Brasilianische Nächte

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Im exotischen Brasilien beginnt für Gabrielle das Abenteuer ihres Lebens: Nach einer Notlandung muss sie sich zusammen mit dem aufregenden Piloten Doyle durch den Dschungel schlagen. Und wenn er nicht so abweisend wäre, ginge sie mit ihm sogar bis ans Ende der Welt …


  • Erscheinungstag 24.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736026
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Sonne brannte vom Himmel.

Gabrielle hob die lange kastanienbraune Mähne aus dem Nacken und wischte sich mit einem Spitzentaschentuch die feinen Schweißperlen von der Stirn. Dann zerknüllte sie das Tuch achtlos, stopfte es wieder in die Tasche ihrer eleganten weißen Leinenshorts und sah hinaus über die Lichtung.

Der Mann saß immer noch auf dem verbeulten Ölfass, schon fast seit einer vollen Stunde. Er wirkte völlig gelassen, trotz der Hitze, und auch die feuchten Stellen, die sich auf seinem Kakihemd abzeichneten, änderten nichts an diesem Eindruck. Aus unerfindlichem Grund machte Gabrielle diese absolute Ruhe des Mannes wütend.

Sie erhob sich, lockerte die Seidenbluse, die an ihrer Haut klebte, und schritt energisch die wenigen Meter zu dem Mann hinüber, der mit einem gefährlich aussehenden Buschmesser an einem Stock schnitzte. Sie blieb vor ihm stehen, doch er sah nicht auf – was sie nur noch mehr reizte.

„Wie lange dauert es denn noch?“, fragte sie unwirsch.

Erst jetzt sah er sie an, mit diesen seltsamen silbergrauen Augen, die einen starken Kontrast zu der tief sonnengebräunten Haut und dem dunkelbraunen Haar bildeten. Nur kurz und völlig unbeeindruckt von dem Ärger, der auf ihrem Gesicht stand, blickte er auf. „Es dauert so lange, wie es dauert. Warum setzen Sie sich nicht in den Schatten, Miss Marshall? Sie sehen erhitzt aus.“

Erhitzt war nicht das richtige Wort, sie kochte geradezu – vor Wut. Sie riss ihm den Stock aus der Hand und schleuderte ihn zu Boden, ihre grauen Augen sprühten Funken. „Mein Großvater hat Sie dazu angeheuert, mich zu ihm zu bringen. Ich schlage vor, Sie tun endlich das, wofür Sie bezahlt werden!“

Er erhob sich langsam, lässig, zu seiner vollen Größe, und Gabrielle verspürte so etwas wie Unsicherheit trotz ihres Ärgers. An diesem Mann war etwas Einschüchterndes, das hatte sie schon bemerkt, als er sie am Flughafen von Mexico City abgeholt hatte, obwohl er nicht viel redete. Er hatte ihr lediglich die handschriftliche Nachricht ihres Großvaters überreicht, die ihn auswies. Dann hatte er sie zu dem ramponierten Jeep geführt, der jetzt im Schatten der Lichtung geparkt stand.

Auf der Fahrt hatte sie ihren schweigsamen Begleiter in Ruhe mustern können: von den ausgetretenen hohen Lederstiefeln, über die muskulösen Beine, die in verwaschenen Kakihosen steckten, über das verschwitzte Hemd, das an seiner Brust klebte und jeden einzelnen Muskel betonte, bis hin zu dem braun gebrannten kantigen Gesicht mit den ungewöhnlich hellen Augen. Dieser Mann entsprach keineswegs der Kategorie „schön“, dazu waren seine Züge zu hart, aber er strahlte eine raue, ungeschliffene Männlichkeit aus, bei der Gabrielles Magen sich unwillkürlich zusammenzog und die eine gewisse Unruhe in ihr auslöste. Die Männer aus ihrem Umkreis sahen alle sehr viel besser aus, hatten sehr viel bessere Umgangsformen, waren charmant und auf ihr Erscheinungsbild bedacht, aber bei keinem dieser Männer war sie sich je so bewusst gewesen, dass sie ein weibliches Wesen war. Und dieses Bewusstsein war ihr im Moment alles andere als angenehm.

„Ihr Großvater hat mich beauftragt, eine Frachtladung zu ihm zu bringen. Sie, Miss Marshall, sind lediglich zur Fracht noch hinzugekommen.“

Sie konnte nicht glauben, was er da von sich gab! Hatte er denn überhaupt eine Idee, wer sie war? „Was erlauben Sie sich! Wissen Sie eigentlich, was passiert, wenn ich meinem Großvater sage, wie grob und unhöflich Sie sich mir gegenüber benommen haben? Ein Wort, und Sie können Ihr schäbiges kleines Unternehmen dichtmachen!“ Ihre Augen funkelten wütend. „Niemand wird Ihnen je wieder einen Auftrag geben, wenn Henry Marshall es nicht will.“

„Unhöflich?“ Er sah sie so durchdringend und eisig an, dass sie sich anstrengen musste, seinem Blick standzuhalten. „Sie haben nicht die leiseste Ahnung, wie es ist, wenn ich unhöflich werde, Lady. Und ich denke, es ist höchste Zeit, dass Ihnen mal jemand sagt, dass Sie nicht alles und jeden herumkommandieren können, nur weil Ihre Familie mehr Geld im Rücken hat, als sie je ausgeben kann.“

„Also, das ist doch …!“ Ihr Temperament ging mit ihr durch. Sie hob die Hand, ihre Absicht war eindeutig, aber der Mann, der direkt vor ihr stand, machte keine Anstalten, den Schlag abzuwehren. Ein träges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, nahezu genauso langsam, wie sich auch seine Wange rötete, auf der ihre Hand gelandet war.

Plötzlich schämte sie sich für diese Ohrfeige, die sie ihm versetzt hatte. Sie hielt den durchdringenden Blick aus den hellen Augen nicht mehr aus und wandte den Kopf. Aber er griff mit einer Hand nach ihrem Kinn und hielt es erstaunlich sanft, aber unerbittlich fest. Sie sollte sehen, was sie getan hatte.

„Das, Miss Marshall, war das erste und einzige Mal, dass Sie mit so was ungestraft davonkommen. Haben Sie das verstanden?“

Sie wollte ihn nicht ansehen, wollte nicht antworten, aber sie wusste auch, dass sie keine Chance hatte, hätte sie versucht, sich seinem Griff zu entziehen. Sich zu wehren wäre nur ein weiterer Fehler gewesen.

„Ja!“, fauchte sie.

„Schön. Ein erster Schritt zu einer besseren Verständigung zwischen uns.“

Ein Unterton schien in dieser Bemerkung zu liegen, aber Gabrielle hätte nicht sagen können, welcher. Als er sie losließ, hastete sie zurück über die Lichtung und setzte sich wieder auf den Baumstamm. Sie zitterte am ganzen Körper. Warum nur, zum Teufel, hatte ihr Großvater einen solchen Mann eingestellt? Er konnte doch jeden haben, den er wollte. Und das war nur eines von den vielen unverständlichen Dingen, die Henry Marshall in letzter Zeit getan hatte, einschließlich der Ankündigung, sich zur Ruhe zu setzen und im Dschungel von Brasilien nach Amethysten zu suchen.

Sie lehnte sich an den Baumstamm und schloss die Augen. Sie konnte immer noch nicht verstehen, wie ihr Großvater auf eine solch verrückte Idee gekommen war. Der Mann da hatte recht, ihre Familie verfügte tatsächlich über ein größeres Vermögen, als die nächsten Generationen ausgeben konnten. Ihr Großvater hatte vor über fünfzig Jahren mit einer kleinen Chemiefabrik angefangen, die mittlerweile zu einem weltweiten Konzern angewachsen war. Aber das erklärte noch lange nicht, warum er mit zweiundsiebzig Jahren alldem den Rücken kehrte und in Südamerika nach Edelsteinen graben wollte.

Gabrielle war gerade bei Freunden in New York gewesen, als ihre Mutter ihr am Telefon völlig hysterisch Großvaters Entscheidung mitteilte. Dass Gabrielle jetzt hier war, lag daran, dass sie, um ihre Mutter zu beruhigen, zugesagt hatte, zu ihrem Großvater zu fliegen und zu versuchen, ihn zur Vernunft zu bringen. Großvater und sie hatten einander immer sehr nahegestanden. Ihr Vater war früh gestorben, und Henry Marshall, der seine Enkelin abgöttisch liebte, hatte eine Art Vaterrolle bei ihr übernommen. Obwohl sie ihn in letzter Zeit nur selten gesehen hatte. Als Angehörige der Oberschicht, die es nicht nötig hatte zu arbeiten, verbrachte sie ihre Zeit ausschließlich mit den angenehmen Dingen des Lebens – Ski fahren in Aspen, Segeln in Südfrankreich, Einkaufen in New York, London und Paris.

Allerdings waren Gabrielle in der letzten Zeit öfter Zweifel gekommen, ob diese Art der Existenz tatsächlich ausfüllend war. Gab es im Leben denn nicht mehr als Müßiggang und Vergnügen? Nur – was war das? Ihr fiel nichts ein, womit sie ihrem Leben eine Richtung geben könnte; nichts, dem sie sich widmen könnte. Diese Reise zu ihrem Großvater war im Grunde genommen auch nur ein Weg, um ihr ständig lauter werdendes Gewissen zu beschwichtigen. Allerdings hatte sie nicht damit gerechnet, die Reise in solch unangenehmer Gesellschaft machen zu müssen!

Sie schreckte zusammen und riss die Augen auf, als eine tiefe Stimme neben ihr ertönte.

„Wir können in ein paar Minuten los. Sie sollten Ihre Koffer aus dem Jeep holen.“

Für einen so großen Mann bewegte er sich außergewöhnlich leise, sie hatte ihn nicht kommen gehört. Ihr Herz schlug vor Schreck immer noch wie wild, und das verwirrte sie. Warum sollte er sie so nervös machen? Warum war sie sich seiner so bewusst? Es machte einfach keinen Sinn. Sie war bisher immer durchs Leben spaziert, ein wunderbares Leben, in dem Geld und Einfluss sämtliche Wege ebneten, und kaum etwas hatte sie berührt, niemand war an sie herangekommen. Diesem Mann schien das allerdings völlig gleichgültig zu sein, selbst wenn er es wissen musste. Und gerade die Vermutung, dass er darum wusste, weckte in ihr das Bedürfnis, ihn zu provozieren.

„Koffer tragen ist Ihr Job.“ Sie erhob sich, strich sich die Leinenshorts glatt und ging zum Flugzeug, ohne einen Blick hinter sich zu werfen.

Als sie allerdings in die kleine Maschine kletterte, die auf der Rollbahn wartete, konnte sie es sich nicht verkneifen, sich nach ihm umzuschauen. Und sie verstand auch nicht dieses unsinnige Gefühl von Enttäuschung, als sie ihn zum Jeep gehen sah. Warum ärgerte es sie, dass er so widerspruchslos nachgab? Hatte er sich doch von ihrem Status beeindrucken lassen?

Es dauerte noch eine gute Viertelstunde, bevor sie abhoben. Gabrielle saß im Cockpit und fächelte sich mit einer Zeitschrift Kühlung zu, während er draußen, eine Checkliste in der Hand, das Flugzeug überprüfte. Er hatte ihr gesagt, dass es Schwierigkeiten mit der Benzinzufuhr gegeben hatte, aber das war jetzt wohl behoben. Er war ganz offensichtlich ein erfahrener Pilot, und die Gründlichkeit, mit der er die Checkliste durchging und abhakte, nahm Gabrielle alle Befürchtungen, die sie vielleicht gehabt hatte.

Der Start verlief bestens, und Gabrielle vertiefte sich in ihre Zeitschrift – der beste Weg, einer unerwünschten Konversation auszuweichen. Ihr wäre auch nichts eingefallen, über das sie sich mit diesem Mann unterhalten könnte, vor allem, nachdem sie vorhin so aneinandergeraten waren. Trotzdem glitt ihr Blick immer wieder auf sein Profil und über seine Hände, die geschickt die Maschine steuerten. Erst als er sich unerwartet zu ihr umdrehte und sie mit einer ironisch hochgezogenen Augenbraue bei ihrer Musterung ertappte, konzentrierte sie sich darauf, ihn nicht mehr anzusehen.

Sie landeten auf einem kleinen Privatflughafen, um aufzutanken, und Gabrielle nutzte die Gelegenheit, um den Waschraum aufzusuchen. Sie genoss das kühle Wasser auf ihren Handgelenken und ließ sich Zeit damit, ihr Make-up aufzufrischen. Als sie in die kleine Kantine zurückkehrte, lehnte der Mann mit einem Becher Kaffee in der Hand am Tresen und unterhielt sich mit einem anderen Piloten. Er drehte sich zu ihr um und betrachtete sie mit einem so abschätzenden Blick, dass es fast beleidigend war, dann wandte er sich wieder seinem Gesprächspartner zu.

Gabrielle spürte Wut in sich aufwallen. Sie war weiß Gott nicht eitel, aber sie wusste, dass sie gut aussah. Nein, man konnte sie sogar schön nennen. Der Blick in den Spiegel bestätigte ihr das immer wieder – das fein geschnittene Gesicht mit den großen grauen Augen und den dunklen Wimpern, die vollen, sinnlich geschwungenen Lippen … Und trotzdem hatte dieser Mann ihr so viel Interesse gezeigt, wie er vielleicht … vielleicht für eine saftige Rinderhälfte aufbrächte, die in irgendeinem Kühlhaus hing!

Sie riss sich zusammen, zügelte ihre Wut und warf scheinbar ruhig einige Münzen in den Kaffeeautomaten. Angeekelt verzog sie das Gesicht, als sie an der bitteren schwarzen Brühe nippte.

„Wir fliegen in zwei Minuten los, also beeilen Sie sich.“

Sie warf ihm noch nicht einmal einen Blick zu, sondern nahm einen weiteren Schluck aus dem Plastikbecher, stellte ihn auf dem Tresen ab und ging dann zu dem Automaten, der gegen Münzen Knabberzeug ausspuckte.

„Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?“ Seine Finger, die nach ihrem Oberarm griffen, um sie zu sich herumzudrehen, waren erstaunlich kühl. Gabrielle machte sich unwillig aus dem Griff frei.

„Natürlich, ich bin ja nicht taub.“ Sie lächelte ihn zuckersüß an. „Allerdings werden Sie wohl noch ein wenig warten müssen. Ich habe meinen Kaffee noch nicht ausgetrunken.“

„Nein?“ Er lächelte genauso freundlich zurück, während er den Becher griff, den Inhalt in einen Pflanzenkübel leerte und den zerknüllten Becher in den Abfalleimer warf. „So, jetzt ist Ihr Kaffee wohl leer, oder, Miss Marshall? Sollen wir dann?“ Er wandte sich ab, um die Kantine zu verlassen.

So leicht würde sie ihn nicht davonkommen lassen! Ihre manikürten Fingernägel gruben sich durch den Ärmel seines Hemdes, als sie nach ihm griff. „Wie können Sie es wagen? Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?“

Ganz langsam drehte er sich wieder zu ihr um, seine silbergrauen Augen funkelten, als er ihr wütendes Gesicht betrachtete. Und ebenso langsam löste er ihre Hand von seinem Arm. „Ich bin der Mann, der Sie zu Ihrem Großvater hinausfliegen soll. Ich denke, das verleiht mir die gleiche Autorität wie dem Kapitän eines Schiffes. Sie können gerne über diese Logik nachdenken, Miss Marshall. Aber wenn ich sage, wir fliegen los, dann fliegen wir auch.“ Er legte eine Hand unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht an, um es eindringlich zu mustern. „Und ich kann mir nicht vorstellen“, sagte er mit einer tiefen, leisen Stimme, die ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagte, „dass Sie herausfinden wollen, wie ich auf Meuterei reagiere.“

Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, noch bevor Gabrielle sich von dem Schock erholt hatte. Mit einer zitternden Hand fuhr sie sich über das Gesicht, dort, wo er sie festgehalten hatte. Nein, geschmerzt hatte es nicht, dazu war sein Griff zu sanft gewesen. Aber diese Berührung hatte sie zutiefst erschüttert. Diese Erschütterung und die verhaltene Sinnlichkeit seiner Drohung waren ihr durch den ganzen Körper gefahren und hatten eine seltsame Reaktion ausgelöst. Sie hatte Angst. Nicht vor ihm, sondern vor sich selbst und ihrer unverständlichen Reaktion auf diesen Mann.

Je eher dieser Trip vorüber war, desto besser!

Als sie in das Cockpit kletterte, ging sie davon aus, den Rest des Fluges in angespannter Haltung zu verbringen. Doch das Schweigen und das eintönige Brummen der Motoren zeigten ihre Wirkung: Sie döste ein und wurde erst abrupt wieder wach, als die Maschine ganz plötzlich absackte.

Alarmiert richtete sie sich kerzengerade auf. „Was ist los?“ Sie riss verängstigt die Augen auf und starrte auf das näher kommende, undurchdringliche Grün des Dschungels, als das kleine Flugzeug neuerlich absank.

„Die Treibstoffzufuhr. Sie spielt wieder verrückt.“ Sein Gesicht war reglos, seine Hände glitten eilig über die verschiedenen Knöpfe und Schalter auf dem Armaturenbrett, während er einen für Gabrielle unverständlichen Wortschwall aus Zahlen und Codes in das Mikrofon seines Kopfhörers sprach.

„Wir stürzen ab?“ Ihre Stimme klang schrill vor Angst.

Er sah sie nur kurz an, um sich dann wieder auf die Maschine zu konzentrieren, die jetzt in großen Kreisen dem Boden immer näher kam. „Nein.“

„Gott sei Dank!“ Doch der Stoßseufzer war wohl zu früh gekommen. Panisch klammerte sie sich an ihrem Sitz fest, als könnte das helfen, während die Baumkronen immer näher kamen. „Aber Sie sagten doch, wir stürzen nicht ab!“, schrie sie auf.

„Tun wir auch nicht, wir landen. Uns bleibt gar nichts anderes übrig. Eine Notlandung.“

„Landen? Zwischen all den Bäumen? Wie denn?“

Er drehte ihren Kopf nach rechts, seine Finger lagen seltsam beruhigend an ihrer Wange. „Da drüben ist eine Lichtung. Auf der werde ich landen.“

Dann lagen seine Hände wieder auf den Kontrollgeräten. Gabrielle schloss die Augen und betete. Sie stieß einen kleinen Schrei aus, als das Fahrwerk unsanft auf dem Boden aufsetzte und die Maschine wieder in die Luft sprang. Noch zwei Mal setzte die kleine Maschine mit Wucht auf und wurde wieder hochgeschleudert, ehe sie endlich zum Stehen kam. Gabrielle zählte bis zehn, bevor sie es wagte, die Augen zu öffnen.

Grün, mehr nicht. Alles, was sie sah, war Grün. Unendlich hohe Bäume, riesige Blätter, undurchdringliches Buschwerk.

„Wo sind wir?“, stotterte sie schließlich.

Der Mann hatte bereits den Sicherheitsgurt abgeschnallt und die Cockpittür geöffnet. „Irgendwo im brasilianischen Dschungel, würde ich sagen.“

„Irgendwo?“ Ihre Stimme wurde wieder schriller. Ihre Hand schoss vor, um ihn an der Schulter festzuhalten, bevor er aussteigen konnte. „Sie wissen nicht, wo?“

„Nein, nicht genau. Der Kompass ist ausgefallen.“

„Aber haben Sie nicht per Funk unsere Position durchgegeben?“

„Sicher, aber die ist nicht ganz korrekt. Es war die letzte Positionsbestimmung, die ich gemacht hatte. Ich dachte mir, das sei besser als gar nichts.“

Sie wollte einfach nicht glauben, was sie hörte. Sie befanden sich irgendwo mitten im Dschungel, und keiner hatte auch nur die geringste Ahnung, wo sie waren!

Sie kletterte aus dem Flugzeug und stellte sich neben ihn. „Und was machen wir jetzt? Wie lange wird es dauern, bis man uns findet?“

Er griff hinter seinen Sitz und zog einen ledernen Rucksack hervor. „Schwer zu sagen. Ein paar Tage, eine Woche, vielleicht zwei. Könnte auch länger dauern.“

„Zwei Wochen? Aber so lange können wir unmöglich hierbleiben!“

Er lächelte ganz plötzlich, was ihn unheimlich attraktiv aussehen ließ und ihr einen angenehmen, aber völlig unerwünschten Schauer über den Rücken rieseln ließ. „Freut mich zu hören, dass Sie so vernünftig sind, das einzusehen.“

Von Vernunft merkte sie nicht viel, ganz im Gegenteil! „Also, was machen wir dann?“

„Das ist doch wohl klar.“ Er zog Kakihosen und ein ähnliches Hemd, wie er es trug, aus dem Rucksack. „Hier, die werden Ihnen zwar zu groß sein, aber daran lässt sich nichts ändern.“

Entweder hatte der Schock ihren Verstand so durcheinandergebracht, dass sie noch nicht einmal einfache Worte verstehen konnte, oder dieser Mann sprach unzusammenhängendes Zeug. Verständnislos starrte Gabrielle auf die Kleidungsstücke, die er ihr hinhielt. Als sie nicht reagierte, knüllte er die Sachen achtlos zusammen und warf sie ihr vor die Füße.

„Nun, da Sie Ihre Koffer nicht mitgebracht haben, werden Sie mit meinen Sachen vorliebnehmen müssen.“ Er sah auf ihre bloßen Beine und die eleganten Sandalen mit den dünnen Lederriemchen. „Schuhwerk ist allerdings ein Problem, es sei denn …“ Diesmal griff er unter den Sitz und holte ein erbärmlich aussehendes Paar Turnschuhe hervor, die er ihr ebenfalls vor die Füße warf. „Hier, probieren Sie die.“

Gabrielle starrte immer noch, dann dämmerte es ihr. „Soll das bedeuten, Sie haben meine Koffer in dem Jeep gelassen?“

„Ich“, er betonte das Wort überdeutlich und eiskalt, „habe Ihre Koffer nicht im Jeep gelassen, das haben Sie getan. Sie hatten die Möglichkeit, sie im Flugzeug zu verstauen, was Sie wiederum nicht getan haben.“

„Sie sollten das doch erledigen. Sie wurden angeheuert, um mich zu fliegen.“

„Stimmt genau. Als Ihr Kammerdiener wurde ich jedoch nicht angeheuert.“ Pure Verachtung lag in seinem Blick, als er sie von oben bis unten musterte. „Sie sind doch ein großes Mädchen, oder? Sie hätten sich selbst um Ihr Gepäck kümmern müssen. Und jetzt hören Sie endlich auf zu jammern, und ziehen Sie sich um!“

Sie schnappte nach Luft und hielt sie an, um nicht laut loszuschreien. Sicherlich würde er sich davon auch nicht beeindrucken lassen. Noch nie in ihrem ganzen Leben war sie sich so hilflos vorgekommen! „Verzeihen Sie mir, wenn es sich dumm anhört, aber … warum sollte ich Ihre Sachen anziehen? Ich glaube kaum, dass dies hier“, angeekelt stieß sie mit der Schuhspitze gegen das zerknüllte Bündel, das zu ihren Füßen lag, „mir passt.“

Er ging in die Hocke und packte die Sachen wortlos in den Rucksack zurück, dann richtete er sich auf und schwang sich den Rucksack über die Schultern. „Nun, ein Etikett von Dior werden Sie sicherlich nicht im Kragen finden, Miss Marshall, aber ich bin überzeugt, in dieser Gegend sind sie weitaus angebrachter als der Aufzug, in dem Sie jetzt herumlaufen, so ansehnlich er auch sein mag.“ Er ließ den Blick über das undurchdringliche Grün schweifen. „Hier kann man sich einige böse Schnitte und Kratzer zuziehen.“

Gabrielle folgte seinem vielsagenden Blick zu dem dunklen Dickicht und erschauerte. „Sie erwarten doch wohl nicht, dass ich … dass ich da hineingehe?“

Er zuckte gleichgültig mit den Schultern und zog den Rucksack über. „Ich erwarte gar nichts, allerdings werde ich nicht hierbleiben und auf einen Rettungstrupp warten. Die Entscheidung liegt allein bei Ihnen, ob Sie mitkommen wollen oder nicht.“

„Aber ich …“ Sie musste sich räuspern, weil die Stimme ihr zu versagen drohte. „Sehen Sie mal, Mr …“ Sie brach abrupt ab und lief rot an. Sein verächtlicher Blick sagte ihr, dass er genau wusste, was gerade in ihr vorging. Sie hatte ihn während der ganzen Zeit nicht einmal nach seinem Namen gefragt.

„Ah, es ist Ihnen also endlich aufgefallen. Mein Name ist Doyle, Miss Marshall.“

Der eisige Ton setzte ihr zu. „Wenn ich geahnt hätte, dass Sie so viel Wert auf Etikette legen, hätte ich längst gefragt, Mr Doyle“, zischte sie.

Sollte er den Sarkasmus in ihrer Bemerkung bemerkt haben, so ignorierte er ihn. Am Rand der Lichtung drehte er sich noch einmal zu ihr um. „Was ist nun, kommen Sie mit oder nicht?“

Autor

Jennifer Taylor
Jennifer Taylor ist Bibliothekarin und nahm nach der Geburt ihres Sohnes eine Halbtagsstelle in einer öffentlichen Bibliothek an, wo sie die Liebesromane von Mills & Boon entdeckte. Bis dato hatte sie noch nie Bücher aus diesem Genre gelesen, wurde aber sofort in ihren Bann gezogen. Je mehr Bücher Sie las,...
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