Cinderella und der Playboy-Prinz

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

In der Suite ist es noch still, als Zimmermädchen Antonietta dem geheimnisvollen Gast, der mitten in der Nacht in dem sizilianischen Luxushotel abgestiegen ist, den Morgenkaffee serviert. Doch als der sexy Fremde beginnt, hemmungslos mit ihr zu flirten, fängt Antoniettas Herz an zu rasen. So atemberaubend attraktiv ist er. Jeden Tag verlangt er fortan nach ihrem Service. Aber wer ist dieser Charmeur mit dem französischen Akzent, der sie so galant umwirbt? Wie Cinderella fühlt sich Antonietta bei ihm, bis sie etwas Erschütterndes erfährt ...


  • Erscheinungstag 06.10.2020
  • Bandnummer 2460
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714437
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Nett von dir, aber ich hoffe, Weihnachten mit meiner Familie verbringen zu können.“ Als ihr klar wurde, wie undankbar das klang, setzte Antonietta sofort ein entschuldigendes Lächeln auf. „Wirklich, ich weiß die Einladung zu schätzen, aber …“

„Schon verstanden“, unterbrach Aurora sie und half ihr weiter beim Auspacken. „Du bist nicht nach Silibri gekommen, um die Feiertage mit den Messinas zu verbringen.“

„Oh, aber du bist doch inzwischen eine waschechte Caruso“, erinnerte Antonietta ihre Freundin lachend.

Auf dem Friedhof des malerischen Dorfes Silibri – wo Antonietta liebend gern spazieren ging – waren viele Namen vertreten, aber Caruso, Messina und Ricci kamen am häufigsten vor. Besonders Ricci, denn diese Familie hatte sich weit über die südwestliche Region von Sizilien ausgebreitet, wobei Silibri das Epizentrum darstellte.

Antoniettas Vater war nicht nur Hauptmann der örtlichen Feuerwehr und Großgrundbesitzer, er wurde auch gesellschaftlich sehr hoch geachtet und war gut vernetzt.

„Weißt du …“, begann Antonietta, machte dann aber eine Pause, um die wenigen Kleider aufzuhängen, die sie besaß. „Wenn ich Sylvester geheiratet hätte, hätte ich nicht einmal meinen Nachnamen ändern müssen. Ich wäre immer noch Antonietta Ricci.“

„Ja, und du wärst mit deinem Cousin zweiten Grades verheiratet und würdest auf einem Grundstück deines Vaters leben, während Sylvester für ihn arbeitet.“

„Stimmt.“ Antonietta schluckte trocken.

Sie war an ihrem Hochzeitstag vor fünf Jahren auf ziemlich spektakuläre Weise weggelaufen: aus dem Schlafzimmerfenster geklettert, während ihr Vater draußen darauf wartete, sie zur gut besuchten Kirche zu bringen. Sylvester war im Dorf sehr beliebt, und man hatte ihr diese Eskapade nicht verziehen. Ihre Familie hatte sie abgelehnt, Briefe und E-Mails nicht mehr beantwortet, und ihre Mutter legte auf, wann immer sie daheim anrief.

Ganze vier Jahre hatte Antonietta in Frankreich gelebt und gearbeitet, aber obwohl sie die Sprache gelernt und dort Freunde gefunden hatte, hatte sie sich nie wie zu Hause gefühlt. Also war sie zur Hochzeit von Aurora und Nico nach Silibri zurückgekehrt, von den Bewohnern des Dorfes aber nicht wirklich willkommen geheißen worden. Stattdessen wurde sie sowohl von ihrer unmittelbaren als auch von ihrer erweiterten Familie weitgehend gemieden.

Sylvester öffentlich den ultimativen Korb zu geben, war als Verrat an jeglichen Familienwerten und Traditionen angesehen worden. Seit der Hochzeit von Nico und Aurora arbeitete sie nun als Zimmermädchen in Nicos Grand Hotel in Rom. Aber Rom war auch nicht ihre Heimat, und sie hatte ihrer Freundin Aurora oft anvertraut, wie sehr sie Silibri vermisste.

Sie hatte eine letzte Chance zur Wiedergutmachung gewollt, und Aurora hatte ihr eine Lösung angeboten: Antonietta könnte als Zimmermädchen in Nicos neuem Hotel in Silibri arbeiten und gleichzeitig eine Ausbildung zur Massagetherapeutin absolvieren.

Das alte Kloster des Ortes war aufwendig umgebaut und nach Nicos strengen Maßstäben renoviert worden. Heute glich es eher einem luxuriösen Rückzugsort als einem Hotel. Und sich dort ausbilden zu lassen, bedeutete einen Karriereschub für Antonietta.

Es war eine Gelegenheit, die sie sich nicht entgehen lassen wollte. Aber angesichts der Feindseligkeiten ihr gegenüber war ihr auch klar, dass sie Schwierigkeiten haben würde, im Dorf eine Wohnung zu finden. Doch auch dafür hatte Aurora eine Lösung gefunden. Da stand ein kleines, verlassenes Steinhaus am Rande der Klippen, das sie Antonietta zur Verfügung stellte.

„Die Internetverbindung dort ist schrecklich, und für die Gäste liegt es zu nahe am Hubschrauberlandeplatz und Hangar“, hatte Aurora erklärt. „Also steht es eigentlich nur leer.“

„Hoffentlich brauche ich es nicht lange“, hatte Antonietta geantwortet. „Sobald meine Familie weiß, dass ich zurück bin und hier arbeite …“

Sie hatte den zweifelnden Ausdruck in den Augen ihrer Freundin aufflackern sehen. Den gleichen Blick schenkte Aurora ihr jetzt, als Antonietta darauf bestand, dass sie Weihnachten gern im Kreis ihrer Familie feiern würde.

„Antonietta?“

Sie hörte die Frage in der Stimme ihrer Freundin und wappnete sich innerlich. Aurora hatte es bisher vermieden, das Offensichtliche auszusprechen.

„Es ist fünf Jahre her, seit du Kontakt zu deiner Familie gehabt hast.“

„Ja, ich weiß. Allerdings habe ich ihnen auch nicht gerade oft Gelegenheit dazu gegeben.“

„Du bist zu meiner Hochzeit hergekommen“, erinnerte Aurora sie sanft. „Und sie haben dich ignoriert.“

„Wahrscheinlich waren sie einfach zu geschockt, mich plötzlich dort zu sehen. Aber wenn sie hören, dass ich wieder im Ort lebe …“

Seufzend setzte sich ihre Freundin neben sie auf die Bettkante. „Es ist nun schon Jahre her“, sagte Aurora. „Du warst erst einundzwanzig, als es passiert ist, und nun steht bald dein sechsundzwanzigster Geburtstag vor der Tür. Ist es nicht an der Zeit, wieder zuversichtlich nach vorn zu blicken?“

„Aber das mache ich doch“, versicherte Antonietta. „Es waren fünf wunderbare Jahre. Ich bin umhergereist, habe eine neue Sprache gelernt. Schließlich laufe ich nicht in Sack und Asche herum, nein, die meiste Zeit fühle ich mich toll. Es ist nur …“ Es gab nun mal Tage, an denen man seine Familie um sich haben wollte. „Weihnachten ist es eben richtig schwer“, gestand sie. „Da vermisse ich sie am meisten. Und ich kann kaum glauben, dass sie nicht an mich denken und dass ich ihnen nicht fehle.“ Sie seufzte. „Ich möchte ihnen eine letzte Chance geben. Besonders meiner Mutter.“

„Das verstehe ich gut. Aber was ist mit Spaß? Ich meine, du hast dich noch nicht bei alten Freunden gemeldet, und ich höre dich auch nie von einem Date erzählen.“

„Du hast dich doch vor Nico auch kaum verabredet“, verteidigte Antonietta sich halbherzig.

„Nur weil ich ihn mein ganzes Leben lang geliebt habe“, erwiderte Aurora lächelnd. „Nico war einfach mit niemandem vergleichbar. Aber zumindest habe ich es einmal probiert.“

Sie lachten beide, als sie sich an Auroras Versuch erinnerten, mit einem Feuerwehrmann über Nico hinwegzukommen – doch dann verstummte Antoniettas Lachen.

Es gab einen sehr guten Grund, warum sie bisher nicht ausgegangen war. Einen, den sie nicht einmal ihrer besten Freundin verraten hatte. Nicht nur die Tatsache, dass Sylvester ihr Cousin war, hatte Antonietta am Tag ihrer Hochzeit in die Flucht geschlagen. Es war ihre Angst vor der Hochzeitsnacht gewesen.

Sylvesters Küsse hatten sie abgestoßen, und sie war auch von seinen forschen Berührungen angewidert gewesen. Obendrein hatte ihre Zurückhaltung ihn ziemlich wütend gemacht.

In den Wochen vor der geplanten Hochzeit hatte sich die Lage für sie zugespitzt, sodass sie Angst davor bekam, Zeit allein mit ihrem Verlobten zu verbringen. Mehrmals hatte er sie fast überwältigt, und sie war gezwungen gewesen, ihn anzuflehen, bis zur Hochzeitsnacht zu warten. Sie hatte behauptet, sich das ganz fest vorgenommen zu haben.

„Frigida“, hatte er sie wütend genannt.

Und sehr wahrscheinlich war sie wirklich frigide, denn bis heute ließ sie der Gedanke, mit einem Mann intim zu werden, völlig kalt.

Damals hatte sie versucht, mit ihrer Mutter über ihre Ängste zu sprechen, aber deren Rat war noch beunruhigender gewesen.

Einmal in der Woche, um ihn glücklich zu machen, das ist die Pflicht einer jeden Ehefrau.

Als die Hochzeitsnacht dann näher gekommen war, hatte Antonietta nur noch einen Ausweg gesehen …

Seitdem bekam sie regelrecht Panik, wenn sie nur daran dachte, einen Mann zu küssen, geschweige denn, mit ihm ins Bett zu gehen.

Sie wünschte, sie könnte mit Aurora darüber sprechen. Aber ihre Freundin ging so selbstverständlich mit ihrer Sexualität um und war wahnsinnig glücklich in ihrer Ehe. Darum behielt Antonietta ihre Gedanken lieber für sich.

„Du solltest wieder ein normales Leben führen“, riet Aurora ihr.

„Das will ich ja auch.“ Sie nickte heftig, auch wenn sie ihren eigenen Worten wenig Glauben schenkte … zu groß waren Angst und Schuldgefühle. „Aber zuerst muss ich meinen Eltern noch diese eine Chance geben, mir endlich zu vergeben.“

„Für was denn, Antonietta?“ Auroras Ton wurde schärfer. „Sylvester war mit dir verwandt! Sie wollten bloß das Geld in der eigenen Familie halten und ihren Namen weiterverbreiten.“

„Ja, schon. Aber ich habe sie trotzdem öffentlich in Verlegenheit gebracht. Und ich habe Sylvester vor dem Altar stehen lassen. Du hast das Drama doch miterlebt.“

„Allerdings.“

Es war wohl noch ein heftiger Streit in der Kirche ausgebrochen, aber davon hatte Antonietta nichts mehr mitbekommen. Zu der Zeit hatte sie längst in dem Zug gesessen, der sie von Silibri fortbrachte.

„Mir fehlt meine Familie entsetzlich“, gestand sie. „Sie sind nicht perfekt, das weiß ich, aber ich vermisse es, sie in meinem Leben zu haben. Auch wenn wir uns nicht versöhnen können, gibt es da eine Menge zwischen uns zu klären. Selbst wenn es ein endgültiger Abschied sein sollte, will ich ihn doch von Angesicht zu Angesicht erleben.“

„Nun, mein Angebot steht jedenfalls, wenn du es dir anders überlegen solltest. Nico und ich wollen Gabes erstes Weihnachten unbedingt in Silibri feiern.“ Sie verstummte, als sie ein Stück scharlachroten Stoff aus dem Koffer zog. „Das ist bildhübsch! Wo hast du das her?“

„Aus Paris.“ Lächelnd strich Antonietta die Falten glatt. „Ich habe ihn mir gleich gekauft, als ich dort angekommen bin.“ Es war ein Spätsommertag gewesen, und nachdem sie gerade an ihre Eltern geschrieben hatte, war sie von der Aussicht auf Versöhnung richtig beflügelt worden. „Ich bin über den Place Saint-Pierre geschlendert und habe dort einen kleinen Stoffladen entdeckt.“

Sie hatte beschlossen, sich als Symbol für ihre fröhliche Stimmung etwas zu gönnen, und zwischen Brokat und Samt hatte sie diese atemberaubende purpurrote Seide gefunden und sofort gekauft.

„Du hattest ihn die ganze Zeit schon und hast nichts damit gemacht?“, wunderte sich Aurora, als Antonietta den Stoff wieder in Seidenpapier wickelte und ihn in der unteren Schublade einer schweren Holzkommode verstaute. „Den darfst du nicht einfach irgendwo verstecken!“

„Ich könnte ein paar Kissen daraus machen.“

„Kissen?“ Aurora war entsetzt. „Dieser Stoff verdient es, zu einem Traumkleid verarbeitet und vorgezeigt zu werden!“

„Ach ja? Und wann sollte ich so ein Kleid jemals tragen?“

„Als letzten Ausweg ziehen wir es dir für deinen offenen Sarg an“, sagte Aurora mit typisch sizilianischem dunklem Humor. „Du kannst tot daliegen, und die Leute werden beeindruckt flüstern, wie umwerfend du gewesen bist. Gib es mir und lass mich etwas daraus machen!“

Aurora war eine brillante Näherin und würde sicherlich etwas Schönes zaubern, trotzdem übergab Antonietta ihr den Stoff nur zögernd.

„Lass mich mal ein paar Maße nehmen“, bat Aurora.

„Ich habe aber kein Maßband hier.“

Aber natürlich hatte Aurora eines dabei. Und so stand Antonietta kurz darauf in ihrer Unterwäsche vor ihrer Freundin und hielt sich ihr langes, glattes schwarzes Haar hoch, während Aurora akribisch ihre Messungen durchführte.

„Du bist so schlank“, bemerkte sie, als sie die Zahlen aufschrieb. „Deinen Taillenumfang habe ich an einem Oberschenkel.“

„Ach, so ein Quatsch!“

Sie waren schon ein Leben lang beste Freundinnen und dabei völlig gegensätzlich. Aurora hatte Locken und Kurven und sie strahlte immer eine positive Zuversicht aus. Antonietta dagegen verhielt sich meist zurückhaltend und war gertenschlank. Sie wirkte häufig, als würde sie frieren, weil sie dazu neigte, die Schultern ein wenig hochzuziehen.

Jetzt versuchte sie, ihre Freundin ein bisschen zur Eile anzutreiben. „Nico wird bald hier sein“, warnte sie.

Er sah im Hotel nach dem Rechten, solange Aurora ihr half, sich im Haus an der Klippe einzurichten. Aber bald würde sein Hubschrauber kommen, um ihn und Aurora in ihre Residenz nach Rom zurückzubringen.

„Besuchst du eigentlich noch deine eigenen Eltern, bevor ihr zurückfliegt?“

„Ich gehe ihnen zurzeit aus dem Weg.“ Aurora verdrehte die Augen. „Sie wollen, dass Nico meinen faulen, nichtsnutzigen Bruder als Verwalter für die alte Klosteranlage einstellt.“

Antonietta lachte. Auroras Bruder war in der Tat ziemlich faul.

„Das ist kein Scherz“, jammerte Aurora. „Und irgendwie denkt mein Bruder, Nico wäre ihm einen Job schuldig, weil er sein Schwager ist.“

„Ich hoffe, Nico fühlt sich nicht auch mir verpflichtet?“

„Ach, sei nicht albern“, winkte Aurora ab. „Du arbeitest extrem hart und fleißig, und er kann froh sein, dich zu haben.“

Trotzdem war es ein riesiger Bonus, dass Antonietta im Cottage wohnen durfte …

Das Geräusch des Helikopters unterbrach ihr Gespräch, und Aurora küsste ihre Freundin zum Abschied auf beide Wangen. „Ich wünsche dir einen guten Start bei der Arbeit, und wir sehen uns dann Heiligabend – oder schon früher. Und ich meine das ganz ernst, Antonietta. Wenn sich die Dinge nicht regeln lassen mit deiner Familie, kannst du dich uns sehr gern anschließen.“

„Lieben Dank. Aber bis dahin sind es noch zwei Monate. Reichlich Zeit also, alle Streitigkeiten aus der Welt zu schaffen.“

„Kommst du denn zurecht?“, wollte Aurora noch wissen. „Es ist ja schon ein bisschen abgeschieden hier.“

„Alles gut“, beruhigte Antonietta sie. „Ich bin euch für dieses Häuschen wirklich unendlich dankbar.“

Sehnsüchtig sah sie kurz darauf dem startenden Hubschrauber nach. Die beiden waren ganz bestimmt froh, nach Rom zurückzukehren – zum kleinen Gabe, der schon bald ein Jahr alt werden würde. Antonietta war erleichtert, dass Nico nicht mehr ins Haus gekommen war, um sich zu verabschieden. Sie begann bald mit der Arbeit im Hotel und wollte nicht, dass ihre Kollegen dachten, sie hätte durch ihre Freundin einen direkten Draht zum Chef.

Es fühlte sich jedoch seltsam an, jetzt ganz allein im Haus zu sein. Es war richtig nett eingerichtet, mit einer modernen Küche und einem gemütlichen Wohnbereich. Ganz langsam wanderte sie durch die Räume und bewunderte nicht nur die Ausstattung, sondern auch den atemberaubenden Blick aufs Meer von ihrem Schlafzimmer aus. Es war kein Strand zu sehen, nur hohe Wellen und schäumende Gischt.

Trotz des kühlen Abends öffnete sie das Fenster, um die lähmende Stille, die seit Auroras Abreise eingetreten war, mit Meeresrauschen zu übertönen.

Sie war zu Hause angekommen. Auch wenn es sich noch nicht so anfühlte.

1. KAPITEL

Sechs Wochen später

Antonietta wachte lange vor den ersten Strahlen der sizilianischen Wintersonne auf.

Eine Weile blieb sie im dunklen Schlafzimmer ihres kleinen Steinhauses liegen und lauschte dem Rauschen der Wellen, die heranrollten und unten gegen die Felsen krachten. Normalerweise wirkte das rhythmische Rauschen des Meeres beruhigend, aber heute brachte es ihr wenig Frieden.

Es waren noch zwei Wochen bis Weihnachten, und seit ihrer Rückkehr hatte sie bei ihrer Familie kaum Fortschritte gemacht. Eher hatte sich die Situation verschlechtert. Ständig wurde sie mit unhöflichen Blicken und gemurmelten Beleidigungen konfrontiert, wenn sie sich ins Dorf wagte, und als sie zum Haus ihrer Eltern gegangen war, hatte ihr Vater ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen.

Dennoch hatte sie quer durch den Flur einen schmerzhaften Ausdruck in den Augen ihrer Mutter entdeckt, als hätte die ältere Frau etwas Wichtiges zu sagen gehabt.

Aus diesem Grund gab Antonietta auch nicht auf.

Sylvester hatte geheiratet und war aus Silibri weggezogen, sodass kaum eine Chance bestand, ihn zu treffen. Und es tat ihr sehr gut, am Strand entlangzulaufen oder durch die Hügel zu spazieren, die sie so gut kannte. Bei der Arbeit lief es auch unglaublich erfolgreich und locker. Ihre Kollegen waren freundlich und hilfsbereit, und die Ausbildung zur Massagetherapeutin machte ihr großen Spaß.

Nachdem sie geduscht hatte, ging sie zu ihrem Kleiderschrank, um die richtige Uniform herauszusuchen, denn sie verfügte über unterschiedliche Modelle. Wenn sie im Spa arbeitete, trug sie Weiß, aber heute würde sie die Suiten reinigen, und dazu gehörte ein anderes Outfit.

Gerade als sie nach dem Kleiderbügel greifen wollte, ließ sie ihre Finger kurz über das neueste Stück ihrer Garderobe gleiten.

Ja, Aurora war in der Tat eine wundervolle Näherin, und das scharlachrote Kleid war gestern angekommen! Doch Antonietta hatte den Stoff nur ungern übergeben, und jetzt zögerte sie noch mehr, die Robe anzuprobieren. Sie war raffiniert geschnitten, sinnlich und alles … was sie nicht war.

Egal, sie hatte keine Zeit zum Trödeln. Zügig zog sie sich um und band sich das Haar zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen.

Die Uniformen waren wirklich umwerfend: Das orangene Leinen passte gut zu ihrer olivfarbenen Haut, und der Schnitt betonte ihre schlanke Figur. Antonietta trug weder während noch außerhalb der Arbeit Make-up, sodass sie nur noch ihre Jacke überziehen musste und sich dann gleich quer über das riesige Klostergelände auf den Weg zum Hotel machen konnte.

Ihr kleines Häuschen war ziemlich weit vom Hauptgebäude entfernt. Trotzdem war es ein angenehmer Spaziergang, bei dem sich der schwarze Himmel in ein Marineblau verwandelte. Die vielen Sterne verblassten allmählich, um dem Tag Platz zu machen, und vom Mittelmeer kam eine frische, salzhaltige Brise herein.

Im alten Klosterhotel war schon viel los. Ein paar dunkel gekleidete Herren patrouillierten vor der Eingangstür, und Pino, der Chef-Concierge, sah heute Morgen besonders elegant aus, als er sie herzlich begrüßte. „Buongiorno, Antonietta.“

Buongiorno, Pino“, antwortete sie.

„Wir haben einen neuen Gast!“

Das Hotel beherbergte viele Gäste, aber mit der zusätzlichen, auffälligen Security hatte Antonietta bereits vermutet, dass hier ein VIP residierte.

Pino liebte Klatsch und Tratsch und schien ganz wild darauf zu sein, sie genauestens zu informieren. „Wir sollen ihn als Signor Louis Dupont ansprechen. Aber …“ Er tippte sich an die Seite seiner Nase. „In Wirklichkeit ist er …“

„Pino!“, unterbrach Antonietta ihn streng.

Sie verehrte Pino und kam immer früh zum Dienst, um noch mit ihm zu plaudern. Er hatte erst kürzlich seine geliebte Frau Rosa nach fast vierzig Jahren Ehe verloren, und sie wusste, dass die Arbeit das Einzige war, was ihn momentan bei Laune hielt. Trotzdem wollte sie sich professionell verhalten.

„Wenn er so angesprochen werden will, dann reicht mir das als Information“, sagte sie.

„Alles klar“, lenkte er ein und betrachtete sie dann etwas genauer. „Wie geht es dir, Antonietta? Du siehst ein bisschen müde aus.“

„Ich komme zurecht“, erwiderte sie und war gerührt, dass er sich bei allem, was in seiner Welt vor sich ging, immer noch Gedanken um sie machte. „Wie steht es mit dir?“

„Ich freue mich nicht gerade auf Weihnachten. Rosa hat es immer zu einem ganz besonderen Fest gemacht. Es war ihre liebste Jahreszeit.“

„Was wirst du tun? Deine Tochter besuchen?“

„Nein, dieses Jahr ist die Familie ihres Mannes an der Reihe, also habe ich Francesca gesagt, dass ich arbeiten werde. Ich fand das besser, als allein zu Hause zu sitzen. Was ist mit dir? Hast du bei deiner Familie Fortschritte gemacht?“

„Leider nicht. Ich war schon mehrere Male dort, aber sie weigern sich immer noch, mit mir zu sprechen. Und meine Ausflüge ins Dorf sind alles andere als angenehm. Vielleicht sollte ich langsam mal akzeptieren, dass ich hier nicht erwünscht bin.“

„Das ist doch nicht wahr“, widersprach Pino. „Nicht jeder ist ein Ricci oder mit einem von ihnen verwandt.“

„Es fühlt sich aber so an.“

„Alles wird gut, ganz bestimmt.“

„Vielleicht wenn ich hundert Jahre alt werde!“

Sie teilten ein kleines, unterdrücktes Lachen. Beide wussten nur zu gut, dass der Groll in einem kleinen sizilianischen Dorf wie Silibri sehr lange anhalten konnte.

„Du leistest hervorragende Arbeit“, lobte Pino. „Lass dich vom Rest nicht verunsichern!“

„Danke schön.“

Und die Tatsache, dass sie sich für den Massagetherapiekurs entschieden hatte, war der Hauptgrund, warum Antonietta hier ausharrte. Inzwischen war ihr bewusst, dass ihre Familie sie nicht bei sich haben wollte. Aber mit jeder Schicht im Hotel – sowohl als Zimmermädchen als auch während der Ausbildung zur Therapeutin – verliebte sie sich ein wenig mehr in ihre Arbeit. Alles war so anders als die Jobs in Bars und Cafés, die sie während ihres Aufenthalts in Frankreich gehabt hatte, und sie zog die ruhige Natur von Silibri auch dem Trubel in Rom vor.

„Diese Arbeit ist meine Rettung“, gestand sie freimütig.

„Und meine“, stimmte Pino zu.

Als sie das sanft beleuchtete Foyer betrat, erreichte sie der herrliche Duft von poliertem Holz, und Antonietta nahm sich einen Moment Zeit, um ihn tief einzuatmen. Abgesehen von dem atemberaubend großen Tannenbaum, der mit Zitrusfrüchten geschmückt war, gab es keine andere Weihnachtsdekoration.

Wie Nico betont hatte, zogen sich viele ihrer Gäste zurück, um Weihnachten zu entkommen, da brauchte es keine ständigen Erinnerungen. Aber Aurora, die die Festtage liebte, hatte zumindest auf einem Baum bestanden.

Vielleicht war es auch für Antonietta das Beste, wenn sie nicht ständig an die bevorstehenden Weihnachtstage dachte.

Zügig durchquerte sie das Foyer. Im Personalzimmer hängte sie Tasche und Jacke auf und machte sich anschließend auf den Weg zur Morgenbesprechung mit Maria, der Haushälterin.

Francesca, die Regionalmanagerin, war ebenfalls früh dran und sah zu, dass die Zimmermädchen über den neuen Gast informiert wurden, der die beste Suite des Hotels bezogen hatte.

„Ich habe sein Foto noch nicht“, sagte Maria.

Allen Mitarbeitern wurde sein Bild gezeigt, damit er jederzeit angemessen erkannt und begrüßt wurde und alle Gebühren ohne Formalitäten zu seiner Suite hinzugebucht werden konnten.

„Signor Dupont hat höchste Priorität“, mischte sich Francesca ein. „Falls es irgendwelche Probleme gibt, müssen Sie mir diese direkt melden.“

Was für eine Aufregung, dachte Antonietta und beobachtete Francesca, die eifrig in ihren Unterlagen blätterte. Antonietta mochte sie, aber weil Francesca eine enge Freundin ihrer Mutter war, gab es eine gewisse Zurückhaltung zwischen ihnen.

„Antonietta, hier werden Sie heute arbeiten“, fuhr Maria fort und überreichte ihr einen Zettel. „Wenn Sie nicht beschäftigt sind, können Sie Chi-Chi in den anderen Superior-Suiten unterstützen, aber Signor Dupont hat jederzeit Vorrang.“

Während der vergangenen Wochen hatte sich Antonietta ungewöhnlich schnell in die erste Reihe vorgearbeitet und durfte sich nun regelmäßig um die wichtigsten Gäste des Hauses kümmern. Francesca hatte ihr gesagt, sie sei perfekt für die Rolle.

Die August-, die Starlight- und die Temple-Suite waren extrem luxuriös und wurden von den unterschiedlichsten Prominenten bewohnt. Häufig wohlerzogene Royals, manchmal aber auch Rockstars, die sich von ihren Exzessen erholten, oder Filmstars, die sich nach heimlichen Schönheitsoperationen eine Auszeit gönnten.

Der Grund, warum Antonietta sich so perfekt für die Arbeit in den Luxus-Suiten eignete, war ihre verschwiegene, zurückhaltende Natur. Sie hatte genug eigene Probleme und wollte sich nicht mit anderen Menschen befassen. Außerdem ließen sie Reichtum, Ruhm oder Titel kalt. Im Allgemeinen war nur ein höfliches Gespräch mit dem Gast erforderlich, und meistens beließ sie es dabei.

Gelegentlich wurde Schweigen bevorzugt, was ihr grundsätzlich noch besser gefiel. Sie blieb höflich, wenn auch etwas distanziert, und erledigte ihre Arbeit ruhig und gründlich, was jedermann zu schätzen wusste.

Am Ende der morgendlichen Besprechung zog Francesca sie beiseite und gab ihr den Pager für die August-Suite. Es folgte auch eine knappe Erklärung.

„Signor Dupont hat die Dienste eines Butlers abgelehnt. Er wünscht seine Privatsphäre und möchte nicht unnötig gestört werden. Vielleicht kannst du direkt mit ihm die beste Zeit für die Wartung seiner Suite klären. Ihm ist es lieber, diese Dinge selbst anzuweisen.“

Ein Gast in der August-Suite konnte sich seine Zimmer auch hundertmal am Tag reinigen lassen, wenn er dies bestellte.

„Außerdem könnte Signor Dupont Hilfe beim Aufstehen benötigen. Wenn er …“

„Ich bin keine Krankenschwester“, unterbrach Antonietta sie mit fester Stimme. Obendrein traute sie sich solche Extradienste im medizinischen Bereich nicht zu.

„Das weiß ich“, sagte Francesca beschwichtigend. „Signor Dupont hat bereits eine Krankenschwester. Obwohl er recht reizbar wirkt und darauf besteht, er würde keine benötigen. Sollte sie gebraucht werden, ist sie ebenfalls über einen Pager zu erreichen. Ich sollte dich vorwarnen, er ist ziemlich übel zugerichtet, sei also nicht zu schockiert.“

„Okay.“

„Und wahrscheinlich darf ich dir nicht verraten, um wen es sich in Wirklichkeit handelt, aber…“

„Dann tu es bitte auch nicht!“, bat sie mit einem schiefen Lächeln.

Für sie war die Sache ganz einfach. Sie beteiligte sich bewusst nicht am allgemeinen Klatsch und Gerede. Sicher, die Angestellten hier waren wundervoll und professionell. Was sie über die Gäste austauschten, war niemals bösartig und würde auch nicht bis zur Presse durchsickern, darauf konnte sich jeder Besucher des Hotels zu einhundert Prozent verlassen.

Die gleiche Höflichkeit wurde im Dorf an den Tag gelegt. Die Einheimischen waren allesamt begeistert von dem Leben, das mit dem neuen Hotel in den Ort zurückgekehrt war, und so kümmerten sich die Leute von Silibri engagiert um die Touristen, die ihnen das Geld brachten.

„Ich möchte seinen richtigen Namen nicht wissen, Francesca“, erklärte sie. „Dann kann er mir auch nicht aus Versehen rausrutschen. Sag mir nur, was ich wirklich über ihn wissen muss.“

„Also schön. Er hat sein eigenes Sicherheitsteam, und du musst dich bei denen ausweisen. Seine Buchung geht bis Heiligabend. Obwohl ich nach meinen bisherigen Erkenntnissen stark bezweifle, dass er bis dahin durchhalten wird.“

„Er stirbt?“, schloss Antonietta und runzelte die Stirn.

„Nein, nein.“ Lachend winkte Francesca ab. „Ich meinte, er wird sich mörderisch langweilen. Übrigens möchte er, dass ihm sein Kaffee pünktlich um sieben Uhr gebracht wird.“

„Dann sollte ich mich besser mal beeilen.“

Autor

Carol Marinelli
Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
Mehr erfahren