Blitzhochzeit in Italien

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Traumferien in Italien! Erin und der charmante Francesco verlieben sich auf den ersten Blick! Blitzhochzeit nach fünf Tagen - doch schon kurz darauf das bittere Erwachen. Warum hat Francesco sie belogen, als er ihr erzählte, er sei nur ein einfacher Pferdezüchter?


  • Erscheinungstag 07.08.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507998
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Francesco Romanelli wechselte gerade auf die rechte Spur der Autobahn, als sein Handy erneut klingelte. Er runzelte genervt die Stirn, ignorierte es aber ansonsten. Allerdings konnte er nicht verhindern, dass sein Blick zu dem leeren Beifahrersitz hinüberschweifte, auf dem ein weiteres Handy lag – das war jedoch ausgeschaltet.

Es war der einzige Gegenstand, der seinen Wutanfall überstanden hatte, bei dem er alle Sachen, die ihn an seine äußerst kurze Ehe erinnern konnten, hinausgeworfen hatte. Wenn seine Haushälterin in ihrem Kampf gegen Staub und Schmutz nicht so unerbittlich gewesen wäre, dann hätte er das Telefon nie gefunden – und auch die verstörende Nachricht, die es enthielt, wäre ihm verborgen geblieben.

Was vermutlich genau die Absicht seiner Frau gewesen war.

Francesco biss die Zähne zusammen, während er krampfhaft darum bemüht war, den aufsteigenden Zorn zu beherrschen, der ihn jedes Mal dann zu überwältigen drohte, wenn er an die Situation dachte, der er sich jetzt gegenübersah.

Nach den Ereignissen der vergangenen Monate mutete es wie eine Ironie des Schicksals an, dass er sich noch vor einem Jahr bei seinem Zwillingsbruder darüber beklagt hatte, sein Leben sei zu vorhersehbar geworden!

Damals hatte sich Francesco gerade von seiner aktuellen Geliebten getrennt. Es war eine Trennung in gegenseitigem Einvernehmen gewesen, wie man so schön sagte. Obwohl er für gewöhnlich äußerst scharfsichtig war, hatte er in diesem Fall das Ende nicht kommen sehen.

Wie auch? Die fragliche Dame – eine Unternehmensanwältin, die ebenso schön wie klug war – hatte gleich zu Beginn ihrer Affäre klargestellt, dass sie für emotionale Verwicklungen keine Zeit habe. Insofern war es schon eine gehörige Überraschung gewesen, als sie ihm mitteilte: „Es ist nichts Persönliches, Francesco – genau genommen hatte ich nie besseren Sex, aber meine Uhr tickt, und daher kann ich es mir nicht leisten, meine Zeit mit einem Mann zu verschwenden, der derart bindungsunfähig ist wie du.“

Die Aussage hatte ihn nicht beleidigt, er verbrachte deshalb auch keine schlaflosen Nächte, aber er war doch ein wenig ins Grübeln gekommen … „Glaubst du, dass ich bindungsunfähig bin?“, fragte er später seinen Bruder.

Rafes Antwort fiel äußerst taktvoll aus. „Natürlich nicht, aber vielleicht wäre es keine schlechte Idee, wenn du dich einmal genauso stark in deinen persönlichen Beziehungen engagieren würdest wie in deiner Arbeit?“

„Das ist ja das Problem. Ich muss mich gar nicht so besonders stark in meiner Arbeit engagieren … zumindest meistens nicht“, entgegnete er. „Manchmal erwische ich mich dabei, dass ich mir ein Desaster wünsche, das ich in Ordnung bringen kann … es gibt überhaupt keine Herausforderung mehr. Mein Leben ist absolut vorhersehbar. Nichts, was zu einem wirklichen Adrenalinausstoß führen würde.“

„Vielleicht wartet eine lebensverändernde Überraschung gleich um die Ecke auf dich“, meinte sein Bruder belustigt.

Dio mio, ich hoffe es.“

Wie hieß es doch gleich? Man sollte aufpassen, welche Wünsche man laut äußerte – sie könnten in Erfüllung gehen!

Wenige Monate später starb sein Zwillingsbruder Rafael unter tragischen Umständen, und während Francesco noch vollauf damit beschäftigt war, den niederschmetternden Verlust zu verarbeiten, entdeckte er, dass es Liebe auf den ersten Blick durchaus nicht nur in Romanen gab.

Allerdings sollte man wohl die Person, in die man sich verliebt hatte, nicht unbedingt gleich nach fünf Tagen heiraten!

Francescos Blick wanderte zu dem goldenen Ehering an seiner linken Hand, woraufhin er das Lenkrad noch fester umklammerte und den Mund zu einer dünnen Linie verkniff. Liebe! Das war keine Liebe gewesen, dachte er bitter. Eine unglückselige Kombination aus Lust und blinder Vernarrtheit hatte ihn in diese überstürzte Heirat getrieben.

So mancher hätte ihn darauf hingewiesen, dass seine Reaktion auf Erins Brief, den er vor einer Woche bekommen hatte und in dem sie die Scheidung forderte, auf deutlich mehr schließen ließ als lediglich Lust und blinde Vernarrtheit. Demjenigen hätte Francesco dann entgegengehalten, dass er Niederlagen noch nie gut wegstecken konnte, und was sonst war eine Scheidung, wenn nicht ein Scheitern auf ganzer Linie?

Scheitern war jedoch ein Wort, das in seinem Vokabular gar nicht vorkam. Scheitern war etwas, das anderen Menschen passierte, aber nicht ihm. Sein Motto hatte schon immer gelautet: Wenn du etwas wirklich willst im Leben, dann sorgst du dafür, dass du es auch bekommst – du kämpfst so lange, bis du es hast.

Als das Flugzeug gelandet war, hatte er sich allerdings gefragt, warum er sich überhaupt die Mühe machen sollte, um sie zu kämpfen? Er wollte sie doch gar nicht!

Warum sollte ich eine Frau wollen, die mir nicht vertraut?

Francesco war sich sicher, dass Erin in seiner Ankunft in England den ersten Schritt zu einer Versöhnung sehen würde, doch da hatte sie sich getäuscht! Schließlich war sie diejenige, die sich im Unrecht befand.

Er hatte erwartet, dass sie kleinlaut zu ihm zurückkehren würde.

Erneut wanderte sein Blick zu dem leeren Beifahrersitz hinüber. Die erschütternde Nachricht, die das Handy enthielt, hatte die Sachlage mit einem Schlag verändert.

Wer den ersten Schritt machte, spielte plötzlich keine Rolle mehr. Es gab nur noch eine Entscheidung, die unumstößlich feststand: Eine Scheidung kam nicht länger infrage! Wenn Erin auch nur halbwegs vernünftig wäre, dann hätte sie das selber eingesehen.

Die Situation erforderte sofortiges Handeln – kühl und überlegt.

Francescos düsterer Blick glitt erneut zu dem Handy hinüber … ein Muskel in seiner Wange zuckte immer wieder heftig, und nur mit Mühe gelang es ihm, sich auf die Straße zu konzentrieren. In diesem Moment war er weder kühl noch überlegt.

Aber umso fester entschlossen.

Mein Gott, wenn er daran dachte, dass er das Handy beinahe einfach weggeworfen hätte! Glücklicherweise hatte er es doch erst noch eingeschaltet.

Erin hatte eine Nachricht erhalten.

Die Augen starr auf die Fahrbahn vor sich gerichtet, erinnerte sich Francesco an den Moment, als er die höfliche Stimme auf der Mailbox abhörte, die mitteilte, dass Mrs. Romanellis nächste Schwangerschaftsuntersuchung eine Woche vorgezogen worden war.

Sein normalerweise so scharfer Verstand war wie betäubt gewesen. Er musste die Nachricht insgesamt dreimal abhören, ehe es endlich klick machte.

Er wurde Vater!

In einem solchen Augenblick sollte ein Mann vor Freude in die Luft springen, doch Erin hatte ihn dieser Möglichkeit beraubt. Genauso wie sie ihn offensichtlich auch seines Kindes berauben wollte. Er fragte sich, ob er jemals in der Lage sein würde, ihr das zu verzeihen.

Hätte sie es ihm jemals von sich aus gesagt?

Obwohl er die Situation in den vergangenen vier Tagen aus jedem erdenklichen Blickwinkel betrachtet und analysiert hatte – sosehr er sich auch anstrengte, er kam zu keiner plausiblen Entschuldigung für ihr Verhalten.

Sie hatte allein eine Entscheidung getroffen, ganz so als sei seine Meinung völlig irrelevant. Selbst wenn sie beschlossen hatte, dass es keine gemeinsame Zukunft für sie gab, waren da doch Dinge zu besprechen … Möglichkeiten zu diskutieren! Nicht, dass für ihn mehr als eine Möglichkeit existiert hätte. Francesco war der festen Überzeugung, dass es nur eine Art gab, ein Kind aufzuziehen – nämlich mit beiden Eltern!

Und es war ja nicht mal so, als hätte sie ihn kontaktieren müssen. Mein Gott, er hatte unzählige Male versucht, sie zu erreichen, und ihr mehr als eine Möglichkeit gegeben, mit ihm zu reden. Doch sie hatte sich hinter dieser Hexe von einer Mutter versteckt.

Glaubte Erin tatsächlich, sie könnte sein Baby zur Welt bringen, ohne dass er es herausfand? Sein hartes Lachen wurde von dem Handy in seiner Jackentasche unterbrochen, das schon wieder klingelte – wer auch immer versuchte, ihn zu erreichen, er gab nicht auf. Mit einem irritierten Seufzer blinkte Francesco und verließ die Autobahn.

Erin war mehr als überrascht gewesen, als Francescos Cousine Valentina sie angerufen und zu einem Wochenende in ihr Landhaus eingeladen hatte, wo sie mit ihrem englischen Ehemann Sam eine Pferdezucht betrieb.

Ihr kam in den Sinn, dass Valentina vielleicht nichts von ihrer Trennung von Francesco wusste. Keinesfalls wollte sie, dass jemand auf die Idee kam, ihr Herz sei gebrochen, und deshalb fragte sie betont ungezwungen: „Du weißt schon, dass Francesco und ich … nicht mehr zusammen sind?“

„Ja, das weiß ich, und es tut mir wirklich leid“, entgegnete die Italienerin. „Aber das heißt doch nicht, dass wir keine Freundinnen sein können, oder?“

Erin zögerte, die Einladung anzunehmen, doch Valentina freute sich derart darauf, sie wiederzusehen, dass Erin sich kleinlich vorgekommen wäre, wenn sie die Einladung abgelehnt hätte. Also war sie am Vorabend angekommen, und Valentina hatte ihr erklärt, dass sie die anderen Gäste nicht vor dem heutigen Mittag erwartete. Erin schaute nun auf die Uhr und fragte sich, ob schon jemand eingetroffen war.

Es war der unverwechselbare Klang von Pferdehufen, der Erin ans Fenster des sonnigen Wohnzimmers lockte. Draußen im Hof, beinahe unmittelbar unterhalb des Fensters, hielt ein Knecht einen schwarzen Hengst am Zügel, der unruhig auf und ab tänzelte.

Als sie ihn das erste Mal erblickt hatte, da hatte Francesco auf einem ganz ähnlichen Pferd wie dem da draußen gesessen. Der Hengst war staubiger und schweißüberströmter gewesen, doch er verfügte über die gleiche ungezähmte Wildheit … genau wie sein Reiter.

Ihr Blick kehrte sich unwillkürlich nach innen, und ihre Gedanken drifteten in die Vergangenheit, zurück zu einem heißen Tag unter der sengenden Sonne Italiens …

Sie hörte das Geräusch der Pferdehufe auf dem steinigen Feldweg, der so steil bergauf führte, dass sie von ihrem Fahrrad abgestiegen war und zu schieben begonnen hatte.

Die Erleichterung, die sie erfasste, war gepaart mit Vorsicht. Immerhin war sie mutterseelenallein hier unterwegs. Und wessen dämlicher Fehler war das?

Der Hotelmanager hatte ihr taktvoll zur Vorsicht geraten, als sie ihren Plan verkündete, ein Rad mieten und die Gegend erkunden zu wollen. Als er feststellte, dass keine ihrer drei Freundinnen sie begleiten würde, wurde er deutlicher: „Signorina, es ist keine gute Idee, wenn Sie als Frau allein durch die Gegend fahren wollen. Sie könnten sich verirren.“

Erin lächelte höflich, schwenkte ihre Landkarte und ignorierte seinen wohl gut gemeinten Rat.

Natürlich hätte sie ihm erklären können, dass sie allein sein wollte, dass sie allein sein musste – vermutlich hätte er es nicht verstanden. Sie verstand ja selbst nicht so recht, wie Frauen, deren Gesellschaft sie daheim genoss, ihr im Urlaub derart auf die Nerven gehen konnten. Wie sie jemals auf die Idee gekommen war, sie hätten viel gemeinsam, war ihr mittlerweile ein Rätsel!

Zu Hause waren sie die nettesten Freundinnen. Nur im Urlaub entwickelten sie sich zu Monstern, die unaufhörlich über ihre Sonnenbräune redeten und Erin konsterniert anschauten, wenn sie vorschlug, ein Picknick zu veranstalten und ins nächste Dorf zu wandern.

Das Alleinsein verlor allerdings sehr schnell seinen Reiz, wenn man sich mit einem platten Reifen verirrt hatte, einen Sonnenbrand auf der Nase spürte und Schmerzen an Körperstellen, von denen man gar nicht geahnt hatte, dass man dort Muskeln besaß.

Mittlerweile spürte sie Panik aufkommen. Das wurde nicht besser, wenn sie daran dachte, dass sie in die Regierungsstatistik für spurlos verschwundene Touristen, die nie wieder auftauchen, eingehen würde.

Nun, jetzt war sie jedenfalls nicht mehr allein.

Erin hob eine Hand an die Stirn und schirmte ihre Augen vor dem starken Licht der Abendsonne ab. Da der Reiter die Sonne im Rücken hatte, erkannte sie nicht mehr als eine dunkle Silhouette.

Der Mann entdeckte sie und verlangsamte daraufhin den Ritt. Schließlich brachte er das Pferd wenige Meter entfernt von ihr zum Stehen.

Der Hengst war schweißbedeckt und bebte am ganzen Körper, während der Reiter, der auf ihm saß, Erin eine Ewigkeit lang anstarrte. Es war frustrierend, dass sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen konnte.

Mit trockenem Mund beobachtete sie, wie er die Steigbügel wegkickte und aus dem Sattel glitt. Er tätschelte die Flanke des Pferdes, wodurch eine Staubwolke aufstob. Die Zügel ließ er achtlos fallen, doch das Tier blieb gehorsam stehen.

Erins Füße waren wie festgenagelt. Es war schon beinahe demütigend, wie stark sie auf die unverhüllte Erotik reagierte, die dieser Mann mit jeder Pore auszuströmen schien.

Sie beobachtete ihn durch halb geschlossene Lider. Er war unheimlich groß, hatte breite Schultern und schmale Hüften, und er verfügte über die natürliche Eleganz eines Athleten sowie die selbstverständliche Arroganz eines Mannes, der genau wusste, dass sein Auftreten die Unterhaltung in jedem Raum zum Erliegen bringen konnte.

Das war genau die Sorte Mann, die sie grundsätzlich verabscheute.

Viel zu gut aussehend, viel zu selbstbewusst, viel zu verwöhnt. Seit seiner Geburt hatte sich die Welt sicher immer nur um ihn gedreht.

Es war nur merkwürdig, dass sie nicht ihre übliche Verachtung heraufbeschwören konnte, während sie ihn dabei beobachtete, wie er seine Reithandschuhe abstreifte.

Vielleicht lag es an den Lederstiefeln, die ihn wie einen Cowboy aussehen ließen. Sie betonten seine langen und muskulösen Beine. Das schwarze T-Shirt, das er unter seinem offenen Hemd trug, lag eng genug an, um zu verraten, dass er über einen echten Waschbrettbauch verfügte.

Erin wusste, dass sie ihn anstarrte, aber sie konnte nichts dagegen tun. Sie wollte sich ja bewegen, doch ihre Füße schienen ihr nicht zu gehorchen. Ihr Herz pochte so laut und heftig, dass es beinahe den Klang seiner Stiefel übertönte, während er langsam auf sie zukam.

2. KAPITEL

Erin musste schlucken. Diese Szene würde ihr sicher ihr ganzes Leben lang im Gedächtnis haften bleiben.

Ein paar Schritte von ihr entfernt blieb er stehen. Nahe genug, dass sie seine wundervollen schwarzen Augen mit den scheinbar endlos langen Wimpern sehen konnte.

Sein Gesichtsausdruck war schwer zu deuten, doch über seiner Nasenwurzel hatte sich eine steile Falte gebildet, während er nachdenklich auf sie herabschaute. Erin spürte, wie sie ein Schauer durchlief. Seine sinnlichen Lippen wirkten beinahe grausam.

Er feuerte eine Frage in rasantem Italienisch auf sie ab, wobei seine Stimme tief und angenehm klang.

Sie schluckte erneut und hob nur hilflos die Schultern, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie keine Ahnung hatte, wovon er redete.

Er blinzelte irritiert und fuhr sich mit beiden Händen durch das pechschwarze Haar.

Erin holte tief Luft und bemühte sich um eine Miene, die völlig sachlich wirkte. Er sollte bloß nicht merken, dass sie bei seinem Anblick doch tatsächlich weiche Knie bekam!

„Sprechen Sie Englisch?“

Der Fremde gehörte sicher nicht zu der Sorte Mann, an die sie sich normalerweise um Hilfe wandte, aber in ihrer augenblicklichen Lage hatte sie keine große Auswahl.

Genau genommen war er die Sorte Mann, um die jede halbwegs vernünftige Frau einen großen Bogen machte – obwohl es vermutlich nur die allerwenigsten schafften.

„Eng-lisch?“, wiederholte sie und betonte jede Silbe ganz langsam, weil sie hoffte, einen Funken des Verstehens in seinen Augen zu sehen.

Nichts. Keine Reaktion. Er stand einfach nur da und sah aus, als sei er direkt einem Italo-Western entsprungen.

„Ich habe mich verirrt“, fuhr sie fort und zeigte mit dem Finger auf sich.

Sein Blick folgte der Bewegung.

„Können Sie … ich muss … ich suche nach … ach, verdammt …!“ Frustriert ließ sie sich auf die Knie fallen und entfernte die Steine, mit denen sie ihre Landkarte auf dem Boden befestigt hatte. Ungeduldig schob sie eine Haarsträhne hinters Ohr, stand auf und wedelte die Karte vor seiner Nase hin und her. „Karte …“, sagte sie.

Als er nur mit den Achseln zuckte, wuchs Erins Frustration noch weiter an. Erneut holte sie tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen. Wenn dieser Mann ihr schon nicht weiterhelfen konnte, vielleicht konnte er sie dann zumindest zu jemandem bringen, der dazu in der Lage war.

Also lächelte sie aufmunternd und deutete auf einen rot eingekreisten Punkt auf ihrer Karte. „Ich muss …“, begann sie und hob ihre Stimme dabei um einige Dezibel.

Dann sah sie das völlige Unverständnis in seinem Blick und seufzte. „Ich weiß nicht, warum ich schreie. Sie haben nicht die leiseste Ahnung, wovon ich rede, stimmt’s?“

Er schaute von ihrem Gesicht zu der Karte in ihren Händen, dann wieder zurück. Erneut zuckte er nur die Achseln.

Erins Schultern sackten zusammen. „Warum müssen Sie wunderschön, aber strohdumm sein? Ich kenne eine ganze Menge Frauen, die sonst was gäben, wenn sie Ihre Wimpern hätten. Überhaupt kenne ich eine ganze Reihe Frauen, die noch viel mehr geben würden. Ich persönlich bevorzuge ja den sensiblen Typ, aber der ist häufig schwul.“

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, obwohl es um seine Mundwinkel ganz leicht zuckte.

Erin seufzte schuldbewusst. „Es tut mir leid, aber solange ich rede, kann ich die aufkeimende Panik in Schach halten, und wenn ich aufhöre, dann gehen Sie vielleicht, und ich bin wieder allein. Und nur weil Sie kein Englisch sprechen, heißt das natürlich nicht, dass Sie dumm sind. Es wäre nur um einiges einfacher gewesen.“

Sie warf einen verächtlichen Blick auf das abgelegte Rad. „Außerdem habe ich mir das selbst eingebrockt. Ich weiß wirklich nicht, warum ich geglaubt habe, ich würde gerne Rad fahren. Es würde mich nicht wundern, wenn ich noch einen Monat lang wund wäre“, bemerkte sie und rieb sich über den schmerzenden Po.

„Allerdings musste ich unbedingt von den Leuten wegkommen, mit denen ich den Urlaub verbringe. Ich habe ein ganzes Jahr lang für diese Reise gespart, doch meine Freundinnen zählen bei jeder Mahlzeit die Kohlehydrate, und unter dem Aspekt, etwas von Land und Leuten mitzubekommen, verstehen sie abendliche Ausflüge in verrauchte Nachtclubs.“ Sie lachte gezwungen.

„So gesehen klingt es eigentlich gar nicht so übel, nicht wahr? Wissen Sie, ich glaube, das Problem liegt darin, dass ich nicht besonders tolerant bin.“ Sie lachte erneut und faltete die Karte zu einem etwas kleineren Format zusammen. „Ich weiß, dass Sie das alles gar nicht interessieren würde, wenn Sie es denn verstehen würden, aber dennoch vielen Dank fürs Zuhören.“

„Gern geschehen.“

Ihr Blick schnellte hoch, und die Karte entglitt ihren Händen. Seine kultivierte Stimme hatte einen leicht rauen Unterton und nur den Hauch eines Akzents.

„Sie sprechen Englisch!“ Ihre spontane Erleichterung verwandelte sich beinahe augenblicklich in Ärger. Zornig blitzte sie den attraktiven Fremden an. Ihre Wangen leuchteten rot, als ihr bewusst wurde, was sie alles zu ihm gesagt hatte.

Er nickte leicht, woraufhin sie leichenblass wurde.

Mein Gott, ich habe ihn wunderschön genannt!

„Warum haben Sie das nicht gleich von Anfang an gesagt, anstatt mich sinnlos vor mich hin quasseln zu lassen?“ Und mich völlig zum Narren zu machen.

„Ich hielt es für unhöflich, Sie zu unterbrechen, und als Sie dann einmal so richtig losgelegt hatten, war es ohnehin schwierig.“

Erin entschloss sich, nicht auf die Provokation einzugehen. Stattdessen bedachte sie ihn mit einem Blick, der jeden anderen Mann in die Knie gezwungen hätte, und erklärte eisig: „Ich will Sie nicht weiter aufhalten.“

Er lächelte unverschämt breit und zeigte dabei eine Reihe ebenmäßiger, strahlend weißer Zähne. „Meinen Sie nicht, dass es angesichts der Umstände klüger wäre, etwas kleinere Brötchen zu backen?“

„Kleinere Brötchen zu backen?“, wiederholte sie und schaute ihn völlig ungläubig an.

„Ich bin sicher, dass Sie sich in Ihrer Heimat wunderbar zurechtfinden …“ Er verengte die Augen zu Schlitzen und spekulierte: „London?“

„Nein.“

„Nun ja, wo auch immer es ist, hier jedenfalls nicht, cara“, bemerkte er.

Das lässige Kosewort entfachte ihren Zorn, was deutlich an dem Blitzen in ihren Augen erkennbar war. Gott sei Dank konnte er nicht sehen, dass es auch noch eine andere Reaktion in ihr auslöste – nämlich Schmetterlinge in ihrem Bauch!

„Das hier ist meine Heimat. Sie brauchen Hilfe, und ich“, fuhr er mit einem unbekümmerten Achselzucken fort, „kann sie Ihnen geben – falls Sie bereit sind, meinen Mangel an Sensibilität zu tolerieren.“

„Ich bin an unsensible Männer gewöhnt“, versicherte sie. „Obwohl mir noch keiner begegnet ist, der so hinterhältig war wie Sie. Außerdem habe ich ganz bestimmt nicht nach der Kavallerie gerufen.“ Sie warf einen Blick auf das Pferd, das ruhig auf seinen Herrn wartete. „Wenn Sie mir allerdings sagen könnten, wo genau ich mich gerade befinde, dann wäre ich tatsächlich dankbar.“

Er hob eine Augenbraue und schaute sie spöttisch an. „Wenn ich das täte, wären Sie dann wirklich schlauer?“

„Bitte ersparen Sie mir diese männliche Überheblichkeit“, versetzte sie und rollte die Augen. „Männer, die so etwas nötig haben, leiden meiner Ansicht nach unter mangelndem Selbstbewusstsein. Ich entspreche ganz sicher nicht dem weiblichen Klischee.“

Langsam hob er eine Hand an die Stirn, um sich vor dem grellen Sonnenlicht abzuschirmen, während er sie betrachtete. „Oh nein, das tun Sie ganz sicher nicht“, stimmte er einigermaßen kryptisch zu.

Erin nahm an, dass das ihr Stichwort gewesen wäre, nachzuhaken, was er über sie dachte, doch sie sah es gar nicht ein, sein Spielchen mitzuspielen. Außerdem war sie nicht sicher, ob ihr die Antwort gefallen würde.

Deshalb sah sie einfach nur wortlos zu, wie er sich bückte, die Karte aufhob und sie sorgfältig glättete.

„Dorthin wollen Sie?“, fragte er und deutete mit dem Finger auf den eingekreisten Punkt. Dabei warf er ihr einen derart amüsierten Blick zu, dass sie augenblicklich rot sah.

„Ich nehme nicht an, dass Sie jemals die falsche Richtung eingeschlagen haben“, erwiderte sie leicht höhnisch.

„Sie haben nicht nur einmal die falsche Richtung eingeschlagen“, entgegnete er trocken. „Wo Sie sich im Moment befinden, das ist gar nicht mehr auf Ihrer Karte.“

„Was? Sie meinen, die Karte ist zu klein?“ Eigentlich hatte sie den Ausschnitt für relativ groß gehalten.

„Nein, ich meine, dass Sie sich ungefähr zehn Meilen außerhalb des Gebiets befinden, das die Karte umfasst, und das ist noch eine sehr günstige Schätzung.“

Ihre Gesichtszüge entglitten. „Sie machen Witze“, sagte sie, obwohl sie selbst nicht daran glaubte. Der Mann besaß ungefähr so viel Humor wie ein Glas saure Gurken.

„Ich …“

„Würden Sie bitte für eine Sekunde still sein, sodass ich nachdenken kann?“

Seiner erstaunten Miene nach zu urteilen passierte es ihm nicht oft, dass man ihm sagte, er solle still sein – wenn überhaupt jemals. Egal. Sie hatte wichtigere Dinge zu tun, als sich um seinen verletzten südländischen Stolz zu kümmern.

Rasch überdachte sie ihre Möglichkeiten. Sie brauchte nicht lange, um festzustellen, dass sie kaum welche hatte. Zumal sie keine besondere Lust verspürte, zu laufen.

„Ich vermute, dass es hier nirgendwo in der Gegend so was wie ein Taxi gibt?“

Er schaute noch belustigter drein als zuvor. „Sie vermuten richtig.“

Autor

Kim Lawrence
Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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Kim Lawrence
Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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