Collection Baccara Band 271

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MEIN VERFÜHRERISCHER RETTER von STEPHENS, SUSAN
Wer ist der sexy Fremde? Plötzlich taucht der geheimnisvolle Galem auf, als Caz eine Autopanne hat. Ungeahnt sinnlich ist das Prickeln, das er in ihr auslöst. Und nach einem heißen Kuss sehnt sie sich sofort nach mehr. Auch wenn sie ahnt: Ihr Retter verschweigt ihr etwas …

VORSICHT - VIEL ZU HEISS! von GRADY, ROBYN
Eine heiße Nacht mit dem Chef? Das scheint Serena doch zu gewagt. Obwohl es bestimmt die knisternde Spannung zwischen ihnen lösen würde und sie sich wieder auf ihren Job konzentrieren könnte. Statt ständig nur davon zu träumen, wie Davids Finger sanft über ihre Haut gleiten …

EIN MACHO, EIN KUSS - EIN EHERING? von SWAN, SHARON
Diesen Mann soll sie heiraten? Ausgerechnet der Saloonbesitzer William Devlin bietet Amanda eine Scheinehe an, damit sie das Sorgerecht für ihre Geschwister bekommt. Besitzt der aufregende Macho etwa noch eine andere Seite, mit der er ihr Herz erobert?


  • Erscheinungstag 09.12.2008
  • Bandnummer 0271
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956098
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

SUSAN STEPHENS

Mein verführerischer Retter

Sexy Rettung in der Not: Caz hat eine Autopanne – da steht auf einmal ein aufregend attraktiver Mann vor ihr. Galem ist nicht nur anziehend, sondern auch hilfsbereit. Spontan lädt er Caz zu sich nach Hause ein. Und als er sie heiß küsst, kann sie nicht widerstehen. Aber kaum will sie sich ihm ganz hingeben, weist er sie plötzlich eiskalt zurück …

ROBYN GRADY

Vorsicht – viel zu heiß!

Serenas größter Traum wird wahr, als der Multimillionär David Miles ihr einen Job in seiner Werbeagentur anbietet. Doch sie hat nicht mit der Anziehungskraft ihres neuen Chefs gerechnet. David ist einfach zu verführerisch. Und schon bald muss Serena sich entscheiden: Soll sie für eine einzige leidenschaftliche Liebesnacht ihre Karriere opfern?

SHARON SWAN

Ein Macho, ein Kuss – ein Ehering?

Seit Jahren streitet Amanda sich mit William Devlin, der einen Saloon in ihrem Haus betreibt. Bis er Amanda in einer Notlage hilft. Und ehe sie sich versieht, ist sie auch schon mit ihm verheiratet – natürlich nur zum Schein! Oder? Bereits Williams überraschender Hochzeitskuss weckt ungeahnte Leidenschaft in ihr …

1. KAPITEL

Vor Schreck riss Caz Ryan das Steuer herum, als plötzlich dunkler Schlamm auf die Windschutzscheibe spritzte. Unwillkürlich trat sie auf die Bremse, der nagelneue, silberfarbene Kleinwagen kam ins Schlingern und rutschte schließlich seitwärts in den Straßengraben. Wie ein Geschoss bohrte er sich durch das dichte Brombeergestrüpp, gleichzeitig lösten sich Steinbrocken von der Böschung und prasselten unerbittlich auf das Auto nieder. Zum Schluss folgte ein harter Aufprall, und dann war alles still.

Vorsichtig tastete Caz sich ab, ob an ihr alles in Ordnung war, doch sie schien keinen Schaden davongetragen zu haben. Außer einer Beule am Kopf war sie unversehrt geblieben, was einem kleinen Wunder glich.

Zuvor hatte sie einen Traktor überholt, der im selben Moment durch ein tiefes Schlammloch gefahren war, sodass der Matsch nur so aufspritzte. Und jetzt steckte sie im Straßengraben fest.

Selbst schuld! Warum war sie auch nicht in London geblieben – dort gab es keine Schlamm verspritzenden Traktoren.

In London war sowieso alles anders. Dort war sie nicht Caz Ryan, sondern Cassandra Bailey Brown, ihr überaus selbstbewusstes zweites Ich, das sie sich selbst mühevoll geschaffen hatte, um ihre Karriere voranzutreiben.

Einen neuen Namen zu finden war nicht schwer gewesen. Den Vornamen Cassandra hatte sie gewählt, weil er ihrer Mutter gefallen hätte. Die hatte nämlich eine überaus romantische Ader gehabt – zumindest bis sie Caz in ein Kinderheim steckte und sich anschließend aus dem Staub machte, weil sie der Meinung war, sie müsse etwas für ihre Selbstfindung tun.

Den Nachnamen Bailey Brown hatte Caz im Telefonbuch gefunden. Es gab nur zwei Einträge unter diesem Namen, was bedeutete, dass es kein Allerweltsname war.

Der Grund für die Namensänderung war ganz einfach: Nach ihrem Schulabschluss hatte Caz Schwierigkeiten gehabt, einen Job zu finden. Vor allem ihr starker Dialekt war ihr dabei hinderlich gewesen. Daraufhin hatte sie beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen. Unermüdlich hörte sie den Nachrichtensprechern aus dem Fernsehen mit ihrem tadellosen, akzentfreien Englisch zu und lernte, ebenso klar und korrekt zu sprechen.

Für eine völlig neue Persönlichkeit ließ sie ihre Vergangenheit hinter sich und erfand für sich einen neuen Lebenslauf. Um ihre neue Identität glaubwürdig zu machen, fehlte dann nur noch ein anderer, gut klingender Name. Ihr Plan ging auf. Für Cassandra Bailey Brown öffneten sich Türen, die für Caz Ryan für immer verschlossen geblieben wären.

Doch in der misslichen Lage, in der sie sich im Augenblick befand, konnte ihr nicht einmal Cassandra weiterhelfen. Caz versuchte, sich aus dem Auto zu befreien, aber sie konnte sich nicht bewegen, sie war eingeklemmt. Sie zitterte am ganzen Leib, der Schock saß ihr tief in den Knochen. Hinzu kam die Angst, die Nacht im Auto verbringen zu müssen, denn außer dem Traktorfahrer, den sie vorhin überholt hatte, gab es hier in dieser verlassenen Gegend weit und breit niemanden, der ihr hätte helfen können. Zu allem Unglück kam sie nicht einmal an ihr Handy heran.

Sie schrie laut um Hilfe.

Die anschließende Stille um sie herum war beängstigend, und langsam sank ihre Hoffnung auf Rettung. Irgendwie war die Stille auf dem Land völlig anders als die in der Stadt. Hier auf dem Land herrschte eine allumfassende Lautlosigkeit, die beinahe schon beängstigend war. Man hörte nur den Wind, der Geräusche erzeugte, wie man sie aus einem Horrorfilm kannte. Und eben diese Grabesstille um sie herum ließ erahnen, wie mutterseelenallein sie hier war.

Was, wenn der Traktor nicht angehalten hatte? Das hier war schließlich nicht London, wo es nur von Autos wimmelte, das hier war Hawkshead; sie befand sich praktisch am Ende der Welt.

Plötzlich tauchte ein Mann auf, und Caz schöpfte Hoffnung. „Stehen Sie nicht herum, tun Sie was!“, fauchte sie ihn ziemlich unfreundlich an.

Doch der Mann rührte sich nicht. Von dem Selbstvertrauen, das Cassandra immer an den Tag legte, war nichts mehr übrig. Dann sah sie, wie der Mann wieder wegging. Forschen Schrittes entfernte er sich vom Auto. „Kommen Sie zurück! Helfen Sie mir!“, rief sie ihm nach.

Jetzt war sie noch verzweifelter als vorher. Vielleicht hätte sie ihn höflich um Hilfe bitten sollen anstatt ihn anzuschreien? Schließlich war sie selbst schuld daran, dass sie hier im Straßengraben lag.

Sie verdrehte sich, so weit sie konnte, um aus dem Fenster zu blicken, doch sie sah nur eine schemenhafte Gestalt, einige Meter vom Auto entfernt. Der Mann war groß und schlank und hatte breite Schultern. Leider machte er keine Anstalten, ihr in irgendeiner Weise zu helfen.

Jetzt war nur eines wichtig: Ruhe bewahren. Cassandra verlor nie die Nerven, sie hatte jede Situation unter Kontrolle – zumindest in London. Aber hier in Hawkshead, meilenweit entfernt von ihrer gewohnten Umgebung, war Cassandra plötzlich keine große Hilfe mehr.

Zitternd schlang sie die Arme um ihren Körper. Das war ganz und gar nicht Cassandra! Sie würde niemals vor Angst zittern, denn sie war stark. Seit Kurzem war sie sogar Personalchefin von Brent Construction, einem der größten Bauunternehmen in ganz England, und sie war dafür sogar nach Leeds gezogen. Am Montag müsste sie in gewohntem Selbstbewusstsein in der Firma erscheinen, dann würde sie den neuen Geschäftsführer kennenlernen.

Ihr neuer Chef, Brent junior, übernahm ein erfolgreiches Familienunternehmen und hatte sich vorgenommen, es zu einem Weltklassekonzern zu machen. Es gingen Gerüchte um, dass er nicht davor zurückscheute, Mitarbeiter, die ihm dabei hinderlich sein könnten, einfach zu entlassen.

Caz verstand, dass man im Geschäftsleben hart sein musste, wenn man etwas erreichen wollte. Sie erwartete auch keine Vorzugsbehandlung, aber der Weg nach oben war steinig gewesen, und sie wollte auf keinen Fall ihre gute Position verlieren, also hing für sie einiges von dem Treffen am Montag ab.

Dass sie nun nicht mehr in ihrem geliebten London war, hatte sie wieder einmal Cassandra zu verdanken. Die ließ keine Gelegenheit verstreichen, ihre Karriere voranzutreiben. Und so war es gekommen, dass Caz die gewohnte Geschäftigkeit Londons aufgegeben hatte und nach Leeds gezogen war, mit der Aussicht auf einen besseren Job und auf ein herrliches Landhaus in Yorkshire.

Das Haus in Hawkshead, zwanzig Minuten außerhalb von Leeds, war ihr aus heiterem Himmel in die Hände gefallen. Eine Tante, die sie nicht einmal kannte, hatte es ihr vererbt. Bisher hatte sie sich alles in ihrem Leben hart erkämpfen müssen, und jetzt hatte sie sogar ein Haus geschenkt bekommen! Wenn sie daran dachte, wurde sie nur noch ungeduldiger, denn sie war gerade auf dem Weg gewesen, um es sich anzusehen. Gleich nach der Arbeit war sie losgefahren, und jetzt saß sie hier fest …

Außer dem Ruf einer Eule war nichts zu hören, und Caz fühlte sich hilflos und verlassen.

Noch einmal verrenkte sie den Hals, um aus dem Fenster sehen zu können. Der Mann war zurück. Mit einem riesigen Brecheisen stand er vor dem Auto und machte sich daran, die Tür aufzustemmen. Im gleichen Augenblick ließ ihr Zittern nach.

„Ich habe den Abschleppdienst gerufen“, rief er durchs Fenster. Er hatte eine tiefe, kräftige Stimme.

„Danke“, antwortete sie unsicher.

„Und jetzt werde ich Sie erst einmal hier herausholen.“

Daran bestand gar kein Zweifel! So kräftig und durchtrainiert, wie er aussah, würde es ihm nicht schwerfallen, sie zu befreien. Seltsamerweise wurde ihr beim Gedanken daran mit einem Mal heiß. Ja, dieser Mann würde sie retten!

Während er beruhigend auf sie einredete, machte er sich an die Arbeit.

Caz war achtundzwanzig Jahre alt, doch im Moment fühlte sie sich wie ein kleines, hilfloses Kind. Da sie direkt nach der Arbeit losgefahren war, trug sie immer noch ihre hochhackigen Schuhe und einen überaus kurzen Minirock – eine für die Situation reichlich unpassende Kleidung, wie sie feststellen musste.

Der Mann redete ihr gut zu, sie solle noch eine Weile durchhalten, sie sei sehr tapfer. Seine Stimme wirkte beruhigend auf sie, und ihre Angst verflog allmählich. Zudem strahlte er eine beeindruckende männliche Stärke aus. Obwohl sie ihn nicht sehr deutlich sehen konnte, übte er eine geheimnisvolle Anziehungskraft auf sie aus.

Er war der große Held aus einem Spielfilm, der ritterlich und unter Einsatz seines Lebens die hilflose, verschüchterte Prinzessin rettete.

„Gleich ist es geschafft …“

Als der Mann den Kopf ins Wageninnere steckte, spürte sie, wie sich ihr Körper anspannte. Ihre Wangen wurden heiß.

„Alles in Ordnung?“, fragte er. „Kann es sein, dass Sie Ihre Sprache verloren haben?“

Etwas Warmes, Fürsorgliches lag in seiner Stimme. Caz nickte nur und beobachtete ihn weiter, wie er sich zu ihr vorarbeitete. Seinen kräftigen Muskeln nach zu schließen war er bestimmt ein Farmer, überlegte sie. Ein Mann, der körperliche Arbeit gewöhnt war … Einer, der geschickt war mit seinen Händen …

Sie musste schlucken. Während er angestrengt die Wagentür aufhebelte, saß sie ungeduldig im Auto und sah ihm zu.

„Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?“, schimpfte sie los, ohne vorher groß zu überlegen.

„Können Sie auch noch etwas anderes, außer mich zu beschimpfen?“, brummte er missmutig.

Doch sie ließ sich nicht beeindrucken. „Vielleicht ist es gar nicht so gut, wenn Sie mich hier herausholen. Vielleicht sollte das besser ein Notarzt machen.“

„Es tropft Benzin aus Ihrem Tank. Ich kann Sie entweder herausholen, oder Sie warten hier, bis das Auto Feuer fängt. Ganz wie Sie wollen …“

„Wie bitte? Holen Sie mich schnellstens hier heraus!“ Jetzt konnte sie das Benzin auch riechen. „Bitte!“, fügte sie noch eilig hinzu.

„Kommen Sie an den Sicherheitsgurt?“, fragte er.

Aber noch bevor sie antworten konnte, schnitt er den Gurt bereits mit einem Messer durch. Dabei streifte er sie mit der Hand leicht am Arm. Wie ein Stromschlag durchfuhr die Berührung ihren ganzen Körper.

Ihr Herz schlug schneller. Er strahlte eine ausgeprägte, natürliche Männlichkeit aus, die sie bisher noch nicht erlebt hatte. Sie war an die blassen Typen aus der Stadt gewöhnt, die allesamt schon einen Bauchansatz zeigten. Er hier aber war braun gebrannt und hatte bestimmt einen festen, muskulösen Waschbrettbauch.

Caz zuckte zusammen, als er sich breitbeinig an die Böschung stellte, um genug Standfestigkeit zu haben. Er ging mit äußerster Sorgfalt vor, als er sie heraushob. Einen Augenblick lang dachte sie, sie würden beide im Sumpf landen, doch dann fand er das Gleichgewicht wieder, fasste sie fest um die Taille und zog sie mit Schwung nach oben. Sie war gerettet …

„Sie brauchen keine Angst zu haben“, meinte er beruhigend.

Ihr Herz klopfte wie wild, doch sie spürte, wie sie langsam ruhiger wurde. Überaus erleichtert sagte sie: „Vielen Dank.“ Um sie zu retten, hatte er sich ebenfalls in große Gefahr begeben.

„Schon gut“, brummte er und legte seinen Arm noch fester um sie.

Sie spürte seine Anspannung. Das Auto konnte jeden Moment explodieren, und er war angestrengt darum bemüht, so schnell wie möglich von hier wegzukommen. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um Höflichkeiten auszutauschen.

Caz jedoch musste zugeben, dass sie die Situation genoss. Es war herrlich, in seinen Armen zu liegen und ihm die Kontrolle zu überlassen. So etwas war sie nicht gewohnt, denn ihr Job verlangte ihr sehr viel Verantwortung ab, und auch in ihrem Privatleben hatte sie immer alles im Griff.

Jetzt ließ sie einfach alles mit sich geschehen, überließ das Kommando jemandem anderen. Es war ein erlösendes Gefühl, sich einfach fallen zu lassen.

„Ich kann Sie nicht tragen, wenn Sie sich so schwer machen. Sie müssen schon ein wenig mithelfen“, murrte er.

Wie charmant! Er war also doch ein ungehobelter Rüpel vom Land. Trotzdem fühlte sie sich bei ihm äußerst wohl; bei jedem seiner Schritte spürte sie die Kraft, die in ihm steckte.

Als sie das dichte Gestrüpp endlich hinter sich gelassen hatten, erreichten sie eine vom Mondlicht erhellte Lichtung und sie konnte endlich seine Gesichtszüge erkennen. Er hatte ein markantes Kinn, trug einen Dreitagebart und hatte einen unwahrscheinlich sinnlichen Mund. Offensichtlich war er frisch geduscht, denn er verströmte einen angenehmen, würzigen Duft. Augenblicklich wurde sie daran erinnert, dass sie großen Hunger hatte. Es war schon ziemlich lange her, dass sie etwas gegessen hatte.

Mit festen, entschlossenen Schritten brachte er sie in Sicherheit. Caz erkannte gleich, dass er ein Mann der Tat war und täglich körperliche Arbeit verrichtete. Im Bezug auf Menschenkenntnis konnte ihr niemand etwas vormachen, schließlich war es eine wichtige Grundvoraussetzung für eine Personalchefin, Leute einschätzen zu können. Cassandra Bailey Brown konnte einem Bewerber die Karriere bereits voraussagen, bevor sie seinen Lebenslauf auf dem Schreibtisch liegen hatte.

Jedenfalls hatte Caz richtig Glück gehabt, dass ein Mann aufgetaucht war, der anpacken konnte, denn in Cassandras Welt gab es nur Bürohengste, die bestenfalls ein paar Aktenordner hin und her tragen konnten.

Als er sie fester anfasste, um sie besser halten zu können, stieß sie erschrocken einen schwachen Laut aus.

„Habe ich Ihnen wehgetan?“, fragte er besorgt.

Das nicht, aber er hatte mit der Hand ihren nackten Hintern berührt. Unter ihrem hautengen Designerkostüm trug sie nie Unterwäsche. Als er sie absetzte, hatte sie sich wieder gefangen und antwortete in Cassandras gewohntem Selbstbewusstsein, es sei alles in Ordnung.

„Ein ziemlich unkonventionelles Outfit für einen Ausflug aufs Land“, stellte er abfällig fest.

Gab es denn Vorschriften, wie man sich zu kleiden hatte, bevor man sein Auto in den Straßengraben manövrierte?

Nur mit Mühe konnte sie sich zurückhalten, eine bissige Bemerkung loszulassen, schließlich hatte er sie gerettet, und dafür war sie ihm äußerst dankbar. Im Übrigen musste sie zugeben, dass er recht hatte. Ihr Kostüm war im Moment nicht gerade die passende Kleidung, und sie wäre froh gewesen, wenn sie wenigstens einen Slip angehabt hätte. Immer noch konnte sie seine Hand auf ihrem Po fühlen.

Das sanfte Licht des Mondscheins fiel auf sein Gesicht, und Caz’ Herz schlug schneller, als sie in seine tiefgrünen Augen blickte. Dann betrachtete sie ihn von oben bis unten. Er war groß und trug hautenge Jeans. Caz war tief beeindruckt von seinem Auftreten. Was für ein Mann!

„Geht es Ihnen schon besser?“, fragte er.

Sie versuchte, möglichst ruhig und gelassen zu wirken, obwohl sie innerlich ziemlich aufgewühlt war.

Der Mann runzelte die Stirn und betrachtete sie eingehend. „Ich denke, Sie stehen noch unter Schock.“

Als er Anstalten machte, sie wieder auf die Arme zu heben, wich sie zurück. „Nein, lassen Sie, ich möchte mich hier gerne eine Weile ausruhen …“ Während sie sprach, fächelte sie sich mit der Hand etwas Luft zu. Ihr Puls raste, und sie zitterte am ganzen Leib unter seinem eindringlichen Blick. So hatte sie noch nie im Leben auf einen Mann reagiert.

„Keine Sorge, Sie werden sich schnell wieder erholen“, versicherte er ihr.

Na hoffentlich!

Plötzlich klingelte sein Handy, und Caz vermutete, dass es der Abschleppdienst war.

„Werden sie uns finden?“

„Keine Sorge, ich kümmere mich darum.“

Während der Mann telefonierte, wandte Caz ihren Blick von ihm ab. Vielleicht würde es ihr auf diese Weise gelingen, ihre Gedanken wieder zu ordnen.

Gerade jetzt, wo sie doch Cassandra so dringend gebraucht hätte, war sie nicht da. Da fiel ihr ein, dass dieser Mann eine große Hilfe bei der Renovierung von Stone Break House sein könnte, dem Landsitz, den sie von ihrer Tante geerbt hatte. Das Haus musste hier ganz in der Nähe sein, und er kannte sich in der Gegend bestimmt gut aus.

Hoffnungsvoll blickte sie ihn an, als er sein Handy zuklappte. Sie hatte eine Idee, und wenn alles so lief, wie sie es sich vorstellte, wäre sie mit ihrer ersten unangenehmen Begegnung mit Hawkshead versöhnt. Als sie einen Schritt tat, brach ihr Absatz ab, und sie stieß einen leisen Fluch aus.

„Warum ziehen Sie die nicht einfach aus?“

Ungläubig starrte sie ihn an.

„Ohne die Dinger können Sie hier viel besser laufen“, fügte er hinzu.

Hatte dieser Typ eigentlich eine Ahnung, was die Schuhe gekostet hatten? Caz holte tief Luft. Sie musste sich wieder in Erinnerung rufen, was er für sie getan hatte. Wie konnte sie auch von einem Landei wie ihm erwarten, dass er den Wert ihrer sündhaft teuren Schuhe erkannte?

Ihren herausfordernden Blick erwiderte er mit einem süffisanten Schmunzeln. Seine Direktheit war für sie ungewohnt. Unterdessen keimte in ihr die Überlegung auf, wie es wäre, mit ihm eine Affäre anzufangen. Warum eigentlich nicht? Hier in Hawkshead kannte sie niemand. Doch dann rief Cassandra sich wieder zur Vernunft, denn für Männer war in ihrem Leben keine Zeit und kein Platz.

Eigentlich schade, dachte sie. Aber träumen durfte man ja. Seltsam nur, dass sie in London oder in ihrer neuen Heimatstadt Leeds nie auf solche Gedanken gekommen war. War es die frische Landluft, die sie völlig verrückt machte? Oder lag es an diesem Prachtexemplar von einem Mann?

Mit ihrem Absatz in der Hand stand sie etwas schief vor ihm und starrte auf sein enges Shirt, das sich über einen offenbar ziemlich durchtrainierten Oberkörper spannte. „Vielen Dank, Mr. …?“

„Galem“, vervollständigte er.

Ein wenig verwirrt überlegte sie, ob Galem nun sein Vorname war oder sein Nachname.

Sie entschied sich für den Vornamen. „Danke, Galem. Haben Sie zufällig die Telefonnummer, unter der man sich hier ein Taxi rufen kann?“

Als keine Antwort kam, fing sie an, in ihrer Tasche zu kramen, die er vorhin auf ihre Bitte hin aus dem Auto geholt hatte. Normalerweise hatte sie immer etwas Kleingeld dabei. Erleichtert zog sie eine Fünfpfundnote heraus. „Hier, das ist für Ihre Hilfe“, sagte sie in selbstgefälligem Cassandraton.

Er ignorierte jedoch das Geld und fragte sie: „Und wie heißen Sie, wenn man fragen darf?“

Seine Stimme ließ sie vor Lust erschaudern. „Mein Name ist Cassandra Bailey Brown“, antwortete sie in festem Ton. Endlich hatte sie Cassandras Selbstbewusstsein wiedererlangt.

Der Mann blickte sie an, als sei sie ein Wesen von einem anderen Planeten, doch dann blitzte etwas in seinen Augen auf. Irgendwie hatte sie das Gefühl, er kannte sie. Aber das war vollkommen unmöglich! Woher sollte er sie kennen? Es gab keinerlei Berührungspunkte zwischen ihnen: Cassandra lebte in der Stadt ein absolut anderes Leben als dieser ungehobelte Bursche vom Land. Ihre Geduld war nun endgültig am Ende. Sie hasste diesen spöttischen Blick, mit dem er sie ansah. Warum nahm er nicht einfach das Geld und gab sich zufrieden?

Hier auf dem Land herrschten offensichtlich andere Sitten.

Ein letztes Mal machte sie einen Anlauf. „Hier, nehmen sie endlich das Geld …“

„Wofür?“, fragte er stirnrunzelnd.

Verärgert steckte sie den Schein wieder in ihre Tasche. Dabei brach ihr ein frisch manikürter, künstlicher Fingernagel ab. Auch das noch!

„Cassandra Bailey Brown – nicht schlecht“, stellte er fest.

Schon wieder schmunzelte er; er machte sich andauernd über sie lustig. Cassandras Lächeln erstarb; zum ersten Mal fand sie, dass der Name lächerlich klang.

Vielleicht weil sie in Wirklichkeit einfach nur Caz Ryan war?

Sie durfte sich von ihm nicht aus dem Konzept bringen lassen. Wenn sie wollte, dass er für sie arbeitete, musste sie ihm von Anfang an zeigen, wer hier der Chef war. „Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wie Sie mit Nachnamen heißen“, erinnerte sie ihn.

„Das stimmt. Aber es reicht, wenn Sie meinen Vornamen wissen.“ Er war nicht gerade auskunftsfreudig. „Übrigens gibt es hier kein Taxi. Was haben Sie nun vor, Cassandra?“

Wie nett! Er hatte ihren Namen so ausgesprochen, als gehöre er zu irgendeinem Flittchen aus einem Pornofilm. „Wo bekomme ich dann ein Taxi?“, meinte sie verärgert.

„Hier jedenfalls nicht.“ Er machte keine Anstalten, ihr weiter behilflich zu sein.

„Nun, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als zu meinem Auto zurückzugehen. Ich werde die Nacht darin verbringen, und morgen werde ich weitersehen“, erklärte sie und warf trotzig den Kopf nach hinten.

„Das werden Sie nicht tun!“ Entschlossen stellte er sich vor sie.

„Wie wollen Sie mich daran hindern? Haben Sie vor, mich hier festzuhalten?“, fragte sie herausfordernd. Zugegeben, diese Vorstellung war aufregend.

„Gut, wenn sie so dumm sind …“ Mit diesen Worten trat er zur Seite und machte ihr den Weg frei.

Als sie jedoch an ihm vorbeigehen wollte, hielt er sie zurück. „Das kann ich nicht zulassen. Ich werde Sie erst zum Auto gehen lassen, wenn der Abschleppdienst mir bestätigt hat, dass nichts passieren kann.“ Mit verschränkten Armen stand er vor ihr und blickte sie streng an.

„Und was, bitte schön, soll ich bis dahin tun?“

„Kommen Sie einfach mit mir mit“, schlug er vor.

Wieder spürte sie, dass da etwas Spöttisches in seiner Stimme lag. Sie würde nirgendwo mit ihm hinfahren, sie war ja nicht verrückt!

„Keine Sorge“, sagte er mit einem verräterischen Schmunzeln auf den Lippen. „Ich helfe Ihnen auf den Traktor.“

Das konnte sie sich gut vorstellen! Grimmig blickte sie ihn an, während ihr allmählich klar wurde, dass sie keine andere Wahl hatte, als sein Angebot anzunehmen.

„Sind Sie bereit?“, fragte er und wies mit dem Kopf zum Traktor.

„Wie bitte? Ich soll mit Ihnen im Traktor mitfahren?“, fragte sie ungläubig.

„Also, auf dem Rücken werde ich Sie nicht tragen. Kommen Sie nun oder nicht? Ich werde auch wegsehen, wenn sie hinaufklettern“, meinte er trocken.

Es gab keine andere Möglichkeit: Entweder sie fuhr mit ihm mit, oder sie musste zu Fuß laufen.

„Übrigens hört diese Straße irgendwann auf“, erklärte er. „Wohin wollten Sie eigentlich?“

„Machen Sie sich keine Gedanken, ich habe mich nicht verfahren.“ In Wirklichkeit hatte sie keine Ahnung, wo sie eigentlich war.

„Da hinten steht nur ein einziges Haus …“

Ihr Herz schlug schneller. War sie etwa tatsächlich auf dem richtigen Weg gewesen? Der Anwalt ihrer Tante hatte gemeint, Stone Break House sei ein recht ansehnliches Landhaus am Ende einer einsamen Straße. Doch angesichts der unbewohnten Ruinen, an denen sie vorbeigefahren war, war jedes einigermaßen bewohnbare Haus ansehnlich.

Schon seit Langem hatte sich Cassandra einen Landsitz gewünscht. Das war es, was ihr noch gefehlt hatte, um mit den hochnäsigen Jones mithalten zu können. Dass Galem das Haus kannte, machte ihr Mut. Stone Break House – allein der Name klang schon großartig. Etwas schnippisch meinte sie schließlich: „Ich weiß, dass es hier nur ein Haus gibt, denn Stone Break House gehört jetzt mir.“

„Ach, wirklich?“, antwortete er unbeeindruckt.

Es folgte eine angespannte Pause.

„Na, dann los.“

Caz runzelte die Stirn. Sie hätte es ihm nicht sagen sollen. Was ging ihn schließlich an, dass das Haus ihr gehörte?

„Kommen Sie nun endlich?“, fragte er voller Ungeduld.

Es war inzwischen stockdunkle Nacht, und hier draußen gab es keine Straßenlaternen. Wenn sie sich alleine auf den Weg machen würde, würde sie womöglich die Auffahrt zu Stone Break House übersehen und einfach weitermarschieren in Richtung Berge … Schon oft hatte sie davon gelesen, dass Menschen einfach verschwunden waren, oder dass sie von seltsamen Tieren aufgefressen wurden.

„Okay, wenn Sie sich nicht entscheiden können, dann fahr ich jetzt.“

„Nein, warten Sie!“ In Cassandras herrischem Tonfall rief sie ihn zurück. Es war Zeit, die Zügel in die Hand zu nehmen. Cassandra Bailey Brown war in London Chefin über einhundertfünfzig männliche Angestellte gewesen, es wäre doch gelacht, wenn sie mit diesem einen nicht fertig werden würde. Ihre Freunde hatten sich immer darüber lustig gemacht, dass sie so viele Männer um sich herum hatte, selber aber immer noch Single war.

„Was Männer betrifft, bist du ein hoffnungsloser Fall, Cassandra!“, hatten sie immer gesagt.

Für einen Mann aber war auf Cassandras unbarmherzigem Weg nach oben kein Platz gewesen. Es machte ihr jedoch nichts aus, kein Privatleben zu haben, solange sie jeden Monat einen Spitzenverdienst auf ihrem Konto verzeichnen konnte. Sollten sich doch ihre Freunde lustig machen. Nach einer unglücklichen Beziehung, die Cassandra zum Glück früh genug wieder beendet hatte, waren Männer für sie kein Thema mehr gewesen. Das Ergebnis der Geschichte war, sie war immer noch Jungfrau.

„Ich frage Sie nun zum letzten Mal, Sie Großstadtpflänzchen …“ Lässig an seinen Traktor gelehnt stand Galem da und blickte sie herausfordernd an. „Ich fahr dann mal“, sagte er schließlich, während er sich anschickte, auf den Traktor zu steigen.

„Warten Sie, ich komme ja schon!“, rief sie. In ihrer Stimme schwang ein wenig Verzweiflung mit. Wenn sie nicht barfuß zum Haus ihrer Tante gehen wollte, musste sie jetzt die Zähne zusammenbeißen. „Könnten Sie mich beim Tor zur Auffahrt absetzen?“

„Bei welchem Tor?“

„Na, das von Stone Break House“, erklärte sie, als ob er schwer von Begriff wäre.

Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, als er ihr auf den Traktor half, doch seine unerwartete Höflichkeit machte sie stutzig. „Sie brauchen mich nur bis zum Tor zu bringen.“

„In Ordnung“, antwortete er und fuhr los.

2. KAPITEL

„Das soll Stone Break House sein?“ Ungläubig starrte Caz auf das vom Scheinwerfer des Traktors beleuchtete Grundstück. Das war völlig unmöglich. „Sie müssen sich irren“, erklärte sie überzeugt.

„Nein, ich irre mich nicht.“

„Aber das ist niemals das Haus meiner Tante. Das hier ist eine Ruine.“ Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie den heruntergekommenen Landbesitz überblickte. Auf einem abgeblätterten Schild, das am verwitterten Holzzaun hing, las sie „Stone Break House“. Es bestand kein Zweifel, sie war hier richtig.

„Früher befand sich hier ein Steinbruch …“

„Ersparen Sie mir die Details“, unterbrach sie ihn. „Ich muss jetzt nachdenken.“ Wie lange war Tante Maud im Pflegeheim gewesen? Caz hatte keine Ahnung. Sie hatte ja nicht einmal von ihrer Existenz gewusst, bis eines Tages der Anwalt ihrer Tante aufgetaucht war.

„Worüber müssen Sie nachdenken?“

„Ich überlege, ob man aus diesem heruntergekommenen Steinhaufen noch etwas machen könnte.“

Anstatt sein Bedauern auszudrücken, grinste Galem nur. Wahrscheinlich malte er sich gerade das geradezu unmögliche Unterfangen aus, dieses Haus zu renovieren.

„Derjenige, der Ihnen dieses Haus vermacht hat, musste viel Sinn für Humor gehabt haben“, meinte er trocken.

Caz musste zugeben, dass ihr die Beweggründe von Tante Maud unklar waren. Der Anwalt hatte erzählt, sie habe über einen langen Zeitraum keinen Kontakt mehr zu ihrer Schwester, der Mutter von Caz, gehabt, und die Tante hatte nicht einmal gewusst, dass Caz in einem Waisenhaus aufgewachsen war. Irgendwann hatte Tante Maud schließlich ihre Nichte ausfindig gemacht und wollte daraufhin unbedingt ihr Testament ändern.

Cassandra hatte sich riesig über die unerwartete Erbschaft gefreut, doch jetzt, wo sie davorstand, war die Enttäuschung riesengroß. Trotz allem fühlte sie sich von dem Haus angezogen. Sie konnte das Lachen und die Fröhlichkeit spüren, mit der hier einst Familien gelebt hatten.

Sie rief sich zur Vernunft. Sah sie denn schon Gespenster? Wahrscheinlich stand sie nach dem Unfall immer noch unter Schock.

Jedenfalls würde sie ihre spontanen Gefühle dem Haus gegenüber keinesfalls Galem preisgeben. Er würde sie sowieso nur auslachen und fragen, ob sie noch ganz bei Trost wäre.

Sie danke ihm dafür, dass er sie hergebracht hatte, und erkundigte sich nach ihrem Auto. Ohne ihren Wagen war sie hier aufgeschmissen.

„Ich sage Ihnen Bescheid, wenn er wieder fahrtüchtig ist.“ Dann beugte er sich über sie und öffnete die Traktortüre. Automatisch wich sie zurück. Sie wollte ihm nicht näher kommen, als es unbedingt sein musste.

Dieser Mann hatte eine seltsame Wirkung auf sie. Wenn er sie ansah, spürte sie ein Flattern in der Magengegend, und es wurde von Mal zu Mal stärker.

„Könnte es sein, dass Sie etwas anderes erwartet haben?“

Nachdem er die Tür aufgestoßen hatte, kletterte Caz hinunter. Sie musste so schnell wie möglich heraus aus dieser engen Kabine. Er stieg ebenfalls vom Traktor.

„Ganz und gar nicht“, antwortete sie keck und stapfte über den unebenen Boden.

„Warum haben Sie es denn so eilig? Ich hätte Ihnen natürlich aus dem Traktor geholfen.“

Das kann ich mir vorstellen, dachte Caz. Damit Sie wieder meinen Hintern anfassen können. Sie warf ihm ein kühles Lächeln zu und fragte: „Haben Sie meine Tasche dabei?“ Ohne ihre Tasche ging sie nirgendwohin. Sie war vollgestopft mit unzähligen Cremes und Make-up Artikeln. Außerdem hatte sie eine Flasche original englisches Bier dabei, die ihr Freunde aus London geschickt hatten. Damit sollte sie auf den Umzug in das neue Landhaus anstoßen.

„Ihre Tasche?“

Galem strich sich mit den Fingern durch die Haare und dachte nach, wo er die Tasche hingelegt hatte.

„Ah, sie ist hinten auf der Ladefläche bei den Pflastersteinen“, sagte er schmunzelnd.

Caz war sprachlos. Sie hätte ihn erwürgen können, aber schließlich war sie noch auf seine Hilfe angewiesen.

„Hier ist sie.“ Wie einen Sack Mehl ließ er sie vor ihre Füße fallen, doch Caz verkniff sich einen bissigen Kommentar, nahm sich stattdessen zusammen und fragte neugierig: „Sie sind also Pflasterleger?“

„Haben Sie etwas dagegen?“ Mit einem finsteren Blick starrte er sie an.

„Nein, ganz und gar nicht“, gab sie hastig zur Antwort.

Er stand sehr nahe bei ihr, die Daumen lässig in den Gürtel eingehakt. „Ich dachte nur, Sie wären ein Farmer“, erklärte sie schnell. Eingehend betrachtete sie seine breiten Schultern und die Brusthaare, die durch sein halb geöffnetes Hemd blitzten, während sie es gleichzeitig tunlichst vermied, ihm in die Augen zu sehen. Wie es sich wohl anfühlen mochte, über diese behaarte Männerbrust zu streichen …?

„Ist alles okay mit Ihnen?“

„Ja, danke.“

„Sie machen den Eindruck, als stünden Sie noch etwas wackelig auf den Beinen“, meinte er ein wenig besorgt.

„Ganz und gar nicht. Machen Sie sich keine Sorgen, es ist alles bestens.“ Schnell rief sie ihre Gedanken wieder zur Ordnung. „Danke noch mal für alles. Und vergessen Sie nicht, mir morgen Bescheid zu geben, wegen des Autos.“ Anschließend drehte sie sich um und ging.

Dumme Ziege, dachte er bei sich. Dann fragte er skeptisch: „Wollen Sie hier etwa übernachten?“ Es klang, als wäre dies ein Ding der Unmöglichkeit, und er würde es keinesfalls zulassen.

„Natürlich, was dachten Sie?“

Er runzelte die Stirn: „Sie nehmen mich doch bestimmt auf den Arm, oder?“

„Nein, das meine ich ernst.“ Dann schwang sie ihre Handtasche über die Schulter und machte sich daran, das alte Holztor zu öffnen. „Danke, Galem. Wir sehen uns morgen.“ Sie stemmte sich mit aller Kraft gegen das Tor, doch es gab nicht nach. Eine Weile kämpfte sie gegen das Tor an und bemühte sich, möglichst gelassen zu wirken.

„Verbietet es Ihnen Ihr Stolz, mich um Hilfe zu bitten, Cassandra?“

Entschlossen trat er an sie heran und half ihr, das Tor zu öffnen. Wieder kam er ihr sehr nahe, und sie stellte fest, dass er unheimlich männlich roch, einfach herrlich – zum Dahinschmelzen.

Zum Kuckuck mit diesen Gedanken!

Caz warf ihm einen dankbaren Blick zu. Das war ein Mann, der anpacken konnte. Wenn sie es geschickt anstellte, könnte er ihr noch sehr nützlich sein.

Sie trat durchs Tor und ging auf die Steinruine zu. Auf keinen Fall würde sie jetzt wieder umkehren, das verbot ihr der Stolz. Trotzdem musste sie zugeben, dass das Haus nicht sehr einladend aussah. Es entsprach so gar nicht dem, was sie sich unter ihrem zukünftigen Wohnsitz auf dem Land vorgestellt hatte.

„Da Sie offenbar tatsächlich hierbleiben wollen, gebe ich Ihnen zur Sicherheit meine Telefonnummer“, sagte Galem.

Caz war bereits bei den Stufen zum Haus angekommen und hatte nicht die geringste Lust, sich zu ihm umzudrehen, nur um sein selbstgefälliges Grinsen ansehen zu müssen.

„Ich kann Sie aber auch im nächsten Dorf absetzen, wenn Sie wollen.“ Irgendwie klang er besorgt.

„Nicht nötig. Ich bleibe hier.“

„Kein vernünftiger Mensch würde hier übernachten!“

Ich schon, dachte Caz dickköpfig. Er wollte doch nur, dass sie kleinlaut aufgab. „Mich schreckt das Haus nicht ab“, sagte sie entschieden. „Und ich bin keinesfalls verunsichert, falls Sie das denken, sondern ich überlege nur, was man daraus machen könnte.“

„Dann denken Sie nur nicht zu lange nach“, meinte Galem mit einem süffisanten Schmunzeln auf den Lippen.

Je mehr sich Galem über sie lustig machte, desto überzeugter wurde sie, dass sie hierher gehörte und dass Stone Break House sie brauchte. „Es ist nicht nötig, dass Sie noch länger hierbleiben“, sagte sie spitz.

„Okay“, meinte Galem. „Dann gehe ich jetzt. Aber vorher schreibe ich Ihnen noch meine Telefonnummer auf.“

„Wozu?“ Sicher wollte er nur, dass sie geknickt bei ihm anrief und ihn unterwürfig um Hilfe anflehte. Sie brauchte seine Nummer nicht. Wenn sie ihn unbedingt ausfindig machen wollte, konnte sie auch im Telefonbuch nachsehen. „Sagen Sie mir einfach Ihren Namen, das genügt mir.“ Es geschah ihm ganz recht, wenn sie etwas herablassend klang!

Trotzdem ließ er sich nicht von ihr irritieren und notierte ihr seine Telefonnummer auf einen Zettel. Dabei drehte er sich mit dem Rücken zu ihr und hielt ein Stück Papier gegen die Hausmauer. Das gab ihr die Möglichkeit, ungehindert auf seinen festen Hintern zu starren.

„Viel Spaß“, meinte er noch mit einem vielsagenden Blick auf das Haus.

„Keine Sorge. Ich komme sehr gut allein zurecht.“ Dann stieg sie die Treppe hoch.

Wenn sie unbedingt meinte, die starke Frau spielen zu müssen, dann sollte sie doch sehen, wie sie die Nacht überstehen würde. Was kümmerte es ihn? Schließlich hatte er Besseres zu tun.

Er ging zurück zum Traktor und drehte sich noch einmal um. Eigentlich hätte es ihm egal sein können, was sie hier machte, doch das war es nicht. Er beobachtete sie, wie sie mit zusammengepressten Lippen und entschlossenen Blickes die Stufen hinaufstieg. Es würde keinesfalls leicht werden, an sie heranzukommen, sie war eine ziemlich harte Nuss. Aber er freute sich schon darauf.

Ein wildes Durcheinander der Gefühle machte sich in ihm breit, auf manche dieser Gefühle war er nicht unbedingt stolz. Das Schlimme an der Geschichte war, dass dieses Haus mehr für ihn bedeutete, als er eigentlich zugeben wollte. Stone Break House war ein Symbol für den jahrelangen Kampf seines Vaters auf seinem Weg nach oben. Wenn du etwas erreichten willst, musst du dein Ziel immer fest vor Augen haben, hatte er immer zu Galem gesagt. Und diesem Grundsatz war sein Vater gefolgt, obwohl er dadurch oft den Eindruck erweckt hatte, herzlos zu sein. Vielleicht war er es sogar manchmal gewesen.

Und für Galem war eben Stone Break House das Ziel. Er wollte es unbedingt haben! Außerdem war er sich sicher, dass der neuen Besitzerin nicht halb so viel an dem Haus lag wie ihm. Er beschloss, mit Fingerspitzengefühl und Taktik an die Sache heranzugehen. Er würde Cassandra Bailey Brown ihren Willen lassen. Lange würde sie sowieso nicht durchhalten in ihrem albernen Kostümchen und den hochhackigen Schuhen.

Noch einmal warf er ihr einen letzten Blick zu ihr. Er wusste genau, was sie im Inneren des Hauses erwartete, er hatte es bereits gesehen. Und eben weil er wusste, wie es darin aussah, konnte er sie jetzt nicht einfach alleine lassen.

Er trat in den Schatten des Nebengebäudes, von wo aus er sie genau beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Gerade kämpfte sie mit dem Vorhängeschloss an der Eingangstür.

Es stimmte ihn traurig, dass das Haus schon so lange Zeit dem Verfall ausgesetzt war. Wenn er daran dachte, wie schnell es in sich zusammengefallen war, zog sich sein Herz zusammen. Keiner hatte sich mehr darum gekümmert, und er brannte darauf, es der neuen Besitzerin abzukaufen und zu renovieren. Er würde sich nicht zufriedengeben, bis es endlich wieder in neuem Glanz erstrahlen würde.

Der Anwalt hatte darauf bestanden, das Gebäude abzuriegeln, doch das hatte Galem nicht daran gehindert, durch ein Fenster einzusteigen. Er strich sich mit der Hand über die Stirn und verzog das Gesicht. Derart bewegende Gefühle waren gänzlich neu für ihn, und sie machten es ihm schwer, klar und vernünftig zu denken.

Endlich hatte Caz es geschafft, das Schloss zu öffnen. Sie nahm es ab und stieß die Tür auf. Bevor sie ins Haus ging, drehte sie sich noch einmal um, als ob sie spürte, dass er immer noch da war. Hätte ihm nicht so viel an dem Haus gelegen, hätte er sich vielleicht zu erkennen gegeben. Aber wenn er jetzt zu ihr ging und ihr half, dann würde sie das Haus womöglich behalten wollen. Er wollte es ihr nicht zu leicht machen. Er würde einfach hier stehen bleiben und warten, bis sie voller Verzweiflung wieder herauskam …

Sie war mit den Nerven ziemlich am Ende, als sie erneut die Telefonnummer wählte. Zumindest hatte sie sich so weit im Griff, nicht einfach loszuschreien. Bis jetzt.

Caz lauschte in den Hörer und stöhnte auf, als sich schon wieder die Stimme des Metzgers meldete. Gerade eben hatte sie ihn schon einmal am Telefon gehabt. Höflich hatte sie sich entschuldigt, sie habe sich verwählt.

Leise vor sich hin fluchend versuchte sie es noch einmal. Galem, Galem, Galem, tönte es in ihrem Kopf. Es fiel ihr nicht leicht, ihn anzurufen, aber sie kannte hier sonst niemanden. Den Zettel mit seiner Telefonnummer hatte sie sich noch angesehen, bevor sie ihn in die Tasche gesteckt hatte. Leider war er nicht mehr aufzufinden, und sie versuchte angestrengt, sich an die Nummer zu erinnern. Ihr Gedächtnis hatte doch sonst immer so gut funktioniert.

Diese Unsicherheit war vollkommen untypisch für sie, und sie verlor normalerweise nie irgendwelche Zettel. Doch der Anblick von Spinnen, die so groß waren wie ihre Handfläche, und ein Mäusenest im Badezimmer hatten sie völlig aus dem Konzept gebracht. „Von wegen Badezimmer!“, schnaubte sie empört und strich über ihr Designerkostüm.

Mit dem Telefon in der Hand ging sie unruhig auf und ab. Nicht einmal fließendes Wasser gab es in dem Haus, in jedem Zimmer war ein Loch in der Decke, die Türen waren morsch … Die Liste der Schäden war endlos lang. Sie vermutete, dass ein paar Dachziegel heruntergefallen waren, sodass es immer wieder reingeregnet hatte.

Das Haus befand sich in einem erbärmlichen Zustand. Draußen war es inzwischen stockfinster, das einzige Licht, das sie hatte, war die Beleuchtung auf ihrem Handy, und der Akku war so gut wie leer. Zu allem Übel gab es keine Heizung, nichts zu essen und nichts, wo sie schlafen konnte – es sei denn, sie machte es sich mit den Mäusen im Badezimmer gemütlich.

Immerhin hatte sie in ihrer Handtasche jede Menge Kosmetikartikel dabei, erinnerte sich Caz und versetzte der Tasche einen heftigen Tritt.

Als sie die schimmeligen Wände sah, lief es ihr kalt über den Rücken. Ein unangenehmer Geruch nach Verwesung lag in der Luft. Schimmel an den Wänden hatte sie in ihrem Leben schon genug gesehen, aber das Waisenhaus war ein Palast gewesen im Vergleich zu dem hier. Wie war es also zu erklären, dass sie trotz allem so entschlossen war, dieses Haus wieder instand zu setzen? Warum hatte sie so klar vor Augen, Stone Break House in einen Ort zu verwandeln, in dem man sich wohlfühlte?

Sie stieß ein kurzes Lachen aus. Scheinbar unlösbare Aufgaben waren eben ihr Spezialgebiet. Zumindest für Cassandra. Es gab kein Problem, mit dem Cassandra nicht fertig wurde. Aber das hier war schon eine ganz besondere Herausforderung … Caz erschauderte und bemühte sich, stark zu sein.

Noch einmal versuchte sie, Galem anzurufen. Es klingelte, aber niemand ging ans Telefon. Wie viele Versuche blieben ihr wohl noch, bis ihr Akku endgültig leer war? Sie blickte auf die Reste ihrer Fingernägel. Cassandra hätte den Zettel niemals verloren, aber Caz Ryan hatte ja nichts anderes im Kopf gehabt, als von dem makellosen Körper dieses Mannes zu träumen und sich in ihre Fantasien zu verlieren.

Während sie angespannt dem Klingeln im Telefon lauschte, wischte sie angewidert eine nicht vorhandene Spinne von ihrer Jacke. Hoffentlich ging er ran, und hoffentlich gab es eine Pension im Ort.

„Galem?“, rief sie ins Telefon. Sie war überglücklich, seine Stimme zu hören. „Galem, sind Sie es?“ Plötzlich stieß sie einen lauten Schrei aus und fasste sich an die Brust. Galem stand direkt hinter ihr! „Wie sind Sie hereingekommen?“, fauchte sie ihn an.

„Das war nicht schwer, die Tür war offen.“ Er leuchtete mit der Taschenlampe in ihr Gesicht.

Da stand sie nun, mitten in der Nacht, irgendwo am Ende der Welt, mutterseelenallein mit einem Mann, den sie nicht kannte. Ihre innere Stimme sagte ihr zwar, dass er nicht der Typ war, der die Situation ausnützen würde, aber sie war sicherheitshalber wachsam. Man konnte ja nie wissen … „Woher wussten Sie, dass ich Sie dringend brauche?“, fragte sie ihn argwöhnisch.

„Das war unschwer zu erraten“, antwortete er und blickte sich um.

Sie hatte ihn in seinem männlichen Ego gestärkt, das war ein großer Fehler gewesen. „Nichts funktioniert hier … okay, ich gebe zu, ich bin froh, dass Sie hier sind“, sagte sie schließlich zähneknirschend, während er amüsiert schmunzelte.

Sein Blick blieb an ihren Lippen hängen.

„Ja, ich gestehe, ich habe etwas anderes erwartet“, fügte sie kleinlaut hinzu. Er war ihr Retter in der Not; am liebsten wäre sie in seine Arme geflüchtet und hätte bei ihm Schutz gesucht vor all den bösen Geistern, die sie hier vermutete.

„Haben Sie etwa Angst in diesem Haus?“

Caz hatte die leise Ahnung, er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie Angst hatte und ihn bitten würde, sie zum nächsten Bahnhof zu bringen. Diese Genugtuung aber würde sie ihm nicht gönnen. Sie musste sich zusammennehmen und durfte keine Schwäche zeigen. „Wie kommen Sie darauf, dass ich Angst habe?“, fragte sie empört.

„Es war nur so eine Vermutung.“

Es war ihr unangenehm, dass er sie durchschaut hatte. „Sie haben mir noch nicht gesagt, warum Sie zurückgekommen sind.“

„Ich dachte, ich sehe noch mal nach Ihnen.“ Eindringlich blickte er sie an. „Sie waren ziemlich aufgelöst, als ich gekommen bin. Was war denn los?“

Was los war? Hatte er keine Augen im Kopf? Das hier war eine alte Bruchbude, und es wimmelte nur so von ungebetenen Bewohnern. „Würden Sie bitte die Taschenlampe von mir wegdrehen?“

Lässig lehnte er sich gegen einen Holzbalken und hielt die Lampe auf seine Oberschenkel gerichtet, was Caz dazu veranlasste, immerzu hinzustarren.

Sie musste ihm endlich die Wahrheit sagen, je länger sie es hinausschob, desto schwerer fiel es ihr. „Galem, ich brauche Ihre Hilfe.“ Lag da etwa so etwas wie Selbstzufriedenheit in seinem Gesichtsausdruck? Auch wenn es so war, konnte sie es jetzt nicht ändern. Sie brauchte ihn. Ihr Stolz war im Moment fehl am Platz.

„Das hatte ich mir schon gedacht“, meinte er herablassend.

Freundlichkeit ist nicht gerade seine Stärke, dachte Caz. „Wie Sie sehen, ist das Haus in einem katastrophalen Zustand. Ich muss irgendwie sehen, wie ich es bewohnbar machen kann.“

„Warum verkaufen Sie es nicht einfach? Soll sich doch jemand anders damit herumärgern.“

Das kam überhaupt nicht infrage! Warum eigentlich hatte er so schnell eine Lösung parat? Wollte er selbst vielleicht das Haus kaufen?

„Wenn ich Sie wäre, würde ich es verkaufen“, bekräftigte er noch einmal.

„Ach ja?“, antwortete sie gereizt. Doch das kam überhaupt nicht infrage. Das Haus übte eine seltsame Anziehungskraft auf sie aus, es berührte sie tief in ihrem Inneren. Sie konnte nicht erklären, warum, aber es war so.

Als ob er genau spürte, was in ihr vorging, legte er sanft seine Hand auf ihren Arm. Irgendwie hatte sie das Gefühl, er wollte nicht, dass sie hier war. Trotz dieser eigenartigen Vorahnung machte ihr Herz bei seiner Berührung einen Luftsprung.

Es war lange her, dass jemand sie zärtlich berührt hatte. Cassandra brauchte niemanden, an den sie sich anlehnen konnte, wenn es ihr einmal nicht gut ging. Doch Geld allein machte nun mal nicht glücklich …

„Sieht ziemlich übel aus“, stellte Galem fest, während er mit der Taschenlampe die abbröckelnde Decke inspizierte. An einigen Stellen zeigten sich riesige Löcher, durch die man bis zu den Dachbalken sehen konnte.

„Aber das kann man alles reparieren“, widersprach sie hartnäckig. Sie wollte alles daransetzen, um dieses Haus wieder in ein gemütliches Zuhause zu verwandeln. Ihrem Zuhause.

Zu ihrem Erstaunen stimmte ihr Galem zu. Man könne alles wieder reparieren, vorausgesetzt, man habe genügend Geld, meinte er. Leider war das nicht unbedingt das, was sie hatte hören wollen, denn ihre Ersparnisse würden dafür nicht reichen. „Wenn mich der Anwalt vorgewarnt hätte, dann hätte ich mit der Bank einen Kredit aushandeln können.“

„Wahrscheinlich wollte er Ihnen keine Angst machen, indem er gleich mit einer endlos langen Liste der anstehenden Reparaturen ankam“, vermutete Galem.

Damit hatte er wohl recht.

Zwischen ihnen befand sich eine abgrundtiefe Kluft. Beide wollten das Haus, und es gab keine Lösung für dieses Problem. Am besten, ich gehe jetzt einfach, dachte Galem, aber etwas hielt ihn davon ab. Diese Frau war couragiert und entschlossen, das imponierte ihm. Und sie berührte etwas tief in seinem Inneren.

„Sie haben vollkommen recht, Galem. Das Haus ist eine Bruchbude.“ Und mit einem Schmunzeln fuhr sie fort: „Es würde für seine hervorragende Innenarchitektur keinen Preis bekommen.“

Er lachte auf. Es war ein warmes, herzliches Lachen.

„Ich dachte eigentlich, hier wohnt weit und breit niemand. Aber ich habe gesehen, dass ganz in der Nähe in einer alten Bretterbude Licht brennt.“

„Das stimmt, dort wohnt der alte Thomas.“ Der Blick, mit dem er sie ansah, ließ ihr Herz schneller schlagen.

„Ja …“ Ihre Stimme klang kratzig, und sie musste sich räuspern. „Das wird er wohl sein.“

Es war zu vermuten, dass der alte Thomas keiner war, vor dem sie sich fürchten musste. Vielmehr sollte sie sich vor Galem in Acht nehmen … „Ich weiß nicht, wie er heißt. Ich habe nur einen älteren Mann dabei beobachtet, wie er seine Hühner ins Haus getrieben hat. Wohnt er ernsthaft zusammen mit den Hühnern in dieser Hütte?“

„Vielleicht halten sie ihn nachts warm?“

Die Art, wie er sie ansah, machte sie unsicher. Es war, als wüsste er genau, was in ihr vorging. Und da sie sich gerade vorstellte, wie kuschelig warm es wäre, mit ihm in einem gemütlichen Bett zu liegen, war ihr sein Blick unbehaglich. Sie schaute schnell weg.

„Das Haus hier ist denkmalgeschützt“, erklärte er, während er sich ein paar Schritte von ihr entfernte.

„Wirklich?“ Sie war erleichtert, dass er nicht mehr so nahe bei ihr stand.

„Man muss mit großer Sorgfalt an die Renovierung herangehen.“

Das klang, als wäre es keine leichte Aufgabe. Trotzdem sagte Caz entschieden: „Ich werde es schaffen, ich bin fest entschlossen.“

Galems Züge verhärteten sich, doch er gab dazu keinen Kommentar ab. Er leuchtete an die Decke und erklärte: „Diese Balken stammen aus dem 16. Jahrhundert.“

„Der Staub überall scheint auch schon Jahrhunderte alt zu sein“, meinte sie spöttisch. Es ärgerte sie, dass er glaubte, sie wäre nicht fähig, das Gebäude wieder instand zu setzen.

„Die Menschen, die hier einmal gelebt haben, haben das Haus geliebt“, murmelte Galem vor sich hin.

„Und es werden wieder Menschen hier einziehen, die es lieben werden“, erklärte sie fest.

Er drehte sich zu ihr um und sah sie an. Einen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, er glaubte ihr, doch dann änderte sein Gesichtsausdruck.

„Sämtliche Wände müssen neu verputzt werden“, sagte er, während er mit der Hand darüber strich.

Jetzt reichte es! „Sie wollen mich nur abschrecken.“

„Ganz und gar nicht!“

Als Caz die Treppe hinaufsah, überfiel sie wieder ein kalter Schauer. Wer weiß, was sie oben erwartete? Intuitiv trat sie näher zu Galem. „Ist die Treppe denn auch baufällig?“

„Sie können ruhig hinaufgehen, Sie sind ja nicht schwer.“ Schulter zuckend sah er sie an und lachte.

Und wenn die Treppe doch nachgab? Nach der Begegnung mit dem Mäusenest hatte sie sowieso keine Lust mehr, die obere Etage zu begutachten.

„Wahrscheinlich ist der Holzwurm in der Treppe.“ Er leuchtete mit der Taschenlampe auf das Geländer.

„Na wunderbar! Was gibt es sonst noch für Überraschungen?“

„Ich würde Ihnen empfehlen, mit Ohrstöpseln zu schlafen.“

„Weshalb?“ Lag das Haus etwa in der Einflugschneise eines Flughafens?

„Damit Ihnen kein Ungeziefer ins Ohr krabbelt.“

Plötzlich hob er den Arm, und Caz hielt die Luft an. Als Erstes dachte sie, er wollte ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichen. Doch stattdessen rieb er sich nachdenklich den Nacken und blickte zur Tür. Nein, sie wollte nicht, dass er sie hier alleine ließ! Mit einem Mal umfasste er ihre Taille und drückte sie gegen die Wand. Augenblicklich schloss sie die Augen und ließ es mit sich geschehen …

„Achtung!“, rief er.

Erschrocken machte sie die Augen wieder auf und stieß gleich darauf einen lauten Schrei aus. Galem hatte sie vor einem Trupp Mäusen in Sicherheit gebracht. Wie sie Mäuse hasste!

Ohne groß darüber nachzudenken, legte sie die Arme um Galem und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust. „Ich dachte, ich könnte damit fertig werden …“, schluchzte sie mit erstickter Stimme. Auf einmal schien sie so verletzlich. Er spürte ihren warmen Atem auf seiner Brust, und ein seit langer Zeit verborgenes Gefühl stieg in ihm auf. „Es ist doch nicht schlimm, wenn man sich eingesteht, dass man einer Sache nicht gewachsen ist.“

„Das ist es nicht“, gab sie trotzig zurück. „Ich brauche nur etwas Zeit, damit ich mich an die Situation hier gewöhne.“

Er beugte sich über sie und sog den Duft ihrer Haare ein. Sie roch unwahrscheinlich gut, wie Wildblumen auf einer Sommerwiese. „Sie haben eine ganze Kolonie von Mäusen hier.“

„Ich werde mich an sie gewöhnen“, schwindelte sie.

„Seien wir mal ehrlich – Sie können hier nicht übernachten, ich werde es nicht zulassen.“

„Sie können mich nicht daran hindern. Ich …“

Bevor sie weiterreden konnte und wieder ihre feministischen Tiraden losließ, unterbrach er sie: „Ich an Ihrer Stelle würde jedenfalls nicht hierbleiben. Außerdem hatten sie heute mit dem Unfall schon ein schreckliches Erlebnis, das reicht doch fürs Erste.“

„Ich kann sehr gut alleine auf mich aufpassen.“

„Daran zweifle ich nicht. Trotzdem würde ich Ihnen raten, mit mir mitzukommen.“

Caz war sich unschlüssig, was sie tun sollte. Immer noch war sie misstrauisch diesem Mann gegenüber. Die Antwort ergab sich wie von selbst. „Oh mein Gott, sehen Sie, dort in der Ecke!“, rief sie und wies auf eine Maus. „Tun Sie etwas!“

Entschlossen ergriff Galem einen Spaten, der auf einem alten Sack lag, und näherte sich der Maus.

„Bitte töten Sie sie nicht!“ Sie rannte zu ihm und hielt ihn fest. Die Maus sah erschrocken zu ihnen auf; vor Angst war sie bewegungsunfähig. „Ich werde sie nicht töten, ich bringe sie nur nach draußen.“

„Nein, lassen Sie mich hier nicht alleine!“ Endgültig von Panik ergriffen, klammerte sie sich an ihm fest.

„Okay“, meinte er besänftigend. „Dann kommen Sie eben mit nach draußen.“

Caz zitterte am ganzen Körper. „Warten Sie!“, rief sie, als er durch die Tür verschwand, und rannte ihm hinterher.

„Was ist?“ Abrupt blieb er stehen und drehte sich um. Beinahe hätte sie ihn umgerannt, gerade noch konnte sie es verhindern. Wie er so dastand mit seinen breiten Schultern, der engen Jeans und den abgetragenen Stiefeln, sah er einfach umwerfend aus.

„Ich komme mit.“

Draußen setzte Galem behutsam die Schaufel ab und entließ die Maus in die Freiheit. „Ich würde den Sack möglichst bald aus dem Haus schaffen, Caz, denn der ist ein wunderbarer Unterschlupf für die Mäuse.“

Etwas ließ ihr Herz höher schlagen, als er sie Caz nannte. Es war ein wohliges Gefühl, das sich in ihrem gesamten Körper ausbreitete.

3. KAPITEL

Mit spitzen Fingern zupfte Caz an dem alten Sack, der im Haus in einer Ecke stand, und sprang mit einem Aufschrei zurück, als plötzlich eine Maus herauskam.

Frech blickte die Maus sie mit ihren kleinen Knopfaugen an, dann huschte sie blitzschnell weg.

Caz stand regungslos neben Galem und meinte schließlich: „Ich denke, ich brauche für heute Nacht eine Bleibe.“

„Das denke ich auch“, stimmte er zu.

Und damit er nicht glaubte, sie habe kapituliert, fügte sie schnell hinzu: „Morgen werde ich natürlich wieder herkommen.“

„Natürlich“, bekräftigte Galem und verzog das Gesicht. „An welche Unterkunft hatten Sie gedacht?“

„Etwas, wo die Zimmerdecken in Ordnung sind. Und wo es eine Tür gibt, die man zumachen kann.“

„Sie sind aber sehr bescheiden.“

„Da wäre noch etwas“, fiel ihr ein. „Ich hätte gerne fließendes Wasser. Warmes, sauberes, fließendes Wasser.“

„Und Sie glauben, das alles könnten Sie in Hawkshead bekommen?“

Die Art, wie er seinen Kopf zur Seite neigte, während er sie neckend ansah, löste in ihr einen heißen Schauer aus. Er war ihre einzige Hoffnung, heute Nacht ein warmes Bett aufzutreiben. „Eine kleine Pension würde mir vollkommen ausreichen.“

„Tut mir leid, aber hier in Hawkshead gibt es keine Pension.“

„Wie bitte? Es gibt hier wirklich keine Pension? Wollen Sie mich veralbern?“

„Nein, ich meine es ernst“, versicherte er.

Wo war sie hier nur gelandet? All ihre Freude über das Haus war dahin. Die Träume von einem luxuriösen Landhaus waren am Boden zerstört, und zu allem Unheil hatte sie noch ihr Auto zu Schrott gefahren und steckte somit auf unbestimmte Zeit hier fest. Wunderbar!

Ihr Magen meldete sich plötzlich mit einem lauten Knurren. Das erinnerte sie daran, dass es schon ziemlich lange her war, seit sie etwas gegessen hatte.

Galem zog fragend die Augenbrauen hoch. Er hatte es gut! Während auf ihn ein warmes Zuhause wartete, musste sie hungern und frieren.

Nur nicht unterkriegen lassen, ermahnte sie sich selbst. Die selbstbewusste Cassandra wurde mit jeder Situation fertig! Caz allerdings dachte gerade sehnsüchtig an ein leckeres Abendessen … „Es muss doch zumindest eine Gastwirtschaft im Ort geben!“

„Das stimmt, aber die ist zu weit weg, um sie zu Fuß zu erreichen.“

Er wollte doch nur, dass sie ihn heulend anflehte, sie von hier wegzubringen. Wie er sie schon ansah! Er wartete doch nur darauf, dass sie klein beigab. „Könnten Sie mich vielleicht dorthin bringen?“, fragte sie leicht genervt.

„Eventuell.“

„Was heißt das?“ Sie funkelte ihn böse an.

„Das heißt, ich könnte Sie eventuell schon mitnehmen“, sagte er nachdenklich. Caz hasste es, wie er den Mund verzog, als ob er jede Sekunde ihres Leidens genoss. „Gibt es auch Fremdenzimmer in dem Gasthaus?“ Sie war so weit, dass sie alles dafür gegeben hätte, nur um eine passable Übernachtungsmöglichkeit zu bekommen.

„Ich könnte Ihnen anbieten, bei mir zu übernachten.“

Bei ihm? Auf keinen Fall! „Machen Sie sich wegen mir nur keine Umstände.“ Den leichten Sarkasmus in ihrer Stimme konnte sie nicht verhindern.

„Das wäre kein Problem“, meinte er ungerührt.

Wer weiß, was er vorhatte? Das Risiko war zu groß. „Ich würde erst einmal gerne etwas essen, ich sterbe vor Hunger.“

„Okay, ich lade Sie zum Essen ein.“

Konnte er sich das denn leisten? Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu. „Keine Sorge, ich zahle mein Essen selbst“, erklärte sie.

„Es wird mich nicht ruinieren – ist ja nur dieses eine Mal.“

Der Vorschlag klang verlockend. Angeblich sollte es ja hier draußen auf dem Land hervorragende Restaurants geben. „Wenn Sie meinen … Das wäre sehr nett von Ihnen.“

„Sie sehen aus, als bräuchten Sie dringend eine Stärkung. Ich kenne da ein Lokal, wo es die besten Nudeln gibt, die Sie je gegessen haben.“ Während er sprach, leckte er sich genüsslich über die Lippen.

Herrje, wie sollte sie so ein kalorienreiches Essen mit Cassandras strengem Diätplan vereinbaren? „Ist es ein gutes Restaurant?“, fragte sie.

„Das beste weit und breit“, antwortete er mit einem gewinnenden Lächeln.

Der Gedanke an ein köstliches Essen zusammen mit Galem munterte sie wieder auf, und sie stieß einen erleichterten Seufzer aus. Die Kalorien waren jetzt völlig egal. Sie würden gleich im besten Restaurant von Hawkshead wundervoll speisen – was konnte man sich mehr wünschen?

Da ihr Kostüm ziemlich schmutzig war, wollte sie sich noch umziehen, bevor sie zum Essen gingen. Angesichts der vielen Krabbeltiere auf dem Land beschloss sie, lieber eine Hose anzuziehen. Im schwachen Licht der Taschenlampe zog sie sich schnell um, während Galem so freundlich war, sich umzudrehen.

Es blieb ihr nicht anderes übrig, sie musste ihm einfach vertrauen. Irgendwie aber fühlte sie sich hilflos und verletzlich, bei so viel Männlichkeit, die er ausstrahlte. Sie spürte in der Dunkelheit seine Kraft und seine Energie. Es war ein absolut überwältigendes Gefühl, wenn er nahe bei ihr stand.

„Sind Sie endlich fertig?“

Die Vorfreude auf einen großen Teller köstlicher Spaghetti mit viel Soße trieb sie an. Schnell griff sie sich eine Unterhose aus ihrer Tasche und streifte sie sich über. Es war ein roter, durchsichtiger Spitzenslip. Auch wenn sie noch Jungfrau war – sie trug immer sehr sexy Unterwäsche, denn weiße Baumwollunterwäsche fand sie abscheulich.

„Jetzt machen Sie schon!“

Einen Moment lang dachte sie, er würde sich umdrehen, aber er wagte es nicht. In Windeseile machte sie sich fertig.

„Wenn Sie noch länger brauchen, stirbt der alte Thomas noch an einem Herzinfarkt.“

Abrupt drehte sie sich um und schaute aus dem Fenster. Draußen stand der alte Thomas und winkte ihr mit seiner knöchrigen Hand zu. „Sie haben gewusst, dass er mich die ganze Zeit beobachtet?“, fragte sie erbost.

„Ich kann es ihm nicht verbieten, er wohnt gleich nebenan. Sie haben es mir doch selbst erzählt!“

Erschöpft fasste sich Caz an die Stirn. „Okay, dann werde ich in Zukunft wohl besser aufpassen müssen.“

„Wenn wir noch etwas Warmes zu Essen bekommen wollen, müssen wir jetzt aber endlich los“, drängte er.

Sie stopfte die restlichen Kleider in die Tasche und meinte: „Es kann losgehen.“

„Und Sie sind sicher, dass Sie nicht mit zu mir kommen wollen?“, fragte er noch einmal, als sie das Tor zum Grundstück erreichten.

„Ganz sicher.“ Sie kannte diesen Mann nicht, und sie hatte sofort gesehen, dass er keinen Ring an seinem Finger trug. Bei einem ausgehungerten Junggesellen wusste man ja nie … Außerdem hatte sie sich bereits überlegt, dass sie im Restaurant herumfragen würde, ob es jemanden im Dorf gäbe, der ein Zimmer vermieten würde. Für ein sauberes Bett und eine warme Dusche war sie heute bereit, jeden Preis zu zahlen.

„Die Dorfkneipe also …“ Cassandra spürte, wie Zorn in ihr aufstieg. Das sollte ein gutes Restaurant sein? Das war kaum besser als eine billige Pinte. Nimm dich zusammen, ermahnte sie sich. Zumindest würde es eine gute Pasta geben. Oder war das etwa auch eine von Galems Geschichten?

„Ich hoffe, Sie mögen Line Dancing“, sagte er. Aus dem Innern der Gaststätte drang laute Tanzmusik.

„Line was?“ Vor Schreck fiel ihr das Kinn herunter. Als sie in den Vorraum traten, konnte sie zum ersten Mal Galems Gesicht genauer sehen. Bis jetzt war ihr ziemlich kalt gewesen, doch auf einmal fing sie an zu schwitzen. Jetzt könnte sie eine kalte Dusche gut gebrauchen. Galem sah nicht etwa gut aus, nein, er sah verdammt gut aus! Er war ein Mann, der im Nu sämtliche Frauenherzen erobern konnte.

Caz verspürte auf einmal sexuelle Gelüste, die sie bisher noch nie bei sich wahrgenommen hatte. Zum Glück stand sie im Schatten, wo er nicht sehen konnte, wie sie sich nach ihm verzehrte.

„Ganz recht, Line Dancing“, meinte Galem und bot ihr seinen Arm.

Offensichtlich hatten die Menschen auf dem Land ganz andere Interessen als die in der Stadt. Caz vermutete, dass sie ein viel glücklicheres Leben führten. Und wenn sie sich dafür aufgeschlossen zeigte, könnte sie sich hier vielleicht auch einleben. Eine erste Gelegenheit dafür würde sich gleich bieten.

Als sich Caz nicht rührte, meinte Galem spöttisch: „Wollen Sie nun lieber draußen in der Kälte stehen, oder kommen Sie mit hinein?“

Die Entscheidung fiel ihr nicht schwer. Als er ihr ein zweites Mal den Arm bot, hakte sie sich unter.

Sie spürte seine Körperwärme und die Kraft in seinem Arm. Aus der Gastwirtschaft strömte ein herrlicher Essensduft; ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Einen Moment lang schloss sie die Augen und genoss den Duft.

„Wie wär’s mit einem Hot hash?“, flüsterte er in ihr Ohr, sodass sie seinen warmen Atem spüren konnte.

Mit großen Augen sah sie zu ihm auf, und er erwiderte ihren Blick. Plötzlich verspürte sie ein Herzflattern. Galem betrachtete versonnen ihre Lippen, und Caz’ Knie wurden weich. Nie hätte sie gedacht, dass sie für ihn interessant sein könnte. „Kann man das essen?“, flüsterte sie zurück.

„Und anschließend gibt es einen Chassé und einen Lock stepp shuffle“, hauchte Galem auf ihre Lippen.

Jetzt verstand sie: Er sprach vom Tanzen!

„Wie sieht’s aus?“ Galem hielt die Tür für sie auf, und sie gingen hinein. Die ausgelassene Stimmung, die sie erwartete, war eine willkommene Ablenkung für ihre wilden Fantasien. Drinnen war es so eng, dass sie sich mühevoll einen Weg durch die Menschenmenge bahnen mussten, und sie wurde dabei fest an seinen Körper gedrängt. Mit ihm an ihrer Seite fühlte sie sich jedoch sicher.

Gerade hatte ein neuer Tanz begonnen, und jeder schien die Schritte perfekt zu beherrschen. Hoffentlich musste sie nicht ihre tänzerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen, sie war nämlich eine miserable Tänzerin. „Lassen Sie uns gleich etwas essen.“

„Vorher tanzen wir.“

„Wie bitte?“ Schockiert blickte sie ihn an.

„Sie müssen sich ihr Essen verdienen, indem Sie vorher mit mir tanzen“, sagte er schulterzuckend und ignorierte ihren erschrockenen Gesichtsausdruck.

„Das meinen Sie nicht ernst!“

„Oh doch!“

Wieder hatte sie das Gefühl, er genoss die Situation. Wenn er sich gedacht hatte, sie würde kneifen, dann hatte er sich aber ordentlich geirrt.

„Sie haben keine andere Wahl“, sagte er mit einem Augenzwinkern. „Nur Mut! Ich werde es Ihnen schon beibringen.“

Es herrschten beinahe tropische Temperaturen in der Gastwirtschaft, und Caz hatte wieder einmal die falsche Kleidung an. Die Leute hatten alle hochrote Wangen und waren in Schweiß gebadet, doch niemand schien sich daran zu stören. Fast jeder trug voller Stolz die zum Line Dancing passende Westernkleidung.

Caz war erstaunt, mit welchem Aufwand sich die Tänzer ausstaffiert hatten. Der Cowboyhut war ein Muss, dazu trugen sie hohe Stiefel, einen Gürtel mit großer Schnalle und eine Art Krawatte, bestehend aus einer Lederschnur. Als Galem seine Jacke auszog, sah sie, dass auch er ein schwarzes Hemd trug und zusammen mit seinen ausgewaschenen Jeans und den groben Lederstiefeln gut in das Gesamtbild passte.

„Tut mir leid, aber der Cowboyhut fehlt“, kommentierte er sein Outfit, als Caz ihn interessiert musterte. Um ehrlich zu sein: Er sah fantastisch aus. Dann krempelte er seine Hemdsärmel hoch und legte seine kräftigen, braun gebrannten Unterarme frei. Caz musste schlucken.

Fasziniert starrte sie ihn an, dann stürzten sie sich ins Gewühl der Leute. Als Caz einen Blick auf die Bühne warf, traute sie ihren Augen nicht. Dort stand im gelben Overall und nach hinten gegelten Haaren der alte Thomas und spielte auf einer Gitarre.

Sobald er das Tanzparkett betreten hatte, war Galem nicht mehr zu bremsen. Unbekümmert reihte er sich unter die fröhlich tanzende Menge, bald gab es niemanden mehr, der noch herumstand, außer Caz. Die förmliche Cassandra Bailey Brown hatte Hemmungen, sie schaffte es nicht, sich einfach treiben zu lassen. Außerdem hatte sie nie tanzen gelernt, dazu war keine Gelegenheit gewesen.

„Kommen Sie schon“, drängte Galem. „Zeigen Sie, was Sie drauf haben.“ Er fasste sie an der Hand und zog sie mit sich, vorbei an einer erhöhten Tanzfläche, wo sich ein paar ziemlich leicht bekleidete Schönheiten tummelten. Als sie Galem sahen, hielten sie inne und lächelten ihn ungeniert an, während er ihnen mit einem charmanten Lachen zuzwinkerte.

Caz konnte es nicht glauben! Das war unerhört, denn schließlich war er doch unübersehbar in Begleitung hier! Diese Gören konnten sich Galem aus dem Kopf schlagen, Caz hatte nämlich schon ihre Pläne mit ihm. Sie würde ihn für die Renovierungsarbeiten von Stone Break House engagieren, dann würde er keine Zeit mehr haben für solche Späßchen.

„Wann essen wir endlich?“, fragte sie missgelaunt. „Ich habe genug von diesem Herumgehüpfe.“

„Ich dachte, Sie hätten mehr Mumm, Cassandra“, meinte er spöttisch.

„Pah! Mehr als Sie denken!“

„Die Regeln hier sind sehr einfach: Zuerst wird getanzt, und erst dann gibt es etwas zu essen.“

„Okay.“ Bitterböse funkelte sie ihn an. „Dann tanzen wir jetzt eben.“

Doch als er sie an sich heranzog, verließ sie bereits wieder die Courage. Das Problem war, der Körperkontakt mit ihm verwirrte sie so sehr, dass sie sich nicht mehr auf irgendwelche Tanzschritte konzentrieren konnte. „Aber ich kann das nicht.“

„Jeder kann tanzen. Sie müssen sich einfach treiben lassen. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.“ Er legte den Arm um sie und schob sie auf die Tanzfläche.

„Ich kann nicht …“

„Und ob Sie können!“ Er zog sie fest an sich heran, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als seine Bewegungen mitzumachen.

„Nein, ich kann nicht, und ich will nicht!“

„Bewegen Sie sich einfach zur Musik, wen kümmert es, wenn es nicht perfekt aussieht?“

Die anderen Menschen waren ihr egal, in Wirklichkeit wollte sie sich natürlich nicht vor Galem blamieren.

„Warum haben Sie Angst davor, sich einen Abend lang einfach mal treiben zu lassen?“

Eine Weile standen sie bewegungslos inmitten der Tanzfläche und schauten sich an. Sie spürte sie Wärme seines Körpers, saugte sie regelrecht in sich auf. Sollte sie ihre Steifheit ein einziges Mal ablegen und sich einfach fallen lassen? Ihre Wangen glühten vor Aufregung, und der alte Thomas sang sich die Seele aus dem Leib. Was war nur los mit ihr?

„Wir können hier nicht die ganze Nacht herumstehen“, sagte Galem.

„Tut mir leid, aber ich musste einen Moment lang nachdenken.“

„Einen Moment lang? Sie denken schon seit einer halben Stunde nach. Kommen Sie, dieser Musik kann man einfach nicht widerstehen.“

„Bei der Lautstärke kann man sie jedenfalls nicht ignorieren.“ Ihr blieb keine andere Wahl, sie musste mit ihm tanzen. Da es nun einfach nicht anders ging, würde sie eben ein wenig ungeschickt herumhopsen und zumindest darauf achten, ihm nicht auf die Füße zu treten. Gerade als sie sich dazu durchgerungen hatte, bekam sie noch mal eine Galgenfrist. Ein Kellner kam mit einem Servierwagen voller Getränke vorbei.

„Wir sollten uns etwas zu trinken nehmen, solange es noch etwas gibt“, meinte Galem. „Wie wär’s mit einem Orangensaft?“

Autor

Sharon Swan
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