Bianca Weihnachten Band 3

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Als der erste Schnee fällt, weiß Darcy: Es ist an der Zeit, nach Hause zu fahren. Ihr Onkel braucht Hilfe auf seiner verschneiten Christbaumfarm. Doch dieses Jahr arbeitet dort auch ihr Ex Mack! Wartet nach sieben Jahren Trennung ein zärtliches Weihnachtswunder auf sie beide?

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  • Erscheinungstag 27.09.2022
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508056
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Ami Weaver, Susan Crosby, Christine Rimmer

BIANCA WEIHNACHTEN BAND 3

1. KAPITEL

„Sie ist zurück.“

Der grimmige Unterton in der Stimme seines Bruders ließ Mack Lawless alles wissen, was er wissen musste, und sein Herz machte einen kleinen unwillkommenen Satz. Da er fast acht Jahre lang nichts von dieser Sie gehört hatte, richtete er seine Aufmerksamkeit bewusst auf die Girlande aus frischen Tannenzweigen, die er gerade an der Eingangstür seiner Tierarztpraxis aufhängte und achtete darauf, dass seine Stimme normal klang. „Wer ist zurück?“

Chase kam näher, sodass Mack ihn aus den Augenwinkeln betrachten konnte. Der Mund seines Bruders war zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Verdammt! Mack musste sich zusammenreißen, damit seine Hände nicht zitterten. Er weigerte sich dagegen, dass allein ihre Erwähnung ihn immer noch derart beeinflusste. Er stieg die Leiter hinunter, ließ die Enden der Girlande lose herunterhängen und kümmerte sich nicht um den Schnee, den der Wind in sein Gesicht blies. „Chase?“

Chase sah ihn an. „Darcy.“

Darcy! Ihr Name wirkte immer noch wie ein Schlag in die Magengrube. Selbst jetzt noch, nach mehr als sieben verdammten Jahren. Er war über sie hinweggekommen und doch …

Mack zwang sich, dem Blick seines Bruders standzuhalten und gleichgültig zu wirken.

Ein frischer Wind kam auf und das Ende der noch nicht befestigten Girlande schlug Mack ins Gesicht. Er zuckte zusammen, ergriff das Teil und wandte sich wieder der Leiter zu. Mack und Chase hatten vor, nach Weihnachten die Baumschule von Darcys Familie zu kaufen. Er hatte nicht gedacht, dass der Handel für Darcy eine Rolle spielen würde. Seit der Scheidung war sie nicht mehr zurückgekehrt, noch nicht einmal, um ihren Onkel und ihre Tante zu besuchen.

Chase hatte seine Position verändert, sodass der Wind jetzt gegen seinen Rücken schlug. „Ist alles in Ordnung, Mann?“

Ärger stieg in Mack auf, doch er unterdrückte ihn. Chase meinte es ja nur gut. Sie meinten es alle gut. Als ob er immer noch der gebrochene Mann wäre, den Darcy damals zurückgelassen hatte. „Ja, es ist lange her.“ Er befestigte ein weiteres Stück der Girlande an dem dafür vorgesehenen Haken und redete sich ein, dass er von dem Burrito zum Mittagessen Sodbrennen bekommen hatte und nicht, weil die einzige Frau, die er je wirklich geliebt hatte, nach Holden’s Crossing zurückgekehrt war – die Frau, die ihm das Herz in tausend Stücke zerbrochen hatte.

Aber sein verdammtes Herz hatte sie trotzdem nie ganz loslassen können.

„Also gut. Sag mir, wenn du etwas brauchst.“

Trotz der Anspannung musste Mack lachen. „Was zum Beispiel?“

Chase zuckte die Schultern. „Was auch immer. Wir könnten mit ihr reden …“

„Oh nein. Es wird nicht geredet.“ Er konnte sich vorstellen, wie diese Unterhaltung ablaufen würde. Da könnte er fast Mitleid mit Darcy bekommen. Fast. „Lass sie in Ruhe, Chase. Ich komme schon allein mit ihr klar.“

„Wenn du es sagst.“ Chase klimperte mit den Schlüsseln und ging dann davon. Mack hörte, wie sein Bruder den Motor seines Trucks startete und musste sich zwingen, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Er fühlte sich bloßgestellt. Jeder, der Darcy hier gesehen hatte, jeder, der die Geschichte kannte – oder dachte, dass er sie kannte –, konnte jetzt vorbeifahren, ihn anstarren und hinter vorgehaltener Hand über ihn tratschen.

Er hasste dieses Getratsche.

Er schlang das Ende der Girlande über den letzten Haken und sicherte ihn, sodass der Wind den Tannenzweigen nichts anhaben konnte. Da das Wetter sich zunehmend verschlechterte, wollte er die Lichterkette an einem anderen Tag anbringen. Er hoffte, dass der Wind die Girlanden nicht abreißen und zerstören würde – so wie Darcy ihn als Mensch fast zerstört hatte.

Mack klappte die Leiter zusammen und versuchte, das Bild seiner Exfrau mit ihrem langen kupferfarbenem Haar und den goldbraunen Augen zu ignorieren, das jetzt in ihm aufstieg. Verdammt! Er hatte es nach all den Jahren endlich geschafft, nicht ständig an sie denken zu müssen, und jetzt kehrte sie mit voller Wucht wieder in sein Bewusstsein zurück. Er wandte sich ruckartig ab, um die Leiter ins Haus zu bringen und schlug dabei hart gegen den Türrahmen. Er schluckte, als ein scharfer Schmerz seinen Arm durchfuhr.

„Fertig?“, fragte Sherry gut gelaunt, als er die Praxis betrat, und er entspannte sich ein wenig. Seine Assistentin wusste glücklicherweise nicht viel über sein Privatleben. Zumindest noch nicht.

„Das Wetter wird zusehends schlechter“, erklärte er, während er mit der Klappleiter zum eingebauten Schrank hinüberging. „Der Wind wird immer stärker, deshalb werde ich morgen weitermachen.“

Sie nickte. „In der letzten halben Stunde kamen einige Anrufe für Sie“, erklärte sie. „Die meisten sind von der Familie.“

Sie hielt ihm die Liste entgegen und wandte sich dann wieder dem Bildschirm ihres Computers zu.

„Danke.“ Er nahm den Zettel und ging in sein Zimmer. Er sah die Namen rasch durch und warf die Liste dann in den Papierkorb. Mom. Chase. Seine Schwester Katie. Es war traurig, wenn eine ganze Familie sich um einen Zweiunddreißigjährigen, dessen Exfrau in die Stadt zurückkehrte, kümmern musste. War es denn wirklich so schlimm gewesen?

Er schloss die Augen und öffnete sie dann wieder.

Ja, es war schlimm gewesen. Sehr schlimm sogar.

Er starrte zum Fenster hinaus. Die Schneeflocken fielen immer dichter. Der Radiosender, der im Wartebereich ertönte, verkündete, dass bis morgen mindestens zwanzig Zentimeter Schnee fielen. Es würde ein weißes Thanksgiving geben. Nichts Ungewöhnliches im Norden Michigans.

Darcys Onkel würde sich freuen und das sollte auch Mack tun.

Mack fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Hatten Joe und Marla ihrer Nichte Darcy gesagt, dass er in der Baumschule mithalf? Wäre sie zurückgekehrt, wenn sie es gewusst hätte? Er mochte die beiden älteren Leute. Ihm gefiel auch die Arbeit auf der Farm – ob er nun Sträucher trimmen, Bäume veredeln, Setzlinge einpflanzen oder Rasen mähen musste. Joe und er waren Freunde geworden, selbst mit dieser unguten Geschichte im Hintergrund. Seltsam war allerdings, dass der ältere Mann Darcys Besuch nicht erwähnt hatte. Mack sollte heute Abend mit einigen anderen den Tag der offenen Türen am Tag nach Thanksgiving vorbereiten. Er wollte sichergehen, dass in diesem letzten Jahr, in dem Joe und Marla noch die Baumschule gehörte, alles ohne Schwierigkeiten verlief.

Abzusagen war keine Option. Er wusste, dass Joe die Hilfe dringender denn je benötigte.

Würde Joe denn Darcy über die abendlichen Pläne unterrichten?

Ein Teil von ihm wünschte sich, dass sie auftauchte und er sehen könnte, wie sie sich ihm gegenüber verhielt. Sie sollte wissen, dass es ihm gut ging und dass er über sie hinweggekommen war. Nach einer schweren Zeit hatte er mit seinem Leben fortfahren können. Mehr als sieben Jahre war eine lange Zeit und er hatte sich verändert.

Vielleicht war sie ja auch nicht mehr die Frau, die sie einst gewesen war.

Es spielte keine Rolle. Er wollte nicht darüber nachdenken. Es war ihm gelungen, die Beziehung zu ihrem Onkel unabhängig davon, was mit Darcy gewesen war, auf eine vertrauensvolle Basis zu stellen. Alles andere war Vergangenheit. Zumindest war es bis jetzt so gewesen. Im Moment sah es allerdings danach aus, als würde ihn die Vergangenheit noch einmal einholen.

Sherry erschien in der Tür. „Jim Miller und Kiko sind her. Jennifer ist noch nicht vom Mittagessen zurück“, erklärte sie und runzelte dann die Stirn. „Geht es Ihnen gut, Mack? Sie sehen aus, als ob Sie einem Geist begegnet wären.“

Auf eine Art und Weise war er das ja auch. Das Gespenst der Vergangenheit hatte ihn heimgesucht.

„Mir geht es gut“, versicherte er ihr. „Ich werde mich gleich um die beiden kümmern.“

Als er sein Zimmer verließ, seufzte er und nahm Kikos Krankenblatt vom Tresen auf. Kiko war eines von vielen Tieren, die er heute behandelt hatte. Jim und seine Frau lebten in Scheidung und der ältere Mann hatte Kiko, eine siamesische Katze, behalten dürfen. Manche Ehen standen einfach unter keinem guten Stern, so vielversprechend sie auch begonnen hatten.

So wie seine Ehe mit Darcy.

Er schob die Grübeleien zur Seite und ging zu seiner Patientin hinüber, die er bereits kläglich miauen hörte. Trotzdem war eine Tatsache nicht mehr aus seinen Gedanken herauszubekommen: Sie ist zurück.

Seine Exfrau war zurück.

Darcy Kramer fuhr durch die Innenstadt von Holden’s Crossing, ihrer Heimatstadt, aus der sie im jungen Alter von dreiundzwanzig Jahren geflohen war, nachdem ihre Ehe in die Brüche gegangen war. Sie hatte die Stadt in der Weihnachtszeit immer geliebt. Die Dekoration wie aus dem Bilderbuch sowie der Schnee und der nostalgische Charme der Gebäude hatten immer einen besonderen Zauber auf sie ausgeübt. Irgendwie war es tröstlich, dass sich dies nicht wirklich verändert hatte.

Waren wirklich fast acht Jahre vergangen, seit sie das letzte Mal hier gewesen war? Sie hatte nicht vorgehabt, so lange fernzubleiben. Ein unangenehmes Schamgefühl stieg in ihr auf. Sie wusste, dass Macks älterer Bruder, Chase, sie vorhin an der Tankstelle gesehen hatte. Der Blick, den er ihr zugeworfen hatte, war kälter als der Wind gewesen, der draußen wehte. War er sofort zu Mack gelaufen? Wahrscheinlich.

Schmerz breitete sich in ihrer Brust aus. Die Lawless-Familie hatte immer fest zusammengehalten, wenn ein Familienmitglied gekränkt worden war. Nur bei den angeheirateten Mitgliedern machten sie offensichtlich einen Unterschied. Damals nach dem Unfall und dem Verlust ihres Babys, als ihre Ehe unter der Last der Trauer und ihrer Schuldgefühle auseinandergebrochen war, hatten sich alle auf Macks Seite geschlagen. Und er hatte bei seiner Familie statt bei ihr Zuflucht gesucht.

Sie atmete tief durch und zwang sich, die Erinnerungen zur Seite zu schieben. Um durch diese beiden Wochen zu kommen, musste sie Mack so gut es ging ignorieren. Sie war hier, um ihrer Tante und ihrem Onkel, bei denen sie nach dem Tod ihrer Eltern aufgewachsen war, in der letzten Weihnachtssaison zu helfen, in der ihnen die Baumschule gehören würde.

Sie umfasste das Lenkrad noch fester. Nur noch ein Weihnachten, bis die Farm mit dem riesigen Baumbestand und den Gebäuden verkauft werden würde. Bevor ihr Vater starb, hatte er seinen Bruder gebeten, Darcy an der letzten Saison teilhaben zu lassen, falls sie die Baumschule verkaufen würden. Also hatte sie zwei Wochen Urlaub von ihrem PR-Job in Chicago genommen und war nach Hause gefahren.

Nach Hause.

Obwohl sie nicht viele Jahre hier gelebt hatte, war es doch in ihrem Herzen und in ihrer Erinnerung das Zuhause ihrer Kindheit gewesen – mit den guten und den schlechten Zeiten. Sie hatte es vermisst, hier zu sein, aber zurückzukommen – und damit Mack zu begegnen –, war nie eine Option gewesen. Bis jetzt.

Sie gab Gas, als sie die Stadt hinter sich ließ. Der ständig fallende Schnee blieb noch nicht auf den Straßen liegen, obwohl er bereits das Gras bedeckte. Man stelle sich vor, dass sie tatsächlich rechtzeitig zum ersten Schnee des Winters hierhergekommen war. Der Schnee gab allem eine weihnachtliche Note. Auch der Baumschule.

Sie bewegte nervös die Finger am Lenkrad. Zwei Wochen. Das würde sie schaffen. Dann konnte sie zurück nach Chicago in ihr sorgsam organisiertes Leben gehen. Sie hatte so hart daran gearbeitet, ihren inneren Frieden wiederzufinden.

Sie bog in die Straße ein, die zur Farm führte und sah sofort, dass die Holzzäune, die das Land umgaben, verwittert und zum Teil sogar abgebrochen waren. Sie parkte den Wagen bei einer dieser Stellen und stieg aus. Sie trug eine Daunenweste über einer Fleecejacke und zog deren Reißverschluss bis zum Kinn hoch, als sie die verrotteten Pfähle und Bretter betrachtete.

Der eisige Schauer, der sie durchlief, hatte nichts mit dem Schnee und der Kälte zu tun. Die finanzielle Situation der Baumschule musste schlimmer sein, als ihre Tante und ihr Onkel ihr berichtet hatten. Warum hatten sie ihr nichts gesagt? Sie hatte über die Jahre hinweg – als sie allmählich Karriere machte – immer wieder ihre Hilfe angeboten, aber sie hatten sie nie angenommen. Sie berührte die abgenutzten, zum Teil zersplitterten Pfosten und Tränen traten ihr in die Augen. Ihr Onkel und ihr Vater waren immer so stolz auf das Erscheinungsbild der Farm gewesen. Sie schluckte hart, als sie über die Wiesen mit den ordentlichen Reihen von Bäumen sah. Zumindest die sahen ordentlich und gepflegt aus. Der Wind wurde immer stärker, und sie verschränkte schutzsuchend die Arme vor der Brust, als sie zum Wagen zurückging.

Schließlich kam die Farm in Sicht, und sie fuhr mit einem Gefühl der Beklommenheit in die Einfahrt und an der langen Scheune vorbei, in der im vorderen Teil verkauft und im hinteren Teil Kränze, Grabgestecke und andere Dekorationen gebunden und aufbewahrt wurden. Da einige Wagen auf dem Parkplatz standen, arbeiteten jetzt sicher einige Leute darin. Sie stellte erleichtert fest, dass wenigstens hier alles gepflegt aussah. Ihr Onkel war bestimmt draußen auf den Feldern, obwohl er seine Gesundheit schonen sollte. Da ihre Tante sie gebeten hatte, als Erstes ins Haus zu kommen, fuhr sie weiter zu dem weißen Bungalow mit den grünen Fensterläden, der bereits mit Tannenzweiggirlanden und Lichterketten geschmückt war. In jedem Fenster hing an einer roten Schleife ein kleiner Kranz. Rauch stieg in kräuselnden Wölkchen aus dem Schornstein und ein Gefühl der Erleichterung stieg in ihr auf. Es war richtig hierherzukommen. Wenn sie sich ein Zuhause vorstellte, dann sah es immer genauso aus. Sie griff nach ihrer Handtasche und wollte aussteigen.

Aber sie konnte noch nicht die Tür öffnen. Sie war so lange fort gewesen, und das aus Gründen, die gegen die Schwierigkeiten verblassten, gegen die ihr Onkel und ihre Tante hier auf der Farm kämpften. Obwohl sie wusste, dass sie für Mack und sich das Richtige getan hatte, wurde sie von einer Welle von Schuldgefühlen erfasst.

Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, stieg aus dem Wagen, holte ihr Gepäck aus dem Kofferraum und schleppte es über die Einfahrt zum Haus hinüber, während der eiskalte Schnee ihr ins Gesicht wehte. Das Gewicht des Gepäcks war nichts gegen die Last, die sie in ihrem Inneren mit herumtrug. Sie klopfte an die Tür und wartete. Sie konnte durch die Vorhänge Licht in der Küche sehen und dann einen Schatten, der auf die Tür zulief. Ihre Tante.

Ihr Atem stockte, als Marla die Tür mit einem Lächeln auf ihrem alterslosen Gesicht öffnete. „Darcy Jane! Wie schön, dich zu sehen, Liebes.“

Darcy trat durch die Tür und ließ sich von ihrer Tante umarmen. Die Reisetaschen ließ Darcy zu Boden fallen. „Hallo, Tante Marla!“, sagte sie und atmete den vertrauten Duft ein. Ihre Tante benutzte immer noch Jean Nate. Sie schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten. Gott sei Dank! Manche Dinge ändern sich eben nie.

Ihre Tante drückte sie noch einmal ans Herz und trat dann zurück. „Du meine Güte, du siehst ja keinen Tag älter aus. Du hast die guten Gene deiner Mutter. Komm herein, damit ich die Tür schließen kann.“

Darcy lief zur Küche durch und genoss den Duft von Schmorbraten. So etwas kochte sie nie für sich selbst. „Hm, wie wunderbar das hier riecht!“

Marla öffnete den Backofen und warf einen Blick hinein. „Diesen Braten mache ich für dich. Normalerweise essen wir nicht mehr so schwer. Ich versuche so zu kochen, dass es Joes angeschlagenem Herz bekommt.“

Darcy zog ihre Stiefel aus. „Wie geht es Onkel Joe?“

„Ihm geht es den Umständen entsprechend gut. Er muss langsam machen, was ihm sehr schwerfällt, da es zu dieser Jahreszeit so viel Arbeit gibt, aber er hat seine Arbeitszeit reduziert, und wir haben ein paar gute Angestellte, die mit für ihn einspringen. Die Baumschule zu verkaufen, wird sehr schwer sein, aber es ist das einzig Richtige. Es ist an der Zeit.“

Darcy zögerte. „Ich habe gesehen, dass es hier viel zu tun gäbe“, meinte sie.

Marla nickte. „Wir haben uns auf die Bäume und Sträucher konzentriert, nicht auf die Zäune an der Straße. Wir konnten nicht, obwohl …“ Sie hielt inne und Darcy hätte schwören können, Schuld über ihr Gesicht huschen zu sehen.

„Obwohl was?“

Ihre Tante schüttelte rasch den Kopf. „Nichts. Wir haben alles getan, was wir konnten. Jetzt ist es an der Zeit, die Baumschule jemand anders zu übergeben.“ Sie wies mit dem Kopf auf Darcys Reisetaschen. „Bring doch erst einmal dein Gepäck auf dein Zimmer. Ich habe alles hergerichtet. Wir essen bald. Ich hoffe, du hast Hunger.“

Genau in diesem Moment knurrte Darcys Magen und die junge Frau musste lachen. „Ich denke, das ist Antwort genug.“ Sie hatte heute nur an einem Proteinriegel geknabbert. Sie war viel zu aufgewühlt gewesen, um etwas essen zu können.

„Das ist gut. Ich habe eine Menge zubereitet, und ich möchte nicht, dass dein Onkel zu viel isst. Komm, ich helfe dir.“ Marla nahm eine ihrer Reisetaschen auf und Darcy nahm die andere.

Als sie ihrer Tante zu den Treppen folgte, bemerkte sie, dass sich im Haus nicht viel geändert hatte. Es war wie immer sauber und aufgeräumt und die Möbel und Vorhänge waren noch die gleichen. Eine große Blautanne stand vor dem großen Fenster. Sie war mit vielen Lichtern, Kugeln und Figuren geschmückt. Ein Feuer prasselte im Kamin. Die ganze Szene wirkte gemütlich und einladend.

Traurigkeit erfüllte ihr Herz. Sie würde dieses Haus sehr vermissen, wenn es verkauft war.

Marla stellte die kleine Reisetasche auf das Bett. „Ich weiß, dass es dir schwergefallen ist hierherzukommen. Ich möchte, dass du weißt, wie sehr wir es schätzen, dass du uns besuchst. Und ich wünschte … Ich wünschte, du hättest niemals gedacht, dass du nicht nach Hause kommen kannst.“

Darcy sank auf das Bett. „Du weißt, warum ich nicht kommen konnte.“

Marla schaute sie an und Darcy sah Verständnis und Mitgefühl im Blick ihrer Tante. „Ich weiß, warum du gedacht hast, dass du nicht kommen konntest. Das ist ein Unterschied.“

Darcy schaute auf den Quilt, der über dem Bett lag und fuhr mit der Hand darüber. Wegzugehen hatte ihr und Mack nach der Scheidung die Möglichkeit gegeben, ihr Leben neu zu beginnen. „Nicht für mich.“

„Das weiß ich auch. Aber jetzt bist du ja hier. Dein Dad wäre stolz auf dich.“ Sie ging zur Tür. „Komm herunter, wenn du mit Auspacken fertig bist. Nach dem Essen wartet Arbeit auf uns.“

Darcy blieb auf dem Bett sitzen und hörte die Treppen knarren, als ihre Tante hinunterging. Sie atmete mehrere Male tief durch.

Die Erinnerungen würden nicht einfach verschwinden. Im Gegenteil, hier würden sie verstärkt wieder auftauchen. Also musste sie damit klarkommen.

Entschlossen stand sie auf und öffnete die erste Reisetasche. Sie war keine naive junge Frau mehr. Sie war in der Hölle und wieder zurück gewesen. Sie hatte ihr Baby verloren und ihre Ehe. Egal was die Lawless-Familie noch auftischte, sie würde die Kraft haben, alles durchzustehen.

Aber sie würde die Dinge richtigstellen müssen. Sie hatte vor, sich bei Mack zu entschuldigen und ihm zu verstehen zu geben, dass sie ihm nie hatte Schmerz zufügen wollen. Vielleicht konnte sie sich dann endlich selbst verzeihen.

Vielleicht.

Zwei Stunden später, nachdem Darcy den wunderbaren Braten genossen hatte, lächelte sie ihre Tante und den Onkel an. „Danke schön. Das war das beste Essen, das ich seit Langem hatte.“ Und morgen war Thanksgiving. Sie hätte also noch ein weiteres köstliches hausgemachtes Essen vor sich. Welche Freude!

Die beiden Älteren wechselten Blicke und dann sah ihr Onkel sie ernst an. „Darcy, es gibt etwas, das wir dir sagen müssen.“

Besorgnis stieg so rasch in ihr auf, dass sie Mühe hatte zu sprechen. „Bist du … Ist mit dir alles in Ordnung, Onkel Joe?“

Er strich ihr beruhigend über den Arm. „Ja. Oh ja, Darcy, es geht nicht um mich. Es ist nur so … Nun, Mack hat hier gearbeitet.“

Das konnte nicht sein. Sie dachte so viel an ihren Exmann, dass sie ihren Onkel falsch verstanden haben musste. Warum sollte Mack hier draußen in der Baumschule arbeiten? Er war Tierarzt. „Entschuldige, was hast du gesagt?“

Er sah sie unverwandt an. „Mack hat mir hier geholfen.“

Die Luft entwich aus ihren Lungen. Sie hatte sich nicht verhört. Nein, das durfte nicht sein. „Mein Mack?“ Sie zuckte zusammen. Was sagte sie da! Fast acht Jahre war er nicht mehr ihr Mack gewesen. „Warum?“

Marla legte eine Hand auf Darcys Arm. „Er ist jung und stark. Er hilft uns bereits seit Jahren. Ich weiß, wie sehr dich das trifft.“

Sie schaute auf und ein Gefühl des Verrats überfiel sie. Das hatte sie nicht erwartet. Aber was für ein Recht hatte sie, von ihrer Familie, die in dieser Gemeinde lebte, zu erwarten, den Kontakt mit der Lawless-Familie zu meiden. „Ah. Nun, das ist sehr nett von ihm. Ich weiß, dass er bereits sehr viel mit seiner Tierarztpraxis zu tun hat.“ Sie zuckte mit den Schultern und versuchte, gelassen zu wirken. Sie wusste, dass ihr das nicht gelang. „Warum sollte mich das treffen? Es ist so lange her.“

Ihre Tante stieß einen kleinen Laut aus. „Oh, Darcy.“

Joe räusperte sich. „Noch eines. Er ist auf dem Weg hierher.“

Sie schaute ihn entsetzt an und Panik breitete sich in ihr aus. „Was?“

Marla seufzte. „Er war in den letzten Wochen jeden Abend hier. Ich weiß, das muss ein Schock für dich sein …“

„Ihr hättet mich nicht vorwarnen können?“, fragte sie einen Ton zu schrill. Oh nein, klang sie wirklich so hysterisch?

„Wir wollten dich nicht aufregen“, erklärte Marla schlicht. „Wir dachten, es wäre das Beste, wenn wir es dir nicht sagen würden. Wir haben lange darüber geredet und nachgedacht, wie wir damit umgehen sollen. Das Leben war nach der Scheidung so schwierig für dich.“

Darcy schloss die Augen, atmete tief durch und versuchte, ihre aufgepeitschten Nerven zu beruhigen. Natürlich meinten sie es gut, daran zweifelte sie auch nicht. Sie versuchten nur, sie zu beschützen. Mack würde zumindest nicht blind in diese Situation laufen. Chase, der sie an der Tankstelle gesehen hatte, würde dafür gesorgt haben.

„Wann wird er hier sein?“ Es war erstaunlich, dass ihre Stimme auf einmal fast ruhig klang. Gott sei Dank!

Joe schaute zur Wanduhr hinüber. „Er ist normalerweise gegen achtzehn Uhr dreißig hier. Bitte verstehe uns richtig, Darcy. Ich weiß, wir hätten dir vorher etwas sagen sollen, aber …“ Er verstummte und schaute fast verzweifelt zu seiner Frau hinüber.

Sie kam ihm sofort zu Hilfe. „Aber wir wussten nicht, wie du reagieren würdest. Es ist für dich doch schon schwer genug gewesen zurückzukommen. Es tut mir leid.“

Darcy gelang es zu lachen. „Ich bin seit Jahren über Mack Lawless hinweg. Wenn er euch hilft, so ist das doch einfach nur großartig. Ich habe kein Problem damit.“

Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Aber da sie ihre Gefühle nicht näher analysieren wollte, schob sie ihre Aufregung auf die Tatsache, dass ihre Verwandten ihr diesen wichtigen Umstand verschwiegen hatten.

Ihr innerer Aufruhr hatte nichts damit zu tun, ob oder ob sie nicht über ihn hinweg war. Zumindest versuchte sie, sich das einzureden.

2. KAPITEL

„Nun“, erklärte Marla, während sie sich erhob und auf dem Tisch das Geschirr zusammenzustellen begann. „Ich werde die Küche aufräumen und dann zu euch in die Scheune kommen. Darcy, wenn du heute Abend nicht mit hinauskommen möchtest, können wir das verstehen.“

„Nein. Es ist alles in Ordnung.“ Sie hoffte inständig, dass das der Wahrheit entsprach. Sie durfte ihre Tante und ihren Onkel nicht wissen lassen, wie aufgewühlt sie war.

Marla wollte Darcys Hilfe in der Küche nicht annehmen. Darcy zog ihre Jacke und ihre Stiefel an und folgte ihrem Onkel über den verschneiten Weg zur Scheune. Zu jeder anderen Zeit hätte sie die Szene mit dem leise fallenden Schnee als friedlich bezeichnet. Im Moment war sie viel zu angespannt, um sie zu genießen.

„Finanziell sieht es bei uns nicht so gut aus, wie du sicher bereits bemerkt hast, als du hierhergefahren bist“, erklärte ihr Onkel schließlich. „Mack hat sich dann angeboten auszuhelfen und hat kein Geld angenommen. Ihm gefalle die Arbeit, hat er gesagt.“

Ihr Herz zog sich krampfhaft zusammen. Das hörte sich wie der Mack an, den sie gekannt und geliebt hatte.

„Es ist schon okay, Onkel Joe.“

Er ergriff für den Rest des Weges ihre Hand und sie war dankbar für die liebevolle Geste. In der Scheune stellte er sie den Angestellten vor. „Wir haben hier drinnen und draußen zu tun. Erinnerst du dich noch, wie man einen Kranz macht?“

Trotz ihrer Anspannung lächelte sie. „Das kann ich im Schlaf, Onkel Joe.“

Er umarmte sie kurz. „Bleib stark, Kleines.“ Dann ging er mit seinen Leuten hinaus und ließ sie allein zurück.

Sie nahm sich einen Moment, um den Duft der Tannen und Kiefern einzuatmen. Einige Dinge änderten sich nie und diese Scheune war glücklicherweise eines davon. Hier standen lange abgenutzte Holztische, auf denen offene Kartons mit Draht, Schnüren, Messern und Scheren, Tannenzapfen, einer Vielzahl von Bändern und andere Dekoration standen. Sie bewunderte einen fertigen Kranz. Er war aus Tanne und Wacholder gebunden und mit Beeren, Tannenzapfen und einer breiten goldenen Schleife verziert.

Sie zwang sich, nicht auf die Uhr zu schauen – wie lange konnte es bis achtzehn Uhr dreißig noch dauern? – und beschäftigte sich damit, Materialien für einen Kranz zusammenzustellen. Dann begann sie mit dem Binden von Schleifen. Ihre Tante kam in die Scheune, bevor Mack erschien.

„Ich dachte, es ist besser für dich, wenn ich auch hier bin“, erklärte sie und lächelte. „Ich sehe, du hast deine Fähigkeiten, hübsche Schleifen zu binden, noch nicht verlernt.“

Ihre Tante plauderte munter weiter und schien nicht zu erwarten, dass Darcy ihr antwortete – was gut war, denn Darcy war damit beschäftigt, auf das Geräusch eines heranfahrenden Trucks zu warten. Als sie es schließlich hörte, atmete sie tief durch.

Marla warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. „Entspann dich, Liebes. Alles wird gut.“

Darcy hörte sie kaum, denn das Scheunentor wurde jetzt aufgeschoben, und sie sah Macks vertraute Silhouette.

Ihr stockte der Atem. Er hatte sich nicht verändert. Wenn überhaupt, dann sah er noch besser als früher aus – selbst in alten Jeans, Stiefeln und einer Daunenjacke. Sein braunes Haar war etwas länger als früher und lockte sich leicht im Nacken.

Sein Blick fiel auf sie und er nickte ihr kühl zu. „Darcy. Schön, dich zu sehen.“

Es waren mehr als sieben Jahre vergangen, seit er ihren Namen mit seiner wundervollen tiefen Stimme gesagt hatte. Noch länger war es her, dass er ihn mit Liebe und Leidenschaft ausgesprochen hatte. Schmerz und Bedauern schlugen wie eine Flutwelle über ihr zusammen. Sie schluckte schwer. „Mack.“ Ihre Stimme war nur ein Flüstern.

Bevor sie noch etwas sagen konnte, richtete er seine Aufmerksamkeit auf ihre Tante. Worüber sie sprachen, konnte Darcy nicht sagen. Sie wandte sich wieder dem Tisch zu und band Schleifen. Ihre Hände zitterten, und sie hatte Mühe, das Band richtig zu halten.

Wenn sie Mack jetzt sah – ihr Blick glitt wie von allein immer wieder zu ihm hinüber –, war es eindeutig, dass er nicht unter den gleichen Problemen wie sie litt. Er war über sie hinweggekommen.

Das war gut, oder? Deswegen hatte sie ja die Stadt verlassen. Mission erfüllt.

Zu schade, dass es ihr nicht genauso erging. Sie war immer noch verletzt. Es fühlte sich an wie eine alte Wunde, die nicht heilen wollte.

Sie wollte zu einer Schere greifen, als es in ihrem Nacken prickelte. Als sie aufschaute, sah sie direkt in Macks Augen. Selbst quer durch die Scheune und über den Kopf ihrer Tante hinweg spürte sie die Hitze seines Blickes bis in die Zehenspitzen.

Oh nein!

Sie schaute auf die Schleife, die sie falsch gebunden hatte und öffnete sie mit bebenden Händen wieder. Oh, das war schlimm.

Es stimmte, in den Jahren nach ihrer Scheidung hatte sie kaum Dates gehabt. Sie war nur wenige Male ausgegangen und auch nur, weil ihre Freundinnen sie dazu überredet hatten. Aber bei keinem dieser Männer hatte es ein Folgedate gegeben.

Sie hatte nie so auf jemanden reagiert, wie sie es auf Mack getan hatte.

„Wir müssen reden.“

Darcy zuckte zusammen, als sie seine Stimme hinter sich hörte. Sie drehte sich um und sah hinauf in sein Gesicht. In seine fast versteinerten Züge und seine kühlen blauen Augen. Oh, wie hatte sie diesen Mann, den sie von ganzem Herzen geliebt hatte, verletzt. Wenn sie nur zurückgehen und alles ungeschehen machen könnte!

Aber das konnte sie nicht.

„Worüber?“ Panik schnürte ihr die Kehle zu. Er konnte doch nicht bereits jetzt über ihre gescheiterte Ehe sprechen wollen, oder?

„Warum wir hier sind.“

Darcy legte die Schere ab und verschränkte schützend die Arme vor der Brust. „Ich weiß, warum ich hier bin. Meine Tante und mein Onkel haben mich darum gebeten.“

Seine Augen blitzten auf. „Du hättest jederzeit nach Hause kommen können.“

Sie zog scharf die Luft ein. „Nein, das konnte ich nicht. Du vor allem müsstest das am besten wissen.“

„Ich weiß ja noch nicht einmal, warum du überhaupt weggegangen bist.“ Die Worte waren schlicht, doch schnitten sie wie eine geschliffene Klinge in ihr Herz.

Sie hob das Kinn und drängte die Tränen zurück. „Natürlich weißt du das, aber das spielt auch jetzt keine Rolle. Ich werde meiner Tante und meinem Onkel helfen und dann wieder aus deinem Leben verschwunden sein.“

Er sah sie mit durchdringendem, undefinierbarem Blick an. „Du wirst nie aus meinem Leben verschwunden sein“, erklärte er leise.

Darcy starrte ihm nach, als er die Scheune verließ, und seine Worte hallten in ihrer Seele wider.

Marla lief zu ihr hinüber. „Ist alles in Ordnung, Liebes?“

Darcy zwang sich zu einem Lächeln. „Natürlich.“ Unter dem skeptischen Blick ihrer Tante fügte sie hinzu: „Ich bin ein bisschen durch den Wind, aber ansonsten ist alles okay, Tante Marla. Ich habe ihn schließlich eine Weile nicht mehr gesehen.“

Das Telefon klingelte und Marla nahm das Gespräch widerwillig entgegen. Man sah ihr an, dass sie Darcy jetzt nur ungern allein ließ.

Darcy nahm die Schere wieder in die Hand und war fest entschlossen, niemandem zu zeigen, wie sehr die Begegnung mit Mack sie mitgenommen hatte. Während sie eine neue Schleife zu binden begann, wurde sie allmählich ruhiger und Entschlossenheit setzte bei ihr ein. Vielleicht hoffte sie zu viel, wenn sie glaubte, Mack während ihres Aufenthalts alles erklären zu können, was er bisher nicht verstanden hatte. Aber sie musste es versuchen. Nur so würde sie endlich ohne Schmerz weiterleben können. Das wusste sie.

War Weihnachten nicht eine Zeit der Wunder?

Sie seufzte. Eines war klar, sie brauchte dringend ein Wunder.

Mack lief hinaus in die Kälte, während seine Gedanken wild durcheinanderwirbelten. Er hatte geglaubt, dass er auf den Schock, sie zu sehen, vorbereitet gewesen wäre, aber er hatte sich geirrt. Und wie er sich geirrt hatte! Nach all den Jahren war es nicht einfacher geworden.

Besonders da sie so verdammt hübsch und anziehend aussah.

Aber es war der Ausdruck in ihren großen braunen Augen gewesen, der ihn fast umgebracht hatte – misstrauisch, hoffnungsvoll, traurig: alles zusammen. Und Bedauern.

Bedauern. Mit diesem Gefühl kannte er sich bestens aus.

Der fallende Schnee wirbelte um ihn herum, als er zu Joe kam, der einen Laster mit geschlagenen Tannenbäumen für ein Geschäft in der Stadt belud. Joe wirkte schuldig.

„Hast du Darcy gesehen?“

Mack nickte. „Ja.“

Joes Blick war prüfend und rief ein unbehagliches Gefühl in Mack hervor. Er wollte nicht, dass der ältere Mann sah, wie aufgewühlt er war. „Es tut mir leid, dass wir nichts über Darcys Ankunft erzählt haben.“ „Wir hatten Angst, dass du nicht mehr kommst. Oder Darcy. Beides wollten wir vermeiden.“

Mack schüttelte den Kopf. Er wäre wiedergekommen. Und er hätte über Darcy auf keinen Fall mit ihrem Onkel diskutiert. Das wäre illoyal gewesen. „Das ist schon in Ordnung. Wo gehen diese Bäume hin?“ Er nahm eine frisch geschlagene Fichte vom abgestellten Anhänger herunter.

„Zu Tom. Ich habe versprochen, dass die Lieferung gleich morgen früh erfolgt“, meinte Joe.

Sie brauchten nicht viel Zeit, bis der Truck mit den Fichten, Tannen und Kränzen, die der Supermarkt bestellt hatte, beladen war. Nachdem sie noch einige andere Dinge erledigt hatten, ging Mack zurück in die Scheune, doch Darcy war nirgends zu sehen.

Der Stich, der ihn durchfuhr, konnte nicht das Gefühl von Enttäuschung sein. Unmöglich. Das hatte er hinter sich. Das war abgehakt.

Er gab einen kleinen resignierten Laut von sich. Wem wollte er eigentlich etwas vormachen?

Mit einem Seufzer ging er langsam durch den Schnee auf seinen Truck zu. Joes Stimme hielt ihn auf.

„Wirst du mit Darcy darüber reden?“

Mack drehte sich um. „Worüber?“

„Darüber, was passiert ist.“

Zorn stieg in ihm auf, doch er hielt ihn im Zaum. „Es gibt nichts mehr zu sagen. Es ist seitdem viel Zeit vergangen. Sehr viel Zeit, Joe“, erklärte er, obwohl er das Gefühl gehabt hatte, als er Darcy gegenüberstand, alles wäre erst gestern passiert. Er wollte vergessen und nicht mehr alles ausgraben. Sie hatte sie nicht gewollt, die Familie, die sie hätten sein können. Was könnte gut daran sein, die alten Wunden noch einmal aufzureißen?

„Vielleicht ist das so. Aber ihr beide habt etwas nicht abgeschlossen. Rede mit ihr.“ Als Mack den Mund öffnete, hielt Joe die Hand hoch. „Ich werde nichts weiter dazu sagen. Du bist erwachsen. Danke, dass du heute Abend geholfen hast. Wir machen morgen weiter.“

Mack sagte gute Nacht und strich mit dem Arm den flockigen Schnee von der Windschutzscheibe. Dann blieb er einen Moment regungslos stehen und sah zu, wie Joe den Weg zum Haus entlanglief. Er seufzte, stieg in den Truck und startete den Motor. Als er nach Hause fuhr, fühlte er sich auf einmal erschöpft. Er wusste, dass er diese Nacht entweder nicht schlafen oder die ganze Nacht von Darcy träumen würde. Ganz ehrlich, er würde eine schlaflose Nacht vorziehen.

Er bog in die Einfahrt des kleinen Hauses ein, das er gekauft und restauriert hatte, nachdem Darcy ihn verlassen hatte. Er brauchte damals ein Ventil für seinen Kummer und die Arbeit an diesem Haus hatte die erwünschte Ablenkung geboten. Er ging durch die Haustür und wurde von enthusiastischem Bellen begrüßt. Sadie und Lilly kamen herbeigerannt und freuten sich, als ob sie befürchtet hätten, dass er nie mehr zurückkommen würde. Er kraulte ihre Ohren, während er zwischen den Hunden hindurch seinen Weg in die Küche bahnte.

„Ihr wollt hinaus, nicht wahr?“ Die Tiere rannten zur Tür und er ließ sie hinaus in den eingezäunten großen Garten. Das Telefon klingelte, bevor er noch seine Jacke ausgezogen hatte. Er warf einen Blick auf die Nummer und wappnete sich.

„Hi, Mom.“

„Mack. Wie geht es dir?“ Tiefe Besorgnis schwang in der Stimme seiner Mutter mit.

„Gut.“ Da er wusste, worauf sie hinauswollte, fügte er hinzu: „Warum sollte es mir nicht gut gehen?“

Seine Mutter seufzte. „Ich weiß es nicht. Darcy ist wieder zu Hause und du hast in der Baumschule geholfen. Hast du sie gesehen?“

Mack schlüpfte aus der Jacke und legte sie weg. „Ja.“ Es gab nichts anderes zu sagen, zumindest nicht zu seiner Mutter.

„Wie ist es gelaufen?“, fragte sie sanft.

„Keine Ahnung. Gut, denke ich.“ Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar und erinnerte sich an Darcys große braune Augen, in denen sich die unterschiedlichsten Emotionen widergespiegelt hatten. „Mom, was denkst du, was ich tun werde?“

Sie seufzte. „Ich weiß es nicht. Ich weiß, wie fertig du warst, als sie dich verlassen hat. Wie wir Angst hatten, dich auch noch zu verlieren. Ich weiß, dass du erwachsen bist, aber du bist immer noch mein Junge. Und ich möchte nicht, dass du noch einmal so viel Schmerz erleiden musst.“

Mack wandte sich um, als er Geräusche an der Hintertür hörte. Die Hunde wollten wieder ins Haus. Er öffnete die Tür und sie rannten mit ihren nassen Pfoten herein und brachten Schnee und kalte Luft mit sich. „Das ist doch alles Vergangenheit, Mom.“

Sie stieß einen kleinen ungläubigen Laut aus. „Dann ist es ja gut. Ich will dich nicht länger aufhalten. Wir sehen uns dann morgen.“

Morgen. Thanksgiving. Einen davon hatte er mit seiner Darcy als seine schwangere Ehefrau verbracht. Bevor … Nun, bevor. So teilte er alles auf. In davor und danach. Er schob die Bilder weg, die in ihm aufstiegen. „Hört sich gut an.“

Sie redeten noch ein paar Minuten, und Mack legte mit dem Versprechen auf, pünktlich zum Essen zu erscheinen.

Er warf den Hörer auf die Bar und sank auf einen der Hocker nieder. Dann bedeckte er sein Gesicht mit den Händen und stützte die Ellbogen auf. Darcy. All die Erinnerungen, an denen er so hart gearbeitet hatte, um sie endlich zu vergessen, waren wieder lebendig geworden.

Er schlug mit den Händen auf den Tresen und beide Hunde schauten von ihren Näpfen auf.

„Entschuldigt“, sagte er, und die Hunde warfen sich Blicke zu, als wüssten sie mehr, als er zeigen wollte, als er irgendjemandem zeigen wollte.

Nach einer Dusche legte er sich aufs Bett und schaltete den Fernseher ein, um sich abzulenken. Er zappte durch die Kanäle, bis er auf ein Eishockeyspiel stieß, das er sich sowieso nicht anschauen würde.

Darcy hatte richtig schockiert ausgesehen, als er ihr sagte, dass er nicht wüsste, warum sie damals gegangen war. Wie konnte das sein? Sie hatte ihm nie erklärt, warum sie ihn verließ, nachdem sie um die Scheidung gebeten hatte. Er wusste nur, dass sie es sehr eilig gehabt hatte, die Stadt zu verlassen. Sie hatte sich noch nicht einmal einen Blick zurück gegönnt.

Ob er es sich eingestehen wollte oder nicht – seitdem hatte er auf sie gewartet.

Thanksgiving ging vorbei als ein Tag mit köstlichem Essen und hektischen Vorbereitungen für den Tag der offenen Tür am darauffolgenden Morgen – damit läutete die Baumschule Kramer die Weihnachtssaison ein. Darcy wusste, dass Mack sich in ihrer Nähe aufhielt, aber es waren so viele Leute um sie herum, und es gab so viel zu tun, dass sie keine Zeit hatte, länger darüber nachzudenken.

Aber sie war sich seiner immer bewusst. Es fühlte sich so an, als wäre sie auf seine Nähe eingestellt. Und das war nicht gut.

Sie hatte in der letzten Nacht schlecht geschlafen und oft von Mack geträumt. Durch wenig Schlaf, zu viel Koffein und die ständige Anspannung kam sie sich jetzt wie ein Nervenbündel vor und fürchtete, dass die kommende Nacht der letzten ähneln konnte.

Sie sehnte sich nach ihrem ruhigen Apartment in Chicago, ihrem Zufluchtsort von all den Empfindungen und Ängsten – selbst wenn der Raum nur Sicherheit vor ihrem eigenen Selbst und ihren Erinnerungen bot.

Das Geplauder der Angestellten, die Weihnachtsmusik und der frisch gefallene Schnee sorgten dennoch für eine gehobene Stimmung. Ihre Tante und ihr Onkel waren begeistert. Darcy band gerade etwas Efeu in einen Kranz, als Marla zu ihr hinüberkam.

„Das sieht sehr hübsch aus!“, lobte sie mit einem Lächeln. „Du kannst es also immer noch.“

Darcy lachte. „Ich denke, ich kann sogar noch im Schlaf Kränze binden. Läuft alles gut?“

„Ja, glücklicherweise. Wir sind fast fertig. Könntest du noch dafür sorgen, dass das Heizaggregat und die Warmhalteplatten morgen früh für die warmen Getränke bereitstehen? Heiße Schokolade und Kaffee hier und dort drüben außerdem noch Punsch.“ Marla reichte Darcy eine Tasche, in der sich Kakaopulver und Kaffee befanden. „Den Cidre-Punsch bereite ich morgen früh zu.“

„Sicher.“ Darcy ließ den fertigen Kranz auf dem Tisch liegen, zog die Arbeitshandschuhe aus und ging dann zu dem kleinen Gebäude hinüber, in dem sich das Heizaggregat und die Warmhalteplatten befanden. Jemand hatte dort das Licht angelassen.

Als sie eintrat, drehte Mack sich überrascht um, und Darcy gab einen kleinen Schrei von sich.

„Was suchst du hier!?“, stieß sie hervor. Sein Gesicht verschloss sich, und sie wusste, wie unhöflich und grob diese Frage geklungen haben musste. „Ich meine … Ich wollte nicht …“

„Ich weiß schon, was du meinst.“ Er nickte mit dem Kopf zu dem Heizaggregat. „Dein Onkel hat gesagt, ich sollte es mal überprüfen.“

„Oh. Okay. Ich brauche nur eine Minute.“ Sie holte aus ihrer Tasche eine Dose Kaffee und zwei Packungen Kakao heraus und stellte sie auf den Tisch neben sich.

Sie hatte jedes Recht, hier zu sein. Sie würde sich nicht von Mack einschüchtern lassen – nicht, dass er es versucht hätte. Sie brauchte weder etwas vor diesem Mann zu verbergen, noch war es nötig, sich zu verteidigen. Sie waren geschieden.

Warum zitterten dann ihre Hände so?

Sie trat hastig einen Schritt von ihm zurück und stieß dabei gegen die Dose Kaffee, die vom Tisch auf den Boden fiel. Der Deckel löste sich, und Kaffeepulver ergoss sich – einen aromatischen Duft verbreitend – auf dem Boden. Ihr Gesicht brannte, als sie sich praktisch im selben Moment wie Mack bückte.

„Ich hab sie“, murmelte sie, als sie zur Dose griff und sog dann überrascht die Luft ein, als Macks Hand sich warm auf ihre legte. Obwohl sie wusste, dass sie ihre Hand sofort zurückziehen sollte, suchte sie seinen Blick.

Er befand sich nur wenige Zentimeter von ihr entfernt. Seine blauen Augen waren ernst, doch sie sah Funken des Verlangens darin – und diese Funken entzündeten auch in ihr ein Feuer. Am liebsten hätte sie sich jetzt nach vorne gelehnt und überprüft, ob er noch genauso wie früher schmecken würde …

Doch diesen Luxus konnte sie sich nicht gönnen. Sie hatte viel zu viel Zeit mit dem Versuch verbracht, genau diese Nähe zu vergessen.

„Darcy.“ Seine Stimme war tief und ein wenig rau. Sie schluckte schwer, zog die Hand weg und hielt die verflixte Kaffeedose wie ein Schild in ihren Armen. Sein Blick war verschlossen, als er sich auf die Fersen zurücksetzte. „Brauchst du einen Besen?“

Sie sah sich das Chaos auf dem Boden an. „Sieht so aus.“ Hoffentlich gab es irgendwo noch eine andere Dose Kaffee, ansonsten würden morgen alle Kakao trinken müssen. „Drüben im Schrank steht einer. Ich fege das Pulver nur schnell zusammen. Dann hast du wieder deine Ruhe.“ Auf einmal war es schrecklich stickig und heiß in diesem Raum.

„Du bist mir nicht im Weg“, murmelte er und ging zu dem Heizaggregat hinüber, als sie mit dem Besen kam. Sie beseitigte das Missgeschick und musste dabei immer wieder auf seinen breiten Rücken schauen, während er das Gerät überprüfte.

„Gut, dann gehe ich jetzt“, erklärte sie aufgesetzt fröhlich, als sie ihre Arbeit beendet hatte. „Entschuldige die Störung.“

Er schaute zu ihr hinüber. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, erwiderte er ruhig.

Darcy flüchtete nach draußen und atmete tief die kalte Luft ein – in der Hoffnung, die winzigen Schmetterlinge in ihrem Bauch würden verschwinden.

Es machte ihr nichts aus, dass ihr vor Mack dieses Missgeschick mit der Kaffeedose passiert war, obwohl sie inständig hoffte, dass Tante Marla noch irgendwo einen Ersatz hatte. Es war ihre Reaktion auf ihn, die sie ängstigte. Sie hatte lange und hart daran gearbeitet, über die Schuldgefühle und die Trauer hinwegzukommen. Es war ein schwerer, mühsamer Kampf gewesen, aber jetzt hatte sie sich ein neues erfolgreiches Leben in Chicago aufgebaut. Mack zu sehen, brachte jedoch alles wieder ins Wanken. Wenn sie ihrem Vater nicht vor all den Jahren versprochen hätte, dass sie bei der letzten Weihnachtssaison dabei wäre, dann würde sie jetzt ihre Sachen packen und sofort abfahren.

Es war doch kein Weglaufen, wenn sie nur ihr inneres Gleichgewicht retten wollte, oder etwa nicht?

3. KAPITEL

Der Eröffnungstag der Weihnachtssaison flog nur so vorbei. Es herrschte reger Betrieb, und Darcy freute sich, dass so viele Menschen zur Farm gekommen waren. Das Wetter spielte auch mit. Hin und wieder fiel leichter Schnee, aber es gab keinen Wind. Sie arbeitete an der Kasse, begrüßte viele alte Freunde, aber auch neue Gesichter. Sie konnte hin und wieder sehen, wie Mack half, Bäume auszusuchen und in den Wagen zu laden. Sie meinte auch gesehen zu haben, wie einige der jüngeren Frauen sich bei ihm Hilfe holten, ohne sie wirklich zu benötigen, nur um für einen Moment seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Sie war sich nicht sicher, wie sie sich dabei fühlte.

Sie gab sich große Mühe, nicht auf seinen knackigen Po und seine muskulösen Oberschenkel zu schauen, die in der verwaschenen Jeans äußerst gut zur Geltung kamen. Sie versuchte auch, Blickkontakt mit ihm zu vermeiden, aber jedes Mal, wenn er in ihr Sichtfeld geriet, schienen ihre Blicke sich unwillkürlich zu treffen.

Nur eine Handvoll Leute spielte auf die Vergangenheit an, und niemand machte eine Bemerkung, die sie verletzte, obwohl Darcy sich für das Schlimmste gewappnet hatte.

Als sie die Baumschule um zwanzig Uhr schlossen, war sie entspannt und glücklich. So entspannt, dass sie Mack anlächelte, als Marla ihn zum Abendessen und einen Drink einlud.

Er nahm die Einladung sofort an.

Während des Abendessens wurde nur das Nötigste geredet. Marla und Joe waren sichtlich erschöpft und alle Anwesenden stürzten sich hungrig auf den ausgezeichneten Rindfleischeintopf. Nach dem Abendessen schickte Darcy ihren Onkel und ihre Tante aus der Küche. „Ich werde aufräumen.“

„Und ich werde dir helfen“, erklärte Mack und erhob sich vom Tisch.

Marla und Joe wechselten einen Blick, und Darcy wünschte sich, er hätte nichts gesagt. Es war klar, was in ihrer Tante und ihrem Onkel vor sich ging, aber sie wollte auf keinen Fall, dass sie auf falsche Gedanken kamen.

„In Ordnung“, erwiderte Marla. „Danke schön.“

Schweigend räumten Darcy und Mack den Tisch ab. Sie war froh, dass der Tisch schnell abgeräumt war, denn sie konnte sich in Macks Nähe kaum konzentrieren. Er duftete so gut nach frischer Luft, Schnee und Tannen. Sie hätte ihr Gesicht am liebsten gegen sein kariertes Flanellhemd geschmiegt und mit jedem Atemzug Macks Duft eingeatmet.

Stopp! Was dachte sie da? Sie sollte sich daran erinnern, dass er der Vergangenheit angehörte. Sie war über ihn hinweg. Das durfte sie niemals vergessen.

Sie ließ Wasser in das Becken laufen und gab Spülmittel hinzu, während er sich ein Geschirrtuch nahm. Aus dem Wohnzimmer drang leise der Ton des Fernsehers zu ihnen und half das Schweigen zu füllen. Die Geräusche nahmen allerdings nichts von der Spannung, die zwischen ihnen beiden herrschte.

„So“, bemerkte sie, als sie die Teller in das Wasser gleiten ließ, „das war ein guter Tag, nicht wahr?“

„Ein sehr guter sogar“, stimmte er ihr zu. Er nahm ihr den gespülten Teller aus der Hand, bevor sie ihn in die Ablage stellen konnte. Sie zog rasch wieder die Hand zurück. Sie musste aufpassen, Macks Finger nicht zufällig zu berühren.

„Erzähl mir etwas über deinen Job“, forderte er sie auf.

Sie entspannte sich. Das war ein neutrales Thema, bei dem sie gefühlsmäßig kaum in Bedrängnis geraten würde. Sie berichtete ihm über ihre PR-Karriere und betonte, wie sehr die Arbeit und das Leben in der Großstadt ihr gefielen.

Sie brauchte nicht zu erwähnen, dass sich bei ihr – besonders in den letzten Jahren – ein Gefühl der Unzufriedenheit eingeschlichen hatte.

„Du liebst Chicago.“

Es war keine Frage, sondern eher ein Vorwurf. Sie war darüber so überrascht, dass sie seinen Blick suchte. Sein Gesicht wirkte angespannt.

„Ja, das tue ich“, antwortete sie wahrheitsgemäß. Sie liebte diese Stadt, das pulsierende Leben und die Möglichkeiten, welche die Stadt bot.

„Dann bist du also glücklich.“ Er hatte die Worte ruhig ausgesprochen, aber Darcy wusste, dass sie ein Minenfeld darstellten. Keine Antwort könnte die richtige sein. Sie schluckte schwer.

„Ja … Das bin ich.“ Sie wusch sorgfältig den letzten Teller ab und gab ihn Mack.

„Das freut mich zu hören“, erwiderte er leise, und sie suchte wieder seinen Blick. Er war ehrlich und gleichzeitig voller Bedauern. Ihr Herz setzte einen Moment aus. Vielleicht konnte sie ihm jetzt sagen, was damals in ihrem Kopf und ihrem Herzen vor sich ging. Vielleicht bot sich jetzt die Chance, die sie dringend brauchte, um endlich mit sich selbst Frieden schließen zu können.

„Danke“, murmelte sie, konnte aber nicht den Blick von ihm nehmen. Wie gerne hätte sie jetzt sein Gesicht berührt und ihre Hände in seine Haare vergraben.

Und wie gerne hätte sie ihn jetzt geküsst.

Sie atmete tief durch und wandte sich wieder dem Spülbecken zu. Doch keine Vorstellung kam infrage. Keine einzige davon. Überhaupt daran zu denken war ja verrückt.

Als sie das Wasser aus der Spüle ablaufen ließ, wollte er das Geschirrtuch aufhängen und berührte dabei ihren Arm. Sie biss die Zähne zusammen, als sie die prickelnde Wärme spürte, die dieser Kontakt bei ihr hervorrief. Sie wehrte sich gegen diese Reaktion, musste sich aber eingestehen, dass sie dagegen machtlos war.

„Und wie geht es dir?“, fragte sie rasch, um sich abzulenken. „Wie läuft deine Praxis? Was machst du sonst noch, außer Marla und Joe zu helfen?“

Er lehnte sich mit der Hüfte gegen den Küchenschrank und verschränkte die Arme vor der Brust. „Mir geht es gut, der Praxis auch. Mit mir zusammen arbeitet jetzt noch eine Tierärztin. Wir sind ein gutes Team. Die Praxis expandiert, und wir brauchen unbedingt mehr Raum, deshalb verkaufen deine Tante und dein Onkel an uns.“

Sie erstarrte. „Entschuldige, was hast du gesagt?“

Er sah sie befremdet an, doch dann schien er zu begreifen. „Ich werde die Baumschule kaufen, Darcy. Zusammen mit Chase. Hat man dir das nicht gesagt?“

Sie wandte sich der Spüle zu und wischte sie mechanisch mit einem Tuch trocken, während ein Gefühl des Verrats sie befiel. „Wahrscheinlich haben sie vergessen, es mir zu sagen“, murmelte sie.

Was gab es noch, was man ihr nicht gesagt hatte? Warum hielten sie so viele wichtige Informationen zurück?

Er fluchte und fuhr dann mit der Hand über sein Gesicht. „Es tut mir leid, ich dachte, du wüsstest es. Ich hätte sonst …“

„Du hättest es mir sonst nicht gesagt. Niemand hier scheint zu glauben, dass ich wissen müsste, was hier vor sich geht.“ Man hörte ihr an, wie gekränkt sie war, aber sie konnte es nicht ändern.

„Du warst sehr lange nicht hier“, bemerkte er.

„Ich weiß.“ Bitterkeit lag in ihrer Stimme. Natürlich war sie lange fortgewesen, aber offensichtlich interessierte niemand der Grund dafür. „Was wirst du mit dem Land machen?“, fragte sie, obwohl sie nicht sicher war, ob sie es wissen wollte.

Er rückte vom Küchenschrank ab und straffte sich. „Chase hat einen ökologisch unbedenklichen Bebauungsplan für das Land, Darcy. Wenn du in meine Praxis kommst, dann zeige ich dir …“

„Warte.“ Sie hielt eine Hand hoch. Ein ökologisch unbedenklicher Bebauungsplan waren nette Worte, hinter denen sich eine hässliche Wahrheit verbarg. „Er will das Land bebauen!?“ Allein der Gedanke rief Übelkeit bei ihr hervor. Die Bäume sollten gefällt, die Weiher zugeschüttet, die Gebäude, die hier seit ewigen Zeiten standen, sollten abgerissen werden? Ihr brach fast das Herz bei der Vorstellung.

„Es ist nicht so, wie du denkst. Die Scheune werde ich in eine Praxis umbauen. Die Häuser werden in große Grünflachen eingebunden. Die Idee ist, so viele Bäume wie möglich zu erhalten.“

Das Rauschen in ihren Ohren verstärkte sich noch. „Du kaufst das Zuhause meiner Kindheit und machst daraus eine Vorortsiedlung?“

Macks Augen verengten sich. „Du nimmst das auf einer sehr persönlichen Ebene.“

„Ist es nicht persönlich!?“, stieß sie hart hervor. „Ich habe dich gekränkt. Jetzt packst du anscheinend die Gelegenheit beim Schopf, es mir zurückzuzahlen.“ Dieses Haus, dieses Land mit all seinen Bäumen war immer hier gewesen, hatte immer eine Konstante in ihrem Leben dargestellt. Jetzt sollte alles plattgewalzt und mit Häusern fremder Menschen bebaut werden?

„Ach, komm schon, Darcy. Du warst seit mehr als sieben Jahre nicht her. Da hat dir das Zuhause deiner Kindheit, das du angeblich so sehr liebst, ja auch nicht gefehlt. Deine Tante und dein Onkel liegen mir am Herzen. Glaube mir, das hat nichts mit dir zu tun.“ Er war genau wie sie lauter geworden. Sie schaute zur Wohnzimmertür hinüber und fragte sich besorgt, ob Marla und Joe sie hören würden.

Sie starrte ihn an, und die endgültige Wahrheit, dass er auch ohne sie mit seinem Leben fortgefahren war, traf sie mitten ins Herz. „Du weißt, wie sehr ich an diesem Haus und an dieser Baumschule hänge. Und trotzdem willst du alles zerstören.“

„Wir haben ihnen einen sehr fairen Preis geboten“, erwiderte er. „Sie kennen die Pläne von Chase und mir. Niemand zerstört hier irgendetwas. Deswegen sind sie bereit, an uns zu verkaufen. Sie hätten unser Angebot ablehnen können. Ich habe nie Druck auf sie ausgeübt, Darcy.“

Es klang so viel unterdrückte Wut in seiner Stimme mit, dass sie nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen wollte. „Du hast recht. Es geht nicht um mich. Wenn die beiden bereit sind, ihren Grund und Boden für eine Siedlung zu verkaufen, dann ist das ihre Entscheidung.“ Galten ihre Worte Mack oder ihr selbst?

„Genau.“ In seinem Blick lag Herausforderung. „Denn du wirst wieder nach Chicago zurückgehen. Du sagst, dass du dieses Land liebst, aber du wirst es erneut verlassen, ohne auch nur einen weiteren Gedanken an diesen Ort zu verschwenden und ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen. Es tut mir leid, Darcy, aber ich brauche mich vor dir nicht zu rechtfertigen. Du hast nichts mit dieser Sache zu tun.“

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, lief er zur Tür und verließ die Küche. Wie durch ein Wunder konnte sie den Impuls unterdrücken loszuschreien und ihm etwas hinterherzuwerfen. Tränen brannten in ihren Augen und sie schluckte schwer. Er hatte mit manchem natürlich recht. Sie hatte bemerkt, dass sie hier kaum gebraucht wurde. Niemandem schien bewusst zu sein, wie sehr sie dieses Haus und dieses Stückchen Erde liebte. Wie sie davon geträumt hatte, wieder hier sein zu können.

Aber wessen Schuld war es? Nur ihre eigene. Ihr Schmerz war damals so groß gewesen, dass sie geglaubt hatte, nur überleben zu können, wenn sie Holden’s Crossing verließ. Sie hatte sogar geglaubt, dass es für Mack und alle anderen das Beste wäre. Was das für die Beziehungen mit den Menschen bedeutete, die sie zurückließ, hatte sie nicht bedacht. Den Kontakt mit ihrer Tante und ihrem Onkel telefonisch aufrechtzuerhalten, war offensichtlich nicht genug gewesen, auch wenn sie sich das immer eingeredet hatte.

Es tat weh, dass sie die Menschen, denen sie nahestand, ausgeschlossen hatten. Schlimmer war noch, dass es ausgerechnet Mack war, dem sie vertrauten und der ihr das erzählt hatte.

Tante Marla kam zur Tür herein und sah sich in der Küche um. „Wo ist Mack?“

„Gegangen“, erwiderte Darcy kurzangebunden, und Marla runzelte die Stirn.

„Habt ihr beide euch gestritten?“

Darcy musste gegen ihren Willen lachen. „Gestritten!? Das würde ja bedeuten, dass es etwas zum Streiten gäbe. Nein. Er hat nur … Er hat mir erzählt, dass er das Land kauft.“

„Oh.“ Marla setzte sich an den Tisch. „Ja, das ist so.“

Darcy hatte im Moment nicht die Energie, dieses Thema weiterzuführen. Außerdem spielte es auch keine Rolle. Mack hatte ihr klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass sie diese Sache nichts anging. „Das ist doch gut“, bemerkte sie und hoffte, nicht ironisch zu klingen.

Marla legte ihre Hand auf Darcys Hand. „Chase und Mack werden dieses Vorhaben mit Respekt angehen, Darcy. Es ist gut für uns alle.“

Darcy stockte der Atem. Die Worte für uns alle beinhalteten nicht sie. Und jetzt war es zu spät, um nach einem Mitspracherecht zu fragen. Was konnte sie außerdem auch tun? Sie lebte in Chicago, verflixt noch mal. Sie hatte die letzten sieben Jahre damit verbracht, den Menschen hier klarzumachen, wie glücklich sie dort war, wie erfolgreich, wie beschäftigt.

Es war eine Schande!

„Natürlich.“ Sie erhob sich. „Ich bin müde. Ich werde jetzt zu Bett gehen.“

Marla erhob sich und umarmte sie kurz. „Es tut mir leid, Liebes. Wir hätten es dir sagen sollen.“

„Nur so aus Neugierde – gibt es noch irgendetwas anderes, was ich wissen sollte?“

Marla schüttelte den Kopf. „Nein, nichts mehr, Darcy. Es tut mir leid, wie alles gelaufen ist.“

Verärgert zu sein würde niemandem helfen. Außerdem war sie sowieso nur auf sich selbst wütend. Und auf Mack, wie unfair das auch sein mochte. „Ist schon in Ordnung“, murmelte sie und lief die Treppen zu ihrem Zimmer hinauf.

Einige Minuten später klopfte es an der Tür. Darcy öffnete sie und fand ihren Onkel davor.

„Darf ich hereinkommen?“, fragte Joe leise.

„Natürlich.“ Sie trat zurück. Das Zimmer war klein und er setzte sich auf das Bett.

„Marla hat es mir gesagt.“ Er atmete tief durch. „Ich weiß, wir hätten dich informieren sollen. Irgendwie ist diese Sache aus dem Ruder gelaufen. Wir dachten … Wir wollten dich Schritt für Schritt einbeziehen. Glaube mir, es war nicht unsere Absicht, dich auszuschließen.“

Darcys Gedanken wirbelten durcheinander. So fühlte es sich aber an, hätte sie am liebsten gesagt, aber es hatte keinen Sinn, ihrem Onkel das vorzuwerfen. Sie trug genauso die Schuld daran, wenn nicht noch mehr. „Ich weiß, ich verstehe.“ Sie schaute aus dem Fenster hinaus auf die Schneeflocken, die im Licht der Weihnachtsbeleuchtung tanzten. „Aber … Wie kannst du es gerade ihnen verkaufen, Onkel Joe?“ Mack konnte noch so viel über ökologisch unbedenkliches Bauen sprechen, sie traute ihm und seinem Bruder nicht. „Ich meine … das Haus, die Scheune, die Baumschule … es war immer hier.“ Und sie hatte ja mit eigenen Augen gesehen, dass die Arbeit für Joe und Marla zu viel wurde.

„Dieses Land ist seit Generationen in der Familie“, meinte Joe, „aber es gibt niemanden, der die Baumschule weiterführen könnte. Es sei denn …“ Er verstummte, aber Darcy hatte den nachdenklichen Ton in seiner Stimme gehört und schaute ihn fragend an.

„Es sei denn, was?“

„Es sei denn, du willst die Baumschule weiterführen.“

Darcy lachte und schlug sich ungläubig mit der Hand gegen die Brust. „Ich? Das könnte ich doch gar nicht.“

Joe sah sie unverwandt an und ihr Lachen erstarb. „Warum nicht?“

Sie suchte krampfhaft nach einer Antwort. „Wegen meines Lebens. Wegen meines Jobs. Ich meine, ich wohne in Chicago.“ Reichte das nicht als Erklärung?

„Bist du glücklich dort?“

Sie wandte sich wieder dem Fenster zu. Musste man ihr immer wieder diese Frage stellen? Zuerst Mack und dann auch noch ihr Onkel? „Natürlich.“ War sie denn nicht glücklich? Oder wäre sie es nicht wenigstens, wenn diese Schuldgefühle nicht an ihr nagen würden?

Joe stand vom Bett auf und stellte sich neben sie. „Als Kind hast du diesen Ort geliebt. Geliebt, Darcy! Du bist mir und deinem Dad überallhin gefolgt und hast überall mitgeholfen. Selbst nachdem er starb, hast du weiterhin geholfen. Mit deinen PR-Fähigkeiten könntest du diese Baumschule wieder auf Vordermann bringen. Du leitest doch auch jetzt ein Team und hast viel Verantwortung. Ich könnte dich doch einarbeiten. Wir haben bisher nur eine mündliche Absprache. Es ist noch nichts unterschrieben worden!“

Sie starrte auf das Profil ihres Onkels, während ihre Gedanken wild durcheinanderwirbelten. Sie hatte einen Schrank voller High Heels, verflixt noch mal. Hier würde sie die Schuhe nie tragen können. Sie war jetzt ein Citygirl. Außerdem hielt sich Mack hier auf. Könnte sie in dieser Kleinstadt mit ihm leben und sich trotzdem ein neues Leben aufbauen?

Joe legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. Sie atmete tief seinen Duft nach Winterluft und Tannen ein und schloss die Augen. „Verwirf diesen Gedanken nicht sofort. Denk mal darüber nach, Darcy.“

Sie umarmte ihn ebenfalls. „Ich kann dir keine Versprechungen machen, Onkel Joe.“ Sie wollte nicht, dass seine Hoffnungen sich auf sie richteten. Sie konnte einfach nicht sehen, wie das funktionieren sollte.

Sie hatte sich so hart ins Zeug gelegt, um Partner der Firma zu werden, in der sie arbeitete. Jetzt hatte sie ihr Ziel fast erreicht. Es war so schwer gewesen, den Respekt ihrer Mitarbeiter zu gewinnen. Noch schwerer war es gewesen, endlich den Schleier des Vergessens über das, was hier geschehen war, zu ziehen. Wenn sie jetzt hierher zurückkehrte, wäre das so, als ob sie die letzten sieben Jahre ihres Lebens einfach wegwerfen würde. Alle Anstrengungen wären umsonst gewesen.

Und warum sollte sie sich denn freiwillig jeden Tag dem stellen, was sie die letzten Jahre so verzweifelt zu vergessen versucht hatte?

4. KAPITEL

Darcy lief ins Java, das hiesige Café, mit ihrem Laptop in der übergroßen Schultertasche. Die Internetverbindung auf der Farm war langsam und stockend. Sie musste sehen, was in der Firma lief, und im Java war der Empfang am besten. Sie trat an den Tresen, bestellte sich einen Latte macchiato, setzte sich dann an einen Tisch am Fenster und fuhr ihren Laptop hoch.

Sie runzelte die Stirn, als sie die vielen eingegangenen Mails sah. Sie war erst einige Tage fort und es waren jetzt schon fast hundert. Viele stammten von ihrem Team, das an dem Grant-Projekt arbeitete. Ihr Handy funktionierte auf der Farm auch nicht zuverlässig. Offensichtlich befand sich die Baumschule in einem Funkloch. Mit einem Seufzer öffnete sie einige Mails und rief dann ihre Assistentin an, um ein paar Anweisungen zu geben.

Deshalb bemerkte sie Mack erst, als er ihr am Tisch gegenübersaß. Als sie ihn sah, setzte ihr Herz für einen Moment aus. Sie hörte nicht, was ihre Assistentin sagte und musste sie bitten, es zu wiederholen. Rasch zog sie den Laptop näher an sich heran und nickte Mack kurz zu. Nur der Himmel wusste, was die Gerüchteküche aus dieser zufälligen Begegnung machen würde.

Als sie das Gespräch beendete, zog er eine Augenbraue hoch. „Probleme?“

„Ich habe alles unter Kontrolle“, erklärte sie und lachte trocken auf. „Sie wollen anerkennende Worte für Dinge, die gut funktionieren, aber wenn einmal etwas schiefläuft, dann darf ich es ausbaden.“

Mack schüttelte den Kopf. „Hört sich an, als ob du ein neues Team bräuchtest.“

„Wie gesagt, ich habe alles unter Kontrolle“, wiederholte sie und spürte, wie Wut in ihr aufstieg. Wieso schaffte er es mit einer schlichten Beobachtung, einen Nerv bei ihr zu treffen? „Ich habe hart gearbeitet, um dahin zu gelangen, wo ich jetzt bin. So schnell gebe ich nicht auf.“

„Nein?“ Seine Stimme war tödlich sanft. „Hast du nicht genau das getan?“

Sie schaute ihn an, aber weder sein Blick noch sein Gesichtsausdruck verrieten eine Gefühlsregung. Ihre Wut verstärkte sich, und sie hieß die aufsteigende Hitze willkommen, denn bei seinen Worten hatte es sie gefröstelt. „Nein! Das werde ich nicht und das habe ich nicht getan.“

„Klar hast du das. Du hast uns nie eine Chance gegeben, Darcy.“

Darcy starrte ihn ungläubig an. „Das ist nicht der richtige Ort für solch eine Unterhaltung, Mack.“ Sie klappte den Laptop zu und ihre Hand zitterte. „Fakt ist, es gibt nirgendwo einen Ort für solch eine Unterhaltung, denn das würde bedeuten, dass wir tatsächlich etwas zu bereden hätten.“

„Beruhig dich“, ermahnte er sie leise. „Wir werden beobachtet.“

Natürlich wurden sie das. Sie hielt eine scharfe Bemerkung zurück und ließ den Laptop in ihre Tasche gleiten. Dann schenkte sie ihm ein aufgesetztes Lächeln. „Genieß deinen Kaffee.“

Sie erhob sich und wandte sich so abrupt ab, dass ihre schwere Umhängetasche gegen den Stuhl schlug und er zu Boden fiel. Alle Köpfe drehten sich um, aber Mack hatte den Stuhl bereits wieder aufgestellt, bevor sie noch reagieren konnte.

„Es tut mir leid“, flüsterte er, ergriff ihren Arm und begleitete sie zur Tür. Sie schüttelte nur den Kopf, denn jedes Wort, was ihr für ihn einfiel, wäre definitiv nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen. Draußen riss sie sich los und lief so schnell sie konnte von ihm fort. Erst nach ungefähr zwanzig Schritten bemerkte sie, dass sie nicht in Richtung ihres Wagens lief – den hatte sie nämlich genau vor dem Café geparkt und damit fast dort, wo sie sich von Mack getrennt hatte.

Sie blieb stehen, atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und drehte sich dann um. Er stand, die Hände in den Hosentaschen, genau dort, wo sie ihn zurückgelassen hatte und wies mit dem Kopf auf ihr Auto.

Sie hob das Kinn und lief zurück. Als sie nahe genug war, um ihm kräftig gegen das Schienbein treten zu können – was äußerst verlockend war –, ergriff er ihren Arm. „Darcy, es tut mir leid.“

Sie schaute ihn an und sah tatsächlich Reue in seinen Augen. Aber so einfach war das nicht. „Es ist zu spät, Mack. Eine Entschuldigung ist nicht genug.“

Sie stieg in den Wagen, und es gelang ihr, fast blind vor Tränen auf die Straße hinauszufahren. Oh nein, eine Entschuldigung war längst nicht genug. Das wusste sie durch all die Jahre, in denen sie sich wegen des Endes ihrer Ehe Vorwürfe gemacht hatte. Ihr war klar geworden, dass sie nie mehr zurückgehen und alles wiedergutmachen konnte. Sie konnte nie mehr zurückgehen und alles anders machen, bis hin zu dem Punkt, an dem sie sich entschlossen hatte, nach links statt nach rechts zu fahren.

Um das Baby zu retten, das er sich so sehnsüchtig gewünscht hatte, obwohl sie sich noch nicht reif genug dafür gefühlt hatte, Mutter zu werden. Sie war ja kaum reif genug gewesen, um zu heiraten. Sie war schwanger geworden, und er hatte darauf bestanden, dass sie heirateten.

Wie immer, wenn es um Mack ging, war sie nicht in der Lage gewesen, Nein zu sagen.

Sie schluchzte laut auf und wischte sich die Tränen ab. Er hatte jedes Recht, wütend auf sie zu sein, aber sie war nicht mehr die junge Frau von damals. Sie war es nicht mehr, seit sie ihr Baby im vierten Monat verloren hatte. Sie war in diesen schrecklichen Stunden nach dem Unfall, der ihre Ehe zerbrochen hatte, erwachsen geworden. Sie hatte Mack nicht gebraucht, damit er sich um sie kümmerte und für sie sorgte. Sie hatte ihn gebraucht, damit er für sie da war. Er hatte den Unterschied nicht begriffen.

Er hatte also recht gehabt: Sie hatte aufgegeben. Sie hatte sich unverstanden gefühlt und war fortgelaufen, weil das leichter gewesen war, als seinen Schmerz und den der anderen zu ertragen. Sie war ja noch nicht einmal mit ihrem eigenen Schmerz zurechtgekommen.

Nein, er hatte nicht falsch gelegen.

Aber es von ihm zu hören, das brachte sie fast um.

Später an diesem Nachmittag war es Darcy gelungen, den Vorfall hinter sich zu lassen. Zumindest einigermaßen. Jetzt stand sie hinter der altertümlichen Kasse und lächelte einem jungen Paar zu, das eine Tanne bezahlte. Sie waren wahrscheinlich etwas älter, als sie und Mack damals gewesen waren. Darcys Herz zog sich trotzdem zusammen. War sie jemals so jung und verliebt gewesen?

Sie sah, wie der Mann einen Kuss auf die Schläfe seiner Frau hauchte. Oh ja! Genauso verliebt war sie gewesen. Und sie hatte sich in ihrer jungen Ehe unsicher gefühlt, während Mack so zuversichtlich gewesen war. Dieses Paar wirkte sehr viel gleichberechtigter.

„Das ist unser erster gemeinsamer Weihnachtsbaum!“, erklärte die Frau und strahlte ihren Mann an, der glücklich zurücklächelte und dann zu Mack hinüberging, der mit dem Baum darauf wartete, ihn einladen zu können. Darcy zwang sich, den Blick weiterhin auf die junge Frau vor sich zu richten.

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte sie ein bisschen zu fröhlich. „Wie lange sind Sie denn schon verheiratet?“

„Seit acht Monaten.“ Die Frau zog einen Scheck heraus, und als sie sich vorbeugte, um zu unterschreiben, sah Darcy die kleine Rundung ihres Bauches. Auf einmal sah sie sich selbst zu dieser Zeit und an diesem Ort, und der Boden unter ihr begann zu schwanken. Gegen ihren Willen glitt ihr Blick zu Mack hinüber, der mit dem Rücken zu ihr stand. So hätte es sein können, hätte es sein sollen. 

„Geht es Ihnen gut?“ Die Frau sah sie besorgt an, als sie ihr den Scheck reichte. „Sie sehen so blass aus.“

Darcy zwang sich zu einem Lächeln, als sie das Stück Papier entgegennahm. „Ich glaube, ich bekomme Kopfschmerzen. Das geht bei mir immer sehr schnell.“

Das Gesicht der jungen Frau hellte sich auf. „Das tut mir leid. Ich hoffe, es geht Ihnen bald wieder besser. Fröhliche Weihnachten!“

„Fröhliche Weihnachten“, wiederholte Darcy und sah zu, wie die Frau mit ihrem Mann zum Wagen ging – der Mann legte jetzt einen Arm um sie und hauchte ihr einen weiteren Kuss aufs Haar.

Sehnsucht und Trauer stiegen mit solch einer Wucht in ihr auf, dass sie die Arme um ihre Taille schlang, um diesem Ansturm standzuhalten. Sie war in den vergangenen Jahren so gut darin gewesen, ihre Gefühle zu verdrängen, überhaupt nichts mehr zu fühlen, jetzt genügte ein glückliches Paar, und all die harte Arbeit war vergebens.

„Darcy“, hörte sie Mack besorgt sagen. Wie hatte er das bemerkt? Wo war er hergekommen? Sie schaute ihn an, aber sie konnte sein Gesicht nur verschwommen sehen. Sie blinzelte.

„Ich brauche frische Luft“, erklärte sie. „Kannst du für mich an der Kasse bleiben?“

Dann lief sie los.

Mack schaute bestürzt zu, wie Darcy durch die Scheune nach hinten lief. Er rief nach einem Angestellten, damit er die Kasse übernahm und ging ihr nach. Der Ausdruck in ihren Augen hatte ihn zutiefst bewegt. Er ahnte, was sie durchmachte, und konnte nicht anders, als an ihre Seite zu eilen. Außerdem hatte er nach der Szene im Café wieder etwas gutzumachen.

Die kalte Luft schlug Mack ins Gesicht, als er nach draußen ging und Darcy bei einer Reihe von Bäumen mit dem Rücken zu ihm stehen sah. Sie hatte den Kopf gebeugt und die Arme um ihre Taille geschlungen.

Das starke Verlangen, sie in seine Arme zu ziehen, überwältigte ihn fast. Stattdessen schob er die Hände in die Hosentaschen, als er näher an sie herantrat. „Was ist los? Hat diese Frau dich gekränkt?“

Autor

Ami Weaver
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