sich bestürzt um. Das war ja schrecklich – milde ausgedrückt. Myrna hatte ihr geraten, ihren Hund Harry zur Landwirtschaftsschau mitzunehmen und bei der Hundeausstellung zu präsentieren. Das sei – wie Myrna behauptet hatte – eine großartige Methode, sich bei den Einheimischen einzuführen. Na ja, jetzt kennt mich hier bestimmt jeder, und wahrscheinlich werde ich mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt, dachte Bryony.

„Das war wirklich ein toller Tipp, Myrna!“, sagte sie halblaut und beschimpfte im stillen ihre Freundin, die irgendwo auf dem Gelände war, statt zu ihr zu kommen und ihr zu helfen. Ein verirrtes Schaf rammte sie kurz, schwenkte ab und suchte das Weite.

„Ich bring dich um, Harry“, drohte Bryony leise. Sie rief nochmals nach ihm, obwohl sie wusste, dass es keinen Zweck hatte.

Die Zuschauer zerstreuten sich ebenfalls in alle Richtungen. Einige machten halbherzig den Versuch, die Schafe einzufangen, aber die meisten sahen einfach tatenlos zu. Jessie und der graue Hund waren schon außer Sichtweite, bevor Jack sich so weit von dem Schock erholt hatte, dass er daran dachte, seine Hündin zu rufen.

„Jessie!“

Seine Stimme übertönte den Tumult, aber der schwarz-weiße Collie ließ sich nicht blicken.

Stattdessen erschien eine schlanke junge Frau mit kupferroten Locken und großen grünen Augen. Sie trug weiße Leggings und Stiefel, dazu einen beinah knielangen cremefarbenen Pullover. Ihre Wangen waren gerötet, und sie wirkte bekümmert und beschämt zugleich.

„Warum hilft mir denn keiner? Harry! Wo, um alles in der Welt, steckst …“

Sie verstummte mitten im Satz, als sie Jack erblickte. Er wusste intuitiv, dass diese Frau und Katastrophen sozusagen Hand in Hand daherkamen. Sie hatte das Chaos verursacht, dessen war er sich sicher. Dieser Harry, nach dem sie rief, war wahrscheinlich der Schafe jagende Hund.

Jack stieg über den Zaun und ging zu der Fremden.

„Gehört der Köter Ihnen?“, fragte er schroff. „Ist Harry ein kleiner grauer Hund?“, fügte er hinzu, als sie nicht antwortete.

Verflixt! Dachte Bryony. Den großen muskulösen Mann hatte sie vorhin im „Ring“ gesehen und ihn hingerissen betrachtet, denn er war umwerfend attraktiv. Deshalb war sie abgelenkt gewesen, und Harry hatte sich unbemerkt das Halsband abstreifen können.

„Ich bin … Ja, Harry ist ein kleiner grauer Hund.“ Bryony atmete tief durch, um sich zu beruhigen. „Waren das … gehören die Schafe Ihnen?“

„Nein, es sind nicht meine“, sagte der Mann so langsam und deutlich, dass auch die Dümmste ihn verstanden hätte, und er sah sie an, als wäre sie ein widerliches Insekt. „Sie gehören dem Veranstalter der Landwirtschaftsschau, der sie für den Hütehundwettbewerb zur Verfügung gestellt hat.“

Rasch sah Bryony sich um. „O nein! Und jetzt sind sie verschwunden. Es wird bestimmt eine Ewigkeit dauern, sie wieder einzufangen.“

„Wahrscheinlich“, bestätigte Jack leise. Seine Hunde hätten den Tonfall sofort als Alarmsignal aufgefasst und sich irgendwo versteckt.

Bryony schluckte trocken. „Es tut mir schrecklich leid. Könnten Sie mir sagen, wohin ich jetzt gehen soll?“

Zur Hölle, oder wenigstens dahin, wo der Pfeffer wächst, hätte Jack am liebsten geantwortet, aber er besann sich noch rechtzeitig auf seine guten Manieren.

„Um mich zu entschuldigen“, fügte sie hinzu.

Er schwieg eine Zeit lang. Gelächter und Rufe ertönten, als einige Kinder den Schafen nachliefen, die – wie es klang – das Wettrennen mühelos gewannen.

Bryony sagte ebenfalls kein Wort, während sie den Mann betrachtete, der ihr den Weg versperrte. Man würde uns sicher als attraktives Paar bezeichnen – wenn wir eins wären, dachte sie. Sie war einen Meter zweiundsiebzig groß, der Mann ungefähr fünfzehn Zentimeter größer. Sie schätzte ihn auf Mitte Dreißig. Vom Alter her hätte er gut zu ihr gepasst, denn sie war achtundzwanzig.

Er wirkte wie ein echter Mann vom Land: sonnengebräunt, durchtrainiert und muskulös. Ein breitkrempiger Hut bedeckte seine kurzen schwarzen Locken, und seine Jeans und das Hemd sahen aus, als hätte er sie jahrelang bei harter Arbeit getragen. Fältchen hatten sich um seine dunklen Augen gebildet, wahrscheinlich weil er sie häufig wegen des grellen Sonnenlichts zusammenkniff.

Und ich sehe so aus, als hätte ich noch niemals ein Schaf oder eine Farm gesehen, dachte Bryony.

„Wenn Sie sich entschuldigen wollen, versuchen Sie’s doch mal bei mir“, sagte Jack endlich. „Ihr Köter …“

„Er ist kein Köter, sondern ein Schnauzer!“ Bryonys grüne Augen blitzten. Niemand durfte ihren Harry kritisieren!

„Was ist denn das für eine Rasse?“

„Schnauzer werden in Deutschland als Wachhunde gezüchtet“, informierte sie Jack.

„Warum haben Sie ihn dann nicht in Deutschland gelassen?“

Bryony errötete und fuhr sich durch die kupferroten Locken. „Hören Sie, ich habe mich zwar schon entschuldigt, aber ich sage es gern noch mal: Es tut mir ehrlich leid, Mister …?“

„Morgan“, sagte Jack mürrisch. „Jack Morgan.“

„Ich bin Bryony Lester.“ Sie hielt ihm die Hand hin und lächelte ihn an.

Das Lächeln hätte ihn bestimmt begeistert, wenn er sich noch für Frauen interessiert hätte. Das tat er aber seit seiner Scheidung nicht mehr.

„Na ja, schon gut.“ Er beachtete ihre ausgestreckte Hand nicht. „Holen Sie jetzt endlich Ihren Hund.“

Bryony ließ die Hand sinken. Jack Morgan wirkte ausgesprochen zornig. Schade, dachte sie bedauernd. An einem so herrlichen Tag in einer so schönen Gegend müsste eigentlich jeder vor Lebensfreude strahlen.

„Ich weiß nicht, ob ich Harry zurückrufen kann“, sagte Bryony schließlich. „Mir scheint, er hat sich auf den ersten Blick in ihre Hündin verliebt – und er ist nicht sehr folgsam.“

„Das ist mir aufgefallen.“

„Könnten Sie nicht Ihre Hündin rufen, Mr. Morgan? Dann kommt Harry sicher mit.“

Wenn er nicht von den vielen faszinierende Düften hier abgelenkt wird, fügte sie im stillen hinzu. Hotdogs, Krapfen, Kuhdung …

Unvermittelt pfiff Jack gellend, und Bryony zuckte zusammen. Zehn Sekunden später tauchte Jessie zwischen den Beinen der Zuschauer auf und kam zerknirscht zu ihrem Herrchen.

Sie wusste offensichtlich, dass sie etwas Schlimmes angestellt hatte, denn sie hatte den Schwanz zwischen die Beine geklemmt, die Ohren flach angelegt und blickte so flehentlich zu Jack hoch, als wollte sie sich vielmals entschuldigen.

Jetzt verstand Bryony, warum ihr schändlicher Harry so fasziniert gewesen war.

„Ach, Schätzchen!“ Sie lachte leise und kniete sich hin, ohne einen Gedanken an ihre weißen Leggings zu verschwenden. „Schau doch nicht so. Du bist eine ganz Brave. Es war nicht deine Schuld, sondern Harrys. Dein Jack wird nicht mit dir schimpfen.“

„Fassen Sie meinen Hund nicht an“, sagte Jack barsch.

Überrascht sah Bryony zu ihm auf. „Warum denn nicht?“

„Sie ist darauf abgerichtet, sich von Fremden nicht berühren zu lassen.“

„Ach was, sie weiß, dass ich ihr nicht weh tue.“ Sie umarmte die Hündin und drückte sie leicht an sich.

Jessie spitzte die Ohren und wedelte mit dem Schwanz. Das sollte wohl heißen, dass sie nichts dagegen hatte, umarmt zu werden. Dann schmiegte sie sich zutraulich an Bryony und fuhr ihr liebevoll mit der Zunge übers Gesicht.

Jack war fassungslos. Er hatte Jessie beigebracht, zu knurren und sich zurückzuziehen, wenn Fremde sie anfassen wollten, aber davon war jetzt nichts zu merken. Zu seinem Entsetzen spürte er einen Anflug von Eifersucht. Das durfte nicht wahr sein!

„Würden Sie gefälligst meinen Hund in Ruhe lassen?“

Wieder lachte Bryony leise und melodisch. Wenigstens gehorchte sie ihm diesmal. Sie stand auf und klopfte sich den Staub von den Leggings, die ihre langen, schlanken Beine betonten.

Wirklich, sie hat eine tolle Figur, dachte Jack und rief sich sofort zur Ordnung, als er sich dabei ertappte, wie er Bryony fasziniert ansah.

„Ihr Hund jagt noch immer die Schafe“, bemerkte er schroff. „Rufen Sie ihn zurück.“

„Wie denn? Er ist schon zu weit weg, und meine Stimme ist nicht kräftig genug, um den Lärm hier zu übertönen.“ Beschwichtigend lächelte sie Jack an. „Sogar wenn wir nur wenige Meter voneinander entfernt sind, kommt er nicht, wenn ich ihn rufe. Außer ich esse gerade etwas. Dann macht er sogar Salto rückwärts, damit er möglichst schnell zu mir gelangt.“

„Sie geben ihm kein spezielles Hundefutter zu fressen?“, fragte Jack missbilligend. „Um Himmels willen, Sie sind wirklich … Schnappen Sie sich irgendwie Ihren Hund, und verschwinden Sie von hier, Miss … Wie-auch-immer-Sie-heißen.“

„Ich heiße Bryony Lester“, stellte sie sich nochmals vor, und diesmal ergriff sie einfach seine Hand und schüttelte sie. „Das habe ich Ihnen zwar vorhin schon gesagt, aber wahrscheinlich haben Sie mir nicht zugehört.“

„Bryony“, wiederholte er unwillkürlich.

„Ja. Jetzt versuche ich, Harry zu erwischen“, sagte sie und ließ seine Hand los. „Womöglich hat er die Schafe inzwischen auf die Bäume gejagt. Aber keine Sorge, Mr. Morgan, er tut den Tieren bestimmt nichts. Letzte Woche waren wir bei meiner Freundin Myrna auf der Farm, und Harry nahm ein Entenküken ins Maul und brachte mir das kleine Ding. Nachdem er es mir vor die Füße gesetzt hatte, watschelte es sofort völlig unbeschadet zu seiner Mutter zurück. Es war doch klug von Harry, so behutsam mit ihm umzugehen, oder?“

„Wirklich brillant“, erwiderte Jack ironisch.

Seufzend wandte Bryony sich ab. Dieser Mann sah umwerfend gut aus, war aber hoffnungslos mürrisch.

„Jack!“, rief jemand vom Rand des Platzes her. Ein Mann mittleren Alters kam direkt auf sie zu. Ein Schild an der Brusttasche seines Jacketts wies ihn als „Brian McKenzie: Preisrichter“ aus. Er schien sich für ungeheuer wichtig zu halten.

Obwohl Bryony sich in Jack Morgans Gesellschaft nicht sehr behaglich fühlte, blieb sie jetzt wartend stehen, um zu hören, was Mr. McKenzie zu sagen hatte.

„Jack, es tut mir leid, aber wir mussten dich disqualifizieren.“ Der Preisrichter blickte Bryony bewundernd an. „Die Regeln verlangen es. Ein Hütehund darf sich nicht ablenken lassen.“

Jacks Miene verfinsterte sich. „Einen fremden Hund, der sich unvermittelt auf die Herde stürzt, kann man doch nicht als normale Ablenkung bezeichnen.“

„Darüber steht in den Unterlagen nichts“, erklärte Mr. McKenzie. „Wir haben das überprüft.“

„Verflucht!“

„Nächsten Monat findet doch wieder ein Wettbewerb statt“, sagte Mr. McKenzie und vermied es, Jack anzusehen. „Tom freut sich sicher, dass er mit seinem Hund ausnahmsweise auch mal den ersten Preis gewinnt.“

Mr. McKenzie musterte Bryony nochmals anerkennend, dann wandte er sich um und eilte zur Tribüne zurück, bevor Jack ihn in eine Diskussion über das genaue Reglement verwickeln konnte.

„Oh“, sagte Bryony betroffen. „Das ist nicht fair.“

„Stimmt, das ist es nicht.“ Jacks Stimme klang angespannt.

„Wenn ich den Preisrichtern alles erkläre und mich entschuldige, glauben Sie, dass dann …“

„Nein, es würde nichts ändern. Ich kann Einspruch gegen die Disqualifikation erheben, aber das würde nur zu einem endlosen Hickhack führen, und das ist mir der Sieg nicht wert. McKenzie ist übrigens Tom Higgins’ Schwiegervater.“

„Tom Higgins ist der Teilnehmer, der jetzt gewinnt?“

„Genau der.“

„Verstehe.“ Zweifelnd sah Bryony zu Jack auf, dann erhellte sich ihre Miene. „Na ja, ich vermute, es geht bei dem Wettbewerb nicht um Preisgelder, oder? Harry und ich finden, dass Ihre Jessie wirklich großartig ist. Deshalb wollte er sie ja unbedingt kennenlernen. Sie ist die Beste von allen, ob mit oder ohne Preis.“

Da er weiterhin finster aussah, fügte sie hinzu: „Harry und ich haben auch nicht den ersten Preis gewonnen – überhaupt keinen, um ehrlich zu sein. Harry hat nämlich sein Bein gehoben und die Schuhe der Preisrichterin nass gemacht. Sie heißt Edna McKenzie. Kennen Sie sie? Die arme Frau war fast hysterisch.“

Er blickte Bryony groß an. Edna McKenzie war Brians Frau. Da hatte es – wie Jack fand – genau die Richtige erwischt.

Um seine Lippen zuckte es so flüchtig, dass Bryony sich fragte, ob sie es sich nur eingebildet hatte. Sofort wurde seine Miene wieder abweisend. Es war klar, dass Jack Morgan seine Wut noch nicht überwunden hatte.

„Miss Lester, Sie haben Harry doch nicht an der Gehorsamkeitsprüfung teilnehmen lassen, oder?“ Das klang ungläubig.

„Nein, sondern am Schönheitswettbewerb.“ Bryony ließ sich von seiner schlechten Laune nicht einschüchtern. „Mein Hund hat einen ellenlangen Stammbaum. Myrna meinte, wenn Harry gut platziert würde, hätte er vielleicht eine Chance als Zuchthund.“ Sie lachte. „Ihm würde das gefallen. Er trainiert zur Zeit noch mit Kissen und Stuhlbeinen, und es wäre doch nett, sein erotisches Interesse in natürliche Bahnen zu lenken.“

Wieder zuckte es fast unmerklich um Jacks Lippen.

Der Mann ist wirklich umwerfend, dachte Bryony. Wenn sie ihn doch nur zum Lächeln bringen könnte …

Plötzlich erschien ein Mädchen und stellte sich neben Jack. Die Kleine war ungefähr sechs Jahre alt und sehr dünn. Ihre blonden Haare waren straff nach hinten gekämmt und zu zwei verschieden langen Zöpfen geflochten. Sie trug eine Latzhose, die ihr zu weit war, und sah alles in allem so mitleiderregend wie ein armes verlassenes Waisenkind aus.

„Jack, Jessie hat nicht gewonnen“, sagte sie leise.

Das klang so enttäuscht, dass Bryony Schuldgefühle bekam. Für das Kind wäre Jessies Sieg offensichtlich sehr wichtig gewesen. Sie kniete sich wieder ohne Rücksicht auf ihre weißen Leggings auf den staubigen Boden.

Sie kann sich das erlauben, dachte Jack. Selbst mit einer zentimeterdicken Staubschicht hätten die Leggings noch toll ausgesehen – an Bryony.

„Ich fürchte, mein Hund ist an allem schuld“, gestand Bryony der Kleinen. „Er hat die Schafe verscheucht. Hast du ihn zufällig irgendwo gesehen? Harry ist ein sehr ungezogener Hund, und ich weiß nicht, was ich mit ihm machen soll.“

„Jetzt wird Jessie nicht australische Meisterin“, sagte das Mädchen. Es klang nicht vorwurfsvoll, sondern ganz sachlich.

„Wieso nicht?“ Bryony sah zu Jack auf. „Der Wettbewerb heute war nur eine unbedeutende regionale Angelegenheit. Ich meine, es ging doch bestimmt nicht um den australischen Meistertitel im Schafehüten, oder?“

„O doch“, erklärte das Kind traurig. „Man bekommt nämlich Bonuspunkte für jeden Wettbewerb. Die muss man aber alle in einem Jahr machen. Jack hat gesagt, Jessie würde nur noch einen Sieg brauchen. Den hätte sie heute haben können. Und wir wollten den Pokal in mein Zimmer stellen, weil sie doch bei mir im Bett schläft und …“ Die Kleine verstummte, und ihre großen braunen Augen füllten sich mit Tränen.

„Es tut mir so leid, dass ich alles verdorben habe“, sagte Bryony hilflos.

„Maddy, es gibt einen letzten Wettbewerb innerhalb des Zeitlimits. Jessie kann es noch schaffen.“ Jack hob die Kleine hoch, und sie verkrampfte sich sofort.

„Und wenn dann wieder so was passiert?“, flüsterte Maddy.

„Das gibt es nicht.“ Er umarmte sie fester und lächelte sie an.

Bryony wurde warm ums Herz. So hatte sie sich Jacks Lächeln vorgestellt: humorvoll, freundlich und mitfühlend.

Dass er die Kleine sehr lieb hatte, sah man ihm deutlich an. Maddy aber blieb weiterhin unnahbar.

„Wenn Miss Lester nächstes Mal ihren Hund zu Hause lässt, dann gewinnt Jessie“, versicherte Jack der Kleinen und sah Bryony dann argwöhnisch an. „Ich nehme aber nicht an, dass Miss Lester zum nächsten Wettbewerb überhaupt kommt. Sie ist nicht von hier.“

„O doch, das bin ich“, widersprach sie ihm. „Ich bin nämlich vor kurzem nach Hamilton gezogen.“

Das Kind blickte sie interessiert an. „Wie heißen Sie mit Vornamen?“, fragte es zaghaft.

„Bryony.“

„Der Name gefällt mir“, verkündete die Kleine. „Ich heiße Madelaine, aber alle nennen mich Maddy.“

„Freut mich, dich kennenzulernen, Maddy“, sagte Bryony, hielt dem Mädchen allerdings nicht die Hand hin, weil ihr aufgefallen war, dass es nicht berührt werden wollte.

„Ich bin auch noch nicht lang hier“, sagte Maddy. „Woher kommen Sie?“

„Aus New York. Da habe ich die letzten Jahre verbracht.“

Maddy lächelte zaghaft. „Meine Großmutter hat auch in Amerika gelebt“, informierte sie Bryony. „Ihr habt euch aber sicher nicht gekannt. Wir waren nämlich in Kalifornien.“

„Du bist also Amerikanerin?“ Bryony hatte sich das schon gedacht, denn Maddys Akzent klang amerikanisch. „Jetzt freue ich mich noch mehr, dass ich dich getroffen habe, Maddy. Ich habe nämlich manchmal Sehnsucht nach New York. Letzte Woche haben sie dort Erntedank gefeiert, aber hier kennt niemand das Fest – vielleicht, weil in Australien im November Frühling ist. Jedenfalls musste ich meinen traditionellen Truthahnbraten ganz allein essen. Hast du auch Heimweh nach Amerika?“

Zögernd blickte Maddy Jack an. „Ja“, gab sie schließlich zu.

„Bist du mit deiner Familie hergekommen?“

„Nein.“ Die Kleine presste kurz die Lippen zusammen. Dann atmete sie so tief durch, als wollte sie sich Mut für ein Geständnis machen. „Meine Mom will mich nicht“, sagte sie endlich traurig. „Meine Granny hatte mich lieb, aber sie ist gestorben. Jetzt muss ich bei meinem Vater leben.“

„Ich verstehe“, erwiderte Bryony und betrachtete Jack argwöhnisch. Offensichtlich war er Maddys Vater, denn er und das Mädchen sahen sich sehr ähnlich.

„Jack Morgan ist dein Daddy, stimmt’s?“

„Meine Mom behauptet das jedenfalls.“ Maddys Tonfall verriet, dass sie es nicht wirklich glaubte. „Ich will jetzt runter, Jack.“ Schweigend tat er ihr den Gefallen. „Wo ist denn Ihr schlimmer Hund, Bryony?“, erkundigte sie sich.

„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.“ Bryony zögerte. Offensichtlich gab es Probleme zwischen Jack Morgan und dem Kind. Warum, das verstand sie nicht. Es ging sie ja auch nichts an. „Ich sollte jetzt endlich Harry suchen.“

Sie blickte sich um. Ein Schaf stand einsam oben auf der Tribüne und schien zu überlegen, ob es einen Besuch in der Geisterbahn auf dem Rummelplatz wagen sollte. Alle anderen Tiere waren verschwunden.

„Oder soll ich beim Einfangen der Schafe helfen?“, überlegte Bryony laut.

„Auf die Gefahr hin, Sie zu beleidigen, Miss Lester“, sagte Jack trocken, „möchte ich Ihnen doch verständlich machen, dass Sie uns eine größere Hilfe sind, wenn Sie Ihren Hund einfangen. Dann können Jessie und ich die Schafe ungestört zusammentreiben.“

„Harry kann Sie dabei vielleicht unterstützen, oder?“

„Wahrscheinlich würde er sie eher bis in den nächsten Bezirk jagen.“ Jack rückte den breitkrempigen Hut zurecht. „Nein, Miss Lester, Sie suchen am besten Ihren Hund und sorgen dafür, dass er keine weiteren Scherereien macht. Um mehr bitte ich Sie ja gar nicht.“ Er hielt seiner Tochter die Hand hin. „Kommst du, Maddy?“

Sie schüttelte energisch den Kopf und griff, zu Bryonys Überraschung, nach deren Hand.

„Ich helfe lieber Bryony, Harry zu finden.“

„Maddy …“ Jack klang gereizt, und die Kleine versteifte sich. Sie sah so ängstlich zu ihm hoch, als würde sie erwarten, geschlagen zu werden.

„Ach, zur Hölle!“ Er fluchte, dann kniete er sich hin und sah der Kleinen in die Augen. Furchtsam erwiderte sie den Blick. „Schon gut, Maddy.“ Offensichtlich gab Jack sich geschlagen. „Hilf Miss Lester, Ihren ungezogenen Hund einzufangen.“ Er stand auf und wandte sich Bryony zu. „Ich kann mich doch darauf verlassen, dass Sie Maddy hierher zurückbringen, sobald Sie Harry gefunden haben?“

„Natürlich.“ Sie funkelte ihn an. Er sah zwar umwerfend aus, aber er hatte eindeutig schlechte Laune –, und Maddy fürchtete sich offensichtlich vor ihm. Was Bryony jetzt dachte, konnte man ihr deutlich ansehen.

Jack jedenfalls tat es, und es machte ihn betroffen. „Ich tue ihr nicht weh, ich habe das nicht getan und werde es niemals wagen“, versicherte er Bryony bekümmert. „Das schwöre ich Ihnen. Der Schein trügt manchmal.“

Bryony sah ihm in die Augen – und glaubte ihm.

„Na ja, ich …“ Was ging hier vor? Sie wusste es nicht. Bemüht beiläufig sagte sie: „Gut, dann überlassen wir Sie den Schafen, Mr. Morgan. Und wir suchen Harry. Komm, Maddy.“

2. KAPITEL

Bryony und Maddy fanden Harry fünfzehn Minuten später im Rinderstall, wo er sich genüsslich in frischem Mist wälzte.

Der Hund blickte auf und entdeckte Bryony: sein Frauchen, das ihn mit Futter, extra Leckerbissen und warmen Decken versorgte! Er sprang hoch und ihr direkt in die Arme. Es war der einzige Trick, den sie ihm beigebracht hatte, und er vertraute felsenfest darauf, dass sie ihn auffing.

Deshalb blieb ihr keine Wahl: Sie griff zu, und Harry wand sich begeistert in ihren Armen. Grüner Dung tropfte aus seinem Fell auf den cremefarbenen Pullover und die weißen Leggings.

„Er ist wirklich ein sehr ungezogener Hund“, sagte Maddy, und es klang fast ehrfürchtig.

„Stimmt.“ Bryony atmete tief durch und beschloss sofort, tiefe Atemzüge für eine Weile zu unterlassen. Harry sah sie hingebungsvoll an und wedelte mit dem Stummelschwanz. Die Stallknechte schwiegen schockiert, als sie sahen, was Harry angerichtet hatte, aber um Bryonys Lippen zuckte es unwillkürlich. Sie hatte jetzt zwei Möglichkeiten: entweder zu lachen oder sich hinzusetzen und zu weinen. Sie entschied sich fürs Lachen, und erleichtert stimmten die Männer ein.

„Soll ich Sie und den Hund mit dem Schlauch abspritzen, Miss?“, bot einer von ihnen scherzhaft an, der gerade den Gang zwischen den Viehboxen reinigte.

Warum eigentlich nicht? dachte sie. Für Harry wäre es eine gerechte Strafe, und mehr Schaden würde dadurch nicht angerichtet werden.

„Ja, bitte.“ Sie hielt den Hund ein Stück von sich weg, und der Mann richtete den Wasserstrahl auf sie.

Zu glauben, es könnte für sie nicht schlimmer werden, war ein Irrtum gewesen. Die kalte Dusche reinigte sie nicht, sondern durchnässte sie nur, und sie roch jetzt sogar noch durchdringender nach Mist.

„Das ist einfach nicht mein Tag“, sagte Bryony zu Maddy, die sie mit großen Augen ansah. „Manchmal sollte man morgens gar nicht aufstehen, sondern im Bett bleiben.“

„Bryony!“, rief jemand.

Sie wandte sich um und sah ihre Freundin Myrna McPherson mit ihren vier Kindern am Eingang stehen. Die Zwillinge lagen im Kinderwagen, der fünfjährige Peter hielt sich an einer Seite fest, und die sechsjährige Fiona umklammerte den Griff. Alle blickten Bryony an, als hätte sie den Verstand verloren.

„Hallo“, rief sie und lachte.

Myrna sah zugleich resigniert und entsetzt aus. Bryony passierten ständig die unglaublichsten Missgeschicke.

„Auf dem Ausstellungsgelände laufen überall Schafe herum“, berichtete Myrna. „Jemand hat behauptet, ein kleiner grauer Hund hätte sie gejagt. Könnte das Harry gewesen sein?“

Bryony lächelte schuldbewusst. „Vielleicht.“

„Aha. Findest du nicht auch, du hättest ihn festhalten sollen?“

„Ich war abgelenkt.“ Wovon oder vielmehr von wem, ließ Bryony unerwähnt.

Myrna konnte es sich ohnehin denken. „Hallo, Maddy“, begrüßte sie nun das Mädchen und lächelte es freundlich an.

Das Kind steckte den Daumen in den Mund und schob sich näher zu Bryony heran.

Sie merkte, wie ängstlich es plötzlich war, und fühlte sich unwillkürlich wie eine Glucke, die ihr Küken zu beschützen versuchte.

„Kennt ihr beiden euch?“, fragte sie und blickte von Maddy zu ihrer Freundin.

„Ja, Fiona geht mit ihr in dieselbe Klasse.“ Myrna stupste ihre Tochter sanft an. „Sag Maddy Guten Tag.“

Maddy zog sich nun völlig hinter Bryony zurück, die auf Myrnas fragenden Blick hin den Kopf schüttelte.

Myrna verstand sofort, dass sie die Kleine in Ruhe lassen sollte, und legte ihrer Tochter die Hand auf die Schulter.

„Geh lieber doch nicht näher ran, Fiona“, sagte sie. „Tante Bryony riecht wie ein Misthaufen.“

Bryony funkelte sie an. „Vielen Dank.“

„Als gute Freundin darf ich dir doch wohl einen diskreten Hinweis auf deinen Körpergeruch geben, oder? Übrigens, du hast nicht etwa erwartet, in meinem Auto mit nach Hause fahren zu können?“

„Na ja, ich …“

„O nein!“ Myrna rümpfte die Nase. „Anschließend müsste ich den Wagen verschrotten lassen.“

„Aber …“

„Nein, es war vorhin schon eng, Bryony“, unterbrach Myrna sie energisch. „Und jetzt … Dein Hund kommt auf keinen Fall in meinen Wagen – und du kommst es auch nicht.“

„Du musst mich mitnehmen!“

„O nein.“ Das Glitzern in ihren Augen verriet, wie gut Myrna sich amüsierte. „Ich bitte Ian, dich mit dem Lastwagen abzuholen.“

„Dein Mann ist beschäftigt“, erwiderte Bryony und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.

„Ja, er sät heute Nachmittag Hafer, aber bis sechs Uhr müsste er fertig sein. Anschließend schicke ich ihn her. Was willst du denn sonst machen? Ein Taxi nehmen? Ich glaube nicht, dass dich jemand als Fahrgast akzeptiert.“ Myrna schnitt ein Gesicht und sah sich um. „Hier bist du unter deinesgleichen. Ich sage Ian, er müsse immer nur der Nase nach gehen, um dich zu finden, okay?“

„Du Biest!“ Lachend machte Bryony einen Schritt nach vorn und merkte, dass Maddy sich an ihr Bein klammerte.

„Kommt, Kinder“, sagte Myrna. „Wir verschwinden. Tante Bryony steckt in der Klemme, und ich möchte nicht sehen, was sich noch alles daraus ergibt. Bestimmt nichts Angenehmes.“

Sie lachte schadenfroh, wandte sich rasch um und verließ den Rinderstall.

Na toll, es dauert sicher noch zwei Stunden, bis Ian mich abholt, dachte Bryony. Wie sollte sie sich inzwischen die Zeit vertreiben, wenn sie einem wandelnden Misthaufen ähnelte?

„Nimmt sie Sie wirklich nicht mit? Stimmt das?“, fragte Maddy und löste sich endlich von ihr.

„Stimmt.“ Bryony setzte sich auf einen Heuballen, Harry immer noch im Arm, und die Kleine nahm mitfühlend neben ihr Platz. „Weißt du, so sieht eine Freundin aus, die nur in guten Zeiten zu einem hält. Da komme ich extra von der anderen Seite der Welt angereist, um ihr zu helfen, und sie lässt mich nicht in ihr Auto, weil ich ein bisschen streng rieche.“

„Du riechst nicht ein bisschen, sondern sehr streng“, sagte Maddy aufrichtig. Nach Kinderart duzte sie Bryony unvermittelt. „Vielleicht bringt Jack dich trotzdem nach Hause.“

„Ich wette, er fährt ein tolles neues Auto mit hellen Ledersitzen“, wandte Bryony ein.

„Manchmal schon, aber heute sind wir mit dem Lastwagen hergekommen. Mit dem großen, der hinten kleine Häuschen für die Hunde auf der Ladefläche hat.“

„Prima. Dann kann ich mich ja mit Harry in eine der Hundehütten zurückziehen.“ Sie lächelte die Kleine an, und diese erwiderte das Lächeln.

„Unsinn. Du kannst vorn bei uns sitzen. Ich geh jetzt mal zu Jack und frage ihn.“

Bevor Bryony sie davon abhalten konnte, stand Maddy auf und lief nach draußen.

Und was mache ich jetzt? fragte Bryony sich und stand ebenfalls auf. Hier im Stall, wo es ohnehin nach Dung roch, würde sie nicht unangenehm auffallen. Sie hatte Jack aber doch versprochen, Maddy zu ihm zurückzubringen, und er wartete auf der anderen Seite des Ausstellungsgeländes. Deshalb blieb ihr nichts anderes übrig, als sich Harry unter den Arm zu klemmen und dem Mädchen nachzueilen.

„Maddy, warte auf mich. Maddy!“

Sie kam nur langsam voran, denn ihre Stiefel waren nicht fürs Laufen geeignet, und der Hund schien plötzlich hundert Kilo zu wiegen. Maddy war wesentlich schneller, und als Bryony schließlich außer Atem vor der Tribüne ankam, erzählte die Kleine Jack bereits, was passiert war. Sein Ausdruck verriet, wie wütend es ihn machte, dass sie unbegleitet zu ihm gekommen war.

„Ich versteh’ das alles nicht“, sagte Jack und entdeckte Bryony. „Ach, wie nett von Ihnen, sich Maddy anzuschließen.“ Das klang äußerst sarkastisch.

„Sie ist vorausgelaufen.“ Bryony versuchte, ihn anzufunkeln, aber es war schwierig, gleichzeitig wütend auszusehen und nach Atem zu ringen. Dann kam ihr der Gedanke, dass sie ja nicht dazubleiben brauchte. Sie hatte Maddy wohlbehalten abgeliefert, deshalb konnte sie verschwinden und musste nicht länger Jacks kritischen Blick ertragen.

„Bis dann, Maddy“, sagte sie zwischen zwei tiefen Atemzügen. „Vielleicht begegnen wir uns bei der nächsten Hundeschau. Danke, dass du mir geholfen hat, Harry zu suchen.“

„Wagen Sie es ja nicht, noch mal bei einem Wettbewerb für Hütehunde zu erscheinen, Miss Lester.“

Maddy sah Jack bestürzt an. „Sei nicht böse auf sie. Ich habe dir doch gesagt, dass wir sie nach Hause fahren müssen, weil sie riecht.“

Nein, soweit er sich erinnerte, duftete Miss Lester nach Blumen.

„Schätzchen …“

„Der ungezogene Hund hat sie von oben bis unten mit Kuhmist beschmiert“, unterbrach Maddy ihn. „Dann hat ein Mann sie mit dem Schlauch abgespritzt, und jetzt riechen sie und Harry so schlimm, dass Fionas Mom sie nicht im Auto mitnehmen will. Sie hat gesagt, Bryony soll im Stall bei den Kühen bleiben, bis jemand sie mit einem Lastwagen abholt, aber das dauert noch Stunden und Stunden. Und wir sind doch mit unserem hier.“

Jack blickte seine kleine Tochter an, dann sah er zu Bryony und verstand endlich, was Maddy ihm mitzuteilen versucht hatte.

Bryonys Haar war tropfnass. Ihre weißen Sachen waren mit abscheulichen grünen Flecken verunziert. Der Hund auf ihrem Arm sah noch schlimmer aus. Wenn er, Jack, sich eine angemessene Strafe für sie hätte ausdenken müssen – dafür, dass sie Jessies Chancen auf den Meistertitel gefährdet hatte –, hätte ihm nichts Besseres einfallen können. Sie bot einen abstoßenden Anblick.

Nein, eigentlich stimmte das nicht. Zwar war sie schmutzig, nass und außer Atem, aber wie sie so dastand, das Kinn trotzig gehoben und mit blitzenden grünen Augen, sah sie – wie Jack plötzlich fand – zugleich lächerlich und hinreißend aus.

„Sie sagt, sie kann hinten in einer Hundehütte mitfahren, aber sie darf doch vorn bei uns sitzen, oder, Jack?“

Jacks Schultern bebten plötzlich.

„Wagen Sie ja nicht zu lachen“, warnte Bryony ihn.

„Warum nicht?“ Seine Augen funkelten vor Schadenfreude. „Sie haben nur bekommen, was Ihnen zusteht.“

„Danke.“ Bryony drehte sich rasch um.

„Miss Lester!“

Sie achtete nicht darauf, sondern eilte weg. Drei Sekunden später legte ihr jemand die Hand auf die Schulter, und als sie stehen blieb und sich umwandte, sah sie Jack Morgan dicht vor ihr stehen. Er lachte.

„Ach, du meine Güte!“, sagte er dann. „Jetzt verstehe ich, warum Fionas Mutter Sie nicht mitnehmen will.“

„Danke für die Information“, erwiderte Bryony und versuchte, möglichst hoheitsvoll zu klingen. Mit dem schmutzigen Harry im Arm gelang ihr das nicht ganz, vor allem weil er wild zappelte. Er wollte hinuntergelassen werden und Jessie begrüßen.

„Vielleicht hilft das, ihn zu bändigen?“ Jack hielt ihr ein Halsband und eine Hundeleine hin.

Es war unverkennbar Harrys. Bryony hatte sie vorhin einfach fallen lassen, um den Hund schnappen zu können – was ihr ja leider nicht gelungen war.

„Jemand hat sie auf der Tribüne gefunden und mir gegeben.“ Jack legte dem Hund das Halsband um. Harry wedelte und blickte sehnsüchtig zu Jessie, die brav an Jacks Seite stand.

„Was Frauen betrifft, ist dein Geschmack tadellos, alter Junge, aber die Wahl deines Rasierwassers lässt zu wünschen übrig“, sagte Jack zu Harry, nahm ihn Bryony ab und stellte ihn auf den Boden. Dann kraulte er ihn hinter den Ohren. Die beiden Hunde begrüßten sich erfreut. Jessie schien von Harrys Duftnote begeistert zu sein.

„Fährst du Bryony denn jetzt nach Hause?“, fragte Maddy zugleich drängend und flehend.

Jack runzelte die Stirn. „Warum sollte ich das tun?“

Bryony fiel kein einziger Grund dafür ein.

„Weil ich Bryony mag“, antwortete Maddy unnachgiebig. „Und es ist nicht ihre Schuld, dass Harry so schlimm ist.“

„O doch. Sie hat ihn nicht richtig erzogen.“

„Du könntest ihr helfen, ihn abzurichten“, schlug die Kleine eifrig vor.

Das ging, wie Bryony fand, ein bisschen zu weit. „Danke, Maddy. Ich begebe mich jetzt wieder in den Kuhstall und warte dort auf Ian.“

Jack zögerte. „Welchen Ian?“

„McPherson.“

Jacks Miene hellte sich auf. Aus irgendeinem Grund beruhigte es ihn, dass Bryony von einem glücklich verheirateten Mann abgeholt werden sollte.

„Ian sät Getreide“, sagte er. „Ich habe ihn auf dem Feld gesehen, als wir hierhergefahren sind.“

„Ich weiß“, erwiderte Bryony höflich. „Er holt mich ab, wenn er mit der Arbeit fertig ist.“

„Er wird aber nicht vor der Dämmerung aufhören.“

„Dann bleibe ich eben hier, bis es dunkel wird.“

Jack seufzte, nahm den breitkrempigen Hut ab und fuhr sich durchs Haar. Eine innere Stimme riet ihm eindringlich, mit Maddy und Jessie schnellstens nach Hause zu fahren und sich nicht länger mit Bryony Lester zu befassen.

Maddy packte ihn bei der Hand, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. So wild entschlossen hatte er seine Tochter noch nie erlebt.

„Ich mag Bryony“, wiederholte sie hartnäckig.

Er mochte Bryony nicht. Eine nutzlosere, rein dekorative und noch dazu unangenehm riechende Frau hatte er noch nie … Ihre großen grünen Augen waren wunderschön. Normalerweise achtete er nicht darauf, ob Frauen schöne Augen hatten, aber ihre gefielen ihm. Ihre langen, schlanken Beine hatten es ihm ebenfalls angetan, und ihr rotes lockiges Haar fand er sensationell. Was war nur mit ihm los?

„Na gut, kommen Sie“, murmelte er schließlich. „Ich bringe Sie nach Hause.“

Bryony biss sich auf die Lippe. Eigentlich sollte sie diese Einladung ablehnen, die hörbar nur widerwillig ausgesprochen worden war, aber sie war nass und fror, und ihr würde sicher bald noch kälter werden.

„Wir fahren in zwei Minuten los“, verkündete Jack, als er ihr Widerstreben bemerkte. „Also: Sagen Sie zu, oder lehnen Sie ab.“

Nein, noch zwei Stunden wollte sie auf keinen Fall hierbleiben. Jack Morgan war ein arroganter Kerl, aber er sah gut aus, und wenn er lächelte – was er leider viel zu selten tat –, war er einfach hinreißend. Außerdem merkte man ihm an, wie sehr er Maddy liebte. Er konnte also nicht grundsätzlich unangenehm sein. Bryony rang sich ein Lächeln ab.

„Danke“, sagte sie nachgiebig. „Ich würde wirklich gern nach Hause. Harry und ich begeben uns auf die Ladefläche, damit wir Sie nicht mit dem Geruch belästigen.“

„Nein, ich will, dass du bei mir sitzt“, sagte Maddy eigensinnig. „Uns macht der Geruch nichts aus, oder, Jack?“

„Vielleicht doch“, erwiderte er vorsichtig. „Um ehrlich zu sein …“

„Als wir vorige Woche das kranke Lamm gefunden haben, habe ich es im Auto die ganze Zeit auf dem Schoß gehalten, und es roch viel schlimmer“, unterbrach Maddy ihn. „Du hast es trotzdem neben den Herd in der Küche gelegt, bis ihm wieder warm war und es zu seiner Mutter zurücklaufen konnte. Mein Lamm war nett – aber Bryony ist noch netter.“

Das war ein überzeugendes Argument. Jack sah Bryony an. Reiß dich zusammen, und bring es so schnell wie möglich hinter dich, ermahnte er sich.

„Mein Wagen steht auf der Rückseite der Tribüne“, informierte er sie schroff, rief Jessie zu sich und ging mit Maddy voraus. Anscheinend war ihm völlig egal, ob Bryony ihm folgte, aber das stimmte ganz und gar nicht.

Während der Fahrt herrschte eine angespannte Atmosphäre. Da Maddy darauf bestanden hatte, saß Bryony vorn in der Fahrerkabine, und sie war sich überdeutlich bewusst, dass sie durchdringend roch, die Polsterung schmutzig machte und von Jack Morgan für einen schlechten Scherz des Schicksals gehalten wurde.

Die beiden Hunde waren hinten auf der Ladefläche in den Hütten untergebracht, und am Ende der Fahrt wünschte Bryony sich, sie wäre ebenfalls dort draußen.

Sie gab knappe Anweisungen, wie man zu ihrem Haus am Rand der Stadt gelangte, dann drückte sie sich in die eine Ecke und versuchte, sich möglichst nicht zu rühren, denn bei jeder Bewegung verbreitete sie weiterhin intensiven Geruch. Jack hatte die Fenster weit geöffnet, aber es half nicht viel. Sogar Maddy sah unbehaglich aus, als sie schließlich ihr Ziel erreichten. Kaum war der Wagen stehen geblieben, da stieg Bryony hastig aus.

„Danke fürs Mitnehmen“, sagte sie. „Ich hole nur noch schnell Harry, und dann sind Sie mich endlich los.“

Als sie zur Rückseite des Lastwagens kam, blieb sie wie erstarrt stehen. Jack hatte die Hunde natürlich in zwei verschiedene Hütten gesteckt, aber nun lagen sie gemeinsam in der einen und rochen beide. Jack stieg aus, kam nach hinten, um zu helfen – und sah fassungslos aus.

„Was?“, fragte er drohend. „Wer …“

„Ich war es nicht“, versicherte Bryony ihm rasch, und ihre Stimme klang unnatürlich hoch.

Maddy kletterte aus dem Auto. „Ich war’s. Jessie hat nämlich so einsam ausgesehen.“

Sie war während der Fahrt ziemlich still gewesen und hatte Bryonys gelegentlich gestellte Fragen nur einsilbig beantwortet. Jetzt hörte sie sich an, als wollte sie sagen: Na gut, ich habe Mist gebaut, also schick mich ruhig fort, Jack.

Verzweifelt schloss er kurz die Augen. Am liebsten hätte er Bryony angebrüllt, musste aber fairerweise zugeben, dass sie diesmal nicht schuld hatte. Mit Maddy zu schimpfen, brachte er einfach nicht übers Herz.

„Na gut, junge Dame, heute Nacht schläft Jessie nicht bei dir im Bett. Sie stinkt fast so schlimm wie Harry. Morgen früh baden wir sie.“

Maddy sah enttäuscht aus. Anscheinend empfand sie es als schlimmere Strafe, eine Nacht ohne den Hund neben sich verbringen zu müssen, als wenn sie bei Wasser und Brot in einen Kerker gesperrt worden wäre.

„Sie könnten Jessie schon heute Abend baden“, schlug Bryony vor, obwohl niemand sie um Rat gefragt hatte.

„Es dauert aber Stunden, bis sie trocken ist“, erwiderte Jack schroff.

„Dann föhnen Sie sie doch.“

Maddy und Jack blickten sie verständnislos an.

„Ja, verwendet einen Föhn. Ihr wisst doch, dieses nette kleine Gerät, das heiße Luft auf nasse Köpfe bläst.“

Die Kleine sah zweifelnd zu Jack auf. „Wir haben so was nicht, oder?“

„Nein.“

Bryony seufzte. Anscheinend war die Lösung des Problems nicht so leicht zu bewerkstelligen, wie sie gedacht hatte. „Ich habe sogar zwei“, gab sie zu. „Also kommt doch rein, und wir baden Jessie bei mir. Ich darf aber zuerst unter die Dusche.“

Jack betrachtete sie erstaunt. „Wozu, um alles in der Welt, brauchen Sie zwei Haartrockner?“

„Na ja, ich habe – wie Ihnen vielleicht schon aufgefallen ist – ziemlich dichtes Haar. Deshalb halte ich pro Ohr je einen Föhn daneben und blase damit die nassen Haare senkrecht nach oben, wobei ich wie eins der fantastischen Geschöpfe aus ‚Raumschiff Enterprise‘ aussehe. Es ist ein tolles Gefühl und geht schneller, als wenn ich nur einen Föhn verwenden würde.“

Jack stellte sich unwillkürlich vor, wie Bryony aussehen würde: frisch geduscht und nackt, einen Föhn in jeder Hand und mit nach oben gewehten Haaren. Ihm wurde seltsam zumute.

„Na, ich weiß nicht, ob …“

„Nein, keine Ausflüchte, bitte. Mein Harry ist schuld, dass Ihre Jessie jetzt ebenfalls wie ein Misthaufen riecht, also kümmere ich mich um das Baden der beiden.“ Leichtfüßig stieg sie auf die Ladefläche, ließ die Hunde frei und sprang wieder herunter. Dann nahm sie Maddy bei der Hand.

„Komm ins Haus“, sagte Bryony freundlich. „Ich brauche nur zehn Minuten, um zu duschen, dann sind die Hunde dran. Anschließend schicke ich euch mit einer duftenden Jessie nach Hause. Das ist das mindeste, was ich tun kann – und wenn ich etwas anstelle, versuche ich anschließend immer, Wiedergutmachung zu leisten.“

Die Hunde blieben vorerst natürlich im Garten. Jack und Maddy warteten im Wohnzimmer, während Bryony duschte.

Er fragte sich, in was für ein Haus er geraten war. So etwas hatte er noch nie gesehen. Von außen wirkte es durchaus konventionell, obwohl die beiden Elefantenfüße aus Keramik, die rechts und links der Tür standen, schon einen Hinweis darauf gaben, was einen drinnen erwartete.

Die Möbel waren viel zu groß für ein so kleines Haus. Das Sofa und die Sessel stammten sichtlich aus verschiedenen Möbelkollektionen, waren riesig, dick gepolstert und mit einem seidigen Stoff bezogen – jeder in einer anderen leuchtenden Farbe. Unzählige Kissen türmten sich darauf und lagen auf dem Boden verstreut, den ungefähr zehn übereinander gelegte Teppiche verschiedenster Machart bedeckten.

An den Wänden hingen Bilder … seltsame, wunderbare Bilder, einige waren erstaunlich, andere einfach schön und noch einige … na ja, wenn er die Wahl gehabt hätte, hätte Jack sie lieber mit der Vorderseite zur Wand gedreht, während Maddy im Zimmer war.

Außerdem gab es Figuren in allen möglichen Größen, eine Sammlung von Gläsern – Einzelstücke, die trotzdem miteinander harmonierten – und kleine Tische mit Arrangements aus Muscheln, Schnitzereien und bizarr geformten Samenschoten.

Staunend ging Maddy im Zimmer umher und betrachtete alles. Jack setzte sich in einen der riesigen Sessel, in dem er fast versank, und blickte starr vor sich hin. Bryony musste verrückt sein. Kein normaler Mensch würde so viele Teppiche in ein Zimmer legen, das gerade groß genug für einen war.

Aus dem Bad nebenan hörte man das Rauschen von Wasser, dann einen leisen, dumpfen Laut, als wäre ein Seifenstück zu Boden gefallen, und schon schimpfte Bryony laut vor sich hin.

„Halt dir die Ohren zu, Maddy“, murmelte Jack. „Solche Wörter sollst du nicht lernen.“

Die Kleine kicherte. „Sie glaubt, wir können sie nicht hören.“ Sie suchte sich den größten Sessel aus und kletterte hinein. „Das ist das tollste Zimmer …“ Maddy seufzte hingerissen. „Du hast doch gesagt, wir könnten mein Schlafzimmer neu einrichten. Ich würde es gern so wie hier haben.“ Dann lachte sie leise. „Jack, nimm doch den Hut ab. Siehst du das komische Ding da? Ich glaube, das ist ein Hutständer.“ Rasch stand sie auf, nahm Jack den Hut vom Kopf und hängte ihn auf ein Gebilde, das wie ein Posthorn auf einem Bambusstab aussah.

Jack staunte, wie verändert seine Tochter plötzlich war. Sie lächelte – und sie war freiwillig zu ihm gekommen, obwohl sie ihn sonst nur in ihre Nähe ließ, wenn es unvermeidlich war. Vielleicht war das der Beginn einer besseren Beziehung zwischen ihnen.

Dann kam Bryony herein. Sie trug Jeans und ein weites weißes T-Shirt, auf dem in riesigen roten Buchstaben „Keine Angst“ stand. Um den Kopf hatte sie sich ein flauschiges Handtuch wie einen Turban geschlungen – und sah einfach umwerfend aus.

„Dein Haus finde ich toll“, sagte Maddy. „Sind die anderen Zimmer auch so?“

„Na ja, die sind ein bisschen vollgestopft.“

„Ach, Sie finden, dieses hier ist es nicht?“ Ungläubig sah Jack sich um.

Bryony lächelte. „Ich bin nun mal eine leidenschaftliche Sammlerin. Eines Tages – so hoffe ich jedenfalls – werde ich in einem großen Haus leben und all diese Sachen brauchen. Vor meiner Abreise aus New York wollte ich einige Stücke verkaufen, aber dann konnte ich mich von keinem einzigen trennen. Es sind mit jedem so viele Erinnerungen verbunden. Man kann Möbel natürlich einlagern, und mit etlichen Teppichen sollte ich das eigentlich tun, aber mir gefallen sie so.“

„Sie haben das alles aus Amerika mitgebracht? Das muss Sie ja ein Vermögen gekostet haben.“

„Stimmt. Ich habe es aber, wie gesagt, einfach nicht übers Herz gebracht, meine Sammlung in New York zurückzulassen.“ Sie lächelte Maddy an. „Das verstehst du doch, oder? Möchtest du mein Schlafzimmer besichtigen?“

„Oh, ja.“ Maddy lief zu Bryony und nahm sie bei der Hand.

„Sie dürfen auch mitkommen, wenn es Sie interessiert“, sagte Bryony zu Jack. „Falls nicht, dann holen Sie sich doch ein Bier aus der Küche am Ende des Flurs. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht schon eins angeboten habe, bevor ich geduscht habe, aber ich dachte nur daran, den Geruch möglichst schnell loszuwerden.“

Jack verzieh ihr das gern. Er stand auf, ging aber nicht in die Küche, sondern folgte Bryony und Maddy. An der Tür zum Schlafzimmer blieb er stehen und betrachtete erstaunt das Bett: ein riesiges geschnitztes Himmelbett mit einem Baldachin und Vorhängen aus goldfarbenen und purpurroten Stoffen – wie die Liegestatt aus einem Sultanspalast.

„Es ist wirklich lächerlich“, gab Bryony kritisch zu und lachte. „Ich muss das Ding verkaufen. Roger sagt, er würde nicht darin schlafen, und für Gäste eignet es sich auch nicht.“

„Roger?“, wiederholte Jack.

„Mein Verlobter.“

Jack atmete tief durch. Dass Bryony verlobt war, machte die Situation einfacher für ihn.

„Ich würde sehr gern darin schlafen“, verkündete Maddy.

„Wenn Jack es dir erlaubt, darfst du mal bei Harry und mir übernachten.“

„Schläft Harry auch im Bett?“

„Ja, und es bietet trotzdem noch viel Platz“, informierte Bryony die Kleine. „Harry müsste ein irischer Wolfshund sein, um es halbwegs auszufüllen. Wir haben auch schon mal daran gedacht, Schlafplätze zu vermieten.“ Sie strich Maddy übers Haar, und obwohl das Kind normalerweise zurückzuckte, wenn man es zu berühren versuchte, schien es sich jetzt gern streicheln zu lassen. „Okay, Miss Maddy. Jetzt müssen wir uns um die Hunde kümmern.“

Es folgte eine sehr vergnügliche Stunde. Jack hätte sich nie gedacht, er könnte Spaß daran haben, zwei übel riechende Hunde zu baden, aber Bryony brachte ihn und Maddy während der Prozedur ständig zum Lachen. Anschließend gingen sie ins Wohnzimmer zurück, setzten sich auf die weichen Teppiche und föhnten die Hunde.

Denen schien das zu gefallen, und Maddy wirkte vergnügt. Jack war einfach verwirrt. Wer, zum Kuckuck, war Roger? Jemand, den er kannte? Das wollte er unbedingt wissen.

„Erzählen Sie mir doch bitte“, sagte er schließlich, während Maddy und Bryony mit den Hunden herumbalgten, „warum Sie ausgerechnet nach Hamilton gezogen sind. Lebt Roger hier?“

„Nein, in Sydney.“

„Und Sie werden ihn heiraten.“

„Ja, aber erst nächstes Jahr.“

„Ich verstehe“, log er. Er verstand nämlich überhaupt nichts mehr. „Vermutlich sind Sie doch deswegen von New York nach Australien zurückgekommen, weil Sie Roger zu ehelichen gedenken, oder?“

„Na ja, das ist einer der Gründe.“ Bryony begann Harry zu bürsten. „Ich kenne Roger seit meiner Kindheit. Er hat mir schon vor einigen Jahren einen Heiratsantrag gemacht, aber da ich noch nichts von der Welt gesehen hatte, bin ich erst mal nach New York gezogen und habe dort gearbeitet. Ich bin Innenarchitektin.“ Sie lächelte. „Falls Sie das noch nicht erraten haben.“

Jack reagierte nicht darauf. Sie sah zu ihm und merkte, dass er die Stirn runzelte. Plötzlich fand sie es schwierig, die richtigen Worte zu finden.

„Es ging mir gut in New York, aber ich habe Australien vermisst“, fügte sie schließlich rasch hinzu. „Roger hat mich häufig besucht und mir immer wieder überzeugende Gründe genannt, warum ich ihn heiraten sollte. Dann hat Myrna mir geschrieben – ich bin mit ihr übrigens seit dem Studium befreundet, und wir hatten mal zusammen ein Innenarchitekturbüro –, dass sie Zwillinge erwarten würde und ihr Geschäft hier in Hamilton schließen müsste, falls sie niemand finden könnte, der sich darum kümmert. Da habe ich beschlossen, sozusagen etappenweise nach Hause zu kommen: ein Jahr hier in Hamilton, um mich daran zu gewöhnen, nicht mehr in New York zu sein. Anschließend Sydney – und die Ehe mit Roger.“

„Ich dachte, du wärst Amerikanerin.“ Maddy schienen Bryonys Zukunftspläne und die Tatsache, dass sie Australierin war, nicht zu gefallen.

„Das bin ich zur Hälfte“, erklärte Bryony ihr. „Meine Mom war aus den Vereinigten Staaten und hat vor vielen Jahren meinen Dad geheiratet, der Australier ist.“

„Oh!“ Maddys Miene erhellte sich. „Dann bist du ja doch wie ich.“

„Richtig.“

„Und du willst wirklich nach Sydney ziehen?“ Die Kleine klang enttäuscht, und Bryony nahm sie in die Arme.

Jack blickte die beiden erstaunt an. Maddy ließ sich umarmen?

„Ja, aber bis dahin ist noch viel, viel Zeit, und ich möchte gar nicht daran denken.“

„Möchtest du Roger denn nicht heiraten?“

„O doch“, antwortete Bryony vorsichtig. „Er ist reizend.“

„Das ist Harry auch“, meinte Jack trocken.

„Ja, aber Roger hat gegenüber Harry doch einige Vorzüge“, erwiderte sie und lächelte.

„Welche?“, erkundigte Maddy sich.

Bryonys grüne Augen glitzerten. „Er ist ein sehr wohlhabender Anwalt und kann mir ein Leben in Luxus bieten.“

„Jack ist auch reich“, informierte die Kleine sie. „Du könntest doch ihn heiraten.“

Verlegen schwiegen Jack und Bryony. Dann stand sie auf und rief: „Zeit fürs Abendessen! Ich habe Hunger. Ihr auch?“

„Ja“, antwortete Maddy, ohne zu zögern.

Jack stand ebenfalls auf und nahm sie bei der Hand. „Wir müssen jetzt nach Hause, Maddy.“

„Warum denn? Sie würden mir keine Mühe machen, weil ich nicht beabsichtige, Ihnen ein siebengängiges Menü zu servieren“, sagte Bryony. „Kochen ist nämlich nicht meine Stärke. Ich kann nur Käsetoast anbieten.“

„Das ist meine Leibspeise“, verkündete Maddy.

Seufzend sah Jack seine kleine Tochter an. Er sollte nicht länger hierbleiben, denn er fühlte sich unwiderstehlich zu Bryony hingezogen. Sie war ungewöhnlich attraktiv, intelligent und lustig. Außerdem war sie unkonventionell – und mit Roger verlobt.

Deshalb wäre es besser für mich, wenn ich so schnell wie möglich das Weite suchte, sagte Jack sich.

Maddy aber war aufgelebt. Seit drei Monaten war sie nun schon bei ihm, und sie hatte immer bedrückt, lustlos und uninteressiert gewirkt.

Bryony hatte sie endlich zum Lachen gebracht. Man konnte einer Frau viel nachsehen, die ein trauriges kleines Mädchen aufheiterte.

Auch wenn es Jack unvernünftig erschien, mehr Zeit mit Bryony zu verbringen, hatte er im Grunde nichts dagegen. Er würde gern in der Küche sitzen und zusehen, wie Bryony Käsetoast machte. Ihr zusehen, was immer sie machte …

„Okay, wir bleiben, wenn Sie genug Brot und Käse im Haus haben“, sagte Jack endlich nachgiebig.

„So viel, dass es nichts ausmacht, wenn der eine oder andere Toast anbrennt“, erwiderte Bryony fröhlich. „Und das war hoffentlich keine Prophezeiung.“

3. KAPITEL

Am Montag morgen kam Myrna zu Bryony, um mit ihr zu besprechen, was im Büro zu tun sei. Das Arbeitsgespräch geriet allerdings zunächst ins Hintertreffen.

„Ist Jack Morgan lange geblieben?“, erkundigte Myrna sich.

„Ungefähr vier Stunden.“

„Hast du ihm zu essen gegeben?“

„Ja.“

„Und was?“, fragte Myrna zweifelnd, denn sie kannte Bryonys Kochkünste.

„Käsetoast. Die ersten beiden habe ich leider anbrennen lassen, deshalb haben wir sie an die Hunde verfüttert, und dann hat Jack das Kommando übernommen.“

„Das glaube ich einfach nicht.“

„Dass ich den Toast habe anbrennen lassen?“

„Doch, das glaube ich dir sofort, Bryony. Es grenzt an ein Wunder, dass du dein Haus noch nicht in Schutt und Asche gelegt hast. Deine Fähigkeit, dich nicht aufs Kochen zu konzentrieren, ist legendär. Ich staune nur darüber, dass ausgerechnet Jack Morgan bei dir war.“

„Was ist so sensationell daran, dass er mich nach Hause gebracht und hier Käsetoast gegessen hat?“

„Er macht keine Besuche, jedenfalls nicht bei alleinstehenden Frauen. Der Mann lebt fast wie ein Einsiedler.“ Myrna lächelte. „Er hat eine bewegte und bewegende Vergangenheit.“

„Haben wir die nicht alle?“

„Sprich für dich selbst.“ Anerkennend sah Myrna sich um. „Übrigens, hier ist es toll – keine einzige Windel in Sicht! Ich glaube, ich ziehe zu dir.“

„O nein!“ Bryony schüttelte den Kopf. „Ich nehme keine Mitbewohner auf. Harry ist mein Anstandswauwau. Und den brauche ich, weil ich ja jetzt eine verlobte junge Dame bin. Allerdings muss ich diese Rolle erst üben.“

„Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man verlobt ist?“, fragte Myrna. „Ich weiß es nicht, weil ich es nie war. Außer vielleicht an dem Morgen, als Ian mich für einige Stunden aus dem Bett ließ, damit ich mir ein Hochzeitskleid kaufen konnte.“

„Deswegen hast du auch vier Kinder, und ich habe keins. Dir fehlt es an Selbstbeherrschung.“

„Ja, immer wenn ich Ian sehe.“

„Soll ich dir einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gießen, um dich abzukühlen?“

Myrna schüttelte sich, verlor den träumerisch-zufriedenen Ausdruck und funkelte Bryony gespielt böse an. „Empfindest du denn nicht Ähnliches für Roger? Werden dir nicht die Knie weich, wenn du ihn nur ansiehst?“

Bryony überlegte. „Doch, ich glaube schon. Roger sieht umwerfend aus, wenn er einen seiner italienischen Anzüge trägt.“

„Und auch, wenn er gar nichts anhat? Als ich Ian zum ersten Mal zu Gesicht bekommen habe, habe ich mir schon nach zwei Minuten vorgestellt, wie er nackt aussehen würde. Vielleicht waren es auch weniger als zwei Minuten. Und du begeisterst dich für Rogers Anzüge. Das verstehe ich nicht.“

„Ich mag nun mal elegante Anzüge.“

„Dann kauf du dir einen bei Armani, häng ihn in den Schrank und kümmere dich anschließend um die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Zum Beispiel darum, einen richtigen Mann zu finden. Bryony, gestern Abend war Jack Morgan bei dir. Er ist wirklich sexy. Dagegen ist Eleganz doch gar nichts.“

„Ja, Jack ist tatsächlich sehr männlich.“ Bryony drehte ihre Kaffeetasse zwischen den Fingern und wurde rot.

Myrna machte keine Bemerkung darüber. „Und was ist mit Maddy los?“, fragte sie und wechselte bewusst das Thema.

„Ich verstehe die Kleine nicht. Erzähl mir was über sie“, bat Bryony. „Maddy scheint Schlimmes durchgemacht zu haben.“

„Stimmt, sie wirkt ziemlich verstört.“

„Weiß du, warum?“

„Ich bin mir nicht sicher.“ Myrna seufzte mitleidig. „Maddy wurde hier geboren. Ihre Mutter Georgia war Amerikanerin. Jack lernte sie in den Vereinigten Staaten kennen, heiratete sie und brachte sie hierher. Leider hasste sie die Farm, das Land und schließlich auch Jack. Sie hat immer nur gejammert, und schließlich waren alle hier sie leid. Dann kam Maddy zur Welt. Als das Baby etwa drei Monate alt war, hat Georgia Australien verlassen und die Kleine mitgenommen.“

Bryony runzelte die Stirn. „Jack wollte seine Tochter nicht?“

„Georgia ließ ihm keine Wahl. Er war zu einer wichtigen landwirtschaftlichen Tagung weggefahren, und als er nach Hause kam, waren seine Frau und seine Tochter verschwunden. Er ist ihnen nach Amerika nachgereist, um sie zu suchen, und es hieß damals, er würde sich um das Sorgerecht für Maddy bemühen, aber er hatte keinen Erfolg.“

„Hat er sie denn gefunden?“

„Das weiß ich nicht. Nachdem er zurückgekommen war, hat er sich in der Arbeit förmlich vergraben. Dass er Frau und Tochter verloren hatte, hat ihn seelisch fast vernichtet. Jack Morgan besitzt heute eine der profitabelsten Schaffarmen im ganzen Land, und nebenbei züchtet er Hütehunde und bildet sie aus. Er ist wirklich reich, aber er genießt keinen Cent seines Geldes. Verbittert lebt er völlig zurückgezogen auf seiner Farm. Und vor drei Monaten kam dann Maddy her.“

„Um hier zu bleiben?“

„Soweit wir wissen, ja. Jack spricht aber nicht darüber. Und Maddy redet sowieso mit niemand und lässt keinen an sich heran. Sie geht zwar in die Schule, hält sich dort aber abseits. Die Lehrer sind mit ihrem Latein am Ende, weil die Kleine sich so abkapselt. Ich war wirklich erstaunt, dass sie dich gestern berührt hat.“

„Ich auch.“ Bryony dachte daran, wie Maddy ihr am Vorabend zum Abschied die Arme fest um den Nacken gelegt hatte. Sie war ein kleines Mädchen, das dringend Zuwendung brauchte.

„Siehst du sie wieder?“ Ob Bryony Jack nochmals treffen wollte, das fragte Myrna lieber nicht.

„Ja. Heute Nachmittag.“ Bryony wurde rot und funkelte ihre Freundin an. „Nein, es ist nicht, was du denkst. Es geht um einen Auftrag.“

„Hast du Jack Morgan dazu überredet, sein Haus neu einrichten zu lassen?“, fragte Myrna hoffnungsvoll. „Es ist riesig. Wenn wir das gestalten, verdienen wir so viel Geld, dass wir uns zur Ruhe setzen und auf die Bahamas ziehen können.“

„Mit oder ohne deine Zwillinge?“ Bryony schüttelte den Kopf. „Nein, zum Glück für deine Kinder und Ian soll ich nur Maddys Zimmer einrichten. Es scheint spärlich möbliert zu sein, und Jack versucht seit längerem, die Kleine dafür zu interessieren, es netter herzurichten. Bisher war es ihr anscheinend egal. Gestern Abend aber hat sie gesagt, sie hätte gern ein Schlafzimmer wie meins.“

„Hat sie denn dein Schlafzimmer gesehen?“

„Ja.“

„Jack war dabei?“

„Ja.“

„Hast du ihm gesagt, dass du verlobt bist?“, erkundigte sich Myrna besorgt.

Bryony lachte. „Nochmals ja, du Gänschen.“

„Wenn er dein Schlafzimmer gesehen hat, hat er sicher einen falschen Eindruck von dir bekommen“, vermutete Myrna pessimistisch.

Bryony dachte darüber nach. „Nein. Jede Frau sollte ein Bett wie meins haben.“

„In dem Fall würde die Produktivität dieses Kontinents auf Null sinken, außer was Babys betrifft. Bryony, Jack denkt jetzt bestimmt, du wärst wild auf Sex.“

„Warum sollte er das?“

„Weil du schwarze Satinbettwäsche hast! Ein Glück, dass Maddy dabei war, andernfalls wärst du wahrscheinlich – wohlverdient – auf der Stelle von Jack überwältigt worden.“

„Ab und zu von ihm überwältigt zu werden, das müsste Spaß machen“, bemerkte Bryony, und es klang sehnsüchtig.

„Bryony!“

„Schon gut, schon gut!“ Bryony lachte und hielt beschwichtigend die Hände hoch. „Ich weiß, dass ich mit Roger verlobt bin, aber ich habe ihn seit einem Monat nicht gesehen, und selbst meine Verlobung hält mich nicht davon ab, andere Männer anzusehen.“

„Und zu begehren?“

Bryony schien zu überlegen. „Na ja, wenn der Mann wirklich reich ist …“

Myrna warf ihr ein Kissen an den Kopf. „Bryony Lester, ich weiß genau, für welche Summe du dein Innenarchitekturbüro in New York verkauft hast. Außerdem ist Roger auch nicht gerade arm.“

„Nichts kann eine Frau davon abhalten, noch mehr zu wollen.“

„Dann tritt doch dem ‚Club der schwarzen Witwen‘ bei. Heirate einen reichen Junggesellen nach dem anderen und vergifte sie, angefangen bei Roger.“ Myrna lächelte breit und warf Bryony noch ein Kissen an den Kopf. „Jetzt ist aber Schluss mit unmoralischen Gedanken. Wir haben zu tun.“

Bryony konnte allerdings die erregenden Erinnerungen an Jack nicht unterdrücken. Im Lauf des Tages dachte sie immer wieder an ihn: an sein Lächeln, seinen muskulösen Körper, seine Hände …

„Also fahr zur Farm, mach einen Plan für die Einrichtung von Maddys Zimmer, und dann verschwinde aus dem Leben der beiden“, sagte sie sich schließlich streng.

Jack besaß ein weitläufiges, altes Landhaus mit einer großen Veranda, das auf drei Seiten von einem leicht verwilderten Garten umgeben war. Breitkronige Eichen begrenzten ihn zu den saftigen Schafweiden hin, auf denen Gruppen großer Eukalyptusbäume Schatten spendeten. Der Fluss bildete den Abschluss des Besitzes an der Nordseite. Kurz gesagt: Es war wie ein Paradies auf Erden.

Bryony wurde von Maddy in Empfang genommen, die offensichtlich schon auf sie gewartet hatte. Die Kleine führte sie den Flur entlang zur Küche. Es duftete nach frischem Gebäck, und nun meinte Bryony, dass sie tatsächlich ins Paradies gelangt sei.

„Jack hat Juwelenbrötchen gebacken. Das sind süße Brötchen mit Marmelade drin. Magst du die?“, fragte Maddy ängstlich.

„O ja! Als ich ein kleines Mädchen war, hat meine Großmutter sie für mich gemacht. Seitdem habe ich keine mehr bekommen. Und du sagst, Jack hat welche gebacken?“

„Ja.“ Maddy schien Bryony unbedingt beeindrucken zu wollen. „Er hat auch die Marmelade selbst gemacht. Erdbeermarmelade. Es gibt auch gekauftes Zeug, wenn du das lieber hast.“ Flehentlich blickte sie Bryony an. „Jack wird aber ein bisschen komisch, wenn man nicht das isst, was er zubereitet hat.“

„Das kann ich ihm nicht zum Vorwurf machen.“ Bryony lachte.

Maddy öffnete die Küchentür. Jack nahm gerade das Kuchenblech aus dem Ofen. Er sah auf – und es verschlug ihm fast den Atem, als er Bryony erblickte. Sie trug einen knöchellangen weiten blauen Rock und ein knappes, ärmelloses weißes Top. Die roten Locken fielen ihr über die Schultern, ihr Gesicht strahlte, und ihre grünen Augen leuchteten. Jack hatte Mühe, die Brötchen nicht fallen zu lassen.

„Hallo“, sagte er.

„Hallo.“

„Haben Sie problemlos hergefunden, Miss Lester?“

„Ja. Allerdings dachte ich …“ Bryony sprach stockend. „Das heißt, Myrna sagte mir, Sie würden Hütehunde züchten. Ich sehe aber nur Jessie.“

Hütehunde waren ein gutes Thema. Dazu konnte Jack durchaus etwas sagen.

„Haben Sie erwartet, dass meine Hunde in Käfigen gehalten werden wie Hühner in einer Legebatterie?“ Er lächelte. „Nein. Von meinen Farmarbeitern betreut jeder einen Hund, manchmal auch zwei. Ich habe ein Zuchtprogramm aufgestellt und bestimme, welche Hündin mit welchem Rüden gepaart wird, ansonsten kümmern sich meine Männer jeweils um ihren Hund. Dadurch ist gesichert, dass jedes Tier individuell behandelt wird und genügend Zuwendung erhält. Jessie gehört natürlich mir.“

„Oh, ich … ich verstehe.“ Bryony blickte auf die Brötchen, die Jack vom Kuchenblech nahm und in ein Geschirrtuch wickelte. „Haben Sie gesagt … ich meine, Maddy hat behauptet, Sie hätten die gebacken. Stimmt das?“

„Ja.“ Wieder war er um Worte verlegen.

„Und die Marmelade eingekocht?“

„Richtig.“

Das Gespräch geriet erneut ins Stocken.

„Möchtest du zuerst mein Zimmer planen und dann die Brötchen essen oder umgekehrt?“, fragte Maddy befangen.

Bryony setzte sich an den Tisch. „Beides“, erwiderte sie prompt und entspannte sich endlich. Strahlend lächelte sie Jack an. „Sie sind also ein Mann, der kochen kann. Wo haben Sie bloß gesteckt, als ich mich mit Roger verlobt habe? Mir wird allmählich klar, dass er nicht so viel zu bieten hat wie Sie.“

Das hatte Bryony natürlich nur scherzhaft gesagt, aber bald musste sie sich eingestehen, dass es stimmte.

Nachdem sie die Hälfte der Brötchen gegessen hatten, gingen sie in den ersten Stock, um Maddys Zimmer zu begutachten. Während Jack neben Bryony nach oben ging, war sie sich seiner überdeutlich bewusst, und sie verglich ihn unwillkürlich mit ihrem Verlobten.

Roger war immer tadellos angezogen und duftete nach teurem Rasierwasser. Jacks Hemdsärmel hatte einen Riss, seine Jeans waren abgetragen und fleckig. Und er duftete nicht nach After-shave, sondern nach … Jack. Außerdem war er groß und wirkte ausgesprochen männlich.

Bryony fiel plötzlich das Atmen schwer, und das lag nicht am Treppensteigen. Konzentrier dich auf den Auftrag, und verlass anschließend sofort dieses Haus, ermahnte sie sich nachdrücklich.

In Maddys Zimmer angelangt, blieb sie neben der Tür stehen und sah sich bestürzt um. Der Raum war tatsächlich spärlich möbliert und wirkte ausgesprochen kahl und ungemütlich.

Richtig hässlich war er eigentlich nicht: beige Wände, brauner Teppich, beige Tagesdecke. Das Fenster bot einen Ausblick über die Schafweiden bis hin zum Fluss, und das war das beste an diesem Zimmer. Es gab aber kein Spielzeug, kein Plüschtier, rein gar nichts, was zeigte, dass ein Kind hier wohnte.

Auf dem einzigen Stuhl stand ein kleiner, ziemlich ramponierter Koffer, berstend voll. Spontan ging Bryony zur Kommode und zog eine Schublade auf: leer. Offensichtlich hatte Maddy gar nicht erst ausgepackt, da sie jederzeit wieder reisefertig sein wollte.

„Diana hat vorgeschlagen, die Wände zartrosa zu streichen und Maddy einige neue Sachen zu kaufen“, sagte Jack, und ein verzweifelter Unterton schwang in seiner Stimme mit. „Maddy wollte nichts davon hören.“

„Diana?“, wiederholte Bryony fragend.

„Meine Nachbarin.“

„Zartrosa ist scheußlich“, meinte Maddy eigensinnig. „Und Diana kann ich nicht leiden.“

„Mir hat blasses Rosa auch noch nie gefallen“, überlegte Bryony laut, ging zum Bett und setzte sich darauf. Dann federte sie einige Mal auf und ab. „Prima. Es ist schön weich. Das ist gut.“

„Nein, sondern schlecht für den Rücken.“ Jack straffte die Schultern. „Diana hat gesagt, wir sollten eine neue Matratze anschaffen.“

„Weich ist behaglich.“ Herausfordernd sah Bryony ihn an. „Man fühlt sich getröstet, wenn man einsam ist. Und noch besser ist ein Bett, auf dem man auch hopsen kann.“ Sie tat es.

Maddy konnte nicht widerstehen: Sie setzte sich neben Bryony und machte mit. „Ich mag weich auch“, verkündete die Kleine, und es klang trotzig.

„Mein Himmelbett ist sogar wolkenweich“, informierte Bryony Jack.

Er gab nach. „Na gut, die Matratze kann bleiben.“

„Bryonys Bett finde ich ganz toll“, sagte Maddy sehnsüchtig.

Bryony überlegte kurz. „Wenn Jack an deinem vier Pfosten anbringt, könnten wir es sozusagen in eine Miniaturausgabe von meinem verwandeln.“

„Sie scherzen“, sagte Jack mit schwacher Stimme.

„Überhaupt nicht. Für den Baldachin nehmen wir purpurrote Seide – oder preiswerten Satin, wenn wir mit einem begrenzten Budget kalkulieren müssen. Dazu malvenfarbene Bettvorhänge, die man mit purpurroten Schleifen zurückbinden kann. Wie würde dir das gefallen, Maddy?“

„Wahnsinnig gut“, antwortete die Kleine.

„Dann noch eine goldfarbene Steppdecke, mit blauen Sternen gemustert“, fügte Bryony hinzu. „Ich weiß, wo ich die bekommen kann. Die Wände streichen wir ebenfalls golden an und malen ein blau-purpurrotes Fries ringsherum.“ Sie betrachtete den Teppich. „Der muss raus. Dieses Schlammbraun ist einfach widerlich.“

„Aber unempfindlich“, wandte Jack ein. „Diana hat den Bodenbelag ausgesucht und gesagt, er sei sehr pflegeleicht.“

„Darauf kommt es in einem Schlafzimmer nicht an. Nein, ich stelle mir hier einen flauschigen weißen Teppich mit goldenen Sprenkeln vor, in dem man bis zu den Knöcheln versinkt. Dann brauchen wir natürlich Bilder. Bei der Auswahl musst du mir helfen, Maddy. Und wie würde dir ein Kronleuchter gefallen?“

„Was ist das?“, fragte Maddy, von den bisher gemachten Vorschlägen sichtlich begeistert.

„Eine Lampe mit Brillanten dran“, erklärte Bryony scherzend. „Ans Fenster hängen wir hellblaue Vorhänge mit goldenen Streifen, und die Decke streichen wir himmelblau und kleben Sterne drauf, die im Dunkeln schimmern. Na, was hältst du davon, Maddy?“

Maddys leuchtende Augen beantworteten die Frage unmissverständlich.

So, was fehlt noch? überlegte Bryony und sah zu dem Koffer auf dem Stuhl.

„Ich möchte nicht auspacken“, sagte Maddy, als sie bemerkte, wohin Bryony blickte.

„Das verstehe ich. Braun passt aber nicht gut zu Purpur.“ Bryony runzelte die Stirn. „Oh, ich glaube, ich hab’s. Wir besorgen dir einen Schrankkoffer.“

„Was ist denn das?“

„Ein sehr großer Koffer mit Schubladen drin. Wenn man ihn auf die Seite stellt und öffnet, hat man so was wie eine Kommode. Du legst deine Sachen da rein, und wenn du verreisen möchtest – zum Beispiel, um deine Mom zu besuchen –, machst du einfach den Deckel zu, und schon hast du wieder einen Koffer. Fertig gepackt.“

„Ich … Ich …“ Maddy fehlten die Worte. Jack erging es ebenso. Er blickte Bryony an, als könnte er seinen Augen nicht trauen.

„Würde das alles zu teuer für Sie?“, fragte sie, plötzlich besorgt. Myrna hatte doch behauptet, er sei reich. Und um Maddy Freude zu machen, lohnte es sich, Geld auszugeben. „Ich kann Ihnen einige der Sachen zum Selbstkostenpreis beschaffen, und statt einen Schrankkoffer anfertigen zu lassen, könnten wir einen aus zweiter Hand auftreiben. Am besten mache ich Ihnen einen Kostenvoranschlag, und Sie können dann überlegen, welche Ideen Sie verwirklichen lassen wollen. Mr. Morgan.“

„Was möchtest du denn, Maddy?“, fragte Jack wie benommen. „Du wolltest ja nicht mal die Wände rosa gestrichen haben. Gefallen dir Bryonys Vorschläge?“

„Ein ganz dicker Teppich?“, fragte Maddy zögernd. „Und Brillanten an der Lampe?“

„Eigentlich ist ein Kronleuchter aus Kristallglas gemacht“, erklärte Bryony, aus Rücksicht auf Jack. „Das kostet gar nicht so viel, wie man denkt.“

„Glaubst du, Jessie würde noch hier schlafen wollen, wenn wir alles verändern?“ Maddy wandte sich ängstlich Jack zu.

Um seine Lippen zuckte es. „Warum nicht? Übrigens, wo steckt sie eigentlich?“

„Ich habe Harry mitgebracht.“ Bryony lächelte entschuldigend. „Die beiden sind zusammen im Garten. Natürlich habe ich darauf geachtet, das Tor zu schließen, damit die Hunde nicht rauskönnen.“

„Sie haben Harry mitgebracht?“, wiederholte Jack.

„Ja, er liebt Jessie nämlich“, erwiderte sie. „Und er hat keine anderen Freunde.“

„Warum wohl nicht?“, fragte er ironisch.

„Sie brauchen meinen Hund nicht schlechtzumachen“, wies sie ihn zurecht und zog ein Maßband aus der Hosentasche. „Wenn Sie mit Maddys und meinen Plänen für das Zimmer einverstanden sind, Mr. Morgan, dann seien Sie doch so freundlich, und helfen Sie mir, den Raum auszumessen.“

„Wir haben noch nichts bestellt“, sagte Jack.

„Das weiß ich. Ich brauche die Maße für den Kostenvoranschlag.“

„Wir bezahlen Sie aber in jedem Fall für Ihre Beratung, oder?“

„Nein“, erwiderte Bryony kurz angebunden. „Maddy ist meine Freundin, deshalb berate ich sie gratis. Sie können gern meine Vorschläge übernehmen und selbst ausführen. Ich würde sogar beim Streichen helfen, falls Sie es möchten. Sie können sich natürlich jetzt gleich von mir verabschieden, dann schulden Sie mir keinen einzigen Cent.“

Ja, das könnte ich tun, dachte Jack.

Maddy und Bryony sahen ihn an, und beide wirkten beklommen.

„Wisst ihr was? Wir messen jetzt erst mal das Zimmer aus und diskutieren alles Weitere, während wir die restlichen Brötchen essen“, schlug er endlich vor.

Bryony strahlte ihn an. „Das klingt prima.“

Nachdem sie die Brötchen gegessen hatten, waren noch einige Fragen offengeblieben. Trotzdem meinte Bryony, es sei an der Zeit, nach Hause zu fahren. Sie stand auf und wollte sich verabschieden. Jack überlegte fieberhaft, wie er sie dazu bewegen könnte, noch länger zu bleiben. Seine Tochter kam ihm zu Hilfe.

„Sollen wir Bryony die Farm zeigen?“, fragte Maddy eindringlich und sprang von ihrem Stuhl auf. „Wir könnten die Pferde nehmen. Bryony, kannst du reiten?“

„Natürlich.“

Jack sah seine Tochter verblüfft an. „Du magst aber doch keine Pferde, Maddy.“

„Ich mag Dianas Ponystute nicht“, erwiderte Maddy. „Sie ist fett und will nicht laufen, und wenn man versucht, sie zu streicheln, beißt sie.“

„Diana hat sie extra für dich hergebracht, damit du reiten lernst.“

„Ich mag sie nicht.“ Es war nicht ganz klar, ob Maddy sich auf Diana oder die Stute bezog. „Außerdem kann ich reiten. Mir gefällt dein Pferd, das Jezebel heißt.“

„Jezebel?“ Jack schüttelte verwirrt den Kopf. „Die ist feurig und schnell und …“

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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