Briana sucht das Glück

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Warum muss ausgerechnet Fraser Moore ihr neuer Kollege sein? Briana kann den Kinderarzt nicht ausstehen. Aber seine Tochter ist ihr Patenkind und braucht ihre Fürsorge. Je mehr Zeit sie mit beiden verbringt, desto größer wird ihr Wunsch nach einer eigenen kleinen Familie …


  • Erscheinungstag 17.10.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536004
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Robert Langley betrat das Asherwick General Hospital mit dem guten Gefühl, endlich wieder zu den Helfenden zu gehören und nicht zu denen, die Hilfe brauchten. In den letzten Monaten hatte er erlebt, wie es sich anfühlte, Patient zu sein. Wie es war, mit geplatztem Blinddarm per Hubschrauber evakuiert zu werden. Nach einer Blutvergiftung mit Nierenversagen im Krankenhaus zu liegen und auf Dialyse angewiesen zu sein. Zeitgleich mit seinem Zwillingsbruder Oliver in zwei benachbarten OPs zu liegen, weil sein Bruder ihm eine Niere spendete. Und sich nach der Transplantation bei seinen Eltern zu erholen. Seine Mutter hatte ihn vor lauter Sorge regelrecht in Watte gepackt.

Das letzte halbe Jahr war ziemlich anstrengend gewesen. Rob hatte sich damit abfinden müssen, dass er nie wieder als Freiwilliger für seine Hilfsorganisation würde arbeiten können. Mit nur noch einer funktionierenden Niere war das einfach zu riskant. Und das Bergrettungsteam, bei dem er Mitglied gewesen war, hatte ihm für die Zeit nach seiner Genesung eine zwar neue Aufgabe angeboten – aber am Schreibtisch.

Seit einer gefühlten Ewigkeit war Rob nicht mehr geklettert. Er hatte nichts Riskanteres getan, als mit seinem Zwillingsbruder Schach zu spielen. Und gearbeitet hatte er auch schon seit Monaten nicht mehr – bis auf das eine Mal, als er Ollie vertreten hatte, als medizinischer Betreuer bei einem Benefiz-Radrennen.

Rob sehnte sich nach ein bisschen Normalität. Er wünschte sich sein Leben zurück, sein schönes, abwechslungsreiches, ein wenig hektisches Leben. Den ersten Schritt hatte er am Wochenende gemacht. In der Genesungszeit nach der OP hatte er sich das Haar wachsen lassen, sodass ihm der Pony wie bei seinem Zwillingsbruder in die Augen gefallen war. Doch am Samstagmorgen war er zum Friseur gegangen und hatte sich das Haar wieder ganz kurz schneiden lassen. Seit ein paar Tagen hatte er sich auch nicht mehr rasiert. Und als er an diesem Morgen in den Spiegel sah, blickte ihm endlich wieder sein altes Ich entgegen – und nicht mehr der Patient, der auf andere angewiesen war.

Zwar gab sein Arzt ihm noch kein grünes Licht fürs Klettern, in Teilzeit arbeiten durfte er aber wieder. Daher hatte Rob vorübergehend eine Stelle als Assistenzarzt in der Notaufnahme des Asherwick General Hospital angenommen, für drei Tage in der Woche. Er war unendlich froh, wieder zu arbeiten. Dass ihn hier niemand kannte, war ihm sehr recht: Denn so würde ihn niemand ermahnen, dass er sich nicht überanstrengen solle.

Das würde er ohnehin nicht tun, schließlich wollte er auf keinen Fall einen Rückfall erleiden und wieder ans Bett gefesselt sein. Er freute sich darauf, wieder zuallererst als Arzt wahrgenommen zu werden und nicht als Patient, der sich von einer Nierentransplantation erholte. Er würde wieder den Beruf ausüben, in dem er viele Jahre ausgebildet worden war und für den er großes Talent hatte.

„Hallo! Mit Ihnen habe ich hier gar nicht gerechnet“, sagte plötzlich eine Frau zu ihm.

Rob hatte sie noch nie zuvor gesehen. Und er hätte sich bestimmt an sie erinnert. Sie war zierlich, hatte dunkles Haar im Pixie-Schnitt, große braune Augen, ein herzförmiges Gesicht und einen sinnlichen Mund – sie erinnerte ihn ein bisschen an die junge Audrey Hepburn. Nur dass sie kein kleines Schwarzes trug, sondern einen weißen Arztkittel.

„Dr. Florence Jacobs“ stand auf ihrem Namensschild, sie war also vermutlich eine zukünftige Kollegin.

Bevor Rob etwas erwidern konnte, fragte sie: „Wie geht es denn Ihrer Patientin mit der Varizellen-Pneumonie, mit der Sie vor ein paar Wochen hier waren?“

„Ich glaube, Sie verwechseln mich“, erwiderte er.

Die Frau runzelte die Stirn. „Nein, bestimmt nicht. Das waren Sie – Sie hatten bloß eine andere Frisur.“

Nun verstand er. „Ach, dann war es bestimmt mein Zwillingsbruder Oliver“, erklärte Rob. Ollie setzte sich immer sehr für seine Patienten ein. „Ich kann ihn aber gerne nach der Patientin fragen, wenn Sie möchten.“

„Nein, danke, nicht nötig.“ Seine neue Kollegin errötete.

Weil ihr das Missverständnis offenbar peinlich war, sagte er: „Fangen wir doch einfach von vorne an: Guten Morgen, ich heiße Robert Langley und bin der neue Assistenzarzt in Teilzeit. Meine Freunde nennen mich Rob.“

„Freut mich. Florence Jacobs, Fachärztin.“ Eine Kurzform ihres Namens nannte sie nicht. Hielt sie lieber professionelle Distanz zu Kollegen, oder kürzte sie ihren Namen einfach nicht ab?

Als Rob ihr die Hand gab, prickelte seine Haut. Kein gutes Zeichen.

Er musste sich schließlich auf seine neue Arbeit konzentrieren und durfte sich nicht ablenken lassen. Selbst wenn Florence Single und an ihm interessiert sein sollte – er war ja nur für ein paar Monate hier und würde dann wieder seine Stelle in Manchester antreten.

Für Rob war es zwar kein Hindernis, wenn eine Beziehung nicht von Dauer war, aber ob Florence an so etwas interessiert wäre?

Nein, es war besser, der Anziehung nicht nachzugeben. Sein Leben war in den letzten Monaten schon kompliziert genug gewesen. Darum wollte er sich jetzt auf sich und seine Arbeit konzentrieren.

Weder wollte er mit Erwartungen konfrontiert werden, die eine Frau an ihn haben könnte, noch wollte er ihr wehtun, wenn er sich zu langweilen begann – und das passierte ihm schnell.

„Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen unsere Teeküche für die Mitarbeiter“, schlug Florence vor. „Sie sind heute mit mir zusammen im Wiederbelebungsbereich eingeteilt. Sagen Sie mir also einfach Bescheid, wenn Sie etwas brauchen. Und herzlich willkommen im Asherwick General!“

Rob schenkte ihr sein schönstes Lächeln. „Super, vielen Dank.“

Robert Langley war einfach atemberaubend. Er sah aus wie der junge Hugh Grant, nur mit sehr kurzem Haar und Drei-Tage-Bart, der Florence allerdings sehr gefiel. Und diese strahlend blauen Augen …

Am liebsten hätte sie sein Gesicht berührt, um herauszufinden, wie sich sein Bart anfühlte. Doch sie hatte die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass es mit gebrochenem Herzen, zerplatzten Träumen und einer Scheidung endete, wenn man sich auf einen Mann einließ. Auf keinen Fall würde sie also der Anziehung nachgeben, die der neue Assistenzarzt auf sie ausübte.

Bei seinem Aussehen standen die Frauen sicher reihenweise Schlange – wenn er nicht schon seit Jahren verheiratet war.

Also schaltete Florence in den freundlich-professionellen Modus um, lächelte und zeigte ihm die Küche.

„Wir zahlen alle einmal monatlich einen Beitrag an Shobu vom Empfang für die Kaffeekasse. Sie sorgt dann dafür, dass wir immer mit ausreichend Tee, Kaffee und so weiter versorgt sind.“ Sie wies auf den Schrank. „Hier finden Sie Becher und Teller, Besteck ist in der Schublade, und mit ein bisschen Glück hat heute jemand Geburtstag und bringt Kuchen mit.“

„Oder jemand hat seinen ersten Arbeitstag und möchte den neuen Kollegen und Kolleginnen eine Freude machen.“ Rob stellte eine Tüte auf die Arbeitsfläche. „Kuchen, Käsestangen und Obst.“

„Ein sehr guter Einstieg!“ Florence lächelte. Seine Auswahl zeigte, dass er an mögliche Unverträglichkeiten gedacht hatte – sehr rücksichtsvoll. Das gefiel ihr.

Rob packte seine Mitbringsel aus. „Bitte bedienen Sie sich! Alles Gute von Ihrem neuen Kollegen Rob Langley“, hatte er auf ein Schild geschrieben.

Nach einem Blick auf die Uhr sagte er: „Für einen Kaffee ist jetzt keine Zeit mehr – sonst können wir keine vernünftige Übergabe machen, ohne dass die Kollegen ihre Schicht überziehen müssen.“

Rob Langley wurde ihr immer sympathischer. Offenbar war er ein echter Teamplayer, und genau so jemanden brauchten sie.

Auf dem Weg zu ihrem heutigen Einsatzort stellte Florence ihn allen vor, denen sie unterwegs begegneten. Als sie angekommen waren, klingelte das Telefon. Sie ging ran, machte sich ein paar Notizen und legte auf.

„In zehn Minuten trifft ein älterer Patient ein, der sich bei einem Sturz den Kopf angeschlagen und viel Blut verloren hat. Im Krankenwagen ist er kollabiert, konnte aber stabilisiert werden“, berichtete sie schnell. „Er ist auch leicht verwirrt.“

„Angezeigt sind also eine Kreuzprobe des Blutes, eine Infusion und eventuell eine Bluttransfusion, dann ein CT-Scan vom Kopf bis zur Hüfte, um mögliche Verletzungen zu ermitteln“, erwiderte Rob.

„Genau“, sagte Florence, die seine Einschätzung teilte.

Beim Eintreffen des Patienten war alles bereits vorbereitet. Als die Sanitäter von ihren Maßnahmen berichteten, bemerkte Florence, dass der Blutdruck des Mannes aufgrund des Blutverlusts niedrig war.

„Mr. Walker, wissen Sie, wo Sie sind?“, fragte Rob ihn.

„Nicht zu Hause, oder?“ Der ältere Mann klang verwirrt.

„Nein, Sie sind im Asherwick General Hospital.“

„Erinnern Sie sich, was passiert ist?“, erkundigte sich Florence.

„Nein.“ Mr. Walker schüttelte den Kopf und zuckte zusammen. „Mir tut der Nacken weh.“

„Wir glauben, dass Sie hingefallen sind und sich den Kopf gestoßen haben“, sagte Rob. „Ihre Frau ist schon auf dem Weg hierher, zusammen mit Ihrer Tochter. Ich bin übrigens Dr. Langley, und das hier ist Dr. Jacobs. Wir werden uns hier um Sie kümmern. Ich würde Ihnen jetzt gern etwas Blut abnehmen, in Ordnung?“

„Ja.“ Mr. Walker wirkte den Tränen nahe. „Ich möchte zu Lizzie.“

„Sie kommt sicher bald“, beruhigte Florence ihn. Der Blutdruck des Patienten machte ihr Sorgen. Offenbar hatte er schon so viel Blut verloren, dass die lebenswichtigen Organe nicht mehr richtig versorgt wurden. „Sie bekommen jetzt erst einmal eine Infusion.“

Rob bereitete schon alles vor. Auch Blut hatte er bereits abgenommen. Er war zwar neu auf der Station und auch nur vorübergehend hier, verhielt sich aber, als gehörte er schon seit Jahren zum Team. Anders als frühere Kollegen ergriff er die Initiative und wartete nicht auf Anweisungen.

Als Mr. Walker stabilisiert und die Blutung gestillt war, wurde er zum CT-Scan geschickt. Rob und Florence gingen währenddessen zu seiner Frau und der Tochter, die mittlerweile eingetroffen waren.

„Guten Tag, ich bin Dr. Jacobs, und das ist Dr. Langley“.

„Lizzie Walker“, erwiderte die Frau. „Und Jeannette.“

„Freut mich. Wir haben Ihrem Mann gesagt, dass Sie beide herkommen würden“, berichtete Rob.

„Bei ihm wird gerade ein CT-Scan durchgeführt. Wir wollen uns genau ansehen, ob er irgendwelche anderen Verletzungen hat. Er bekommt auch eine Transfusion, weil er viel Blut verloren hat“, ergänzte Florence. „Können Sie uns sagen, was passiert ist?“

„Ganz genau weiß ich es leider nicht. Pete ist nach unten gegangen, um unseren Hund rauszulassen und uns Tee zu kochen“, erwiderte Mrs. Walker. „Dabei ist er wohl auf der Treppe ausgerutscht. Gehört habe ich allerdings nichts, weil ich in der Dusche war. Erst später habe ich den Hund bellen hören und nachgesehen, und da lag Pete unten am Fuß der Treppe, und überall war Blut! Ich habe einen Krankenwagen gerufen und ihn zugedeckt. Er wusste nicht mehr, ob er gefallen oder plötzlich bewusstlos geworden war …“ Sie schüttelte den Kopf. „Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, tut mir leid.“

„Sie haben genau das Richtige getan: Sie haben Ihren Mann warm gehalten, ihn nicht bewegt und einen Krankenwagen gerufen“, versicherte Florence.

„Da war so viel Blut!“

„Ja, Wunden am Kopf bluten immer stark, weil dort die Haut dicker ist und es mehr Venen und Arterien gibt“, erklärte Rob. „Wir haben die Blutung aber gestoppt.“

„Wird Dad sich von dem Sturz erholen?“, fragte Jeannette besorgt.

Das konnte Florence noch nicht beantworten. „Wir kümmern uns um ihn“, sagte sie stattdessen. „Er wirkte leicht verwirrt. Wie ist denn sein allgemeiner gesundheitlicher Zustand? Hat er irgendwelche Erkrankungen?“

„Eigentlich ist alles in Ordnung“, erwiderte Mrs. Walker.

Jeannette seufzte. „Das stimmt doch nicht, Mum. Dads Gedächtnis ist nicht mehr, was es mal war.“

„Wir kommen gut zurecht“, entgegnete Mrs. Walker.

„Wir wollen uns nicht in ihr Leben einmischen“, erklärte Florence sanft. „Wir wollen nur wissen, was passiert ist und was die Ursache war – damit Ihr Mann die optimale Behandlung bekommt.“

Mrs. Walker schnitt ein Gesicht. „Wir werden einfach älter. Es stimmt schon, Pete ist ein bisschen vergesslich. Er hat hohen Blutdruck, nimmt aber jeden Tag sein Medikament.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Meinen Sie, er hatte einen Schlaganfall und ist deshalb gestürzt? Kann er sich darum an nichts erinnern?“

„Nach dem CT-Scan werden wir mehr wissen“, antwortete Florence.

„Aber wenn Sie uns seine gesamte Krankengeschichte erzählen können, würde uns das sehr helfen.“ Rob lächelte freundlich.

Weil seine charmante Art bei den beiden Frauen ankam, ließ Florence ihn das Gespräch führen und machte sich währenddessen ausführliche Notizen.

„Danke, das hilft uns sehr“, sagte sie am Ende. „Wir geben Ihnen sofort Bescheid, wenn er vom Scan zurück ist.“

„Schlaganfall?“, fragte Rob, als sie sich von den beiden Frauen verabschiedet hatten.

„Oder eine Gehirnblutung durch den Sturz“, meinte Florence.

Mr. Walker war zurück auf der Station, und die Bluttransfusion konnte beginnen. Doch der ältere Mann war sehr unruhig.

„Mr. Walker, Sie müssen auf dem Rücken liegen bleiben und den Arm stillhalten, damit ich Sie behandeln kann“, sagte Florence sanft, denn das Risiko eines Organversagens stieg mit jeder Minute.

„Mir tut der Nacken weh!“, sagte Mr. Walker erneut.

Rob setzte sich neben ihn und nahm seine Hand. „Ich weiß, und dagegen unternehmen wir auch etwas. Aber jetzt müssen Sie bitte kurz ruhig liegen bleiben, damit wir Ihnen helfen können. Dr. Jacobs gibt Ihnen ein Schmerzmittel, und dann können Ihre Frau und Ihre Tochter zu Ihnen kommen.“

„Ich möchte nicht, dass die beiden mich mit dem ganzen Blut sehen.“

„Wenn Sie ruhig liegen bleiben, wasche ich Ihnen das Gesicht“, schlug Florence vor.

„Sie können ganz beruhigt sein, Mr. Walker. Ich bleibe neben Ihnen sitzen, und Dr. Jacobs macht Ihnen das Gesicht sauber. Sie müssen nur ruhig liegen bleiben. Einverstanden?“

Florence rechnete damit, dass der ältere Mann protestieren würde, aber plötzlich gab er jeglichen Widerstand auf. „Also schön.“

Florence und Rob sahen einander an. Gemütserregung und plötzlicher Stimmungswechsel konnten Anzeichen eines Schlaganfalls sein – oder Hinweis auf etwas anderes, das die Fähigkeit eines Patienten beeinträchtigte, Informationen zu verarbeiten. Vielleicht hatte er auch nur schreckliche Angst.

Während Florence Mr. Walker das Gesicht säuberte, sprach sie beruhigend auf ihn ein. Ihre mitfühlende Art gefiel Rob. Außerdem blieb sie auch bei großer Anspannung ruhig. Ja, seine neue Kollegin beeindruckte ihn sehr. Doch er musste vernünftig sein und durfte der Anziehung nicht nachgeben. Er hatte nun einmal kein besonderes Talent für Beziehungen und würde ja auch nur drei Monate hier sein. Sobald er wieder klettern durfte, wollte er nach Manchester zurückkehren – weit weg. Da war es besser, gar nicht erst etwas anzufangen.

Florence ging gemeinsam mit ihm die Ergebnisse des CT-Scans durch. „Zum Glück ist weder eine Gehirnblutung noch ein Schädelbruch zu sehen“, sagte sie.

„Ich sehe keine Anzeichen für eine innere Verletzung oder andere Brüche“, fügte Rob hinzu. „Wenn Mr. Walker Glück hat, ist er mit blauen Flecken und einer Platzwunde am Hinterkopf davongekommen.“

„Ich möchte ihn trotzdem über Nacht zur Beobachtung hierbehalten“, sagte Florence. „Irgendwie habe ich ein komisches Gefühl. Natürlich könnte er einfach von dem Sturz verwirrt sein. Aber seiner Tochter ist ja schon vorher aufgefallen, dass sein Gedächtnis nachlässt. Ich glaube, wir sollten ihn im Auge behalten.“

„Das sehe ich auch so“, stimmte Rob zu.

Als sie Mr. Walker offiziell aufgenommen hatten und seine Familie bei ihm war, wurden sie zu einem Patienten gerufen, der mit Verdacht auf Herzinfarkt zusammengebrochen war und auf der Station dann einen Herzstillstand erlitten hatte. Zum Glück konnten sie ihn retten und in die kardiologische Abteilung einweisen.

„Ich glaube, eine Pause ist jetzt überfällig“, sagte Florence zu Rob. „Soll ich Ihnen zeigen, wo die Cafeteria ist?“

„Ja, das wäre toll. Ich gebe den Kaffee aus.“

„Nein, ich – heute ist schließlich Ihr erster Tag“, widersprach sie.

„In Ordnung, aber dann gebe ich den Kuchen aus.“

„Einverstanden.“ Florence lächelte.

In der Cafeteria bestellte sie ihnen beiden einen Cappuccino, und Rob kaufte zwei Schoko-Brownies. „Mein Bruder Ollie liebt Käse über alles und versteht nicht, dass Schokoladenkuchen glücklich macht“, sagte er, als sie sich setzten.

„Ja, der macht wirklich glücklich“, stimmte sie lächelnd zu. „Und nicht nur wegen des Zuckerhochs.“

Rob spürte, wie sich in seiner Brust etwas zusammenzog. Denn wenn Florence lächelte, verwandelte sich die ruhige, kompetente Ärztin und schien plötzlich von innen zu strahlen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ihn eine Frau so umhauen würde. Wie sollte er damit umgehen? Sich mehr wie sein Zwillingsbruder verhalten, wie sie es abgemacht hatten – oder seinem Impuls nachgeben?

Natürlich sollte er sich zurückhalten. Florence und er kannten sich ja kaum, doch das tat seiner Sehnsucht keinen Abbruch.

„Sie haben das Gespräch mit Mr. Walkers Frau und seiner Tochter wirklich gut gemacht“, sagte sie jetzt.

Rob zuckte nur die Schultern. „Wenn Familien sich Sorgen um einen Patienten machen, wird der oft noch angespannter. Deswegen halte ich es für das Beste, wenn man die Angehörigen beruhigt.“

„Da haben Sie recht. Ich hatte schon befürchtet, dass wir Mr. Walker ein Beruhigungsmittel geben müssen, und das wäre für ihn und seine Familie sehr unschön gewesen. Aber zum Glück war das ja nicht nötig. Sie haben sich wirklich gut eingefühlt.“ Florence sah ihn über den Rand ihres Bechers hinweg an. „Wo haben Sie denn bisher gearbeitet?“

Rob wusste, dass er aufpassen musste, wie viel er preisgab. Er wollte nicht, dass seine Vergangenheit ihm in die Quere kam – er wollte nicht schwach wirken. „In Manchester“, sagte er, was ja auch stimmte. Er verschwieg allerdings, dass er ein Sabbatjahr genommen hatte, um im Ausland arbeiten zu können. „Und Sie?“

„Ich habe meine Ausbildung in Leeds gemacht und bin dann vor einem Jahr hergezogen, um näher bei meiner Familie zu sein.“

„Das ist bei mir ähnlich, meine Eltern verbringen hier in der Nähe ihren Ruhestand.“ Auch das war nicht die ganze Wahrheit. Ohne die Blinddarmentzündung und die Blutvergiftung hätte Rob noch immer für die Hilfsorganisation gearbeitet. Oder er wäre wieder in Manchester und in seiner Freizeit für die Bergrettung im Einsatz. So oder so, er hätte seine Fähigkeiten sinnvoll eingesetzt. Zum Glück hatte Florence ihre Familie erwähnt, sodass er ganz leicht das Thema wechseln konnte.

„Dann stammt Ihre Familie hier aus der Gegend?“

„Ja, meine Eltern wohnen im nächsten Dorf. Ich bin hier aufgewachsen“, erzählte sie. „Meine ältere Schwester ist vor zwei Jahren zurückgekommen, als sie sich zur Ruhe gesetzt hat.“

Wie bitte? Florence war doch sicher ungefähr so alt wie er – also um die dreißig. „Ruhestand?“, wiederholte Rob verwirrt.

„Lexy ist Ballerina“, erklärte sie. „Sie ist sechsunddreißig. Viele Balletttänzerinnen ziehen sich aus dem Beruf zurück, bevor sie vierzig sind, weil Hüften und Knie durch das Tanzen so stark beansprucht werden. Außerdem will sie nicht mehr auf Tournee gehen, seit ihre Älteste zur Schule geht. Also hat sie sich zur Ballettlehrerin ausbilden lassen und eine eigene Tanzschule gegründet, zu der auch ihre drei Töchter gehen – sogar die jüngste, Darcey, die erst zwei ist.“

Rob merkte, dass sie nicht nur stolz klang, sondern auch wehmütig. Warum wohl? Außerdem fiel ihm auf, dass Florence nichts über einen Ehemann gesagt hatte. Verstohlen sah er zu ihrer linken Hand. Einen Ring trug sie nicht, aber sie konnte ja trotzdem in einer festen Beziehung sein.

Diese großen braunen Augen, der sinnlich geschwungene Mund … und wenn sie ein Zimmer betrat, wirkte alles plötzlich heller und freundlicher. Schnell verdrängte er diese Gedanken und sagte: „Darcey ist ein ungewöhnlicher Name.“

„Ja, nach Darcey Bussell. Lexy hat alle drei Töchter nach berühmten Ballerinas benannt: Die älteste heißt Margot nach Margot Fonteyn und die vierjährige Anna nach Anna Pavlova.“

„Verstehe.“ Rob beschränkte sich bis zum Ende der Pause auf berufliche Themen, dann gingen er und Florence zurück in die Notaufnahme. Nachmittags war viel los, und zu Hause angekommen, musste er sich widerstrebend eingestehen, dass er müde war. Bei seinem Nachbarn war ein Paket für ihn abgegeben worden, und Rob wusste sofort, von wem es war: von dem Menschen, für den er vor ein paar Monaten dasselbe getan hatte. Dem Menschen, der so oft dasselbe dachte wie er.

Im Paket lag eine kurze Nachricht:

Du darfst das Paket nur auspacken, wenn du dich an deinem ersten Arbeitstag NICHT übernommen hast.

„Ja ja, Ollie, ist ja schon gut.“ Lächelnd öffnete Rob das Paket. Es enthielt einen guten Rotwein und edle Schokolade – perfekt für den ersten Feierabend.

Rob schickte seinem Zwillingsbruder eine kurze Nachricht.

Danke für das Paket – ich habe mir eine Belohnung auch echt verdient.

Wenige Sekunden später klingelte sein Telefon.

„Und, wie war dein erster Tag?“, fragte Oliver.

„Einfach toll. Es tut so gut, wieder zu arbeiten und Leben zu retten, Ollie. Wir haben einen Patienten mit Herzstillstand wiederbelebt. Ich arbeite zwar nur drei Tage pro Woche, aber so kann ich etwas bewirken, statt nur zu Hause zu sein.“ Unnütz zu Hause zu sitzen und sich sogar zu krank zu fühlen, um hin und her zu laufen. Das war für Rob geradezu unerträglich gewesen.

„Freut mich, dass es dir gefallen hat. Hast du nette Kollegen?“

Unwillkürlich dachte Rob an Florence Jacobs. „Sehr nette sogar.“ Mehr wollte er seinem Bruder vorerst nicht verraten.

„Und du hast dich auch wirklich nicht übernommen?“, fragte Oliver nach.

„Jetzt hör aber mal auf, natürlich war ich vernünftig! Trotzdem bin ich ziemlich müde“, gab Rob zu. „Aber ich kann mich ja morgen erholen. Jeden zweiten Tag zu arbeiten, wird mir helfen, mich langsam wieder an den Berufsalltag zu gewöhnen. Bis ich wieder voll einsatzfähig bin, wird es noch eine Weile dauern, aber Teilzeit ist besser als nichts.“

„Das klingt fast ein bisschen zu vernünftig“, neckte sein Bruder ihn. „Versuchst du tatsächlich, mehr wie ich zu sein?“

„Ja.“ Zumindest die meiste Zeit. Ob er jedoch sesshaft werden und sich niederlassen konnte, da war Rob sich nicht so sicher. Doch ihm war aufgefallen, wie unpersönlich seine Mietwohnung aussah. Wenn Rob seinen Bruder um eines beneidete, dann um dessen Fähigkeit, sich ein gemütliches Zuhause einzurichten – und zwar noch am Tag des Einzugs. Er selbst war nie lange genug an einem Ort und ständig auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer. Sogar in seiner Wohnung in Manchester – die er an einen Kollegen vermietet hatte – hielt er sich immer nur kurz auf: wenn er nicht gerade in der Notaufnahme, beim Klettern oder im Ausland war.

Vielleicht sollte ich mir auch in dieser Hinsicht ein Beispiel an Ollie nehmen, dachte Rob und beschloss, am nächsten Tag ein paar der Fotos auf seinem Handy auszudrucken und sie in Rahmen auf den Kaminsims zu stellen. Dann fühlte sich seine Wohnung vielleicht nicht mehr so unpersönlich an.

„Ich bin am Verhungern, deswegen lege ich jetzt auf – ich muss mir dringend etwas zu essen kochen.“

„Du meinst wohl, etwas in der Mikrowelle warm machen“, zog Oliver ihn auf.

„Und wenn schon. Mein Abendessen ist gar nicht so ungesund und enthält zwei der fünf Portionen Gemüse, die man am Tag essen soll. Und zum Nachtisch gibt’s einen Apfel.“

Anders als sein Bruder machte Rob Kochen keinen Spaß. Dauerte die Zubereitung eines Gerichts länger als fünf Minuten, kam es für ihn nicht infrage. Er verbrachte seine Zeit lieber mit spannenderen Dingen. „Ich melde mich morgen“, sagte er. „Grüß bitte Gemma von mir, und vielen Dank noch mal für das Päckchen!“

„Bitte schön. Übrigens kannst du auch jederzeit zum Abendessen zu uns kommen, wenn du nach der Arbeit müde bist. Ich koche gern für dich.“

„Danke, das ist echt nett.“ Doch Oliver war frisch verliebt. Und nachdem seine vorige Partnerin ihn wegen der Nierentransplantation verlassen hatte, wollte Rob auf keinen Fall die neue Beziehung seines Bruders belasten – auch wenn er Gemma sehr mochte und fand, dass sie viel besser zu Oliver passte als Tabby, seine Ex.

„Wie geht es eigentlich deiner Patientin mit der Varizellen-Pneumonie?“

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