Blitzhochzeit mit dem feurigen Tycoon

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

"Willst du meine Frau werden?" Drakons Antrag macht Lucy fassungslos. Während das Mittelmeer im silbrigen Mondschein glitzerte, hat er sie damals voller Leidenschaft geliebt. Auch wenn Lucy wusste, dass es nur eine Urlaubsaffäre sein würde, hat sie ihr Herz an ihn verloren und später bittere Tränen um ihn geweint. Für immer sollte das ihr Geheimnis bleiben. Aber jetzt steht der attraktive Grieche plötzlich wieder vor ihr - und spricht von Hochzeit! Es tut so weh, als er kühl hinzufügt, dass er dabei nicht an Liebe denkt …


  • Erscheinungstag 20.10.2020
  • Bandnummer 2463
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714475
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Drakon blickte sich um. Eine Welle von Entsetzen stieg in ihm hoch, in die sich augenblicklich Reue und Schuldgefühle mischten. Hätte er nicht viel früher versuchen müssen, diese furchtbare Tragödie mit aller Kraft zu verhindern? Die Ursachen lagen viele, viele Jahre zurück, und das Schicksal hatte gnadenlos seinen Lauf genommen. Drakon war ein Mann mit einem starken Gefühl für Verantwortung. Er hatte immer versucht, sich um alles und jeden zu kümmern. Doch manchmal entglitt einem die Kontrolle, und man konnte nichts mehr tun.

Manchen Dingen gegenüber war man einfach machtlos.

Sein Bruder war tot, und ebenso die Frau, die sein Bruder geheiratet hatte. Fassungslos ließ er den Blick durch den Raum schweifen, in dem er stand, über die schäbigen Zeugnisse ihres erbärmlichen Lebensstils. Er schluckte schwer.

Doch das Leben ging weiter. Es musste weitergehen.

Wie um diese Feststellung zu untermauern, ertönte aus dem Nachbarraum ein für ihn ungewohntes Weinen. Kurz darauf hörte er Schritte, die näher kamen.

„Drakon?“

Er blickte auf und betrachtete seine Geschäftspartnerin, die zu ihm herüberkam. Sie bewegte sich sehr vorsichtig und fühlte sich sichtlich unwohl mit der wertvollen Last, die sie im Arm hielt. Sie wirkte, als wüsste sie nicht, was sie damit anfangen sollte.

Da sind wir schon zu zweit, dachte Drakon.

„Bist du bereit?“, fragte sie.

Drakon hätte am liebsten den Kopf geschüttelt und ihr erklärt, dass er ganz und gar nicht bereit war für die Aufgabe, die sich ihm jetzt stellte. Mit dieser Wendung des Schicksals hatte er nicht gerechnet. Es trug ihm eine Verpflichtung entgegen, die ihn eiskalt erwischte.

Doch er würde einen Weg finden, um auch dieser Verantwortung gerecht zu werden. Das tat er immer. Er würde sich eine Lösung überlegen und alles zum Guten wenden. Er würde es schaffen – auch wenn er noch nicht genau wusste, wie.

Eines war ihm jetzt schon klar: Er brauchte eine Ehefrau, und zwar schnell. Das war ein Problem. Denn unter all den Frauen, die ihn mit Freuden sofort heiraten würden, kam nicht eine für die anstehende Aufgabe infrage.

Drakon grübelte über sein Dilemma nach, und plötzlich stieg eine Erinnerung in ihm auf. Die Erinnerung an ein Gesicht mit sanften Augen, so blau wie die Glockenblumen, die immer im Frühling in England unter den mächtigen alten Laubbäumen geblüht hatten. Damals, als er noch gedacht hatte, die Welt sei in Ordnung, und als er noch nichts von der ausgeprägten Vorliebe seines Vaters für Prostituierte geahnt hatte.

Er zwang seine Gedanken wieder zurück in die Gegenwart und erlaubte sich zum ersten Mal seit Monaten, an Lucy Phillips, die Frau mit den blauen Augen, zu denken. Ihr Gesicht war nicht unbedingt schön zu nennen, aber es spiegelten sich Wärme und Freundlichkeit darin, das verlieh ihren Zügen eine große Anziehungskraft. Kurz flackerte Begehren in ihm auf, doch schnell schob er den Gedanken beiseite und richtete seine Aufmerksamkeit auf die vor ihm liegende Aufgabe.

Vielleicht war das Schicksal cleverer, als er gedacht hatte.

Vielleicht war Lucy Philips die Antwort auf seine Probleme.

Zuversicht erfüllte ihn.

„Ja, ich bin bereit“, sagte er mit unüberhörbar griechischem Akzent zu seiner Geschäftspartnerin, und seine feste Stimme hallte in der leeren marmornen Villa wider.

1. KAPITEL

Zuerst erkannte sie ihn nicht.

Das war erstaunlich, fand sie, als sie später darüber nachdachte. Sie hatte mehrere Monate lang erfolglos versucht, Drakon Konstantinou aus ihren Gedanken zu verbannen.

So, wie man während einer Diät versucht, nicht ständig an Sahnetorte oder Schokolade zu denken, hatte sie sich bemüht, die Erinnerungen an ihn und ihre gemeinsame Zeit zu vergessen. Schließlich war es absolut idiotisch, sich immer wieder an den Mann zu erinnern, der sie erst in die Geheimnisse der Leidenschaft eingeweiht hatte und dann plötzlich spurlos verschwunden war.

Sie schämte sich im Nachhinein, dass sie so naiv gewesen war, sich mädchenhaften Fantasien von brennender Liebe und einer gemeinsamen Zukunft hinzugeben.

Lucys Herz hämmerte wie verrückt in ihrer Brust, als sie an der Eingangstür ihres winzigen Cottages über die Sicherheitskette hinweg die dunkle Gestalt betrachtete, die sich scharf gegen den orange gefärbten Winterabendhimmel abhob.

Er war es, daran bestand kein Zweifel.

Aber er wirkte verändert. Nicht mehr der fröhliche, sorglose Mann, der sie im Sommer auf der malerischen griechischen Insel Prasinisos verführt hatte.

Drakon sah erschöpft und ein wenig abgerissen aus. Eher wie ein Rockstar, der die ganze Nacht durchgefeiert hatte, denn wie ein milliardenschwerer Ölmagnat und Reeder, dem die Welt zu Füßen lag. Er wirkte so, als laste das Gewicht der ganzen Welt auf seinen breiten Schultern. Ein Dreitagebart lag wie ein dunkler Schatten über seinen kantigen Gesichtszügen, und seine Haare waren jetzt länger, sodass die dunklen Locken den Kragen seines dicken Wintermantels berührten.

Eine Flut unerwünschter Gefühle brach über Lucy herein, und ihre Haut begann zu prickeln.

Sei nicht so empfindlich, ermahnte sie sich. Ihre ehemaligen Kollegen im Krankenhaus hatten ihr das schließlich auch immer gesagt. Doch Verletzlichkeit kann man nicht einfach nach Belieben an- und ausschalten.

Die Erinnerung an ihre kurze gemeinsame Zeit drängte sich in ihr Bewusstsein und weckte viele gemischte Gefühle in Lucy. Er hatte sich nie wieder gemeldet, und sie hatte versucht, sich einzureden, dass es am besten wäre, ihn niemals wiederzusehen.

Stattdessen hatte sie sich verzweifelt bemüht, die drei wundervollen Tage und Nächte in Drakons Armen zu vergessen. Doch in dieser kurzen Zeit hatte er sie vermutlich schon für immer für alle anderen Männer ruiniert. Nachdem sie einen kurzen Blick auf sein aufregendes Leben hatte werfen dürfen, war ihr ihr eigener Alltag sehr langweilig und ereignislos erschienen.

Und jetzt stand er plötzlich vor ihrer Haustür.

Es fiel Lucy schwer, sich seinem charismatischen, düsteren Bann zu entziehen.

Sie konnte ihm schlecht die Tür vor der Nase zuwerfen und behaupten, beschäftigt zu sein – ihre alte Jeans und das gemütliche Sweatshirt straften diese Behauptung Lügen, und sie wollte ihn auch auf keinen Fall merken lassen, wie verletzlich sie sich fühlte.

Okay, er hatte ihr die Jungfräulichkeit genommen … nein, korrigierte Lucy sich, sie hatte sie ihm geschenkt – mit einer Bereitwilligkeit, die sie selbst überrascht hatte. Und Drakon auch. Zumindest hatte er sehr überrascht ausgesehen, als sie sich zum ersten Mal geliebt hatten. Damals, auf seiner Insel, während die weißen Wellen des Mittelmeers im silbrigen Mondschein glitzerten.

Nur weil sie ein paar Tage voller Leidenschaft miteinander verbracht hatten, die am Ende zu Lucys Enttäuschung verpufft waren wie ein abgebranntes Feuerwerk, waren sie noch lange keine Feinde. Sie war nicht so naiv, zu glauben, dass der tolle Sex, den sie gehabt hatten, auch automatisch zu einer Beziehung führen würde.

Sie kamen schließlich aus völlig verschiedenen Welten.

Und dennoch …

Lucy räusperte sich und versuchte, die aufkeimende Hoffnung zu unterdrücken. Sie wusste, wie unvernünftig sie war. Erst flog man hoch hinauf, und hinterher stürzte man umso tiefer hinab. Das hatte sie mit ihren achtundzwanzig Jahren schon zu oft erlebt, sie hatte genug davon und von den damit verbundenen Schmerzen.

Sie zwang sich zu einem fröhlichen Lächeln. Als sie sprach, bildete ihr Atem kleine weiße Wölkchen in der kalten Winterluft. „Drakon, das ist aber eine Überraschung.“

Er zuckte gelassen mit seinen starken Schultern und sagte: „Ich hätte vielleicht vorher anrufen sollen.“ Es klang nicht so, als wäre es ihm wirklich unangenehm. Eher so, als müsste jede Frau eigentlich dankbar sein, wenn der begehrte griechische Milliardär sich überhaupt mit ihr abgab und ihr einen unerwarteten Besuch abstattete.

Lucy versuchte, kühl und überlegen zu klingen. „Ja, das wäre besser gewesen. Du hast Glück, dass ich gerade zu Hause bin.“

Drakon zog fragend seine dunklen Augenbrauen hoch. „Oh?“

Ohne darüber nachzudenken, erklärte Lucy: „Momentan ist in der Catering-Branche viel zu tun. Vor Weihnachten ist die geschäftigste Zeit des Jahres, und viele Firmen veranstalten Weihnachtsfeiern. Ich arbeite bei Caro’s Canapés, falls du dich erinnerst.“ Im gleichen Moment ärgerte sie sich über sich selbst, weil sie sich quasi vor ihm rechtfertigte. Er hatte schließlich nach ihrem gemeinsamen Wochenende nicht einmal angerufen und gefragt, wie es ihr ging.

„Ach ja, Weihnachten …“, erwiderte Drakon angespannt.

Er wusste, dass er seine Worte sorgfältig wählen musste, wenn er Lucy gleich sein Angebot unterbreitete. Das war er nicht gewohnt. Normalerweise hingen die Leute an seinen Lippen und nickten zu allem, was er von sich gab. Manchmal nervte es ihn sogar, dass sich niemand traute, ihm zu widersprechen.

Aber Lucy war anders.

Deshalb war er heute hier.

Es gab unzählige Frauen, die sein Angebot mit Begeisterung angenommen hätten, aber nur Lucy würde wirklich verstehen, worum es ging, und sie würde als einzige die Bedingungen akzeptieren.

Doch zuerst einmal musste er es schaffen, dass sie ihn in ihr Cottage ließ. Sie schien es wie eine winzige Festung zu verteidigen – die Tür war noch immer mit der Sicherheitskette verriegelt, und Drakon fragte sich unruhig, warum Lucy sie noch nicht geöffnet hatte.

„Darf ich hereinkommen?“, fragte er.

Es entstand eine Pause. Nicht so lang, dass es unhöflich gewesen wäre, aber dennoch zögerte Lucy, wie Drakon überrascht feststellte.

„Ja … warum nicht …“, antwortete sie schließlich schulterzuckend. Drakon beobachtete, wie sie die Kette öffnete und zur Seite trat, als sie ihm die Tür aufmachte. Er merkte, dass sie absichtlich Abstand zu ihm wahrte, aber er konnte ihr keinen Vorwurf daraus machen. Er hatte sich nach ihrem erotischen Intermezzo ziemlich mies benommen und nichts mehr von sich hören lassen.

Insgeheim hatte er sogar bereut, dass es überhaupt so weit gekommen war. Es war ihm im Nachhinein schleierhaft, weshalb er sich zu diesem Abenteuer mit Lucy hatte hinreißen lassen, das war absolut untypisch für ihn. Normalerweise wählte er seine Geliebten sehr sorgfältig und nach strengen Kriterien aus – genauso wie seine Autos –, und auf Lucy Philips wäre seine Wahl normalerweise nicht gefallen.

Er hatte keine falschen Hoffnungen wecken wollen, deshalb hatte er sie weder gefragt, ob sie sich wiedersehen würden, noch bei ihr angerufen. Ein herzloser, berechnender Geschäftsmann wie er passte nicht zu einer grundanständigen und etwas weltfremden Frau wie ihr.

Sie kannten sich schon aus Schulzeiten, aber bis heute war er sich nicht ganz sicher, warum er sie spontan auf seine griechische Privatinsel eingeladen hatte, um dort Urlaub zu machen.

War es ihr Blick aus den strahlend blauen Augen gewesen, oder die Art, wie sie sanft errötete, auch jetzt, bei ihrem Wiedersehen nach so vielen Monaten? Sie war ein bodenständiger Mensch, das erkannte man schon an ihrer klassischen, strengen Frisur und daran, wie sie sein Angebot, sie nach Hause zu bringen, höflich abgelehnt hatte, weil es für ihn einen Umweg bedeutet hätte. Er hatte das äußerst charmant gefunden und sie trotzdem nach Hause gebracht.

Vermutlich hatte er sie nur aus Mitleid auf seine Insel eingeladen, überlegte er. Sie besaß wenig Geld, arbeitete hart für ihr Auskommen und hatte gerade eine sehr schwere Zeit hinter sich.

Drakon war eigentlich kein Frauenheld und spielte keine Spielchen. Das lag in seiner Vergangenheit begründet, nicht an mangelnden Angeboten. Die meisten Frauen fanden ihn wahnsinnig attraktiv – was sicherlich auch daran lag, dass er so unnahbar wirkte.

Er war weiblichen Reizen gegenüber nicht gleichgültig – aber er suchte sich seine Partnerinnen sehr bedacht aus. Er mochte kluge, ehrgeizige Frauen, die Spaß im Bett hatten und denen genauso viel wie ihm an ihrer Karriere lag. Frauen, für die Sex eine angenehme sportliche Betätigung war und die nicht davon träumten, irgendwann zu heiraten und eine Familie zu gründen.

Keine Frauen wie Lucy Philips – liebevoll und sanft und tiefgründig.

Dennoch hatte er sich auf ein Abenteuer mit ihr eingelassen und sie verführt.

Er musterte sie, während sie die Haustür hinter ihm schloss und den eisigen Spätnachmittag sorgsam aussperrte. Ihr dunkelbraunes Haar fiel seidig glänzend über ihre Schultern, ihr Teint war makellos. Sie war keine klassische Schönheit, doch sie hatte eine Art, ihn mit verschleiertem Blick aus ihren schönen blauen Augen anzusehen, die ihn völlig durcheinanderbrachte. Außerdem hatte sie eine tolle Figur, kurvig und doch sportlich – auch wenn die Jeans, die sie gerade trug, ihrem süßen Hintern keinen Gefallen taten. Auch ihr rotes, mit einem gestickten Delphin verziertes Sweatshirt war nicht sehr vorteilhaft und versteckte ihre wohlgeformten Brüste, statt sie zu betonen.

Plötzlich sah Drakon vor seinem geistigen Auge die rosafarbenen Brustspitzen, die sich ihm keck entgegengereckt hatten und die nach einer Spur von Kokosnuss-Sonnenöl geschmeckt hatten. Das Blut schoss ihm in die Lenden, doch dann erinnerte er sich daran, weshalb er heute hier war, und er schämte sich etwas.

Wie konnte er in so einer Situation nur an Sex denken?

Er schüttelte den Kopf, um die Gedanken an Lucys reizvollen Körper abzuschütteln. Konzentrier dich, ermahnt er sich. Er musste im Blick behalten, weshalb er heute hierhergekommen war. Den einzigen wichtigen Grund, den es für diesen Besuch gab.

Er sah sich neugierig um. Das Häuschen, dass Lucy von ihrer Mutter geerbt hatte, war klein und offensichtlich lange nicht mehr renoviert worden. Vermutlich fehlten ihr die nötigen finanziellen Mittel dafür.

Das spielte ihm direkt in die Hände, erkannte Drakon. Doch bevor er ihr seinen Vorschlag unterbreiten konnte, musste er erst dafür sorgen, dass sie sich entspannte. Das würde allerdings nicht leicht werden, denn Lucy sah extrem angespannt aus. So, als hätte sie gerade eine Schlange entdeckt, die vom nahen Fluss her in ihr Cottage gekrochen war.

Drakon stieg vorsichtig über die Schuhe, die ordentlich neben der Eingangstür aufgereiht standen, und betrat das Wohnzimmer. Schweigend nahm er die Szenerie in sich auf. Im Kamin brannte ein Feuer, und es roch nach Apfelbaumholz. In einer Vase standen Stechpalmenzweige, und das Rot der Beeren passte zu den farbenfrohen Kissen, die auf dem Sofa verteilt lagen.

Alles war ordentlich und sauber, und der ganze Raum wirkte wie eine einzige große, polierte Antiquität.

An der Wand hingen zwei Fotografien von Männern in Uniform. Drakon wurde es eng in der Kehle bei diesem Anblick, doch er zwang sich, nicht abzuschweifen.

„Du hast ein schönes Haus“, sagte er in dem Versuch, ein unverfängliches Gespräch anzufangen – etwas, was er nur sehr selten tat.

Lucys Augen verengten sich misstrauisch. Sie schien ihm kein Wort zu glauben. Vielleicht dachte sie, er würde sich insgeheim über sie lustig machen und ihr winziges Häuschen mit seinen zahlreichen Luxusimmobilien vergleichen.

Doch er meinte es ernst. Er war vorher noch nie in diesem Haus gewesen, doch er war unzählige Male daran vorbeigegangen, als er noch Schüler auf dem renommierten Internat gewesen war, in dem Lucys Mutter als Hausmutter gearbeitet hatte. Dieses kleine Häuschen war für die vielen Jungen, die so weit von zu Hause entfernt waren, immer ein Symbol für Heimat und Familienglück gewesen, und sie alle hatten sehnsüchtig durch die Fenster geschaut, wenn sie vorbeigingen. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit hatte ein Kranz an der Tür gehangen und Lichter in den Fenstern geleuchtet, und Drakon erinnerte sich noch an das fröhliche Lachen, das in den warmen Sommermonaten aus dem Cottage auf die Straße gedrungen war.

Dieses Jahr hing kein Adventskranz an der Tür.

„Für mich ist es vollkommen ausreichend“, erwiderte Lucy steif.

Sie klang ziemlich abweisend, stellte Drakon fest.

Er ließ seinen Blick schnell über ihre linke Hand wandern, bevor er weitersprach: „Wohnst du allein hier?“ Sie trug keinen Ring. Es war zwar sehr unwahrscheinlich, dass sich ihr Familienstand seit dem Sommer geändert hatte, aber man konnte nie wissen.

Sie runzelte die Stirn. „Ja.“

„Also … gibt es momentan auch keinen Mann in deinem Leben?“

Lucy wurde rot und funkelte ihn an. „Das ist eine ziemlich taktlose Frage, würde ich sagen.“

„Gibt es einen oder nicht?“, bohrte Drakon ungerührt nach.

Sie errötete noch tiefer und schwieg einen Moment lang. Dann holte sie Luft. „Nein, es gibt keinen – auch wenn dich das überhaupt nichts angeht.“ Sie musterte ihn argwöhnisch. „Was willst du, Drakon? Du tauchst hier völlig unangemeldet auf, nachdem ich seit Monaten nichts mehr von dir gehört habe, und fragst mich über mein Privatleben aus. Verzeih, wenn ich das seltsam finde. Bist du zufällig hier vorbeigekommen?“

Drakon schüttelte den Kopf.

Er hatte vorgehabt, die Sache langsam anzugehen und nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Es sollte so aussehen, als hätte er alles unter Kontrolle und sein Leben fest im Griff. Doch stattdessen platzten die Worte jetzt einfach aus ihm heraus und schmeckten dabei wie bittere Galle.

„Nein, das hier ist kein zufälliger Besuch. Ich wollte zu dir. Es geht um Niko. Er ist tot.“

Lucy blinzelte verwirrt.

Niko war Drakons Zwillingsbruder, eine wildere Version von Drakon sozusagen. Niko war schon immer der Unvorhersehbarere von den beiden gewesen. Der Zwilling, der stets für Schlagzeilen sorgte und drei Mal beinahe von der Schule geflogen wäre. Niko war stets voller Lebensfreude und Energie gewesen, erinnerte sich Lucy.

„Wie meinst du das?“, fragte sie unsicher und biss sich direkt danach auf die Zunge. Was für eine taktlose, naive Frage. Gerade sie sollte es doch besser wissen – schließlich hatte sie selbst genug Erfahrungen mit Trauer und Verlust in ihrem Leben gehabt.

Schmerz spiegelte sich auf seinem Gesicht wider, und instinktiv wusste Lucy, dass er die Wahrheit sagte.

„Er starb vor einem Monat an einer Überdosis Drogen“, antwortete Drakon knapp.

Lucy keuchte auf und hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund. Ihr Herz hämmerte. Wusste sie nicht besser als beinahe jeder andere, wie schnell ein junges Leben ausgelöscht werden konnte – niedergemäht wie ein Grashalm von einer scharfen Klinge?

Weshalb sollte Drakon Konstantinou gegen Schmerz und Verlust immun sein? Nur weil er einer der reichsten Männer der Welt war, in seinem Privatjet um die Welt flog und Millionendeals aushandelte, die sein Vermögen immer weiter vergrößerten?

Am liebsten wäre Lucy zu ihm gegangen und hätte ihn in die Arme genommen, um ihn zu trösten, so wie sie es im Krankenhaus mit vielen trauernden Angehörigen getan hatte.

Doch das war das Problem mit Sex. Es veränderte alles. Man konnte einen ehemaligen Liebhaber nicht einfach in den Arm nehmen und behaupten, es sei rein platonisch. Selbst wenn es das war.

„Oh Drakon“, flüsterte sie voller Mitgefühl. „Das tut mir schrecklich leid. Ich hatte ja keine Ahnung. Bitte, möchtest du dich nicht setzen?“

Seine ungewöhnliche Blässe und der gehetzte Blick in seinen Augen verrieten ihr, dass er noch immer unter Schock stand.

„Kann ich dir einen Drink anbieten?“, fragte sie und überlegte fieberhaft, was sich in ihrer selten genutzten Hausbar befand. „Ich glaube, ich habe irgendwo noch Whisky …“

„Danke, ich möchte keinen Whisky“, entgegnete Drakon brüsk.

Lucy nickte. „Ich mache Tee. Ein starker Tee ist jetzt genau richtig für dich.“

Zu ihrer Überraschung widersprach er nicht, sondern sank in einen der zwei Sessel vor dem Kamin. Seine breite Statur wirkte sonderbar fremd in dem zierlichen Sitzmöbel, dachte Lucy und eilte in die Küche, um den Tee zuzubereiten. Sie war froh, dass sie etwas zu tun hatte, um ihre durcheinanderwirbelnden Gedanken zu beruhigen. Doch ihre Hände zitterten so stark, dass das Geschirr besorgniserregend klirrte, als sie Tassen und Untertassen aus dem Schrank holte.

Lucy atmete ein paarmal tief durch, während sie darauf wartete, dass das Wasser im Kessel zu kochen begann. Sie fragte sich, weshalb sie nicht schon von Anfang an gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte. Sie hatte während ihrer Ausbildung eigentlich gelernt, auf die Körpersprache eines Menschen zu achten, doch sie war vorhin so mit ihrem eigenen gekränkten Ego beschäftigt gewesen, dass sie Drakons Zustand gar nicht bemerkt hatte.

Dabei trauerte er um seinen Zwillingsbruder.

Dass er sich nicht mehr bei ihr gemeldet hatte, war auf einmal völlig unwichtig.

Sie ordnete die Tassen auf einem Tablett an und runzelte die Stirn, als sich ihr plötzlich die Frage aufdrängte, weshalb Drakon ihr von Nikos Tod erzählt haben mochte.

Langsam kehrte sie in das winzige Wohnzimmer zurück. Sie war noch immer durcheinander.

Drakon sah auf, als sie den Raum betrat.

Lucy erschauderte, denn sein Blick wirkte abweisend und freudlos. Alles an Drakon schien zu sagen: Bleib auf Distanz.

Trotzdem spürte sie den fast unbändigen Wunsch, zu ihm hinüberzugehen und ihn in den Arm zu nehmen.

War sein Schmerz womöglich eine willkommene Ausrede für sie, um ihm nahe zu sein? Seit ihrer gemeinsamen Zeit hatte sie sich furchtbar nach seiner Nähe gesehnt.

Sie goss ihm Tee ein, gab vier Zuckerstückchen dazu, rührte kurz um und stellte die Tasse auf ein kleines Tischchen neben dem Kamin. Dann setzte sie sich ihm gegenüber, die Knie artig zusammengepresst.

„Möchtest du darüber reden?“, fragte sie leise.

Über Nikos Tod zu sprechen war das Letzte, was Drakon wollte, aber es war unvermeidlich, wenn er Lucy für seinen Plan gewinnen wollte.

Beruflich war er ein wahrer Verhandlungskünstler. Diese Fähigkeit musste er einfach auch jetzt einsetzen, um an sein Ziel zu gelangen. „Was weißt du über meinen Bruder?“, fragte er gedehnt.

Lucy zögerte und zuckte dann unsicher mit den Schultern. „Wenig. Er schien wie vom Erdboden verschluckt, seitdem er nicht mehr zur Schule ging.“

„Ja, so könnte man es ausdrücken“, erwiderte Drakon und fühlte sich plötzlich in seine Kindheit und Jugend zurückversetzt. Er und sein Bruder waren die verhätschelten und umsorgten Konstantinou-Zwillinge gewesen. Zwei kleine Jungen mit schwarzen Augen, um die sich stets eine ganze Armee an Angestellten kümmerte – natürlich immer unter den wachsamen Augen der wohlhabenden Eltern. Sie waren eineiige Zwillinge, und lange konnte man sie kaum voneinander unterscheiden. Mehrfach war es ihnen sogar gelungen, ihre Eltern auszutricksen.

Doch so ähnlich sie sich äußerlich waren, so unterschiedlich waren ihre Charaktere.

„Niko war der ältere von uns beiden“, sagte Drakon. „Seine anderthalb Minuten Vorsprung sicherten ihm den Anspruch auf das Familienerbe. Er dachte immer, er würde irgendwann ein reicher Mann sein. Aber bei der Testamentseröffnung erfuhr er, dass von dem Vermögen nichts mehr übrig war. Das ganze Geld war weg.“

„Wie ist das möglich?“, fragte Lucy entsetzt.

Drakon sah sie schweigend an. Ihre Augen waren voller Mitgefühl, und fast hätte er ihr alles anvertraut. Doch dann ermahnte er sich, dass manche Dinge aus der Vergangenheit nicht mehr wichtig waren. Er war heute hier, um über die Zukunft zu sprechen. „Die Gründe sind nicht so wichtig“, sagte er ausweichend. „Es geht darum, wie Niko den Schock verarbeitet hat – nämlich gar nicht. Er hat angefangen, Drogen zu nehmen. Erst war es nur ab und zu ein Joint, dann Kokain auf Partys, und irgendwann reichte das alles nicht mehr, und er brauchte einen immer größeren Kick. So ist er schließlich beim Heroin gelandete.“ Drakons Gesicht verzog sich kummervoll.

Lucy erwiderte nichts.

Drakon wartete.

Insgeheim hatte er befürchtet, dass sie irgendeine banale Bemerkung machen würde. Er stand seit Tagen unter Strom und war sich nicht sicher, ob er sich zusammenreißen konnte oder sie zurechtweisen würde. Doch sie sagte nichts.

Autor

Sharon Kendrick
<p>Fast ihr ganzes Leben lang hat sich Sharon Kendrick Geschichten ausgedacht. Ihr erstes Buch, das von eineiigen Zwillingen handelte, die böse Mächte in ihrem Internat bekämpften, schrieb sie mit elf Jahren! Allerdings wurde der Roman nie veröffentlicht, und das Manuskript existiert leider nicht mehr. Sharon träumte davon, Journalistin zu werden,...
Mehr erfahren