Brenda Jackson Edition Band 12

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MEHR ALS EINE SOMMERAFFÄRE von BRENDA JACKSON

Eigentlich will die Schauspielerin Paige nach einem Skandal um ihren Ex nur in Ruhe Urlaub machen. Aber auf dem Weingut wohnt ein weiterer Gast: Jess Outlaw. Wenn er in der Nähe ist, steht Paige in Flammen, und auch Jess kann der Anziehung nicht widerstehen.

EINE LETZTE NACHT DER LEIDENSCHAFT von BRENDA JACKSON

Eine letzte Nacht verbringt Maverick Outlaw mit Sapphire, bevor sie zu ihrer Familie zurückkehrt. Der Abschied fällt ihm schwer, denn mit ihr erlebt er nicht nur spektakulären Sex, sondern er vertraut ihr auch seine dunkelsten Geheimnisse an …und das hat Folgen.

WAS SICH RÄCHT, DAS LIEBT SICH von BRENDA JACKSON

Nie hat Charm dem berühmten Musiker Dylan verziehen, dass er ihre Liebe verriet. Als sie ihn in einem Luxusresort in Cancún wiedersieht, schmiedet sie einen Plan: Diesmal wird sie ihn verführen – und dann eiskalt abweisen …


  • Erscheinungstag 26.10.2024
  • Bandnummer 12
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523615
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Brenda Jackson

1. KAPITEL

„Dann kommst du während der Parlamentsferien diesmal nicht nach Alaska? Nach Fairbanks in unser Elternhaus, Jess? Immerhin hast du vier Wochen frei.“

Das Handy fest ans Ohr geklemmt, packte Senator Jessup Outlaw seinen Koffer, während er mit seinem ältesten Bruder Garth telefonierte. „Nein, ich habe letzten Monat Spencer in Washington getroffen, wo er geschäftlich zu tun hatte. Reggie und ich haben einen Drink mit ihm genommen.“

Spencer Westmoreland war ihr Cousin aus Kalifornien, der in der Nähe vom Napa Valley ein großes Weingut besaß. Und Reggie oder Reginald Westmoreland war Spencers Bruder und ebenso wie Jessup Senator.

Jessup klappte den Koffer zu. „Spencer hat mich eingeladen, ihn und Chardonnay auf dem Weingut zu besuchen. Ich habe seine Einladung angenommen. Viele von euch haben doch keine Zeit, nach Fairbanks zu kommen. Und später seid ihr sowieso in Napa, um die Goldene von Chardonnays Großeltern zu feiern.“

„Musst du dich nicht noch um deine politischen Unterstützer kümmern?“

„Nicht unbedingt. Die wichtigsten hab ich schon auf Sloans Hochzeit getroffen. Ich glaube, jeder braucht mal Ferien.“ Jessup lachte. „Selbst Senatoren.“

Jess, wie Freunde und Familie ihn nannten, war achtunddreißig und Senator von Alaska. Er hatte vier Brüder und eine Schwester, die alle in der familieneigenen Firmengruppe Outlaw Freight Lines arbeiteten. Auch Jess war dort zehn Jahre lang Firmenanwalt gewesen, bevor er sich entschloss, in die Politik zu gehen. Sein ältester Bruder Garth leitete seit ein paar Jahren die Firma, nachdem sich ihr Vater Bart aus dem Geschäft zurückgezogen hatte. Offenbar nicht auf eigenen Wunsch, sondern auf Druck des Verwaltungsrats.

Garth war zwei Jahre älter als Jess und wollte mit seiner Frau Regan seine Schwiegereltern in Florida besuchen. Sein Sohn Garrison war im Frühling geboren worden, und die Großeltern sollten endlich ihren Enkel kennenlernen.

Ihr Bruder Cash war zwei Jahre jünger als Jess und lebte in Wyoming auf einer Farm, die er geerbt hatte. Er und seine Frau Brianna hatten zwei Söhne, die Zwillinge Cason und Cannon.

Dann gab es noch Sloan, vier Jahre jünger als Jess, der als letzter der Outlaw-Söhne im Juni geheiratet hatte. Er und seine Frau Leslie waren gerade erst von ihrer vierwöchigen Hochzeitsreise zurückgekommen.

Maverick, der jüngste Bruder, sieben Jahre jünger als Jess, war gerade auf Geschäftsreise in Irland. Und dann gehörte noch Charm, Jess’ elf Jahre jüngere Schwester, zur Familie.

Jess hatte vor zwei Wochen mit seinem Vater Bart gesprochen, der mit seiner zweiten Frau Claudia, der Mutter von Charm, den August in London verbringen wollte.

„Ja, du hast recht“, gab Garth zu. „Die meisten von uns haben bereits Pläne für den Sommer. Aber wir werden uns alle Ende des Monats auf dem Weingut treffen, und da sehen wir dich dann ja auch. Also mach’s gut, und grüß Spencer und Chardonnay. Ich freue mich schon auf das große Familienfest.“

„Ich auch. Wir sehen uns dann in Napa.“

Kurze Zeit später hatte Jess auch seine kleine Tasche gepackt und griff nach der Fernbedienung, um den Fernseher auszuschalten. Doch dann hielt er inne, weil ein Gesicht auf dem Bildschirm erschien, das ihm irgendwie bekannt vorkam. Er stellte den Ton lauter.

„Trotz der eindeutigen Fotos, die in den sozialen Medien aufgetaucht sind, schweigen der Schauspieler Kemp Pierson und die Schauspielerin Maya Roadie noch immer. Sieht so aus, als hätten sie trotz Kemps Beziehung zu der Schauspielerin Paige Novak während der Filmaufnahmen in Neuseeland eine heiße Affäre gehabt. Ms. Novak, die gerade in Japan vor der Kamera steht, war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Keiner weiß, wo genau sie sich momentan aufhält.“

Jess machte den Fernseher aus und warf die Fernbedienung auf den Tisch. Falls die Informationen stimmten, war das Ganze eine Sauerei und Kemp Pierson ein Schwein. Wer wusste das besser als Jess, der selbst vor zehn Jahren von Ava Sampson betrogen worden war. Eine solch bittere Erfahrung wünschte er nicht einmal seinem ärgsten Feind.

Jess kannte Paige Novak oberflächlich. Sie war die Schwägerin seines Cousins Dillon Westmoreland, und sie waren sich hin und wieder auf Familienfesten begegnet. Paige war auffallend schön, was Jess schon bei ihrer ersten Begegnung festgestellt hatte. Damals vor sechs Jahren hatte er nicht weiter versucht, mit ihr in Kontakt zu kommen, was er mittlerweile bedauerte. Aber er war zu der Zeit wegen seines Wahlkampfes sehr eingespannt gewesen.

Falls sich jetzt während seines Aufenthalts auf dem Weingut eine neue Gelegenheit ergab, würde er sie nutzen.

Als jemand klopfte, wandte Paige sich vom Fenster ab und ging zur Tür. Kurz sah sie durch den Spion und öffnete dann lächelnd die Tür. „Chardonnay!“

„Hallo, Paige. Ich wollte nur fragen, ob du Lust hast, mit uns zu essen.“

„Aber gern! Ich bin dir und Spencer so dankbar, dass ich hier bei euch untertauchen kann.“

Eine Woche zuvor hatte sie auf dem Flughafen von Tokio einen Anruf einer befreundeten Nachbarin bekommen, die sie gewarnt hatte. Die Paparazzi belagerten ihr Haus, und Paige hatte sehr schnell begriffen, warum. Die Affäre von Kemp und Maya war das Topthema in den sozialen Medien.

„Aber das ist doch selbstverständlich. Dein Besuch bei uns war sowieso längst überfällig“, beruhigte Chardonnay sie.

Paige atmete auf. Sie war bereits seit einer Woche hier und hatte sich schon gefragt, ob sie die Gastfreundschaft nicht zu sehr ausnutzte. „Es ist wunderschön hier“, sagte sie leise. „Dieser Blick übers Land … einfach herrlich.“

„Finde ich auch. Und du kannst natürlich so lange bleiben, wie du willst. Ich bin froh, wenn unsere Gästehäuser auch mal genutzt werden.“

„Danke. Und ich komme gern zum Essen.“ Paige liebte es, mit der Familie zusammen zu sein, nicht nur mit Chardonnay und Spencer, sondern auch mit den drei Kindern und den Großeltern.

„Gut, abgemacht. Dinner ist gegen fünf.“

„Prima. Dann kann ich vorher noch ein paar Anrufe erledigen. Nadia hat schon ein paarmal versucht, mich zu erreichen, und ich muss sie unbedingt zurückrufen.“

„Bis dann.“

Als Nadia angerufen hatte, war Paige unter der Dusche gewesen. Jetzt aber war es Paige, die ihre jüngere Schwester nicht erreichen konnte. Was mochte so dringend gewesen sein? Paige hinterließ eine Nachricht und bat um Rückruf. Dann rief sie ihre Schwester Jillian an, die in einem Krankenhaus in Florida als Neurochirurgin arbeitete. Vielleicht wusste Jillian Näheres. „Hallo, Jill. Hast du eine Ahnung, warum Nadia mich unbedingt erreichen wollte?“

„Leider nicht. Vielleicht fragst du Pam. Ich muss gleich in den OP. Ruf dich später an.“

„Okay.“ Paige ließ sich auf das Sofa fallen, um ihre Schwester Pam anzurufen. Pam hatte vor dreizehn Jahren Dillon Westmoreland geheiratet. Damals war Paige fünfzehn gewesen. Für Paige war der riesige Besitz der Westmorelands außerhalb von Denver immer mehr Heimat gewesen als die große Farm der Novaks in Gamble, Wyoming, die den vier Schwestern noch immer gehörte.

Paige hatte eigentlich vorgehabt, nach dem Dreh in Tokio Pam zu besuchen, hatte sich dann aber dagegen entschieden. Pam und Dillon würden genug um die Ohren haben, denn Dillons Bruder Bane und seine Frau Crystal erwarteten das zweite Mal Drillinge. Und Pam und Dillon hatten versprochen, auf die ersten Drillinge aufzupassen, die knapp sechs Jahre alt waren. Alle freuten sich, und Paige wollte die Stimmung nicht durch ihre Beziehungsprobleme trüben.

Sie rief Pam an, die schon nach dem ersten Klingeln abnahm. „Paige? Gut, dass du anrufst. Wir waren schon ganz beunruhigt. Wie geht es dir?“

Unwillkürlich musste Paige lächeln. Obwohl sie mit achtundzwanzig längst erwachsen war, machte die Familie sich immer noch um sie Sorgen. „Mir geht’s gut.“

„Ich wünschte, ich wäre bei dir. Kemp, dieses Schwein! Und nun ist die Presse hinter dir her!“

„Mach dir keine Gedanken. Ich sehe weder fern, noch kümmere ich mich um die sozialen Medien. Also alles okay.“

„Hast du schon was von Kemp gehört?“, fragte Pam.

Kemp hatte Paige letzte Woche angerufen, nachdem die Story publik geworden war. Er hatte alles zugegeben und gemeint, die Sache habe nichts mit ihr zu tun und sei ohne Bedeutung. Maya und er hätten nur ein paar Drinks zu viel gehabt, und es täte ihm leid. Und dann hatte er sie noch gefragt, wo sie sei. Er wolle ihr Blumen schicken. Blumen! Als wenn er damit das Ganze aus der Welt schaffen könnte!

Darüber hatte sich Paige besonders geärgert. Glaubte er wirklich, dass damit alles wieder gut war? Als sie ihm sagte, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle, weigerte er sich, ihr zu glauben. Und war empört, weil sie ihm nicht sagen wollte, wo sie war.

„Ich habe ihn blockiert. Er kann mich nicht mehr erreichen.“

„Deswegen hat er hier auch schon dreimal angerufen“, meinte Pam nüchtern. „Ist uns zwar egal, aber er war ausgesprochen sauer, dass wir ihm nicht sagen wollten, wo du bist. Ich habe den Eindruck, er glaubt, was Nadia ihm erzählt hat.“

„Nadia?“

„Ja. Hast du mit ihr gesprochen?“

„Nein. Ich war unter der Dusche, als sie anrief. Ich habe dann zurückgerufen, aber nur ihre Mailbox erreicht.“

„Sie ist wahrscheinlich in einer Besprechung“, meinte Pam. Nach dem College war Nadia nach Wyoming zurückgekehrt und leitete dort eine Schauspielschule. Auch Pam war Schauspielerin gewesen und hatte nach dem Ende ihrer Karriere die Schule gegründet.

„Was hat Nadia denn getan, Pam?“, drängte Paige. Nadia, die Jüngste, war bekannt für ihre verrückten Ideen.

„Das soll sie dir lieber selbst erzählen.“

Das klang mehr als geheimnisvoll, und Paige wollte gerade etwas erwidern, als ein Anruf hereinkam. Es war Nadia. „Pam, sie ruft mich gerade an. Ich melde mich später.“

„Gut.“

Paige nahm den Anruf entgegen. „Nadia! Was ist los?“

„Hast du … heute schon Nachrichten gesehen?“, kam es zögernd.

„Nein, warum?“ Als Nadia schwieg, hakte Paige nach. „Was hast du getan, Nadia?“

„Da dich die Reporter nicht in Los Angeles und auch nicht in Westmoreland erreichen konnten, haben sie angenommen, du bist hier in Wyoming.“

„Sie sind nach Gamble gekommen?“

„Ja, auf unsere Farm.“

„Und?“

„Als ich morgens das Haus verließ, haben sie mir aufgelauert, mir ihre Mikros vors Gesicht gehalten und versucht rauszubekommen, wo du bist.“

Kurz stockte Paige der Atem. Sie kannte die Methoden der Presse. „Und? Hast du es ihnen gesagt?“

„Nein, natürlich nicht. Aber einer der Reporter hat nicht lockergelassen, und da habe ich ihm schließlich gesagt, dass …“

„Was?“

„Ich … ich habe ihm gesagt, Kemp sei dir vollkommen egal. Du wärst längst darüber hinweg und hättest jemand anderen.“

„Na und?“ Das war zwar nicht wahr, aber auch nicht weiter schlimm.

„Das war noch nicht alles. Er hat weiter gebohrt, und da habe ich was von einer heißen Affäre erzählt.“

„Was? Warum das denn, Nadia?“ Paige fragte sich, wie ihre Schwester auf diese Idee kam. Sie hatte noch nie eine heiße Affäre gehabt. Auch mit Kemp war in dieser Hinsicht alles ziemlich lahm gewesen, obwohl er glaubte, er sei fantastisch im Bett.

„Na ja, der Reporter hat keine Ruhe gegeben. Und du wolltest Kemp doch sowieso abservieren, oder?“

Immerhin hat sie das wohl nicht der Presse erzählt! Paige atmete erleichtert auf. Dass sie mit Kemp Schluss machen wollte, wusste außer den Schwestern niemand. Dennoch hatte sie sein Betrug verletzt, denn er hätte wissen müssen, dass das für die Presse ein gefundenes Fressen war.

„Und nun ist die ganze Welt neugierig auf deinen neuen Lover“, fuhr Nadia bedrückt fort. „Und sie werden versuchen rauszufinden, wer er ist und wo du dich versteckt hast. Zum Glück wissen sie ja nicht, dass du bei Spencer und Chardonnay bist.“

Paige seufzte leise. Wenn Nadia doch einfach nicht auf die Reporter eingegangen wäre, sondern sie mit einem „Kein Kommentar“ abgewimmelt hätte. „Ich verstecke mich nicht, Nadia“, stellte sie richtig. „Ich besuche unsere Verwandten. Das Filmprojekt ist abgeschlossen, und ich mache hier Ferien.“

„Ferien? Na ja, so kann man es auch nennen. Aber sicher hast du dich noch nicht in der Stadt blicken lassen, oder?“

Paige verdrehte die Augen. Nadia konnte sehr hartnäckig sein. „Ich muss jetzt Schluss machen. Die Familie hat mich zum Dinner eingeladen, und ich muss mich noch umziehen. Bis später.“

Schnell beendete sie das Gespräch. Die Medien waren ein gefräßiges Ungeheuer. Aber sie würde ihr Privatleben schützen, solange es ging. Und selbst entscheiden, wann sie sich wieder in der Öffentlichkeit zeigte.

In weniger als einer Stunde war sie auf dem Weg zum Haupthaus. Der Blick über die sanften Hügel war unbeschreiblich schön. Überrascht blieb sie stehen, als sie ein fremdes Auto bemerkte, das dicht vor dem Eingang geparkt war. Erwarteten Spencer und Chardonnay noch einen anderen Gast zum Dinner? Zögernd näherte sie sich der großen schweren Eingangstür, die plötzlich von dem sechzehnjährigen Russell aufgerissen wurde, der Paige mit einem strahlenden Lächeln entgegenlief. „Hallo, Paige!“

„Hallo, Russell!“ Wieder fiel ihr auf, wie sehr er und Daniel ihrem Vater Spencer ähnlich sahen. Die Schwester Chablis dagegen kam ganz nach ihrer Mutter.

„Chablis hilft Mom und Grammy in der Küche“, sagte er eifrig. „Hast du gut geschlafen?“

Also wusste er, dass sie sich jeden Nachmittag hinlegte. „Ja, danke.“

Ganz Kavalier, hielt er die Tür für sie auf und ließ sie eintreten,

„Hallo, Paige“, vernahm sie da eine dunkle, raue Stimme und wandte sich hastig um. Es war Jess Outlaw. Unwillkürlich musste sie lächeln. „Jess! Das ist aber eine Überraschung!“

Eine angenehme, dachte sie. Sie hatten sich nicht oft gesehen, aber wenn, hatte sie sich in seiner Gegenwart immer sehr wohlgefühlt. Vor sechs Jahren waren sie sich das erste Mal begegnet, und er hatte gleich einen großen Eindruck auf sie gemacht. Ja, mehr noch, ihr war ganz heiß vor Erregung geworden, was ihr bisher noch nie passiert war. Und so hatte sie versucht, mit ihm zu flirten, worauf er leider nicht eingegangen war.

Jess kam auf sie zu und umarmte sie. „Wie geht’s dir?“, fragte er leise.

Sie nahm den Kopf zurück und sah zu ihm hoch. Offenbar hatte er mitgekriegt, was in den letzten Wochen durch die Medien ging. „Mir geht’s gut. Aber was führt Sie aus Washington hierher, Senator?“

Er grinste. „Ich mache hier Ferien. Als ich Spencer letzten Monat in Washington getroffen habe, hat er mich eingeladen.“

„Es wird dir hier gefallen.“

„Davon bin ich überzeugt.“

In diesem Augenblick stieß Katherine Russell, Chardonnays Großmutter, die Küchentür auf. „Das Essen ist fertig!“

Jess bot Paige den Arm, den sie lächelnd annahm, und führte sie ins Esszimmer.

2. KAPITEL

Immer wieder ertappte Jess sich dabei, dass er Paige über den Tisch hinweg anstarrte. Ob es bei ihr auch Zing gemacht hatte wie ein superkurzer elektrischer Schlag, als sie ihm die Hand auf den Arm gelegt hatte? Wenn ja, ließ sie sich nichts anmerken.

In seinem Leben hatte er schon viele hübsche Frauen kennengelernt, aber Paige war eine Schönheit. Diese dunkelbraunen Augen, die vollen rosa Lippen, die sie zu einem Lächeln verzog, wenn sie amüsiert war. Wie mochte es sich anfühlen, diese Lippen zu berühren? Wie sie wohl küsste? Und dann das herzförmige Gesicht mit den hohen Wangenknochen, den kleinen Grübchen und der geraden Nase, das dunkelbraune glänzende Haar – Paige Novak war einfach hinreißend. Kein Wunder, dass sie ein erfolgreicher Filmstar war.

Er konnte sich noch gut daran erinnern, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Es war in Denver auf der Hochzeit von Bailey Westmoreland gewesen, die Walker Rafferty, einen engen Freund der Outlaws, geheiratet hatte. Paige war eine der Brautjungfern gewesen und er einer der Trauzeugen.

Das war jetzt über sechs Jahre her. Er hatte die Westmorelands erst wenige Monate vor der Hochzeit kennengelernt, als sie die Outlaws zu Weihnachten eingeladen hatten. Er und seine Geschwister hatten erst von diesen Verwandten erfahren, als ein Privatdetektiv bei ihnen zu Hause in Alaska aufgetaucht war und ihnen eröffnet hatte, dass die Outlaws und die Westmorelands einen gemeinsamen Urgroßvater namens Raphael Westmoreland hätten.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Outlaws nicht gewusst, dass besagter Raphael ihren Großvater entweder adoptiert hatte oder gar sein leiblicher Vater war. Jess’ Vater Bart aber hatte abgestritten, mit den Westmorelands blutsverwandt zu sein, obwohl es Beweise gab. Jess und seine Geschwister fanden das sehr schade, denn sie hätten gern noch weitere Cousins und Cousinen gehabt.

Paige war an diesem Weihnachten nicht dabei gewesen, und so hatte Jess sie das erste Mal auf der Hochzeit gesehen. Er konnte sich noch sehr genau daran erinnern, denn er war sofort von ihr hingerissen gewesen. Offenbar war sie von ihm auch beeindruckt, denn sie fing sofort an, mit ihm zu flirten. Und an den Tagen vor und während der Hochzeitsfeier waren sie unzertrennlich gewesen. Leider hatte daraus nicht mehr werden können, denn Jess war durch seinen Wahlkampf sehr eingespannt gewesen.

Noch lange hatte er an sie denken müssen. Und als er ihr jetzt gegenübersaß, stellte er sich unwillkürlich vor, was wohl aus ihnen geworden wäre, wenn sie sich zu einem anderen Zeitpunkt kennengelernt hätten.

Sie hatte gesagt, es gehe ihr gut. Aber stimmte das? Als Schauspielerin war sie es gewohnt, sich nicht anmerken zu lassen, was sie wirklich empfand. Denn ganz sicher war sie verletzt wegen Kemps Seitensprung, ganz abgesehen von dem Medienspektakel.

Vor ein paar Jahren hatte Spencer ihm erzählt, wie er und Chardonnay sich kennengelernt hatten. Spencer, der schon in jungen Jahren viel Geld als Investor gemacht hatte, war an dem Weingut von Chardonnays Familie interessiert gewesen, das er in ein Ferienresort verwandeln wollte. Er wusste, dass die Russells finanzielle Probleme hatten, und meinte, das Weingut günstig erwerben zu können. Dann war er Chardonnay begegnet, und alle Pläne waren vergessen. Denn es war klar, wie sehr sie an dem Weingut hing.

Spencer hatte sein Ferienparadies trotzdem gebaut, allerdings nicht auf dem Gelände des Weinguts, sondern etwa zehn Meilen entfernt. Das Luxusresort hatte er Windemere genannt.

„Wie gefällt dir dein Leben als Politiker?“, riss Chardonnays Großmutter Jess aus seinen Gedanken.

Lächelnd sah er die alte Dame an, die jeder nur Grammy nannte. „Sehr gut. Für mich ist das alles noch sehr neu und spannend. Man hat mich in das Komitee für Erziehung berufen, und darüber bin ich sehr froh.“

Paige hielt im Essen inne und sah ihn aufmerksam an. „Hat das Komitee nicht bereits Gesetzesvorlagen eingebracht?“

Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. „Woher weißt du das denn?“

„Von Reggie. Er meinte, du hättest ziemlichen Eindruck in Washington gemacht. Gefällt ihm natürlich, dass die Familie jetzt zwei Senatoren dort hat.“

Die Unterhaltung wandte sich dem Familiennachwuchs zu. „Delaney hat Zwillinge gekriegt, und Sheriff Pete Higgins und seine Frau erwarten ihr erstes Kind“, meinte Spencer. Pete Higgins war ein Schulfreund von ihm. Und alle wussten, dass Bane und Crystal zum zweiten Mal Drillinge erwarteten.

Chardonnay lachte. „Die beiden wollten ja immer eine große Familie. Na, dieser Wunsch ist ja nun in Erfüllung gegangen.“

„Wie geht’s deiner Mutter?“, wollte Jess von ihr wissen.

„Gut, glaube ich. Seit Dad sich aus dem Geschäft zurückgezogen hat, sind die beiden viel auf Reisen. Mom hat mich vor Kurzem aus Paris angerufen. Sie werden aber zwei Wochen vor dem großen Fest zurückkommen, um bei den Vorbereitungen zu helfen.“

Natürlich wurde auch über das Weingut gesprochen. Über das Thema ließ sich Chardonnays Großvater besonders gern aus. Doch dann wurde er von seiner Enkelin unterbrochen, die mit einem duftenden Apfelkuchen hereinkam, den Grammy gebacken hatte. Und alle lachten, als Grammy Russell später zum Küchendienst abkommandierte.

„Aber … aber ich wollte Paige doch zurück in ihr Haus bringen, Grammy“, empörte sich Russell.

„Das hast du ja schon in den letzten Tagen getan, mein Sohn“, meinte Spencer lächelnd. „Was Paige bestimmt sehr genossen hat. Aber Jess geht denselben Weg zurück und wird sicher dafür sorgen, dass Paige heil in ihr Quartier kommt.“

„Mit dem größten Vergnügen.“ Jess neigte leicht den Kopf, nickte Paige zu und stand auf. „Von mir aus können wir gehen, wenn es dir recht ist.“

„Selbstverständlich.“ Sie stand auf und lächelte ihn an, warf dann aber noch einen Blick in die Runde. „Vielen Dank für das köstliche Dinner.“ Dann verließ sie mit Jess den Raum.

„Was für eine wunderbare Nacht.“ Paige blickte in den klaren Sternenhimmel.

„Ja.“

Sie holte tief Luft. „Es duftet nach Weintrauben. Letzte Woche habe ich sogar zusehen können, wie die Trauben fermentiert wurden. Sehr interessant.“

„Das glaube ich gern.“ Jess blickte nachdenklich vor sich hin.

Paige sah ihn überrascht an. Was war nur mit ihm los? Er war doch sonst nicht so einsilbig. „Beim Essen hast du gesagt, du würdest eine Zeit lang bleiben.“

„Ja, den ganzen Monat. Hat keinen Sinn, nach Hause zu fliegen. Meine ganze Familie ist verreist. Ich sehe sie dann hier beim großen Fest.“

„Und was hast du in den nächsten Wochen vor?“

„Nichts Besonderes.“ Endlich hob Jess den Kopf und lächelte Paige an. Diese Grübchen! Paige wurde ganz heiß, genau wie vor sechs Jahren, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Da war etwas zwischen ihnen, heute wie auch damals, als er leider nicht auf ihre Flirtversuche eingegangen war.

„Ich will mich eigentlich nur ausruhen“, fuhr er fort. „Mich entspannen und die schöne Landschaft genießen. Und rausfinden, wie die Restaurants hier sind.“ Er grinste. „Als Erstes will ich eine Pizzeria ausprobieren.“

„Du magst Pizza?“ Als Senator, der in Washington sicher nur in den teuersten Restaurants verkehrte? Paige sah ihn ungläubig an.

„Ich liebe Pizza. Ich habe gehört, dass es bei Philippe’s die beste Pizza im Napa Valley gibt. Alle schwärmen davon und meinen, es sei egal, welchen Wein man dazu trinkt.“

Paige lachte. Diesen Scherz hatte auch ihre Agentin Maxie gemacht, als sie hörte, dass Paige auf einem Weingut war. „Ich mag Pizza auch sehr gern.“ Als Jess sie stirnrunzelnd ansah, fragte sie: „Was ist?“

Kurz hob er die breiten Schultern. Und Paige musste zugeben, dass er in Jeans und Sporthemd genauso gut aussah wie in einem Dreiteiler, mit dem er normalerweise im Fernsehen zu sehen war. „Eins verstehe ich nicht“, sagte er schließlich.

„Was denn?“

„Auf dem Weg hierher habe ich im Radio gehört, was Nadia über deine neue Eroberung sagte. Vielleicht irre ich mich, aber du machst nicht den Eindruck, als hättest du gerade eine heiße Affäre.“

Paige lachte. „Nadia hat eine blühende Fantasie. Aber zum Teil stimmt, was sie gesagt hat.“

„Welcher Teil?“

„Dass Kemp und ich nicht mehr zusammen sind und ich darüber längst hinweg bin.“

„Ist ihm das klar?“

„Sollte es, schließlich hab ich es ihm selbst gesagt. Aber wahrscheinlich denkt er immer noch, ich würde meine Meinung ändern.“

„Hat er recht?“

„Um Himmels willen, nein! Das Kapitel ist endgültig abgeschlossen.“

Schweigend gingen sie weiter.

„Wie lange willst du bleiben?“, nahm Jess das Gespräch wieder auf.

„Eigentlich wollte ich in der kommenden Woche wieder fahren. Aber mein nächstes Filmprojekt beginnt erst in ein paar Wochen. Tut gut, ein bisschen Ferien zu machen. Spencer und Chardonnay wollen, dass ich länger bleibe. Und wenn ich sehe, was Chardonnay noch alles bis zu dem großen Fest zu tun hat, sollte ich bleiben, um ihr zu helfen. Also werde ich wohl bis Ende des Monats hier sein. Wie du.“

Hoffentlich kam er jetzt nicht auf die Idee, sie würde seinetwegen bleiben. „Es ist wunderschön hier“, fügte sie deshalb schnell hinzu. „Und die ganze Familie ist so gastfreundlich und verwöhnt einen nach Strich und Faden. Kein Wunder, dass es einem schwerfällt abzureisen.“

„Und du kannst es gebrauchen, mal verwöhnt zu werden.“

„Das ist lieb, Jess, aber es geht mir wirklich gut. An dieser ganzen Kemp-Geschichte ärgert mich nur, dass ich mich so sehr in ihm getäuscht habe.“

Er grinste kurz. „Das geht jedem mal so, glaub mir.“

Ernst sah sie ihn an. „Dir auch?“

„Ja. Das ist jetzt zehn Jahre her.“

Zehn Jahre waren eine lange Zeit. Aber Paige wusste, dass manche Menschen nie über eine enttäuschte Liebe hinwegkamen. War das der Grund, warum Jess immer noch Single war? Im Gegensatz zu seinen Brüdern, die alle glücklich verheiratet waren?

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, seufzte er schwer. „Ava und ich haben uns während des Jurastudiums kennengelernt“, fing er leise an. „Es war uns beiden ernst. Das dachte ich wenigstens. Ich bin davon ausgegangen, dass wir nach dem Examen heiraten. Nach einem Jahr sind wir zusammengezogen. Dann musste ich wegen einer Familienkrise zwei Wochen weg, kam aber schon nach einer wieder zurück.“

Er schwieg, und Paige spürte, wie schwer es ihm fiel weiterzusprechen. „Und da fand ich Ava mit einem anderen Mann im Bett. Sie behauptete, sie hätten zu viel getrunken und so sei es eben passiert.“

Mitfühlend schüttelte Paige den Kopf. „Immer einfach, dem Alkohol die Schuld zu geben.“ Sie lachte kurz auf. „Genau das hat Kemp auch gesagt, als die Sache mit Maya herauskam. Sie hätten zu viel getrunken und nicht mehr gewusst, was sie taten.“

„Tja …“ Jess senkte den Kopf und schob die Hände in die Hosentaschen. „Sieht so aus, als hätten wir Ava und Kemp nicht besonders viel bedeutet, wenn schon der Alkohol sie dazu bringen konnte, uns untreu zu werden.“

„Ja, offenbar.“

Sie blieben stehen, als sie Paiges Cottage erreicht hatten. „Dies ist dein Quartier?“

Paige nickte. „Ja. Und wo ist deins?“

„Ein paar Meter weiter. Nah genug, dass ich schnell bei dir sein kann, falls du was brauchst.“

„Danke, Jess.“

„Gute Nacht, Paige. Und vergiss eins nicht.“

„Was denn?“

„Ein Mann, der dich nicht schätzt und respektiert, verdient dich nicht.“

„Lieb gesagt. Gute Nacht.“ Sie öffnete die Tür und trat ein. Kaum hatte sie die Tür wieder geschlossen, lehnte sie sich dagegen und atmete tief durch. Warum benutzte Jess immer noch das Rasierwasser, das sie schon vor sechs Jahren so betört hatte? Und das sie immer wieder wahrgenommen hatte, wenn sie ihm mehr oder weniger zufällig begegnet war. Es hatte immer unwiderstehlich auf sie gewirkt, und sie war kurz davor gewesen, ihn nach dem Namen zu fragen, um es Kemp zu schenken. Jetzt war sie froh, dass sie das nicht getan hatte. Ausgerechnet Kemp!

Sie ging in die Küche und machte sich einen Tee. Als sie sich an den kleinen Tisch setzen wollte, klingelte ihr Handy. „Jill! Du bist noch nicht im Bett?“

„Ich hatte noch eine Notoperation. Ich bin gerade auf dem Heimweg und wollte wissen, wie es dir geht.“

„Danke, gut. Wie lief die OP?“

„Alles okay. Außerdem rief Aidan mich eben an, um mir zu sagen, dass das Essen fertig sei.“

„Du hast wirklich Glück.“ Aidan Westmoreland war nicht nur Jills Mann, sondern auch ein Cousin von Dillon, Pams Mann. Paige freute sich, dass ihre beiden Schwestern Cousins geheiratet hatten. „Ich möchte auch einen so tollen Kerl wie Aidan finden“, meinte Paige schmunzelnd.

„Das wirst du. Ich hoffe, du hast nach Kemps Fehltritt die Männer nicht vollkommen abgeschrieben.“

„Keine Sorge. Du weißt doch, dass mit Kemp sowieso schon alles so gut wie aus war.“

„Ja, aber er offenbar nicht. Und du bist bestimmt trotzdem enttäuscht, dass ein Mann, dem du dich mal nahe gefühlt hast, dich betrogen hat. Offensichtlich hat er dich nie respektiert, sonst hätte er dir das nicht angetan.“

„Ja, er hat mein Vertrauen missbraucht. Und das war schäbig, aber ich habe ihn längst nicht mehr geliebt.“

„Gut so.“ Jill lachte kurz auf. „Ich kann’s kaum erwarten, was die Medien nun wieder aus dem machen, was Nadia angedeutet hat.“

„Du meinst das mit dem heißen Liebhaber?“ Paige seufzte. „Ich weiß auch nicht, warum ihr nichts Besseres eingefallen ist, und kann nur hoffen, dass sich die Wogen schnell wieder glätten.“

„Ich fürchte, das wird nicht der Fall sein. Nicht nach dem, was Kemp vorhin von sich gegeben hat.“

„Was? Wann denn?“

„Gerade als ich die Klinik verließ, hab ich’s gehört. Als ein Reporter ihn fragte, was er zu Nadias Kommentar zu sagen hätte, hat er behauptet, das sei nicht wahr. Du würdest ihn immer noch lieben und ihr wärt nach wie vor ein Paar.“

„Was? Ich würde ihn noch lieben? Und wir sind immer noch ein Paar? Das ist gelogen, und das weiß er ganz genau. Ich habe mit ihm Schluss gemacht!“

„Offenbar denkt er, du meinst es nicht ernst. So wie er es dargestellt hat, würdest du ihm alles verzeihen. Kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr er sich aufgeplustert hat.“

„Soll er doch denken, was er will“, erwiderte Paige nachdrücklich. „Ich habe seine Telefonnummer blockiert, und er weiß nicht, wo ich bin. Aber was ganz anderes, Jill. Weißt du, wer hier auf dem Weingut noch Ferien macht?“

„Nein, wer?“

„Jess Outlaw.“

„Der Mann aus Alaska?“

„Ja, der Mann aus Alaska. Er hat Senatsferien und wird hier bis zum großen Fest bleiben.“

„Ich erinnere mich, dass du mal in ihn verknallt warst“, sagte Jill und kicherte leise.

Paige hätte sich denken können, dass Jill sich daran erinnerte. „Das ist lange her und hielt nur über die paar Tage, die er in Denver war. Aus den Augen, aus dem Sinn.“

„Ja, aber du hast heftig mit ihm geflirtet, wenn ich mich recht erinnere.“

Leider war er nicht interessiert gewesen. „Wie ich schon sagte, das ist lange her. Ich war damals zweiundzwanzig und hatte keine Erfahrung. Glücklicherweise war er älter und hat meine Naivität nicht ausgenutzt.“

„Ja, das war vielleicht gut.“

Nach dem Gespräch ließ Paige sich auf einen Stuhl sinken und umfasste ihren Teebecher. Hoffentlich hatte Jill recht, und sie fand eines Tages einen Mann, dem sie vertrauen konnte und der ihre Liebe verdiente. In zwei Jahren wurde sie dreißig. Sie liebte die Schauspielerei, hatte aber nicht vor, ihr das ganze Leben zu widmen. Vielleicht konnte sie unterrichten – an einer Schauspielschule oder am College. Aber erst einmal musste sie ihr Privatleben in Ordnung bringen. Und in dem hatte Kemp keinen Platz mehr, ganz egal, was er behauptete.

3. KAPITEL

Jess’ Cottage war genauso warm und gemütlich wie sein kleines Studio in Washington, nur größer. Seine Brüder zogen ihn immer mit dem kleinen Apartment auf, weil er sich als Senator doch zweifellos etwas Größeres leisten könnte. Außerdem gehörte seiner Familie eine große Reederei, die jedes Jahr Milliarden umsetzte. An Geldmangel litt er also nicht gerade.

Aber er brauchte nicht viel Platz und liebte sein kleines Zuhause. Ein Bett, ein Schreibtisch und ein Bad, das genügte. Da er sich das Essen meist kommen ließ, war er mit der kleinen Küchenzeile vollkommen zufrieden. Das Beste war, dass es nur wenige Schritte bis zur U-Bahn waren, mit der er bequem sein Büro erreichen konnte.

Besonders gefiel ihm die Dekoration in diesem Cottage. Die erdfarbenen Töne von Teppich und Einrichtung passten sehr gut zur Umgebung, die Fotos an den Wänden zeigten Szenen von der Traubenernte.

Er machte den Fernseher an, sah das Ende eines Baseballspiels und ging dann in eins der zwei Schlafzimmer, um sich etwas Bequemeres anzuziehen. Mit einem Bier in der Hand ließ er sich auf das Sofa vor dem Fernseher sinken. Er zappte durch sämtliche Kanäle und wollte schon ausmachen, als er auf einem der Popkanäle Paiges Ex sah.

„Ja, natürlich ist Paige nicht glücklich über das, was ich getan habe“, tönte Kemp Pierson. „Ich habe mich auch dafür entschuldigt. Und wir sind beide der Meinung, dass es zwar ein Fehler war, aber nichts, das man nicht wieder aus der Welt schaffen könnte.“

„Was ist denn an dem dran, was Ms. Novaks Schwester gesagt hat? Dass Paige mit Ihnen Schluss gemacht und sich längst anderweitig orientiert hat?“, fragte ein Reporter.

Kemp schüttelte ironisch lächelnd den Kopf. „Vollkommen absurd. Paige liebt mich, da kann ihre Schwester sagen, was sie will. Es gibt keinen anderen, und ich bin überzeugt, dass sich alles zwischen uns klären lässt.“

Damit ließ er den Reporter stehen, der jetzt in die Kamera sah. „Sie haben es selbst gehört. Laut Kemp Pierson sind er und Paige immer noch ein Paar, trotz seiner Affäre mit Maya Roadie.“

Jess zog die Augenbrauen zusammen. Dieser Mistkerl! Glaubte er wirklich, er könne Paige betrügen und dann im TV behaupten, sie würde ihm vergeben, weil sie ihn immer noch liebte?

Er machte den Fernseher aus und ging auf die kleine Terrasse hinter dem Cottage, schloss die Augen und holte tief Luft. Der Duft nach Trauben war hier sogar noch stärker. Als er die Augen wieder öffnete, fiel ihm auf, dass er direkt auf die Terrasse von Paiges Cottage blicken konnte.

Wie schon bei ihrer ersten Begegnung hatten sie sich später immer nur kurz auf Familienzusammenkünften getroffen. Nachdem der Wahlkampf vorbei gewesen war, hatte Paiges Karriere gerade an Fahrt aufgenommen, und sie hatte keine Zeit gehabt. Zwar hatte er oft daran gedacht, sie anzurufen, hatte es dann aber immer aufgeschoben.

Als er dann endlich so weit gewesen war und seine Schwester Charm nach Paiges Telefonnummer gefragt hatte, hatte sie nur abgewinkt. Paige sei mit einem sehr sexy Schauspieler zusammen, und die Sache sehe ernst aus. Das war’s dann wohl. Er hatte mit den Schultern gezuckt, sich aber trotzdem geärgert, dass er damals die Gelegenheit verpasst hatte.

Das Telefon klingelte, es war sein Bruder Sloan. „Hallo, Sloan, was gibt’s?“

„Hast du eben den Blödsinn gehört, den dieser Idiot Kemp von sich gegeben hat?“

Jess trank einen Schluck Bier. „Ja, hab ich. Warum?“

„Es ist eine Unverschämtheit, wie der sich äußert. Das hat sie wirklich nicht verdient.“

„Genau.“

„Ich hoffe nur, dass stimmt, was Nadia den Reportern erzählt hat. Dass Paige längst jemand anderen hat, mit dem sie sich jetzt amüsiert.“

„Warum ist dir das so wichtig?“ Jess beschloss, ihm nicht zu sagen, wo Paige war. Und zwar ohne heißen Lover. Das war allein ihre Sache.

„Ich kenne Kemp Pierson. Eine unserer Firmen hat in einige seiner Filme investiert.“ Jetzt erst fiel Jess ein, dass zu dem Firmenimperium der Familie auch eine Filmproduktionsfirma in Los Angeles gehörte. „Er ist arrogant und total egoistisch“, fuhr Sloan wütend fort. „Und seit er von diesem Magazin zum sexiest man alive gekürt wurde, ist er vollkommen abgehoben.“

„Na ja, immerhin hat Paige ihn wohl mal geliebt“, meinte Jess. Und wenn Kemp recht hatte, liebte sie ihn immer noch. Der Mann schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein.

„Das kann ich eben auch nicht begreifen. Paige ist eine schöne Frau und nicht dumm. Sie könnte jeden haben.“

„Aber Pierson ist nun mal der sexiest man alive“, konterte Jess und war gespannt, was Sloan darauf antworten würde.

„Aber Aussehen ist doch nicht alles, Jess. Er ist nicht gerade beliebt. Auch die Westmorelands können ihn nicht leiden. Derringer fand ihn unmöglich, und Zane meinte sogar, das Ganze sei eine abgekartete Sache von der Produktionsfirma und Teil der Verträge. Wegen der Publicity. Könnte natürlich sein.“

„Wie meinst du das?“

„Dass Kemp und Paige nur so getan haben, als seien sie verliebt. Das könnten ihre jeweiligen Agenten ausgehandelt haben. Davon hätten beide profitiert.“

„Glaubst du, dass es so war?“ Jess fand den Gedanken sehr angenehm.

„Wir waren alle davon überzeugt. Aber dann hat Zane Paige danach gefragt, und sie hat nur gelacht und ihm versichert, dass das nicht der Fall sei. Und da sie und Zane sich gut verstehen, hat sie ihn bestimmt nicht belogen.“

Schade. Jess versuchte, seine Enttäuschung zu unterdrücken. Um das Thema zu wechseln, fragte er Sloan nach seiner Hochzeitsreise.

„War ganz toll, vor allem unsere Fahrt quer durch den Kontinent. Das wollten wir immer schon mal machen. Aber nun freue ich mich auf das große Fest Ende des Monats, an dem wir uns alle wiedersehen.“

„Ich mich auch. Bis dann, Sloan.“

Jess steckte sein Handy ein und trank sein Bier aus. In Paiges Cottage wurde es dunkel. „Gute Nacht“, flüsterte er. Er freute sich jetzt schon, Paige morgen früh wiederzusehen.

Am nächsten Morgen trat Paige aus der Tür und blickte in den hellen Himmel. Welch ein wundervoller Tag, ideal zum Laufen, dachte sie. Vor einigen Jahren hatte sie mit Joggen angefangen, um für die Rolle einer Leistungssportlerin zu trainieren. Doch auch nach Abschluss der Dreharbeiten war sie dabegeblieben, wenn sie auch nicht mehr drei bis fünf Meilen täglich joggte. Hier auf dem Weingut hatte sie bereits verschiedene Pfade ausfindig gemacht, von denen einer zu einer großen Lichtung an einem See führte.

Nachdem sie etwa zwei Meilen gelaufen war, verringerte sie das Tempo und blieb schließlich stehen, um Atem zu schöpfen. Sie ließ den Blick über die sanfte Hügellandschaft schweifen. Wunderschön. Da hörte sie ein leises Hüsteln. Hastig drehte sie sich um. Jess!

„Guten Morgen, Paige. Offenbar gehst du auch gern früh laufen.“

Sie starrte ihn an. Warum musste der Mann auch so verdammt attraktiv sein. Sein Oberkörper war nackt und glänzte vor Schweiß. Unwillkürlich ließ sie den Blick über die breiten Schultern, den muskulösen Brustkorb und die kräftigen Arme wandern. Selbst sein Bauch war flach und offenbar hart wie ein Brett. Es schien ganz so, als sei er schon länger unterwegs. Fasziniert beobachtete sie, wie sich ein dicker Schweißtropfen von der Brust löste, über den Bauch lief und unter dem Taillenbund der knappen Shorts verschwand. Ihr wurde der Mund trocken …

„Paige?“

Sie schreckte zusammen. „Äh, ja, aber heute lass ich es ruhiger angehen. Du bist wahrscheinlich schön länger unterwegs, oder?“

„Ja.“ Er zog ein Tuch aus der Hosentasche und wischte sich die Stirn ab. „Ich bin schon vor Sonnenaufgang los. Normalerweise laufe ich fünf Meilen pro Tag. Aber da ich dieses Jahr beim Rock’n-Roll-Marathon in Washington mitmachen will, muss ich gut in Form sein und habe mein Pensum auf sieben Meilen erhöht.“

Wieder sah sie auf seinen muskulösen Oberkörper. Besser in Form konnte man nun wirklich nicht sein.

„Und du? Wann hast du mit dem Joggen angefangen?“

„Was? Also …“ Reiß dich zusammen! „Ich? Eigentlich wegen einer Filmrolle. Hat mir gutgetan, und so bin ich dabeigeblieben. An manchen Tagen fällt es mir allerdings schwerer als an anderen.“

„Geht mir genauso.“

Wie gut, dass er nicht Gedanken lesen konnte und nicht wusste, woran sie eben gedacht hatte – an seine Berührungen, seine Hände, seinen Mund.

„Okay“, sagte er schließlich, als von ihr nichts weiter kam, „dann lasse ich dich jetzt mal weiter laufen. Ich muss noch duschen, bevor ich bei Bruno’s frühstücke.“

„Bruno’s? Wo ist das denn?“

„Mitten in der Stadt, und Chardonnay und Spencer meinen, dass es da die besten Waffeln gibt. Ich würde dich ja fragen, ob du mitkommen willst, aber ich weiß, dass du dich noch nicht in der Öffentlichkeit sehen lassen willst.“

Damit hatte er leider recht. „Stimmt. Also guten Appetit! Wir sehen uns dann später beim Dinner.“

„Ja. Und viel Spaß noch.“ Er drehte sich um und verschwand.

Sie sah ihm lange hinterher. Ihr Herz schlug immer noch schnell. Jess Outlaw hatte wirklich einen fantastischen Körper. Und nett war er außerdem.

Eine Stunde später war sie wieder zurück in ihrem Cottage. Kurz danach rief Chardonnay an und fragte, ob sie zum Frühstück kommen wolle. Sie sei allein. Spencer war ins Windemere Resort gefahren, die Großeltern waren mit dem Golfcart unterwegs, und da ihr Sohn Russell schon einen Führerschein hatte, wollten sich die Kinder in der Stadt mit ein paar Freunden treffen. Die Schule ging erst in zwei Wochen wieder los. Daher wollte Chardonnay die Zeit nutzen und mit Paige die To-do-Liste durchgehen. Vor dem großen Fest war noch viel zu tun.

„Ja, gern, Chardonnay. Ich muss nur noch duschen.“ Paige hatte kaum ihre Joggingsachen ausgezogen, als ihr Handy schon wieder klingelte. „Hallo, Nadia.“

„Morgen. Stimmt es, dass der Mann aus Alaska mit dir zusammen ist?“, sprudelte es aus Nadia heraus.

Offenbar hatte Nadia mit Jill gesprochen. Paige seufzte leise. „Ja. Aber deshalb brauchst du doch nicht so zu schreien. Ich bin nicht schwerhörig. Und um eins klarzustellen: Jess ist nicht mit mir zusammen, sondern macht Ferien hier auf dem Weingut.“

„Das ist ja super!“

„Wieso ist das super?“

„Weil Kemp im Vergleich mit Jess eine Null ist.“

Stimmt. „Und weshalb ist das wichtig?“

Nadia lachte leise. „Nun tu doch nicht so. Weil jeder, der euch zusammen sieht, glaubt, dass Jess der neue heiße Typ in deinem Leben ist.“

Paige schüttelte den Kopf. Das war wieder typisch Nadia. „Zum einen ist Jess nicht der neue heiße Typ in meinem Leben, und zweitens möchte ich nicht, dass irgendjemand auf diese Idee kommt. Jess und ich machen zufällig gerade beide hier Urlaub. Wir sind also nicht in dem Sinn zusammen, und es wäre nicht fair ihm gegenüber, wenn so etwas verbreitet würde. Außerdem bin ich sicher, dass er eine Freundin hat.“

„Hat er nicht. Ich habe mit Maverick gesprochen und …“

„Wow! Du hast mit Maverick gesprochen?“

„Ja, er hat gestern Abend aus Irland angerufen. Er hatte ein Paar kennengelernt, das aus Gamble kommt. Und ich erinnere mich, dass der Mann mit Jillian zur Schule gegangen ist. Die Welt ist klein, was?“

„Okay, okay, aber wie bist du auf die Idee gekommen, Maverick nach Jess’ möglicher Freundin zu fragen?“

„Nur so. Ich war neugierig, als er erwähnte, dass Jess auf dem Weingut Ferien macht.“

Dann hatte Maverick Nadia erzählt, wo Jess war, und nicht Jill. „Na und?“

„Ich habe eine tolle Idee, Paige!“

Paige kannte ihre Schwester nur zu gut. „Was auch immer dir an Verrücktem durch den Kopf gegangen ist, vergiss es.“

„Du weißt doch noch gar nicht, was es ist.“

„Dann schieß schon los.“ Nadia war hartnäckig, das wusste Paige.

„Du hast doch sicher gehört, was Kemp über euch gesagt hat. Er tut ja gerade so, als könnte er dich um den kleinen Finger wickeln. Und außerdem meinte er, dass ich gelogen habe. Unverschämt!“

„Aber du hast gelogen“, erinnerte Paige sie sanft.

„Ja, aber das weiß er doch nicht. Diese großkotzigen Typen kann ich nun mal nicht leiden. Außerdem wissen wir beide, dass du seit einem halben Jahr nicht mehr mit ihm geschlafen hast und er im Bett sowieso eine ziemliche Null war.“

Nicht zum ersten Mal bedauerte Paige, dass sie Jill und Nadia in so vieles einweihte. Sie konnte sich zwar darauf verlassen, dass die beiden es nicht weitererzählten, aber vielleicht sollte sie einiges doch für sich behalten.

„Kümmer dich doch nicht um das, was Kemp sagt, Nadia“, versuchte sie ihre Schwester zu beruhigen. „Er hat sowieso schlechte Karten, wenn rauskommt, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun habe.“

„Aber es kann doch nichts schaden, wenn er erfährt, dass du ihn wegen eines anderen Mannes verlassen hast! Das wird seinem aufgeblasenen Ego einen ordentlichen Dämpfer verpassen.“

„Mag sein, aber ich will momentan nichts anderes, als ihn einfach zu ignorieren.“

„Begreifst du nicht, dass es dann für die ganze Welt so aussieht, als versteckst du dich, weil dir peinlich ist, dass er dich betrogen hat? Dass du dich schämst? Du steckst in der Opferrolle, während Kemp sich vor den Kameras damit brüstet, dass du ihn immer noch liebst und ihm vergeben wirst.“

„Ist mir doch egal, was er sagt.“

„Das sollte dir aber nicht egal sein, Paige. Denk doch an deine Fans. Viele junge Frauen bewundern dich. Wie wird es wohl bei denen ankommen, wenn du dich von Kemp so schäbig behandeln lässt? Sie müssen denken, du nimmst alles hin, was ein Mann dir antut. Ein Typ wie Kemp sollte nicht so leicht davonkommen.“

Vielleicht hatte Nadia nicht ganz unrecht, aber Paige hatte momentan wirklich keine Lust, mit ihr über das Thema zu sprechen. „Ich weiß, du meinst es gut, Nadia. Aber ich muss jetzt wirklich duschen und mich umziehen.“

„Warum? Du versteckst dich doch vor der Welt. Da ist es egal, was du anhast.“

Dann hielt Nadia sie also wirklich für feige, weil sie der Konfrontation mit Kemp und den Medien aus dem Weg ging? „Lass uns später darüber sprechen, Nadia. Bis bald.“

Paige warf das Handy auf den Tisch. Nadia war ganz eindeutig enttäuscht von ihrer großen Schwester. Das tat Paige leid, aber sie wollte jetzt nicht länger darüber nachdenken.

„Danke, dass du mir bei den Vorbereitungen helfen willst.“ Chardonnay gab Paige eine Liste. „Ich weiß, du willst die Öffentlichkeit vorläufig meiden. Deshalb habe ich zusammengestellt, was du von hier aus erledigen kannst.“

Opfer, verstecken, meiden … bin ich das wirklich? Das gefiel Paige überhaupt nicht. Hatte Nadia recht? Würde sie wirklich als Opfer vor den jungen Frauen dastehen, die sie sonst immer für ihr Selbstbewusstsein und ihre Unabhängigkeit bewundert hatten?

Aber war es nicht ihre eigene Entscheidung, wie sie mit dieser Kemp-Geschichte umging? Hatte sie nicht das Recht, den Medien aus dem Weg zu gehen, wenn sie es so wollte? Andererseits wusste sie, dass von Stars erwartetet wurde, auch ihr Privatleben mit den Fans zu teilen. Oh, wie sie es hasste, von Kemp in diese Situation gebracht worden zu sein.

„Alles in Ordnung, Paige?“ Chardonnay sah sie fragend an.

„Ja, ja. Warum?“

„Ich habe dich dreimal was gefragt, und du hast nicht reagiert. Als seist du auf einem anderen Stern.“

„Entschuldige. Ich musste an etwas denken, das meine Schwester zu mir gesagt hat.“ Paige warf Chardonnay ein betont munteres Lächeln zu. „Ich freue mich, dir helfen zu können. Lass uns anfangen.“

„Bist du sicher?“

„Ja. Mir geht momentan nur viel im Kopf rum.“

Chardonnay nickte mitfühlend. „Kann ich mir vorstellen. Ich habe gehört, was Kemp vorhin im Fernsehen von sich gegeben hat.“

„Ich habe es selbst nicht gesehen. Man hat mir nur davon erzählt. Und Nadia meint, ich sollte was dagegen unternehmen, anstatt mich hier zu verstecken, wie sie es nennt.“

„Und? Wirst du was dagegen tun?“

„Ich weiß nicht. Ich wünschte, die Medien würden sich auf einen anderen Skandal stürzen. Aber das werden sie nicht tun. Sie werden es ausschlachten, solange es irgend geht.“

Chardonnay legte Paige die Hand auf den Arm. „Was immer du entscheidest, es wird das Richtige für dich sein.“

Wenn ich davon doch auch überzeugt wäre.

4. KAPITEL

Später setzte Jess sich auf seine kleine Terrasse und checkte seine E-Mails. Außerdem war er neugierig, was sich momentan in Washington tat. Nicht viel, wie er gleich darauf feststellte. Was ihn nicht verwunderte, denn während der Parlamentsferien waren die meisten Politiker in ihre Heimat gereist.

Er blickte von seinem Laptop auf, als drüben bei Paige eine Tür klappte. Sie überquerte ihre Terrasse und trat auf den Hof, der die vier Gästehäuser verband. Vom Hof gingen verschiedene Wege ab, was Jess gestern schon aufgefallen war. Ein Weg führte zu einem großen Pool, ein anderer zu einem kleinen Teich mit einer Fontäne, der von seiner Terrasse aus gut zu sehen war. Außerdem gab es eine Art Wintergarten, der von Steineichen und Palmen umgeben und von dichten Büschen eingerahmt war. Ein Liebesnest? Er lächelte bei dem Gedanken.

Paige hielt den Kopf gesenkt und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Sollte er sich bemerkbar machen? Nein, lieber nicht. Sie sollte nicht das Gefühl haben, beobachtet zu werden. Also blieb er still sitzen und betrachtete sie.

Sie war wirklich wunderschön. Als er sie heute Morgen beim Joggen getroffen hatte, hatte sie ihr Haar in einem lockeren Knoten zusammengefasst, so wie jetzt auch. Ein paar Locken umrahmten ihr Gesicht. Sie trug ein leichtes Sommerkleid, das ihre schlanken, straffen Arme und Beine sehen ließ. Er beobachtete, wie sie sich auf eine Bank vor den Teich setzte, aber offenbar gar nicht wahrnahm, wo sie war.

Sie wirkte bedrückt. Er hatte gehört, was Pierson gesagt hatte, und mitgekriegt, wie sich die Reporter auf die Neuigkeiten stürzten. Offenbar war es nicht so, wie Nadia gesagt hatte. Dass Paige längst jemand anderen hatte. Schade, denn Pierson war ein übler Typ, und Jess wünschte sich, Paige würde sich öffentlich wehren. Andererseits war es natürlich allein ihre Sache, wie sie auf Kemps Behauptungen reagierte.

Er klappte den Laptop zu, griff nach seiner leeren Bierflasche und ging ins Haus. Als er zwanzig Minuten später wieder herauskam, saß Paige immer noch auf der Bank und sah traurig vor sich hin. Ihr Anblick versetzte Jess einen Stich, und er konnte nicht anders, er musste zu ihr gehen. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie ihn erst bemerkte, als er direkt vor ihr stand. Hastig fuhr sie hoch.

„Entschuldige, Paige. Ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Oh, Jess! Ich dachte, du wärst noch in der Stadt.“

Das hatte er ursprünglich auch vorgehabt. Aber dann hatte er in dem Restaurant gesessen und nur an Paige denken können. Nicht nur, wie sexy sie in dem Joggingoutfit ausgesehen hatte, sondern auch, was sie wohl durchmachen musste. Er hatte die Überschriften in den Zeitungen gelesen.

„Wollte ich eigentlich auch, aber dann dachte ich daran, meine Mails zu checken und zu sehen, was in Washington so los ist, hatte aber meinen Laptop nicht dabei.“

„Aber du hast doch jetzt Ferien und solltest den Alltag mal hinter dir lassen.“

„Ich weiß. Ist wohl die Macht der Gewohnheit. Du siehst aus, als könntest du ebenfalls nicht abschalten.“ Er sah, wie sie sich versteifte. Offenbar litt sie wirklich sehr. Und ihr Problem war Kemp, weil sie diesen Kerl geliebt hatte. Das konnte er nur zu gut nachempfinden. War es ihm damals nicht genauso gegangen, als Ava ihn verlassen hatte?

„Ja, da ist so was wie die Macht der Gewohnheit, die ich gern hinter mir lassen würde“, erklärte sie leise. „Das fing bereits an, als ich Schauspielerin wurde.“

„Und was genau ist das?“

„Dass ich mich so verhalte, wie andere es von mir erwarten. Das ist eigentlich gegen meine Natur.“ Sie lachte traurig. „Früher habe ich mich nicht darum gekümmert, was andere für richtig hielten. Hab getan, was ich wollte.“

„Und wann hast du damit aufgehört?“

Sie blickte in ihren Schoß und schwieg. „Wenn du in der Filmbranche Erfolg haben willst, musst du ein Image von dir entwickeln, das allgemein geschätzt wird, nicht nur von den Bossen, sondern auch vom Publikum. Du hast einen PR-Berater, der alles vorgibt, was du zu tun und zu lassen hast. Und irgendwann hörst du auf, du selbst zu sein, weil das deiner Karriere schaden könnte.“

„Und so ist es auch bei dir gelaufen? Du hast dich Hollywood quasi unterworfen?“

„Ja, so ziemlich. Aber ich habe dieses Leben mit der Zeit akzeptiert.“ Sie seufzte. „Bevor ich herkam, habe ich mit meiner Agentin Maxie gesprochen. Sie meint, ich sollte eine Erklärung abgeben.“

„Nämlich welche?“

„Sie meint, ich sollte Kemp nicht widersprechen. Sollte behaupten, ich hätte zwar in den letzten Wochen Zeit gebraucht, um über ein paar Dinge nachzudenken, aber Kemp und ich seien weiterhin ein Paar. Sie hält den Zeitpunkt für falsch, jetzt über unsere Trennung zu reden.“

Jess war entsetzt. „Wie kann sie so was von dir verlangen? Nach allem, was Kemp dir angetan hat …“

„Wahrscheinlich weil er immer noch als supersexy gilt und es gut für meine Karriere wäre, weiterhin an seiner Seite zu sein.“

„Aber ist dir deine Karriere wichtiger als dein Stolz?“

Bei seinem scharfen Tonfall hob sie den Kopf und sah ihn an. Als sich ihre Blicke trafen, hatte er plötzlich das Gefühl von einer sehr engen Verbindung, einem tiefen Verständnis. Seit Ava hatte er so etwas nicht mehr empfunden. Dann wandte sie den Kopf zur Seite, und er fragte sich, ob sie wohl etwas Ähnliches gespürt hatte.

Kurz darauf sah sie ihn wieder an und lächelte. „Nein. Aber Maxie ist davon überzeugt, ich sollte mich mit Kemp versöhnen.“

„Und? Ist es denn so wichtig, was deine Agentin will? Was willst du denn?“

Wieder schwieg Paige eine Weile. „Möchtest du das wirklich wissen?“, fragte sie dann ernst. „Ich will das tun, was Nadia den Reportern erzählt hat. Ich möchte eine eindeutige Erklärung abgeben, dass ich von Kemp getrennt bin und inzwischen jemand anderen habe.“

„Dann tu das doch, wenn du es wirklich willst.“

Paige lächelte traurig. „Das sagt sich so leicht, Jess. Etwas zu wollen und es dann auch zu tun sind leider zwei sehr verschiedene Dinge.“

„Aber das muss doch nicht so sein.“

Jess hatte sich gegen einen Baumstamm gelehnt und die Hände in die Hosentaschen gesteckt. Die Hemdsärmel hatte er hochgerollt, sodass seine muskulösen Unterarme zu sehen waren. Paige musterte ihn verträumt. Seit wann fand sie männliche Unterarme so sexy? Aber auch der intensive Blick aus seinen dunklen Augen elektrisierte sie.

„Doch, sofern man seine Karriere nicht ruinieren will“, sagte sie schnell. „Aber vielleicht würde ich das sogar riskieren. Das Hauptproblem ist, dass ein solcher Mann, ein heißer Lover, wie Nadia meint, gar nicht existiert. Es gibt diesen Mann in meinem Leben nicht.“

„Und wenn du nun mit einem Typen an deiner Seite gesehen wirst?“

Lächelnd lehnte sie sich zurück. „Dann sähe Kemp alt aus, weil er behauptet hat, ich hätte keinen anderen Mann.“

Jess stieß sich vom Baumstamm ab und setzte sich neben sie. Kurz stockte ihr der Atem. Bildete sie sich das nur ein, oder konnte sie seine Körperwärme spüren? Oder war es ihre eigene Hitze, die sie empfand, weil er so dicht neben ihr saß? Unwillkürlich musste sie an ihre erste Begegnung vor sechs Jahren denken. Genauso war es ihr damals ergangen. Zum ersten Mal in ihrem Leben.

„Darf ich dich noch etwas fragen, Paige?“ Jess sah ihr tief in die Augen.

Sie nickte und befeuchtete sich unbewusst die Lippen, als sie auf seinen Mund blickte. Wie er wohl küsst?

„Hättest du denn etwas dagegen, deinen Ex bloßzustellen?“

Verblüfft starrte sie ihn an. Wie kam er jetzt darauf? „Aber nein, überhaupt nicht, das kannst du mir glauben.“ Sie schüttelte lachend den Kopf. „Aber wenn ich so einen Mann an meiner Seite haben und so tun will, als seien wir eng befreundet, muss ich mich an einen dieser Escort-Dienste wenden. Und das ist mir zu gefährlich. Wenn das rauskäme, würde ich mich fürchterlich blamieren.“

„Das meine ich auch nicht. Aber ich kenne jemanden, der sich kostenlos als dein Freund ausgeben und von dem keine Gefahr ausgehen würde.“

„Und wer ist dieser Wundermann?“

„Ich.“

Schnell stand Jess auf und trat ein paar Schritte zurück. Er brauchte Abstand, denn am liebsten hätte er Paige von der Bank gezogen, sie in die Arme genommen und fest an sich gedrückt. Und sie geküsst … Er sehnte sich nach ihr, er begehrte sie. Aber genau das konnte Paige jetzt nicht gebrauchen – einen Mann, der scharf auf sie war.

„Du?“ Aus weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an.

„Ja, ich. Warum nicht?“

Langsam musterte sie ihn von oben bis unten, und er konnte ihren Blick förmlich spüren. „Ja, warum eigentlich nicht?“, sagte sie gedehnt. „Aber …“

„Gut“, unterbrach er sie schnell. „Dann bewerbe ich mich um den Job.“

„Das kann doch nicht dein Ernst sein.“

„Doch, warum nicht?“

Sie zog die schmalen Augenbrauen zusammen und musterte ihn skeptisch. „Ist das Nadias Idee? Sei ehrlich, Jess.“

„Nein. Ich habe schon seit Ewigkeiten nicht mehr mit ihr gesprochen. Wie kommst du darauf?“

„Weil sie etwas Ähnliches vorgeschlagen hat, als ich heute Morgen mit ihr telefonierte. Ich habe ihr erzählt...

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