Bitte heiraten Sie mich, Mylord!

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… fleht Eleanor und bekommt einen süßen Kuss als Antwort: Lord Mostyn erfüllt ihr die kühne Bitte! Doch kaum trägt sie seinen goldenen Ring, verschwindet ihr junger Gemahl spurlos. Und Eleanor muss nicht nur gegen ihre tiefe Sorge ankämpfen, sondern auch gegen einen Skandal, der ihren Ruf gefährdet …


  • Erscheinungstag 16.11.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769253
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Dezember 1813

Als Christopher Lord Mostyn, von seinen Freunden Kit genannt, in jener Nacht durch die Türen der Gesellschaftsräume bei Almacks trat, hätte man schwer sagen können, ob er damit den Anstandsdamen der anwesenden Debütantinnen oder sich selbst die größere Überraschung bereitete. Denn normalerweise suchte er seine Vergnügungen anderswo, weshalb er erst ungläubig mit sich gerungen hatte, bevor er dann doch den Weg hierher einschlug. Etwas – oder besser gesagt – jemand, nämlich eine bezaubernde junge Dame, hatte ihn unwiderstehlich in ihren Bann gezogen, und da es nicht in seinem Wesen lag, gegen sein Schicksal anzukämpfen, war er nun entschlossen, dieses fortan anzunehmen.

Sobald er den Raum betrat, sah er sie: Miss Eleanor Trevithick, Tochter des verstorbenen Viscount Trevithick und jüngere Schwester des derzeitigen Earls. Sie tanzte mit Lord Kemble, einem vornehmen, in die Jahre gekommenen Lebemann, und der Anblick des Paares ließ Kit vor Empörung das Blut zu Kopfe steigen. Während er sich um Beherrschung bemühte, wurde ihm bewusst, dass es nicht allein um Kembles Person ging; hätte ihn doch nahezu jeder andere Tanzpartner der jungen Lady zur Eifersucht getrieben.

Denn obwohl Eleanor Trevithick, schlank und von süßer Unschuld, als Debütantin höchste Zurückhaltung auszeichnete, fühlten sich beide schon seit ihrer ersten Begegnung auf bestürzende, unleugbare Weise zueinander hingezogen. Kit war aus heiterem Himmel von Amors Pfeil getroffen worden, und obgleich er nie mit Eleanor darüber gesprochen hatte, ahnte er, dass die Stärke dieser gegenseitigen Anziehung sie einerseits ängstigte, andererseits jedoch ebenso faszinierte. Beide aber wussten, dass familiäre Gründe sie zwangen, diese Regung zu ignorieren.

Daher war Kit seinen Gefühlen zuerst mit Zynismus begegnet, zumal er daran zweifelte, dass ein Mann seines Alters, mit beträchtlichen Erfahrungen, was das schöne Geschlecht betraf, sich wirklich in ein Unschuldslamm verlieben konnte, das gerade erst in die Gesellschaft eingeführt worden war. So hielt er seine überraschend starken Empfindungen für Eleanor zunächst für simple Begierde – heftig, wie er zugeben musste, aber gewiss von kurzer Dauer.

Darin jedoch sah er sich getäuscht. Die Sehnsucht nach der jungen Dame hatte ihn das Jahr über nicht losgelassen, nachdem beide, den Familienregeln zum Trotz, auf dem Ball zu Eleanors achtzehntem Geburtstag miteinander getanzt hatten. Anstatt zu verfliegen, wuchs sein Begehren. Und obwohl er kurz davorstand, sich einzugestehen, dass er sie liebte, hatte er es bisher vermieden, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Denn ihm war klar, dass er Eleanors Hand nicht erlangen konnte.

Die meisten jungen Damen hätten zwar aufgrund seines Titels und seiner gesellschaftlichen Stellung eine Werbung seinerseits hocherfreut willkommen geheißen, aber Eleanor Mutter würde seinen Avancen stets ablehnend gegenüberstehen. Denn sie begegnete ihm mit uneingeschränkter Nichtachtung, da sie eine der wenigen war, für die die jahrhundertealte Fehde zwischen den Trevithicks und Mostyns – inzwischen wusste niemand mehr so recht, worum es dabei ging – noch eine Rolle spielte.

Und dennoch …

So bald wie möglich suchte Kit nun hier im Ballhaus den Kontakt zu Eleanor, wobei er kurzerhand einen jungen Viscount als ihren Partner bei der nun einsetzenden Folge ländlicher Tänze ausstach. Er wusste, dass er damit Aufsehen erregte, und bemerkte sehr wohl, welch echauffierte Blicke die wohlbeleibte Lady Trevithick ihm von ihrem Sessel aus zuwarf. Doch zog er es vor, sich nicht weiter darum zu kümmern, sowohl die missgünstige Miene so mancher Debütantin oder Anstandsdame zu ignorieren und lieber Eleanor sein Lächeln zu schenken.

„Miss Trevithick, es ist mir eine große Freude, Sie heute hier zu sehen“, ließ er sie wissen, worauf Eleanor kurz seinem Blick begegnete, sein Lächeln aber nicht erwiderte. Ihre sonst so lebhaften dunklen Augen, charakteristisch für die Familie Trevithick, blieben ausdruckslos, während sie über seine Schulter zu ihrer Mutter schaute, die mit Lord Kemble auf der anderen Seite des Tanzbodens die Köpfe zusammensteckte.

„Ich danke, Mylord“, antwortete sie knapp.

Leicht irritiert runzelte Kit die Stirn. Er erwartete kaum, dass seine Tanzpartnerin etwas von ihrer Schwäche für ihn zeigte, denn sie war viel zu wohlerzogen, um ihre Gefühle der Öffentlichkeit preiszugeben. Doch wirkte ihre Miene heute verschlossen, als stehe etwas Gravierendes zwischen ihnen, und ihr Gesicht war blass. Noch immer sah sie ihn nicht an.

Da drückte er ihre Hand fester. „Eleanor …“, bat er inständig.

Endlich schaute sie zu ihm auf. Für den Bruchteil einer Sekunde spiegelten sich hoffnungslose Sehnsucht und großes Leid in ihren Augen, sodass es Kit einen Stich ins Herz gab. Gleich darauf aber senkte sie die Lider mit den langen Wimpern wieder und verbarg damit ihr Elend.

„Sie müssen mir wohl Glück wünschen, Mylord“, sagte sie leise, aber deutlich. „Ich wurde Lord Kemble versprochen.“

„Nein!“, brach es aus Kit heraus. Mit eisernem Griff umklammerte er ihre Hand. „Nein“, wiederholte er, diesmal in höflicherem Ton. „Das kann nicht wahr sein!“

„Ich versichere Ihnen, es ist, wie ich sage.“ Nur ein leichtes Flattern ihrer dunklen Wimpern verriet ihre Hilflosigkeit. „Morgen steht es in der Morning Post. Alles ist bereits arrangiert.“

„Und doch darf es nicht sein!“

Inständig bittend blickte sie ihn an. „Warum nicht, Mylord?“, fragte sie. „Sicher wissen Sie mir keine andere Lösung zu nennen!“

Bis zu diesem Punkt hatten sie leise, wenn auch nachdrücklich miteinander gesprochen; doch gingen Eleanor nun die Nerven durch, sodass der letzte Satz zu laut geriet. Verlegen biss sie sich auf die Lippe, von Röte übergossen, und erbleichte gleich darauf noch stärker als zuvor.

„Ich bitte um Vergebung“, flüsterte sie, um Fassung ringend. „Das hätte ich nicht sagen dürfen.“

Kit fühlte schmerzlich, wie sich ihm das Herz zusammenzog, spürte er doch große Hoffnungslosigkeit unter Eleanors tapferem Versuch, ihre Würde zu wahren, und es berührte ihn tief, wie verletzlich sie wirkte. Mit Macht überfiel ihn der Wunsch, sie zu beschützen; drängender als jede Regung, die er jemals in seinem Leben erfahren hatte.

„Wenn ich Ihnen meine Hilfe anbiete …“

„Eleanor!“, schnitt ihm da Lord Kemble mit öliger Stimme das Wort ab. „Ich denke, der nächste Walzer gehört wieder mir.“ Damit verbeugte er sich leicht vor Kit. „Zu Ihren Diensten, Mostyn. Wollen Sie mir gratulieren? Dieser Schatz hier wird bald mir gehören!“ Mit verschleiertem, doch wachsamem Blick sah er seinen Rivalen an.

Kits Verbeugung fiel kaum wahrnehmbar aus. „Auf solch großes Glück sollten Sie sich nicht verlassen, Kemble“, sagte er in warnendem Ton und verabschiedete sich dann von seiner Tanzpartnerin, ein warmes Lächeln in seinen blauen Augen. „Miss Trevithick, ich muss Ihnen jetzt wohl Gute Nacht wünschen.“

Danach blieb ihm nichts übrig, als zuzuschauen, wie der eitle Salonlöwe sie ihm entführte. Dessen Selbstzufriedenheit war ihm von jeher widerwärtig, der Gedanke, seine zarte Eleanor werde Kembles Wollust ausgeliefert, indes unerträglich. Am liebsten hätte Kit ihn zum Duell gefordert; stattdessen musste er mit ansehen, wie Eleanor ein starres Lächeln aufsetzte und das Paar zu tanzen begann.

Nein, diesen Anblick konnte er nicht ertragen. Rasch wandte er sich ab und strebte mit ausdrucksloser Miene, sich durch einige Grüppchen schwatzender Debütantinnen den Weg bahnend, dem Ausgang zu.

Bei der Heimkehr in die Upper Grosvenor Street, wo er wohnte, wenn seine Schwester und ihr Mann nicht in der Stadt weilten, legte sich allmählich sein Zorn. Doch sagte ihm sein Herz, dass Eleanor Trevithick zu ihm gehörte. Unmöglich zu ertragen, dass Lord Kemble sie zur Frau nahm.

Stunden später meldete der Butler seinem Herrn die Ankunft einer jungen Dame, die darum bat, ihn sprechen zu dürfen. Inzwischen hatte Kit eine halbe Flasche Brandy konsumiert.

„Das dürfte keine gute Idee sein, Carrick“, murmelte er. „Erstens bin ich schon halb hinüber, und zweitens liegen junge Damen …“, er betonte dieses Wort, „jetzt warm, sicher – und allein – in ihren Betten. Keinesfalls wandern sie zu dieser nächtlichen Stunde durch Londons Straßen und suchen alleinstehende Gentlemen auf!“

Carrick, der als Butler von Rang diese Meinung im Allgemeinen teilte, beharrte jedoch im Besonderen auf seiner Einschätzung der nächtlichen Besucherin.

„Verzeihen Sie, Mylord, aber es handelt sich zweifellos um eine junge Dame, die offenbar in einer Notlage steckt …“

Ärgerlich stöhnend ließ Kit seinen Blick durch sein Arbeitszimmer schweifen, über den verrutschten Stapel Papiere auf dem Schreibpult, die halb geleerte Flasche Brandy und das gefüllte Glas neben seinem Sessel. Er schüttelte den Kopf. Hier konnte er keine Dame empfangen.

„Es tut mir leid, Carrick, aber Sie müssen sie abweisen“, beharrte er auf seinem Standpunkt. „Ich bin sicher, dass mir nur eine Falle gestellt werden soll, in die ich gewiss nicht hineinmarschieren werde …“

Kaum hatten die Worte seine Lippen verlassen, als schnelle Schritte in der Halle zu hören waren, dazu die Stimme eines schockierten Lakaien: „Pardon, Madam, aber dort können Sie nicht einfach hinein …“, worauf der Butler und sein Herr wie auf Kommando den Kopf zur Tür drehten, die prompt aufgerissen wurde.

„Kit!“, rief die junge Dame.

Dieser wandte sich, eine Verwünschung unterdrückend, an seinen Butler. „Es ist gut, Sie können uns allein lassen.“

Carrick neigte würdevoll sein Haupt. „Sehr wohl, Mylord“, antwortete er, ohne eine Miene zu verziehen, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.

„Ich weiß sehr wohl, dass ich nicht hier sein dürfte!“, kam Eleanor trotzig jedem Tadel zuvor, sobald sie unter sich waren. Sie trug einen schwarzen Samtumhang über ihrem weißen, mit Blassgold abgesetzten Abendkleid, das, obwohl aufwendig gefertigt, so sittsam wirkte, wie es sich für eine Debütantin ziemte. Ihr Haar hatte sich aus dem Chignon gelöst, sodass ihr die kastanienbraunen Locken über die Schultern bis auf den Rücken hinabfielen. Trotz der Angst, die sie offensichtlich erfüllte, sah sie hinreißend aus. Kit bemerkte, wie sie die Finger ineinander verschränkte, um ihr Zittern zu verbergen, und schaute dann bewusst an ihr vorbei.

„Sie haben ganz recht“, sagte er in barschem Ton, um die widersprüchlichen Gefühle, die ihn durchfuhren, zu verbergen. „Was für eine Verrücktheit!“ Langsam trat er auf sie zu. „Miss Trevithick, ich schlage vor, dass Sie um Ihrer guten Reputation willen sofort nach Hause fahren.“

Eleanor aber schüttelte den Kopf.

„Ich kann nicht, Kit!“, rief sie verzweifelt aus. „Bitte, Sie müssen mir helfen! Ich bringe es einfach nicht über mich, Kemble zu heiraten! Dieser eklige alte Mann – spricht über nichts als Pferde und die Jagd, keucht und schnarcht sich durch jedes Theaterstück oder Konzert, das wir zusammen besuchen, und tätschelt mich auf ganz widerwärtige Weise!“

Kit atmete tief durch und hielt dabei gewissenhaft Abstand zu Miss Eleanor Trevithick, der personifizierten Versuchung …

„Dann wäre es das Richtige, Ihren Bruder ins Vertrauen zu ziehen“, hörte er sich mit Strenge sagen. „Als Familienoberhaupt ist es ihm sicher ein Leichtes, diese Verbindung abzusagen.“

„Sie werden wissen, dass Marcus sich derzeit in Devon aufhält, und Cousin Justin ebenfalls!“ Nun kamen ihr die Tränen, die sie sich ungeduldig aus den Augenwinkeln wischte. „Mama will mich verheiratet wissen, bevor sie zurückkehren – sie brennt regelrecht auf diese Verbindung! Und es gibt niemanden sonst, den ich um Hilfe ersuchen kann! Bitte, Kit …“ Hier brach ihr die Stimme. „Als wir vorhin miteinander sprachen, hatte ich gehofft, Sie würden mir helfen und mich retten!“ Forschend blickte sie ihm ins Gesicht. „Doch scheine ich mich getäuscht zu haben …“

„In der Tat“, gab er zurück, mit aller Härte dem Drang widerstehend, Eleanor in seine Arme zu ziehen. Abrupt wandte er sich ab und ging zum Kamin hinüber, wo er sich an das marmorne Sims lehnte. „Ihre Mama kann Sie nicht zu dieser Heirat zwingen, Eleanor, erst recht nicht, wenn Ihr Bruder abwesend ist …“

„Lord Kemble hat sich eine Sonderlizenz besorgt, mit der er ohne Aufgebot, wo und wann er will, die Ehe schließen kann!“, brach es aus ihr hervor. „Oh, Kit …“ Flehend breitete sie die Hände aus, worauf sein Herz sich vor Mitleid zusammenzog. „Sie verstehen wohl nicht? Ich glaubte, Sie helfen mir …“

Es drängte Kit, sie an sich zu drücken, ihr zu versprechen, dass alles gut werde, und aufzupassen, dass ihr kein Leid geschehe. Jedoch konnte sie sehr wohl schon am Morgen diese Eskapade bereuen und im kalten Licht des neuen Tages begreifen, ihre Zukunft ruiniert zu haben. Um sie davor zu bewahren, musste er sie nach Hause schicken, bevor jemand merkte, dass sie zu ihm gekommen war. Denn abgesehen von der ablehnenden Haltung ihrer Mutter, war er derzeit nicht in der Lage, die Ehe einzugehen. Es gab andere Verpflichtungen, die ihn jederzeit aus England fortführen konnten, sodass es ihm nicht freistand, sich zu vermählen …

„Eine solch dramatische Zuspitzung ist fürwahr unnötig“, bemerkte er kurz angebunden, während er sein Schicksal verfluchte, das ihm nicht gestattete, Eleanor zu helfen. „Morgen früh wird alles wieder besser aussehen, und Sie werden verstehen, dass Ihre Lage nicht gar so verzweifelt ist.“

Ob dieser Zurückweisung straffte Eleanor ihre Schultern und hob stolz das Kinn. Ihre dunklen Augen schleuderten Blitze. „Nun gut, Lord Mostyn. Ich sehe, dass ich Sie missverstand!“, erwiderte sie mit Würde. „So gehe ich nun; mehr gibt es nicht zu sagen.“

Seltsamerweise ärgerte Kit ihr selbstbewusstes Auftreten, was seine vernünftige Seite schwächte. Gegen ihre Seelenpein hatte er sich zu wappnen vermocht, indem er sich einredete, nur ihr Bestes im Sinn zu haben; in ihrer Entrüstung aber kam sie seinen Gefühlen gefährlich nahe, was sie nicht einmal zu bemerken schien …

Ihre verzweifelten Blicke voll Verachtung reizten ihn über Gebühr.

„Ich hielt Sie für einen Gentleman“, sagte sie leise, mit bitterem Sarkasmus. „Doch habe ich mich wohl getäuscht …“

„Genau aus diesem Grund bin ich um Ihren guten Ruf besorgt, Eleanor“, gab Kit zurück, seinen Verdruss nur noch mit Mühe in Zaum haltend.

Zur Antwort entfuhr ihr ein Laut, der ihre pure Geringschätzung zum Ausdruck brachte und ihn bis ins Mark traf. In der Meinung, es könne nicht schaden, sie dazu zu bringen, ihre Handlungsweise zu überdenken, trat er auf sie zu.

Verächtlich sah sie knapp an ihm vorbei, als warte sie darauf, dass er ihr die Tür öffnete. Stattdessen stützte er sich mit einer Hand gegen den Rahmen ab und beugte sich über sie. Verwirrt schaute Eleanor zu ihm auf, senkte den Blick aber schnell wieder, um zu verbergen, was sie empfand.

„Ich bitte um Vergebung, Lord Mostyn …“, ihre Stimme zitterte kaum merklich, „… wie Sie überzeugend darlegten, sollte ich jetzt Ihr Haus verlassen …“

„Was genau haben Sie heute Nacht von mir erwartet, Eleanor?“, fragte Kit mit heiserer Stimme.

Noch einmal sah sie auf zu ihm mit ihren dunklen goldgesprenkelten Augen, die von solch dichten schwarzen Wimpern umkränzt waren, dass viele andere Debütantinnen ein Vermögen dafür gegeben hätten. In ihrem offenen Blick lag mehr Mut, als er ihr zugetraut hatte, und er bewunderte sie dafür.

„Ich glaubte, Sie würden einwilligen, mich zu heiraten“, antwortete sie.

Gegen seinen Willen musste Kit lächeln. „War das ein Antrag, Miss Trevithick?“

Aufgebracht starrte Eleanor zu Boden, denn trotz ihres jugendlichen Alters besaß sie bereits den eigentümlichen Stolz der Trevithicks. Erneut den Kopf hebend, bedachte sie ihn mit einem hochmütigen Blick.

„Sie brauchen sich nicht geschmeichelt zu fühlen, Lord Mostyn“, warf sie ihm an den Kopf, „denn das Angebot wurde zurückgezogen!“

Kit lachte laut auf. „Kommt das nicht ein wenig spät, Miss Trevithick? Schließlich besuchen Sie mich des Nachts in meinem Haus …“

„… das Ihrem Schwager gehört …“

„Welch feiner Unterschied! Der springende Punkt ist doch, dass weder Ihr Cousin Justin noch meine Schwester hier sind, um Ihren Ruf zu wahren! Sie befinden sich allein mit mir …“

„Eine Situation, die ich augenblicklich beenden werde!“, unterbrach Eleanor ihn in eisigem Ton. „Wenn Sie bitte beiseitetreten wollen, Mylord!“

Kit zuckte die Achseln. „Es wäre doch möglich, dass ich meine Meinung geändert habe?“

Eleanor gab sein Achselzucken zurück. „Zu spät, Mylord, welch ein Jammer!“ Damit zog sie ihr Näschen kraus. „Es hat wirklich keinen Sinn, sich mit Betrunkenen abzugeben. Mir scheint, dass alles wahr ist, was die Leute über Sie sagen.“

Kit kreuzte die Arme und blickte zu Eleanor hinunter. Ihr Gesicht war gerötet, der hübsche Mund zu einem Strich zusammengepresst. Schon früher waren ihm ihre Lippen aufgefallen, weich und rosarot, zum Lächeln gemacht, und nicht, um Missbilligung auszudrücken. Oder wie geschaffen zum Küssen …

„Was sagen die Leute denn so, Miss Trevithick?“

„Dass Sie ein Schurke sind, ein ganz schlimmer!“ Ihr verächtlicher Blick wanderte von Kits Gesicht zur Brandyflasche und wieder zurück. „Man sagt, dass Sie in Geschäftsdingen keine Skrupel kennen, und in moralischer Hinsicht erst recht nicht!“

Seine Augen verengten sich. „Und warum sind Sie dann hier?“, fragte er leise.

„Ich meinte …“, hier versagte ihr die Stimme, während sie fest, wie um Halt ringend, ihr Retikül umklammerte. „Ich wollte das nicht von Ihnen glauben.“ Ihre Blicke trafen sich, und Kit erkannte das Flehen in ihren Augen: Sie hoffte, dass er ihre gute Meinung von ihm nicht enttäuschte und sich wie ein Gentleman benahm. Wie er sich dafür hasste, dass er ihr nicht helfen konnte!

„Ich dachte, Sie mögen mich“, beendete sie fast unhörbar ihren Satz.

Kit hielt den Atem an, brauchte es doch stärkere Worte, um die Gefühle zu benennen, die er für sie hegte. Er merkte, wie er mehr und mehr die Kontrolle über die Situation verlor.

„Eleanor, dieses Wort beschreibt meine Empfindungen für Sie nur unzulänglich, aber es gibt Gründe …“, setzte er an, um dann zu verstummen, da sie abwehrend die Hand hob und einen Schritt zurücktrat.

„Sicher gibt es diese, Mylord. Verzeihen Sie, dass ich Sie belästigte, und lassen Sie mich jetzt bitte gehen!“

Mit vollendeter Höflichkeit öffnete Kit ihr die Tür. Die Eingangshalle war dunkel und leer; nur einige Kerzen in einem bronzenen Leuchter warfen flackernde Schatten auf den gefliesten Boden. Die große Standuhr schlug ein Mal.

Eleanor war schon halb durch die Tür, als Kit ihr bittend eine Hand auf den Arm legte.

„Ich kann Sie so nicht gehen lassen, Eleanor, denn ich wünschte fürwahr, Ihnen helfen zu können, aber …“

„Lassen Sie das!“ Mit einer überraschend heftigen Bewegung schüttelte sie seine Hand ab. Im schwachen Schein der Kerzen sah er Tränen in ihren Augen schimmern. „Hören Sie bitte auf, Ihr Verhalten zu entschuldigen, Lord Mostyn! Sie sind nicht der, für den ich Sie hielt, und es war ein großer Fehler, hierherzukommen. Das ist alles.“

Ihr zarter Duft, eine Mischung aus Rosenwasser und feiner Seife, und die Unschuld ihrer Jugend verschlugen ihm den Atem; er begehrte sie so sehr, dass es schmerzte.

„Nein, das ist es nicht“, hielt Kit mit rauer Stimme dagegen, obwohl er wusste, dass er ihr hätte zustimmen, sie aufgeben und gehen lassen sollen. „Eleanor, Sie wissen, dass Sie mir nicht gleichgültig sind …“

Offen begegnete sie seinem Blick. „Ich dachte, Sie brauchen mich“, sagte sie.

Später wusste er nicht mehr, wer von beiden sich zuerst dem anderen zugewandt hatte, doch hielt er sie im nächsten Moment in seinen Armen, ihren schlanken Körper an den seinen gepresst, seinen Mund auf dem ihren. Eleanor öffnete leicht die Lippen, sodass Kit es wagte, ihren Mund mit seiner Zunge weiter zu öffnen und die ihre zu berühren, was sie ihm atemlos gewährte. Dann merkte er, wie sie zögerte; doch kurz bevor er sich aus Rücksicht zurücknahm, schwand ihr Widerstand, und sie wurde wieder weich und biegsam in seiner Umarmung. Süßes, heißes Verlangen erfüllte ihn, und er küsste sie mit offenen Lippen, als wolle er Seligkeit aus ihr trinken. Mit einer Hand zerzauste er ihr Haar, woraufhin funkelnde Haarnadeln daraus niederregneten; wie lange schon hatte er mit seinen Fingern durch ihre seidenweichen Locken fahren wollen … Einen Arm um ihre Taille geschlungen, schob er mit der anderen Hand den Samtumhang von ihren Schultern, bis dieser mit leisem Geräusch zu Boden fiel. Jetzt spürte Kit die Wärme von Eleanors Körper.

„Nell“, flüsterte er, woraufhin sie die Augen öffnete, die jetzt fast schwarz wirkten, wie von Leidenschaft verschleiert. Sie lächelte mit ihrem tiefroten Mund.

Kit rang um die letzten Reste seiner Selbstbeherrschung. „Nell“, wiederholte er leise, „wenn du dir nicht sicher bist …“

Mit beglücktem Lächeln hob sie die Hand und legte sie an seine Wange, worauf ihn fast schmerzhaft heftige Begierde durchfuhr.

„Ich bin mir sicher“, antwortete sie mit großem Ernst.

Für Stunden waren dies die letzten Worte, die gewechselt wurden.

Kit erwachte mit fürchterlichen Kopfschmerzen, die er kaum dem Brandygenuss der letzten Nacht zuschreiben mochte; um ihn her schaukelten die Wände mit widerlicher Regelmäßigkeit hoch und nieder, sodass er sich eines Stöhnens nicht erwehren konnte.

„Wie geht’s, alter Knabe?“, fragte jemand besorgt. „Warst fast zwei Tage lang bewusstlos! Der Kerl ging unnötig brutal vor, wenn du mich fragst …“

Einen Arm über die Augen gelegt, kämpfte Kit gegen quälende Übelkeit an, während irgendetwas ihn zutiefst beunruhigte …

„Eleanor!“, rief er aus, richtete sich ruckartig auf, fiel aber gleich mit erneutem Stöhnen in die Kissen zurück.

„Ruhig Blut, mein Junge“, sagte dieselbe Stimme wie zuvor. „Kein Grund zur Panik!“

Daraufhin öffnete Kit vorsichtig die Augen, erkannte seinen Gefährten und betrachtete ihn mit deutlichem Mangel an Begeisterung.

„Hallo, Harry“, sprach er ihn misstrauisch an, „was zum Teufel machst du hier?“

Captain Harry Lutrell grinste über das ganze Gesicht. „Das nenne ich Kampfgeist! Hab doch gewusst, dass dich so ein Schlag über den Kopf nicht wirklich umhauen kann!“

Noch einmal, behutsamer diesmal, setzte Kit sich auf. Die Wände waren immer noch in Bewegung, und ihm wurde bewusst, dass er sich auf einem Schiff befand.

„Harry, wo sind wir?“

Irritiert verzog Lutrell das Gesicht. „Auf der ‚HMS Gresham‘, aus Southampton segelnd, genau wie abgesprochen! Wir sind auf dem Weg nach Irland, was du wohl wissen solltest, und seit zwei Tagen auf See!“

Kaum merklich schüttelte Kit den Kopf. „Ich ging zu dem Treffen, um Lord Castlereagh eine Nachricht zukommen zu lassen, dass ich aus dem Unternehmen auszusteigen gezwungen war …“

Jetzt war es an Harry, den Kopf zu schütteln. „Aber, Kit, erinnerst du dich denn nicht? Es war doch abgemacht, die Sache so durchzuführen – zuerst die Schlägerei zu inszenieren, dann das Eingreifen der Marinepatrouille …“

Kit starrte ihn an. „Ich habe wohl alles vergessen. Was geschah dann?“

Lutrell lehnte sich gegen das Querschott. „Sobald du hereinkamst, gab Benson dir eins über den Schädel, wir karrten dich hierher … so wie es vereinbart war.“

„Jetzt fällt mir wieder ein, dass wir die Angelegenheit zur Tarnung so aufziehen wollten“, stieß Kit aus, während er sich erschüttert die Stirn rieb. „Aber … oh Gott, was wird bloß aus Nell? Harry, am selben Morgen habe ich mich verheiratet!“

Entgeistert zog Lutrell die Augenbrauen hoch. „Du und verheiratet? Ich hielt dich für einen der wenigen, die nicht hinter den Röcken her sind!“

„Im Allgemeinen hast du recht, aber es ist … einfach so passiert!“, brauste Kit auf, dessen Kopf immer heftiger schmerzte. „Am selben Tag, kurz bevor ich bei dem Treffen erwartet wurde, ging ich mit Eleanor die Ehe ein – weshalb ich Benson klarmachen wollte, dass ich nicht mitfahren kann! Um Himmels willen, Harry, verstehst du? Frisch verheiratet, habe ich vor zwei Tagen meine Braut verlassen, ohne ihr sagen zu können, wo ich bin!“

Beruhigend legte sein Freund ihm eine Hand auf die Schulter. „Verfluchtes Pech, mein Junge“, sagte er mitfühlend, „aber das konnte Benson schließlich nicht wissen. Wenn wir in Dublin sind, kannst du ihr eine Nachricht senden. Schließlich sind wir nur wenige Wochen weg, Kit. Ich bin sicher, dass deine frisch Angetraute die Situation versteht, wenn du sie ihr erklärst …

Entmutigt schüttelte Kit den Kopf. Zum Teufel, ihm war auf zweierlei Arten übel. Zum einen fühlte er sich seekrank, womit er mehr oder weniger zurechtkam; zum anderen aber … Schmerzhaft zog sich ihm das Herz zusammen, als Eleanor ihm vor seinem inneren Auge erschien, wie sie ihn nach der Heirat anlächelte und auf liebenswerte Art bat, nicht lange wegzubleiben … Zwei Tage war das her!

Captain Lutrell erhob sich. „Ich besorge dir etwas zu trinken und heißes Waschwasser“, sagte er. „Es gibt auch Essen, falls dir der Sinn danach steht, obwohl ich finde, dass du etwas grün im Gesicht bist, alter Freund …“

Kit rang sich ein Lächeln ab. „Meinen Dank, Harry, ich weiß deine Fürsorge zu schätzen. Gibt es hier Papier und Feder?“

Lutrell wies auf ein Schreibpult. „Dort findest du alles.“ Damit verließ er die Kabine.

Völlig zerschlagen begab Kit sich zu dem Pult und nahm zögernd einen Bogen Papier zur Hand. Sicher war er nicht in der Verfassung, um seine Worte gut zu setzen, da ihm der Schädel fürchterlich dröhnte, aber er wollte sein Bestes geben … Gequält verzog er den Mund und hätte nichts dagegen gehabt, noch einmal das Bewusstsein zu verlieren. Denn seit seinem Erwachen wähnte er sich in einem Albtraum gefangen, dem zu entfliehen vorerst nicht in seiner Macht stand.

1. KAPITEL

Mai 1814

Eleanor Mostyn wusste, dass sie in Schwierigkeiten steckte, noch bevor der Wirt ihr anzüglich zwinkernd mitteilte, dass bis zum Morgen keine Postkutschen zu erwarten seien, es in seiner Herberge aber nur ein einziges Schlafzimmer gebe … Während sie ihm in den winzigen Salon folgte, zählte sie eins und eins zusammen: Das nächste Dorf lag Meilen entfernt, und die Kutsche, mit der sie hergekommen war, hatte bei strömendem Regen rein zufällig kurz vor diesem entlegenen Gasthof einen Holm verloren. Was als harmlose Fahrt von Richmond nach London begonnen hatte, schien sich nun als geplante Verführung zu entpuppen.

Etwas in dieser Art erlebte Eleanor nicht zum ersten Mal – das schien die Folge zu sein, wenn man keine fleckenlose Reputation besaß und keinen Schutz bietenden Ehemann. Doch hatte sie die Situation noch nie derart falsch geschätzt, indem sie ihren Begleiter, Sir Charles Paulet, der erst zweiundzwanzig Lenze zählte und als Poet galt, für ungefährlich und ausreichend ehrbar hielt. Dies schien sich nun als falsch herauszustellen.

Richtig hingegen war, dass Sir Charles sich seit etwa einem Monat mittels seiner schlechten Dichtkunst den Weg in ihr Bett zu bahnen hoffte. Doch waren die Avancen des Baronets, eines hochaufgeschossenen, exaltierten jungen Mannes, der an der Wahnvorstellung litt, ein zweiter Lord Byron zu sein, ihr weniger widerwärtig erschienen als die der anderen Galane der Saison. Die einzige Gefahr, in der sie bei ihm zu schweben meinte, war die, von seinen Versen zu Tode gelangweilt zu werden.

Zurzeit befand er sich noch im Hof, wo er seinem Kutscher und seinem Kammerdiener Anweisungen erteilte, doch war ihr klar, dass er ihr bald in den Salon folgen würde.

Den Blick auf ihr durchnässtes Abbild in einem der Spiegel gerichtet, seufzte Eleanor. Hier stand sie, Lady Mostyn, durchaus gut aussehend, neunzehnjährig, trotz ihres zarten Alters aber bereits allseits berüchtigt dafür, binnen weniger Stunden geheiratet und verlassen worden zu sein. Lebhaft erinnerte sie sich daran, wie sie vor noch nicht allzu langer Zeit in die Gesellschaft eingeführt worden war. Während dieser Zeit hatte man ihr die gewissenhafte Höflichkeit gewährt, die allen Debütantinnen zustand. Inzwischen aber galt sie als potenzielles Opfer eines jeden Wüstlings in der Stadt.

Denn als sie es, Wochen nach ihrer skandalösen Heirat, wieder wagte, sich öffentlich zu zeigen, wurde, wie vorherzusehen, in der feinen Gesellschaft erneut böswillig über sie getuschelt. Sie aber wollte beweisen, dass sie nicht trauernd zu Hause saß, während ihr Gatte – den Gerüchten zufolge – einer Opernsängerin auf den Kontinent gefolgt war. Immerhin besaß sie genügend Trevithick-Stolz, um in dieser misslichen Lage in ihrem Widerstandsgeist Halt und Trost zu finden.

Eleanor streifte ihren nassen Umhang ab und drapierte ihn über einen Sessel vor dem Kamin. Jetzt wusste sie, dass sie die Macht der Gerüchte unterschätzt hatte, denn es wurde vor keiner Verleumdung zurückgeschreckt. So hieß es, sie sei mit Kit Mostyn durchgebrannt, um einer Zwangsheirat zu entgehen, jedoch habe er in der Hochzeitsnacht entdeckt, dass sie nicht mehr unberührt war, und sie deshalb verlassen. Anderen zufolge habe sie ihren Gemahl hinausgeworfen, weil er sie mit abartigen sexuellen Neigungen belästigte. Erneut seufzte Eleanor. Ein Makel haftete ihr an, sodass die achtbaren Damen der Gesellschaft sie mieden, als habe sie eine ansteckende Krankheit, während etliche Junggesellen und Lebemänner ständig lüstern um sie herumstrichen. Am schlimmsten aber fand sie, dass sie sich selbst einige Schuld an ihrer Lage geben musste.

Denn selbstverständlich hatte ihre Mutter gefordert, sie solle sich, der Etikette gehorchend, in die Einsamkeit zurückziehen. Indem sie mutig dem Tratsch die Stirn bot, entsprach sie erst recht der schlechten Meinung, die allgemein schon von ihr herrschte. Dabei amüsierten sie anfangs noch die Möglichkeiten, die ihr mit einem nicht mehr lupenreinen Ruf offenstanden, denn das Leben erschien ihr weniger langweilig als das einer Debütantin oder gehorsamen Ehefrau. So flirtete sie ein wenig mit dem einen oder anderen Frauenhelden herum und ließ sich auch ein- oder zweimal küssen, um Rache an Kit zu üben, die sie aus ganzem Herzen ersehnte. Sie zog sogar in Erwägung, sich einen Liebhaber zuzulegen, oder gar zwei zur selben Zeit …

Diese frivolen Ideen aber büßten schnell ihren Reiz ein, denn sie war für so etwas nicht geschaffen. Plumpe Vertraulichkeiten und die Selbstherrlichkeit der sie umwerbenden Herren waren ihr letztlich ein Gräuel. In den letzten Wochen hatte sie sich gezwungenermaßen mit Ohrfeigen, Tritten gegen das Schienbein und einmal sogar mit einer Bibel zur Wehr gesetzt. So also stand es um sie als verlassene Braut, deren Gatte es offenbar vorzog, sein Vergnügen anderswo zu suchen.

Zum Aufwärmen setzte sie sich an das spärlich flackernde Kaminfeuer und starrte besorgt hinein. Schon bald würde sie sich mit Sir Charles’ Unverschämtheiten abgeben müssen, obwohl ihrem Namen bereits genügend Schande anhaftete, als dass sie sich auch noch mit einem Mann, der sie zu Tode langweilte, in einem Landgasthof ein Stelldichein geben mochte …

Am schlimmsten aber litt sie darunter, dass es in ihren Augen jedem Mann nach wie vor zum Nachteil gereichte, mit Kit verglichen zu werden. Das schien absurd, denn er hatte sie schließlich ohne ein Wort verlassen und der Schande ihrer überstürzten Heirat allein ausgesetzt. Dennoch kam für sie ihm kein anderer gleich.

Im Laufe der fünf Monate nach seinem Verschwinden war ihre jugendliche Verliebtheit nach und nach Kummer und dann Zorn gewichen. Jedes Mal, wenn ihre Mutter mit neuem Klatsch über Kit aufwartete, verhärtete sich ihr Herz ein bisschen mehr gegen ihn. Doch obwohl sie ihre Gefühle für ihn zu bekämpfen versuchte, überschattete die Erinnerung an ihren Liebsten jede andere Begegnung mit einem Mann und ließ keinem neuen Bewerber eine Chance.

Auf dem Korridor waren nun Stimmen zu hören, die näher kamen. Sir Charles schien Shakespeare zu zitieren. Nein, wie ermüdend, dachte Eleanor respektlos, während er die Tür öffnete und, gefolgt vom Gastwirt, der ein Tablett mit einer Flasche Rotwein nebst zwei riesigen bauchigen Gläsern trug, eintrat. Leicht rümpfte sie die Nase über diesen Mangel an Finesse, hatte sie von einem Dichter doch besseres Stilempfinden erwartet.

„Da sind Sie ja, meine Liebe!“, rief Sir Charles, dessen Stimme nun schon nicht mehr höflich und respektvoll tönte wie bisher, sondern bereits den Unterklang abscheulicher Intimität besaß. „Ich hoffe, Sie haben’s hier warm genug – doch werden wir bald mollig im Bettchen liegen und dabei warme Füße kriegen – ohne dass jemand nach uns frug!“

Eleanor fragte sich gereizt, ob Sir Charles schon immer in Knittelversen gesprochen und warum sie das nicht schon vorher bemerkt hatte. Den Wirt, der blöde und anzüglich grinsend den Wein einschenkte, würdigte sie keines Blickes. Gewiss sonnte sich dieser in dem Gedanken an dem großzügigen Schweigegeld, da er bei einem derart fragwürdigen Unterfangen ein Auge zudrückte.

„Für den Moment wird das Gasthaus genügen müssen“, antwortete sie kühl, ohne auf Sir Charles’ Anspielungen einzugehen, „aber lange bleibe ich nicht hier. Sicher kann man einen Boten nach Trevithick-House schicken? Die anderen werden schon dort angelangt sein und sich Sorgen machen, wo wir bleiben …“

„Zerbrechen Sie sich nicht unnötig Ihren bezaubernden Kopf, meine Liebe“, gab Sir Charles leichthin zurück, indem er sich in Pose warf. „Oh, ein Gedicht kommt über mich!“, verkündete er strahlend. „Mein Herz wandelt auf Freiersfüßen, sobald ich dein hübsches Antlitz seh’; und tut mir ach so weh, tust aus meinem Bettchen du nicht grüßen …“

„Ich bitte Sie, Sir, zügeln Sie Ihre Fantasie!“, fuhr Eleanor ihn an. „Ihre Reime sind ganz unausstehlich, das Werk von Torheit und übermäßiger Einbildung!“

Dies brachte Sir Charles mitnichten aus dem Konzept. Stattdessen legte er seinen Gehrock ab und trat in seinem mit Unmengen von Spitze und Bändern verzierten Hemd italienischen Stils, sich die Hände reibend, dicht ans Feuer. Eleanor ertappte sich bei dem unchristlichen Wunsch, seine gerüschten Ärmel möchten Feuer fangen.

„Weh mir, geliebte Lady Mostyn, dass Sie verehelicht sind“, schnarrte der miserable Poet, „sonst würde ich Ihnen meine Verehrung auf der Stelle beweisen!“ Dabei starrte er sie mit gespielt wehmütigem Blick an, hinter welchem Eleanor die pure Berechnung erkannte. „Meine Liebe und Achtung, müssen Sie wissen, kennt keine Grenzen …“

„Wie auch die Kränkungen, die Sie mir zufügen, Sir!“, unterbrach Eleanor ihn, bevor er seinen lyrischen Erguss zu Ende bringen konnte.

Zur Antwort drückte Sir Charles ihr mit Nachdruck ein Glas Wein in die Hand und leerte seines auf einen Zug um die Hälfte.

„Sie wissen doch selbst, süße Eleanor, dass Ihre Verwandten erst in ungefähr einer halben Stunde zu Hause ankommen und sich nicht vor einer weiteren Stunde Sorgen machen werden. Dann aber wird es schon dunkel sein …“ Damit bohrte er seinen Blick in den ihren, und sie verstand auf der Stelle, dass er ihre hilflose Lage auszunützen entschlossen war. Mit einem Rest Sarkasmus registrierte sie, dass er sich durchaus einfacher ausdrücken konnte, wenn er wollte.

Sich auf die Lippen beißend wandte sie sich ab und hörte, wie der Gastwirt lachend hinausging und die Tür hinter sich schloss. Mit dem Kinn wies Sir Charles auf ihr Glas. „Trink aus, Liebchen, das wird dich stärken.“ Wie um ihr ein Beispiel zu geben, goss er den restlichen Wein aus dem seinen in sich hinein und wischte sich anschließend den Mund. „Welch bezaubernde Gelegenheit, uns besser kennenzulernen! So muss es wohl bestimmt sein, mein zartes Röselein!“

„Es ist genau, wie Sie es eingefädelt haben!“, bemerkte Eleanor in eisigem Ton und warf ihm einen scharfen Blick zu. Noch vor Kurzem hatte sie ihn für einigermaßen gut aussehend gehalten, korrigierte sich aber auf der Stelle. Charles Paulets braune Augen standen zu dicht beieinander, und im Verbund mit seiner langen, spitzen Nase erinnerte er sie an einen Fuchs.

„Wie weit ist es denn noch bis London, Sir?“, fragte sie wie beiläufig.

„Mindestens zehn Meilen, meine wunderschöne Lady Mostyn, weshalb ich fürchte, dass die Nacht uns hier überraschen wird“, gab er zur Antwort und entblößte grinsend die Zähne. „Du musst dich wohl mit deinem Schicksal abfinden, meine Süße. Mit Verläubchen, mein Täubchen …“

Voll Abscheu funkelte Eleanor ihn an. „Und die Kutsche …“

„Kann bedauerlicherweise heute nicht mehr repariert werden“, fiel Sir Charles ihr zufrieden ins Wort. „Aber morgen ist auch noch ein Tag, nicht wahr? Hier in unserer Schäferidylle flieht das Dunkel vor unserer Liebe Fülle …“

Obwohl Eleanors Nerven durch Sir Charles’ poetische Ergüsse bereits strapaziert genug waren, schien es ihr nun ratsam, ihm in dieser Hinsicht zu schmeicheln, um Zeit zu gewinnen.

„Ach, könnten Sie mir nicht noch mehr von Ihrer Dichtkunst zum Besten geben?“, fragte sie also, wohlwissend, wie haarsträubend widersinnig ihr plötzlicher Stimmungswechsel, noch dazu mit dem schwärmerischen Anflug in ihrer Stimme, daherkam, aber sie gründete ihre Hoffnung darauf, dass des Poeten Eitelkeit seinen Intellekt überstieg.

Spitzbübisch drohte er ihr mit dem Zeigefinger. „Mein Kätzchen muss Geduld haben; sich später an meiner Poesie laben! Denn mit königlichem Mahl wartet der Wirt, ein edler Mann …“

„… dann sehen wir mal, was er uns bringen kann!“, beendete Eleanor den Satz ein wenig grimmig.

„Nicht doch, meine Liebe, das ist kein guter Vers“, widersprach Sir Charles beleidigt, als die Tür aufging und der Gastwirt eintrat, diesmal ein Esstablett vor sich hertragend.

Sie erlaubte Paulet, ihr den Stuhl zurechtzurücken, und beobachtete verdrossen, wie er ihr gegenüber Platz nahm. Absurderweise nötigte er sie, eine Scheibe Rinderbraten zu kosten, als ob er sie zu einem Dinner in der guten Gesellschaft begleitet und nicht schnöde entführt hätte. Leise seufzend versuchte sie, einen Bissen hinunterzuwürgen, da ihr vorerst nichts Besseres einfiel, als ihren Entführer in Sicherheit zu wiegen, abzulenken und hinzuhalten.

Autor

Nicola Cornick
<p>Nicola Cornick liebt viele Dinge: Ihr Cottage und ihren Garten, ihre zwei kleinen Katzen, ihren Ehemann und das Schreiben. Schon während ihres Studiums hat Geschichte sie interessiert, weshalb sie sich auch in ihren Romanen historischen Themen widmet. Wenn Nicola gerade nicht an einer neuen Buchidee arbeitet, genießt sie es, durch...
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