Bradys Braut

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Alison glaubt fest daran, dass ihr Vater die Ehe mit ihrer Jugendliebe Brady Broussard annullieren ließ. Bis sie den nie unterschriebenen Auflösungsantrag entdeckt. Sie ist also immer noch Bradys Frau! Was soll sie bloß tun? Gerade hat ihr Freund Thomas ihr einen Heiratsantrag gemacht …


  • Erscheinungstag 28.03.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756307
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Thomas hat mich gebeten, ihn zu heiraten.“

Alison Hartwells ältere Schwestern Mimi und Hannah, die vor Kurzem geheiratet hatten, tauschten seltsame Blicke.

Alison hatte erwartet, die beiden würden begeistert reagieren und sofort Pläne schmieden. Daher war sie sehr überrascht. Noch dazu waren die zwei in ihren Laden für Hochzeitsausstattung gekommen. Wann immer sie sich in dieser Umgebung trafen, sprachen sie über Hochzeiten.

Hannah hatte Jake Tippins geheiratet, einen gut aussehenden Polizisten, der beinahe ihren Vater verhaftet hätte. Mimi war endlich mit Hannahs Exverlobtem Seth Broadhurst verheiratet. Ein Thema war auch, dass Hannah ihre Schwester Alison mit dem attraktiven Geburtshelfer und Gynäkologen Thomas Emerson verkuppelt hatte. Außerdem hatte Alison bei Mimis Hochzeit den Brautstrauß gefangen.

Ebenfalls wurde immer wieder über die Aussteuertruhen gesprochen, die Großmutter Rose ihnen geschenkt hatte. Diese Truhen hatten, so unglaublich es auch klingen mochte, eine entscheidende Rolle bei der Wahl des jeweiligen Ehemannes gespielt. Außerdem hatten sie das Leben der Beschenkten auf den Kopf gestellt.

„Schön“, sagte die stets vernünftige Hannah nach einer Weile. „Thomas ist ein großartiger Arzt.“

Mimi legte die Hände auf den Leib, dem man die Schwangerschaft schon deutlich ansah, und streifte die Schuhe ab, um die geschwollenen Füße zu entlasten. „Ja, und er besitzt sogar Humor.“

Hannah ordnete die Magazine für Brautmoden auf dem Tisch. „Seine Patientinnen lieben ihn. Also“, verbesserte sie sich hastig, „ich meine damit nicht, dass sie ihn wirklich lieben, sondern …“

„Ich verstehe schon“, fiel Alison ihr ins Wort.

„Er ist nun mal Gynäkologe“, bemerkte Mimi. „Da müssen ihn seine Patientinnen schon lieben. Schließlich hat er keine Patienten.“ Während Mimi über ihren eigenen Scherz lachte, schüttelten Alison und Hannah nur die Köpfe. „Wenn ich es mir allerdings recht überlege“, fuhr Mimi fort, „ist es vielleicht nicht so ideal, einen Gynäkologen zu heiraten. Meint ihr nicht, er könnte es irgendwann leid sein, ständig …“

„Bestimmt ist er es leid, dass man ihm ständig diese Frage stellt“, unterbrach Hannah ihre Schwester.

Mimi lachte und griff nach Alisons Hand. „Kein Ring? Ist er vielleicht geizig?“

„Was hast du denn geantwortet, Ali?“, erkundigte sich Hannah und warf Mimi einen tadelnden Blick zu.

Alison nahm einem Zweig Schleierkraut und roch daran. Sie mochte die verschiedenen Düfte in ihrem Laden. Das Raumspray roch nach Flieder, am Eingang standen stets frische Blumen, und in einer Kristallschale neben den Katalogen lag ein Potpourri. „Ich habe ihm noch nicht geantwortet.“

„Du denkst aber über seinen Antrag nach?“, fragte Hannah.

„Ich habe mir Bedenkzeit erbeten, ja.“

Mimi nickte verständnisvoll. „Du bist dir nicht sicher, dass er der Richtige ist?“

„Mimi!“, warnte Hannah.

„Wieso denn? Er hat es ziemlich eilig, nicht wahr? Ihr kennt euch doch erst ungefähr zwei Monate“, sagte Mimi.

„Das sagst ausgerechnet du?“, erwiderte Alison trocken. „Bist du nicht die Frau, die Seth zuerst langweilig fand und sich dann innerhalb weniger Stunden mit ihm auf eine heiße Affäre einließ?“

Mimi lachte, als ihre Schwestern ihren Babybauch betrachteten. „In Ordnung, manchmal ist es gar nicht schlecht, wenn man es eilig hat.“

Hannah stand auf. „Tut mir leid, Mädchen, aber ich muss in die Praxis zurück.“

„Und ich treffe mich mit Seth im Coffeeshop. Er kommt mit einer Therapiegruppe für ein Rollenspiel.“ Mimi versuchte sich hochzustemmen, und ließ sich von Hannah beim Aufstehen helfen. „Ich könnte einen Wal oder Elefanten spielen.“

„Unsinn“, wehrte Alison lächelnd ab. „Du siehst wunderschön aus.“

„Ja“, bestätigte Hannah, „du bist der hübscheste Wal, den wir kennen.“

„Rache ist süß“, erwiderte Mimi. „Ich mache mich bestimmt über dich lustig.“

„Hannah, bist du …“

„Nein, noch nicht“, wehrte Hannah sofort ab, „aber irgendwann. Im Moment haben wir einfach zu viel Spaß miteinander.“

Alison deutete auf einen großen Karton in der Ecke. „Ich sollte auch wieder was tun und auspacken, bevor Vivica wegen ihrer Hochzeit herkommt.“

„Übrigens – wie geht es denn ihrem Bruder?“, fragte Hannah. „Brady war bei der Air Force, richtig?“

„Ja.“

„Du hast damals für ihn geschwärmt, nicht?“, fragte Mimi.

„Das ist lange her“, entgegnete Alison.

„Kommt er zu Vivicas Hochzeit?“, fragte Hannah.

Alison zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“

Hannah holte ihren Pieper aus der Tasche und las die Telefonnummer ab. „Jetzt muss ich aber wirklich weg.“ Sie strich Alison das Haar aus dem Gesicht. „Überlege dir den Heiratsantrag gut, Schwesterchen. Ich mag Thomas sehr, aber du solltest dich von ihm zu nichts drängen lassen.“

„Schließlich muss er dich entflammen und dafür sorgen, dass die Flammen auch die ganze Nacht lang flackern“, fügte Mimi hinzu.

Trifft das auf Thomas zu, fragte sich Alison. Bisher hatte sie keine dermaßen starke Anziehung verspürt. Nach Hannahs Beschreibung hatte sie eigentlich erwartet, er würde sie mit seiner erotischen Ausstrahlung geradezu umwerfen. In Wahrheit fand sie sein freundliches Lächeln nett. Freundschaft war allerdings eine gute Basis für eine Ehe, und sie war bereit, eine Familie zu gründen.

Prompt sah sie Brady Broussards Gesicht vor sich. Sehnsucht setzte ein, und Erinnerungen tauchten auf – an die Verabredungen in der High School, an den Abschlussball und an die heimliche Hochzeit. Bei Brady hatten die Flammen tatsächlich die ganze Nacht lang geflackert. Obwohl ihr Vater auf der sofortigen Annullierung der Ehe bestanden hatte, war es Brady gelungen, mit romantischen Briefen und dem Versprechen, irgendwann zu ihr zurückzukehren, die Glut drei Jahre am Leben zu erhalten. Im vierten Jahr hatte er jedoch nicht mehr geschrieben. Es hatte ihr das Herz gebrochen, und jetzt war die Glut erkaltet.

„Ausnahmsweise gebe ich Mimi recht“, meinte Hannah. „Freundschaft ist zwar nett, aber es ist auch wichtig, dass es ordentlich knistert.“

„Ihr zwei redet von nichts anderem, seit ihr geheiratet habt.“ Alison umarmte ihre Schwestern und versuchte, nicht mehr an Brady zu denken. Vielleicht half Thomas ihr, ihn zu vergessen. Spielte es denn eine Rolle, wenn Thomas’ Küsse sie nicht zum Glühen brachten? Dann tat es wenigstens nicht so weh, falls es mit ihnen beiden nicht klappte. Und an Brady hatte sie jetzt nur gedacht, weil sie die Hochzeit seiner Schwester organisierte. Sie liebte ihn nicht mehr.

Nein, Thomas war ein toller Kerl, nett und amüsant. Außerdem war er gut mit Vivicas Verlobtem befreundet.

„Du solltest jedenfalls nicht seinen Antrag annehmen und dann vor dem Altar kneifen, wie Hannah das gemacht hat.“ Mimi zog Hannah zum Ausgang. „Allerdings wäre ich jetzt nicht verheiratet, hätte Hannah nicht Seth sitzen gelassen.“ Lachend und winkend verließen die beiden den Laden.

Wenige Minuten später betrachtete Alison begeistert aber auch besorgt den Inhalt des Kartons. Bei Mimis Hochzeit hatte sie den Brautstrauß gefangen und danach ihrer Großmutter anvertraut, dass Thomas ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte.

Nun war ihre Aussteuertruhe eingetroffen. Grammy Rose schmückte vermutlich schon ihren Pavillon für die Hochzeit mit Blumen. Dabei wusste Alison noch gar nicht, ob sie den Antrag annehmen sollte.

Aufgeregt strich sie über die schöne vergoldete Aussteuertruhe, in die kunstvoll Herzen geschnitzt waren. Sie ähnelte den Truhen, die Hannah und Mimi erhalten hatten.

Alison hatte nicht vergessen, dass bei Hannah und Mimi alles drunter und drüber gegangen war, nachdem sie ihre Aussteuertruhen bekommen hatten. Vorsichtig tastete sie nach dem Verschluss. Würde es bei ihr genauso sein?

Brady Broussard ließ sich auf den Sitz im Flugzeug sinken und versuchte, das schmerzende Bein auszustrecken. Während die anderen Passagiere an Bord von Flug 1213 gingen, tippte er die Nummer seiner Schwester ins Handy.

„Vivica“, meldete sie sich fröhlich wie immer.

„Hey, Schwesterchen, ich bin es.“

„Brady! Wie geht es dir? Wo bist du? Bist du schon unterwegs?“

„Langsam, langsam“, wehrte er lachend ab und war froh, Vivica zu haben. Erst jetzt hatte er begriffen, wie sehr er sie brauchte, und das bezog sich nicht nur auf die Physiotherapie, bei der sie ihm helfen wollte. „Mir geht es gut. Ich habe die Maschine nach Washington bekommen, bleibe dort über Nacht und fliege morgen heim.“

„Super! Dann schaffst du es zur Parade!“

Ach, verdammt! Er war schon so lange von Sugar Hill fort, dass er nicht mehr an die Feiern zum Vierten Juli gedacht hatte. Er wollte Vivica nicht enttäuschen, hatte jedoch nicht die Absicht, sich zu beteiligen. In Sugar Hill gab es stets eine Parade, Spiele für die Kinder, Ponyreiten und Feuerwerk.

Feuerwerke erinnerten ihn an Alison Hartwell und die unglaublich erotische Nacht am See. Damals hatte er sie das letzte Mal gesehen. Diese eine Nacht hatte sie mit ihm als seine Ehefrau verbracht. Nein, er wollte nichts von der Parade wissen, und er wehrte sich gegen die Erinnerungen. Er war nicht mehr derselbe wie damals. „Ich weiß nicht, ob ich rechtzeitig eintreffe.“

„Ach, Brady, bitte!“

„Sieh mal, Vivi, ich will mich daheim erholen und nicht unter Menschen gehen.“ Ungewollt fasste er an die Tasche, in der zwei von Alisons Briefen steckten. Sie war die einzige Frau, die er jemals geliebt und begehrt hatte.

„Brady, alle deine Freunde wollen dich sehen. Seit du zur Air Force gegangen bist, warst du nicht hier, und das sind nun fast schon vier Jahre.“

„Ich weiß.“ Nach dem Tod seines Vaters war er nicht mehr nach Hause gekommen. Alison war wegen ihrer Ausbildung ohnedies nicht in Sugar Hill gewesen. Er wäre auch jetzt nicht zurückgekehrt, wäre er nicht bei einem Absturz verletzt worden und gezwungen gewesen, einen Erholungsurlaub anzutreten. Sein bester Freund war allerdings gestorben, und Brady bezweifelte, ob er sich davon jemals erholen würde, weil ein Teil der Schuld ihn traf. „Versprich mir, dass du Mom nicht sagst, dass ich komme. Ich möchte nicht, dass sie daraus eine große Sache macht. Es geht schließlich um deine Hochzeit.“

„Ja, schon gut. Übrigens bin ich gerade zu meiner Hochzeitsausstatterin unterwegs. Ich bin wirklich froh, dass du als Puffer zwischen Mom und mir dienen wirst.“

„Wie läuft es mit ihr?“

„Sie ist wie immer.“ Vivica seufzte. „Sie meint es gut, aber ich wünsche mir eine schlichte Hochzeit, und ich fürchte, sie wird übertreiben.“

Seine Mutter konnte hartnäckig sein. Nach dem Tod seines Vaters hatte sie ihn gedrängt, die Druckerei zu übernehmen, anstatt zur Air Force zu gehen. Er hatte sich jedoch geweigert, weil er unbedingt wie sein Dad in jungen Jahren Kampfpilot werden wollte. Doch nun wusste er nicht, was er mit seinem Leben anfangen sollte.

Vivica plauderte über die Hochzeit. Sie war unentschlossen, ob sie Großtante Bernadette einladen sollte, die einen Hang zum Taschendiebstahl besaß. Er versuchte, sich zu konzentrieren. Jedenfalls war er froh, dass Vivica ihr Glück gefunden hatte.

„Ich bin schon sehr gespannt auf diesen Mann“, sagte Brady. „Hoffentlich behandelt er dich gut. Ich würde ihn nur ungern verprügeln, und ich habe beim Training viel in dieser Richtung gelernt.“ Dass er im Moment zu nichts fähig war, stand auf einem anderen Blatt.

Vivica versicherte lachend, er würde Joe mögen. Brady beendete das Gespräch, weil er dringend Schlaf brauchte. Hoffentlich wurde er diesmal von Albträumen verschont.

Alison öffnete den Verschluss der Aussteuertruhe und warf einen Blick hinein. Auf goldfarbenem Papier lag ein Brief. Sie öffnete ihn und lächelte beim Anblick der Handschrift ihrer Großmutter.

Meine liebste Alison,

Du warst für mich stets ein ganz besonderes Enkelkind, weil Du das letzte Glied zu unserer Vergangenheit und unserer Zukunft bist. Meistens ist es traurig, wenn etwas zu Ende ist, doch Du hast uns beigebracht, dass es auch eine Freude sein kann.

Bereitwillig hast Du kaputtes Spielzeug, abgelegte Kleidung und den hektischen Lebensstil eines alleinerziehenden Vaters akzeptiert. Anderen gegenüber hast Du stets Verständnis gezeigt. Zwischen Deinen Schwestern hast Du während ihrer wilden Jahre für Frieden gesorgt. Du weißt, wann Du zuhören und wann Du reden musst. Das ist eine seltene Gabe. Klugheit und Freundlichkeit gehören zu Deinem Wesen. Wir wollten Dich wie ein Baby behandeln, aber Du hast um Selbstständigkeit gerungen und gewonnen. Doch selbst wenn Dein Haar grau wird wie meines und Deine Kinder schon größer sind als Du, wirst Du immer noch mein Baby bleiben.

Sprich stets Deine Gedanken aus und kümmere Dich dabei nicht darum, was die anderen denken mögen. Ich wünsche Dir Glück, wahre Liebe und einen Mann, der Dir ebenbürtig ist und Dir all jene Freude schenkt, die ein Partner zu geben vermag.

In ewiger Liebe,

Grammy Rose

Alison wischte eine Träne weg, hob die oberste Lage Seidenpapier hoch und hielt beim Anblick des Brautschleiers ihrer Großmutter den Atem an. Sie kannte ihn von Grammy Roses Hochzeitsfotos. An einer schmalen Tiara, mit elfenbeinfarbenen Rosen, Perlen und Glitzersteinen besetzt, war der meterlange hauchdünne Stoff befestigt.

Aufgeregt entfernte Alison die nächste Papierlage und fand neue Handschuhe aus weißem Satin, bestickt mit Perlen und Glitzersteinen, die fast mit denen am Schleier identisch waren. Daneben lag ein blauer Strumpfbandhalter. Etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes und etwas Blaues.

Als Nächstes entdeckte sie einen Umschlag und einen Bilderrahmen aus Porzellan, der mit eingeritzten Hochzeitsglocken verziert war. Sie drehte den Rahmen um und rang nach Luft. Das Foto zeigte Brady und sie am Abend ihrer Hochzeit.

Schmerzliche Erinnerungen an jene wundervolle Nacht und die drei Monate davor tauchten blitzartig auf.

Beim Abschlussball waren sie schon so verliebt gewesen, dass sie nicht mehr voneinander lassen konnten. Schließlich gaben sie der Leidenschaft nach und liebten sich draußen am See. Im Verlauf des Sommers wuchsen ihre Gefühle noch an. Brady schwor, er würde sie ewig lieben, und bat sie, ihn zu heiraten. Die baldige Trennung vor Augen, besorgten sie sich heimlich eine Heiratslizenz. Am Abend vor Bradys Dienstbeginn bei der Air Force weckten sie einen Geistlichen und heirateten um Mitternacht in der kleinen Kapelle am See.

Alison hatte nicht vergessen, wie schön es war, die ganze Nacht in Bradys Armen zu liegen. Bei Tagesanbruch wurden sie jedoch von ihrem Vater entdeckt, der darauf bestand, die überstürzte Ehe annullieren zu lassen. Zwischen ihm und Brady kam es zu einem gewaltigen Streit, doch Alison gab letztlich ihrem Vater nach. Der Vorfall führte zwischen ihr und ihrem Dad zu einem Bruch, der mehrere Monate anhielt. Brady küsste sie zum Abschied und versicherte, Dokumente würden nichts daran ändern, dass er in seinem Herzen für immer mit ihr verheiratet blieb.

So war das auch in den ersten drei Jahren seines Militärdienstes gewesen. Dann hatte er aufgehört zu schreiben. Sie versuchte herauszufinden, was los war, und schickte ihm täglich einen Brief, doch er antwortete nicht. Als er schließlich ihre Briefe ungeöffnet zurücksandte, gab sie auf. Brady liebte sie nicht mehr. Wahrscheinlich hatte er eine andere gefunden.

Tief berührt strich sie mit der Fingerspitze über sein ausdrucksstarkes Gesicht. Beim Anblick des dichten schwarzen Haars, des kräftigen Kinns und der Nase, die ihm als Jugendlicher bei einem Kampf gebrochen worden war, sehnte sie sich wie früher nach ihm.

Warum hatte Grammy Rose das Foto in die Aussteuertruhe gelegt, noch dazu jetzt? Ihre Enkelin hatte schließlich von einem anderen Mann einen Heiratsantrag erhalten.

Vielleicht sollte das Foto sie an die überstürzte Heirat erinnern und andeuten, dass sie diesmal besser den traditionellen Weg beschritt. Rasch öffnete sie den Umschlag, weil sie darin einen Brief mit einer Erklärung erwartete. Stattdessen hielt sie ihre Heiratsurkunde und die Papiere für die Annullierung in den Händen.

Nur Wiley und Grammy wussten über diese Ehe Bescheid. Nicht einmal ihren Schwestern hatte Alison etwas erzählt. Die beiden waren damals am College gewesen. Glaubte Grammy vielleicht, diese Papiere wären nötig, um eine Lizenz für die Heirat mit Thomas zu bekommen?

Alison betrachtete genauer die Blätter mit den leeren Linien für die Unterschriften der Eheleute und des Notars und …

Mit den leeren Linien?

Um Himmels willen! Die Papiere waren nicht unterschrieben!

Eine Nachricht ihrer Großmutter lag dabei: „Schätzchen, es tut mir sehr leid. Wiley hat mich gebeten, die Papiere unterschreiben zu lassen, aber ich habe es schlicht und einfach vergessen.“

Alison bekam Herzklopfen, als die Erkenntnis sie wie ein Schlag traf. Sie war also immer noch mit Brady Broussard verheiratet!

Auch am nächsten Morgen war Alison noch völlig durcheinander, als sie zur Parade des Vierten Juli ging. Ihr war heiß. Regen war dringend nötig, um die herrschende Dürre zu beenden, hätte jedoch die Feiern empfindlich gestört.

Zu allem Überfluss war Vivica gestern noch zu ihr gekommen, um über die Vorbereitungen für die Hochzeit zu sprechen. Und sie hatte berichtet, dass Brady nach Hause kam. Alison hatte sich noch nicht von der Überraschung wegen der nicht durchgeführten Annullierung erholt. Nun musste sie Brady persönlich gestehen, dass sie immer noch verheiratet waren.

Er war nicht mehr hier gewesen, seit er zur Air Force gegangen war. Ob er sie wieder sehen wollte?

Nein, vermutlich ging es nur um Vivicas Hochzeit. Seit fast einem Jahr hatte er sich nicht mehr bei ihr gemeldet – genau seit zehn Monaten und elf Tagen.

In all diesen Jahren hatten sie und Brady angenommen, die Ehe würde nicht mehr bestehen. Ob er sich an eine andere Frau gebunden hatte?

Die Erinnerung an seine Küsse und Liebesschwüre schmerzte. Er hatte sie nicht für immer geliebt, sondern sie ohne Erklärung aus seinem Leben verbannt. Und dabei hatte sie ihm ihr Herz, ihre Seele und ihre Unschuld geschenkt. Seither hatte sie sich für keinen anderen Mann mehr interessiert. Vielleicht konnte sie Brady heute endlich aus ihren Gedanken verbannen, wenn sie ihn sah und erkannte, dass sie beide sich verändert hatten.

Alison winkte einigen Leuten zu, die sie kannte, suchte in der Menge nach ihren Schwestern und wappnete sich gegen das Zusammentreffen mit Brady. Es waren jedoch so viele Leute in der Stadt, dass es vielleicht gar nicht dazu kam.

Sie hatte auch noch gar nicht entschieden, was sie mit Thomas machen sollte. Er wünschte sich Kinder und ein Haus, eben eine Ehe mit allem, was dazugehörte. Gerade als sie über den Heiratsantrag und die damit verbundenen Möglichkeiten nachdachte, bog sie um eine Ecke und stand unvermittelt vor Thomas.

„Hey, Alison“, sagte er und lächelte freundlich. Ja, er war ein netter, fürsorglicher, ehrgeiziger und zuverlässiger Mann, der sicher einen großartigen Ehemann abgab. „Können wir nach der Parade miteinander sprechen?“, raunte er ihr zu und drückte ihr die Hand.

Alison wurde flau im Magen. Erwartete Thomas schon heute ihre Antwort?

Brady verließ die Maschine, wurde von Schwester und Mutter umarmt und in den Wagen verfrachtet, um an den Feiern zum Vierten Juli teilzunehmen. Wie befürchtet, verlor er die Kontrolle über sein Leben.

„Mom, ich sagte doch, dass ich nicht zur Parade will.“

Sie lächelte nur, steuerte den Thunderbird auf den Highway und achtete nicht auf Bradys Proteste, sondern klagte über die Dürre. „Seit Wochen schon können wir den Rasen nicht mehr sprengen. Dafür gibt es ganz strenge Vorschriften.“

„Ja, und die Wasserpolizei kontrolliert täglich“, sagte seine Schwester lachend.

Brady versuchte zu lächeln, obwohl er sich innerlich verdorrt wie der Rasen fühlte.

„Schatz, wir sind ja so stolz, dass du hier bist“, versicherte seine Mutter. „Die Parade wird schließlich auch zu Ehren der Veteranen abgehalten, ganz besonders für jene, die ihr Leben für uns geopfert haben.“ Sie deutete auf sein Bein. „Und jene, die verletzt wurden.“

„Falls du es vergessen haben solltest, Mom, ich wurde in keinem Kampf verletzt.“

„Dein Vater hat jedenfalls unserem Land gedient, und er würde sich wünschen, dass du an seiner Stelle die Veteranen ehrst, wie er das früher getan hat.“

Brady schnürte es die Kehle zu. Niemals konnte er den Platz seines Vaters einnehmen. Schon beim Versuch hatte er versagt.

„Beruhige dich, es wird bestimmt schön“, raunte Vivica ihm zu. „Alle deine Freunde werden da sein, Johnny und Bobby Raye und vielleicht auch Alison. Ich glaube, ihr Vater führt die Parade an. Wiley war früher in der Navy.“

Brady warf Vivica zwar einen finsteren Blick zu, stellte sich dann aber den verrückten Wiley Hartwell als Anführer der Parade vor und musste lächeln. Wiley war für ausgefallene und komische Werbung für seinen Gebrauchtwagenhandel bekannt und galt als Clown von Sugar Hill. Ihr letztes Zusammentreffen war jedoch alles andere als komisch verlaufen. Wiley hatte sich wie eine Bärin aufgeführt, die ihr Junges beschützte, und er hatte verlangt, dass Alison die Ehe annullieren ließ.

„Ist er noch so schrill wie früher?“, fragte Brady.

„Und ob!“, antwortete Vivica. „Ich habe gehört, dass er zu Hannahs und Mimis Hochzeiten ein Rüschenhemd trug.“

„Zum letzten Thanksgiving hatte er in einer Werbung für seine Gebrauchtwagen lebende Truthähne“, erzählte eine Mutter lachend. „Ich dachte schon, sie würden den Kerl auffressen.“

„Alison hat mir erzählt, dass er zur Parade in Frack und Zylinder kommt“, fügte Vivica hinzu.

Brady ließ sich nichts anmerken, als er Alisons Namen hörte, sondern blickte auf die vertraute Landschaft des nördlichen Georgia hinaus und rieb sich das Bein. Überall erkannte man Spuren der Dürre.

„Macht dir das Bein sehr zu schaffen?“, fragte seine Mutter besorgt.

„Es geht gut, Mom“, entgegnete er.

„Nach der Therapie wird es wie neu sein“, versicherte Vivica. „Warte nur, Mom, bis ich ihn in meine magischen Finger bekomme.“

„Ich kann es kaum erwarten“, sagte Brady. „Du bist angeblich schlimmer als jeder Ausbilder beim Militär.“

„Hauptsache, es hilft“, erwiderte Vivi lächelnd. „Habe ich dir übrigens erzählt, mit wem Alison sich jetzt trifft?“

„Mindestens ein Dutzend Mal.“ Seufzend lehnte er sich zurück und tat, als würde es ihn nicht interessieren. „Der Flug war lang. Ich ruhe mich etwas aus.“

Vivica schwieg. Es tat ihm schon leid, dass er sie so knapp abgefertigt hatte, aber er wollte kein Mitleid, weder wegen der Verletzungen noch wegen seines übrigen Pechs. Irgendwie stand er bestimmt die Parade durch und zog sich dann schnellstens ins Haus seiner Mutter zurück.

Eine Stunde später erreichten sie die Stadt. Der Hauptplatz war für den Verkehr gesperrt. Überall standen Buden, an denen Essen, Kunsthandwerk und andere Dinge verkauft wurden. Die Leute aßen Hotdogs, bereiteten sich auf einen Wetttanz vor und versorgten die für die Kinder bereitstehenden Ponys.

Nachdem seine Mutter geparkt hatte, stiegen sie aus und liefen einigen Würdenträgern der Stadt in die Arme. Brady war überrascht, als ihn der Bürgermeister ansprach.

„Ich möchte einen unseren Helden begrüßen.“ Bürgermeister Stones Glatze schimmerte von Sonnencreme, und sein Gesicht war gerötet, als er Brady kräftig die Hand schüttelte.

Brady wollte abwehren, doch der Bürgermeister ließ ihn gar nicht zu Wort kommen, sondern half ihm auf einen großen Festwagen, der mit rotem, weißem und blauem Krepppapier an die Fahne erinnerte. Brady kam sich wie ein Betrüger vor, als sie die Main Street entlangfuhren, den Leuten zuwinkten und Süßigkeiten warfen.

Kinder jubelten, die Kapelle der High School spielte, und die Cheerleader marschierten singend und tanzend voran. Clowns verteilten Luftballons. Es folgten mehrere wertvolle alte Autos mit den örtlichen Schönheitsköniginnen.

Während Wiley Hartwell in seiner Rede die Helden des Landes ehrte und die Namen aller auf dem Festwagen nannte, spielte im Hintergrund die Kapelle der High School etwas unsauber „The Star Spangled Banner“.

Brady wollte abwehren, er wäre kein Held, doch Wiley sprach immer weiter. Brady suchte nach vertrauten Gesichtern in der Menge und entdeckte einige seiner Lehrer von der High School, den Footballtrainer und Kameraden aus dem Footballteam. Hannah Hartwell hakte einen hochgewachsenen dunkelhaarigen Mann unter. Das war bestimmt der Polizist, den sie geheiratet hatte. Mimi Hartwell, sichtlich schwanger, stand neben einem blonden Mann.

Schließlich entdeckte Brady sie – Alison.

In der Menge fiel sie auf wie ein Diamant zwischen Glasperlen. Sie war noch schöner, als er in Erinnerung hatte. Das hüftlange schwarze Haar hatte sie abgeschnitten. Es reichte nur bis zu den Schultern. Dadurch wirkte sie noch lebendiger. Obwohl sie unverändert schlank war, sah sie jetzt fraulicher aus, vor allem in dem dünnen hellblauen Sommerkleid.

Einen Moment genoss Brady ihren Anblick und erinnerte sich daran, wie es war, sie in den Armen zu halten, sie zu küssen, ihre Brüste zu streicheln und sie zu seiner Frau zu machen und …

Der Festwagen setzte sich wieder in Bewegung und bog am Haushaltswarenladen um die Ecke. Jetzt sah Brady auch den Mann an Alisons Seite – mittelgroß, braunes Haar, mager. Von Gewichtstraining hatte der Typ vermutlich noch nie etwas gehört. Das musste Emerson sein, der Arzt, mit dem sie ging. Selbst wenn Vivica nichts erzählt hätte, wäre Brady sofort klar geworden, was da lief. Emerson verschlang Alison förmlich mit Blicken.

Brady hatte gedacht, es würde ihm nichts mehr ausmachen, sie mit einem anderen Mann zu sehen. Das stimmte jedoch nicht. Der Schmerz war fast unerträglich.

Alison hob den Kopf. Ihre Blicke trafen aufeinander, und die Zeit blieb stehen.

Der Wagen fuhr weiter, und Brady beugte sich vor, um Alison noch einen Moment zu sehen. Doch der Wagen machte einen Ruck, und Brady kippte nach vorne und prallte mit dem Gesicht auf das Hinterteil des vorangehenden Pferdes.

Alison ließ Thomas’ Hand los und fasste sich ans Herz. Brady Broussard fuhr auf dem Festwagen mit! Sie war nicht darauf vorbereitet, ihn in der Uniform der Air Force zu sehen. Auch nicht darauf, dass er durch sie hindurchblickte, als wäre sie gar nicht vorhanden.

Das tat weh, doch sie hielt die Tränen zurück und ärgerte sich darüber, dass es sie überhaupt berührte. Wieso faszinierte sie dieser Mann bloß immer noch?

Er wirkte jetzt kräftiger und härter. Das dichte schwarze Haar war militärisch kurz geschnitten, wodurch das kernige Gesicht viel besser zum Ausdruck kam. Brady war heute doppelt so attraktiv wie damals an der High School. Doch er war für sie unerreichbar geworden.

Thomas drückte ihre Hand. Alison wurde schwindelig. Sie konnte Thomas nicht heiraten, weil sie schon einen Ehemann hatte.

„Möchtest du etwas trinken, Ali?“, fragte Thomas.

Du liebe Zeit! Er kümmerte sich nett um sie, und sie, eine verheiratete Frau, ging mit ihm aus und hatte noch kein einziges Wort verraten.

„Nein, aber wir müssen miteinander reden“, erwiderte sie.

Trompeten schmetterten, die Sirene des Feuerwehrwagens heulte, Kinder jubelten, und Elmer, der Spitzeneber des Staates, rollte grunzend und quiekend auf einem Wagen vorbei. Danach begann die Menge, sich aufzulösen.

Mimi winkte. „Ich gehe in den Coffeeshop. Bei uns ist bestimmt den ganzen Tag viel los.“

Seth legte schützend den Arm um sie. „Ich begleite dich und achte darauf, dass du dich nicht überanstrengst.“

„Wir sehen uns die Stände an“, sagte Hannah. „Vielleicht finde ich Puppen für meine Sammlung.“

„Ja, und ich helfe, den Verkehr zu regeln“, scherzte Jake.

„Kommt nicht infrage.“ Hannah zog ihn lachend mit sich. „Du hast mir diesen Tag versprochen.“

Autor

Rita Herron
Schon im Alter von 12 schrieb Rita Herron ihre ersten Krimis. Doch sie wuchs in einer Kleinstadt auf – noch dazu in bescheidenen Verhältnissen – und konnte sich eigentlich nicht vorstellen, das „echte“ und einfache Leute wie sie Autoren werden könnten. So dauerte es viele Jahre, bis sie den Weg...
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