Collection Baccara Band 286

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EINE HEISSE NACHT MIT FOLGEN von LENNOX, KARA
Reece braucht dringend mehr Spaß in seinem Leben - und Sara weiß auch schon, wie: Sie entführt den attraktiven Wirtschaftsprüfer in exotische Restaurants, nimmt ihn mit zu aufregenden Strandpartys und verführt ihn spontan zu einer heißen Liebesnacht. Nicht ohne Folgen …

NUR EIN FLIRT IM HOTEL? von WILDE, LORI
Mehr als eine leidenschaftliche Nacht hat Vanessa nicht im Sinn, als sie an der Hotelbar mit dem gut aussehenden Tanner flirtet. Doch schon am nächsten Tag trifft sie ihn wieder: Er ist ihr neuer Kollege. Und noch genauso sexy wie im Bett …

DIE BRAUT, DIE SICH ENDLICH TRAUT von CHILDS, LISA
Diese Hochzeit ist der Fehler meines Lebens! erkennt Molly plötzlich. Kurz vor dem Altar flieht sie - direkt in die Arme ihres besten Freundes Eric. Bei ihm sucht sie Trost. Und findet viel mehr: Zum ersten Mal verspürt sie ungeahnt sinnliches Verlangen in seiner Nähe


  • Erscheinungstag 12.02.2010
  • Bandnummer 0286
  • ISBN / Artikelnummer 9783863492526
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kara Lennox, Lisa Child , Lori Wilde

COLLECTION BACCARA, BAND 286

KARA LENNOX

Eine heiße Nacht mit Folgen

Eigentlich wollte Reece sich in dem malerischen Küstenort Port Clara nur um die Firma seines Onkels kümmern. Aber wer hätte gedacht, dass die Besitzerin seines Hotels so sexy ist? Auf einmal steckt er mitten in einer heißen Affäre mit der temperamentvollen Sara – und genießt wie noch nie das Leben und die Liebe. Am liebsten würde er für immer bleiben …

LISA CHILD

Die Braut, die sich endlich traut

Molly ist seine beste Freundin – und seine große Liebe seit der zweiten Klasse. Schon damals machte Eric ihr einen Heiratsantrag, aber sie lehnte ab und hat sich nun für einen anderen Mann entschieden. Doch dann steht sie am Tag ihrer Hochzeit statt vor dem Altar plötzlich vor Erics Tür. Erhält er tatsächlich eine zweite Chance, Mollys Herz zu erobern?

LORI WILDE

Nur ein Flirt im Hotel?

Eine feste Beziehung? Nichts für die schöne Ärztin Vanessa. Eine einzige unverbindliche Nacht der Leidenschaft mit dem sexy Fremden aus der Hotelbar dagegen schon. Doch ohne es zu wollen muss sie ihn gleich am nächsten Tag wiedertreffen: Als neuer Sicherheitschef in ihrer Klinik weicht Tanner ihr keinen Moment von der Seite …

1. KAPITEL

Das laute Krachen aus der Küche hörte sich an, als ob gerade ein Auto durch die Wand raste.

Mit klopfendem Herzen ließ Sara Kauffman das Staubtuch fallen und rannte in Richtung Lärmquelle.

„Hilfe! Sara, sind Sie da?“

Das war Miss Greer. Die dünne Stimme, mit der sie um Hilfe rief, bestätigte Saras schlimmste Befürchtungen. Offensichtlich war ihrer alten Arbeitgeberin etwas zugestoßen.

Sara erreichte die Küche zur gleichen Zeit wie Reece Remington, einer der Gäste des Sunsetter Bed & Breakfast, in dem Sara wohnte und arbeitete. In der Tür stießen sie zusammen.

Reece ließ Sara den Vortritt. „War das Miss Greer?“, fragte er besorgt.

Sara wollte gerade antworten, als sie wieder Miss Greers Stimme hörte. „Sara?“ Das kam aus der Speisekammer! „Sind Sie das?“

„Ich komme schon, Miss Greer!“ Sara und Reece liefen zur Speisekammer, wo die alte Dame zwischen heruntergefallenen Kartons und Dosen auf dem Boden lag. Ihr Gesicht war mehlbestäubt – anscheinend war ihr eine offene Tüte auf den Kopf gefallen.

„Großer Gott, was ist passiert?“ Sara streckte instinktiv die Hand aus, um Miss Greer auf die Beine zu helfen, aber Reece legte ihr warnend die Hand auf die Schulter.

„Bewegen Sie sie lieber nicht“, sagte er. „Wenn Sie ernsthaft verletzt ist, könnte das ihren Zustand noch verschlimmern.“

„Was ist passiert?“, fragte Sara wieder.

„Ich bin mir nicht sicher.“ Miss Greer klang schon etwas ruhiger. „Anscheinend bin ich wohl irgendwie ausgerutscht. Ich habe versucht, mich am Regal festzuhalten, und da ist die halbe Speisekammer auf mich runtergefallen. Gott sei Dank hat mich nur das Mehl erwischt und nicht eine der Riesendosen mit eingelegten Pfirsichen.

„Sind Sie verletzt, Miss Greer?“, frage Reece. „Tut Ihnen irgendetwas weh?“

„Jetzt machen Sie doch nicht so einen Aufstand!“, schimpfte Miss Greer und bewegte ihren Kopf, um zu demonstrieren, dass sie sich nicht das Genick gebrochen hatte. „Helfen Sie mir lieber hoch.“

Sara und Reece quetschten sich beide in die Kammer. Zu dritt war es dort ganz schön eng, obwohl Sara unter anderen Umständen Reeces Körpernähe genossen hätte. Er war ein extrem gut aussehender Mann, groß und mit breiten Schultern, die durch seine Businesshemden noch betont wurden. Wenn er nur ein bisschen entspannter wäre …

Reece und Sara packten Miss Greer bei den Armen und versuchten, ihr auf die Beine zu helfen. Aber Miss Greer heulte vor Schmerz auf. Vorsichtig legten sie sie wieder hin.

„Wo tut es denn weh?“, fragte Sara.

„An der Hüfte!“

„Ich rufe einen Rettungswagen.“ Reece ging aus der Speisekammer, und Sara atmete erst einmal tief durch. So viel Männlichkeit in einem so kleinen Raum war ziemlich verwirrend.

„Es ist bestimmt nichts Ernstes“, sagte Sara, obwohl sie sich da nicht so sicher war.

Miss Greers Zustand machte ihr große Sorgen.

Sara arbeitete schon mehr als zehn Jahre im Sunsetter. Die alte Frau war nicht nur ihre Chefin, sondern inzwischen fast so etwas wie eine Großmutter für sie.

„Was ist, wenn ich mir etwas gebrochen habe?“, fragte Miss Greer. „Man hört ja so viel über alte Menschen, die sich die Hüfte brechen und dann nie wieder nach Hause zurückkehren.“

Sara wünschte, ihr würde eine überzeugende und beruhigende Antwort einfallen, aber Notlagen kamen ihr immer schwer über die Lippen. Stattdessen drückte sie Miss Greers Hand.

Reece war bereits am Telefon. Er klang ruhig und beherrscht.

Sara holte ein paarmal tief Luft. Vielleicht würden die Sanitäter ja feststellen, das die Verletzung gar nicht so schlimm war.

Dann würden sie alle über das Missgeschick lachen, und Sara würde die Speisekammer aufräumen, das Regal reparieren und Sandwiches und eine leckere Suppe machen.

Gut, dass Reece da war. Anscheinend wusste er, wie man in Krisensituationen reagierte.

Wieder drückte sie Miss Greers Hand. „Tut es sehr weh?“

„Es geht, wenn ich ruhig liegen bliebe“, antwortete die alte Dame.

Sara kaute auf ihrer Unterlippe. Vielleicht war Miss Greers Hüfte ja gar nicht gebrochen, sondern nur verrenkt.

Reece kehrte zurück und kniete sich neben Sara auf den Boden. „Der Rettungswagen ist schon unterwegs. Können wir noch etwas für Sie tun?“

„Da werde ich mich wohl auf einen Krankenhausbesuch einstellen müssen“, sagte Miss Greer resigniert. „Sara, gehen Sie nach oben, und packen Sie einen Koffer für mich. Ich will ein eigenes Nachthemd, damit ich nicht eines dieser komischen Dinger tragen muss, in denen jeder meinen Po begaffen kann. Reece, Sie holen meine Handtasche. Ich brauche meine Krankenversicherungskarte.“ Die Frau erteilte Befehle wie ein General.

„Einer von uns sollte bei Ihnen bleiben“, sagte Sara.

„Wieso denn? Ich gehe inzwischen schon nirgendwo hin.“

Sara warf Reece einen vielsagenden Blick zu und stand auf und unterdrückte ein Lächeln. Miss Greers gereiztem Tonfall nach zu urteilen, ging es ihr wohl doch nicht so schlecht.

Bisher hatte Sara Miss Greers Schlafzimmer nur selten betreten, denn die alte Dame lebte extrem zurückgezogen. Das Zimmer war so ordentlich und sauber wie eine Klosterzelle. Sara suchte eine Weile herum, bis sie oben im Kleiderschrank einen kleinen Koffer entdeckte.

Leider kam sie nicht heran.

„Lassen Sie, ich hole ihn runter.“ Reece war hinter ihr aufgetaucht und hob den Arm über ihren Kopf.

Sara spürte die Hitze seines Körpers in ihrem Rücken und erschauerte. Auch wenn er sich dessen vielleicht nicht bewusst war, fühlte sie sich von ihm angezogen, seitdem er und seine beiden Cousins vor einigen Wochen wegen einer Erbschaftsangelegenheit ins B & B gezogen waren.

Reece reichte ihr den Koffer. „Bitte schön. Wissen Sie, wo Miss Greers Handtasche ist?“

Sara sah sich um. „Da! Sie hängt an der Tür.“

Sara öffnete Kommodenschubladen und stopfte achtlos Nachthemden, Unterwäsche und Socken in den Koffer. Reece blieb stehen und sah ihr dabei zu.

„Was ist?“, fragte sie. „Mache ich etwas falsch?“

„Miss Greer hätte vielleicht lieber ordentlich zusammengelegte Wäsche.“

„Wie bitte?“

„Sie ist offensichtlich ein ordnungsliebender Mensch. Vielleicht sollten Sie auch einen Bademantel einpacken. Und eine Zahnbürste.“

„Warum übernehmen Sie nicht gleich das Packen?“, fragte Sara pikiert.

„Nein, nein, Sie machen das schon ganz gut so.“

Ach wirklich? Warum dann die ungebetenen Vorschläge? „Warum sehen Sie nicht mal nach Miss Greer? Ich bin in einer Minute fertig.“

Beim Packen brauchte sie nun wirklich keine Hilfe – sie machte das schließlich ständig. Ihre beste Freundin Allie neckte Sara oft, dass sie nur mit dem Inhalt ihres Rucksacks ein halbes Jahr am Amazonas überleben konnte.

Nachdem Sara alles, was sie für nützlich hielt, in den Koffer gestopft hatte, kehrte sie zur Küche zurück. In der Tür blieb sie stehen und sah Reece zu, wie er Miss Greer vorsichtig das Mehl vom Gesicht wischte. Sara konnte nicht hören, was er zu ihr sagte, aber seine Stimme klang tief und beruhigend.

Miss Greer sah bewundernd zu ihm auf. Sie tätschelte seine Wange, und er nahm ohne jede Verlegenheit ihre knochige Hand und drückte sie.

Saras anfänglicher Ärger legte sich. Ein Mann, der eine alte Frau mit Respekt und Zuneigung behandelte, ohne dass es ihm peinlich war, war schon schwer in Ordnung.

Sara ging hinein. „Hier ist Ihr Koffer. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Möchten Sie vielleicht etwas essen?“ Die Welt sah schließlich gleich viel besser aus, wenn man eine Schüssel dampfender Tortillasuppe und selbst gebackenes Brot mit Butter vor sich stehen hatte.

„Nein danke, meine Liebe“, antwortete Miss Greer. „Was soll ich nur tun? Eine gebrochene Hüfte ist eine ernste Sache. Ich werde wochenlang nicht arbeiten können. Wer wird sich um das B & B kümmern, wenn ich im Krankenhaus bin? Und dann kommen heute auch noch Gäste – sechs insgesamt!“

„Machen Sie sich keine Sorgen“, antwortete Sara. „Ich kümmere mich um alles, bis Sie wieder auf den Beinen sind.“

„Und was wird mit Ihrer Reise nach Kalifornien?“, fragte Miss Greer. „Außerdem ist das Sunsetter ein Vollzeitjob, und ich kann es mir nicht leisten, Ihnen ein Gehalt zu zahlen. Für freie Kost und Logis leisten Sie ohnehin schon mehr als genug.“

Für ihren Lebensunterhalt nahm Sara manchmal Gelegenheitsjobs an, darunter auch den Cateringjob bei Dreharbeiten in Kalifornien.

„Ist verschoben“, antwortete sie leichthin.

„Aber was ist mit dem Finanziellen?“, fragte Miss Greer unglücklich. „Klar, Sie können sauber machen, und den Gästen scheint Ihr Frühstück zu schmecken, aber bei den Abrechnungen sind Sie eine einzige Katastrophe.“

Sara hatte Mühe, nicht beleidigt zu sein. Sie wusste, dass Miss Greer ihr vertraute, aber wenn es um Geld ging, war sie leider wirklich unfähig. Anscheinend litt sie unter so etwas wie Zahlenlegasthenie.

„Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen“, sagte Sara. „Wir finden schon eine Lösung. Hey, ich weiß! Reece könnte doch das Finanzielle übernehmen!“

„Wie bitte?“, fragte Reece und warf ihr einen panischen Blick zu.

„Er wohnt sowieso hier“, fuhr Sara fort, als hätte sie seinen Einwand nicht gehört, „und als Bilanzbuchhalter ist er mit Sicherheit kompetent. Er kümmert sich auch um die Buchhaltung für Allies Bootscharterunternehmen, was sie nie zulassen würde, wenn er seine Sache nicht verstehen würde.“

„Ach, würden Sie für mich einspringen, Reece?“, fragte Miss Greer. „Sie sind ein so angenehmer Gast, und ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen, aber es würde mich wirklich sehr beruhigen, wenn ich wüsste, dass Sara nicht alles allein machen muss.“

Reece nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. „Also … klar, warum nicht? Aber nächste Woche muss ich nach New York zurück. Wenn ich nicht bald nach Hause fahre, verliere ich noch meinen Job.“

Nächste Woche schon?

„Ich dachte, die Firma gehört Ihrer Familie“, sagte Sara. „Ist Ihr Vater nicht der Boss? Er würde Sie doch nie entlassen!“

„Sie kennen meinen Vater nicht.“

„Aber Sie haben doch noch jede Menge Resturlaub.“ Laut Reeces Cousin Cooper machte Reece seinen ersten Urlaub seit acht Jahren. Acht Jahre! Wie hielt er das nur aus, tagein tagaus den gleichen Job zu machen?

„Ich hatte nie vor, meinen Urlaub voll auszuschöpfen“, antwortete Reece. „Aber keine Sorge, Miss Greer, ich werde einfach einige Tage ranhängen. Und wenn Sie noch länger im Krankenhaus bleiben müssen, finden wir eine andere Lösung.“

Es klingelte an der Tür.

„Das sind wahrscheinlich die Sanitäter“, sagte Sara und verließ die Speisekammer.

Reece war etwas verärgert, dass Sara ihm den Job zugeteilt hatte, ohne ihn vorher zu fragen. In Gegenwart von Miss Greer konnte er natürlich nicht ablehnen.

„Sie müssen mir hoch und heilig versprechen, dass Sie die Finanzen nicht Sara überlassen“, flüsterte Miss Greer. „Verstehen Sie mich nicht falsch, sie ist ein nettes und tüchtiges Mädchen, aber vom Geschäft versteht sie nichts. Haben Sie schon ihr Scheckheft gesehen? Der reinste Albtraum!“

Reece schauderte unwillkürlich. Er hatte mal einen Blick hineingeworfen, als Sara eine ihrer Hippie-Freundinnen für eine handgetöpferte Teekanne bezahlen wollte – seiner Meinung nach ein total nutzloser Gegenstand, aber Sara war ganz aus dem Häuschen gewesen. Die Einträge waren in fünf verschiedenen Farben, und es war mehr durchgestrichen als im Schreibheft eines Drittklässlers.

„Ich weiß genau, was Sie meinen“, flüsterte Reece.

„Auf keinen Fall darf sie das Scheckbuch des B & B in die Hände kriegen – oder den Terminkalender. Sie schreibt sonst nur die falschen Daten auf.“

„Ich kümmere mich darum, versprochen“, sagte Reece. „Konzentrieren Sie sich nur darauf, gesund zu werden.“

Miss Greer kniff ihn in die Wange. So etwas hatte er eigentlich schon seit seinem achten Lebensjahr nicht mehr zugelassen. „Sie sind ein lieber Junge, und dabei so gut aussehend. Wie kommt es, dass Sie noch nicht verheiratet sind?“

Dazu hätte er genug Gelegenheit gehabt, vor allem, nachdem ein Radiosender ihn zu den zwanzig begehrtesten Junggesellen Manhattans gezählt hatte. Aber er hatte den Eindruck, dass die meisten eher am Prestige seines Familiennamens interessiert waren als an ihm selbst.

Außerdem machte es ihm nichts aus, allein zu leben. So lief wenigstens alles, wie er es wollte. Das einzige Mal, als er drauf und dran war, mit einer Frau zusammenzuleben, war er fast wahnsinnig geworden.

„Sie ist hier drin.“ Sara führte die Sanitäter in die Küche, und sie legten Miss Greer auf eine Trage. Obwohl die alte Dame keinen Ton von sich gab, sah Reece ihr an, dass sie große Schmerzen hatte.

„Wir fahren in Reeces Auto hinterher“, sagte Sara und tätschelte im Vorbeigehen Miss Greers Arm.

Reece wartete, bis die Trage durch die Küchentür verschwunden war. „Tun wir das?“, fragte er Sara.

„Natürlich.“

„Sollten wir nicht Miss Greers Familie verständigen?“

„Sie hat keine Familie. Sie hat nie geheiratet und keine Kinder. Wir können sie doch nicht allein ins Krankenhaus fahren lassen.“

„Ich dachte, wir würden hierbleiben und das Durcheinander in der Speisekammer aufräumen“, sagte Reece. „Außerdem sollte einer von uns die Gäste empfangen.“

„Die Gäste wissen, wo sie den Schlüssel finden. Sie sind alle nicht zum ersten Mal hier, also ist das kein Problem. Aber wenn Sie lieber hierbleiben wollen, ist das auch in Ordnung für mich.“

„Mir gefällt der Gedanke nicht, dass Fremde hier im Haus herumschnüffeln.“

Sara lachte. Er mochte ihr helles Lachen. „Typisch New Yorker! Sie glauben doch nicht etwa, die Silversteins räumen das Haus aus, wenn wir ihre Kreditkartennummer haben?“

Da hatte sie recht.

„Außerdem sind B-&-B-Gäste meiner Erfahrung nach meistens nette Menschen und keine Diebe.“

Reece fand ja, dass Sara viel zu vertrauensselig war. Sie zog einfach so in der Welt herum und knüpfte Kontakte zu Menschen, die sie kaum kannte. Da konnte ihr im Grunde alles Mögliche zustoßen.

Sie sah das natürlich anders. Anscheinend musste sie erst schlechte Erfahrungen machen, bis sie so misstrauisch und skeptisch wurde wie er.

Er runzelte die Stirn. Eigentlich gefiel ihm diese Vorstellung nicht besonders. Er mochte Saras Naivität, die einfach zu ihrer Persönlichkeit gehörte.

„Also, was ist? Leihen Sie mir Ihr Auto?“, fragte sie.

„Haben Sie denn selbst keins?“ Ach, also deshalb hatte er sie bisher nur auf einem klapprigen alten Fahrrad herumfahren sehen.

„Mein Auto ist auf dem Rückweg von Santa Fe kaputtgegangen, und da ich mir die Reparatur nicht leisten konnte, habe ich es verkauft und bin mit dem Bus weitergefahren.“

„Wie können Sie nur ohne Auto leben?“

„Port Clara ist nicht besonders groß. Ich gehe zu Fuß oder fahre mit dem Rad oder der Straßenbahn. Aber das Krankenhaus ist in Corpus Christi. Also, wie sieht’s aus?“

Der Gedanke, sein Auto zu verleihen, tat weh. Reece hatte es gerade erst gekauft – ein Sahnestück von einem Mercedes. Eigentlich hatte er etwas Praktisches gesucht, aber der blaue Wagen hatte es ihm sofort angetan.

Er hatte zugegriffen, obwohl er sonst nicht gerade zu Spontankäufen neigte.

Und bisher hatte er noch nicht einmal seinen Cousin Max ans Steuer gelassen.

„Also gut, ich begleite Sie ins Krankenhaus“, sagte er. Miss Greer würde wahrscheinlich sowieso jemanden brauchen, der den Papierkram übernahm.

Nachdem sie in den Ledersitzen Platz genommen hatte, gab Reece ihr Ziel ins Navigationssystem ein. Zu seiner Erleichterung dirigierte es ihn über den Damm, der die kleine Insel mit dem Festland verband. Auf der Fähre wurde ihm nämlich immer schlecht.

„Ich wollte schon immer mal mit diesem Auto fahren“, gestand Sara. „Sind Sie zufrieden damit?“

„Bis jetzt schon.“

„Warum haben Sie nicht jemanden beauftragt, der Ihr Auto von New York herüberfährt, so wie Cooper?“

„Ich habe dort gar kein Auto. Bei den Parkgebühren und dem Unterhalt sind öffentliche Verkehrsmittel oder Taxis günstiger.

Das hier werde ich wahrscheinlich verkaufen.“

„Was ist, wenn Sie einen Sonntagsausflug machen wollen? Oder einfach so herumfahren?“

„Dann kann ich mir jederzeit ein Auto mieten.“ Reece hatte seit seiner Collegezeit keinen Ausflug mehr gemacht. Eigentlich hatte er schon damals keinen Sinn darin gesehen.

„Ich vermisse mein Auto“, sagte Sara sehnsüchtig. „Es hatte mehr als zweihunderttausend Meilen auf dem Tacho und hat mich auf vielen Reisen begleitet.“

„Dann wird es wohl allmählich Zeit, ein neues zu kaufen.“

„Das ist wohl wahr, aber leider kann ich mir kein neues Auto leisten. Ich spare gerade auf einen Gebrauchtwagen.“

Wenigstens besaß sie genug Verstand zu sparen, und lebte nicht nur auf Kredit wie so viele Menschen.

Wie kamen Leute wie sie nur zurecht? Schließlich war sie nicht auf den Kopf gefallen und äußerst belesen. Sie war hübsch – sogar mehr als das – und sympathisch. Er wusste, dass nicht jeder das Glück hatte, aus einem reichen Elternhaus zu stammen, und vielleicht hatte sie nicht die Möglichkeit gehabt, aufs College zu gehen, aber es gab schließlich genug Berufe, für den man keinen Hochschulabschluss brauchte.

Sie hätte schließlich auch als Verkäuferin anfangen oder sich in einer Firma hocharbeiten können. Aber stattdessen ließ sie sich lieber treiben – zumindest sah es ganz danach aus. Wahrscheinlich hatte sie weder Ersparnisse noch Grundbesitz. „Tun Sie eigentlich schon etwas für Ihre Rente?“, fragte er unvermittelt.

Sara starrte ihn verblüfft an. „Wie bitte? Ich bin erst neunundzwanzig. Ich weiß noch nicht einmal, was ich nächsten Monat mache.“

„Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, damit anzufangen. Wenn Sie monatlich nur hundert Dollar zurücklegen …“ „Was soll das denn jetzt? Wollen Sie mir etwa Sumpfland in Florida andrehen, oder was?“ Offenbar kam sein Vorschlag nicht gut an. „Ich mache mir einfach nur Sorgen um Sie.“ „Ach so.“ Sara beruhigte sich etwas. „Nett von Ihnen, aber ich mache mir keine Sorgen.“

„Das ist ja das Problem.“

Sie war perplex. „Sie kennen mich doch kaum.“

„Wir leben seit fast drei Wochen unter einem Dach. Ich kenne Sie besser, als Sie denken.“

Sara lächelte kokett und legte den Kopf schief. „Und ich dachte schon, Sie nehmen mich gar nicht wahr. Sie sprechen so gut wie nie mit mir.“

Weil sie ihm die Sprache verschlug. Ganz sicher nicht, weil sie ihm nicht aufgefallen war. Mit ihren bunten Röcken, den Batikhemden und den riesigen Ohrringen war sie ohnehin nicht zu übersehen. Ganz zu schweigen von ihrer dunklen Lockenmähne und den großen braunen Augen.

Als Sara ihn aus eben jenen Wahnsinnsaugen ansah, herrschte in seinem Kopf schlagartig gähnende Leere. Reece fühlte sich nur auf sicherem Boden, wenn er über Finanzen sprach. Alle anderen Themen waren ihm zu riskant.

„Warum reden Sie nicht weiter?“, fragte sie. „Ich höre zu.“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin anscheinend zu weit gegangen. Tut mir leid.“

Den Rest der Fahrt über schwiegen sie.

2. KAPITEL

Sara wusste, dass sie für das Schweigen verantwortlich war. Dabei war sie so froh gewesen, Reece endlich in ein Gespräch verwickelt zu haben – ein richtiges Gespräch, nicht nur Möchten Sie noch etwas Kaffee? oder Danke für das Frühstück.

Aber dann hatte er sie auf ihre Zukunft angesprochen, und sie war explodiert. Bei diesem Thema hatte sie nämlich einen reflexartigen Verteidigungsmechanismus. Ihre Eltern machten ihr ständig Vorwürfe über die Art, wie sie ihr Leben lebte.

Reece gefiel das offensichtlich auch nicht. Dass er sich deshalb Sorgen zu machen schien, hatte sie versöhnlicher gestimmt, aber leider zu spät – ihre Reaktion hatte ihn wieder zum Schweigen gebracht.

Was sollte sie jetzt tun? Bislang war sie Männern gegenüber nie schüchtern gewesen. Wenn ihr jemand gefiel, zeigte sie das auch und ließ nicht locker, bis sie wusste, ob er sich für sie interessierte oder nicht.

Aber bei Reece war das anders. Sie hatte bislang noch nicht offen mit ihm geflirtet, weil Miss Greer bestimmt etwas dagegen hatte, wenn sie ihren Gästen Avancen machte. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass es zwischen ihnen funkte.

Nachdem sie im Krankenhaus angekommen waren, begleitete Sara Miss Greer ins Behandlungszimmer, während Reece die Anmeldung übernahm. Zwischendurch streckte er nur einmal kurz den Kopf ins Zimmer, um nach der Patientin zu sehen.

Kurz darauf kehrte er mit einem Arzt zurück und bestand darauf, dass dieser sofort einen Blick auf die alte Dame warf. Sie selbst hatte den Arzt schon zweimal auf dem Flur angesprochen, aber er hatte sie einfach abgewimmelt. Gut, dass Reece mitgekommen war. Miss Greer hätte sonst wahrscheinlich Ewigkeiten auf ihre Untersuchung warten müssen.

„Wir müssen Miss Greer röntgen“, sagte der Arzt. „Sie können so lange draußen warten.“

Reece war anscheinend nicht sonderlich geduldig. Unruhig lief er mit seinem Handy vor der Glastür auf und ab und sah ständig auf die Uhr.

Sara besaß noch nicht einmal eine. Wenn sie wissen wollte, wie spät es war, sah sie auf dem Handy nach – vorausgesetzt, es war geladen.

Zwischendurch war Reece verschwunden und brachte ihr einen Apfel und eine Tasse Kaffee aus der Cafeteria mit. Vielleicht ein Friedensangebot? Blödsinn, wahrscheinlich wollte er einfach nur nicht, dass sie vor Hunger umfiel.

Endlich rief eine Krankenschwester sie ins Behandlungszimmer.

„Ihre Großmutter hat sich die Hüfte gebrochen“, sagte ein weiterer Arzt. „Das Gelenk war ohnehin nicht mehr besonders stabil. Wenn sie jemals wieder laufen will, müssen wir ihr eine künstliche Hüfte einsetzen.“

„Sie ist nicht …“, begann Sara, aber Reece stieß sie mit dem Ellenbogen an. Sie räusperte sich. „In dem Fall befürworten wir natürlich eine Operation, nicht wahr, Grandma?“

„Ich habe dem Arzt gesagt, er soll mir einfach ein Paar Krücken geben und mich nach Hause lassen“, schimpfte Miss Greer. „Aber er will nicht hören.“

„Wie lange muss sie hierbleiben?“, fragte Reece.

„In Anbetracht ihres Alters zumindest ein paar Tage. Und zu Hause braucht sie Unterstützung. Wir verschreiben ihr eine Physiotherapie, aber sie darf auf keinen Fall allein wohnen – mindestens einen Monat lang nicht.“

„Sie hat doch mich“, antwortete Sara. „Wir leben unter einem Dach.“

„Ich kann auch helfen“, sagte Reece.

„Gut. Dann stimmen Sie also einer OP zu?“

„Entschuldigen Sie bitte, Doktor“, sagte Miss Greer. „Meine Hüfte ist gebrochen – nicht mein Gehirn. Hören Sie auf zu reden, als würde ich Sie nicht verstehen.“

Sara unterdrückte ein Lächeln. Schön, dass die alte Dame ausnahmsweise mal jemand anderen zurechtwies als sie. „Grandma, willst du die OP?“

„Nein, aber wenn ich anders nicht gesund werde, bleibt mir wohl kaum was anderes übrig.“

Nachdem ein Krankenpfleger Miss Greer zu ihrem Zimmer gebracht hatte, standen Sara und Reece allein in der Eingangshalle. „Macht es Ihnen etwas aus, allein zum Sunsetter zurückzufahren?“, fragte Sara. „Ich möchte noch ein Weilchen bleiben und mich davon überzeugen, dass man sich gut um sie kümmert.“

„Und wie kommen Sie zurück?“

Sara zuckte die Achseln. „Ach, irgendetwas fällt mir schon ein.“

Reece konnte sich das lebhaft vorstellen. Wahrscheinlich würde sie per Anhalter fahren. „Ich könnte Sie doch später wieder hier abholen.“

„Das ist doch viel zu viel Fahrerei.“

„Nur vierzig Minuten. Es macht mir nichts aus.“ Das war nicht einmal gelogen. Reece genoss Saras Gesellschaft, selbst wenn er dabei meist in halb erregtem Zustand war. Außerdem hatte er sowieso nichts Besseres vor.

Die Buchhaltung für Remington Charters, ein Unternehmen, das er und seine Cousins von ihrem Onkel geerbt hatten, lief bereits. Eigentlich hätte er schon vor einer Woche nach Hause zurückkehren können. Aber er ließ sich Zeit damit, was er selbst nicht recht verstand. Zum ersten Mal in seinem Leben freute er sich nicht auf seine Arbeit.

Reece musste sich eingestehen, dass Sara zumindest teilweise der Grund für seinen inneren Widerstand gegen die Rückkehr war. Dabei passte sie überhaupt nicht zu ihm.

In Beziehungen war Übereinstimmung wichtig. Man sollte die gleichen Interessen und Werte haben. Gegenseitige körperliche Anziehung reichte nicht.

„Also, wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht, nehme ich Ihr Angebot gern an“, antwortete Sara. „Miss Greer wird mit Sicherheit ruhiger schlafen, wenn sie weiß, dass sich jemand um die Gäste kümmert.“

„Welche Zimmer soll ich ihnen geben?“, fragte Reece.

„Die Silversteins kriegen immer das Orchideenzimmer … nein, warten Sie, vielleicht wohnen dort die Canfields. Sie kommen nächste Woche … oder übernächste. Aber den Taylors können Sie auf jeden Fall das Teerosenzimmer geben … oder vielleicht doch das Fliederzimmer?“ Sara machte eine abfällige Geste. „Egal, steht alles im Gästebuch an der Rezeption.“

Miss Greer hatte anscheinend recht mit ihren Bedenken. Sara war sehr intelligent, aber eine echte Katastrophe, was Zahlen und Details anging.

„Ich fahre dann mal los“, sagte Reece. „So gegen acht komme ich wieder. Wenn Sie wollen, können wir danach ja noch eine Kleinigkeit essen gehen.“ Er hielt die Luft an. Hatte er eben etwa Sara Kauffman zum Abendessen eingeladen?

Ihr warmes Lächeln überraschte ihn. „Gern! Ich habe von einem tollen Restaurant ganz in der Nähe gehört. Das wollte ich schon lange mal ausprobieren.“

„Okay, klingt gut.“ Wenigstens brauchte er sich jetzt keine Gedanken mehr darüber zu machen, wohin er sie ausführen konnte.

Sara wartete schon vor dem Krankenhaus, als Reece pünktlich um acht vorfuhr. Sie winkte ihm zu, rannte zum Auto und sprang auf den Beifahrersitz. Ihre bunte Kleidung und der Duft nach Vanille und Zimt, der sie immer umgab, verbreiteten eine fröhliche Stimmung.

„Pünktlich auf die Minute“, sagte sie lächelnd.

„Ich komme nicht gern zu spät.“ Außerdem hatte er Hunger. In der Regel aß er früh zu Abend, ging dann zu Bett und stand früh auf. Er arbeitete am liebsten, wenn noch niemand im Büro war. Dann konnte er sich wenigstens in Ruhe konzentrieren.

„Haben Sie die Gäste untergebracht?“, fragte Sara.

Reece nickte. „Die Silversteins liefen etwas verwirrt im Wohnzimmer herum. Sie haben sich gefragt, warum niemand sie empfangen hat. Aber ich habe ihnen von Miss Greers Unfall erzählt, und sie haben sehr verständnisvoll reagiert. Und? Wie geht es Miss Greer?“, fragte er und startete den Motor. Wo ging es jetzt eigentlich hin?

„Sie schläft. Gleich morgen früh wird sie operiert. Man hat ihr ein Schmerzmittel gegeben.“

„Was ist eigentlich morgen mit dem Frühstück?“

„Ich kann doch im Krankenhaus etwas essen.“ Dann stieß sie einen Schreckenslaut aus. „Mist, wer bedient dann die Gäste?“

Genau das hatte Reece sich auch gefragt.

Sara sah ihn flehentlich an. „Wäre es zu viel verlangt, wenn Sie …?“ „Oh nein! Ich weiß noch nicht einmal, wie die Kaffeemaschine funktioniert. Übrigens, wo müssen wir eigentlich lang?“

Sara sah sich um und versuchte, sich zu orientieren. „Biegen Sie an der nächsten Ampel rechts ab. Reece, Sie müssen das Frühstück übernehmen. Es ist ganz einfach. Ich werde alles Nötige vorbereiten. Sie brauchen das Gebäck dann nur noch aus dem Ofen zu holen. Alles andere ist kein Problem. Oh Mist, ich muss auch noch Brot backen!“ Sie sah auf die Uhr. „Vielleicht sollten wir das Abendessen ausfallen lassen.“

Zu seiner Überraschung war Reece enttäuscht. Er wollte lieber mit Sara essen gehen. „Ich mache mit“, sagte er. „Solange ich nicht kochen muss, kriege ich das bestimmt hin. Nachdem wir gegessen haben, fahren wir zurück, und ich helfe Ihnen bei den Vorbereitungen.“

Saras Lächeln erhellte das ganze Auto. „Klasse!“

Ja, klasse. Vielleicht sollte er den Silversteins und den anderen lieber gleich etwas von ihrem Geld erlassen. Das B & B war berühmt für sein hervorragendes Frühstück. Aber wenn er die Verantwortung dafür übernahm, würde es bestimmt nicht hervorragend sein, sondern allenfalls essbar. „Ich sage lieber gleich, dass ich als Pfadfinder kein Abzeichen fürs Kochen gekriegt habe.“

„Sie waren Pfadfinder? Wie süß!“

Süß? Er wollte nicht, dass Sara ihn „süß“ fand. Aber „aufregend und sexy“ kam wohl nicht infrage.

„Sara, wo müssen wir hin?“

Sie sah sich wieder um. „Mist, Sie hätten an der letzten Ampel abbiegen müssen.“

„Kein Problem.“ Reece wendete. „Also, wo genau ist das Restaurant?“

„Keine Ahnung, aber ich weiß ungefähr, wie man dahinkommt.“

„Und wie heißt es?“

„Ich kann mich nicht genau erinnern. Aber es ist indisch. Oder pakistanisch. Ich glaube, auf dem Schild ist ein Elefant abgebildet.“

Pakistanisches Essen? Nein danke! Auch wenn es in New York an jeder Ecke exotische Restaurants gab, blieb Reece ein Fan von Fleisch und Kartoffeln. Von scharfem Essen bekam er nämlich Sodbrennen. Er aß noch nicht einmal Pizza mit Peperoni.

„Ich glaube, Sie müssen gleich links abbiegen“, sagte Sara unsicher.

„Wirklich?“

„Keine Sorge, es muss hier irgendwo sein.“

Sie hatte gut reden. Er irrte nicht gern herum. Nie würde er auf die Idee kommen, nach einem Restaurant zu suchen, dessen Adresse er nicht genau kannte.

„Sehen Sie doch mal auf der Karte nach.“ Reece zeigte auf das Navigationssystem.

„Ach, ich kann Karten sowieso nicht lesen. Ich verlasse mich lieber auf mein Gefühl.“

Nach weiteren fünfzehn Minuten dämmerte Reece allmählich, dass sie sich hoffnungslos verfahren hatten.

„Unterwegs habe ich ein Steakhaus gesehen“, sagte Reece. „Lassen Sie uns doch dort hingehen.“

Sara rümpfte die Nase. „Steak ist so langweilig. Ich finde das Restaurant bestimmt gleich. Geben Sie mir noch fünf Minuten.“

In fünf Minuten würde er sich über das Leder des Armaturenbretts hermachen. Aber er gab nach, und – Wunder über Wunder – nach wenigen Minuten fanden sie sich vor einem Schild mit einer roten Ziege wieder. Das Restaurant hieß „Sofia“ und war weder indisch noch pakistanisch, sondern bulgarisch.

„Das ist es!“, rief Sara triumphierend. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich es finde.“

„Wir sind ja auch fast jede Straße abgefahren“, grummelte Reece. „Außerdem sehe ich keinen Elefanten.“

Sie stieß ihn leicht in die Seite. „Seien Sie kein Spielverderber. Wir sind doch jetzt da. Und diese Ziege sieht wie ein Elefant aus.“

Wenigstens waren sie überhaupt irgendwo. Was nach Reeces Meinung jedoch kein Grund zum Feiern war. Er wäre lieber ins Steakhaus gegangen. Okay, er war vielleicht nicht besonders flexibel, aber er hing halt an seinen Gewohnheiten.

„Ich esse aber kein Ziegenfleisch“, sagte er beim Einparken.

„Sagen Sie bloß, Sie haben noch nie Ziegenfleisch probiert?“

Reece verzog das Gesicht. „Sie etwa?“

„Natürlich. In Mexiko wird Cabrito überall serviert. Es ist richtig lecker.“

„Aber es ist Ziegenfleisch!“

„Es gibt hier bestimmt auch etwas anderes, das Sie mögen.“

Beim näheren Hinsehen erwies sich das Restaurant als gar nicht so übel. Es duftete nach gegrilltem Fleisch, und Reeces Magen meldete sich vernehmlich. Vielleicht würde es ja doch noch ein angenehmer Abend werden.

Sara bestellte bulgarischen Rotwein, kalte Gurkensuppe und gefüllte Paprika.

„Haben Sie Hamburger?“, fragte Reece, als er an die Reihe kam.

Sara und der Kellner starrten ihn entsetzt an.

„Reece“, sagte Sara, „Sie können in einem Restaurant wie diesem doch keinen Hamburger bestellen. Wollen Sie denn nicht etwas Interessantes essen?“

„Ich mag scharfes Essen nicht so gern“, sagte er und kam sich plötzlich langweilig vor.

„Wie wär’s damit?“, frage Sara und zeigte auf ein nicht auszusprechendes Wort auf der Speisekarte. „Das ist so eine Art Hackfleischauflauf.“

„Klang gar nicht schlecht. „Okay.“

Sara lächelte glücklich, und Reece erkannte plötzlich, dass er so gut wie alles essen würde, um dieses Lächeln zu sehen.

„An scharfes Essen kann man sich gewöhnen“, sagte sie.

„Kann schon sein, aber ich habe ein Magengeschwür.“

„Was?“

„Seit zwei Jahren.“ Die schlimmste Erfahrung seines Lebens.

„Keine Angst, es ist schon besser geworden. Aber ich fordere das Schicksal lieber nicht mit exotischem Essen heraus.“

„Hm. Ich wette, Ihr Magengeschwür hat mehr mit Ihrer Arbeit als Ihren Essengewohnheiten zu tun.“

Sein Arzt fand das auch, aber Reece hatte ihm nicht geglaubt. „Das kann nicht sein. Ich mag meine Arbeit.“

„Sie meinen wohl, Sie lassen sich von der Arbeit auffressen“, erwiderte Sara. „Sie hängen ständig am Handy oder mit der Nase vor dem Bildschirm und sehen andauernd auf die Uhr.“

Er zuckte die Achseln. „Leider leiten sich meine Mitarbeiter nicht von allein.“

Sara hatte nicht ganz unrecht. Er steckte wirklich mehr Zeit und Energie in die Arbeit, als ihm guttat.

Als das Essen serviert wurde, war Reece angenehm überrascht. Sein Auflauf war köstlich und längst nicht so scharf wie befürchtet.

Zum Dessert bestellte Sara Gebäck. Reece sah ihr gern beim Essen zu – sie genoss jeden Bissen mit geschlossenen Augen.

Er beobachtete, wie sich ihre vollen Lippen um die Gabel schlossen, und plötzlich hatte er unzüchtige Gedanken. Deshalb sah er schnell woandershin.

„Ich zahle“, sagte Sara, als die Rechnung kam. „Schließlich habe ich das meiste gegessen.“

„Seien Sie nicht albern.“ Reece nahm ihr die Rechnung aus der Hand. „Das Essen war meine Idee.“

„Dann lassen Sie mich wenigstens das Trinkgeld übernehmen.“ Sara griff in ihre Strohtasche und zog etwas heraus, das wie ein unförmiges Knäuel aussah. Sie nahm einige zerknitterte Scheine, legte sie auf den Tisch und ließ den Rest wieder in die Tasche fallen.

„Sie müssen nicht …“

„Schon erledigt.“

Er wollte nicht mit ihr streiten, aber es war nicht gerade ein richtiges Date, wenn er sie einen Teil der Rechnung bezahlen ließ.Vielleicht war das ja gerade ihre Absicht, und sie wollte ihm damit durch die Blume mitteilen, dass er sich keine weiteren Hoffnungen machen sollte.

Natürlich erwartete er nichts von ihr. Sara war reizend zu ihm, aber das hieß noch lange nicht, dass sie sich für ihn interessierte.

Nach ihrer Rückkehr ins Sunsetter gingen sie sofort in die Küche, wo Reece einen Eindruck davon bekam, wie viel Arbeit ein Gourmetfrühstück machte.

Zuerst bereitete Sara zwei Brotlaibe vor und schob sie in den Ofen. Dann machte sie den Teig für die Blaubeermuffins.

„Schlagen Sie doch ein paar Eier für die Frittata.“

„Die Fri…was?“

Wie sich herausstellte, war „Frittata“ nur ein schicker Name für eine Mischung aus Eiern, Gemüse, Schinken, Käse und Kräutern. Sara bat Reece noch darum, Käse zu reiben, wobei er es fertigbrachte, sich die Knöchel aufzuschürfen.

Für den Haferbrei schnitt Sara frische Erdbeeren in Scheiben. Reece sah ihr dabei zu. Ihre kleinen Hände waren schnell und geschickt und bewegten das Messer mit atemberaubender Geschwindigkeit. Aber am faszinierendsten war ihr Gesicht. Sie sah so ruhig und zufrieden aus, dass sie ihn an einen Engel erinnerte. Mit der Fülle brauner Locken und der Mehlspur im Gesicht allerdings eher an einen frechen Engel.

Es war fast Mitternacht, als sie endlich fertig waren. Sie räumten die Küche auf und wollten das Licht ausmachen.

Aber als Sara zum Lichtschalter griff, gab es einen Kurzschluss. Plötzlich waren sie in Dunkelheit gehüllt.

„So ein Mist, diese Lampe knallt ständig durch“, sagte Sara. Ihre verführerische Stimme jagte Reece einen angenehmen Schauer über den Rücken.

„Ich werde sie gleich morgen früh auswechseln“, sagte Reece. Ihm gefiel die Dunkelheit. Sie war so … sexy.

„Aber ich kann nichts sehen!“

„Halten Sie sich an mir fest. Ich erkenne langsam unsere Umgebung.“

Sie klammerte sich an seinem Arm fest. „Sind Sie etwa eine Fledermaus? Hier drinnen ist es stockdunkel!“

„Männer können nachts besser gucken als Frauen“, sagte er und führte sie langsam durch das Ess- in das Wohnzimmer. In der Küche war er sich wie ein Idiot vorgekommen. Jetzt hatte er endlich wieder das Gefühl, Herr der Lage zu sein.

„Echt?“, fragte sie neugierig.

„Das habe ich irgendwo gelesen.“

Die obere Hälfte der Treppe wurde durch das Flurlicht im ersten Stock erhellt, aber Sara ließ Reeces Arm noch immer nicht los. Durch die gemeinsame Sorge um Miss Greer, das Essen und die Küchenarbeit waren sie einander nähergekommen. Ein angenehmes Gefühl, wie Reece fand.

Ein überaus angenehmes.

Als sie vor Reeces Tür ankamen, hielt sie noch immer seinen Arm, und er nutzte spontan die Gelegenheit.

„Sara, ich finde es toll, wie Sie sich um Miss Greer kümmern. Nicht jeder wäre so hilfsbereit.“

Sie lächelte zu ihm auf. „Miss Greer ist wie eine Großmutter für mich. Das Sunsetter ist mein Zuhause, und wir sorgen füreinander.“

„Haben Sie keine Familie?“

„Meine Eltern sind nicht gerade fürsorgliche Menschen. Sie arbeiten beide bei der Army und gehören zum Schlag ‚Hör auf zu heulen‘, und ‚Reiß dich zusammen‘. Ich bitte sie nie um Hilfe, und sie bieten mir auch keine an. Verstehen Sie mich nicht falsch, sie sind liebe Menschen und waren gute Eltern. Aber ich bin ganz anders als sie. Wir verstehen uns nicht besonders gut, aber auf unsere Art lieben wir uns trotzdem.“

Reece wusste, was es hieß, mit solchen Eltern aufzuwachsen. Seine waren ebenfalls streng, vor allem mit ihm. „Ich habe auch Probleme, Sie zu verstehen“, sagte er. „Trotzdem finde ich Sie … einzigartig.“

Sara rümpfte die Nase. „Einzigartig? Etwas anderes fällt Ihnen wohl nicht ein?“

„Okay, Süßholzraspeln war noch nie seine starke Seite gewesen. Aber er besaß andere Qualitäten. Zum Beispiel Küssen.

Bevor er es sich anders überlegen konnte, nahm er seine Brille ab und schloss Sara in die Arme.

3. KAPITEL

Sara genoss Reeces Kuss wie schmelzende Butter auf warmem Gebäck – er küsste besser, als sie sich je erträumt hätte. Seine Lippen waren gleichzeitig fordernd und sanft.

Reece umspielte mit der Zunge ihre Lippen. Sara schlang ihm die Arme um den Hals, zunächst nur, um ihn näher an sich zu ziehen, dann jedoch, um nicht zu Boden zu sinken. Ihre Knie wurden weich, und sie spürte ihre Gliedmaßen kaum noch.

Reeces werbendes Zungenspiel schien nicht enden zu wollen – das war der erotischste, herausforderndste Kuss ihres Lebens. Sara rechnete es Reece hoch an, dass er nicht noch weiter ging. Er berührte weder ihre Brüste, noch presste er sich aufreizend an sie.

Stattdessen küsste er sie so, als wäre es zum letzten Mal. Oh Gott, hoffentlich nicht!

Irgendwann hörte er auf und sah amüsiert auf sie hinunter. „Du bist nicht nur einzigartig, du hast auch unglaublich zarte Lippen.“

„Okay, das ist schon besser.“

„Jetzt geh schlafen. Wir haben einen anstrengenden Tag vor uns.“ Er ließ sie los, küsste sie auf die Stirn und ging in sein Zimmer.

Hm. Sie hätte ihn nur zu gern begleitet, aber leider hatte er sie nicht dazu aufgefordert.

Ihre Beine weigerten sich, sie die Treppe ins Dachgeschoss hochzutragen. Sara sank auf der zweiten Stufe nieder und starrte Reeces Tür an.

Wow! Damit hätte sie nie gerechnet.

Was sollte sie jetzt bloß tun?

Normalerweise nahm sie Affären nicht besonders ernst. Wenn es mit dem einen Mann nicht klappte, probierte sie es halt mit dem nächsten.

Aber in der letzten Zeit hatte sie sich öfter gefragt, ob nicht doch irgendwo der Richtige für sie rumlief.

Allerdings wollte sie sich nur an einen Mann binden, der genauso offen und abenteuerlustig war wie sie.

Und Reece war alles andere als ein Abenteurer. Er war total solide und sprach am liebsten über Risikominimierung und Zukunftsplanung.

Ihre Zukunftsplanung ging meistens nicht über die nächste Mahlzeit hinaus.

Trotzdem – er war unglaublich attraktiv. Und noch dazu ein guter Mensch. Es hatte ihm kaum etwas ausgemacht, dass sie ihm einfach die Finanzen des B&B aufgebürdet hatte. Attraktive Männer gab es wie Sand am Meer, aber Männer mit Charakter waren schon erheblich rarer gesät.

Sie sollte sich möglichst bald darüber klar werden, was sie von Reece wollte, bevor sie noch etwas Übereiltes tat.

Schon vor Tagesanbruch stand Sara auf und ging in die Küche. Zu ihrer Überraschung war Reece schon da und beschäftigte sich mit der Kaffeemaschine.

„Hast du die Glühlampe schon ausgetauscht?“, fragte sie anstelle eines Grußes.

Reece zuckte erschrocken zusammen und wich ihrem Blick aus. „Oh. Ja.“

Wahrscheinlich bereute er den gestrigen Moment der Schwäche schon. Na schön. Dann würde sie eben auch so tun, als sei nichts geschehen. „Ich kümmere mich um den Kaffee. Du kannst schon mal den Ofen vorheizen.“

„Okay.“

Da er schon nach zwanzig Sekunden fertig war, sah er ihr beim Kaffeekochen zu. So konzentriert, als wolle er sich jeden einzelnen Schritt merken. Sein intensiver Blick jagte Sara einen Schauer über den Rücken.

„Frierst du?“, fragte er. „Ich habe vorhin das Fenster geöffnet. Soll ich es wieder zumachen?“

„Nein, ich mag frische Luft.“ Sara musste lachen. „Ich bin erstaunt, dass du das Fenster überhaupt aufgekriegt hast. Miss Greer hat nämlich eine Aversion gegen Zugluft.“

„Was soll’s, Miss Greer ist ja nicht hier, und was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.“

Saras Herz begann zu klopfen, und sie wagte einen Blick über die Schulter. Reeces Augen funkelten verschmitzt. Was hatte er damit sagen wollen? Wusste er etwa, dass sie sich ihm gegenüber nur deshalb zurückgehalten hatte, weil er ein Gast war?

Schnell sah sie wieder weg. Ob sie seinen Kuss jemals vergessen würde? Plötzlich verspürte sie zum ersten Mal in ihrem Leben so etwas wie Angst.

Reece war so ganz anders als die Männer, zu denen sie sich sonst hingezogen fühlte. Bei ihm galten die üblichen Spielregeln nicht.

„Warum deckst du nicht den Tisch?“, schlug sie betont fröhlich vor. „Alles Nötige findest du im Büfett. Such bitte Geschirr für sechs Gäste raus.“

„Was ist mit mir?“, fragte er. „Kriege ich kein Frühstück?“

„Du gehörst jetzt zu den Angestellten. Wir essen in der Küche.“

„Wie kann ich angestellt sein, wenn ich nicht bezahlt werde?“, fragte er lächelnd.

Er hatte recht. Niemand hatte ihm etwas für seine Hilfe angeboten.

Reece legte eine Decke auf den Tisch. „Das sollte nur ein Scherz sein. Es macht mir nichts aus zu helfen. So habe ich wenigstens etwas zu tun.“

„Aber du kümmerst dich doch um die Buchhaltung von Remington Charters?“, fragte Sara.

„Schon, aber das ist nicht gerade ein Vollzeitjob.“

„Eigentlich dachte ich, dass du damit schon fertig wärst.“

„Ich muss Allie und Cooper noch zeigen, wie das Programm funktioniert.“

„Allie, meinst du wohl“, antwortete Sara. „Cooper hat nicht die Geduld für Zahlen.“

Reece sah sie fragend an. „Woher weißt du das?“

„Na hör mal. Ihr habt hier länger als eine Woche gewohnt. In der Zeit hatte ich Gelegenheit, euch zu beobachten und eure Gespräche mit anzuhören. Ich könnte dir eine Menge über deine Cousins erzählen.“

Reece verschränkte die Arme vor der Brust. „Hast du gelauscht?“

„Natürlich nicht!“ Sie wurde doch nicht etwa rot? Okay, schon möglich, dass sie Reece aufmerksamer als nötig zugehört hatte. Aber schließlich hatte er ihr gefallen. „Angestellte werden oft übersehen. Die meisten Gäste reden, als sei ich gar nicht da. Da hört man zwangsläufig einiges mit an.“

„Ich habe dich nicht übersehen.“

„Ha! Wenn du über deinem Buchhaltungsprogramm brütest, würdest du noch nicht mal eine Bombenexplosion nebenan hören. Ich habe mehrfach unter deinem Stuhl staubgesaugt, und du hast noch nicht einmal gezuckt.“

„Ich habe dich trotzdem bemerkt“, beharrte er. „Und ich weiß eine Menge über dich.“

„Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel, dass dich ein Typ namens Ike mindestens dreimal auf dem Handy angerufen hat.“

Sara blinzelte überrascht. „So viel zum Thema Lauschen.“

„Manchmal hört man zwangsläufig einiges mit an“, wiederholte Reece ihre Worte.

Okay, er war wohl doch nicht so geistesabwesend, wie sie immer angenommen hatte.

„Was weißt du noch über Cooper?“, fragte er.

„Bist du nicht neugierig, was ich alles über dich weiß?“

Reece blickte zur Seite. „Ich gebe bestimmt nicht allzu viel Anhaltspunkte.“

„Du bist vierunddreißig Jahre alt und der jüngere von zwei Brüdern. Dein Bruder heißt Bret und lässt dich seine ganze Arbeit erledigen.“

Reece öffnete den Mund, ohne etwas zu sagen.

„Du warst nie verheiratet“, fuhr Sara fort. Eigentlich wusste sie das nicht so genau, aber an seinem Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass sie recht hatte. Sie war erleichterter, als ihr lieb war.

„Du bist ein ordentlicher Mensch und machst jeden Morgen dein Bett, obwohl das mein Job wäre. Du wirst schnell seekrank und hast Heuschnupfen.“

„Woher weißt du das?“

„Ich bin das Zimmermädchen. Ich habe die Medizin in deinem Badezimmer gesehen.“

„Du Schnüfflerin!“, sagte Reece grinsend. „Was würdest du davon halten, wenn irgendein Kerl einfach so in deinen Sachen rumwühlt?“

Sara zuckte mit den Schultern. „Du kannst jederzeit mein Badezimmer durchsuchen. Vor allem, wenn du mir hinterher das Klo sauber machst.“

Er würde nichts Schockierendes finden. Höchstens die Pille, aber die nahm sie in der letzten Zeit sowieso nur unregelmäßig, weil sie keinen Partner hatte.

Als die antike Uhr auf dem Büfett schlug, stellte Sara fest, dass sie los musste. „Die Frittata ist um halb sieben fertig“, sagte sie, „und die Muffins in etwa fünf Minuten. Willst du noch etwas wissen?“

„Sara?“

„Ja?“

„Wie kommst du eigentlich zum Krankenhaus?“

Verdammt. Flehentlich sah sie Reece an. „Du würdest mir nicht zufällig dein Auto leihen?“

Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hielt er nicht allzu viel von der Idee. Sie konnte ihm das nicht verübeln, denn der Mercedes war ziemlich neu.

„Ich bin eine wirklich gute Fahrerin“, sagte sie. „Ich werde total vorsichtig fahren, das schwöre ich!“

Er schwankte eine Weile hin und her und griff schließlich resigniert in seine Jeanstasche.

Sara fiel ihm spontan um den Hals und küsste ihn – gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, den Kuss auf seine Wange statt auf seinen Mund zu platzieren. Schließlich wollte sie nicht das Risiko eingehen, benebelt gegen den nächsten Laternenmast zu fahren.

„Danke, Reece, du bist ein Schatz!“

„Bestell Miss Greer schöne Grüße von mir.“

„Mach ich. Tschüs!“ Sie schoss aus dem Zimmer, bevor er die Chance hatte, seine Entscheidung rückgängig zu machen.

Durch die Spitzengardinen beobachtete Reece, wie Sara ins Auto sprang, den Motor startete und mit quietschenden Reifen davonfuhr. Sie hatte noch nicht einmal den Sitz oder den Spiegel richtig eingestellt.

Ihm schwante, dass sie nur in ihrer Fantasie eine „wirklich gute Fahrerin“ war.

Aber jetzt hatte er keine Zeit, sich Sorgen um sein Auto zu machen. Das Frühstück musste zubereitet werden. Gerade noch rechtzeitig fielen ihm die Muffins ein. Dann wurde es Zeit, die Frittata aus dem Ofen zu nehmen, die zugegebenermaßen trotz des verdächtig aussehenden Grünzeugs richtig lecker roch.

Reece schenkte sich einen Kaffee ein, aber dann fiel ihm ein, dass er auf leeren Magen keinen Kaffee trinken durfte, und er machte sich auf die Suche nach dem Brot. Beim Anblick der frisch gebackenen Laibe lief ihm das Wasser im Mund zusammen.

Er nahm ein Messer, das er für geeignet hielt, und fing an, das Brot in Scheiben zu schneiden. Leider sah das Ergebnis ziemlich dick und unförmig aus, ganz anders als die dünnen, gleichmäßigen Scheiben, die sonst auf dem Frühstückstisch lagen.

Die ersten Gäste, die Taylors, erschienen pünktlich um sieben.

Reece holte die Kaffeekanne. „Das Frühstück ist gleich fertig“, sagte er und schenkte dem Ehemann ein. Aber die Frau hielt ihn auf.

„Ich hätte gern heißen Tee, bitte.“

„Tee?“ Sara hatte nichts von Tee erwähnt. „Okay, kommt sofort.“

„Haben Sie auch etwas Milch für den Kaffee?“, fragte der Mann.

Verdammt. „Ich sehe mal nach.“

Als Erstes musste er Wasser kochen. Reece füllte den Kessel und stellte den Gasherd an. Dann holte er ein Tetrapak Magermilch aus dem Kühlschrank und wollte sie schon ins Esszimmer bringen, als ihm einfiel, dass Sara und Miss Greer immer alles in hübsche Gefäße füllten. Er durchwühlte die Schränke nach einem Sahnekännchen.

Das Wasser kochte. Oh Gott, was sollte er jetzt tun? Wo zum Teufel waren die Teebeutel?

Reece schnitt noch mehr krumme Brotscheiben, trug den Wasserkessel ins Esszimmer und goss heißes Wasser in die Tasse der verdutzten Mrs. Taylor.

„Jetzt brauchen Sie nur noch einen Teebeutel“, sagte er.

Mrs. Taylor wies zum Büfett. „Sie sind gleich da drüben.“

Na Gott sei Dank!

Als er die Frittata hereinbrachte, erschien gerade das zweite Paar, die Silversteins. Sie wollten natürlich Kaffee, aber bitte nicht mit Magermilch, sondern mit Vollmilch.

Dann tauchten die Benedicts auf, und Mr. Benedict verlangte nach Pflaumensaft.

Reece stellte fest, dass er niemandem Saft angeboten hatte.

Jemand fragte nach Marmelade, und Reece suchte sämtliche Sorten heraus, die er finden konnte, füllte sie in Behälter um und servierte sie.

Dann musste er wieder Kaffee und Saft nachschenken. Die Muffins! Die hatte er komplett vergessen. Bei der Suche nach einem Korb verschwendete er kostbare Zeit, warf die Muffins hinein und stellte sie auf den Tisch.

„Haben Sie Joghurt?“, fragte Mrs. Silverstein.

Nachdem die Gäste endlich satt waren, fühlte Reece sich komplett erledigt. Sein Magen schmerzte, und er empfand eine völlig neue Hochachtung für Saras Fähigkeiten.

Er war gerade dabei, den Geschirrspüler zu füllen, als das Telefon klingelte. „Hallo? Ich meine, Sunsetter Bed & Breakfast?“

„Ich bin’s, Sara.“

Reece wunderte sich, wie erleichtert und erfreut er beim Klang ihrer Stimme war. „Hey, Sara. Ist alles in Ordnung?“

„Die Operation ist gut verlaufen, und Miss Greer liegt im Aufwachzimmer. Sieht so aus, als müsste ich noch eine Weile hierbleiben.“

„Du brauchst dich nicht zu beeilen“, antwortete Reece. „Ich habe alles unter Kontrolle.“

„Wirklich?“

„Überrascht dich das etwa?“

„Ich habe dich nicht für den häuslichen Typ gehalten.“

„Da ist doch nichts dabei“, sagte er. „Ist mit dem Wagen alles okay?“

Die darauf folgende Stille kam ihm unendlich vor.

„Sara?“

„Was verstehst du unter okay?“

Reece bekam schon wieder Bauchschmerzen. „Sara, was ist mit meinem Auto passiert?“

„Du, Miss Greer wacht gerade auf. Ich muss jetzt Schluss machen. Mach’s gut.“

Sara legte mit klopfendem Herzen auf. So hatte sie das Unvermeidliche zumindest noch ein bisschen hinausgeschoben. Aber früher oder später würde sie Reece erzählen müssen, dass sein Wagen auf der rechten Seite eingebeult war.

Der Schaden war gar nicht so schlimm und wirklich nicht ihre Schuld. Ein anderer Wagen war rückwärts in sie hineingefahren, als sie gerade in aller Unschuld nach einem Parkplatz Ausschau gehalten hatte. Sie hatte Telefonnummer und Adresse mit dem Fahrer ausgetauscht.

Das hätte schließlich jedem passieren können. Das Wichtigste war, dass niemand verletzt war.

Hoffentlich sah Reece das genauso.

Sara steckte das Handy in ihre Tasche und ging zu Miss Greer. Eigentlich wusste sie gar nicht, ob die alte Dame wirklich gerade aufwachte, aber es war ja immerhin möglich. Trotzdem hätte sie Reece gleich die Wahrheit sagen müssen. Wie ihr Vater immer sagte, eine Lüge war eine Lüge, ganz egal wie klein.

Nachdem Miss Greer aufgewacht war, verbrachte Sara den Rest des Tages damit, Schmerzmittel aufzutreiben und dafür zu sorgen, dass ihre Wirtin etwas aß.

Als sie schließlich vor dem B & B vorfuhr, war es schon fast dunkel. Sie stellte das Auto bewusst in der Nähe einiger Büsche ab. Vielleicht würde man den Schaden dann nicht so leicht sehen. Außerdem war Reece niemand, der sich schnell aufregte. Wahrscheinlich würde er ja ganz ruhig und vernünftig reagieren.

Aber ihre Hoffnungen wurden zunichtegemacht, als sie ihn auf der Veranda aufgeregt auf und ab laufen und in sein Handy sprechen sah.

Als er sie erblickte, klappte er das Handy zu und kam auf sie zu. Sara stieg aus und begann, angesichts seines wütenden Gesichtsausdrucks zu zittern.

„Sara, wo hast du gesteckt? Ich habe mir Sorgen gemacht. Du warst den ganzen Tag nicht auf dem Handy erreichbar.“

„Ich habe es im Krankenhaus ausgeschaltet“, antwortete sie.

Reece blieb vor ihr stehen und stützte die Hände in die Hüften. „Du hättest doch zumindest zwischendurch deine Nachrichten abhören können!“

„Tut mir leid. Ich hatte wohl zu viel mit Miss Greer zu tun.“

Na klar doch. Sie war eine echte Heilige. In Wirklichkeit hatte sie ihr Handy absichtlich ausgestellt, weil sie genau wusste, dass Reece sich Sorgen wegen des Autos machte.

„Also? Was ist mit dem Wagen passiert?“, fragte er, löste endlich seinen durchbohrenden Blick von ihr und richtete ihn auf den Mercedes.

„Ich hatte einen …“ Sara musste schlucken. „Einen kleinen Unfall.“

„Einen Unfall?“

„Nur einen kleinen.“

Reece betrachtete das Auto eingehend, konnte aber nichts erkennen und ging auf die andere Seite.

An seinem Gesichtsausdruck erkannte Sara, dass er die verbeulte Tür entdeckt hatte. Am liebsten wäre sie auf ihr Zimmer geflüchtet, um seinem Wutausbruch zu entkommen. Aber wenn ihre Eltern ihr eines beigebracht hatten, dann, die Verantwortung für ihre Fehler zu übernehmen.

„Wie ist das denn passiert?“

„Auf dem Parkplatz ist jemand in mich hineingefahren.“

Ein Muskel zuckte in seinem Kinn. „Also hattest du keine Schuld?“

Sara schüttelte den Kopf. „Der Typ hat sich tausendmal entschuldigt.“

„Hast du den Polizeibericht?“

Wieder schüttelte sie den Kopf. „Wir haben nur die Adressen ausgetauscht.“ Sie holte ein zerknittertes Stück Papier aus der Tasche. Reece betrachtete es eingehend, faltete es sorgfältig zusammen und steckte es in die Brieftasche. „Ich kann einfach nicht glauben, dass du mein neues Auto kaputt gemacht hast.“

„Es war nicht meine Schuld.“

„Streng genommen vielleicht nicht, aber du fährst so, wie du alles andere tust.“

„Was soll das denn heißen?“

„Mit Volldampf voraus und ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.“

Reece drehte sich um und ging ins Haus zurück, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen.

Seine unfairen Worte hatten Sara tief getroffen. Aber sie widerstand dem kindlichen Impuls zu weinen. Ihr Vater hatte ihr immer vorgeworfen, eine Heulsuse zu sein.

Wie konnte Reece nur so selbstgerecht sein? Er hatte noch nicht einmal versucht, sie zu verstehen.

Jetzt war die Stimmung zwischen ihnen im Eimer.

Da sie schließlich nicht ewig auf der Straße stehen bleiben konnte, ging Sara mit schweren Schritten zur Veranda. Heute war anscheinend nicht ihr Glückstag. Am besten ging sie direkt in die Küche und machte eine anständige Suppe. Vielleicht würde sie sich Reece gegenüber sogar so großmütig erweisen, dass sie ihn dazu einlud. Dann musste sie das morgige Frühstück vorbereiten. Am nächsten Tag wollte sie wieder ins Krankenhaus, aber das hatte Zeit bis nach dem Frühstück.

Keine Ahnung, wie sie nach Corpus Christi kommen sollte, aber ihr würde schon etwas einfallen. Vielleicht würde Allie ihr ja ihr Auto leihen.

In der Erwartung, ein Chaos vorzufinden, betrat Sara die Küche. Aber Reece hatte offensichtlich nach dem Frühstück aufgeräumt. Erstaunlich! Keiner der Männer, die sie kannte, setzte auch nur einen Fuß in die Küche, geschweige denn machte sie sauber.

Klasse, er hatte sogar den Geschirrspüler angemacht!

Sara öffnete die Klappe, um das saubere Geschirr auszuräumen, und stieß unwillkürlich einen Schrei aus.

Miss Greers geliebtes Porzellangeschirr sah aus, als hätte es jemand mit dem Hammer zerschlagen.

„Was ist?“ Reece erschien atemlos in der Tür. „Was ist passiert?“ Als er das zerbrochene Porzellan sah, machte er ein langes Gesicht. „Oh nein!“

Sara lag schon auf der Zunge, zu fragen, welcher Idiot das Porzellan in den Geschirrspüler gepackt hatte. Sollte er sich doch genauso schuldbewusst fühlen wie sie selbst! Aber sie biss sich noch rechtzeitig auf die Zunge. Eigentlich hatte sie nämlich die Schuld. Sie hätte Reece vorher sagen müssen, dass feines Porzellan mit der Hand abgewaschen werden musste.

„Ob man es reparieren lassen kann?“ Reece holte eine Scherbe aus dem Geschirrspüler und betrachtete sie. Er sah so niedergeschlagen aus, dass Saras Ärger dahinschmolz.

„Leider nicht.“

„War es wertvoll?“

„Zumindest für Miss Greer. Es stammt aus ihrer Aussteuer.“

Reece schlug sich vor die Stirn und lehnte gegen die Arbeitsplatte. Er sah niedergeschlagen aus. „Verdammter Mist. Ich habe die Mädchenträume einer alten Dame zerstört. Schrecklich.“

„Das ist nicht deine Schuld, Reece.“

Überrascht sah er sie an. „Warum bist du so nett zu mir? Du solltest mich anschreien.“

„Ich schreie nun mal nicht gern.“

Unter anderen Umständen hätte ihr sein schuldbewusster Gesichtsausdruck Spaß gemacht. „Ich hätte wegen des Autos vorhin nicht so wütend reagieren dürfen. Es tut mir leid, Sara.“

Jetzt war ihr wirklich zum Weinen zumute. Reece war so ganz anders als ihr Vater, der sich nie für etwas entschuldigte.

„Wahrscheinlich bin ich viel zu schnell über den Parkplatz gefahren“, gab sie zu. „Vielleicht hätte ich den Unfall vermeiden können, wenn ich vorsichtiger gewesen wäre. Und ich hätte dir sagen müssen, das Porzellan nicht in den Geschirrspüler zu tun. Es ist ganz allein meine Schuld.“

Reece lächelte. „Schuldzuweisungen helfen uns jetzt leider nicht weiter. Wir sollten uns lieber auf die Lösung des Problems konzentrieren. Vielleicht können wir die zerbrochenen Teile ja ersetzen.“

Sara entspannte sich. Die schlechte Stimmung wegen des Autos hatte sich in Luft aufgelöst.

„Okay“, stimmte sie zu. „Lass uns mal nachzählen, wie viel zerbrochen ist.“

Nachdem sie sämtliche Scherben aus dem Geschirrspüler geräumt hatten, wussten sie Bescheid: Drei Teller, sechs Teetassen und zwei Untertassen waren zu ersetzen. Dem Stempel auf den Unterseiten zufolge hieß das Muster „Haviland’s Tea Rose“.

„Ich mache mich mal im Internet auf die Suche“, sagte Reece.

Sara kannte sich mit dem Internet nicht besonders gut aus. Sie besaß noch nicht einmal einen Computer. „Ich mache uns etwas zu essen. Hast du Lust auf etwas Bestimmtes?“

Reece dachte kurz nach. „Schmorbraten mit Kartoffeln und Möhren?“

Sie hatte es geahnt. „Das ist nicht wirklich mein Ding. Ich koche eher experimentell und vegetarisch.“

„Wie wär’s mit Hackbraten?“

Der Mann hatte wirklich null Fantasie, was Essen anging. „Ich mache Tortillasuppe“, sagte sie. Die war bisher noch bei jedem gut angekommen.

Außer bei Reece anscheinend. „Ach, lass mal. Ich esse in der Stadt.“

„Du könntest sie doch wenigstens probieren“, beharrte sie. „Es macht mir keinen Spaß, für mich allein zu kochen. Außerdem geht doch nichts über eine hausgemachte Mahlzeit.“

„Okay“, antwortete Reece nach einer langen Pause.

Sara zwinkerte ihm zu. Sein Essen brauchte ja nicht so langweilig und vorhersehbar zu sein wie sein Leben. Sie würde ihn schon noch zu ihren Kochkünsten bekehren, und wenn es das Letzte war, was sie tat.

4. KAPITEL

Reece stürzte sich mit Feuereifer auf die Internetsuche.

Während er mit seinem Laptop im Wohnzimmer saß und dem geschäftigen Treiben in der Küche lauschte, entdeckte er ein Dutzend Firmen, die sich auf den Ersatz von Porzellan spezialisiert hatten. Aber sein Fall erwies sich als ziemlich problematisch.

Das Muster „Haviland’s Pink Tea Rose“ war nur zwei Jahre lang produziert worden, 1955 und 1956, was die Suche fast unmöglich machte. Die paar Stücke, die auf dem Markt zu finden waren, wurden zu astronomischen Summen gehandelt. Aber Reece war fest entschlossen, den Schaden zu ersetzen, und bestellte vier Untertassen für je sechzehn Dollar.

Aus der Küche duftete es lecker, und Reece bekam allmählich Appetit.

Vielleicht war es ein bisschen übereilt gewesen, Saras Kochkünste anzuzweifeln.

Eigentlich erstaunlich, dass sie eine so begeisterte Köchin war. Für jemanden, der kein eigenes Zuhause hatte und das Reisen liebte, hatte sie ganz eindeutig eine ausgeprägte häusliche Ader.

Er hätte wegen des Autos nicht so ausrasten dürfen.

Klar, Sara hätte ein bisschen besser auf ihre Umgebung achten können, aber jeder machte mal einen Fehler, wie sein Unfall mit dem Geschirrspüler bewies.

Reeces Mitarbeiter hatten ihm mehr als einmal vorgeworfen, viel zu perfektionistisch zu sein. Aber spätestens seit heute wusste er, dass niemand perfekt war.

„Reece?“

Er blickte hoch und sah Saras schlanke Gestalt in der Küchentür. „Ja?“

„Ich habe Suppe und belegte Brote gemacht, falls du Hunger hast.“ Mit schlechtem Gewissen bemerkte er, dass sie etwas unsicher klang. Anscheinend war ihr seine Meinung wichtig.

„Klingt gut. Ich schreibe nur noch schnell eine E-Mail zu Ende.“ Er war gerade dabei, seinem Bruder ein komplexes finanzielles Problem zu erklären. Wenn er jetzt aufhörte, würde er den Gedankengang komplett verlieren.

Aber wie so oft brauchte er länger als gedacht. Dann rief sein Vater an und wollte möglichst auf die Sekunde genau wissen, wann Reece endlich nach New York zurückkehren würde.

Erst nach einer Viertelstunde klappte Reece den Laptop zu und ging in die Küche.

Als er Sara in Kochbücher vertieft am Küchentisch sitzen sah, musste er lächeln.

„Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe“, sagte er. „Hoffentlich ist die Suppe noch nicht kalt.“ Zugegebenermaßen roch sie richtig lecker.

Beim Klang seiner Stimme hellte sich Saras Gesicht auf, und sie legte die Kochbücher beiseite. „Macht nichts. Je länger sie auf dem Herd steht, desto besser wird sie.“ Sie begann, in der Küche herumzuwerkeln, füllte die Suppe in Teller und schnitt belegte Brote durch. Es machte Spaß, ihr dabei zuzusehen.

Früher hatte er sie für ziemlich tölpelhaft gehalten. In den ersten zwei Wochen im B & B hatte sie mindestens dreimal etwas über ihm ausgekippt. Dabei war sie in Wirklichkeit sehr geschickt, arbeitete rasch, geschmeidig und voller Anmut.

Trotzdem verkrampfte er sich automatisch, als sie einen Suppenteller vor ihn stellte. Vielleicht würde er ja doch gleich wieder aufspringen müssen.

Wider Erwarten passierte nichts.

Das Essen duftete nicht nur köstlich, sondern sah auch noch gut aus. Sara hatte sein Schinkenbrot mit einer sauren Gurke und einigen Tortilla-Chips angerichtet. Er war beeindruckt, welche Mühe sie sich gab, ihm zu imponieren, obwohl er saure Gurken nicht ausstehen konnte.

Reece probierte zuerst das Brot, da es unverfänglicher aussah. Als er hineinbiss, stellte er fest, dass es Roggenbrot war. Er hasste Roggenbrot. Außerdem hatte Sara irgendetwas Salatartiges in das Brot getan.

Er kaute schnell, schluckte und spülte den Bissen mit Eistee hinunter – zuckersüßem. Was hatten die Südstaatler eigentlich für ein Problem mit ihrem Tee? Er schmeckte hier überall wie Sirup.

„Der Schinken ist mit Honig gebacken“, sagte Sara. „Miss Greer hat ihn letzte Woche zum Geburtstag bekommen, aber sie macht sich nicht viel daraus.“

„Der Schinken ist gut“, gab Reece zu. „Was ist noch auf dem Brot?“

„Frischkäse, brauner Senf … oh, und etwas Rauke. Sie wächst im Kräutergarten im Hof.“

„Hm.“ Hatte sie etwa noch nie von normalem Käse, gelbem Senf oder Eisbergsalat gehört? Aber er wollte nicht ihre Gefühle verletzen. Am besten ging er selbst mal einkaufen. Vielleicht würde sie den Wink ja verstehen.

Nachdem er einige Tortilla-Chips gegessen hatte, nahm er endlich die Suppe in Angriff. Verdammt, was war das grüne Ding da? Reece stocherte ein Weilchen herum und stellte fest, dass es sich um eine Avocadoscheibe handelte. Avocados waren für ihn so ziemlich das Ekligste überhaupt. Sie kamen gleich nach Steckrüben und Spargel.

Reece schob sie zur Seite und löffelte etwas Brühe. Gar nicht so übel. Ziemlich fremdartig gewürzt allerdings. Wo war denn das Hühnerfleisch? Sollte Tortillasuppe nicht mit Huhn sein?

Er aß einige von den kleinen knusprigen Dingern, die auf der Suppe schwammen. Als Sara sich auf ihr eigenes Essen konzentrierte, zog er den Schinken aus dem Brot, kratzte den Senf ab und aß ihn auf. Den Rest wickelte er vorläufig in seine Serviette.

„Magst du keine Avocados?“, fragte Sara.

Erwischt. „Nicht besonders“, gab Reece zu.

„Das ist aber schade. Sie sind sehr gesund.“

„Ich dachte, sie machen dick.“

„Sie enthalten viel Fett, aber ungesättigte Fettsäuren.“

„Dann sollte ich wohl etwas davon essen.“ Um ihr einen Gefallen zu tun, brach er Stückchen mit dem Löffel ab und steckte es in den Mund. Vielleicht irrte er sich ja, und es schmeckte sogar.

Brrr! Er schüttelte sich innerlich.

Also machte er sich wieder an die Brühe, aber nach einigen Löffeln brannte ihm die Zunge. Na toll. Sein Magengeschwür würde bestimmt jubeln.

„Danke, dass du mich nicht angebrüllt hast“, sagte Sara plötzlich.

„Was? Warum hätte ich dich anbrüllen sollen?“ So schlecht war das Essen schließlich auch nicht.

„Als ich sechzehn war, hatte ich einen Unfall mit dem Auto meines Vaters. Eigentlich hatte ich noch nicht einmal Schuld – ein Typ hatte mir die Vorfahrt genommen. Aber ich war so damit beschäftigt, cool auszusehen, dass ich ihn nicht rechtzeitig bemerkt habe.“

„Wurde jemand verletzt?“, fragte er.

„Nein, der Schaden war gar nicht so groß. Aber mein Vater ist ausgeflippt. Ich sei das dümmste, verantwortungsloseste Mädchen der Welt, er hätte mich nie den Führerschein machen lassen dürfen, und Frauen gehörten sowieso nicht hinters Steuer. Er kam einfach nicht darüber hinweg. Bis heute regt er sich darüber auf, dass ich das Auto zwei Wochen nach der Führerscheinprüfung kaputt gemacht habe.“

Reece kannte das Problem.

„Ich bin wohl einfach nicht der Typ, der herumschreit. Außerdem ist es ja nur ein Auto. Leicht zu reparieren. Längst nicht so schlimm, wie das Aussteuergeschirr einer netten alten Dame zu zerschmettern.“

Sara drückte Reeces Hand. „Ich schreie auch nicht gern.“ Sie stellte fest, dass ihre Hand noch immer auf Reeces Arm lag, zog sie schnell weg und sprang auf. „Willst du noch ein Sandwich?“

„Oh, nein danke“, antwortete er hastig. „Von dem einen bin ich bereits pappsatt.“

„Mehr Suppe?“ Sara warf einen prüfenden Blick auf seinen Teller, in dem sich matschige Zwiebeln, Sellerie und Tomaten tummelten. „Hat es dir nicht geschmeckt?“

„Doch, schon. Ich habe nur einige Dinge liegen lassen, die ich nicht besonders mag.“

Sara verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast nur die Brühe gegessen.“

„Die war sehr gut.“

„Du magst wohl überhaupt kein Gemüse, oder?“

„Stimmt nicht. Ich esse grüne Bohnen. Möhren sind auch okay.“

Er zählte die Sorten an seiner Hand ab. „Außerdem mag ich Mais … und Salat. Das ganz normale Gemüse eben. Es gibt nur wenig, was ich nicht esse.“ Okay, vielleicht ein bisschen mehr als wenig, aber was konnte er dafür, wenn sich das meiste davon in der Suppe befand?

Sara zuckte die Achseln. „Na ja, zumindest hast du es probiert. Wirklich mutig von dir.“

Klang das etwa gerade irgendwie herablassend?

Am nächsten Morgen stand Sara früh auf, um das Frühstück zu machen. Sie und Reece hatten vereinbart, dass er ihr bei der Vorbereitung helfen und dann zu Miss Greer fahren würde.

Da es noch früh war, hatte sie die Küche ganz für sich allein.

Als sie den Mülleimer öffnete, um die Eierschalen wegzuwerfen, machte sie eine Entdeckung: Brot und Käse. Verschrumpelte Raukeblätter. Und eine saure Gurke.

Kurzum, Reeces ganzes Brot außer dem Schinken.

„Dieser hinterhältige Typ“, murmelte sie. Warum hatte er ihr nicht einfach gesagt, dass er ihr Essen nicht mochte, anstatt es heimlich wegzuwerfen und Lebensmittel zu verschwenden?

Er war der pingeligste Mann, den sie je getroffen hatte. Mit einer einzigen Ausnahme: Ihr Vater hatte jeden Tag pünktlich um sechs Uhr Fleisch und Kartoffeln auf dem Tisch verlangt und als Beilage nichts außer Mais, Möhren oder Eisbergsalat – im Wechsel.

Die ersten Tacos auf der Party eines Freundes waren für Sara wie eine Offenbarung gewesen. Danach hatte sie angefangen, in der Küche herumzuexperimentieren, und nachdem sie erst einmal Feuer gefangen hatte, gab es kein Halten mehr.

Als Reece die Küche betrat, holte sie gerade einen Kuchen aus dem Ofen.

„Das riecht ja wunderbar“, sagte er und ging zur Kaffeemaschine, um sich seine erste Tasse Java zu bereiten. Sara mochte seinen Kaffee, aber sie fand, dass er inzwischen viel zu viel davon trank.

„Du brauchst mir nicht zu schmeicheln“, sagte sie leichthin. „Warum sagst du mir nicht einfach, wenn du mein Essen nicht magst?“

Reece erstarrte, und ein schuldbewusster Ausdruck huschte über sein Gesicht.

„Magst du überhaupt kein Brot oder nur kein Roggenbrot?“

„Ich mag keine Körner“, gestand er.

„Und was ist mit Pumpernickel?“

„Auch nicht mein Ding.“

„Weizenbrot?“

Er nickte enthusiastisch. „Helles Brot ist gut.“

War ja klar.

„Ich wollte vorschlagen, heute mal das Einkaufen zu übernehmen“, sagte Reece beiläufig. „Es ist ungerecht, wenn du dich allein um unsere Mahlzeiten kümmern musst.“

„Lieber nicht“, antwortete Sara. Sie konnte sich schon vorstellen, was er nach Hause bringen würde, und schauderte unwillkürlich. Cracker und abgepackten Käse oder so etwas. „Ich koche gern. Wir müssen unsere Vorlieben eben etwas aneinander anpassen. Aber sag mir bitte nächstes Mal, wenn dir etwas nicht schmeckt, anstatt es im Mülleimer zu entsorgen.“

„Aha. Jetzt verstehe ich den Grund für das Brot-Kreuzverhör.“ Zumindest hatte er den Anstand, beschämt auszusehen. „Ich wollte deine Gefühle nicht verletzen, aber das Sandwich war einfach nicht nach meinem Geschmack.“

Sara lächelte. Plötzlich fand sie die ganze Situation komisch.

„Schon kapiert.“

Reece half ihr, so gut es ging, mit dem Frühstück, wobei er vor allem die Bewirtung der Gäste übernahm. Dafür, dass sie erst das zweite Mal zusammenarbeiteten, lief es erstaunlich harmonisch.

„Ich bin zweiundzwanzig Schritte gelaufen“, erzählte Miss Greer stolz. „Und das schon einen Tag nach der OP!“

Autor

Lori Wilde
<p>Lori Wilde hat mehr als neununddreißig erfolgreiche Bücher geschrieben, von denen etliche auf der Bestsellerliste der New York Times landeten. Sie arbeitete 20 Jahre als Krankenschwester, doch ihre große Liebe ist die Schriftstellerei. Lori Wilde liebt das Abenteuer. Unter anderem läuft sie Marathon, nimmt Flugstunden, tritt mit einer professionellen Jazzband...
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Kara Lennox
Kara Lennox hat mit großem Erfolg mehr als 50 Liebesromanen für Harlequin/Silhouette und andere Verlage geschrieben.
Vor ihrer Karriere als Liebesromanautorin verfasste sie freiberuflich Hunderte Zeitschriftenartikel, Broschüren, Pressemitteilungen und Werbetexte. Sogar Drehbücher hat sie geschrieben, die das Interesse von Produzenten in Hollywood, New York und Europa weckten.
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