Bianca Weihnachten Band 1

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GIB MEINER SEHNSUCHT EIN ZUHAUSE von CARO CARSON

Kristen hat ihren Mr. Perfect gefunden! Ryan wird sie für immer glücklich machen, sobald er von seinem letzten Rodeo zurückkehrt. Doch ihr Herzenscowboy lässt sich Zeit. Und als er endlich wieder da ist, fragt Kristen sich, ob er wirklich perfekt ist - oder ein schamloser Lügner …

DENN DU GEHÖRST ZU MIR von JULES BENNETT

Wie ein verliebter Teenager starrt Eli sie an - dabei liegt die Jugendzeit lange zurück! Doch kaum sieht er seine wunderhübsche Nora wieder, will Eli sie nur stürmisch küssen. Warum versteht sein Herz nicht, was sein Kopf schon lange weiß: Die Frau seines Lebens gehört einem anderen!

DU BRINGST LACHEN IN MEIN LEBEN von KAREN TEMPLETON

Grant Braeburn erkennt sein Leben kaum wieder, seit sich die lebhafte Mia in seinem luxuriösen Haus um seine kleine Tochter kümmert. Mit der schönen Frau sind Glück und Liebe zurückgekehrt - doch wie lange noch? Denn Grant weiß etwas über sie, das dieses Glück zerstören wird …


  • Erscheinungstag 29.09.2020
  • Bandnummer 1
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500074
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Caro Carson, Jules Bennett, Karen Templeton

BIANCA WEIHNACHTEN BAND 1

CARO CARSON

Gib meiner Sehnsucht ein Zuhause

Kristen hat ihren Mr. Perfect gefunden! Ryan wird sie für immer glücklich machen, sobald er von seinem letzten Rodeo zurückkehrt. Doch ihr Herzenscowboy lässt sich Zeit. Und als er endlich wieder da ist, fragt Kristen sich, ob er wirklich perfekt ist – oder ein schamloser Lügner …

JULES BENNETT

Denn du gehörst zu mir

Wie ein verliebter Teenager starrt Eli sie an – dabei liegt die Jugendzeit lange zurück! Doch kaum sieht er seine wunder-hübsche Nora wieder, will Eli sie nur stürmisch küssen. Warum versteht sein Herz nicht, was sein Kopf schon lange weiß: Die Frau seines Lebens gehört einem anderen!

KAREN TEMPLETON

Du bringst Lachen in mein Leben

Grant Braeburn erkennt sein Leben kaum wieder, seit sich die lebhafte Mia in seinem luxuriösen Haus um seine kleine Tochter kümmert. Mit der schönen Frau sind Glück und Liebe zurückgekehrt – doch wie lange noch? Denn Grant weiß etwas über sie, das dieses Glück zerstören wird …

1. KAPITEL

4. Juli

„Siehst du sie?“

Kristen Dalton hielt sich die Hand schützend über die Augen, aber die Hochzeitskutsche war nicht in Sicht. „Tut mir leid, Schwesterherz. Noch keine Spur von Braut und Bräutigam.“

„Ich bin ja so gespannt auf ihr Hochzeitskleid. Die ganze Stadt redet davon. Bisher habe ich alles von Country Casual bis zum verrückten Kardashian-Style gehört.“

Nichts war unmöglich. Obwohl Kristen und ihre Schwester in einer kleinen, von Ranches umgebenen Stadt am nördlichen Rand von Montana lebten, konnte heutzutage ein Abendkleid aus der Glitzerwelt Hollywoods über Nacht geliefert werden. Seit Wochen hörte Kristen sich geduldig an, wie ihre Zwillingsschwester Kayla sich über das Für und Wider jedes einzelnen Looks ausließ. Heute war der 4. Juli, aber ihre Schwester war so aufgeregt wie ein Kind am Weihnachtsmorgen.

Kristen reichte Kayla ihren Pappbecher, stieg auf den Holzzaun vom angrenzenden Stadtpark und streckte die Hände nach beiden Bechern aus. „Komm, setz dich zu mir. Es könnte noch eine Weile dauern. Vor der Kirche müssen mindestens eine Million Traubs fotografiert werden.“

Kayla nahm neben ihr Platz. „Was für ein schöner Tag für eine Hochzeit.“

Kristen fand es etwas zu warm. Fast dreißig Grad. Sie gab Kayla ihren Becher zurück und trank einen großen Schluck von der eiskalten Hochzeitsbowle.

Zum Glück trugen sie leichte Sommerkleider.

Kaylas Kleid war geblümt mit zarten Spaghettiträgern, und sie hatte die Ohrringe ihrer Großmutter angelegt. Die schimmernden, filigranen Tropfen kamen voll zur Geltung, weil Kayla das Haar meistens hochgesteckt hatte. An Kristen wären sie nicht zu sehen, weil sie das Haar fast immer offen trug. Es war lang und – okay, ich geb’s zu Mom – wehte ihr immer wieder ins Gesicht. Ihre Mutter hatte schon früh aufgegeben und nicht mehr versucht, ihr eine ordentliche Frisur zu verpassen.

Kristen trug gern blaue Sachen, weil sie ihre Augenfarbe betonten. In ihrem Denim-Trägerkleid fühlte sie sich weder süß noch sexy, sondern genau dazwischen. Statt Sandaletten trug sie dazu ihre Westernstiefel, nicht die festen, eingetragenen, in denen sie auf der Familienranch arbeitete, sondern die mit den handgearbeiteten Spiralen im Leder. Die zog sie auch zum Twostepp, Walzer und Squaredance an. Tanzen wollte sie heute unbedingt, vor, während und nach dem Feuerwerk.

Jetzt brauchte sie nur noch den richtigen Cowboy dafür.

Schön wär’s …

… wenn es in Rust Creek Falls einen Cowboy gäbe, den sie noch nicht kannte – und von dem sie nicht bereits wusste, dass er nicht ihr Typ war.

„Ich finde es toll, dass Braden und Jennifer in einer Kutsche kommen“, sagte ihre Schwester. „Nur sie beide, zum ersten Mal als Mr. und Mrs. Traub, am Beginn ihrer Reise durchs Leben, bildlich gesprochen …“

„Und kurz.“ Kristen stieß ihre Schwester mit der Schulter an. „Die Kirche ist nur zwei Blocks entfernt. Und wir sind hier und können Hallo sagen, während wir in Wirklichkeit das neueste Outfit von Mrs. Traub begutachten.“

Kayla warf ihr einen Blick zu. „Es wird erwartet, dass man das Brautkleid bewundert.“

„Ich weiß. Das Warten lohnt sich ganz bestimmt.“

„Wie immer bei den besten Dingen im Leben.“ Kayla klang, als wäre sie fest davon überzeugt.

Kristen stieß mit den Stiefelabsätzen gegen die untere Zaunplanke, trank die Bowle aus und hob das Haar an, um den Nacken zu kühlen. „Ich hoffe, die Kutsche sieht spektakulär aus.“

„Ich habe gehört, dass Sutter Traub zwei echte Schimmel aufgetrieben hat, und die zweisitzige Kutsche haben sie von einer Farm südlich von Kalispell geholt. Paige und Lindsay haben Unmengen weißes Band gekauft und die ganze Woche Schleifen gebunden.“

„Wow.“ Kristen war beeindruckt, was ihre Schwester alles wusste. Sie selbst hatte nur gehört, dass das Brautpaar in einer Kutsche von der Kirche zum Park fahren würde. „Du hast schlimmeres Hochzeitsfieber als alle anderen, und da die ganze Stadt zum Empfang kommt, will das schon etwas heißen.“

Kristen hörte auf, mit den Absätzen gegen den Zaun zu trommeln. Das dumpfe Geräusch konnte selbst einem eineiigen Zwilling, der Kristens rastloses Wesen besser als jeder andere verstand, irgendwann auf die Nerven gehen.

Erwartungsvoll blinzelten die Schwestern die Buckskin Road entlang, von der Julisonne geblendet, vorbei an ihrer alten Highschool. Dort war schon früher jedes Kind in Rust Creek Falls zur Schule gegangen, und so war es noch immer. In einer Kleinstadt änderten sich manche Dinge nie, und das war Kristen ganz recht.

Sie hatte an der Universität von Montana studiert, einen Abschluss in Theaterwissenschaft gemacht und einen Sommer als unbezahlte Praktikantin in New York City verbracht, aber hier fühlte sie sich am wohlsten. Großstädte waren eine interessante Abwechslung, aber Rust Creek Falls unter dem endlosen Himmel von Montana war ihre Heimat und würde es immer bleiben.

Kleinstadt bedeutete nicht Langeweile. Die Dinge waren immer im Wandel. Im Rathaus ging es manchmal so hoch her, dass die große Politik in Washington dagegen friedlich wirkte. Trotzdem hatten alle Einwohner mit angepackt, um den Teil der Stadt wieder aufzubauen, der vor einigen Jahren einer Flut zum Opfer gefallen war. Old Bledsoe’s Folly, eine verlassene kleine Siedlung in den Bergen, war jetzt ein schickes Resort, und demnächst sollte dort die erste Skipiste angelegt werden.

Aber am spannendsten waren die Menschen von Rust Creek Falls. Vielleicht lag es am endlosen Himmel von Montana, dass viele, die beim Wiederaufbau geholfen hatten, hiergeblieben waren. Kristen schaute nach oben und suchte nach Flugzeugen – einem ganz bestimmten Flugzeug, um genau zu sein.

Das hatte sie sich angewöhnt, weil sie geglaubt hatte, dass ihre wahre Liebe vom Himmel zu ihr herabgeschwebt war. Leider hatte der attraktive Verkehrspilot einer Regionalfluglinie sich als Herzensbrecher der übelsten Sorte erwiesen. Wie ein Matrose mit einem Mädchen in jedem Hafen hatte er in jeder Stadt, die er anflog, eine Freundin gehabt. Kristen konnte noch immer nicht fassen, dass sie auf diesen Kerl hereingefallen war.

Ihre Schwester stieß sie wieder an. „Fliegt er an den Wochenenden jetzt Kalispell an?“

Typisch Kayla. Ihr entging nichts. Nicht mal ein Blick zum Himmel.

Kristen rümpfte die Nase. „Ist mir doch egal, wo der Mistkerl landet und was er dort tut. Wie konnte ich nur so dämlich sein?“

„Oder bei wem er landet.“

„Du solltest Schriftstellerin werden.“ Kristen trommelte weiter gegen das Geländer. „Soll er doch belügen, wen er will, mich jedenfalls nicht mehr. ‚Ich wünschte, ich könnte noch bleiben. Leider kann ich dich ein paar Tage lang nicht anrufen. Du weißt, dass ich viel lieber bei dir wäre, aber dieser Job lässt mir einfach nicht genug Zeit.‘ Ich war so gutgläubig. Unfassbar, dass ich ihn nicht durchschaut habe.“

„Du warst verliebt.“

„Aber jetzt bin ich es nicht mehr.“ Sie warf das Haar über die Schulter. „Ich will tanzen und mit einem oder zwei gut aussehenden Fremden flirten, aber verlieben werde ich mich nicht.“

„Nie wieder?“

„Für sehr lange Zeit nicht. Ganz bestimmt nicht heute.“

Kayla sagte nichts.

Erst nach einem Moment merkte Kristen, dass ihre Schwester sie anstarrte. Ruckartig drehte sie sich zu ihr um. „Was ist denn?“

„Du solltest das Schicksal nicht herausfordern.“

„Hör auf. Ich bekomme eine Gänsehaut.“ Kristen sprang vom Zaun. Obwohl er nicht hoch war, stolperte sie und wäre fast hingefallen. Normalerweise war sie so beweglich wie eine Katze, und dass sie das Gleichgewicht verlor, kam ihr … komisch vor? Ja, es war komisch. Sie lachte unbeschwert. „Du bleibst hier und hältst nach der Kutsche Ausschau. Ich hole uns noch mehr Bowle. Gib mir deinen Becher.“

Als Kayla ihr den Becher reichte, rutschte sie vom Zaun und fiel gegen Kristen. Sie brachen beide in fröhliches Kichern aus, einfach so.

„Was glaubst du, was in der Bowle ist?“, fragte Kristen. „Wir hatten doch nur einen Becher.“

„Keine Ahnung, aber bleib bei mir. Sieh einfach die Straße entlang und warte darauf, dass dir die Liebe deines Lebens über den Weg läuft.“

Ryan Roarke parkte seinen roten Porsche zwischen zwei großen, staubigen Pick-ups. Der schnelle Sportwagen passte nach Los Angeles, aber nicht hierher. Ryan war nach Montana gekommen, um Los Angeles für eine Weile hinter sich zu lassen. Als er seine Assistentin gebeten hatte, ihm am Glacier Park Airport einen luxuriösen Mietwagen zu reservieren, hatte er mit dem üblichen Geländewagen gerechnet, einem Land Rover oder Audi mit Skiträgern. So einen fuhr er immer, wenn er seinen Bruder in Thunder Canyon besuchte, dem noblen Skiort in einem anderen Teil Montanas.

Aber sie hatten Juli, die Straßen waren frei, und die Angestellte am Schalter hatte ihm freudestrahlend die Schlüssel für den Porsche überreicht. Obwohl er viel lieber die Stirn gerunzelt und einen anderen Wagen verlangt hätte, hatte er sich ein dankbares Lächeln abgerungen.

Jetzt zog er eine Grimasse. Der schicke Wagen war hier so fehl am Platz, dass man Ryan vermutlich für einen Mann in der Midlife-Crisis hielt. Er stellte den Motor ab, stieg aus und kam sich neben dem flachen Gefährt wie ein Riese vor. Die missbilligenden Blicke einiger Cowboys erwiderte er ebenso abweisend.

Ryan wusste, wozu eine Midlife-Crisis führte – zu viele seiner Anwaltskollegen verjubelten das Erbe ihrer Kinder für teure Sportwagen, um die Mutter der Kinder durch ein Starlet nach dem anderen zu ersetzen. Er hatte keine Ahnung, wie sich eine Midlife-Crisis anfühlte. Er war erst dreiunddreißig und überzeugter Junggeselle. Er versuchte nicht, auf Frauen wohlhabender, einflussreicher oder attraktiver zu wirken, als er war.

Ryan arbeitete in einer renommierten Anwaltskanzlei in Los Angeles, die in zweiter Generation erfolgreich war. Er besaß bereits Sportwagen, die unvermeidliche Rolex und die dazugehörigen Maßanzüge. Selbst im Gerichtssaal war eine athletische Figur vorteilhaft, deshalb hielt er sich in Form, indem er mit Personal Trainers boxte und an exklusiven Stränden surfte. Und was junge blonde Starlets anging, so fanden sie ihn auch attraktiv, ohne dass er sich anstrengen musste.

Nein, er hatte definitiv keine Midlife-Crisis.

Warum stehe ich dann hier herum, in der kleinsten aller Kleinstädte, mitten auf dem Land, über tausend Meilen von zu Hause entfernt?

Eigentlich sollte er auf einer Jacht sitzen, mit anderen Millionären Mojitos trinken und darauf warten, dass die Sonne im Pazifik versank und ein sündhaft teures Feuerwerk begann, das einem Hollywoodfilm zur Ehre gereicht hätte. Eine Cheerleaderin der Lakers war besonders enttäuscht, dass er seine Pläne geändert hatte. Aber die Gerichte hatten wegen des Feiertags schon am Freitag geschlossen, und seit zwei Jahren nutzte Ryan fast jedes verlängerte freie Wochenende, um nach Montana zu fliegen.

Zum ersten Mal war er wegen seines Bruders nach Big Sky Country gekommen. Shane Roarke war ein prominenter Sternekoch, ein Mann, dem aufgrund seiner dynamischen Persönlichkeit und seiner kulinarischen Fähigkeiten die Welt offenstand. Shane hatte überall auf der Welt Restaurants eröffnet, aber leben wollte er nur in Montana.

Wie Ryan war auch Shane adoptiert worden. Shane hatte seine Familie in Thunder Canyon gefunden. Zwei Halbbrüder, dreizehn Cousins und Cousinen – und die Liebe seines Lebens. Sie hatte vor seinen Augen in seinem Restaurant im Resort von Thunder Canyon gearbeitet.

Das würde Ryan nicht passieren, weder in Montana noch sonst irgendwo. Im Unterschied zu Shane war Ryan nicht gleich nach der Geburt adoptiert worden, sondern erst mit fast vier Jahren, zu jung, um viele Erinnerungen an seine Mutter zu haben, aber alt genug, um noch ein oder zwei bleibende Bilder und Eindrücke im Kopf zu haben.

Gefühle.

Und den einen klaren Moment, in dem seine Mutter ihn für immer verlassen hatte.

Er liebte nur eine Familie: die Roarkes. Seine Adoptiveltern Christa und Gavin Roarke, seinen Bruder Shane und seine jüngere Schwester Maggie.

Maggie lebte hier in Rust Creek Falls, etwa 300 Meilen nördlich von Thunder Canyon. Sie war jetzt verheiratet und hatte vor drei Monaten ihr erstes Baby bekommen.

Anders als Thanksgiving oder Weihnachten war der 4. Juli kein großes Familienfest. Wegen des dichten Verkehrs auf der Fahrt zum Flughafen von L. A., der Sicherheitskontrollen und des Umsteigens auf dem 1000-Meilen-Flug war die Reise für Ryan kein Wochenendtrip. Niemand konnte verlangen, dass man neun oder zehn Stunden unterwegs war, um einen einzigen Tag im Juli bei der Familie zu verbringen. Aber Maggie hatte am Telefon erwähnt, dass die ganze Stadt die Hochzeit eines ihm flüchtig bekannten Paars feiern wollte. Deshalb hatte er einen Flug gebucht.

Ein anderes Gefühl, ein anderer Impuls: Eine Hochzeit in Rust Creek Falls? Ich sollte dabei sein.

Er folgte einer spontanen Eingebung. Benahm er sich damit ebenso schlimm wie die Anwälte, die tatsächlich in einer Midlife-Crisis steckten?

Maggie hatte ihm erzählt, dass die beiden in der Kirche heirateten, ganz feierlich mit fünf Brautjungfern und Männern im Smoking. Daher trug Ryan Anzug und Krawatte. Natürlich besaß er einige Smokings, aber da die Hochzeit am Nachmittag stattfand und er einer von vielen Gästen war, wäre er im Smoking wohl overdressed gewesen.

Auf dem Weg vom Parkplatz nickten ihm einige Einheimische neugierig, aber höflich zu, und er grüßte zurück. Mit dem Smoking hatte er recht gehabt, aber selbst im Anzug war er offenbar zu gut angezogen. Der Hochzeitsempfang war zugleich das Barbecue der Stadt zum 4. Juli, und er kam sich auf der großen Rasenfläche inmitten von Cowboys in Jeans und Cowgirls in Sommerkleidern reichlich deplatziert vor.

Er blieb in der Nähe der Bühne und der hölzernen Tanzfläche stehen. Das Brautpaar war noch nicht eingetroffen, aber die Band spielte sich bereits warm, und es gab Drinks. Ein älterer Mann kam auf ihn zu und reichte ihm einen Pappbecher mit Hochzeitsbowle. Ryan bedankte sich belustigt. Offenbar sah er aus, als würde er einen Drink brauchen, so allein zwischen all den fröhlich feiernden Menschen.

Er war allein, aber nur, weil Maggie und ihr Mann noch zu Hause darauf warteten, dass ihr Baby endlich einschlief und sie rechtzeitig zum Feuerwerk in den Park kommen konnten. Dass er allein war, bedeutete aber nicht, dass er sich einsam fühlte. Ryan trank einen Schluck und wünschte, er hätte es nicht getan. Es war ein schrecklich süßes Gebräu aus Fruchtsaft und Sekt, das er unter normalen Umständen niemals getrunken hätte. Er konnte das Zeug nicht einfach ins Gras kippen, denn das hier war eine Kleinstadt, und wenn er Pech hatte, stand er in Sichtweite der Großmutter oder jungen Lady, die die Bowle zubereitet hatte. Er wollte ihr nicht das Herz brechen.

Wenn es etwas gab, was Ryan auf keinen Fall sein wollte, war es ein Herzensbrecher. Bestimmt ärgerte sich sein Laker Girl über ein ausgefallenes Wochenende auf der Jacht, aber sie würde es verschmerzen. Wie alle seine bisherigen Gespielinnen. In L. A. fand er oberflächliche, schmerzlose Beziehungen ideal, hier hingegen kamen sie ihm vor wie … zu wenig.

Er trank den Becher aus. Auf dem Weg zum Müllcontainer ging er am Tisch mit der Bowle vorbei und wurde von drei reizenden Großmüttern angesprochen.

„Oh, Sie haben sich aber hübsch gemacht.“

„Warten Sie auf jemanden? Ein attraktiver junger Mann wie Sie kommt doch bestimmt nicht allein zu einer Hochzeit.“

„Wir haben um die dreißig Grad. Ich wette, Sie schwitzen in Ihrem Anzug, auch wenn Sie darin wirklich sehr schick aussehen.“

Er war nicht überhitzt. In Los Angeles herrschten manchmal fast 40 Grad, und er trug trotzdem einen Anzug, wenn er von der Kanzlei ins Gericht und zurück fuhr. Um ihn ins Schwitzen zu bringen, brauchte es mehr als ein Thermometer. Trotzdem war er ihnen für ihre mütterliche Besorgnis dankbar. Die Frauen hatten unzählige Lachfalten im Gesicht und blitzende blaue Augen. Sie erinnerten ihn unwillkürlich an liebenswerte Figuren aus Grimms Märchen.

„Kommen Sie, mein Junge, ich fülle Ihren Becher wieder auf.“ Sie hob die Kelle.

Er winkte ab. „Nein danke.“

Alle drei Frauen hielten abrupt inne und musterten ihn mit zusammengekniffenen Augen. Wo waren die Märchengestalten geblieben?

„Seien Sie nicht albern. Der Tag ist heiß, und die Bowle ist kalt.“

Das hier war Montana, das Land der Grizzlybären und Großmütter. Im Moment gab es zwischen ihnen keinen großen Unterschied. Wenn man einem Bären gegenüberstand, reizte man ihn nicht. Ryan rang sich ein Lächeln ab und ließ schicksalsergeben zu, dass sie seinen Becher auffüllten.

„Vielen Dank.“ Er prostete ihnen zu, trank einen großen Schluck, um sie glücklich zu machen, und ging weiter.

Aber wohin? Hatte er ein Ziel?

Natürlich, der Müllcontainer. Sonst gab es nichts, sonst hatte er niemanden.

Plötzlich verschwamm seine Umgebung, und er sah Sterne, als hätte er im Boxring einen Volltreffer abbekommen. Ein technischer Knock-out. Er tastete nach dem Zaun und hielt sich daran fest. Das Holz fühlte sich rau an. Nein, er war nicht betrunken, nicht von einem Becher Sekt mit Saft. Trotzdem fühlte er sich …

Nutzlos.

Maggie war mit ihrem Mann zusammen, Shane mit seiner Frau. Selbst seine Eltern lebten in Kalifornien noch immer zusammen. Die beiden planten ihren Ruhestand, wollten endlich viel reisen und freuten sich auf die gemeinsame Zeit als Christa und Gavin, nachdem sie jahrzehntelang nur Mom und Dad gewesen waren.

Einsam.

Er war 1000 Meilen gereist. Und wozu? Um ein Fremder in einem fremden Land zu sein? Er sah sich um, ohne den Zaun loszulassen. Überall hatte jeder jemanden. Kinder hatten Großeltern. Ehemänner hatten Ehefrauen. Teenager hatten einander. Die Mädchen spielten mit ihrem Haar, tuschelten und redeten und sahen die Jungen an. Die Jungen gaben sich so männlich wie möglich, standen mit verschränkten Armen da oder probierten den wiegenden Gang der Cowboys, aber immer in Gruppen.

In dieser Stadt gab es keine Außenseiter und keine Einzelgänger. Das erste Mal war Ryan hier gewesen, nachdem die Flut die südliche Hälfte der Stadt zerstört hatte. Seine Schwester hatte den Betroffenen geholfen, ihre Ansprüche bei den Versicherungen geltend zu machen. Maggie war so fleißig gewesen, dass sie keinen zweiten Rechtsanwalt gebraucht hatten. Also hatte er sich Arbeitshandschuhe geschnappt, statt seines juristischen Verstandes seine Muskeln eingesetzt und beim Aufräumen geholfen.

Ohne viele Worte schloss er sich einem Trupp von Männern und Frauen an und warf einen Backstein, ein Holzbrett, einen Fensterrahmen nach dem anderen in den Container. An einem einzigen Tag beseitigten sie die Trümmer eines ganzen Hauses, um Platz für ein neues Haus und einen neuen Traum zu schaffen. Danach nickten sie einander freundlich zu und gingen ihrer Wege, um zu essen, sich auszuruhen und am Tag darauf wieder zum Einsatz zu erscheinen. Noch nie hatte Ryan sich so sehr als Teil einer Gemeinschaft gefühlt.

Jetzt starrte er auf den Zaun unter seiner Hand. Auch deshalb kam er immer wieder her. Einen Tag lang hatte er einfach dazugehört. Niemanden hatte interessiert, in welcher Kanzlei er als Anwalt arbeitete, was für ein Haus in welchem Teil von L. A. er sich leisten konnte oder welche wohlhabenden Mandanten ihn übers Wochenende auf ihre Jacht einluden. Er war nicht weiter aufgefallen. Kein Mensch hatte aufdringliche Fragen gestellt, und es hatte ihm gefallen.

Aber jetzt brauchen sie mich nicht.

Wie so oft wehrte er sich gegen die deprimierende Vorstellung, denn sie erinnerte ihn an den kleinen Jungen, dessen Mutter ihn nicht in ihrem Leben gewollt hatte. Er war kein verstoßenes Kind mehr. Er war ein Roarke, ein einflussreicher Anwalt aus einer einflussreichen Familie, und wenn er etwas wollte, bekam er es auch.

Jetzt musste er nur noch wissen, was er wollte.

Er holte tief Luft, packte die Zaunplanke fester und schaute auf seine Hand, bis der Nebel in seinem Kopf sich lichtete. Langsam hob er den Blick und konnte kaum glauben, was er gerade dachte. Die Idee, die ihm kam, nahm immer konkretere Formen an. Was, wenn er einen neuen Weg im Leben beschritt? Wenn er nicht nur für ein langes Wochenende nach Montana gekommen war? Konnte er hier leben? Würde er dazugehören oder immer nur am Rand einer engen Gemeinschaft bleiben?

Sein inzwischen wieder klarer Blick folgte dem Zaun, bis er etwa dreißig Meter weiter zwei Frauen in blauen Sommerkleidern erfasste. Sie saßen auf der obersten Planke, mit dem Rücken zur Festgesellschaft. Die mit dem langen, offenen Haar warf den Kopf zurück und lachte über etwas, das die andere sagte. Obwohl sie am Rand der Wiese saß, war sie glücklich.

Glücklich, weil sie nicht allein ist.

Auch Shane und Maggie waren in Montana glücklich, weil sie nicht allein waren. Ehe und Kinder waren nichts für Ryan. Er bezweifelte, dass er einen guten Ehemann und Vater abgeben würde, und verspürte auch nicht gerade den brennenden Wunsch, einer zu werden. Er ließ den Zaun los, kehrte zum Porsche zurück und lockerte unterwegs die Krawatte. Vielleicht suchte er hier etwas, aber Liebe war es nicht.

Wenn er sein Leben so dramatisch änderte, wenn er aus L. A. in eine Kleinstadt zog, würde er es als unabhängiger, eigenständiger Mann tun. Und er musste ausprobieren, ob es ihm hier gefiel. Heute, nur heute, würde er so tun, als gehörte er hierher. Er würde Grillfleisch essen, mit einigen einheimischen Mädchen tanzen und entscheiden, ob es sich inmitten von Großfamilien und verbeulten Pick-ups besser lebte als in Villen und auf Jachten an der Küste Kaliforniens.

Falls es so war, würde er aus der Kanzlei ausscheiden und für immer nach Montana umziehen.

Und wenn sie mich jetzt, da sie mich nicht brauchen, nicht mögen?

Er verdrängte den verunsichernden Gedanken und öffnete den Kofferraum, um seinen Koffer herauszuholen. Der Kofferraum beim Porsche war vorn, der Motor hinten, womit der Sportwagen auf dem staubigen Parkplatz so sehr auffiel wie sein Fahrer. Aber er konnte sich umziehen. Er hatte die Jeans, in denen er in Thunder Canyon Quad fuhr, und die Stiefel mit, in denen er nach der Flut geholfen hatte.

Falls die Stadt ihn abweisend behandelte, wie jemanden, der nicht mehr gebraucht wurde, was sollte es? Er hatte schon Schlimmeres verkraftet und würde mit allem fertigwerden, was ihn hier erwartete.

Ryan nahm die Rolex ab, legte sie in den Kofferraum und knallte die Klappe zu.

2. KAPITEL

„Jetzt dauert es nicht mehr lange. Die Band stimmt ihre Instrumente.“

Endlich. Der leichte Schwips von der kräftigen Bowle ließ langsam nach, und Kristen fühlte sich mehr als nüchtern. Ihre Stimmung war geradezu ernst, während sie es sich auf dem Zaun so bequem wie möglich machte.

Sie musste ihr Leben wieder auf den richtigen Kurs bringen. Irgendetwas fehlte ihr. Sie war fünfundzwanzig, eine College-Absolventin mit einer Leidenschaft fürs Theater, aber sie verbrachte ihre Tage damit, zur Futtermittelhandlung zu fahren und noch immer auf der Ranch zu arbeiten, wie damals, als sie zur Junior High gegangen war. Nicht dass sie ihre Wurzel verlieren wollte, ihre Familie, die Ranch, diese Stadt, sie wollte nur mehr. Die Chance, ihre Theaterleidenschaft auszuleben. Und auch die echte Leidenschaft, mit jemandem, der ihr den Kopf verdrehte und ihr Herz eroberte, anstatt darauf herumzutrampeln.

Vielleicht lag die schlechte Stimmung an dem Flugzeug am Himmel, das sie daran erinnerte, wie schwer ein guter Mann zu finden war. Vielleicht beneidete sie den Piloten, der eine Heimatbasis hatte, aber auch die Freiheit, zu fliegen und die Welt zu erkunden. Hätte ihr Pilot die Welt doch nur nicht mit anderen Frauen in anderen Städten erkundet …

Sie war dabei, im Selbstmitleid zu ertrinken.

Die Band begann mit dem ersten Song des Nachmittags. Kristen blickte über die Schulter zur leeren Tanzfläche hinüber. Wenn sonst niemand tanzte, würde sie eben damit anfangen. Wenn es etwas gab, das Kristen aus der Trübsal holte, war es eine Party.

Dämliches Flugzeug.

Die Hochzeitskutsche erschien am Ende des Blocks, weiße Schleifen flatterten, und die schneeweiße Mähne eines Pferdes wehte in der leichten Brise. Wäre Cinderella ein Cowgirl gewesen, wäre dies ihre gläserne Kutsche gewesen.

„Wow.“

Als die Kutsche sich näherte, hatte Kristen auf einmal einen dicken Kloß im Hals und musste schlucken. Der Bräutigam, der wie sie in Rust Creek Falls geboren und aufgewachsen war, sah wie verwandelt aus. Brad Traub war kaum wiederzuerkennen. Im Smoking mit schwarzem Cowboyhut hielt er die Zügel locker in den Händen und ließ die Braut nicht aus dem Augen. Aber Kristen wusste, dass er das Gespann binnen Sekunden wieder unter Kontrolle hätte, wenn es durchging. Für seine Braut bestand nicht die geringste Gefahr.

„Ich will, was die beiden haben“, sagte ihre Schwester leise und andächtig.

„Ich auch.“

Kristen legte den Kopf an Kaylas Schulter. Ihre Schwester war immer die Ernstere von ihnen gewesen, aber in diesem Moment war Kristen den Tränen nahe.

Ich will einen Cowboy, der zuverlässig und stark ist, nur für mich Augen hat und mich liebt, bis der Tod uns scheidet.

Sie liebte ihre Familie. Sie liebte ihre Heimatstadt. Und eines Tages, so schwor sie sich, würde sie einen Cowboy lieben, der ehrlich und aufrichtig war.

Sie musste ihn nur noch finden.

„Keine Großstadttypen mehr für mich“, flüsterte Kristen. „Ich will einen echten Mann, sonst bleibe ich ewig Single.“

„Auf die wahre Liebe.“ Kayla hob ihren Becher.

Kristen wusste, dass Kayla sie aufmuntern wollte, daher straffte sie sich und stieß mit ihr an. „Auf die wahre Liebe. Schade, dass wir keine Bowle mehr haben.“

Sie sprangen vom Zaun und folgten der wachsenden Menge in die Mitte des Parks. Als Braden die Kutsche anhielt, applaudierten alle, und einige Leute fragten belustigt, warum sie so lange gebraucht hatten. Die Braut raffte ihre Röcke, um von der hohen Sitzbank zu steigen.

„Ich gehe auf die andere Seite, um mir ihr Kleid genauer anzusehen, okay?“

„Viel Spaß“, sagte Kristen, als Kayla davoneilte.

Braden band die Zügel fest und zog die Bremse an, und zwei Cowboys hielten die Pferde, als er von der Kutsche sprang. Einer von ihnen war Sutter Traub, der Pferdeflüsterer der Stadt, und der andere war …

Der Cowboy.

Kristens Herz begann zu klopfen, und ihr stockte der Atem. Der Cowboy! Sie hatte ihn sich gewünscht, und jetzt war er hier, so kurz nach ihrem Schwur, dass sie es kaum glauben konnte.

Er war real, ein Mann, den sie noch nie gesehen hatte, und beruhigte das Pferd, während Braden seiner Braut aus der Kutsche half. Der Cowboy – ihr Cowboy – war der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte. Groß, dunkles Haar, athletisch, aber das allein reichte nicht aus, um ihn treffend zu beschreiben, als er mit den anderen Männern sprach und zugleich das Pferd beruhigte. Der Cowboy strahlte eine Autorität aus, die bestimmt daher stammte, dass er ein Leben lang mit jeder Herausforderung fertiggeworden war, die Land und Vieh für ihn bereithielten.

Kristen ließ den Blick von seinen Stiefeln und Jeans zum weißen Button-down-Hemd wandern. Er war für ein Picknick etwas zu elegant gekleidet, aber vermutlich war er in der Kirche gewesen. Die Ärmel waren aufgekrempelt, die Unterarme muskulös.

Er war gebräunt, aber das waren die meisten Rancher, die im Freien arbeiteten. Sein fast pechschwarzes Haar war kurz, aber gewellt. Es musste herrlich sein, mit den Fingern hindurchzustreichen. Wenn er ihr gehörte, hätte sie das Recht, ihn zu berühren.

Sie schaute von den breiten Schultern zu den kräftigen Händen, die das Zaumzeug hielten. Wenn er ihr gehörte, dürfte sie ihn überall berühren. Überall.

Ihre Finger kribbelten.

Er trug keinen Cowboyhut, aber das war nicht ungewöhnlich. Jeder zweite Cowboy trug in der Freizeit keinen. Viele Männer trügen Basecaps mit albernen Aufschriften, aber nicht ihr Cowboy. Das wäre nicht sein Stil. Er sah … nicht aus wie einer der Cowboys aus der Gegend.

Weil er nicht von hier ist.

Sonst wäre er Kristen längst aufgefallen.

Wer bist du?

Er schaute in ihre Richtung, als hätte er die Frage gehört. Über die Nase des Schimmels hinweg und zwischen den vielen Zuschauern hindurch trafen sich ihre Blicke.

Die Menschen, das Picknick und die Party verschwammen. Kristen fühlte nichts als die Hitze in seinen dunkelbraunen Augen. Er musterte sie so gründlich, wie sie ihn betrachtet hatte. Sein Blick glitt über ihre nackten Schultern, den Ausschnitt ihres Trägerkleides bis zu den Stiefeln, und seine Lippen zuckten. Es entging ihr nicht, denn sie hatte keine Sekunde weggesehen. Sie war keine Mimose. Er zog eine Braue hoch. Mit einer lässigen Bewegung warf sie das Haar über die Schulter.

Über die Menge hinweg lächelten sie einander an. Kristen wusste, dass sie beide zueinanderpassten. Das Lächeln sprach Bände.

Ohne Vorwarnung warf das Pferd den Kopf hoch. Das Zaumzeug glitt ihm aus der Hand, und der Cowboy bekam einen Stoß gegen den Kiefer. Natürlich hatte er den Schimmel sofort wieder im Griff, aber als er Kristen ansah, zuckte sein Mundwinkel in der Andeutung eines verlegenen Lächelns.

Kaum zu glauben. Ich habe gerade einen Cowboy dazu gebracht, die Kontrolle über ein Pferd zu verlieren.

Zufrieden ging Kristen zum Pavillon und dem Tisch mit der Bowle. Es war höchste Zeit, zwei neue Becher zu holen und den Mann ihrer Träume kennenzulernen.

Auf dem Weg zur Bühne mit dem Rest der Hochzeitsgesellschaft rieb sich Ryan den Kiefer.

Das Pferd hatte ihn so hart getroffen wie der beste Boxer, mit dem er je im Ring gestanden hatte. Ryan war froh, dass er an solche Treffer gewöhnt war. Nur deshalb hatte er es geschafft, auf den Beinen zu bleiben und sich nicht vor der hinreißenden Frau zu blamieren, die ihn abgelenkt hatte. Jedenfalls hoffte er das. Sie war in der Menge verschwunden.

Dies war eine kleine Stadt. Er würde sie wiederfinden.

Der Bandleader beugte sich zum Mikrofon. „Ladies and Gentlemen, ich bitte Sie um ihre Aufmerksamkeit für den Bürgermeister von Rust Creek Falls, Collin Traub.“

Noch ein Traub. War jeder in der Stadt mit dem Brautpaar verwandt? Und mit Ryans Bruder?

Ein Mann in Ryans Alter betrat unter Applaus die Bühne. Ryan starrte auf die Hinterköpfe vor ihm, noch immer auf der Suche nach dem langen Haar einer ganz bestimmten Frau.

Nach einem Moment schaute der Anwalt in ihm wieder zur Bühne hinauf. Falls er ernsthaft vorhatte, in diesen Ort zu ziehen, sollte er den Bürgermeister genauer unter die Lupe nehmen. In einer Stadt, die unflexible oder unfähige Leute wählte, würde er nicht erfolgreich arbeiten können. Der Bürgermeister gehörte zur Hochzeitsgesellschaft und trug einen Smoking, natürlich nicht mit Fliege, sondern mit Westernkrawatte. Die Männer hier blieben selbst in förmlichem Outfit immer Cowboys. Die Ansprach des Bürgermeisters war sachlich, freundlich und zum Glück kurz.

Denn Ryan konnte sich auf nichts anderes konzentrieren als darauf, wie er die Frau wiedersehen konnte. Ihr Haar hatte im Sonnenlicht geschimmert wie ein Heiligenschein, und jetzt suchte er nach einem Braunton mit Elementen von Gold, Karamell oder Honig oder etwas Köstlichem aus der Küche seines Bruders.

Unglaublich. Er wurde poetisch. In seiner Fantasie sah er, wie er die Hände in ihrem vollen Haar vergrub und sie vom Kissen aus zu ihm aufblickte, ihre Freude ein Teil seiner …

Reiß dich zusammen, Ryan.

Er musste damit aufhören. Dieser Tag wurde immer seltsamer. Lag es am Stress der Reise oder an dem Anblick eines glücklichen Brautpaars? Er wusste es nicht. Vielleicht war die saubere Luft in dieser Höhe daran schuld, oder die verdammt starke Hochzeitsbowle.

Der Bürgermeister rief das junge Ehepaar auf die Bühne, um auf ihr Wohl zu trinken. Ryan sah die drei märchenhaften Großmütter auf ihn zukommen, mit Tabletts voller Becher, auf der Suche nach jemandem, der noch keinen hatte, um anzustoßen.

Auf gar keinen Fall. Ryan Roarke, Rechtsanwalt, würde keine Bowle mehr trinken und von einer Nacht mit einem Cowgirl träumen, das er noch nicht mal kannte. Er drehte sich um und ließ die Bühne hinter sich.

„Suchen Sie das hier? Ich glaube, Sie werden es brauchen.“

Abrupt blieb Ryan stehen. Vor ihm stand das Cowgirl. War er direkt auf sie zugegangen, oder hatte sie sich ihm in den Weg gestellt? Warum auch immer, sie war da, atemberaubend hübsch in Denim und Sonnenschein.

Sie hielt ihm einen Becher hin und zeigte zur Bühne. „Zeit für den Toast auf das Brautpaar.“

Von ihr würde er die Bowle annehmen. Wahrscheinlich würde er Regenwasser aus einer Pfütze trinken, wenn er sie nur betrachten durfte. Sie erwiderte seinen Blick aus blauen Augen in einem herzförmigen Gesicht, eingerahmt von dem herrlichen Haar, das er unbedingt berühren wollte.

„Ich bin Kristen“, sagte sie lächelnd.

„Ryan“, erwiderte er und vergaß Montana und Hollywood, Bürgermeister und Anwaltskanzleien. Alles, woran er denken konnte, war diese Frau, die ihn in einem Park am 4. Juli anlächelte. Sie war jede einzelne der tausend Meilen wert, die er hierher zurückgelegt hatte.

„Sie sind nicht von hier, oder?“, fragte sie.

„Nein, bin ich nicht.“ Verblüfft stellte er fest, dass er sich nicht anstrengen musste, um zu lächeln. „Aber ich hätte nichts dagegen.“

Der Trauzeuge beendete seinen Toast. „Auf Mr. und die neue Mrs. Braden Traub.“

Die Gäste jubelten und hoben ihre Becher. Ryan stieß mit Kristen an und betrachtete sie über den Rand hinweg, als sie auf das Glück des Brautpaars tranken.

Die Band stimmte eine Country-Ballade für den ersten Tanz der beiden an, und die hübsche Kristen drehte sich zur Tanzfläche. Mit dem süßen Geschmack der Bowle auf der Zunge schaute Ryan in die Gesichter der Umstehenden und spürte, dass sie alle, ob alt oder jung, dem Paar nur das Beste wünschten. Wo blieb das Getuschel über einen Ehevertrag? Wo blieben die Wetten, dass die Ehe nicht länger halten würde als die vorherigen zwei der Braut oder die letzten drei des Bräutigams?

Ryan sah der attraktiven Frau neben ihm ins Gesicht. Es war nicht nur äußerlich makellos, auch der Ausdruck darin war rein und so offen und ehrlich wie der aller anderen. Ungläubig rieb er sich den schmerzenden Kiefer und konnte kaum fassen, dass die ganze Stadt dem Paar ein Leben voller Glück wünschte. Wenn er hierher passen wollte, musste er viel von seiner Skepsis in L. A. zurücklassen.

Der Song endete, und Kristen nahm den Rand ihres Bechers zwischen perfekte weiße Zähne, um mit den anderen applaudieren zu können.

„Darf ich?“ Ryan nahm ihr den Becher ab, wie verzaubert von ihrem Lächeln. Er schob ihn in seinen und stellte sie auf einen Picknicktisch.

„Und jetzt dürfen alle tanzen“, verkündete der Bandleader. „Für jedes Paar, das mit ihnen tanzt, bekommen Braut und Bräutigam ein weiteres glückliches Jahr, also seid nicht schüchtern. Sucht euch einen Partner oder eine Partnerin.“

Der Geiger begann mit einem Walzer.

Ryan konnte keinen Twostepp oder einen anderen Country-Tanz, aber ein Walzer war ein Walzer, ob unter den Kronleuchtern eines Ballsaals oder auf Holzbrettern in einem Park. Hier konnte er dazugehören, auf der Tanzfläche mit den Bürgern von Rust Creek Falls und mit dem hübschesten Cowgirl von allen im Arm.

„Darf ich um diesen Tanz bitten?“, fragte er.

„Sie dürfen.“ Lächelnd ließ sie sich auf die Tanzfläche führen, und sie bewegten sich zusammen, als hätten sie es schon immer getan.

Er berührte die glatte Haut ihres Rückens und fühlte die unglaubliche Weichheit ihres Haars, während sie sich mit sanftem Schwung drehten. Er hielt sie in den Armen, während sie ihr Bein zwischen seine schob und er seins zwischen ihre und ihre gestiefelten Füße grazile Schritte vollführten.

„Ich liebe Walzer sogar noch mehr als Twostepp“, sagte sie, während ihre Schenkel seine streiften.

„Ich auch.“ Ryan konnte nur Walzer, aber heute würde er den Twostepp in Rekordzeit lernen, denn er wollte so oft wie möglich mit Kristen tanzen. Hier wollte er sein, und noch wichtiger, dies war die Frau, mit der er zusammen sein wollte. Alles war perfekt.

Als hätte das Schicksal mich hierher geführt.

Nein. An so etwas glaubte er nicht. Männer und Frauen gestalteten ihr eigenes Leben unter den Umständen, die sich ergaben. So hübsch die Frau in seinen Armen auch war, so ausdrucksvoll ihre Augen auch sein mochten, so natürlich ihr Lächeln ihm auch erschien, es wäre absurd, zu glauben, dass ihre Begegnung schicksalhaft war.

Noch absurder war, dass er es auch nur in Betracht zog.

Es musste an der Hochzeit liegen. An der Musik. An der Wirkung der Bowle. Das hier war nur eine ganz gewöhnliche Kleinstadt, ein schlichter Song, eine durchschnittliche Band. Und die Frau in seinen Armen war einfach nur ein hübsches Countrygirl.

Er war Anwalt. Wie seine Eltern glaubte er an Tatsachen und Fakten, nicht an übersinnliche Vorgänge.

Aber ich bin kein richtiger Roarke, Mom.

Doch, das bist du. Ich glaube, du warst dazu bestimmt, mein Sohn zu werden, und ich deine Mutter.

Die Erinnerung kam überraschend. Glaubte seine sonst so analytische Adoptivmutter tatsächlich an die Vorsehung, oder hatte sie nur einen Jungen trösten wollen, der nicht vergessen konnte, dass er verlassen worden war?

„Alles in Ordnung?“

Kristens leise Frage holte ihn in die Gegenwart zurück. Er lächelte ihr zu, und es war mehr als ein Reflex.

„Ja, es geht mir gut.“

Wie seltsam, dass sie gefragt hatte. Er hatte nicht anders getanzt oder sie anders gehalten, als er an die Worte seiner Mutter gedacht hatte. An der Oberfläche war alles unverändert gewesen, der gleiche Rhythmus, die gleiche Harmonie, und doch hatte sie seinen subtilen Stimmungsumschwung gespürt.

Sie war mehr als ein einfaches Countrygirl. An ihr war etwas Besonderes. Dieser Tag war viel mehr als eine Auszeit vom Hamsterrad. Diese Kleinstadt, diese Hochzeit, diese Frau, alles zusammen löste in Ryan das Gefühl aus, dass er am Beginn von etwas Neuem stand. Fühlte sie es auch?

Der Cowboy schien keine Lust auf Small Talk zu haben, und Kristen tanzte zu gern, um Belanglosigkeiten auszutauschen. Viel lieber genoss sie die Musik und die Bewegung, also tanzten sie schweigend weiter, als der nächste Song begann. Hin und wieder schien jemand Ryan zu erkennen, und die beiden nickten einander freundlich zu.

Wer bist du? Woher kommst du?

Sie wagte kaum, ihn danach zu fragen. Er war einfach zu vollkommen, und sie wollte keinen Tanz auslassen. Wie ein Produkt ihrer Fantasie konnte er wieder verschwinden. Die Band hörte viel zu früh auf zu spielen, und das Brautpaar schnitt die Hochzeitstorte an.

Ryan und sie gingen mit ihren Tortenstücken zu einem der Tische, die im Schatten der Bäume aufgestellt worden waren.

Auf der Tanzfläche hatten sie sich mit ihren Bewegungen verständigt, aber Kristen wollte ihm nicht gegenübersitzen und stumm Torte essen. „Bleiben Sie lange in der Stadt?“, stellte sie die wichtigste Frage zuerst.

„Nur bis morgen.“ Ryan stellte den Teller ab und konzentrierte sich ganz auf ihr Gesicht.

Sie hatte ihrer Schwester gesagt, dass sie sich nicht verlieben würde. Aber welches Mädchen konnte das bei einem Mann wie ihm ausschließen? Sie warf das Haar über die Schulter. „Als ich Sie gefragt habe, ob Sie von hier sind, haben Sie geantwortet, dass Sie aber nichts dagegen hätten. Wie haben Sie das gemeint?“

„Vielleicht ist es an der Zeit, die Überholspur zu verlassen und mich irgendwo an einem ruhigeren Ort niederzulassen. Ich mag Montana.“

Sie leckte sich Zuckerguss vom Finger. Es gab nicht viele Cowboys, die ihr Leben als Überholspur bezeichnen würden.

„In den letzten Jahren habe ich einige Gegenden von Montana besucht. Im Moment erscheint mir Rust Creek Falls ideal.“

Er sah sie an, und ihr wurde immer wärmer. Sie hatte sich schon halb in ihn verliebt. Er war attraktiv und humorvoll, mit den guten Manieren eines Cowboys und einem durchtrainierten Körper, aber vor allem schien er sich für alles zu interessieren, was sie sagte.

„Sind Sie eine Traub?“, erkundigte er sich.

„Nein, eine Dalton.“

„Ich dachte schon, alle außer mir sind Traubs.“

„Fühlen Sie sich nicht ausgeschlossen. Hier gibt es auch jede Menge Daltons, Crawfords und Stricklands. Man muss kein Traub sein, um in Rust Creek Falls zu leben.“

Collin Traub, der Bürgermeister, kam an ihrem Tisch vorbei und nickte Ryan zu.

Dieser zögerte kurz, bevor er den Gruß erwiderte.

„Kennen Sie Collin?“, fragte Kristen.

„Welchen Collin?“

„Den Mann, dem Sie gerade zugenickt haben.“

„Nein, nicht wirklich.“ Er schaute sich im Park um, aber sein Blick blieb bei niemandem haften.

Also kannte er hier keinen Menschen. Kristen erinnerte sich daran, wie sie ihr Studium an der Universität von Montana begonnen hatte. Die nicht besonders große Stadt Missoula war ihr wie eine Metropole voller herzloser Fremder erschienen.

Sie wollte nicht, dass Ryan sich hier so einsam fühlte. Sie schob ihm seinen Teller wieder hin, nahm seine Gabel und spießte ein besonders süßes Stück Torte auf. Vielleicht würde etwas Süßes ihn wieder zum Lächeln bringen.

Sie hob die Gabel. „Hier, essen Sie das. So eine Torte darf man nicht verschmähen.“

Er lächelte nicht, sondern zog eine Braue hoch. Aber falls sie geglaubt hatte, dass er ihr die Gabel abnehmen würde, hatte sie sich geirrt. Ohne ihr Gesicht aus den Augen zu lassen, beugte er sich vor und aß den Bissen praktisch aus ihrer Hand.

Wie bei einem Liebespaar. Es hatte etwas Intimes, jemanden zu füttern. Sie stellte sich seinen Mund an ihrer Haut vor …

Kristen setzte sich auf und hob das Haar vom Nacken. Dass ihr so warm war, konnte nur mit dem Mann ihr gegenüber zu tun haben. Er war etwas älter, etwas selbstsicherer als die, mit denen sie gewöhnlich ausging. Das Schicksal hatte sich selbst übertroffen.

„Aber Collin schien Sie zu kennen“, begann sie.

Ryan nickte. „Erstaunlich. Ich hätte nicht gedacht, dass man mich hier erkennen würde.“

Kristen ging das sprichwörtliche Licht auf. Welcher Cowboy sprach von seinem Leben als Überholspur? Welcher Cowboy wurde von Menschen erkannt, denen er noch nie begegnet war?

Ein Cowboy, der beim Rodeo ein Star war. Collin Traub war mal Rodeoreiter gewesen, daher kannte er Ryan.

In der 9. Klasse hatte Kristen für Rodeostars geschwärmt. Sie hatte ihre Eltern angefleht, mit ihr zur Missoula Stampede zu fahren. Danach hatte sie sich die Fotos ihrer Lieblinge aus dem Programm geschnitten und innen an die Tür ihres Schulschranks geklebt. Die Phase war vorbeigegangen. Danach waren die Filmstars gekommen, und sie hatte die Ranch verlassen, um Bühnenluft zu schnuppern. Und jetzt aß sie am 4. Juli Hochzeitstorte mit einem Rodeoreiter. Dem Cowboy. Ihrem Cowboy.

Bravo, Schicksal. Bravo.

Da die professionellen Rodeos im Juli und August stattfanden, überraschte es sie nicht, dass Ryan morgen abreisen musste. Er hatte sich in Rust Creek Lane eine Auszeit von seinem hektischen Leben auf Tour gegönnt. Er nickte zurück, wenn jemand ihn erkannte, begann aber kein Gespräch und gab auch keine Autogramme.

Auch sie würde ihn nicht nach seinem Leben als Rodeoreiter fragen. Ihre Tage als vierzehnjähriger Fan lagen weit zurück. Jetzt war sie eine Frau, die einen Mann fütterte, während er sie mit seinen Blicken verschlang. Den Mann wollte sie kennenlernen.

Und dazu blieb ihr nur noch heute. Ein Tag, an dem er entscheiden musste, ob er jemals nach Rust Creek Falls zurückkehren würde. Ein Tag, an dem sie entscheiden musste, ob sie ihn dazu bringen wollte.

Ein Tag, der vielleicht über den Rest ihres und seines Lebens bestimmte.

3. KAPITEL

Kristen vermisste es, Ryans Arme um sich zu fühlen, aber selbst passionierte Tänzer mussten eine Pause einlegen, als die Band zu spielen aufhörte.

Während die nächste Band ihre Ausrüstung aufbaute, erfuhr Kristen mehr über ihn, als dass sein Hemd sauber duftete und ihre Körper zueinanderpassten. Sie saßen am Bühnenrand und sprachen über alles: von ihren Lieblingsteams im Sport bis zu den Jahreszeiten, die sie am meisten schätzten. Sie liebte die Green Bay Packers und Weihnachten, er die New York Yankees und den Sommer. Er war das mittlere von drei Kindern, sie das jüngste von fünf – wenn auch nur wenige Minuten jünger als das vierte Kind. Seine Geschwister lebten nicht im selben Bundesstaat wie er, ihre Familie in derselben Stadt.

„Mit anderen Worten“, sagte sie, „wir haben alles gemeinsam.“

„Scheint so.“ Ryan zuckte mit keiner Wimper.

„Das ist es.“ Sie leerte ihren Becher und stellte ihn ab. „Wir schauen beide gern Profisport. Wir haben jeder eine Schwester. Wir haben mindestens einen älteren Bruder. Wir stehen unseren Familien sehr nahe.“

„Und wir tanzen beide gern. Wie gesagt, wir haben alles gemeinsam.“

Sein Lächeln war so verführerisch wie der ganze Mann. „Nur dass wir verschiedene Jahreszeiten mögen.“

„Das stimmt.“ Kristen senkte die Stimme. „Aber genau das macht die Sache … interessant.“

Er starrte auf ihren Mund. Kein Zweifel, er war interessiert.

„Unterschiede können spannend sein. Zum Beispiel, dass Sie ein Mann sind, ich eine Frau.“ Sie zeigte auf seine Brust, dann auf ihre, und sein Blick glitt an ihr hinab. „Sie sind Sommer, ich Weihnachten.“

„Wenn jemand Weihnachten noch schöner machen kann, dann Sie.“

Kristen beugte sich vor. „Könnte ich jeden 4. Juli mit Ihnen verbringen, würde ich mich schon beim ersten Schnee auf den Sommer freuen.“

Ryan wollte sie küssen, das spürte sie. Ihr Herz schlug schneller.

Aber er tat es nicht. Er hob den Becher und trank ihn aus.

„Hi, Kristen.“

Sie sah auf. Es war einer der Jungen aus ihrem Theaterkurs an der Highschool. Er hielt seine Gitarre in den Händen.

„Meine Band übernimmt die nächste Stunde. Applaudier uns, auch wenn wir schlecht sind, okay?“

„Ihr werdet ganz sicher toll sein.“ Kristen stand mit Ryan auf und überließ ihnen die Bühne. „Sie gehört euch. Hals- und Beinbruch.“

Die Tanzfläche füllte sich wieder. Kayla tanzte mit jemandem, den Kristen eine Weile nicht gesehen hatte, einem Freund ihrer Brüder, der in der Highschool ein paar Jahre über ihnen gewesen war.

Highschool. Schon wieder. Sie war fünfundzwanzig. Warum musste sie dauernd an die Schule denken? Weil etwas in der Luft lag? Die Stadt erschien ihr heute anders als sonst. Ein Polizist, den sie nicht kannte, eilte zum Springbrunnen, und von irgendwoher kamen laute, streitende Stimmen. Im Ace of the Hole wurde gepokert, und die ersten Hochzeitsgäste steuerten bereits den Parkplatz an, wo der Pick-up des Bräutigams wartete.

Das Brautpaar würde sich bald absetzen. Absetzen. Ein reizvoller Gedanke, aber das hatte sie bereits hinter sich. Sie war auf dem College gewesen, hatte sogar einen Sommer lang in New York City gewohnt und war dann nach Rust Creek Falls zurückgekehrt. Sie lebte gern hier.

„Wohin wollen Sie?“, fragte Ryan.

„Ist das eine Fangfrage? Meinen Sie, wohin ich im Leben will oder in den nächsten fünf Minuten?“

„Man sagt, die Reise des Lebens beginnt mit dem ersten Schritt.“ Ein Lächeln umspielte seinen Mund. „Da überlegt man schon, wohin man den nächsten macht.“

„Dann lassen Sie uns wagemutig sein.“ Sie hob das Knie und machte einen großen Schritt in Richtung des Zauns, auf dem sie mit ihrer Schwester gesessen und auf die Ankunft ihrer großen Liebe gewartet hatte. „Ich glaube, Braut und Bräutigam brechen jetzt auf. Wir können vom Zaun aus winken.“ Das Feuerwerk begann erst nach zehn, aber sie hatte bemerkt, dass die beiden sich von ihren Trauzeugen verabschiedeten. „Vielleicht beobachten sie das Feuerwerk vom Balkon des Maverick Manor aus. Dort übernachten sie, bevor sie morgen in die Flitterwochen fliegen.“

„Ich bin mir sicher, dass sie auf jeden Fall ein Feuerwerk genießen können“, sagte Ryan, ohne eine Miene zu verziehen.

„Feuerwerk? So nennt man das heutzutage?“

Er half ihr auf den Zaun. Sein Lachen war so warm wie der Griff um ihre Taille. Er blieb unten und lehnte sich gegen den Zaun.

Sie schaute von oben auf sein dichtes dunkles Haar hinab und stellte sich ihre Finger darin vor. Wenn sie sich etwas vorbeugte, konnte sie in den Kragen seines Hemdes blicken und die gebräunte Haut darunter sehen …

Er erwischte sie dabei.

Sie ließ sich die Verlegenheit nicht anmerken.

„Genau hier haben Sie gesessen, als ich Sie das erste Mal gesehen habe“, sagte er.

Warum hast du mich nicht sofort angesprochen?

Sie sprach es nicht aus, sondern stellte eine andere Frage. „Was haben Sie gedacht?“

„Dass Sie glücklich waren. Sie haben mit Ihrer Schwester gelacht. Ich habe Sie beneidet.“

„Weil ich eine Schwester habe?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, Sie haben selbst eine Schwester. Sie haben uns um unser Lachen beneidet. Sind Sie denn nicht glücklich?“

„Ist das eine Fangfrage? Meinen Sie die nächsten fünf Minuten? Oder im Leben allgemein?“

Sie lächelte. „Beginnen wir mit … diesem Moment.“

Er antwortete nicht sofort, sondern schaute zum Horizont. Über den Berggipfeln färbte der Sonnenuntergang den Himmel rot.

Sie klopfte mit den Absätzen gegen den Zaun und strich den Rock glatt.

„Ich habe heute eine wunderbare Frau kennengelernt, und sie erträgt meine Gesellschaft, ohne sich zu beklagen. Wie sollte ich da nicht glücklich sein?“

„Gute Antwort, aber das kam erst nach einer sehr langen Pause.“ Sie wollte sein Gesicht sehen, deshalb stieg sie hinab und lehnte sich neben ihm gegen den Zaun. „Eigentlich habe ich mit einem schlichten Ja oder Nein gerechnet.“

„Ich denke nicht darüber nach, ob ich glücklich bin oder nicht.“

Spontan schob sie eine Hand in seine. Er streichelte sie mit dem Daumen, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.

„Aber vielleicht sollte man das tun“, fuhr er ernst fort. „Das ‚Streben nach Glück‘ steht in unserer Verfassung. Wir haben das Recht, danach zu suchen.“

„Suchen“, wiederholte sie. „Haben Sie es gefunden?“

Er hob ihre verschränkten Hände und küsste ihre Knöchel.

„Heute ja.“ Sie machte ihn glücklich.

Er hatte heute gesagt, als käme es selten vor.

„Sonst nicht?“, fragte sie leise.

„Ich arbeite daran“, erwiderte er mit der Gewissheit eines Mannes, für den auch das Problem lösbar war.

„Wie arbeitet man am Glück?“

„Mein Beruf erfüllt mich nicht mehr so wie früher. Ich muss andere Prioritäten setzen.“

Karrieren im Rodeo waren körperlich äußerst anstrengend und daher kurz. Kristen schätzte ihn auf etwa dreißig. Vielleicht musste er sich einen anderen Job suchen.

„Aber es ist nicht nur der Beruf. Ich ertappe mich immer häufiger dabei, wie ich meinen Bruder und meine Schwester beneide.“ Er machte eine Pause. „Binnen eines Jahres haben beide geheiratet. Meine Schwester hat vor drei Monaten ein Baby bekommen, und mein Bruder wird demnächst zum ersten Mal Vater.“

„Also sind sie jetzt glücklich?“

„Sie waren vorher nicht unglücklich. Sie hatten tolle Berufe und eine Familie, auf die sie sich verlassen konnten. Aber jetzt haben sie mehr. Obwohl ihnen nichts gefehlt hat, haben sie etwas Neues gefunden. Genauer gesagt, sie haben jemanden gefunden.“ Ryan blickte zur Hochzeitsgesellschaft, die fröhlich lachend zum Parkplatz ging. „So langsam glaube ich, dass es nicht auf Ruhm und Reichtum ankommt, sondern allein darauf, ob man jemanden an seiner Seite hat.“

Kristen winkte Braden und seiner Braut zu.

„Es tut mir leid“, sagte Ryan leise und musterte Kristen. „Ich wollte nicht so trübsinnig sein. Das muss an Montana liegen.“

„Montana stimmt Sie traurig?“

„Montana macht mich nachdenklich. Ich wünschte, ich müsste morgen nicht weg. Hier komme ich zur Ruhe.“

Also würde er zurückkehren.

Der Bräutigam öffnete die Beifahrertür seines Pick-ups und half der Braut hinein.

Kristen stieß Ryan mit der Schulter an. „Der Wagen ist nicht so romantisch wie die Kutsche, aber praktischer. So müssen sie die Hochzeitsnacht nicht damit beginnen, die Pferde auszuspannen, in den Stall zu bringen und zu füttern.“

„Als Cowgirl kennen Sie sich aus, was? Ich wette, Sie leben auf einer Ranch.“

Der Pick-up fuhr davon. Die leeren Dosen klapperten laut. Ryan zog Kristen am Zaun entlang.

„Wie haben Sie das erraten?“, fragte sie. „Rieche ich nach Pferdestall? Habe ich Heu im Haar? Oder klingt mein Lachen wie ein Wiehern?“

Er blieb stehen und sah sie an. „Nein, das nicht.“

„Die Stiefel?“ Sie war etwas nervös und aufgeregt. Er sah sie an wie ein Mann, der genau wusste, wohin das hier führen würde. Und der wusste, was er tun musste, wenn es so weit war.

„Sie müssen ein Cowgirl sein. Sie haben eine bewundernswerte Kondition“, flüsterte er. „Auf der Tanzfläche.“

Sie fühlte ein Kribbeln am Nacken.

„Sie glühen vor Gesundheit. Ihr Haar, die Haut, alles an Ihnen.“ Sie standen einander so nahe, dass ihre Körper sich fast berührten. Die Musik und die Stimmen schienen plötzlich leiser zu werden.

Kristen wollte ihn küssen. Sie könnte sich jetzt auf die Zehenspitzen stellen, aber sie wollte, dass er den ersten Schritt machte. Da war sie ganz altmodisch. Sie hielt sein Hand und wartete.

Küss mich.

Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Dann streifte er ihre nackte Schulter.

Küss mich, küss mich.

Er legte eine Hand um ihr Gesicht. Sie schloss die Augen.

Küss mich endlich!

„Kristen Dalton.“ Als er ihren Namen aussprach, fühlte sie seinen Atem an den Lippen. „Wo warst du die ganze Zeit?“

„Hier, damit du ein bisschen Glück findest.“

Endlich küsste er sie, sanft und zärtlich, wie ein Bräutigam seine Braut. Es war viel zu schnell vorbei.

Sie öffnete die Augen wieder. Hinter ihm leuchtete der Himmel über den schneebedeckten Bergen.

Er lächelte nicht, sondern blickte so ernst, dass es fast ein Stirnrunzeln war.

Bevor sie etwas sagen konnte, nahm er ihr Gesicht zwischen die Hände, zog sie an sich und küsste sie wieder. Rauer, gieriger, leidenschaftlicher. Besitzergreifend. Er schob die Finger in ihr Haar und zog sie fester an sich als bei jedem noch so engen Tanz.

Sie küsste ihn, bis sie nur noch deshalb stehen konnte, weil er sie stützte.

Hätte er sie aufs Gras gelegt, hätte sie es geschehen lassen. Es wäre verrückt, aber jetzt verstand sie, warum Paare sich zu Verrücktheiten hinreißen ließen. Liebe auf den ersten Blick, unwiderstehliches Verlangen, bahnbrechende Entscheidungen im Bruchteil einer Sekunde – das alles ergab plötzlich einen Sinn.

Er beendete den Kuss früher, als ihr lieb war.

Kristen war so atemlos, als wäre sie eine Meile gelaufen – und hätte das Rennen gewonnen. Dass sie den einen Mann gefunden hatte, der mehr in ihr auslöste, als sie für möglich gehalten hatte, war fast erschreckend.

Ryan küsste sie auf die Schläfe und die Augenwinkel. „Du duftest herrlich.“

Sie brauchte eine Sekunde, bis ihr einfiel, worüber sie vor dem Kuss gesprochen hatten. „Nicht nach Pferdestall?“

„Wie der Sommer.“

„Deine Lieblingsjahreszeit.“

Und dann küssten sie sich wieder, hungrig und unbändig. Kristen begehrte ihn so sehr, dass sie sich schamlos fühlte.

Er brach den Kuss ab, und sein heftiger Atem strich über ihr Ohr. „Das war unglaublich.“

Sie sah ihm ins Gesicht. Sämtliche Emotionen, die sie überwältigten, spiegelten sich auch darin.

„Ich glaube …“ Sie war zu keinem klaren Gedanken fähig, sie fühlte nur. Es waren verrückte, ungehemmte Gefühle, mitten im Stadtpark. „Ich glaube, wir haben gerade herausgefunden, wie wir nach Glück streben können.“

Er lächelte kurz. „Ich muss trotzdem morgen fort. Dass ich gerade dem schönsten Mädchen der Welt verfalle, ändert nichts daran, dass ich Verpflichtungen habe und viele Menschen sich auf mich verlassen.“

Verfallen. Er verfiel ihr, und alles war gut – bis auf die Tatsache, dass er morgen abreisen musste. Das gefiel ihr nicht, aber sie verstand es. Beim Rodeo war es nicht viel anders als im Theater.

„The Show must go on.“

„On and on. Ich kann einen Sieg etwa fünf Sekunden lang genießen, bevor die nächste Herausforderung wartet. Aber uns bleibt immer noch der Abend. Wie möchtest du ihn verbringen?“

Das fragte er?

Sie küsste ihn, und dieses Mal gab er ein langsameres Tempo vor. Sie ließen sich Zeit und kosteten jede Empfindung aus. Für Kristen war es, als würde sie eine Farbe sehen, von der sie nichts gewusst hatte, oder ein Musikstück hören, das sie noch nie gehört hatte.

Er beendete den Kuss. „Verdammt“, flüsterte er.

„Ryan“, flehte sie.

„Ich weiß.“ Er presste sie an sich, und sie atmete die Wärme seiner Haut ein. „Ich weiß.“

Wo wohnst du? Gehen wir zusammen hin? Sie sprach es nicht aus, ihre Erziehung ließ es nicht zu.

„Ich reise morgen ab“, sagte er so leise, dass sie sich fragte, ob er mit sich selbst sprach. „Es wäre … wir sollten … wir sollten es nicht tun.“

Willst du es denn nicht auch? Genauer gesagt, willst du mich nicht?

Sie schwieg, die Wange an seiner Brust. Er war älter als sie und bestimmt viel erfahrener, aber sie kannte die Antwort. Ja, er wollte sie. Sie fühlte seine Anspannung. Er beherrschte sich mühsam und zwang sich, gleichmäßig zu atmen.

Er war ein echter Cowboy mit der Höflichkeit und dem Respekt, den ein Gentleman einer Lady erwies. Hatte sie sich nicht geschworen, sich nicht mit weniger zufriedenzugeben?

Kristen wünschte, die Vorsehung hätte nicht so genau hingehört. Dieser Mann gehörte ihr, und früher oder später würden sie miteinander schlafen. Ihr Körper wollte es früher. Seufzend hob sie den Kopf, ließ die Arme aber um seine Taille. „Es ist wohl zu früh für ein Feuerwerk“, sagte sie.

Sein Mundwinkel zuckte. Als die Brise ihr das Haar ins Gesicht wehte, versuchte sie, es mit einem Kopfschütteln nach hinten zu werfen, denn sie wollte ihn nicht loslassen.

Er strich es nach hinten und ließ die Hände an ihrem Gesicht. „Ich kann kaum glauben, dass es dich wirklich gibt.“

„Willst du mich küssen, um dich davon zu überzeugen?“

Er lachte. „Ich weiß es. Du bist real, erstaunlich, unglaublich real. Aber dieser Tag war es nicht. Das hier ist nicht mein wirkliches Leben.“ Er ließ die Hände sinken.

„Aber das könnte es sein. Deshalb bist du hergekommen.“

Er wich zurück, und sie hinderte ihn nicht daran. Aber dann wandte er sich ab – von ihr, vom Sonnenuntergang, den Bergen, von allem. Er stützte sich auf den Zaun und schaute nach unten.

Als hätte dieser Mann nicht schon genug Emotionen in ihr geweckt, empfand sie auch noch Mitgefühl. Seine Haltung verriet Schmerz. Es musste hart sein, wenn die eigene Karriere endete. Das Rodeo war unbarmherzig. Ryan schien entschlossen zu sein, den unvermeidlichen Schritt zu unternehmen. Aber ein Mann, der mit Pferden, Siegen und Niederlagen umging, der Musik, den Sommer und seine Familie liebte, musste ein großes Herz haben.

Kristen hoffte, dass er darauf hörte.

„Soll ich mein jetziges Leben hinter mir lassen und ein neues in Rust Creek Falls beginnen? Das ist die Frage. Ich kann meine Verpflichtungen nicht einfach aufkündigen. Es würde zu vielen Menschen wehtun. Heute sollte nur der erste Schritt sein. Ich bin hergekommen, um mir die Stadt anzusehen und meine Optionen zu prüfen.“

„Das klingt vernünftig“, sagte sie mit unbewegter Miene.

Er warf ihr einen Seitenblick zu. „Aber du findest es nicht vernünftig?“

„Ich glaube, du hast dich bereits entschieden.“ Sie stützte die Ellbogen auf eine Zaunlatte, stellte einen Fuß auf die unterste, legte den Kopf in den Nacken und schaute zum dunkler werdenden Himmel.

Sie schaffte es, mindestens eine Minute lang zu schweigen, bevor sie Ryan ansah.

„Es wäre einfacher, wenn ich dich nicht geküsst hätte“, gab er zu.

„Dann bin ich froh, dass du es getan hast.“

„Kristen Dalton, du machst alles wesentlich komplizierter.“

„Nein.“ Sie stieß sich vom Zaun ab und verschränkte wie er die Arme. „Ich bin ein Posten in deiner Bilanz. Und zwar auf der Habenseite.“

„Kristen.“

Sie wartete einen Moment, aber er sagte nichts mehr.

„Bis du es einsiehst, können wir hierbleiben. Allein, praktisch unsichtbar, sobald es dunkel ist. So oder so, es wird ein Feuerwerk geben. Auch das kommt auf die Habenseite.“

„Wenn wir wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen werden, kann ich mir auch noch die örtlichen Zellen ansehen. Eine gut funktionierende Polizei ist ein Pluspunkt.“

„Die Zellen sind bestimmt sehr hübsch, aber dazu müsste uns jemand in flagranti erwischen, und die Fichten um uns herum sind ein guter Sichtschutz. Ist dir aufgefallen, dass sie nach Weihnachten duften?“

„Jetzt, da du es erwähnst.“ Er hörte sich überrascht an.

„Sommer und Weihnachten, die perfekte Mischung.“

Ryan geleitete sie aus ihrer kleinen Ecke der Welt. „Wir sollten uns beschäftigen, während wir auf das Feuerwerk warten. Wollen wir tanzen?“

„Du bist hier, um dir Rust Creek Falls anzusehen. Zufällig kenne ich die Stadt seit fünfundzwanzig Jahren. Ich führe dich herum.“

Sie zeigte zum Tor, durch das Braut und Bräutigam den Park verlassen hatten. „Dort entlang. Der erste Schritt. Du wirst alles lieben, was du siehst.“

„Ich glaube, das tue ich jetzt schon.“ Er sah sie dabei an.

Hätte Kristen dem Schicksal einen Kuss zuwerfen können, hätte sie es getan.

4. KAPITEL

Auf dem Weg durch die Stadt legte Ryan den Arm um ihre Schultern und Kristen ihre um seine Taille. Es fühlte sich irgendwie richtig an.

„Der erste Halt auf unserer Besichtigungstour. Die Junior Senior-Highschool. Go Grizzlies.“ Sie zeigte auf das schlichte zweistöckige Backsteingebäude.

Die Highschool? Es gibt nur eine?“

„Wir haben auch noch eine Grundschule, aber dies ist die einzige Highschool. Sie ist sehr wichtig für Rust Creek Falls. Teenager oder nicht, am Freitagabend ist das unser Hotspot. Die ganze Stadt versammelt sich in der Sporthalle, um das Basketballteam zu unterstützen. Es gibt Popcorn und Brezeln, man bejubelt die Spieler und pfeift den Schiedsrichter aus. Das hilft einem durch den langen Winter.“

„Langer Winter? Das klingt nicht nach Pluspunkt.“

„Für den Schnee können wir nichts. Aber in der Halle vergessen wir ihn.“

Ryan dachte an seine reservierten Plätze bei den NBA-Playoffs. Er war es gewöhnt, die besten Sportler der Welt zu sehen und sich von erstklassigen Profi-Cheerleadern unterhalten zu lassen. Er wusste, wie …

Profi-Cheerleader. Er hatte das Laker Girl vergessen, das er in L. A. zurückgelassen hatte. Obwohl sie seit einiger Zeit miteinander ausgingen, hatte er nicht mehr als flüchtige Gedanken an sie verschwendet. Hätte seine Schwester ihm nicht von der Hochzeit in Rust Creek Falls erzählt, würde er sich jetzt vermutlich mit ihr auf einer Jacht vergnügen. Andere Männer beneideten ihn um seine häufig wechselnden Freundinnen, aber in diesem Moment erschien es ihm eher bemitleidenswert, Zeit mit einer Frau zu verbringen, die ihm nichts bedeutete.

Er sah Kristen an. Sie zeigte gerade mit ausgestrecktem Arm zum Baseballfeld, während sie mit strahlenden Augen von anderen Sportereignissen schwärmte. Eine Frau in L. A. zu vergessen war ihm leichtgefallen, aber er wusste, dass er Kristen nicht vergessen würde, sobald er Montana verließ. Wenn er etwas von ihrer Lebensfreude mitnehmen konnte, würde er es tun. „Bestimmt hast du deine Schulzeit hier genossen. Oder war es eine quälende Erfahrung für einen Teenager?“

„Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich immer Angst, dass ich nicht akzeptiert werde.“

„Du? Nicht akzeptiert werden?“ Er fand die Vorstellung absurd.

„Mit sechzehn war ich ziemlich unsicher, aber das ist wohl normal, oder?“

In ihrer Stimme schwang etwas mit, das ihn genauer hinsehen ließ.

„Hast du keine Angst davor gehabt, nicht akzeptiert zu werden?“, fragte sie nach.

O doch! In zweiten Jahr auf der Highschool war er ein kontaktscheuer Einzelgänger gewesen, und seine Eltern hatten schon überlegt, ob sie mit ihm zu einem Psychologen gehen sollten. Die Erfahrung, von seiner Mutter verlassen worden zu sein, hatte ihn geprägt, und noch heute sah er die Szene vor sich.

Zum Glück hatte Kristen einen solchen Schmerz nie spüren müssen. Auf der Tanzfläche hatte sie ihn mit ihrer Zwillingsschwester bekannt gemacht und ihrem Bruder zugewinkt. Sie war in eine heile, glückliche Familie hineingeboren worden und hatte vom ersten Tag an nur Liebe erlebt. Und jetzt erzählte sie ihm, dass selbst sie unsicher gewesen war. Vielleicht war das bei Teenagern nicht ungewöhnlich.

Sie sah ihn an und wartete auf seine Antwort.

„Doch, ich hatte auch Angst.“

Aber vielleicht war das ganz normal. Für ihn war es eine völlig neue Erkenntnis.

Sie drückte seinen Arm. „Siehst du, wir haben so viele Gemeinsamkeiten.“ Sie legte den Kopf an seine Schulter. „Ich habe versucht, ein paar Arbeitsgruppen für den Nachmittag zu organisieren. Der Schulleiter hat gesagt, dafür sei kein Geld da. Vielleicht im nächsten Semester. Das sagt er immer. So, bist du bereit für den nächsten Stopp auf deiner Tour? Um die Ecke ist ein richtig toller Donutshop.“

Eine Lehrerin. Kristen wohnte nicht nur auf einer Ranch und kümmerte sich um Pferde, sie war auch ausgebildete Lehrerin. Sie schien davon auszugehen, dass er es längst wusste, aber irgendwie hatte er es verpasst – weil er gerade ihre Figur bewundert hatte.

Er wollte mehr über sie wissen. Jedes Detail über sie außerhalb des Bettes bestätigte ihn darin, wie sehr er sie in seinem Bett wollte. Aber das stand in Los Angeles.

Er setzte sich auf den Sockel des High-Schoolschilds und zog sie neben sich. „Was tust du, wenn der Direktor dich wieder aufs nächste Semester vertröstet?“

„Auf der Ranch gibt es immer genug zu tun.“ Sie streckte ein Bein aus und betrachtete die Stiefelspitze. „Nach unserem letzten Gespräch bin ich auf dem Nachhauseweg bei der Futterhandlung vorbeigefahren und habe in Pumps Hühnerfutter in den Wagen geladen.“

„Es muss frustrierend seinen, einen College-Abschluss zu haben und sein Wissen nicht anwenden zu können.“

Kristen sah ihn mit großen Augen an. „So habe ich es noch gar nicht gesehen. Ich dachte nur, es wäre gut, einen zweiten Job zu haben. Kayla arbeitet bei der Lokalzeitung, und irgendwie beneide ich sie um ihren Schreibtisch in der Stadt. Aber mein College Abschluss als Zeitverschwendung? Das klingt schrecklich.“

Ryan wünschte, er könnte die Worte zurücknehmen. „Vergiss, dass ich das gesagt habe. Du gehörst auf die Ranch.“

„Nein, du hast recht. Wozu habe ich einen Abschluss gemacht, wenn ich ihn nicht nutze?“

„Bildung ist nie Zeitverschwendung.“

Sie rümpfte die Nase.

„Bildung ist ein Wert an sich, auch wenn man kein Geld damit verdient“, versuchte er es noch mal.

Seine unwiderstehliche Kristen lächelte. „Du willst mich trösten, oder?“

Verlegen lächelte er zurück. „Ich wollte dich nicht traurig machen.“

Autor

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