Collection Baccara Band 336

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ICH WILL DICH JETZT … UND FÜR IMMER! von BUTLER, CHRISTYNE
Was für eine Nacht! Verkatert kommt Racy im Hotel in Las Vegas zu sich. Erst hat sie die Barkeeper-Meisterschaft gewonnen, dann ihre heimliche Liebe Gage wiedergetroffen und … Moment mal! Was macht der Ring an ihrem Finger? Und was macht Gage, ultrasexy und nackt, in ihrem Bett?

VERFÜHRUNG IN HIGH HEELS von SANDS, CHARLENE
Ein Traum in Lack und Leder: Sammie eröffnet ein Geschäft für Designer-Schuhe. Und es läuft gut, denn mit ihrer Schwäche für heiße Stiefel steht sie nicht allein da. Leider auch nicht mit ihrer Liebe zu dem vermögenden Jackson Worth, ihrem unverschämt attraktiven Geschäftspartner …

DIE FALSCHEN KÜSSE DES MILLIONÄRS von MORELAND, PEGGY
Diese erotische Anziehungskraft, dieses maskuline Charisma - bei Kinderbuchautorin Gina schrillen alle Alarmglocken! Ein Mann wie Case Fortune ist nichts für sie. Aber aus unerklärlichen Gründen scheint Case entschlossen, sie von seinen Märchenprinz-Qualitäten zu überzeugen …


  • Erscheinungstag 07.01.2014
  • Bandnummer 336
  • ISBN / Artikelnummer 9783733722227
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Christyne Butler, Charlene Sands, Peggy Moreland

COLLECTION BACCARA BAND 336

CHRISTYNE BUTLER

Ich will dich jetzt … und für immer!

„Du hast mir einen Antrag gemacht, dann haben wir geheiratet und eine heiße Nacht miteinander verbracht.“ Wahrheitsgemäß erzählt Gage seiner Ehefrau Racy, was in der Nacht in Las Vegas passiert ist. Warum schaut sie ihn so entsetzt an? Will sie die Ehe annullieren lassen? Er jedenfalls hätte nichts dagegen, aus diesem „Einmal” ein „Für immer” zu machen …

CHARLENE SANDS

Verführung in High Heels

Die hohen Wildlederstiefel sehen aus, als ob sie ihre langen Beine liebkosen … Oh, wie gern würde er selbst ihre nackte Haut streicheln! Jackson muss schlucken. War es klug von ihm, in Sammies Schuhgeschäft zu investieren? Dieses sexy City-Girl in sein Leben zu lassen – wo doch seine Exfreundin Blair einen zweiten Anfang mit ihm wagen will?

PEGGY MORELAND

Die falschen Küsse des Millionärs

Ein Nein akzeptiert Case Fortune nicht, wenn es um einen Geschäftsdeal geht. Und schon gar nicht, wenn ihn eine Frau interessiert! Im Fall der reichen Erbin und Kinderbuchautorin Gina Reynolds trifft beides zu. Aber leider ist Gina nicht nur bildhübsch, sondern auch kühl. Was Case nur noch mehr herausfordert. Und ein Fortune bekommt immer, was er will – oder?

1. KAPITEL

Letzte Augustwoche …

Racy Dillon war bereit, beim Grab ihres Vaters zu schwören, dass der ein Meter zwanzig große Pokal mit dem falschen Walnussholzfuß und den glänzenden rot-goldenen Säulen das hässlichste Ding war, das sie je gesehen hatte. Angesichts ihres umnebelten Hirns musste sie ein paar Mal blinzeln, bis sie die Trophäe klar erkennen konnte.

Ja, immer noch scheußlich.

Selbst die geflügelte Figur obendrauf sah grässlich aus, zumal Racys pinkfarbener Spitzenslip von dem fünfzackigen Stern baumelte, den die Figur hochreckte. Am Fuß war eine Messing-Plakette mit der Inschrift Erster Platz, Midwest-Regionals, U.S.-Barkeeper-Wettbewerb, Las Vegas, Nevada angebracht. Na bitte. Sie war den ganzen weiten Weg von Destiny, Wyoming, hergekommen, um es allen zu zeigen und sich einen Namen zu machen.

Erfolg riesig, Kater auch.

Ihr Kopf fühlte sich an, als ob eine ganze Armee Presslufthämmer darin wüten würde. Sei’s drum, auch die schafften es nicht, die Erinnerung daran zu tilgen, wie gestern ihr Name mit fast voller Punktzahl ausgerufen wurde. Sie hatte sich das Preisgeld mit großer Geste in den Ausschnitt ihrer eng geschnürten Korsage gesteckt und dann ihren Sieg gefeiert. Wenn jemand wusste, wie man richtig feierte, dann Barkeeper. Eine Runde Tequila hatte den Anfang gemacht, und dann war es immer besser geworden. Natürlich war ihre Erinnerung an die Fortsetzung des Abends nicht mehr ganz so klar. Es war Jahre her, dass sie sich so viel hinter die Binde gegossen hatte wie letzten Abend.

Racy schloss die Augen, nicht nur um das leichte Schwanken des Fußbodens auszublenden, sondern auch wegen der Sonnenstrahlen, die durch die zugezogenen Vorhänge fielen, die wiederum einen sensationellen Blick auf den Las Vegas Strip verhüllten. Für den Rest des Wochenendes hatte sie ihr Zimmer gegen die Luxussuite eintauschen können.

Racy rekelte sich unter den edlen Laken und genoss die kühle Glätte auf ihrer bloßen Haut. Dankbar für die üppigen Kissen unter ihrem hämmernden Kopf rollte sie sich an die Bettkante.

Verdammt, was sie jetzt brauchte, war ein Glas eiskalter Apfelsaft. Sie hatte keine Ahnung, wieso, aber das half ihr immer am besten nach einer Nacht voll heißem …

Ein tiefes Knurren und eine Bewegung hinter ihr ließen Racy erstarren. Ehe sie sich rühren konnte, drängte sich eine Wand aus Muskeln und Hitze von hinten an sie. Ein raues Stoppelkinn legte sich auf ihre Schulter, ein schwerer Arm auf ihre Hüften.

Erneut ein Knurren – nein, es war eher ein Stöhnen, dann presste jemand seinen Mund erst in ihr Haar und dann auf ihre Haut – bevor es ruhig wurde. Regelmäßige Atemzüge verrieten Racy, dass er wieder entspannt eingeschlafen war. Fast entspannt, wenn man von der Härte absah, die sie an ihrem Rücken spürte.

Oh nein! Das durfte nicht wahr sein. So etwas machte sie doch nicht mehr. In ihrer leichtsinnigen Vergangenheit hatte das dazugehört, war aber jetzt vorbei.

Racy presste die Finger an ihre pochende Stirn. Denk nach, Mädchen, was genau ist letzte Nacht passiert?

Sie konnte sich erinnern, dass sie in einer Hotelbar gefeiert hatte. Dann war da dieser schmierige Kerl gewesen wie aus „Der Pate“, der kein Nein akzeptieren wollte. Er hatte sie in den Po gezwickt. Sie hatte ihn geohrfeigt. Dann hatte er die Hand gehoben, aber irgendjemand – groß, breitschultrig, umwerfendes Lächeln – war dazwischengegangen und hatte die Situation entspannt.

Und dann?

In Racys Kopf drehte sich alles. Der Rest der Nacht war ein Wirbel aus grellen Lichtern, lauter Musik, dem Geräusch der Spielautomaten und noch mehr Alkohol. Und ihm.

Sie konnte sich an sein Gesicht kaum erinnern, nur an dunkelbraune Haare und starke Hände. Hände, die beim Tanzen ihren Körper liebkost hatten. Muskulöse Arme, die sie hochgehoben hatten, als sie darauf bestanden hatte, durch den Springbrunnen zu tanzen. Und ein Mund, der heiß, leidenschaftlich und aufwühlend küssen konnte. Auf der Tanzfläche, an eine Palme gelehnt, im Taxi auf dem Weg zum … wohin eigentlich?

Und Elvis?

Nein, das musste ein Traum sein, ein schlechter Traum. Ein Albtraum.

Nur dass es kein Traum war und dass sie ihren Retter mit ins Hotel genommen hatte.

Noch mehr Erinnerungsfetzen. Dieser Drang, sich auszuziehen. Hände, die an der Kleidung zerrten, dann waren Korsage, Rock und hochhackige Stiefel weg und sie als Erste nackt. Er hatte nach ihr gegriffen, aber sie war ihm ausgewichen. Als Nächstes hatte sie in einem Whirlpool gesessen und Badeperlen ins Wasser geschüttet.

Warum hatte es noch mal so lange gedauert? Cowboystiefel. Er hatte die Schuhe nicht ausbekommen, und sie hatte gelacht. Gelacht, bis er endlich zu ihr in das warme sprudelnde Wasser gestiegen war und sie zum Stöhnen gebracht hatte. Erst in der Wanne, dann auf den Stufen zum Himmelbett, dann zwischen den schneeweißen Laken, gegen die seine tief gebräunte Haut …

„Nein“, flüsterte Racy verzweifelt. Rasch zog sie das Laken bis zum Hals hoch. „Nein, nein, nein.“

Sie musste raus aus diesem Bett und weg von – oh, Himmel, sie konnte sich nicht mal an seinen Namen erinnern. Wie kam es, dass sie noch genau wusste, wie sein Mund sich auf ihrer Haut angefühlt hatte, aber nicht mehr, wie er hieß?

Als Racy seine Hand von ihrer Hüfte schieben wollte, berührte sie etwas Glattes, Kühles.

Ein Ehering.

Racy wurde übel. Sie hatte es noch nie mit einem verheirateten Mann gemacht. In ihrem Beruf erkannte sie Ehemänner auf eine Meile Entfernung, selbst wenn sie keinen Ring trugen. Ehemänner rochen nach Besitz, danach, zu jemand anderem zu gehören. Und so verrückt ihr Leben auch war, sie würde nie …

Racy presste eine Hand vor den Mund … und spürte irgendwas. Sie ließ die Hand sinken und entdeckte den glänzenden goldenen Ring an ihrem Finger. Rasch setzte sie sich auf, schob sich die zerzausten Haare aus dem Gesicht und starrte ihre Hand an: Da war er, an derselben Stelle, wo sie schon zweimal einen Ring getragen hatte.

Beim ersten Mal war sie neunzehn und dumm gewesen, trotzdem hatte sie sechs Jahre später ein zweites Mal versucht, bis in alle Ewigkeit glücklich zu sein. Als die Ewigkeit nur achtzehn Monate dauerte, hatte sie sich geschworen, nie wieder vor den Altar zu treten.

Der Ring hier sah nicht so billig aus wie die Vorgänger. Diamanten glitzerten darauf. Er konnte unmöglich echt sein, sie war nicht verheiratet.

Nein, das musste ein Scherz sein.

Racy sah sich in der luxuriösen Suite um, bis ihr Blick an den Sachen hängen blieb, die auf dem Glastisch lagen. Rasch sprang sie aus dem Bett. Oh, das war keine gute Idee, sowohl ihr Kopf als auch ihr Magen brauchten eine Weile, um mitzukommen.

Racy betrachtete ihre Handtasche und den kleinen Strauß weißer Seidenblumen daneben. Da lag auch noch eine Papierrolle mit einem himmelblauen Band drum herum, aber was sie viel mehr interessierte, war die Brieftasche, die aufgeklappt danebenlag und einen schimmernden Sheriff-Stern präsentierte.

Ein Polizist?

Racy blinzelte.

Oh nein, sie hatte ihn ganz bestimmt nicht geheiratet.

Dann fiel ihr alles wieder ein. Die Polizei-Konferenz und der Barkeeper-Wettbewerb im selben Hotel. Das Aufeinandertreffen im Spielsalon, in den Bars und Restaurants und die Polizisten unter den Zuschauern, als der Sieger bekannt gegeben wurde.

Vor allem ein Polizist.

Racy hatte ihn schon zwei Tage vorher bei den Vorrunden entdeckt, als er mit verschränkten Armen zugesehen hatte. Die Vorrunde mochte Racy am liebsten, weil sie den Barkeepern Gelegenheit gab, ihren persönlichen Stil vorzuführen, wenn sie mit Flaschen und Gläsern hantierten, jonglierten und mixten. Nach ihrem Auftritt hatte er ihr lächelnd zugezwinkert, und sie hatte impulsiv mit einer Kusshand geantwortet, bei der jeder Mann zwischen ihm und ihr gedacht hatte, sie hätte ihn gemeint.

Da hatte sie ihn das letzte Mal gesehen, bis er …

Racy griff sich die Papierrolle und löste das Band. Heiratsurkunde stand auf dem Blatt, und wieder verschwamm alles vor ihren Augen.

Braut: Racina Josephine Dillon, Bräutigam: …

„Guten Morgen.“

Beim Klang der tiefen Stimme fuhr Racy herum. Alles begann sich zu drehen, und schnell hielt sie sich an der Tischkante fest. Er saß auf der Bettkante und hatte sich mit dem Laken bedeckt, nur Brust und Beine waren frei. Den Kopf hatte er in beide Hände gestützt.

Oh, Himmel.

Gage! Sie hatte Gage Steele geheiratet?

„Das kann nicht wahr sein“, flüsterte sie entsetzt.

Er hob den Kopf und zuckte zusammen. „Sobald ich weiß, was ‚das‘ ist, komme ich …“

Seine Augen wurden groß, als er sie ansah, und die Hitze in seinem Blick zog ihr förmlich die Haut ab. Racy merkte, dass sie nichts anhatte. Rasch griff sie nach dem erstbesten Stück in der Nähe, einem weißen Herrenhemd, zog es an und knöpfte drei Knöpfe zu, ehe ihr dieser Duft in die Nase stieg. Das war Gages Hemd. Selbst nach einer durchzechten Nacht roch es noch nach ihm, nach sprudelnden Quellen, hohen Bäumen und Erde.

„Auch nicht schlecht, aber das vorher gefiel mir besser.“

Beim Klang seiner Stimme spürte Racy Wärme in sich aufsteigen. Rasch knöpfte sie auch die anderen Knöpfe zu.

„Was machen wir jetzt daraus?“

„Schon wieder ein rätselhaftes ‚Daraus‘.“ Gage fuhr sich durch die Haare. „Verdammt, ich fühle mich mies. Langsam werde ich zu alt für Tequila und kurze Nächte.“

Alt? Mit zweiunddreißig? Gage war in Höchstform mit seinem durchtrainierten, muskulösen Körper. Als Sheriff von Destiny, Wyoming, trug er die Probleme der Stadt mühelos auf seinen breiten Schultern.

Seit der Schule hatte er ihr nur Ärger gemacht.

Das ist das Problem.“ Racy ging zum Bett. „Laut dieser Urkunde und den Eheringen haben wir anscheinend letzte Nacht geheiratet.“

Verwirrung zeigte sich in seinen dunkelblauen Augen. „Was haben wir?“

„Erinnerst du dich nicht?“ Bitte, kann sich nicht wenigstens einer von uns erinnern?

Gage riss ihr das Blatt aus der Hand und runzelte die Stirn. „Verdammt, wir haben es wirklich getan.“

„Wirklich?“

„Zum Teufel, ich dachte, du machst Spaß, als du mir den Antrag gemacht hast …“

„Was?“ Bei Racys Aufschrei zuckten beide zusammen.

„Du bist in ein Juweliergeschäft marschiert und zehn Minuten später mit zwei Ringen wieder rausgekommen.“ Gage rieb sich die Stirn und erstarrte, als er den Ring an seiner Hand sah. „Dann wolltest du es unbedingt amtlich machen.“

„Ich?“

„Danach waren wir in ein paar Casinos, und ich dachte, das war’s.“ Gage zuckte die Schultern. „Als du dann so viel Geld beim Pokern gewonnen hast – Hut ab, übrigens –, musste ich dich auch noch davon überzeugen, dass ich dich nicht des Geldes wegen wollte.“

Sie hatte gewonnen? Daran konnte sie sich gar nicht erinnern. Wie viel? Würde es reichen? War sie wirklich so nahe dran …?

Moment, was hatte er gesagt? „Wie hast du mich überzeugt?“

„Machst du Witze? Du hast mich doch dazu gebracht …“ Er verstummte und sah sie mit dunklen Augen an. „Erinnerst du dich gar nicht?“

Racy grub die Zehen in den weichen Teppich und fühlte sich wie ein Kind, das man mit der Hand in der Keksdose erwischt hat. „Nur an einzelne Momente.“

„Zum Beispiel?“

„Hör zu, ich bin nicht eine deiner Verdächtigen.“ Racy verschränkte die Arme vor der Brust und warf eine rote Locke zurück. „Es ist ganz klar, dass wir beide gestern zu viel getrunken haben. Was weißt du noch von der Nacht?“

„Ich habe zuerst gefragt.“

„Ich weiß noch, dass ich den Wettbewerb gewonnen habe.“

Gages Augen richteten sich auf die Trophäe, und Racy stöhnte, als sie ihr Höschen dort hängen sah.

„Was noch?“, fragte er und sah sie wieder an.

Racy trat von einem Fuß auf den anderen. „Ich erinnere mich, dass mich ein Mafia-Typ angemacht hat, als wir gefeiert haben. Ich dachte, ich hätte alles im Griff, aber dann geriet die Sache außer Kontrolle und irgendein Kerl hat eingegriffen …“

Gage hob eine Braue.

„Du hast eingegriffen, den Helden gespielt, und dann habe ich dir zum Dank einen Drink spendiert.“

„Das ist alles?“ Das vertraute Zucken in seiner Wange verriet ihr, dass er nicht zufrieden war. „An mehr erinnerst du dich nicht?“

Racy fielen nur Bruchstücke ein, aber ein paar andere Dinge waren wieder klarer.

Wie sie beide getanzt, gelacht und sich geküsst hatten. Jahre des Kämpfens und Streitens waren vergessen, als sie gemeinsam die Stadt erkundet hatten. Später dann, hier im Zimmer, die fast verzweifelte Gier, zueinanderzukommen.

Das konnte sie ihm unmöglich sagen.

Racy schluckte. „Nein, das ist alles.“

Gage warf die Urkunde aufs Bett und streifte das Laken ab.

„Was machst du da?“

Gage dehnte sich. „Ich versuche aufzustehen.“

„Aber das geht nicht. Du – du hast doch nichts an!“

Gage schob das Laken ganz weg. „Zwischen Eheleuten ist das doch kein Problem.“

Racy drehte sich schnell um und hörte schwere Schritte, als er ans andere Ende des Bettes ging. Im Spiegel über dem Tisch waren sein breiter Rücken, die schmale Taille und sein perfekter Po bestens zu erkennen. Sie konnte den Blick nicht abwenden, als er ein Paar Boxershorts überzog und dann seine Jeans. Die Kleidung machte ihn nicht weniger attraktiv.

Reiß dich zusammen, das kann alles nicht wahr sein.

Racy betrachtete das Dokument, das ihr bestätigte, dass ihre Ehe nur zu wahr war, und sah, dass Gage zum Telefon griff. „Was hast du vor?“

„Frühstück bestellen.“ Er drückte einen Knopf. „Ja, hier ist Suite 3011. Bitte schicken Sie drei Spiegeleier, zweimal Toast und Kaffee hoch. Viel Kaffee.“ Er warf Racy einen fragenden Blick zu, aber sie schüttelte den Kopf. Essen war das Letzte, was sie jetzt brauchte.

„Dazu einen Bagel, etwas Butter und zwei große Gläser Apfelsaft. Ach so, haben Sie auch Aspirin? Danke.“ Er legte auf und drehte sich um.

„Woher weißt du, was ich frühstücke?“

Gage zuckte die Achseln. „Wir beide sind oft morgens bei Sherry’s Diner. Solche Dinge fallen mir auf.“ Er schob sich an ihr vorbei.

„Wo willst du hin?“

„Ins Bad.“ Damit verschwand er durch die Doppeltür am Ende des Zimmers. Racy betrachtete die unordentlichen Laken auf dem Bett. Bilder von ungehemmter, wilder Leidenschaft …

Nein, das war das falsche Wort. Was letzte Nacht geschehen war, das war einfach nur Sex gewesen. Purer, lüsterner, wunderbarer Sex.

Er kann nicht wissen, dass ich mich erinnere. Unmöglich.

Schnell machte Racy das Bett und pflückte dann ihr Höschen von der Trophäe, das sie zusammen mit ein paar anderen Sachen in ihren Koffer stopfte. Dann suchte sie saubere Wäsche und ein Paar Leggins hervor und zog sie über. Danach streifte sie sich Gages Hemd über den Kopf und griff nach ihrem alten grauen Sweatshirt.

Racy hielt inne. Nein, das konnte sie nicht anziehen, nicht wenn gleich sein wahrer Besitzer hereinkam. Sie wusste zwar nicht, ob er sich erinnern konnte, aber sie wollte es nicht darauf ankommen lassen. Als die Badezimmertür aufging, zog sie sich rasch ein T-Shirt über.

Gage kam aus dem Bad. Er konnte nur daran denken, was er gestern Nacht mit Racy gemacht hatte – was sie mit ihm angestellt hatte, ach was, was sie miteinander getrieben hatten – in dieser heißen, schaumigen Wanne.

Sein Kopf war immer noch nicht klar, aber immerhin bemerkte er, dass das Bett gemacht war und alles ordentlich an seinem Platz lag.

Da stand Racy in irgendwas engem Schwarzem, das ihre ellenlangen Beine bestens zur Geltung brachte. Die roten Locken fielen sexy unordentlich auf ihre Schultern, und sie trug ein T-Shirt mit der Einladung Ertränke deine Geheimnisse, deine Schmerzen oder den Liebsten im Blue Creek Saloon.

Guter Tipp. Das T-Shirt mit dem Spruch war Racys Idee gewesen, als sie Managerin und Barkeeperin im Blue Creek geworden war. Die meisten in der Stadt glaubten, dass der Spruch ihrer Lebenserfahrung entsprach, Gage eingeschlossen.

War er ein Geheimnis oder ein Schmerz? Ihr Liebster war er mit Sicherheit nicht.

„Ich dachte, dass du das vielleicht wiederhaben willst.“

Racys Stimme riss Gage aus seinen Überlegungen. Sein Blick hing an ihrem T-Shirt, das die perfekte Rundung ihrer Brüste betonte. Sie trug keinen BH. Rasch verdrängte er den Gedanken und betrachtete sein Oberhemd, das sie ihm hinhielt.

Er nahm es. Als er es überzog, spürte er noch ihre Körperwärme und hätte fast aufgestöhnt.

„Kann sein, dass die ungültig ist“, sagte er, als er die Urkunde auf ihrem Koffer sah.

Ihre schokoladenbraunen Augen wurden groß, dann wandte sie sich ab und griff nach dem Papier. „Wie kommst du darauf?“

„Das ist kein legales Dokument. So was kann jeder am Computer selber machen. Offizielle Dokumente sind auf offiziellem Papier.“

Racy schob sich die Haare aus dem Gesicht und sah sich suchend um. „Wo ist denn die Heiratserlaubnis?“

„Ich glaube, ich habe sie in …“ Gage klopfte seine Hosentaschen ab. „Wo ist meine Brieftasche?“

„Auf dem Tisch.“

Gage drehte sich um und holte die Brieftasche.

„Einen Moment. Kannst du dich auch nicht erinnern?“

Oh doch, er erinnerte sich gut an die Nacht. Er erinnerte sich an das Glück in ihren Augen, als sie den ersten Preis gemacht hatte, er erinnerte sich daran, wie er sie in einer Bar wiedergesehen hatte, und daran, wie sie sich zu ihm geflüchtet hatte, als er sich zwischen sie und den Mann gestellt hatte, der sie angemacht hatte. Er erinnerte sich an einen Drink, der zu vielen Drinks geworden war, daran, wie sie miteinander getanzt hatten – und wie es sich angefühlt hatte, sie endlich wieder in den Armen zu halten.

Danach waren sie unzertrennlich gewesen.

Er war von Bar zu Casino zu Boutique mit ihr gegangen und hatte sich gewünscht, dass diese Nacht nie enden würde. Dann hatte sie plötzlich mit den Ringen vor ihm gestanden und darauf beharrt, einen anständigen Mann aus ihm zu machen. Er hatte sie für verrückt erklärt, aber sie waren beide so in Hochstimmung gewesen, dass er mitgespielt hatte. Nachdem sie darauf bestanden hatte, dass er ihr beweisen sollte, dass er sie wirklich heiraten wollte, hatte er das getan.

Es schien gewirkt zu haben.

„Gage, antworte bitte. Kannst du dich daran erinnern, dass wir geheiratet haben?“

Gage drehte sich um und sah Racy an. „Nicht an die eigentliche Zeremonie. Aber …“, er konnte sich nicht zurückhalten und fuhr ihr mit dem Finger über die Wange, „… die Flitterwochen haben fantastisch angefangen.“

Racy errötete, und das verdeckte fast den Fleck an ihrem Hals. Gage erinnerte sich daran, dass er ihr das Zeichen – sein Zeichen – in den frühen Morgenstunden aufgedrückt hatte. Das letzte Mal, dass er einem Mädchen einen Knutschfleck verpasst hatte, war zu Schulzeiten gewesen, aber er hatte sich nicht zurückhalten können.

Er sah den Knutschfleck gerne, der ihr offenbar noch nicht aufgefallen war, und es störte ihn, dass er in einer Woche verblasst sein würde.

Racy wich zurück und verschränkte die Arme. „Ich kann mich weder an eine Zeremonie noch an Flitterwochen erinnern. Kannst du also bitte nachsehen, ob du die Heiratserlaubnis hast? Vielleicht ist das alles gar nicht wahr, alles nur ein großer …“

„Fehler?“

„Ja, ein Fehler.“ Racy hob das Kinn und ballte die Fäuste, aber sie wandte den Blick nicht ab. „Ein Missverständnis, eine Verwechslung, ein Witz …“

„Schon kapiert.“

Gage spürte bei ihren Worten einen scharfen Schmerz, den er nicht verstand. Was machte es schon, dass er es endlich geschafft hatte, Racy Dillon ins Bett zu bekommen – er hatte es immerhin fünfzehn Jahre lang versucht –, und sie sich an nichts erinnerte?

Aber du erinnerst dich, was, alter Knabe?

Oh ja, nur zu gut. Jede Sekunde war ihm ins Gedächtnis gebrannt.

Er war geliefert.

Gage öffnete seine Brieftasche und fand die Heiratslizenz, die er nach dem Verlassen des Amtes dort hineingesteckt hatte. Er faltete sie auf und überflog den Text.

„Nun?“

In ihrer Frage schwang so viel Hoffnung mit, dass es ihm wirklich leidtat, sie enttäuschen zu müssen. Sein Stolz dagegen war auf perverse Art befriedigt. „Tut mir leid, Mrs Steele, aber es sieht so aus, als wenn wir seit heute 2.30 Uhr tatsächlich verheiratet sind.“

Racy sank auf das Sofa, und ihre Augen wurden riesig vor Schock. Gages Stolz verpuffte, als er sah, dass die Vorstellung, seine Frau zu sein, ihr fast den Magen umdrehte.

Schließlich sah sie ihn an. „Was sollen wir jetzt machen, Gage?“

„Ohne Frühstück kann ich nicht klar denken. Lass uns erst mal etwas essen.“

„Wie kannst du jetzt an Essen denken?“

Racy stand auf und kam auf ihn zu. „Das ist verrückt! Du willst mich nicht am Hals haben und ich ganz sicher dich nicht.“

Deutliche Worte.

„Wir müssen uns überlegen, wie wir da wieder rauskommen. Kannst du dir vorstellen, was die guten Bürger von Destiny sagen werden, wenn wir mit Ring am Finger wiederkommen?“

Oh ja, wahrscheinlich alles von „Guter Junge“ bis „Ich gebe ihnen höchsten sechs Monate“.

„Du hasst mich! Du hasst mich schon seit der Highschool!“

„Ich hasse dich nicht.“

Racy schnaubte verächtlich. „Ich bin nicht mal ein so starkes Gefühl wert, was? Na gut, dann missbilligst du eben, wie ich mein Leben führe, und du missbilligst meine Familie. Herumtreiberei, Trunkenheit, Diebstahl, Drogen … wie deinem Vater vorher macht es dir größten Spaß, meine Brüder immer wieder so lange wie möglich in den Knast zu bringen.“

„Ich tue nur meine Arbeit.“

„Als mein Vater seinen rostigen Pick-up gegen den Telegrafenmast gefahren hat, warst du der Erste, der auf der Schwelle stand …“

„Ich wollte nicht, dass du es von anderen hörst.“

„Nein, du wolltest wieder mal die Oberhand gewinnen. Du wolltest sehen, wie ich weine, wenn ich höre, dass mein Daddy und mein untauglicher Ehemann nicht bei dem Unfall gestorben sind, sondern dadurch, dass sie eine Stunde später betrunken vor einen Achtzehntonner gelaufen sind.“

„Ja, und das hat dich so unglücklich gemacht, dass du keine Träne vergossen hast.“

Racy schwieg. „Ich weine um niemanden mehr.“

Ehe Gage antworten konnte, klopfte es. Racy öffnete und ließ den Etagenkellner mit einem Servierwagen herein.

Gage zog zwei Stühle heran. Der Duft, der unter der Abdeckhaube aufstieg, ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er fühlte sich immer noch schlecht, aber ein gutes Frühstück wirkte Wunder. „Setz dich.“

„Sag mir nicht, was ich zu tun habe.“

„Dann eben nicht.“ Gage setzte sich, er brauchte jetzt einen starken Kaffee. „Dann iss eben im Stehen, mir ist das egal.“

„Gage …“

„Hör zu, wir sind uns doch schon einig, dass wir einen Weg finden müssen, um das wieder in Ordnung …“

„Wir müssen es geheim halten“, unterbrach ihn Racy. „Ich will auf keinen Fall, dass sich herumspricht, wie dumm ich – wir – gewesen sind.“

Der Kaffee brannte, aber nicht halb so stark wie ihre Worte. Warum machte ihm das etwas aus? Er hätte gleich wissen müssen, dass letzte Nacht nichts geändert hatte. Die warme, glückliche Frau in seinen Armen war eine Illusion gewesen.

Das hier war die Wirklichkeit.

„Ich frage mal nach. Wir werden nicht das erste Paar sein, dem am Morgen danach Bedenken kommen.“ Gage nahm die Haube ab und griff nach einer Gabel.

Er kam nicht weit, als ihm plötzlich ein Goldring mit Diamanten unter die Nase gehalten wurde.

„Was soll das?“ Er konnte Racys Gesicht nicht erkennen, weil ihre Haare es verdeckten.

„Hier, nimm ihn.“

„Den hast du gekauft.“

„Das ist mir egal.“ Racy ließ den Ring in sein Wasserglas fallen, wo er langsam zu Boden sank. „Ich will ihn nicht. Wirf ihn weg oder schenk ihn dem Zimmermädchen … mir ist das egal.“

Sie schnappte sich den Apfelsaft und ein Glas, und Sekunden später fiel die Badezimmertür hinter ihr ins Schloss.

Gage erhob sich, hielt aber inne, als das Wasser zu laufen begann. Als er sich vorstellte, wie der verführerische Körper seiner Frau in der gläsernen Power-Dusche aus Wasserdüsen massiert wurde, reagierte sein eigener Körper sofort.

Dann blieb sein Blick an dem Ring an seinem Finger hängen. Rasch streifte er ihn ab und warf ihn auf den Wagen, wo er im Wasserglas bei Racys Ring landete.

Sie war nicht seine Frau. In ein paar Stunden würde sie nicht mal mehr seine Exfrau sein. Wie nannte man den Partner eigentlich nach einer Annullierung?

Einen Fehler.

2. KAPITEL

Letzte Januarwoche …

„Wovon, zum Teufel, sprichst du?“

„Kein Grund zu fluchen. Muss ich es noch mal sagen?“

Gage starrte seine kleine Schwester an. Na gut, nicht mehr so klein, aber zehn Jahre jünger. Sie saß ihm an dem alten Schreibtisch gegenüber, der einmal ihrem Vater gehört hatte, und war gekommen, um ihm zu erzählen, dass sie einen Job gefunden hatte. Ausgerechnet in Racys Bar.

„Ja.“

„Racy hat mir einen Job im Blue Creek gegeben.“

„Ich war gestern da, habe dich aber nicht gesehen.“ Gage ignorierte, wie allein ihr Name sein Blut in Wallung brachte.

„Nun, ich war auch da, habe dich aber nicht gesehen.“

„Ich schaue fast jeden Abend rein, um zu sehen, ob alles okay ist.“

„Ja, ich kann mir lebhaft vorstellen, wie der große böse Sheriff seinen Stern schwenkt, damit sich alle ordentlich benehmen.“

„Ich halte mich im Hintergrund und …“ Gage holte tief Luft. „Gina, was soll das? Du hast zwei Abschlüsse, davon einen Master.“

„Und das hat mir auch so viel genützt.“

Gage hörte den Schmerz in ihrer Stimme. Als seine Schwester kurz vor Erntedank aus England zurückgekommen war, hatte er gleich gewusst, dass etwas nicht stimmte. Nicht mal Gina schaffte ein Jahresstipendium in drei Monaten.

„Hältst du mich für zu überqualifiziert, um in einer Bar zu arbeiten?“

„Ja.“

„Oder bin ich nicht hübsch genug dafür?“

Was sollte das?

Gage betrachtete seine Schwester. Sie trug die gefütterte Jacke, die einst ihrem Vater gehört hatte. Mit den dunklen Haaren, die sie als Pferdeschwanz trug, und der goldgerahmten Brille sah sie aus wie eine Klassenkameradin ihrer jüngsten Schwester Giselle.

Sie sah ganz sicher nicht aus wie die kurz berockten Bedienungen in engen T-Shirts, die Bier und Burger in Destinys Kneipe servierten.

So wie Racy.

Gestern hatte sie von dem bauchfreien Top über die hautengen Jeans bis zu den Cowboystiefeln Schwarz getragen. Die einzige Farbe waren ihre roten Haare und der Goldschmuck gewesen, den sie an Hals, Armen und … im Bauchnabel getragen hatte.

Das Piercing war neu. Vor fünf Monaten hatte sie das noch nicht gehabt. Er musste es ja wissen. Der blitzende Diamant hatte Fantasien in ihm ausgelöst, von denen er heute Morgen wach geworden war.

„Danke, dass du mir widersprichst.“

Ginas spitze Bemerkung riss Gage aus seinen Überlegungen. „Nein, nein, du bist hübsch, du bist sogar schön. Es ist nur …“

„Ich weiß, die Mädchen, die da arbeiten, sehen … anders aus.“ Gina sah auf ihre alte Hose hinunter. „Was soll ich sagen, mein Leben drehte sich immer mehr um Ranzen als ums Tanzen, aber Racy hat gesagt, dass sie mir hilft.“

„Dir hilft?“

„Sie hat angeboten, mir Tipps zu Frisur und Kleidung zu geben.“

Gage versuchte sich seine Schwester in der Kleidung vorzustellen, die die auffällige Rothaarige trug. Es ging nicht. „Gina, diese Mädchen bieten nicht nur Essen und Alkohol an. Sie verkaufen Spaß. Sie flirten und provozieren – zum Teufel, Racy lässt sie sogar auf dem Tresen tanzen.“

„Racy sagt, manche der Mädchen arbeiten da, um ihre Familie zu unterstützen.“

„Schon wahr“, gab Gage zu, „aber wann warst du, abgesehen von gestern, das letzte Mal in einer Bar?“

„Was hat das denn damit zu tun?“

„Racys Mädchen sind jung, ungebunden und auf der Suche nach Spaß.“

Gina sprang auf. „Na und? Ich bin auch jung, ungebunden und auf der Suche nach Spaß. Ich habe es satt, in Hochbegabtenkursen zu sitzen. Ich war so lange an der Uni, dass ich kaum Gleichaltrige aus der Stadt kenne. Ich will Freunde haben und Männer kennenlernen. Weißt du überhaupt, dass ich letzten Sommer …?“

Ginas Stimme erstarb, und sie schloss kurz die Augen. „Ich werde den Job machen, ob du willst oder nicht. Ich bin nur hier, weil Racy wollte, dass ich es dir sage.“

„Wirklich?“

„Ja, Racy meinte, du solltest wissen, dass ich für sie arbeite.“

Klar wollte sie das, sie hatte Gina angeheuert, um ihm eins auszuwischen.

Seit sie letzten August aus dem Anwaltsbüro gekommen waren, hatte sie alles getan, um ihn entweder zu ignorieren oder ihm das Leben zur Hölle zu machen. Erst war er gar nicht mehr in die Bar gegangen und hatte die mehr oder weniger friedlichen Streifengänge seinen Kollegen überlassen.

Dann war nach einem Baseballspiel ein Streit in der Bar ausgebrochen, und als er ankam, flogen schon die Fäuste. Er ging zu Boden, und Racy hatte Dwayne McGraw getröstet, den sie beide von der Highschool kannten. Dwayne war Vater von sechs Kindern und hundert Pfund schwerer als er. Außerdem war er zu betrunken, um zu verschmerzen, dass sein Team gerade verloren hatte.

Nur Racy war es zu Gages Ärger gelungen, ihn zu beruhigen.

Gina schnipste mit den Fingern vor seiner Nase. „Hallo? Jemand zu Hause?“

Gage zuckte zusammen. „Pass auf, das bringe ich in Ordnung.“

„Es gibt nichts in Ordnung zu bringen.“

„Ich kann mit dem Rektor sprechen.“ Gage blätterte in seinem Kalender. „Vielleicht haben sie was für dich. Oder an der Uni Wyoming …“

Gina schlug mit der Hand auf den Tisch. „Ich will Gleichaltrige treffen, nicht unterrichten. Hör auf, ein Problem zu lösen, das es gar nicht gibt, und hör auf, mir zu sagen, was ich tun soll. Himmel, ich bin zweiundzwanzig, nicht zwölf.“

Gage sah seine Schwester an. „Ich sage dir nicht, was du tun sollst.“

„Dann kannst du dich gut verstellen.“

Gage seufzte. Wann immer er Gina ansah, sah er Zöpfe und Zahnspange. „Versprich mir, dass du vorsichtig bist und nichts Verrücktes anstellst.“

„Wie auf dem Tresen zu tanzen?“ Seine Schwester war so dickköpfig wie alle in seiner Familie.

„Gina …“

„Ich muss los“, unterbrach sie ihn, „ich treffe mich mit meiner Chefin für eine Stilberatung, die eine ganz neue Gina schaffen wird.“

Das war es ja, wovor er Angst hatte. „Ich mag die alte Gina.“

„Du bist Familie, das zählt nicht.“ Gina ging zur Tür. „Glaub mir, kein anderer Mann würde dir zustimmen.“

Damit war sie weg.

Gage runzelte die Stirn. Er hatte versucht, den Kontakt zu Gina zu halten, nachdem ihr Vater gestorben war, aber irgendwas stimmte nicht. Fragen nützte nichts, anders als die Zwillinge gab sie nichts preis.

Aber bei einem war er sich sicher: In einer Bar zu arbeiten, war nicht die Antwort. Vielleicht sollte er mal mit Max reden. Racy managte die Bar, aber die gehörte einem alten Freund seines Vaters. Der konnte Racys Entscheidung sicher rückgängig machen.

Zuversichtlich wandte Gage sich seiner Post zu, als sein Blick auf einen amtlich aussehenden Brief aus Nevada fiel, der nichts Gutes verhieß. Mit Nevada hatte er nur wegen der Annullierung zu tun gehabt. Er riss den Brief auf und las ungläubig den Text, ehe er das Blatt zerknüllte.

Racy war stolz auf sich. Sie war schon zwei Stunden mit Gina zusammen und hatte noch nicht gefragt, wie ihr großer Bruder auf die Neuigkeit reagiert hatte. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, Gina kennenzulernen und das schöne Mädchen hinter den formlosen Kleidern und der unvorteilhaften Frisur zum Vorschein zu bringen.

Gina trug Kontaktlinsen, obwohl sie sonst ihre Brille bevorzugte, hatte die dunklen Haare zu einer schimmernden glatten Mähne geföhnt und war stark geschminkt, was für eine Bar genau richtig war. Erstmals kamen dadurch ihre blauen Steele-Augen zur Geltung. Im Blue Creek gab Racy ihr dann ein paar T-Shirts zum Anprobieren. Als Gina nach einer Weile wieder auftauchte, sah Racy auf. „He, du siehst toll aus.“

Gina zupfte am Saum des T-Shirts, das kurz über dem Bund der engen Jeans endete. „Meinst du nicht, dass es vielleicht doch ein bisschen zu eng ist?“

„Es soll ja eng sein, und bei deiner Figur kannst du das tragen.“ Racy winkte sie vor den großen Spiegel. „Siehst du?“

Gina sah so erleichtert aus, als sie sich im Spiegel sah, dass es Racy regelrecht anrührte. Sie war nicht mehr leicht zu überraschen, aber als Gina, die wie eine Bibliothekarin ausgesehen hatte, sie gestern um einen Job bat, war sie platt gewesen. Sie hatte Gina nicht nur angeheuert, um ihrem großen Bruder eins auszuwischen, sondern weil sie tatsächlich Hilfe gebrauchen konnte, nachdem letzte Woche gleich zwei Mädchen gekündigt hatten.

Dass diese Aktion den Sheriff auf die Palme bringen würde, war ein zusätzlicher Bonus.

„Ich werde dir zuerst das Kassensystem und die Speisekarte erklären“, sagte Racy. „Und du kannst üben, ein Tablett voller Gläser zu tragen.“

Gina nickte. In der Bar plärrte ein Country-Song aus den Lautsprechern. Auf der Tanzfläche formierte sich eine Reihe junger Frauen und begann, synchrone Tanzschritte auszuführen. Gina machte ein entsetztes Gesicht. „Das muss ich aber nicht machen, oder?“

Das Gesicht von Gage, wenn er Gina auf dem Tresen tanzen sehen würde, wäre es wert, aber das wollte Racy dem Mädchen dann doch nicht antun. Außerdem war Gage seit dem Baseballdebakel nicht mehr im Blue Creek gewesen.

„Nein. Das sind die Blue Creek Belles. Sie tanzen und kellnern, je nachdem. Du bist heute für die sechs Tische da drüben zuständig.“

Ginas Erleichterung wich wieder der Panik. „Sechs? Bist du sicher?“

Racy griff sich ein Tablett und zwei Speisekarten. „Ich bin da, wenn du Hilfe brauchst, und deine Kolleginnen helfen auch.“

„Vielen Dank.“ Gina stützte sich auf die Bar. „Zu Hause wäre ich verrückt geworden.“

„Es ist doch sicher schön für dich, wieder bei deiner Familie zu sein.“

Oh, wie geschickt, so konnte sie über den großen Bruder reden, ohne direkt zu fragen.

Gina lehnte sich an die Bar. „Es ist schön, nachdem ich so viel weg war. Jetzt, wo Gage aus dem Haus ist, habe ich mir das Dachgeschoss gesichert, wo ich sogar ein eigenes Bad habe.“

Racy hielt beim Gläserspülen inne. „Ist sein Haus am See denn fertig?“

Gina nickte und strich sich die Haare hinter das Ohr. Dann studierte sie die Speisekarte. „Kaum zu glauben, was? Er hat Ewigkeiten an diesem Blockhaus gearbeitet.“

Vier Jahre, aber wer zählte schon mit? „Na, er ist sicher froh, endlich eine Junggesellenbude zu haben.“

Sie hatte keine Ahnung, wie groß das Haus war, aber sie könnte wetten, dass es dort eine Riesenwanne, einen Jacuzzi und ein großes Himmelbett gab.

Racy dachte an ein anderes Himmelbett, in dem sie mit Gages starkem, muskulösem Körper …Stopp!

Sie stöhnte und nahm schwungvoll die Flaschen aus dem Kühler. Seit sie aus Vegas zurückgekommen war, hatte sie nur gelernt und gearbeitet – aber statt dadurch diese verrückte Nacht zu vergessen, blieb sie ihr klar und allgegenwärtig im Gedächtnis haften.

„Hey, Lady-Boss.“

Racy sah auf.

Ric Murphy, der zum Sicherheitsteam gehörte, war hinter Gina aufgetaucht. „Du sollst zu Max ins Büro kommen.“

„Okay.“ Sie sah Gina an. „Ich bin gleich wieder da.“

„Ich warte.“

Racy grinste und ging zur Treppe, die in den zweiten Stock führte. Dort hatte ihr Chef sein Büro, das in ein paar Monaten hoffentlich ihr Büro sein würde. Max war Musiker und hatte früher in einer Band gespielt, die sogar ein paar Hits hervorgebracht hatte. Das Blue Creek gehörte ihm seit den Achtzigerjahren, und seit Racy hier arbeitete, witzelte er, dass er sich bald zur Ruhe setzen wollte. Nach acht Jahren als Kellnerin, Barkeeperin und jetzt als Managerin war sie bereit für den nächsten Schritt.

Dieser Schritt war nur ein Traum gewesen … bis sie mit fünfzigtausend Dollar Pokergewinn aus Las Vegas zurückgekommen war.

Und einem weiteren Exmann.

Racy zögerte. Nein, kein Exmann, die Zwölf-Stunden-Ehe mit Gage war ein Fehler gewesen, den sie schnell korrigiert hatte und seitdem zu vergessen versuchte, trotz der magischen erotischen Erinnerungen.

Racy blieb vor der Tür stehen und klopfte. Als Max antwortete, trat sie ein und erstarrte.

Gage Steele stand in Lederjacke, Cowboystiefeln und Hut am Fenster. Langsam drehte er sich um und sah sie an.

Der Marlboro-Mann, nur ohne Zigarette. Mr Perfect würde nie etwas tun, was als Schwäche gelten könnte.

„Du wolltest mich sprechen?“ Racys Kehle wurde eng.

Was wollte Gage hier? Ging es um Gina?

Natürlich war er wegen seiner Schwester hier.

„Beim Friseur wartet eine Schere auf mich.“ Max stand auf und zog sich einen Mantel über. „Ich lasse euch beide mal alleine.“

„Wolltest du nicht mit mir reden?“, fragte Racy.

Gage sah schweigend zu, wie sie dem älteren Mann Platz machte.

„Sei artig“, sagte Max leise, als er an Racy vorbeiging. In der Tür drehte er sich noch mal um. „Und lass mein Büro heil.“

„Max …“ Aber er war schon gegangen. Racy starrte die Tür an, aber als Gage sich räusperte, fuhr sie herum.

„Was willst du?“

Gage stieß sich vom Fenster ab und holte tief Luft. Sein Hemdkragen war aufgeknöpft und gab den Blick auf seinen muskulösen Hals frei. Selbst mitten im Winter war seine Haut tief gebräunt. Sie dachte daran, wie jeder Zentimeter …

Racy riss sich zusammen. „Nun?“

Gage schob die Hände in die Taschen seiner Jacke und trat auf sie zu. „Wir müssen reden.“

Beim Klang seiner Stimme überlief sie ein Schauer. Trotzig verschränkte sie die Arme. Verdammt, sie trug schon wieder das ausgeleierte graue Sweatshirt!

Gages Sweatshirt. Normalerweise ließ sie es immer zu Hause, aber heute war Gina gekommen, und sie hatte vergessen, es auszuziehen. Wahrscheinlich wusste Gage gar nicht mehr, dass es mal seins gewesen war, aber sie wollte es lieber nicht darauf ankommen lassen. Rasch zog sie es aus und band es sich um die Taille.

Gage beobachtete sie dabei. „Warum machst du das?“

Als wenn sie so dumm wäre, ihm zu sagen, dass sie seit Jahren an seinem Sweatshirt hing. „Mir ist warm.“

Ein seltsamer Ausdruck trat in Gages dunkelblaue Augen. Er kam näher.

Racy wich nicht von der Stelle.

Das erste Mal seit Las Vegas war sie mit Gage allein. Gut, sie hatten einander natürlich gesehen, das war in einer Kleinstadt wie Destiny unvermeidlich, aber sie hatten nie miteinander gesprochen.

Bis jetzt.

„Was willst du in meiner Bar, Gage?“

„Ich denke, sie gehört Max?“

Nicht mehr lange. „Auf dem Papier, aber ich führe sie.“

„Immer geradeheraus, was?“

„Ich habe viel zu tun.“ Racy riss sich von seinem Blick los und lehnte sich an Max’ Schreibtisch. „Warum hast du Max aus seinem Büro verjagt?“

Gage ballte die Fäuste. „Es gibt ein paar Dinge, über die wir reden müssen …“

„Und eins davon ist deine Schwester“, unterbrach ihn Racy. „Du bist zu Max gerannt, weil sie hier arbeitet. Und jetzt? Soll er dir als alter Freund der Familie einen Gefallen tun? Na los, sag schon.“

„Was sagen?“

„Na, du willst mich doch dazu bringen, sie wieder zu entlassen, aber ich sage dir jetzt schon, dass das gar nicht infrage kommt.“

Gage presste die Lippen zusammen. „Das hier ist der letzte Ort, wo Gina arbeiten sollte.“

Racy legte den Kopf zur Seite. „Und warum?“

„Sie hat einen Abschluss in englischer Literatur.“

„Und damit kann man kein Tablett tragen?“

„Verdammt, Racy, sie ist nicht dafür geeignet, sich mit lüsternen Cowboys und College-Kids rumzuschlagen.“

„Im Gegensatz zu mir, willst du sagen.“

„Na, du weißt ganz sicher, wie man sie im Zaum hält.“

Von jedem anderen hätte Racy das sogar als Kompliment genommen, aber bei Gage klang es eher wie eine Beleidigung. „Wenn du auf die Schlägerei im Oktober anspielst … ich bin sehr gut damit zurechtgekommen, bis du dich eingemischt hast.“

„Dwayne eingeschlossen, nachdem ich seine Faust mit meinem Gesicht angehalten hatte.“

Racy musste grinsen. „Du hättest dich ducken sollen.“

„Es hat höllisch wehgetan.“

„Nun, ich vermute, die Aufmerksamkeit, die eine meiner Schönen dir gewidmet hat, hat dich schnell getröstet.“

„Tammy hat mir ein rohes Steak gebracht.“

„Mit tiefem Ausschnitt und Flirten als Beilage.“

Gages Blick glitt zu ihren Brüsten. Racy wusste, dass der lila Spitzen-BH durch ihr dünnes Top gut zu sehen war. Sie holte tief Luft.

Ein Muskel zuckte in Gages Wange. Das geschah ihm recht.

Sein Blick wanderte höher, und Racy dachte an den Knutschfleck über ihrem Schlüsselbein, der schon lange verblasst war. Das hatte fast drei Wochen gedauert, aber die Erinnerung daran, wie er entstanden war, war immer noch frisch.

Gage sah sie an. „Ich glaube, du bist ein Vorbild für deine Schönen.“

„Ihr Sheriffs müsst doch auch ein Vorbild sein. Tammy hat mehr Verabredungen als Britney Spears und Paris Hilton zusammen.“

„Ich habe kein Interesse an Tammy.“

Gage setzte seinen Hut ab und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. „Ich will dir klarmachen, dass Gina an jedem College des Landes unterrichten könnte.“

„Sie ist zweiundzwanzig“, erwiderte Racy, froh über den Themenwechsel. Ihre Gefühle waren immer noch in Aufruhr, weil er gesagt hatte, dass er an Tammy nicht interessiert war. Warum ihr das etwas bedeutete, wollte sie gar nicht näher untersuchen. „Deine Schwester will ein bisschen Spaß haben, sexy Jeans tragen und junge Leute treffen.“

„Das ist nichts für Gina.“

„Dann kennst du sie vielleicht doch nicht so gut, wie du denkst.“ Racy stieß sich vom Schreibtisch ab und machte einen Bogen um Gage. Trotzdem streifte sie auf dem Weg zur Tür seinen Arm, und ein Schauer überlief sie.

„Wir sind noch nicht fertig.“

„Doch, ich werde Gina nicht feuern.“

„Es geht nicht um Gina, sondern um uns.“

Racy fasste den Türknauf fester. „Nette Taktik, aber es gibt kein ‚Uns‘.“

„Ich meine Vegas.“

Jetzt zögerte Racy. „Wir waren uns doch einig, dass wir darüber nie wieder sprechen.“

Gages Arm schoss vor und versperrte ihr den Weg. „Wenn du jetzt gehst, komme ich hinterher“, sagte er dicht an ihrem Ohr, um die laute Musik von unten zu übertönen. „Willst du, dass jeder erfährt, dass wir immer noch verheiratet sind?“

Racy verschwamm alles vor den Augen. „Was?“, flüsterte sie.

Gage zog sie zurück ins Büro und trat die Tür zu. Dann packte er ihre Schultern und drehte sie zu sich herum. Die Wärme seiner Hände ging ihr durch und durch. Sanft hob er ihr Kinn an. „Hast du gehört, was ich gesagt habe?“

Der Klang seiner Stimme weckte weitere Erinnerungen an Vegas.

„Racy?“

Sie riss sich los. „Du lügst!“

„Was? Warum sollte ich bei so was lügen?“

Racy wusste es nicht, aber es musste so sein. Wie könnten sie … nein, unmöglich. Sie konnten nicht mehr verheiratet sein, dafür hatten zwei Stunden in einem muffigen Anwaltsbüro in Vegas gesorgt. „Wenn das ein Witz sein soll …“

Ein Pfeifton schnitt ihr das Wort ab, und Gage fluchte und griff zum Funkgerät. „Steele.“

„Sheriff, hier Deputy Harris.“

Gage wandte den Blick nicht von Racy. „Was gibt es, Harris?“

Racy hörte der ruhigen Stimme des Deputys zu. „Wir haben ein paar Kids bei illegalen Autorennen am Fluss erwischt. Einen haben wir, den anderen verfolgen wir noch.“

„Gut, bring sie rein.“

„Sheriff, es ist Garrett.“

Sein kleiner Bruder. Gage schloss die Augen, aber Racy sah dennoch die Angst darin.

„Ist er … ist jemand verletzt?“

„Nein.“

Gage atmete auf und öffnete die Augen. „Okay. Wir sehen uns auf der Station.“

„Roger. Wir machen uns auf … hey, warte …“ Es knisterte im Funkgerät, dann war Leeann dran. „Deputy Bailey ist mit dem Zweiten da.“

„Gut, sag den Eltern Bescheid.“

„Sheriff, es ist Giselle.“

Racy versuchte vergeblich, ein Auflachen zu unterdrücken. Gages und Ginas Zwillingsgeschwister, die beide noch zur Schule gingen, waren beim illegalen Autorennen erwischt worden.

Himmel, sie hatte als Teenager dasselbe in der alten Schrottkarre ihres Vaters gemacht, meist war sie gegen Bobby Winslow angetreten, der irgendwie nie erwischt wurde. Sie dagegen schon, und ihr Vater hatte sie einfach über Nacht im Gefängnis gelassen, während er mit ihren Brüdern in Cheyenne die Nacht zum Tag gemacht hatte.

Sie bezweifelte, dass die Steele-Zwillinge das gleiche Schicksal ereilen würde.

Gage kniff die Augen zusammen. „Ich bin unterwegs. Lass sie bloß nicht mit unserer Mutter reden.“

Racy sah ihn fragend an.

„Sonst tischen die beiden ihr eine derart herzerweichende Geschichte auf, dass ich anstelle der beiden eine Standpauke gehalten bekomme.“

Daran zweifelte Racy keine Sekunde, sie kannte Sandy Steeles mütterliche Art aus eigener Erfahrung. Als sie damals voller Angst und schlechtem Gewissen in der Zelle gesessen hatte, war Sandy mit Decken, einer warmen Mahlzeit und tröstenden Worten gekommen, um den Teenager zu beruhigen.

Racy zuckte zusammen, als Gage ihr einen Umschlag in die Hand drückte. „Lies das“, wies er sie an, „wir reden später.“

Racy warf einen Blick auf den Absender. Hilfe! „Gage … das kann doch nicht sein.“

„Oh doch.“ Er hielt in der Tür inne und sah sie an. „Willkommen in meinem Albtraum.“

Gage verschwand, und Racy blieb erstarrt stehen. Als es klopfte, steckte sie den Umschlag schnell in die Tasche. „Herein.“

Gina steckte den Kopf durch die Tür. „Ist die Luft rein?“

„Wieso?“

„Gage war bestimmt meinetwegen hier.“ Ginas Gesicht sprach Bände. „Frag nicht, woher ich das weiß, ich bin die Kluge in der Familie.“

Racy ging mit Gina zur Treppe und entschied, dass jetzt nicht die Zeit war, sie über das Verhalten ihrer jüngeren Geschwister aufzuklären. „Ja, er war hier, und nein, du bist nicht entlassen.“

Am Fuß der Treppe drehte Gina sich um. „Das Letzte, was du jetzt brauchst, ist mein großer Bruder, der sich wie … ein großer Bruder aufführt.“

Racy krümmte sich innerlich, und der Umschlag in ihrer Tasche schien ein Loch in ihre Jeans zu brennen.

„Wie führt er sich denn auf?“

„Na, du weißt doch, überbeschützend, bewacht mich, starrt jeden böse an, der mir nur einen Blick schenkt.“

Das taten große Brüder also! Schade, dass Billy Joe und Justin dies nicht gewusst hatten. Die dachten, dass eine kleine Schwester dafür da war, ihre Freunde zu unterhalten, das Geld für die Kaution zu klauen und anschließend zu „waschen“. Wie der Vater, so die Söhne.

„Aber keine Sorge“, fuhr Gina fort, „heute wird er sich benehmen.“

Racy sah Gina an. „Was?“

„Er ist fast jeden Abend hier.“

„Gage ist schon seit zwei Monaten nicht mehr hier gewesen.“

„Doch, er hat gesagt, dass er im Hintergrund bleibt.“

Im Hintergrund? Unmöglich.

Das Blue Creek war im Untergeschoss untergebracht und hatte eine große Terrasse. Von der Bar aus hatte Racy alles im Blick. Zur Küche und zum Obergeschoss hatten Kunden keinen Zugang. Da oben waren Max’ Büro, ein paar Lagerräume und aufgemalte Türen in der Galerie, die vorgaukelten, dass hier die Mädchen aus den Saloons …

Die Galerie.

Wie oft war Gage schon dort gewesen? Vor Vegas war er in die Bar gekommen und hatte sich direkt mit ihr auseinandergesetzt. Jetzt versteckte er sich. Tat er das schon immer oder erst seit er den Brief bekommen hatte?

Ginas Stimme riss Racy aus ihren Überlegungen. „Bist du okay?“

„Ja, klar.“ Racy zwang sich zur Ruhe und zeigte Gina, wie sie ein voll beladenes Tablett vom Tresen heben konnte. „Am besten, du übst jetzt ein paar Mal, das hin- und herzutragen. Die können ganz schön schwer werden.“

Racy sah Gina nach.

Was für ein Albtraum.

Wenn Gage mit ihr spielen wollte, dann sollte er sein Spiel haben. Und falls er heimlich zusah, würde sie dafür sorgen, dass es sich für ihn lohnte.

3. KAPITEL

Gage trat aus Max’ Büro und lehnte sich auf der Galerie gegen die Wand. Es war laut, heute spielte wie jeden Sonnabend eine Band im Blue Creek. Die Tanzfläche war voll, und verlockende Düfte aus der Küche wehten zu ihm herüber. Sein Magen knurrte, er hatte das Abendessen verpasst, weil er mit den Zwillingen und seiner Mutter zu tun gehabt hatte.

Seit dem Tod seines Vaters vor zehn Jahren war seine Mutter mit den Zwillingen zu nachsichtig, so dass er derjenige war, der ihnen Grenzen aufzeigen musste. Offiziell waren die Teenager mit einer Warnung davongekommen, aber beide hatten einen Monat Hausarrest.

An solchen Tagen vermisste er seinen Vater am meisten.

Gage hatte als Jugendlicher nie solch einen Blödsinn gemacht. So war das eben, wenn der Vater Sheriff war: Entweder rebellierten die Kinder, oder sie benahmen sich besonders gut.

Gage hatte sich immer gut benommen. Garrett und Giselle dagegen nicht. Als ihr Vater bei einer Drogenrazzia erschossen wurde, waren die Zwillinge in der ersten Klasse gewesen, und von da an war es im Rekordtempo bergab gegangen. Er wusste, dass der Kummer sie dazu trieb, und ihre Mutter trauerte selbst zu sehr, um der Situation gewachsen zu sein. Gage hatte von Washington aus die Beerdigung organisiert und war dann wieder hergezogen, um sich um die Familie zu kümmern. Seinen Traum vom FBI musste er damals allerdings begraben.

Zurzeit machte seine Familie ihn wahnsinnig.

Noch dazu, wo Racy vor dem Gesetz jetzt auch dazugehörte. Manchmal kam wirklich alles zusammen.

Gage sah Racy zu, die mit zwei anderen Barkeepern hinter dem Tresen arbeitete. Er hatte nur Augen für ihre weiche, goldene Haut.

Sie trug eine Art Bikini-Oberteil aus zwei winzigen Stoffstücken, von denen lange Fransen bis zum Nabel hingen, in dem ein Stein blitzte. Ihr Rücken war bloß, die roten Haare hatte sie hochgesteckt, dazu trug sie tief sitzende Jeans.

Gage ließ den Kopf gegen die Wand sinken und seufzte. Seit Las Vegas war sein sonst so gut organisiertes Leben völlig aus den Fugen geraten.

Erst Racy, jetzt Gina und die Zwillinge. Oh, nicht zu vergessen seine Mutter. Als er sie endlich erreicht hatte, war sie bei Hank Jarvis, einem alten Freund der Familie und Witwer, und hatte Vorhänge aufgehängt.

Gage war überrascht, weil das einzige Interesse seiner Mutter seit zehn Jahren die Kinder und ihre Torten waren, die sie für das örtliche Café verzierte. Als er sie gefragt hatte, hatte sie behauptet, dass Hank und sie nur Freunde seien, aber ihr Erröten hatte sie verraten.

Gage wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Racy sich über den Tresen zu einem Kunden beugte. Nur gut, dass es Willie Perkins war, der alt genug war, um ihr Großvater zu sein, sonst hätte er …

Ja, sie erregte ihn. Wahrscheinlich ging das jedem gesunden Mann in der Bar so.

Aber er allein wusste, wie es sich anfühlte, sie in den Armen zu halten.

In den letzten fünf Monaten war ihm jede noch so winzige Einzelheit aus Las Vegas bewusst gewesen. Der herbe Duft ihrer Haut nach Vanille und Limone. Die Art, wie ihre Hände gezittert hatten, als er sie berührt hatte, oder wie sie den Atem einsog, wenn er sie an bestimmten Stellen küsste, oder wie ihr Körper aussah, ihre Taille, ihr Ellbogen, die Unterseite ihrer Brüste.

Gage richtete sich auf. Verdammt, er kam sich hier oben vor wie ein Spanner.

Seit einem Monat kam er das erste Mal wieder in die Bar. Max hatte ihm erlaubt, von der Galerie aus zu überprüfen, ob alles in Ordnung war.

Und von hier aus konnte er Racy beobachten.

Sie mixte die Getränke und überließ ihren Mädchen den Kundenkontakt. Gerade belud sie für eins von ihnen ein Tablett mit Gläsern. Er kannte die junge Frau nicht. Außer Racy interessierte ihn nur Gina. Er musterte die Menge: sexy Kellnerin, sexy Kellnerin, sexy Kell…“

Oh.

Die Kellnerin mit dem vollen Tablett drehte sich um. Gage sah ihre schlanke Figur und das lange Haar, aber nicht die Brille und den Pferdeschwanz. Das war keine Kellnerin, das war Gina!

„Oooh, sieh dich nur an!“

Racy drehte sich zu ihrer besten Freundin Maggie Stevens um, die bald Maggie Cartwright heißen würde. Rasch sah sie an sich herunter. „Ja, super, was?“

Maggie berührte eine Franse. „Das gefällt mir. Ich könnte so was nie tragen, aber an dir …“

„Das Outfit ist heiß, trotzdem friere ich wie ein Schneider.“

„Warum stehst du hinter der Bar? Dafür sind doch die Mädchen zuständig.“

„Ich versuche, warm zu bleiben.“

Maggie sah sie einen Moment verwirrt an, dann lächelte sie. „Wo ist er?“

„Wer?“

„Na komm schon, sag mir nicht, dass du das nicht für einen bestimmten attraktiven Sheriff trägst.“

Racy war froh, dass sie in diesem Moment von einem Kollegen angesprochen wurde, und warf ihm die verlangte Flasche Whisky zu.

„Welcher Sheriff?“, fragte sie dann unschuldig.

Maggie beugte sich vor. „Ich weiß, dass ich durch die Hochzeit abgelenkt war …“

„Das ist doch klar“, fiel Racy ihr ins Wort, „du hast lange genug auf den Richtigen gewartet.“

„Aber das bedeutet nicht, dass ich nicht die Zeit zum Zuhören habe.“

„Was willst du denn hören?“

„Du bist so still, seit du mit Gage aus Vegas zurückgekommen bist.“

„Du klingst, als wenn wir zusammen dort gewesen wären.“ Racy musste sich beherrschen, um nicht zur Galerie hochzusehen. „Ich habe dir doch gesagt, dass wir uns nur zufällig über den Weg gelaufen sind.“

„Jaja.“

„Hast du keine anderen Sorgen?“ Racy hoffte, Maggie durch das Thema Hochzeit ablenken zu können. „Beispielsweise das Kleid deiner Trauzeugin?“

Maggie lächelte. „Hast du deine Mails noch nicht gelesen?“

Racy schüttelte den Kopf. Das Einzige, was sie gelesen hatte, war der Brief, den Gage ihr gegeben hatte. Juristisches Kauderwelsch mit nur einem Ergebnis.

Der Sheriff und sie waren immer noch verheiratet.

Der Brief war schon zwei Wochen alt, und Racy ärgerte sich, dass Gage ihr erst jetzt davon erzählt hatte, nachdem er erfahren hatte, dass seine Schwester hier arbeiten würde.

„Nein, ich habe eine neue Kellnerin eingearbeitet, und in der Küche gab es heute lauter kleine Katastrophen.“

„Du kannst zur letzten Anprobe kommen. Dein Anblick wird ihn umhauen.“

„Wen?“

Maggie grinste. „Natürlich hat es nicht ganz den Stil wie das, was du gerade trägst. Ich glaube, da ist was im Busch.“

„Ja, Kopfschmerzen.“ Racy schwieg, und die Band kündigte eine Pause an. Rasch schaltete sie die Anlage ein. „Und Frostbeulen.“

„Okay, ich gebe auf. Hast du morgen schon was vor?“

Racy schüttelte den Kopf. „Nein, was ist denn morgen?“

„Wir könnten uns mit Leeann zum Essen treffen.“

„Glaubst du, dass sie kommt? Die Bilderbuch-Polizistin hat uns schon mehr als einmal versetzt.“

Maggie nickte und sah besorgt aus. „Es war ihr Vorschlag. Weißt du, dass der Käufer ihres Familiensitzes das Haus abgerissen hat?“

„Viel stand nach dem Feuer nicht mehr.“

„Aber Leeann wollte es trotzdem behalten. Gut, dass sie es dann doch verkauft hat …“

Das Elternhaus ihrer Freundin war ein Bau der Jahrhundertwende gewesen. Als das Haus vor fünf Jahren abgebrannt war, hatten sich viele Leute gewundert, dass Leeann es nicht verkauft oder selber wieder aufgebaut hatte.

„Eine Gesellschaft hat es gekauft, mal sehen, was sie nun mit dem Grundstück macht“, sagte Racy. „Wie auch immer, ich bin morgen dabei.“ Sie sah zu, wie Maggies Verlobter Landon Cartwright in die Bar kam. „He, da ist dein Schatz. Wer ist der Cowboy neben ihm?“

Maggies Gesicht leuchtete auf. Racy freute sich für sie, ihre Freundin hatte es verdient, von einem guten Mann geliebt zu werden.

„Das ist Chase, mein künftiger Schwager.“ Sie sah Racy an. „Er ist wegen der Hochzeit gekommen.“

Racy musterte Chase. Er hatte breite Schultern und war etwas kleiner als Landon, hatte aber dieselben attraktiven Gesichtszüge und dunklen Haare. Mehr als eine Frau sah zu ihm hinüber.

Racy blieb jedoch ungerührt. Wie kam es, dass kein Mann sie interessierte?

Nur ein einziger Mann weckte Gefühle in ihr, und das waren Abneigung und Rachegelüste. Vielleicht kam Chase Cartwright dafür gerade recht.

„Meinst du, er hat Lust auf ein bisschen Spaß?“

„Warum? Was hast du vor?“

Racy grinste. „Zeit für ein Racy-Spezial.“

„Ist das dein Ernst? Du hast monatelang keins mehr gemacht, seit der Mann damals – uuh, das war nicht schön anzusehen.“

„Ich habe damals geschworen, nie wieder eins zu machen, aber heute könnte es passen – außerdem ist meine Trinkgeldbüchse fast leer.“ Sie schob Maggie einen gefalteten Geldschein in die Hand. „Hier, gib das deinem künftigen Schwager und erkläre ihm, wie es geht, okay? Ich will kein Geld von ihm nehmen.“

„Wie komme ich nur auf die Idee, dass das was mit Gage zu tun hat?“

„Weil du clever bist.“ Racy grinste. „Los, deine Familie wartet. Und seid nett zu der Kellnerin, sie ist neu.“

Maggie betrachtete das junge Mädchen. „Sie kommt mir bekannt vor.“

„Gina Steele.“ Racy griff zum Mikrofon.

„Gages Schwester? Der weibliche Einstein?“

„Dieselbe.“

„Erst seine Schwester …“, Maggie winkte jemandem zu, „… und jetzt das? Ich denke, Gage war schon lange nicht mehr hier?“

„Ich sagte, ich habe ihn lange nicht mehr hier gesehen.“

„Ist das was anderes?“

Racy nickte.

„Du weißt, dass ich dich auf meiner Junggesellinnenparty mit Margaritas abfüllen werde, bis du mir alles erzählst?“, flüsterte Maggie und ging.

Als wenn das sie dazu bringen könnte zu erzählen, wie zu viel Alkohol und ein alter Traum sie dazu gebracht hatten, den größten Fehler ihres Lebens zu begehen.

Resolut verdrängte Racy alle Erinnerungen an Vegas. Ihre Hand berührte die Trophäe – Zeit, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Mit einer raschen Bewegung löste sie ihre Haare, flüsterte ihrem Kollegen zu, was sie vorhatte, und stieg auf den Tresen.

Ein Pfiff, und alle sahen auf. Racy war nur noch selten hier oben und überließ den Platz lieber ihren Mädchen.

Aber heute war eine besondere Nacht. Racy konnte den Mann auf der Galerie nicht sehen, der seit fünf Monaten ihr Ehemann war, aber ihre Haut prickelte.

Er sah zu.

„Willkommen im Blue Creek!“, rief sie der jubelnden Menge zu. „Draußen mag es kalt sein, aber hier drinnen ist es heiß. Die Band macht gerade eine wohlverdiente Pause, und jetzt ist es an der Zeit, dass es hier drinnen noch heißer wird!“

Racy winkte den überraschten Tänzerinnen zu, und der Jubel wurde lauter, als sie sich zu ihr gesellten. „Zeit für ein bisschen Stiefelstampfen!“

Die Musik begann, und Racy machte die vertrauten Schritte, stampfte, schwenkte die Hüften und setzte sich Willies Cowboyhut auf. Dabei drehte sie sich zur Galerie und riskierte einen Blick unter der Hutkrempe hervor. Sie stellte sich vor, wie Gages blaue Augen dunkel wurden, wie immer, wenn er wütend war – oder erregt. Das gehörte zu den vielen Erinnerungen, die sie quälten.

Eine der schönsten war, wie sie miteinander getanzt hatten. Sie waren sich so nahe gewesen, dass sie seine harten Muskeln gespürt hatte. Er hatte sie an sich gezogen, und keiner hatte den Blick abgewandt. Nach ein paar Liedern hatte er sie in einer Nische so gierig geküsst, dass es ihr den Atem nahm.

Die Musik endete, und die Leute applaudierten. Racy verbeugte sich und gab Willie seinen Hut zurück. „Hat euch das Spaß gemacht? Ihr habt jetzt sicher mächtig Durst, mir geht es jedenfalls so.“

Sie gab Jackie ein Zeichen und hielt gleich darauf ein Glas in der Hand. Für die Menge sah es aus wie Tequila, nur Racy wusste, dass es Apfelsaft war.

Sie leerte das Glas, holte tief Luft und fragte sich kurz, ob ihr Vorhaben richtig war.

Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.

Gage wusste, was nun kam. Himmel, er musste immer noch den Tanz verdauen.

Jede Bewegung ihrer Hüften hatte die Nacht in Vegas zurückgebracht. In den roten Wellen, die ihr über Schulter und Rücken fielen, hatte er damals sein Gesicht vergraben, und die Fransen liebkosten den flachen Bauch, den er geküsst hatte.

Racy hatte lange nicht mehr mit den Mädchen getanzt, aber sie konnte es immer noch. Erst als die Musik aufhörte, konnte er wieder normal atmen. Er würde …

Racy hob ihr leeres Glas. „Will noch jemand einen?“

Sie lachte, als die Menge jubelte und nach vorne drängte. Gage sah sich nach seiner Schwester um. Erleichtert entdeckte er sie an der Rückseite der Bar, wo sie an der Wand lehnte.

„Das nehme ich als Ja“, lachte Racy. „Da meine Trinkgeldkasse langsam Ebbe hat, werde ich heute ein Spezial anbieten.“

Stammgäste, die wussten, was jetzt kam, brüllten Beifall.

Verdammt, war das heiß hier drinnen.

„Was ich jetzt brauche, ist ein durstiger Cowboy, aber nicht irgendein Cowboy. Er muss tanzen können und … ein bisschen Geld lockermachen!“ Racy schwenkte ihr leeres Glas. „Ein Racy-Spezial liegt bei einhundert Dollar. Bietet jemand mit?“

Trotz der absurden Forderung gab es genug Männer, die dafür zahlen wollten. Als sich herumsprach, was zum Racy-Spezial gehörte, schnellten noch mehr Hände in die Höhe.

Gage war fassungslos.

„So eine Auswahl“, hauchte Racy mit rauchiger Stimme. „Ich nehme den dunkelhaarigen attraktiven Fremden ganz hinten.“

Sie winkte einem Mann zu, der sich nach vorne schob. Gage sah, dass er hundertprozentig Racys Beschreibung entsprach. „Hast du das Geld, Junge?“, fragte Racy.

Der Mann hielt lächelnd einen Hundertdollarschein hoch. Sein Gesicht kam Gage bekannt vor.

„Wie heißt du?“, fragte Racy, nahm das Geld und steckte es sich in den Ausschnitt.

„Chase“, sagte der Mann ins Mikrofon. Seine Stimme war sexy und tief.

„Du bist nicht von hier, Chase“, erwiderte Racy.

„Nein, ich komme aus Texas.“

„Oh, Texas … was für ein schöner Dialekt. Okay, macht mal Platz für einen zahlenden Kunden.“

Die Gäste an der Bar wichen zurück, und Racy griff nach einem vollen Glas.

„Das ist alles?“, fragte Chase und sah zu ihr hoch.

„Oh, nein, ich bin noch nicht mit dir fertig.“

Gages Magen verkrampfte sich.

Racy bedeutete dem Cowboy, zu ihr zu kommen. Grinsend kletterte er auf den Tresen.

Gage konnte sich gut vorstellen, was in dem Typen vorging, wenn der eine halb nackte schöne Frau vor sich sah.

„So, Süßer, du hältst mich jetzt fest, während ich das hier festhalte“, erklärte Racy und hob das Glas über ihren Kopf. Die Musik begann erneut. Gage ballte die Fäuste.

Racy begann ihren Tanz, und der Cowboy nahm sie in die Arme und tanzte mit ihr. Kein Tropfen ging daneben, während sie sich in erotischer Zweisamkeit bewegten.

Gage spürte ein primitives Gefühl, das er lieber nicht benennen wollte, und er stieß schnaufend den Atem aus, als der Tanz endete und die Menge jubelte. Racy sagte etwas und deutete auf Salz und Zitronenscheiben auf einem Teller. Der Cowboy nickte. Racy drückte ihn auf die Knie hinunter.

„So, Leute, ein Racy-Spezial ist mehr als ein Schluck Tequila.“

Ihre Stimme zitterte jetzt leicht, und die Menge verstummte. „Um es richtig zu machen, braucht man alle Zutaten.“

Gage musste an sich halten, um nicht nach vorne zu stürmen und Racy vom Tresen zu holen. Was wollte sie damit beweisen? Wusste sie denn nicht …?

Moment, hatte sie gerade zu ihm hochgeschaut?

Racy warf die Locken aus dem Gesicht. „Ich werde es euch zeigen, dann könnt ihr das zu Hause selber mal probieren.“

Racy griff nach dem Salzstreuer und führte ihr linkes Handgelenk an den Mund.

Gage hätte schwören können, dass sie ihn ansah, als sie langsam mit der Zunge über die empfindliche Haut fuhr. Dann streute sie Salz darauf.

Sie näherte sich dem Cowboy und hielt ihm das Glas dicht vor den Mund. „Hier Chase, dein Tequila.“ Wieder sah sie Gage an.

Der Cowboy erhob sich, ignorierte ihre salzige Haut, warf die Zitronenscheibe über die Schulter und trank den Alkohol, ehe er ihr das Glas zurückgab. Dann küsste er ihr die Hand, sprang zurück auf den Boden, und die Band begann wieder zu spielen.

Gage war zwischen Respekt für den Mann und dem Drang, ihm eine reinzuhauen, hin- und hergerissen.

Was für ein Schuft.

Racy versuchte, sich auf den Computer zu konzentrieren. Sie hörte immer noch, was Chase Cartwright ihr ins Ohr geflüstert hatte, ehe er vom Tresen gesprungen war. Er hatte ihr zugezwinkert und gesagt, wenn sie jemanden brauchte, um ihren Mann eifersüchtig zu machen – er sei noch ein paar Wochen in der Stadt.

Ihren Mann? Na sicher.

Racy hatte sich bedankt und sich den Rest des Abends mit ihrem Gewissen herumgeschlagen. War das die Sache wert gewesen? Sie wusste nicht einmal, ob Gage ihre Vorführung gesehen hatte. Sie hatte ihn nicht gesehen.

Bis zu dem Moment, wo sie den Laden zumachten.

Max und sie hatten beschlossen, wegen eines angekündigten Schneesturms eine Stunde eher Schluss zu machen. Nach dem Saubermachen hatte Gina sie zum Abschied umarmt, und Racy merkte, dass sie aufgebracht war. Als sie nachgefragt hatte, ob etwas schiefgegangen war, hatte Gina geantwortet, ihr Gefängniswärter warte. Als Racy aufblickte, hatte sie Gages scharfen Blick aufgefangen. Seine Körperhaltung verriet ihr, dass er entweder ihre Vorführung gesehen hatte oder wütend war, dass Gina hier arbeitete. Oder beides.

Er hatte Racy so lange angestarrt, bis Gina zu ihm gegangen war und ihn auf den Arm geboxt hatte. Dann waren sie gegangen.

„Ich gehe jetzt, Süße. Bist du so weit?“ Max sah sie an, und Racy schüttelte den Kopf. „Ich muss noch ein bisschen Papierkram erledigen.“

„Ich wollte schon viel eher gehen.“ Er grinste. „Was ich da verpasst hätte!“

Racy nahm einen Schluck Gingerale. „Nur keine Aufregung, das habe ich schon seit Monaten nicht mehr gemacht.“

Max zog seine Handschuhe an. „Was mich zu der Frage bringt, warum du auf einmal wieder auf dem Tresen mit dem Hinterteil wackelst.“

Racy wandte den Blick ab. „Ich wollte nur mal sehen, ob ich noch mithalten kann.“

„Du wolltest es jemandem zeigen, mach mir nichts vor. Bleib nicht mehr zu lange. Draußen ist märchenhafte Winterlandschaft.“ Max seufzte. „All der Schnee weckt meine Sehnsucht nach dem Süden.“

„Nur noch fünfzehn Minuten.“ Racy konzentrierte sich auf ihre Arbeit und schob die Ärmel ihres Sweatshirts hoch. Diesmal nicht das von Gage, das hatte sie in den Rucksack gesteckt. Sobald sie zu Hause war, würde es in den Tiefen ihres Schranks verschwinden.

Fast zwei Uhr – sie hatte gar nicht gemerkt, dass es schon so spät war. Ob sie auf der Ledercouch übernachten sollte? Nein, sie musste nach Hause, weil …

Ein gedämpftes Klatschen ließ Racy hochfahren.

Gage lehnte am Türrahmen, Hut und Jacke nass vor Schnee. Er hatte die Lippen zusammengepresst und fuhr fort zu applaudieren.

„Lass das. Du hast mir einen Riesenschreck eingejagt!“ Racy klang atemlos. „Wie bist du überhaupt – ach so, Max. Hör zu, ich weiß, dass es dir gegen den Strich geht, dass Gina hier arbeitet, aber sie bleibt.“

Gage hörte auf zu klatschen und schob die Hände in die Taschen. „Das hat sie auch gesagt. Auf dem Rückweg habe ich dein Auto hier stehen sehen. Komm, ich bringe dich nach Hause.“

„Wie bitte?“

„Du hast keine Winterreifen, ich habe das überprüft. Hast du Schneeketten dabei?“

Racy schwieg.

„Dachte ich mir.“ Gage kam näher. „Außerdem hast du getrunken.“

Racy sah ihr Glas an. „Das ist nur …“

„Egal, was es ist. Mit den Kurzen vorhin ist es auf jeden Fall zu viel.“

Racy runzelte verwirrt die Stirn, bis ihr der Apfelsaft einfiel.

Autor

Charlene Sands
<p>Alles begann damit, dass der Vater von Charlene Sands, ihr als Kind die schönsten, brillantesten und fantastischsten Geschichten erzählte. Er erfand Geschichten von plündernden Piraten, mächtigen Königen und Sagen von Helden und Rittern. In diesen Erzählungen war Charlene immer die Prinzessin, Königin oder Heldin um die gekämpft oder die gerettet...
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Christyne Butler
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