Blitzhochzeit in Portugal

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Spätestens in seinem Palast an der Küste Portugals sagt Mallorys Herz laut Ja zu dem feurigen Rafael D’Alfonso. Der temperamentvolle Portugiese will zwar nur eine Vernunftehe, damit sie sich um seine Tochter kümmert. Aber Mallory ist entschlossen, Rafael zu erobern …


  • Erscheinungstag 11.09.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774554
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Für diejenigen Zuschauer, die gerade erst eingeschaltet haben: Bei der Jack-Hendley-Talkshow am Freitagabend, live aus New York übertragen, ist heute die entzückende Mallory Ellis zu Gast.“

Während die Zuschauer klatschten, spielte die Band die Erkennungsmelodie der Sendung.

„Wenn man Miss Ellis ansieht, könnte man sie ohne Weiteres für ein Supermodel halten. Aber weit gefehlt! Mit ihren gerade einmal neunundzwanzig Jahren ist sie eine der jüngsten weiblichen Führungskräfte, über die je in ‚Financial Wizards of Wall Street‘ berichtet wurde. Direkt nach ihrem Jurastudium an der Universität Yale, das sie mit Auszeichnung abgeschlossen hat, hat Miss Ellis eine Stelle bei Windemere Cosmetics in Los Angeles bekommen, das damals kurz vor dem Ruin stand. In den wenigen Jahren, in denen sie dort als stellvertretende Geschäftsführerin arbeitet, hat die Firma nicht nur einen neuen Namen bekommen – Lady Windemere Cosmetics –, sondern expandiert auch international. Und noch immer steigen die Gewinne – erfreuliche Nachrichten für die Angestellten, die inzwischen Anteile am Unternehmen besitzen“, fuhr der Moderator fort. „Laut der Presse lässt sich Miss Ellis’ unbestreitbares Talent auf ihre profunden Kenntnisse über Gewinn und Verlust zurückführen. Wir hoffen jedoch, dass sie uns heute Abend das wirkliche Geheimnis ihres Erfolgs verrät.“

Als der Moderator nun seinen Blick über Mallory Ellis gleiten ließ, glitzerten seine Augen. „Jemand aus Ihrem Bekanntenkreis hat mir gesagt, Sie wüssten, was Frauen wollen. Hatten Sie denn immer schon vor, ein weiblicher Tycoon zu werden?“

Ganz eindeutig klang seine Stimme eher scharf als neckend. Mallory wusste, dass Jack Hendley ein Chauvinist war und sehr feste Vorstellungen von der Rolle hatte, die Frauen seiner Meinung nach im Leben spielen sollten. Schon allein deshalb wäre sie nicht gern in seiner Sendung aufgetreten. Doch der Fernsehsender hatte Liz Graffman, die 70-jährige Witwe und Besitzerin von Lady Windemere Cosmetics, angerufen und um Mallorys Auftritt in der sehr beliebten Jack-Hendley-Show gebeten. Natürlich hatten beide Frauen dieses Angebot nicht ablehnen können, denn so ein Fernsehauftritt bedeutete unbezahlbare Werbung für das Unternehmen.

In den vergangenen drei Jahren hatte sich zwischen Mallory und Liz ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt, fast als wäre die alte Dame ihre Lieblingstante. Und wenn es der Firma zugutekäme, würde Mallory eben eine halbe Stunde herablassendes Verhalten ertragen.

„Der Ausdruck ‚Tycoon‘ impliziert, dass jemandem eine oder mehrere Firmen gehören. Ich dagegen arbeite nur für ein Unternehmen“, korrigierte sie Jack Hendley, der prompt ihr freundliches Lächeln ignorierte, weil sie nicht wie gewünscht reagiert hatte.

„Aber um Ihre Frage zu beantworten: Als ich alt genug war, mir über die Welt Gedanken zu machen, gab es eigentlich nur eine Sache, die ich mit Ehrgeiz betrieben habe – das Surfen.“

Damit hatte er nicht gerechnet. „Wo sind Sie denn aufgewachsen?“

„In Huntington Beach in Kalifornien.“

„Deshalb also. Waren Sie eine gute Surferin?“

„Ich habe ein paar Regionalmeisterschaften in Redondo Beach und Malibu gewonnen.“

Aus dem Publikum ertönten anerkennende Pfiffe und Klatschen.

„Miss Ellis, sicher möchten sämtliche Junggesellen hier wissen, ob es einen künftigen Lord Windemere gibt.“

Diese Frage war so vorhersehbar gewesen, dass Mallory einen Seufzer unterdrücken musste. „Nein“, erwiderte sie dann.

„Heißt das …“

„Es heißt ganz einfach Nein“, unterbrach sie ihn und lächelte strahlend, wobei ihre blauen Augen leuchteten. Natürlich hatte sie schon viele Verabredungen mit Männern gehabt, aber bisher noch nie den Wunsch verspürt, mit einem von ihnen ihr Leben zu verbringen. Und dass so etwas in naher Zukunft passieren würde, kam ihr mehr als zweifelhaft vor.

„Und wie kam es dann zu der Wandlung von der Surferin zur Wirtschaftsjuristin?“

Offenbar gefielen Jack Hendley Mallorys kurze, wenig aufschlussreiche Antworten nicht. Sehr gut, dachte sie. Vielleicht stellte er dann endlich mal eine Frage, die mit ihrem Besuch in der Show zu tun hatte.

„Wenn ich nicht gerade surfte, habe ich am Strand gelesen. Schon von klein auf war ich ein fanatischer Comicfan. Mein Vater hatte eine ganze Reihe Comics aus den Vierzigern, und ich habe jeden einzelnen davon verschlungen. Besonders gut gefielen mir die Geschichten über die Amazonen von der Paradies-Insel, die geheime Kräfte hatten.“

Grinsend wandte sich Jack Hendley ans Publikum. „In so einem knappen sexy Outfit würde Miss Ellis sicher auch wie eine Amazone aussehen, stimmt’s?“ Wieder wurde gepfiffen.

Doch Mallory ignorierte seine Bemerkung. Als es wieder ruhig war, fuhr sie fort: „Während des Zweiten Weltkriegs sagte der Autor dieser Comicserie einmal etwas sehr Kluges: Wenn man den Frauen etwas Zeit ließe, um selbstbewusster zu werden, würden sie bald ernsthaft anfangen, die Dinge zu steuern. Und wenn Frauen an der Macht wären, würde es keine Kriege mehr geben. Denn niemals würden Frauen ihre Zeit damit verschwenden, Menschen umzubringen.“

Lauter Applaus ertönte.

„Dieser Ausspruch hat mich sehr beeindruckt. Ich wollte zu den Frauen gehören, die wesentliche Dinge steuern.“

Inzwischen waren so gut wie alle Frauen aufgestanden und klatschten laut, während die Band noch einmal die Erkennungsmelodie spielte. Als endlich alle wieder saßen, fragte der Moderator: „Stimmt es, dass bei Lady Windemere ausschließlich Frauen arbeiten, seit Sie die Zügel dort in der Hand halten?“

Nickend neigte Mallory den Kopf zur Seite, wobei ihr das dunkelbraune, glänzende Haar über die Schulter fiel.

„Ja. Denn Frauen wollen zwar für Männer schön sein, aber sie schminken und kleiden sich auch auf eine bestimmte Art, um den prüfenden Blicken anderer Frauen standzuhalten. Sie sind doch verheiratet, Mr Hendley. Was antworten Sie, wenn Ihre Frau Sie fragt, ob sie rosa oder roten Lippenstift auflegen soll?“

„Dass ich sie schön finde, egal, welche Farbe sie nimmt.“

„Genau. Offensichtlich sind Sie ein guter Ehemann, der außerdem noch weiß, wie man Fallstricke umgeht. Sie wollen Ihre Frau nicht mit einer falschen Antwort kränken, aber eine Hilfe sind Sie ihr nicht“, stellte Mallory fest. „Die Mitarbeiterinnen von Lady Windemere müssen nicht so vorsichtig sein, sondern sagen der Kundin die Wahrheit. Und natürlich stellen sie ihr eine eigene Farbpalette zusammen, damit sie sich so schön und selbstbewusst wie möglich fühlt. Auf diese Art wird sie nämlich mehr Produkte kaufen und der Firma als Kundin treu bleiben.“

„Mit anderen Worten, in Ihren Filialen kann ich mich nicht von einem Mann bedienen lassen.“

„Richtig.“

„Ist das nicht sexistisch?“

Mit diesem Angriff hatte Mallory gerechnet. Souverän lehnte sie sich zurück, kreuzte die langen, schlanken Beine und erwiderte: „Nachdem ich mir das Unternehmen genau angesehen hatte, wusste ich, was ich tun musste, damit ein erfolgreicher Konzern daraus werden würde. Aber wenn ich für eine Firma mit nicht ausschließlich weiblicher Kundschaft arbeiten würde, wäre die Frage nach männlichen oder weiblichen Angestellten natürlich gar nicht relevant.“

Provozierend zog der Moderator die Augenbrauen hoch. „Sie würden also nicht alle Männer feuern und stattdessen Frauen einstellen, wenn Sie ein Unternehmen retten wollten, das beispielsweise Autoteile produziert?“

Wie es schien, wollte Jack Hendley partout nicht das Thema wechseln. Ob es an seinem aggressiven Verhalten lag, dass seine Einschaltquoten ständig sanken? Mallory konnte verstehen, dass der Fernsehsender darüber nachdachte, eine Co-Moderatorin zu engagieren: Eine Frau würde seine bornierte Einstellung vielleicht ein wenig dämpfen können.

„Wenn ich entscheiden müsste, wer bleiben kann und wer nicht, würde ich versuchen herauszufinden, welche Mitarbeiter effizient arbeiten und welche nicht. Egal, ob es sich um Frauen oder Männer handelt, das Wohl des Unternehmens muss ihnen am Herzen liegen.“

Nach dieser Antwort lehnte der Moderator sich zurück und sah sie prüfend an. „Wir haben nur noch wenige Minuten Zeit, und ich sehe viele Wortmeldungen. Was möchten Sie Miss Ellis fragen?“, wandte er sich ans Publikum.

„Wie wär’s mit einem Date nach der Sendung?“, rief ein halbes Dutzend Männer.

Dass es keine Fragen zu den Produkten von Lady Windemere Cosmetics geben würde, war Mallory schon eine ganze Weile klar – und es lag nicht zuletzt an Jack Hendleys Verhalten. Aber es war auch kaum zu erwarten gewesen.

„Vielen Dank, mein voller Terminplan lässt das leider nicht zu“, erwiderte sie lächelnd. „Aber Sie waren ein tolles Publikum und können sich gerne Proben von Lady Windemere Cosmetics mitnehmen, die draußen ausliegen.“

Während die Zuschauer nun begeistert klatschten, nahm Mallory ein Geschenk aus ihrer Handtasche. „Das ist für Ihre Frau, Mr Hendley – mit den besten Empfehlungen von Lady Windemere.“

„Vielen Dank.“ Achtlos legte er das Päckchen zur Seite. „Würden Sie unseren Zuschauern noch schnell berichten, was Sie als Nächstes vorhaben?“

„Natürlich. Ich fliege nach Europa, um mir unseren neuesten Laden in Lissabon anzusehen.“

„Also ganz die viel beschäftigte Geschäftsfrau, wie immer. Haben Sie in Yale etwa auch Portugiesisch studiert?“

Seine herablassende Art ging Mallory ziemlich auf die Nerven. „Nein, leider nicht. Aber zum Glück spricht die neue Filialleiterin außer ihrer Muttersprache sehr gut Englisch und Spanisch.“

Die junge Portugiesin Lianor D’Alfonso, die die neue Filiale leiten würde, war eine typisch weibliche Führungskraft des Unternehmens: intelligent, weltgewandt, attraktiv, feminin und ausgesprochen geschäftstüchtig. Während der dreiwöchigen Weiterbildung in Los Angeles für Filialleiterinnen aus verschiedenen europäischen Ländern war die alleinstehende 29-jährige Lianor Mallory besonders sympathisch gewesen.

In ihrer Freizeit hatte Mallory der Portugiesin viele Sehenswürdigkeiten gezeigt. Dabei hatten die beiden Frauen festgestellt, dass sie viele Gemeinsamkeiten teilten. Zu gern hätte Mallory, die ohne Geschwister aufgewachsen war, eine Schwester wie Lianor gehabt.

Seitdem waren fast vier Monate vergangen, und Mallory freute sich sehr darauf, Lianor wiederzusehen, die sie am folgenden Tag in Lissabon vom Flughafen abholen würde.

„Tja, Leute, die Zeit ist um. Es war mir ein großes Vergnügen, Sie in der Show zu haben, Miss Ellis.“

Natürlich bat er sie nicht, noch einmal als Gast bei ihm aufzutreten. Als sie von der Bühne ging, wurde geklatscht und anzüglich gepfiffen. Nur zu gut konnte sie sich die Gedanken des Moderators vorstellen: Du solltest dir lieber einen Mann suchen, der endlich eine richtige Frau aus dir macht, Kleine. Solche Kommentare kannte sie zur Genüge.

Erleichtert, dass sie sich nicht länger verstellen musste, verließ Mallory das Studio und fuhr mit einem Taxi ins Hotel. In den letzten Wochen hatte sie fast ununterbrochen gearbeitet, daher freute sie sich jetzt umso mehr auf die kurze Reise nach Portugal.

Als er hörte, wie gut die neue Filiale von Lady Windemere Cosmetics in der Lissabonner Altstadt lief, schnitt Rafael D’Alfonso eine ärgerliche Grimasse.

Viel lieber hätte er es gesehen, wenn die amerikanische Firma den Laden wieder hätte schließen müssen, in dem seine Schwester als Filialleiterin arbeitete. Dann hätte sie sich nach einer neuen Stelle umsehen müssen – und vielleicht hätte er sie überreden können, ihr Apartment in Lissabon aufzugeben und zurück nach Hause zu kommen.

Doch leider waren diese Hoffnungen durch Lianors begeisterten Bericht zunichtegemacht worden: Im ersten Quartal hatten die Einnahmen sogar die Erwartungen des Mutterunternehmens übertroffen. Außerdem liebte Lianor ihre Arbeit über alles.

Seit dem Tod ihrer Eltern vor zwölf Jahren kümmerte Rafael sich um seine eigenwillige Schwester, die bereits mehrere Heiratsanträge abgelehnt hatte. Wenn sie sich weiterhin nur ihrer Karriere widmen würde, hätte sie irgendwann die Chance auf die wichtigste Rolle ihres Lebens verpasst: die einer Ehefrau.

Schließlich war Lianor schon neunundzwanzig und nur sechs Jahre jünger als er. Langsam wurde die Zeit knapp für sie. Irgendwann in naher Zukunft würde sie es sehr bedauern, keinen Mann und keine Kinder zu haben. Auf keinen Fall wollte er zulassen, dass ihr Leben zerstört wurde.

Zu allem Überfluss hatte er auch noch traurige Nachrichten. Und obwohl er sie selbst noch gar nicht ganz verarbeitet hatte, wollte er sie als willkommenes Mittel für sein Ziel einsetzen. Lianor sollte endlich das Leben beginnen, für das sie bestimmt war – und glücklich werden.

Als Rafael die elegante Parfümerie betrat, begegneten sich ihre Blicke. Lianor beriet gerade eine Kundin. Auch die beiden anderen Mitarbeiterinnen hatten zu tun. Daher beschloss er, in Lianors Büro auf sie zu warten.

Zu seiner Erleichterung kam sie bereits wenige Minuten später zu ihm. Nachdem sie sich umarmt hatten, nahm sie strahlend an ihrem Schreibtisch Platz. Keine Frage: Seiner Schwester schien es sehr gut zu gehen.

„Setz dich doch, Rafael, anstatt wie ein eingesperrter Tiger im Käfig hin und her zu laufen. Warum machst du so ein ernstes Gesicht?“

Doch er blieb stehen. „Es ist nicht leicht für mich, dir das zu erzählen. Wie du ja weißt, leidet Maria seit einiger Zeit unter starken Magenschmerzen. Und jetzt ist sie endlich zum Arzt gegangen. Sie hat Krebs – im Endstadium. Der Arzt sagte, sie würde nicht mehr aus dem Krankenhaus entlassen werden.“

„Oh nein!“, rief Lianor. Mit Tränen in den Augen umarmte sie ihren Bruder. „Die Arme! Weiß Apolónia es schon?“

„Nein.“ Rafaels 10-jährige Tochter spielte zu Hause mit ihrer Freundin, während seine Haushälterin Inês ersatzweise für Maria auf die beiden aufpasste. „Es wird sicher ein furchtbarer Schock für sie.“

„Ich kann es nicht fassen. Maria ist doch erst zweiundsechzig! Ich habe immer geglaubt, sie würde bei uns bleiben, bis Apolónia erwachsen ist. Wie furchtbar!“

Auch Rafael fand es furchtbar. Denn seit seine Frau Isabel wenige Wochen nach Apolónias Geburt an Lungenentzündung gestorben war, hatte Maria sich um die Kleine gekümmert. Inzwischen war Maria längst wie eine Großmutter für seine Tochter. Außerdem kannte Rafael Maria schon aus der Zeit, als sie noch für Isabels Eltern als Dienstmädchen gearbeitet hatte.

In letzter Zeit wirkte Apolónia still und bedrückt, was überhaupt nicht ihrem Temperament entsprach. Sicher machte sie sich Sorgen um Maria. Schließlich war sie die einzige mütterliche Figur im Leben seiner Tochter. Dass Maria im Sterben lag, würde Apolónia nur schwer ertragen können – aber vielleicht könnte Lianor die Rolle der älteren Frau übernehmen und sich um ihre Nichte kümmern, das würde seiner Tochter sicherlich sehr helfen.

„Ich wollte es dir persönlich sagen. Deswegen bin ich hergekommen. Bitte komm mit nach Hause, damit wir es Apolónia gemeinsam erzählen können.“

Zögernd löste sich Lianor aus seiner Umarmung und trocknete sich die Tränen. „Es tut mir leid, aber das geht nicht, Rafael.“

„Und warum nicht?“, fragte Rafael erstaunt.

„Die stellvertretende Geschäftsführerin kommt heute aus New York nach Lissabon. In zwei Stunden muss ich sie vom Flughafen abholen.“

„Du meinst die berüchtigte Lady Windemere?“

Gekränkt sah seine Schwester ihn an. „Wie schade, dass du sie so negativ siehst, nur weil sie von Wall-Street-Experten hochgelobt wird.“

„Was sollte ich denn sonst von einer knallharten Geschäftsfrau denken?“

„Du täuschst dich. Sie ist weder die Besitzerin des Unternehmens, noch heißt sie Lady Windemere. Nur zu deiner Information, sie hat sich den neuen Namen ausgedacht, um das Image des Unternehmens aufzufrischen und romantischer zu machen. Dass die Umsatzzahlen ständig steigen, beweist doch nur ihren ausgezeichneten Geschäftssinn“, fuhr Lianor fort. „Und sie heißt Mallory Ellis. Bitte sprich nicht so herablassend über sie.“

Mallory. Schon der Name klang in seinen Ohren sehr maskulin. An Lianors neuem Idol schien es nichts Sanftes, Weibliches zu geben. Die Vorstellung, dass seine Schwester noch mehr Zeit mit dieser abgebrühten Karrierefrau verbrachte, die mit Sicherheit so wunderbare Dinge wie Ehe und Familiengründung ablehnte, war ihm ein Gräuel.

„Wie lange wird sie bleiben?“, fragte er.

„Von heute Abend an knappe drei Tage.“

Als Rafael leise fluchte, legte Lianor ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm. „Warte doch einfach noch ein paar Tage, bevor du mit Apolónia sprichst. Ich werde zu euch nach Hause kommen, sobald Mallory in die Staaten zurückgeflogen ist, das verspreche ich dir.“

„Mir bleibt ja wohl nichts anderes übrig. Wo wird diese amerikanische Bilderbuch-Geschäftsfrau denn unterkommen?“

„In meinem Apartment in Lissabon.“

„Nein, Lianor!“

„Meine Güte, wir sind Freundinnen, Rafael. Als ich in Kalifornien war, hat Mallory sich große Mühe gegeben, und die Zeit dort war die schönste meines Lebens. Wir haben sogar ihre Eltern besucht, die ebenfalls unheimlich gastfreundlich waren.“

Von alldem hatte Rafael keine Ahnung gehabt.

„Daher werde ich ganz sicher nicht zulassen, dass Mallory in einem unpersönlichen Hotelzimmer übernachtet. Außerdem bewirtest du deine Freunde und Geschäftspartner doch auch bei dir zu Hause.“

„Aber ich lebe ja auch in der Pousada unserer Familie, die sich für so etwas anbietet.“

Bei dieser Antwort sah seine Schwester ihm offen in die Augen. „Dorthin hätte ich sie am liebsten auch mitgenommen. Aber da ich weiß, wie du über meine Arbeit denkst, hielt ich das für keine gute Idee.“

„Es ist doch auch dein Zuhause“, erwiderte Rafael mit Nachdruck. Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „Bring sie heute Abend mit.“ Sicher war es nicht verkehrt, die gefährliche Fremde kennenzulernen, mit der sich seine Schwester so schnell angefreundet hatte. „Ich werde ein Zimmer für sie vorbereiten lassen.“

„Sie ist mir wirklich sehr wichtig, Rafael. Würdest du ihr die Alfama-Suite geben?“

Im ersten Moment wollte er Lianor daran erinnern, dass die vornehmste Suite im Palácio normalerweise Staatsoberhäuptern und Angehörigen von Königshäusern vorbehalten war. Doch dann sagte er: „Gut, ausnahmsweise, ich werde dir diesen Gefallen tun – wenn du mir versprichst, später ebenfalls etwas für mich zu tun.“

„Natürlich.“

Wie gut, dass Lianor nicht ahnte, worauf sie sich gerade eingelassen hatte. „Dann werde ich Vaz Bescheid sagen, damit er die Suite vorbereitet.“

„Vielen Dank“, flüsterte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich weiß, dass du dir Sorgen um Apolónia machst. Ich werde in den nächsten Tagen darüber nachdenken, wer Marias Platz einnehmen könnte.“

„Ich weiß schon jemanden, der sich perfekt eignen würde“, erwiderte Rafael. „Aber darüber sprechen wir am besten, wenn du mir deine ungeteilte Aufmerksamkeit widmen kannst.“

Nach einer letzten Umarmung verließ er das Büro deutlich besser gelaunt als bei seiner Ankunft. Apolónia und seine Schwester hingen sehr aneinander, und wenn er Lianor bat, Marias Rolle zu übernehmen, würde sie ihm seine Bitte hoffentlich nicht abschlagen können.

Außerdem würde sie so endlich in den Kreis ihrer gemeinsamen Freunde zurückkehren, unter denen auch viele unverheiratete Männer waren. Frohen Mutes beschloss Rafael, Maria im Krankenhaus zu besuchen und ihr zu erzählen, dass seine Schwester sich um Apolónia kümmern würde. Diese guten Neuigkeiten würden Maria ein wenig beruhigen. Wenn Lianor sie dann besuchte, würde Apolónias Ersatzgroßmutter seiner Schwester danken, dass sie ihre Pflicht als Tante ernst nahm. Und Lianor würde es nicht übers Herz bringen, mit einer sterbenden Frau zu streiten.

Auch wenn sie es noch nicht wusste, brauchte Lianor Apolónia ebenso sehr wie umgekehrt, davon war Rafael überzeugt.

Während der Fahrt vom Flughafen dachte Mallory, dass sie noch nie etwas so Romantisches gesehen hatte wie Lissabon im sanften Licht des Abends. Am Tejo gelegen, erstreckte sich die Stadt über sieben Hügel und bot einen wunderschönen Anblick. Verzaubert machte Mallory gegenüber Lianor eine Bemerkung zu der hinreißenden Umgebung, während ihre Freundin den silberfarbenen Jaguar sicher und erfahren über die Landstraßen lenkte.

Lächelnd erwiderte die Portugiesin: „Wenn du es hier schon schön findest, dann warte erst einmal ab, bis du den Palácio meiner Familie an der Atlantikküste siehst. Denn dort wirst du während deines Aufenthalts hier übernachten. Er liegt nur eine halbe Stunde von Lissabon entfernt an der Küste von Estoril und hat einen eigenen Strand.“

„Das klingt ja paradiesisch! Ich bin ganz überwältigt von all den neuen Eindrücken.“

„Genauso habe ich mich gefühlt, als ich auf der Fortbildung in Los Angeles war. Nachdem du mich zum Flughafen gebracht hast, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, noch ein paar Tage in San Francisco zu verbringen. Ich bin dort etwa um dieselbe Tageszeit gelandet wie du hier. Und ich hatte fast das Gefühl, schon wieder in Lissabon zu sein. In gewisser Hinsicht sind die beiden Städte sich sehr ähnlich.“

„Das stimmt“, bestätigte Mallory. „Aber Lissabon hat die ältere Geschichte. Und das scheint auch für das Geschäft gut zu sein, denn wenn man sich die Einnahmen des ersten Quartals ansieht, war es richtig, den Laden im mittelalterlichen Teil der Stadt zu eröffnen. Wir haben darüber lange mit der Marketing-Abteilung diskutiert. Es ist schön, dass die Firma das Risiko eingegangen ist – und noch mehr freue ich mich, dass du eingestellt wurdest.“

„Darüber bin ich auch sehr froh.“

Nicht nur Mallory fand Lianor immer sympathischer, sondern auch die übrigen Mitarbeiter von Lady Windemere. Einige Angestellte fanden, dass die zwei großen Frauen durchaus Schwestern sein könnten. Beide hatten langes, dunkles Haar und eine sehr weibliche Figur. Doch Lianor hatte braune Augen und einen olivfarbenen Teint, während Mallory die helle Haut ihrer Mutter geerbt hatte.

„Es ist ein Segen, wenn man seine Arbeit liebt, Lianor. Nicht jeder kann das von sich behaupten. Ohne die richtige Leiterin wäre die Filiale bei Weitem nicht so erfolgreich – und schon gar nicht nach so kurzer Zeit. Liz hat beschlossen, dir mit dem nächsten Gehalt einen Bonus zu überweisen, weil du so hart gearbeitet hast.“

„Danke“, flüsterte Lianor strahlend. „Als mein Bruder erfahren hat, dass ich eine Luxus-Parfümerie in der Altstadt leiten würde, hat er mich gewarnt, weil er die Lage für einen sehr ungünstigen Standort hielt. Doch Touristen wie Einheimische strömen in Scharen herbei, allen Befürchtungen zum Trotz.“

„Nach allem, was du mir erzählt hast, ist dein Bruder einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner von ganz Portugal. Aber als Mann versteht er vermutlich nicht, wie sehr Kosmetik Frauen fasziniert und wie gern sie neue Produkte ausprobieren“, entgegnete Mallory verständnisvoll.

Woraufhin ihre Freundin nickte. „Rafaels Frau Isabel, die leider vor zehn Jahren gestorben ist, war tatsächlich von Natur aus wunderschön. In seiner Gegenwart benutzte sie fast nie Make-up oder Lippenstift, weil er das nicht mochte. Denn Rafael ist der Meinung, den meisten Männern wäre es am liebsten, wenn Frauen sich so gut wie gar nicht zurechtmachten. Daher kann er auch nicht glauben, dass Kosmetik für Frauen eine so wichtige Rolle spielt.“

„Vielleicht interessiert ihn dann die Untersuchung unseres Marketingbereichs, in deren Rahmen Männer in ganz Europa befragt wurden. Besonders die Ergebnisse aus Portugal dürften aufschlussreich für ihn sein.“

„Erzähl weiter!“ Lianor klang so aufgeregt, als würden sie gemeinsam eine Verschwörung planen.

Ihre Begeisterung steckte Mallory an. „Nur 21 Prozent der portugiesischen Männer ziehen es vor, wenn Frauen keinen Lippenstift tragen.“

„Wusste ich’s doch!“, rief ihre Freundin triumphierend.

„Die restlichen 79 Prozent teilen sich folgendermaßen auf: 29 Prozent mögen am liebsten Lippenstift in Pink. 17 Prozent finden Lipgloss toll. 16 Prozent mögen Zartrosa und dezente Farbtöne. 10 Prozent bevorzugen Rot und 7 Beige- und Brauntöne.“

Nun musste Lianor lachen. „Herrlich! Denn Marketing ist Rafaels besondere Stärke. ‚Statistiken lügen nicht‘, sagt er immer.“

„Das stimmt.“

„Ich kann es kaum erwarten, ihm von den Ergebnissen zu erzählen. Aber vermutlich wird ihn das nur noch mehr aufregen.“

„Warum sollte es? Er freut sich doch bestimmt über deinen Erfolg, oder?“

„Nein, Rafael ist nicht sonderlich begeistert von meiner neuen Stelle.“

Überrascht sah Mallory sie an. „Und wieso stört es deinen Bruder, dass du eine verantwortungsvolle Stelle hast?“

„Das Problem liegt woanders. Einfach ausgedrückt möchte er, dass ich heirate und eine Familie gründe. Um das zu verstehen, müsstest du Portugiesin sein und einen älteren Bruder haben. So sind die Männer hier einfach. Rafael hat einen starken Beschützerinstinkt und …“

„Ich verstehe“, fiel Mallory ihr ins Wort. „Solche Männer gibt es in Amerika leider auch.“ Sie erzählte Lianor von der Talkshow am vergangenen Abend.

„Ja, das Verhalten des Talkmasters erinnert mich stark an Rafael. Er hat Angst, ich würde keinem potenziellen Ehemann begegnen, solange ich eine Parfümerie leite – mit ausschließlich weiblicher Kundschaft! Aber ich könnte genauso gut jeden Abend ausgehen und trotzdem niemandem begegnen, der mich wirklich interessiert.“

„Ganz meine Meinung.“ Mallory lächelte verständnisvoll. „Offenbar hängt dein Bruder sehr an dir.“

„Das tut er tatsächlich, und es beruht auf Gegenseitigkeit.“

Daran konnte Mallory sich erinnern. Worüber sie in Los Angeles auch gesprochen hatten, in jedem Gespräch war früher oder später Rafaels Name gefallen.

Nun sah Lianor sie neugierig an. „Dein Vater war so nett und entspannt. Macht er sich manchmal auch Sorgen, weil du noch nicht verheiratet bist?“

„Vielleicht“, erwiderte sie wahrheitsgemäß. „Aber weder er noch Mom haben das Thema je angesprochen. Vielleicht, weil sie selbst auch erst mit Anfang dreißig geheiratet haben.“

„Meine Mutter hat meinen Vater schon mit neunzehn Jahren geheiratet. Und Rafael hat Isabel einen Antrag gemacht, als sie zwanzig war.“

Schon wieder Rafael. „Was glaubst du, warum hat er nicht ein zweites Mal geheiratet?“

Statt zu antworten, seufzte Lianor abgrundtief. „Jedenfalls nicht wegen mangelnder Nachfrage! Manchmal erschreckt es mich richtig, wie weit Frauen gehen, um die Aufmerksamkeit meines Bruders zu erregen. Ich glaube, er hat Isabel so sehr geliebt, dass ihr Tod ihn fast umgebracht hat. Seitdem widmet er sich mit ganzem Herzen seiner Tochter Apolónia – und seiner Arbeit.“

„Vielleicht solltest du eine Frau für ihn finden. Wenn Rafael wieder verheiratet ist, macht er sich vermutlich weniger Gedanken über dein Singledasein.“

„Darauf würde ich mich nicht verlassen“, entgegnete Lianor. „Aber du hast mir eine Idee für die Lösung eines anderen Problems gegeben. Es beschäftigt mich, seit Rafael mir heute im Laden eine sehr schlechte Nachricht überbracht hat.“

Am Tonfall erkannte Mallory, dass es sich um etwas Ernstes handelte. „Möchtest du mir davon erzählen?“, fragte sie ruhig.

Autor

Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

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