Collection Baccara Band 350

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ALLES ANDERE ALS UNSCHULDIG von ETHERINGTON, WENDY
"Ich träume Tag und Nacht von dir.” Immer wieder liest Calla die SMS, die Devin ihr vor einem Monat geschickt hat. Er geht ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf, obwohl er sie seitdem meidet. Bis sich ihre Wege an einem schicksalhaften Abend in Manhattan kreuzen …

SO UNVERGESSLICH HEIßE STUNDEN ... von MAJOR, ANN
Unvergesslich leidenschaftliche Stunden verbrachte Cole mit Maddie. Bis sie überstürzt die Stadt verließ. Jetzt ist sie wieder da! Ihre unerwartete Rückkehr weckt sofort brennendes Verlangen in Cole. Aber bevor er sie verführen kann, muss er herausfinden, was sie ihm verheimlicht …

VERLIEBT IN DEN BODYGUARD von JENSEN, KATHRYN
An Happy Ends glaubt Diane nach ihrer Scheidung bestimmt nicht mehr! Doch als der attraktive Bodyguard Thomas sie umwirbt, wirft sie alle Vorsicht über Bord: Sie beginnt mit ihm eine heiße Affäre. Einmal noch lieben - auch wenn eine gemeinsame Zukunft ausgeschlossen scheint …

SCHICKSALSNACHT MIT DEM MILLIONÄR von CHILD, MAUREEN
Nach einer unglaublich zärtlichen Nacht verschwand Matt Hollis ohne ein Wort aus Kaylas Leben. Jetzt trifft sie den begehrten Single auf der Hochzeit einer Freundin wieder. Kayla sollte wütend sein! Stattdessen schlägt ihr verräterisches Herz viel zu schnell …


  • Erscheinungstag 03.02.2015
  • Bandnummer 0350
  • ISBN / Artikelnummer 9783733722487
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Wendy Etherington, Ann Major, Kathryn Jensen, Maureen Child

COLLECTION BACCARA BAND 350

WENDY ETHERINGTON

Alles andere als unschuldig

Detective Devin Antonio steht unter Tatverdacht? Ungläubig hört Calla das schlimme Gerücht. Sie will die Unschuld ihres heimlichen Traummannes beweisen – und ihn endlich verführen!

ANN MAJOR

So unvergesslich heiße Stunden …

Ausgerechnet Cole läuft Maddie bei ihrer Rückkehr in die Stadt sofort in die Arme. Die unverhoffte Begegnung weckt alte Gefühle: verbotene Leidenschaft – und die Angst, dass er ihr Geheimnis erfährt …

KATHRYN JENSEN

Verliebt in den Bodyguard

„Begleiten Sie Diane in den Urlaub!“ Bodyguard Thomas Smythe gehorcht dem Befehl seines Königs – und widersetzt sich ihm zugleich. Denn verlieben sollte er sich nicht in die schöne Schwägerin des Monarchen …

MAUREEN CHILD

Schicksalsnacht mit dem Millionär

Wie überzeugt man eine Frau, dass sie die Richtige ist? Millionär Matt Hollis weiß, dass es ein Riesenfehler war, Kayla zu verlassen. Jetzt hat er eine Schicksalsnacht lang Zeit, sie zurückzugewinnen …

1. KAPITEL

Ich träume Tag und Nacht von dir.

Diese SMS hatte Calla bereits vor etwa einem Monat bekommen, aber sie brachte es nicht übers Herz, sie zu löschen. Hatte Detective Devin Antonio das wirklich ernst gemeint? Wenn ja, hatte er die SMS sicher aus Versehen an sie geschickt. Sie war bestimmt für jemand anderen gedacht gewesen.

Denn als Calla ihn ein paar Tage später darauf angesprochen hatte, hatte er so getan, als wisse er nicht, wovon sie sprach.

Trotzdem hatte sie sich jetzt frühzeitig von der Hochzeit ihrer besten Freundin verabschiedet, weil Devin nicht, wie versprochen, gekommen war. Sie saß in einem Taxi und klapperte einen Ort nach dem anderen auf der Suche nach ihm ab, denn es war so gar nicht seine Art, nicht zu erscheinen. Sie machte sich Sorgen um ihn.

„Soll ich wieder auf Sie warten?“, fragte der Taxifahrer, als er vor der Polizeiwache hielt.

Ein Blick auf den Taxameter genügte. Diese Aktion würde Calla ein Vermögen kosten! „Nein, danke. Das ist vermutlich mein letzter Halt“, erwiderte sie schnell und reichte dem Fahrer ein paar Geldscheine.

Sie hatte bereits mehrmals versucht, Devin anzurufen, mehrere SMS geschickt, und bei ihm zu Hause hatte sie auch schon nachgesehen. Sogar in Paddy’s Bar, seiner Lieblingskneipe, hatte sie angerufen. Die Polizeiwache war ihre letzte Hoffnung.

Einige Leute starrten sie an, als sie in ihrem dunkelblauen Brautjungfernkleid mit den weißen Blümchen im Haar aus dem Taxi stieg. Sie hörte sogar zwei bewundernde Pfiffe.

Nachdem die Eingangstür zur Polizeiwache hinter ihr zugefallen war, wandte sich Calla an die gelangweilte Schalterbeamtin in dem kleinen schäbigen Vorraum. „Ich möchte zu Detective Antonio, bitte.“

Die Frau tippte etwas in den Computer ein und verkündete: „Antonio hat heute frei.“

Devin hatte ihr versprochen, sich den Tag freizunehmen. Calla hatte gehofft, dass eine luxuriöse romantische Hochzeit ihn dazu bewegen würde, endlich den ersten Schritt zu tun.

„Was ist mit Lieutenant Meyer?“, fragte sie die Beamtin, worauf diese sie mit hochgezogenen Augenbrauen musterte.

„Haben Sie einen Termin?“

„Nein, aber er ist ein guter Freund von mir“, erwiderte Calla lächelnd und zog ein Stück Torte aus ihrer Tasche, das sie notdürftig in eine Plastiktüte gepackt hatte. Eigentlich hatte sie es Devin mitbringen wollen. „Eine gemeinsame Freundin von uns hat heute geheiratet, da dachte ich, ich bringe ihm ein Stück Torte vorbei.“

Die Frau sah sie aus zusammengekniffenen Augen finster an. Calla wunderte sich nicht über diese argwöhnische Reaktion, denn sie lebte bereits seit sechs Jahren in New York. Ursprünglich stammte sie aus Texas, da waren die Leute viel offener und freundlicher.

„Was ist das für eine Farbe?“, wollte die Beamtin plötzlich wissen.

Calla sah auf das Stück Torte in ihrer Hand. „Meine Freundin Shelby hat darauf bestanden, ihre Hochzeitstorte selbst zu backen. Die Rosen hätten blau sein sollen, sind aber wohl …“

„Ich meine Ihr Haar“, unterbrach die Beamtin sie unwirsch.

„Oh, das ist goldblond mit champagnerfarbenen Strähnchen.“ Mit leiser Stimme fuhr sie fort: „Der Stylist heißt Kirk und arbeitet bei Tangles im West Village. Richten Sie ihm einen Gruß von mir aus, dann kriegen Sie bestimmt Prozente.“

„Super.“

Einen Moment später summte der Türöffner der Tür, die in das Innere der Wache führte.

Ha, das hatte gewirkt! In dieser Stadt musste man sich einfach zu helfen wissen. Beziehungen gingen in New York über alles.

Calla fühlte sich zuversichtlicher, als sie den Flur zu Devins Dienstzimmer entlangging. Ein paar Mal war sie schon hier gewesen, deshalb wusste sie auch, wo sich das Büro von Lieutenant Meyer befand. Devin hatte nur mit den Achseln gezuckt, als Calla ihn gefragt hatte, was sein Boss für ein Mensch war. Aber so war er nun einmal, und sie hatte gespürt, dass er gern für diesen Mann arbeitete.

„Herein!“, rief eine laute Stimme, nachdem Calla zaghaft an die Tür von Devins Vorgesetztem geklopft hatte.

Das Büro war ziemlich klein. Hinter dem großen Schreibtisch saß ein etwa fünfzigjähriger Mann. Er musterte sie von oben bis unten. „Kann ich Ihnen helfen?“

„Ich suche Detective Antonio.“

„Der ist nicht hier.“

„Das hat die Dame am Eingang mir bereits gesagt. Ich hatte gehofft, dass Sie vielleicht wissen, wo er ist. Er hat versprochen, zur Hochzeit meiner Freundin zu kommen, ist aber nicht aufgetaucht. Zu Hause ist er nicht, und ans Telefon geht er auch nicht. Ich mache mir Sorgen.“

„Antonio kommt allein zurecht.“

„Bestimmt. Darf ich mich kurz setzen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ sie sich in den Stuhl vor dem Schreibtisch fallen.

„Sind Sie seine Freundin?“

Na ja, die wäre ich gern … „Nein, nur eine Freundin.“

„Ich dachte immer, Antonio wäre ein schlauer Kerl. Aber leider musste ich ihn heute vorübergehend suspendieren.“

Calla spürte, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich. „Wann genau?“

„Vor ein paar Stunden.“

Deshalb war er also nicht aufgetaucht. Aber er hätte sie doch anrufen können! Vielleicht hätte sie ihm ja irgendwie helfen können.

„Aus welchem Grund?“, stieß sie stammelnd hervor.

„Tut mir leid, aber das darf ich Ihnen nicht sagen.“

„Hat er großen Ärger?“

„Ja.“

„Könnte er deswegen seinen Job verlieren?“

„Die Gefahr besteht durchaus.“

Obwohl Devin recht verschwiegen war, was seine Gefühle, sein Privatleben und seine Vergangenheit betraf, wusste Calla doch, dass ihm seine Arbeit viel bedeutete.

„Aber er ist doch ein toller Polizist.“

„Finde ich auch.“

„Warum haben Sie ihn …“ Der Lieutenant schüttelte nur den Kopf. Von ihm würde sie ganz sicher nichts erfahren.

„Haben Sie eine Ahnung, wo ich ihn finden könnte?“

„Versuchen Sie es bei Paddy’s.“

„Da war ich bereits.“

„Oder im O’Leary’s Pub. Das liegt zwei Blocks östlich von hier.“

Nachdem Calla sich verabschiedet hatte, machte sie sich auf den Weg zum Pub. Sie trug zwar hohe Absätze, beschloss aber trotzdem, zu Fuß zu gehen.

Obwohl sie bereits bei unzähligen Modelshows aufgetreten war und es in New York zu etwas gebracht hatte, war ihr mulmig zumute bei der Vorstellung, dass sie Devin gleich gegenüberstehen würde. Warum nur?

Vielleicht weil sie wusste, dass er schon einmal suspendiert worden war. Weil Devin nicht näher darauf eingegangen war, als er ihr davon erzählte, hatte sie im Netz recherchiert. Allerdings hatte sie nicht viel darüber herausgefunden und auch nicht bei ihm nachgebohrt, was recht untypisch für sie war.

Fast wäre sie am O’Leary’s vorbeigegangen, denn die alte Eichentür, die in das Lokal führte, war völlig unscheinbar. Über der Tür hing ein Holzschild, auf dem etwas in Gälisch geschrieben stand. Zu gern hätte sie gewusst, was das hieß.

Calla öffnete die Tür und trat in den kleinen dunklen Schankraum ein. Sofort drehten sich alle Gäste zu ihr um und starrten sie wortlos an.

Oje, vor lauter Sorge um Devin hatte sie ganz ihr Brautjungfernkleid vergessen. Hocherhobenen Hauptes schritt sie durch den düsteren Raum und wünschte, sie hätte eine Taschenlampe mitgenommen. Denn der Kamin an der hinteren Wand der Kneipe beleuchtete den Raum nur spärlich. Der Holzboden war uneben und knarzte unter ihren Schritten. Calla musste aufpassen, wo sie hintrat, um nicht zu stolpern.

„Ist Antonio hier?“, fragte sie den Barkeeper.

Wortlos deutete er in die hintere Ecke des Raums.

Als sie sich umdrehte, erkannte sie Devin, der allein über ein Glas gebeugt an einem der Tische saß. Mit den Fingern strich er sanft über den Rand des Glases.

Callas Herz zog sich zusammen, als sie auf seine Hände blickte. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als dass er mit diesen Händen über ihre Haut streicheln würde.

Mit wenigen Schritten war sie bei ihm, und er sah zu ihr auf. Seine grünen Augen, die im Feuerschein einen starken Kontrast zu seiner gebräunten Haut bildeten, schienen sie zu durchbohren.

Oje, was wollte sie eigentlich hier? Er war verletzt worden und wollte allein sein. Warum wollte sie ihm unbedingt helfen? Er hatte ihr schließlich in den letzten Wochen wenig Hoffnung gemacht. Na gut, er war ihr und ihren Freundinnen zu Hilfe geeilt und hatte sie ein paar Mal sehnsüchtig angeschaut. Aber das war auch schon alles gewesen.

Doch es gelang Calla einfach nicht, die SMS zu vergessen. War sie für sie gewesen oder für jemand anderen?

Als er nach ihrem Handgelenk griff und sie auf die Bank neben sich zog, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Vielleicht würde er jetzt ja endlich seinem Verlangen nachgeben und sie …

„Bist du ein Engel?“, fragte er mit schwerer Zunge, ehe er sie an sich zog und auf den Hals küsste.

Na, super! Er war total besoffen. Wieder nichts.

„Ich bin’s, Calla“, erklärte sie mit fester Stimme und wich vor ihm zurück. Als er sie weiterhin verständnislos ansah, schluckte sie ihren Stolz hinunter und fügte hinzu: „Calla Tucker.“

„Calla“, murmelte Devin leise. Sie hatte das Gefühl, allein von seinem Atem einen Rausch zu bekommen. „Ich habe dich vermisst.“

„Träumst du manchmal von mir?“ Sie konnte sich die Frage nicht verkneifen.

„Immer.“

Sein Mund wanderte über ihre Wange zu ihren Lippen, und sie schloss die Augen. Sanft schob er seine Zunge in ihren Mund und küsste sie hingebungsvoll.

Einen Moment lang genoss Calla dieses unbeschreiblich schöne Gefühl. Dann richtete sie sich abrupt auf. Sie wollte mehr von ihm – aber nicht so. Schnell stand sie auf. Devin sah sie aus vernebelten Augen an. Sie musste ihn unbedingt hier rausschaffen.

„Ich komme von Shelbys und Trevors Hochzeit. Erinnerst du dich daran? Du wolltest eigentlich auch kommen.“

„Ja, sie ist nett und kann gut kochen. Ich war im Krankenhaus. Tut mir leid.“

Ihr Magen krampfte sich zusammen. „Im Krankenhaus?“ Nun war sie es, die ihn verständnislos anstarrte.

„Gestern Nacht.“ Er legte den Kopf zur Seite und schien nachzudenken. „Vielleicht war es auch heute Morgen.“

„Was ist passiert? Bist du verletzt?“ Sie betrachtete ihn von oben bis unten, konnte aber keine Verletzung entdecken.

Devin drehte sich um. Hinten am Kopf trug er ein großes Pflaster. „Zusammengeschlagen.“

„Wann denn?“

„Letzte Nacht.“ Wieder neigte er den Kopf zur Seite, als ob es ihn enorme Anstrengung kosten würde, sich zu erinnern. „Vielleicht war es auch heute Morgen.“

Calla war sich ganz sicher, dass ein Mann, der am Kopf verletzt war, mindestens vierundzwanzig Stunden lang keinen Alkohol trinken sollte. Bevor er noch einen weiteren Schluck aus seinem Glas nehmen konnte, stellte sie es auf den Nebentisch und packte ihn bei der Hand. „Du solltest zu Hause im Bett sein und nicht hier.“

„Im Bett?“ Er grinste. „Wenn du meinst …“

Ihr Verstand kämpfte gegen ihre Lust an. Sie sollte ihn zurückweisen, doch gleichzeitig wollte sie ihn trösten. Er hatte öfter mal ein Glas Bier oder einen Whiskey getrunken. Aber nie zuvor hatte sie ihn so außer Kontrolle erlebt. So verzweifelt.

„Im Bett, um zu schlafen“, erklärte sie. „Du musst dich ausruhen.“

„Ich ruhe mich aus, wenn ich tot bin“, gab Devin ihr lallend zu verstehen.

„Na, bis dahin dauert es noch eine Weile.“ Sie packte ihn am Ellbogen und führte ihn zur Bar. „Wir brauchen ein Taxi“, bat sie den Barkeeper.

Es schien ihm nicht zu gefallen, dass eine Frau in seiner Kneipe über einen Mann bestimmte. „Dem geht’s doch gut“, meinte er, nachdem er kurz zu Devin hinübergesehen hatte.

„Ich möchte …“ Devins Kopf fiel nach vorn. Wenn Calla ihn nicht festgehalten hätte, wäre er spätestens jetzt zu Boden gesunken.

„Klar geht’s ihm gut“, stieß sie hervor. Es war schwer, ihn aufrecht zu halten. „Andererseits kenne ich einen guten Anwalt, der bestimmt …“

Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Der Barkeeper griff prompt nach dem Telefonhörer und wählte eine Nummer. „Das Taxi kommt gleich“, brummte er ungehalten, als er kurz danach wieder auflegte.

„Super, danke. Aber ich brauche jemand, der mir hilft, ihn zur Tür zu bringen.“ Sie schenkte ihm ihr Modellächeln. „Wären Sie so nett, mir zu helfen?“

Seufzend ging er um die Theke herum und legte sich Devins Arm über die Schulter. Zusammen schleppten sie ihn zur Tür.

Devin sah mit verschwommenem Blick von Calla zum Barkeeper. „Süße, du bist echt eine heiße Nummer, aber einen Dreier mit dem mache ich nicht mit.“

Draußen wartete bereits ein Taxi. Mithilfe des Barkeepers schaffte Calla es, Devin hineinzuhieven. Dann zog sie einen Zwanzigdollarschein aus ihrer Handtasche und hielt ihn dem Barmann hin.

„Seine Rechnung beträgt aber fünfzig Dollar“, knurrte dieser.

„Klar doch.“ Calla war nicht nach Streiten zumute. Deshalb griff sie nochmals in ihre Handtasche und brachte zwei weitere Zwanzigdollarscheine zum Vorschein, die sie dem Barkeeper in die Hand drückte, bevor dieser wieder im Pub verschwand.

Hoffentlich nimmt der Taxifahrer Kreditkarten, dachte sie, als sie sich neben Devin auf den Rücksitz fallen ließ.

„Ich wohne auf der West 22nd Street“, murmelte er, bevor er seinen Kopf auf ihren Schoß legte. „In der Nähe des Museums.“

„Das weiß ich doch.“ Nachdem sie dem Taxifahrer die genaue Adresse genannt hatte, lehnte sie sich zurück und begann, sein seidenweiches Haar zu streicheln. „Wie kannst du es dir bei deinem Polizistengehalt überhaupt leisten, dort zu wohnen?“

„Mein Vermieter vergibt die Wohnung billiger an Polizisten.“ Seine Hand wanderte an ihrem Kleid hinunter. „Wie lang ist dieses Ding eigentlich?“ Im selben Moment spürte sie, wie er den Saum des Kleids hob und wie seine Hand unter dem Stoff nach oben glitt.

Einerseits freute sich Calla, dass ihre Wünsche offensichtlich in Erfüllung zu gehen schienen. Andererseits wollte sie das nicht erleben, wenn Devin betrunken war. Behutsam schob sie seine Hand weg.

Wie sollte sie ihn überhaupt vom Taxi in den Aufzug bringen? Er wohnte zwar in einer guten Gegend, aber in seinem Gebäude gab es keinen Portier. Außerdem hatte sie nicht mehr genug Bargeld, um den Taxifahrer dazu zu bewegen, ihr zu helfen.

Sollte sie ihre Freunde anrufen? Aber das Brautpaar war bestimmt bereits auf seiner Hochzeitsreise in die Schweiz, und Victoria und Jared waren sicher dabei, sich allein zu vergnügen. Mist!

Kurzentschlossen bat sie den Taxifahrer, zu ihr nach Hause zu fahren. Dort würde ihr bestimmt ein Nachbar helfen können.

„Zu dir?“, fragte Devin verwundert. „Wie groß ist dein Bett denn?“

„Groß genug.“

Wieder hatte er seine Hand unter ihr Kleid geschoben. Calla spürte seine Fingerspitzen auf ihrer nackten Haut. „Hey, Detective, wir kennen uns doch kaum. Lass uns zuerst mal ein paar Ordnungswidrigkeiten begehen, bevor wir zu den Verbrechen übergehen“, sagte sie.

„Calla, ich kenne dich“, flüsterte er.

Sie schloss die Augen und schluckte. Wie lange hatte sie davon geträumt, dass er sie berühren würde?

„Ich habe bereits eine Körperverletzung begangen“, murmelte Devin leise.

„Du hast was?“

Er begann, ihren Oberschenkel zu streicheln. „Ich bin froh, dass du den anderen Kerl nicht mitgenommen hast. Jetzt können wir beide unseren Spaß haben.“

„Was meinst du mit Körperverletzung?“, fragte Calla, ohne auf seinen Kommentar einzugehen.

„So ein Mistkerl! Ich habe nicht ihn geschlagen, sondern er mich. Der darf auch nicht mit uns ins Bett.“

Beruhigend strich sie ihm über den Rücken. „Das weiß ich doch. Erzähl mir von der Sache mit dem Typen, der dich geschlagen hat.“

„Ist blöd ausgegangen.“

„Was?“

„Die Yankees haben verloren. Hat mich zwanzig Mäuse gekostet, dass ich auf diese Penner gewettet habe.“

„Devin, bitte“, Calla nahm seine Hand, die schon wieder in Richtung ihres Schoßes gewandert war. „Konzentrier dich! Wer hat dich geschlagen?“

„Jemand hat mich geschlagen?“ Er hob den Kopf und lehnte ihn an ihre Brust. „Die Yankees bringen’s nicht. Die brauchen ein GPS, um den Ball zu finden. Sei doch mal ein bisschen lieb zu mir.“

Das führte zu nichts. Mit Betrunkenen konnte man nicht reden. Irgendwie musste sie ihn nach Hause und ins Bett schaffen.

2. KAPITEL

Devin drehte sich zur Seite. Sein Kopf hämmerte, sein Mund war trocken und fühlte sich pelzig an. Alles tat ihm weh.

„Eigentlich sollte ich tot sein“, stöhnte er leise.

Plötzlich stieg ihm Callas Duft in die Nase. Ihr wohliger Geruch umgab ihn, und das hatte etwas Tröstendes. Vielleicht gab es ja doch noch etwas, wofür zu leben es sich lohnte.

Er konnte sich nur bruchstückhaft an den letzten Abend erinnern. Gespräche, flotte Dreier und Schläge kamen ihm in den Sinn und wie er sie geküsst und seine Hand unter ihr Kleid geschoben hatte.

Am liebsten wäre er vor lauter Scham im Erdboden versunken.

Bitte, lieber Gott, mach, dass das alles nicht wirklich passiert ist.

Das Zimmer war dunkel, nur unter der Tür kam ein wenig Licht durch. Moment mal! Das war nicht sein Schlafzimmer und ganz sicher auch nicht sein Bett. Er lag unter einer rosa-weiß geblümten Decke. Und herrje, er war ja nackt!

Oh, nein. Bitte nicht!

Sofort meldete sich sein schlechtes Gewissen. Er hatte doch wohl hoffentlich nicht mit ihr geschlafen! Aber selbst er würde sie nicht auf diese Weise ausnutzen, da war er sich ziemlich sicher.

Unruhig setzte er sich auf. Er konnte unmöglich länger liegen bleiben. Jede Bewegung löste eine Welle der Übelkeit und enorme Kopfschmerzen in ihm aus. Doch er biss die Zähne zusammen und stand auf. Während er noch überlegte, wo seine Klamotten wohl waren, sah er sie auf der Kommode liegen – fein säuberlich gefaltet.

Was hatte das zu bedeuten?

Er stolperte ins Badezimmer, wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und spülte den Mund aus. Schnell zog er sich an. Als er die Tür zum Schlafzimmer einen Spaltbreit öffnete, wehte ihm der Geruch von Speck entgegen. Überraschenderweise begann sein Magen zu knurren. Vielleicht konnte er den Tag ja irgendwie überstehen, wenn er Speck essen, eine Kanne Kaffee trinken und zehn Aspirin nehmen würde.

Er ging durchs Wohnzimmer zur Küchentheke. Calla stand am Herd. Der kurze rosa Bademantel gab den Blick auf ihre schön geformten, braun gebrannten Beine frei. Ihr langes blondes Haar hatte sie lose zu einem Knoten hochgesteckt, was er unglaublich anziehend fand. Aber war nicht alles an ihr erregend?

„Speck?“, stieß er heiser hervor.

Sie lächelte ihn über die Schulter an. „Hab ich also doch Wasser laufen gehört. Du hast aber schnell geduscht.“

„Ich habe nicht geduscht.“

„Warum nicht? Ich hab dir extra frische Seife und ein Herrenshampoo rausgestellt.“

„Ich bin dir doch vermutlich nur im Weg.“

„Nein, überhaupt nicht. Willst du Speck?“ Als er nickte, fügte sie hinzu: „Das Frühstück dauert noch ein bisschen. Du hast genug Zeit zum Duschen.“

„Musst du nicht arbeiten?“

„Es ist Sonntag. Willst du duschen oder mir von gestern Abend erzählen?“

Schwerfällig ging er ins Schlafzimmer zurück. Die heiße Dusche tat gut. Langsam konnte er wieder klarer denken. Erstens, es war offensichtlich nicht zum Sex zwischen Calla und ihm gekommen, was sowohl gut als auch schlecht war.

Zweitens, sein Kopf tat nicht nur weh, weil er zu viel Whiskey getrunken hatte. Irgendwas war an seinem Hinterkopf. Vorsichtig tastete er seinen Kopf ab, bis er auf eine kahlrasierte Stelle stieß, auf der ein Pflaster klebte. Mist! Jemand hatte einen Teil seiner Haare abrasiert. Devin war zwar nicht eitel, aber eine kahle Stelle?

Vage konnte er sich an eine Krankenschwester erinnern, die ihn im Krankenhaus versorgt hatte. Wie es zu der Verletzung gekommen war, wusste er jedoch nicht mehr.

Übermannt von einem plötzlichen Schwächeanfall, lehnte er den Kopf an die geflieste Duschwand. Sein Gedächtnis war völlig vernebelt. Egal, wie krampfhaft er sich zu erinnern versuchte, es fiel ihm nicht ein, warum er ein Pflaster am Kopf hatte. Durfte es überhaupt nass werden? Oder würde er dann womöglich an einer bakteriellen Infektion sterben? Bis das passierte, würde er die Frau, die ihm gerade ein leckeres Frühstück zubereitete, glücklich machen.

Er griff nach dem kleinen Shampoobehälter, den Calla vermutlich aus irgendeinem Hotel mitgenommen hatte. Sein Blick blieb an den größeren Flaschen hängen, und er schnupperte an einer davon. Der süße Duft nach Vanille ließ sein Kopfweh fast augenblicklich verschwinden.

Devin verspürte Sehnsucht nach ihrer Nähe. Seit Monaten hatte sie ihn schon in Versuchung geführt, auch wenn er wusste, dass sie eigentlich nicht zusammenpassten. Sie war zu fröhlich. Er wollte sie nicht in sein mieses Leben und seine beschissene Vergangenheit hineinziehen.

Nachdem er geduscht hatte, zog er sich schnell an und ging in die Küche. Calla hatte recht gehabt, die Dusche hatte gutgetan. Nur sein Gedächtnis war immer noch wie leergefegt. Das könnte ihm zum Verhängnis werden, denn sie ließ nicht locker, wenn sie etwas wissen wollte. So einfach würde sie ihn nicht gehen lassen.

Als er in die Küche kam, häufte sie gerade Rühreier und Speck auf einen Teller.

„Wie nimmst du deinen Kaffee?“

Warum war sie so nett zu ihm? Das hatte er doch gar nicht verdient, nach allem, was er sich gestern Abend geleistet hatte. „Ich trinke ihn schwarz, danke.“

Er ließ sich auf einem der Barhocker an der Küchentheke nieder. Calla reichte ihm einen Becher mit dampfendem Kaffee. Als er den ersten Schluck nahm, trafen sich ihre Blicke. Schnell sah er weg. Sein Leben war schon verstrickt genug. Er musste es nicht mit irgendwelchen verwirrenden Gefühlen, die er für sie empfand, noch komplizierter machen.

Sie setzte sich auf den Hocker neben ihm. „Erzählst du mir von gestern Abend?“

„Nein.“

„Bist du sicher?“

„Sehr sicher.“

Calla schob ihm ein Glas Orangensaft hin. „Das wird dir guttun.“

Devin zuckte nur mit den Schultern und trank das Glas in einem Zug leer. Als er es auf der Theke absetzte, reichte sie ihm ein zweites Glas, dieses Mal mit Tomatensaft gefüllt und mit einer Selleriestange verziert.

Igitt! Er rümpfte die Nase. „Ich mag keinen …“

„Trink es“, unterbrach sie ihn.

Wie so oft in ihrer Gegenwart, tat er, wie sie ihm befahl, ohne auch nur darüber nachzudenken. Überraschenderweise schmeckte der Saft recht lecker, denn sie hatte ihn gut gewürzt. „Mhm, gar nicht schlecht. Du weißt, was bei einem Kater hilft.“

„Iss die Selleriestange!“ Als er ihr widersprechen wollte, kam sie ihm zuvor. „Mach schon!“

Mit zwei Bissen verschlang er das Gemüse und griff schnell zum Speck, ehe sie ihm noch mehr Gesundes andrehen konnte. Schweigend sah sie ihm beim Essen zu.

„Und du?“

„Ich habe vorhin ein Omelett mit Spinat gegessen.“

Was hatte Spinat denn in einem Omelett verloren?

„Du hast eine schöne Wohnung“, bemerkte er, krampfhaft bemüht, sie irgendwie abzulenken, damit sie nicht wieder von dem vergangenen Abend anfing.

„Danke. Ich habe es meinen Siegen bei den Modelwettbewerben zu verdanken, dass ich umsonst aufs College gehen konnte. Meine Eltern haben mir deshalb das Geld, das sie für meine Ausbildung gespart hatten, für meine Wohnung gegeben.“

„Modelwettbewerbe? Du warst die Schönste in deiner Stadt?“ Mit ihrer Figur konnte sie auf jeden Fall viel Geld verdienen, da war sich Devin sicher.

„Nein, eher Miss America.“

Oha. Sie war eine Schönheitskönigin, und er war ein Meisterschütze. Na toll, super Kombination. „Du hast eine ganze Menge Rosen hier in deiner Wohnung.“

„Vergiss es, Devin, du wirst es nicht schaffen, von gestern Abend abzulenken.“

„Einen Versuch war’s wert.“

„Fangen wir mit einer ganz leichten Frage an. Wie ist das mit deinem Kopf passiert?“

Er schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung.“

„Okay, das war kein guter Anfang.“

„Meine Erinnerung ist ziemlich verschwommen.“

„Das glaube ich dir gern. Was ist denn das Letzte, an das du dich noch klar erinnerst?“

Angestrengt dachte er nach. „Ich habe meinen Anzug in der Reinigung abgeholt.“ Meinen einzigen Anzug, fügte er im Stillen hinzu.

„Du wolltest also doch zur Hochzeit kommen.“ Erstaunt sah sie ihn an.

„Na klar, ich war schließlich eingeladen.“

„Stimmt. Was geschah nach der Reinigung?“

„Ich war eine Weile bei mir zu Hause, dann habe ich den Ventilator meiner Nachbarin repariert. Irgendwann bin ich in die Bar um die Ecke von mir, um mir Fußball anzuschauen.“

„Hast du mit jemandem Streit angefangen?“

„Nein, ich …“ Er konnte sich noch daran erinnern, dass ein völlig unwichtiges Spiel gelaufen war, aber was danach passiert war, davon hatte er nicht den blassesten Schimmer.

„Versuch, es dir bildlich vorzustellen.“

Auf einmal fiel ihm der stechende Schmerz am Hinterkopf ein, den er irgendwann verspürt hatte. Allein die Erinnerung daran ließ ihn zusammenzucken.

Calla glitt vom Barhocker hinunter. „Nimm doch eine deiner Schmerztabletten. Jetzt, wo du was gegessen hast, kannst du sicher …“

„Was für Schmerztabletten?“

„Die dir der Arzt in der Notaufnahme empfohlen hat, die du dir aber nicht besorgt hast, weil du deinen Schmerz lieber in Whiskey ertränken wolltest.“ Sie sah ihn missbilligend an. „Ich habe die Pillen in der Apotheke geholt.“

Er packte sie am Handgelenk, als sie losgehen wollte, um die Tabletten zu holen. „Danke, dass du sie besorgt hast. Ich gebe dir natürlich das Geld zurück.“ In dem Moment, als ihm bewusst wurde, dass er sie berührte, verspürte er eine Hitzewelle in sich aufsteigen. Sofort ließ er sie los und griff stattdessen nach der Kaffeetasse.

Als sie sich wieder auf den Hocker setzte, konnte er durch den Spalt ihres Bademantels ihren Oberschenkel sehen. „Das wird eine große Rechnung“, stellte Calla nüchtern fest.

Rechnung? „Ich habe meine Rechnung in der Bar bezahlt und bin gegangen. Ich wollte zu mir nach Hause gehen, aber ich habe …“ Devin hielt kurz inne, bevor er weitersprach. „Ich habe etwas gesehen.“

„Was?“, fragte sie gespannt. „War es jemand, den du kanntest?“

Automatisch schüttelte er den Kopf. Nein, er hatte mit niemandem gesprochen. Daran würde er sich gewiss erinnern. Mist, womöglich war er ja auch nur gestolpert und hatte sich den Kopf aufgeschlagen.

Aber so etwas hätte ihn doch nicht dazu verleitet, im O’Leary’s seine Sorgen zu ertränken!

„Jemand hat dich geschlagen“, unterbrach sie seine Gedanken.

Erschrocken blickte er sie an. „Woher weißt du …?“

„Das hast du mir gestern Abend erzählt. Außerdem hast du immer wieder was von den Yankees gefaselt. Aber wer würde einen Polizisten schlagen?“

Devin zuckte mit den Achseln. Er hatte zwar noch ein paar ausstehende Fälle auf seinem Schreibtisch, doch es war nichts dabei, was rechtfertigen würde, einen Polizisten zu vermöbeln. Und es war Jahre her, dass er den Fehler begangen hatte, mit einer verheirateten Frau zu schlafen.

Aber irgendetwas … Er war hinter jemandem hergerannt, nachdem er in der Bar gewesen war. Ein kleiner dunkelhaariger Typ mit einer Baseballkappe und einem Mantel tauchte vor seinem inneren Auge auf. Er erzählte es Calla.

„Wieso ist er weggerannt?“

„Er hat was geklaut.“

„Woher weißt du das?“

„Er ist schließlich weggerannt.“ Aber woher hatte der Mann gewusst, dass Devin Polizist war? Er hatte doch keine Uniform getragen. Oder hatte er das vielleicht gar nicht gewusst?

„Er hatte eine rote Handtasche bei sich“, fiel ihm plötzlich wieder ein. „Ich war sauer, weil ich ihn verfolgen musste, denn ich wusste, dass ich zu spät zur Hochzeit kommen würde, wenn ich ihn festnehmen musste.“

Und er hatte gewusst, dass Calla wütend sein würde. Außerdem hatte er sie unbedingt in ihrem Brautjungfernkleid sehen wollen.

„Hast du ihn erwischt?“

„Das weiß ich nicht mehr.“

„In dem Moment hat dich also jemand geschlagen.“

„Vermutlich.“

„Ziemlich sicher. Der Krankenwagen hat dich und einen anderen Mann angeblich aufgelesen.“ Als er sie fragend ansah, fügte sie hinzu: „Nachdem du gestern eingeschlafen bist, habe ich ein paar Anrufe gemacht.“

Irgendwie erinnerte Devin sich an eine Fahrt im Krankenwagen, an Sanitäter, die sich Anweisungen zuriefen, an Sirenengeheul und Blaulicht. Er konnte sich auch noch ziemlich gut an das Gesicht des Handtaschendiebs erinnern. Komischerweise wusste er aber leider überhaupt nicht mehr, wie Calla in ihrem Kleid ausgesehen hatte.

„Ich habe den Krankenwagen angerufen“, sagte er langsam und stand auf, um im Wohnzimmer hin und her zu gehen. So konnte er besser denken. „Als ich aufwachte, lag der Verdächtige bewusstlos zusammengeschlagen neben mir. Wir waren allein.“

Sie neigte nachdenklich den Kopf zur Seite. „Dich hat also jemand zusammengeschlagen, ist anschließend dem Dieb hinterhergerannt, hat ihn auch angegriffen und schließlich neben dich gezerrt. Dann hat der Angreifer euch beide dort liegen gelassen und sich aus dem Staub gemacht.“

Die Tatsache, dass sie keinen Moment lang gedacht hatte, dass er den Verdächtigen geschlagen haben könnte, überraschte ihn. Irgendwie hatte das etwas Liebenswertes an sich.

„Das klingt alles recht unwahrscheinlich“, meinte er.

„Es scheint mir aber die einzig mögliche Erklärung zu sein. Umgekehrt erklärt das auch …“ Calla hielt inne und sah Devin an.

„Warum ich suspendiert wurde?“

„Daran erinnerst du dich also noch?“

„Langsam wird mir so einiges klar. Woher aber weißt du das? Hast du bei mir auf der Wache angerufen?“

„Ich bin zu Lieutenant Meyer gegangen, als du nicht auf der Hochzeit erschienen bist. Der hat gemeint, du wärst eventuell in der Bar.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Glaubt er wirklich, dass du erst einen Verdächtigen und dann dich selbst zusammenschlägst?“

„Keine Ahnung, was er denkt. Aber da der Handtaschendieb das der Polizei erzählt hat, wurde ich, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind, vorläufig suspendiert.“

Ihr fiel die Kinnlade hinunter. „Der Dieb hat der Polizei erzählt, du hättest ihn zusammengeschlagen?“

„Ja.“

„Aber du warst doch auch verletzt. Wer ermittelt denn in deinem Fall?“

„Ich glaube kaum, dass ihnen das im Moment so wichtig ist.“

3. KAPITEL

Wütend schrubbte Calla die Bratpfanne. „Das ist doch unglaublich! Meyer glaubt also einem dahergelaufenen Handtaschendieb eher als einem seiner eigenen Detectives.“

„Nein, vermutlich nicht. Aber sie müssen der Sache nachgehen.“ Immer noch lief Devin im Wohnzimmer auf und ab. „Du musst zugeben, die ganze Sache ist recht merkwürdig. Der Verdächtige, der übrigens als Zeuge vernommen wird, gibt an, dass ich grundlos hinter ihm hergerannt wäre und mich in der Gasse hinter dem Haus auf ihn gestürzt hätte. Eine Handtasche wurde bei ihm offensichtlich nicht gefunden. Er hatte nur seinen eigenen Geldbeutel in der Hosentasche.“

„Also hat derjenige, der euch beide niedergeschlagen hat, die Handtasche mitgenommen.“

„Ja, das könnte gut sein. Aber wenn der mysteriöse Angreifer nicht auftaucht, müssen sie die Ermittlungen gegen mich einleiten. Bis dahin bin ich der Verdächtige und kann nicht arbeiten.“

„Aber Meyer sollte zu dir halten.“

„Er muss unparteiisch bleiben. Korrupte Polizisten sind eine ernste Sache. Bestimmt wird das Dezernat für interne Ermittlungen bald bei mir vor der Tür stehen.“

Calla stellte das restliche Geschirr in die Spülmaschine und schlug die Tür zu. „Womöglich hatte der Dieb ja einen Partner, der die Beute nicht teilen wollte, deshalb seinen Kumpel niedergeschlagen hat und danach abgehauen ist.“

„Viel Aufwand für eine Handtasche, findest du nicht?“

Sie ließ sich aufs Sofa fallen. „Bist du sicher, dass die Handtasche nicht dort war, als du wieder zu dir gekommen bist?“

„Ziemlich sicher. Allerdings war ich ziemlich angeschlagen.“

„Trotzdem hast du es geschafft, um Hilfe zu rufen.“

„Ja, und das ist genau das, was die Geschichte dieses Typen so unglaubwürdig macht. Ich habe den Krankenwagen gerufen. Warum sollte ich das tun, wenn ich den Kerl zuvor angeblich niedergeschlagen habe?“

„Das ergibt doch alles keinen Sinn. Wir müssen dir einen Anwalt besorgen.“ Calla griff zum Telefon, das vor ihr auf dem Couchtisch lag. „Ich rufe Victoria an. Ihr Dad kennt bestimmt jemanden.“

„Wir?“ Devin blieb stehen und schüttelte den Kopf, was ihm anscheinend wehtat, denn er zuckte zusammen und hielt sich die Schläfen. „Ich bin dir dankbar für alles, was du gestern Abend für mich getan hast. Aber ab jetzt mache ich allein weiter.“

„Nein, ich lasse dich nicht im Stich wie deine Kollegen bei der Polizei. Du brauchst Hilfe.“

„Ich kann mich gut um mich selbst kümmern.“ Dann fügte er leise hinzu. „Ich brauche deine Freundinnen nicht.“

„Lass uns dir doch helfen! Das ist das Mindeste, was wir tun können, nach dem, was du für uns getan hast.“

Devin sah sie mit zusammengekniffen Augen an. „Danke, nicht nötig.“ Mit ein paar Schritten war er an der Wohnungstür.

Du meine Güte, wie stur er doch war! „Bitte, bleib.“

„Nein.“

„Ertränk deinen Kummer aber nicht wieder in Whiskey.“

„Den rühre ich bestimmt eine Weile lang nicht mehr an.“

„Gute Idee. Aber du kannst doch jetzt nicht einfach nach Hause gehen! Jemand hat versucht, dich umzubringen.“

„Übertreib mal nicht. Ich habe nur eine Beule am Kopf.“

„Der Täter und der Kerl, hinter dem du her warst, rennen irgendwo da draußen rum. Was ist, wenn sie hinter dir her sind?“

Devin legte seine Hand an seinen Gürtel, dort, wo sich normalerweise das Halfter mit seiner Waffe befand. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er nicht gerade erbaut, dass sie nicht mehr da war.

„Wir Normalbürger tragen keine Waffen“, erinnerte sie ihn scherzend.

„Sie haben mir auch die Dienstmarke abgenommen“, sagte Devin langsam. Er war kreidebleich. Calla konnte nur erahnen, was für ein Schock das für ihn sein musste, denn sein Beruf bedeutete ihm alles.

Sie wusste, dass er sie vermutlich zurückweisen würde, dennoch nahm sie seine Hand. „Das tut mir leid. Ich werde dir helfen, sie zurückzubekommen.“

Verwundert blickte er auf ihrer beiden Hände. „Danke für das Angebot, aber ich muss das allein hinkriegen.“

„Warum?“

Er sah ihr in die Augen. „Das ist mein Problem.“

„Weißt du, es ist keine Schwäche, wenn man Hilfe von einer Freundin annimmt“, erwiderte sie in sanftem Ton. Sie spürte, dass er am liebsten davongerannt wäre. „Und wir sind doch Freunde, oder nicht?“

Seine grünen Augen leuchteten.

Callas Freundinnen fanden, dass er zwar umwerfend aussah, sich aber irgendwie finster und wild gab. Sie hingegen sah in ihm eher den verletzten, einsamen Wolf. Obwohl er mit ihr in der Regel nur über allgemeine Dinge sprach, spürte sie, dass unter der rauen Oberfläche tiefere Gefühle lauerten.

Gefühle, die er um jeden Preis zu verleugnen schien.

„Ich denke schon“, beantwortete er endlich nach langem Schweigen ihre Frage. „Sind wir eigentlich mehr als nur Freunde?“

Ihr Herz machte einen Sprung. „Wie bitte?“

„Wir haben doch nicht …“ Verlegen trat er von einem Bein aufs andere. Vermutlich merkte er nicht mal, dass er immer noch ihre Hand hielt und mit seinem Daumen ihren Handrücken streichelte. „Ich meine, es ist doch nichts … Wir haben doch nichts gemacht gestern Nacht, oder?“

Devin hatte zwar ein paar Mal versucht, sie anzumachen, aber zu mehr als ungeschicktem Grapschen war es nicht gekommen. Und das bedeutete nichts. Calla beschloss, sich dumm zu stellen. „Was meinst du damit?“

„Ich bin nackt aufgewacht.“

Sie errötete. „Ich dachte, es wäre für dich bequemer ohne Klamotten.“ Sie hatte unter dem schwarzen T-Shirt und der Jeans eigentlich Unterwäsche erwartet, aber … Lange hatte sie jedoch nicht hingesehen. Calla räusperte sich. „Ich wusste ja nicht, dass du nichts …“ Verlegen drehte sie sich weg. „Trägst du nie was …?“

„Doch. Aber ich muss Wäsche waschen.“

„Aha. Und was ist das für eine Narbe an deiner Hüfte?“

„Ich bin in eine Messerstecherei geraten.“ Beiläufig, als würde er in einem Restaurant etwas zu essen bestellen, erzählte er ihr die Geschichte. Dabei streichelte er weiter ihre Hand. Langsam näherte sie sich ihm. Ja, er war eindeutig verletzt, verwirrt und schwach, auch wenn er das nicht zugeben wollte. Es wäre absolut nicht richtig, diese Situation auszunützen.

Und doch flüsterte Calla eine innere Stimme zu, dass dies möglicherweise die einzige Gelegenheit sein würde, mehr von ihm zu bekommen. Seit sechs Monaten war sie in ihn verknallt, und er würde ganz bestimmt nicht den ersten Schritt machen, das wusste sie. Doch tief in seinem Innern, das spürte sie, wollte er sie genauso sehr wie sie ihn.

Als Texanerin war es ganz normal für sie, sich mit Entschlossenheit das zu holen, was sie wollte. Ehe sich ihr Gewissen melden konnte und er auch nur die Gelegenheit hatte, sie wegzuschubsen, schlang sie die Arme um seinen Hals und presste ihre Lippen auf seinen Mund.

Und es lohnte sich. Devin drängte sich begierig an sie und erwiderte ihren Kuss mit überraschender Leidenschaft. Ihre Sinne fingen Feuer, und seine Küsse fachten die auflodernden Flammen der Lust in ihr noch mehr an. Endlich!

Die Hitze und Begierde, die er ausstrahlte, raubten ihr beinahe den Atem. Seine Berührungen wurden zärtlicher. Erst streichelte er ihren Rücken, dann ließ er eine Hand über ihre Hüfte nach unten gleiten. Wenn er ihren Bademantel öffnete, würde sie nur im Höschen vor ihm stehen. Doch Devin schien viel mehr an ihrem Mund interessiert zu sein.

Wie oft war sie schweißgebadet mitten in der Nacht aufgewacht – mit dem Gefühl, als läge er neben ihr? So intensiv hatte sie ihn gespürt, dass sie sogar den Duft seines Rasierwassers wahrnahm. Aber das Bett neben ihr war immer leer, und eine unerträgliche Sehnsucht zehrte an ihr.

Es war jedes Mal so enttäuschend gewesen, doch sie hatte die Hoffnung auf die Erfüllung ihrer Fantasien nie aufgegeben. Und jetzt waren ihre Träume endlich wahr geworden.

Hatte Devin dasselbe für sie empfunden, sich womöglich auch nach ihrer Nähe gesehnt? Würden sie unter Umständen sogar wirklich zusammenkommen?

Plötzlich stieß er sie grob von sich. Als Calla überrascht die Augen aufriss, sah sie ein leidenschaftliches Feuer in seinem Blick. Dann wandte er sich abrupt von ihr ab und eilte mit schnellen Schritten zur Haustür, die gleich danach krachend hinter ihm ins Schloss fiel.

Wie angewurzelt blieb sie lange Zeit stehen. Langsam beruhigte sich ihr Atem. So viele Fragen wirbelten ihr durch den Kopf, denn sie wusste nun, dass er sie auch begehrte, sich aber mit aller Kraft dagegen wehrte. Doch sie würde den Grund schon noch herausfinden. So leicht ließ sie sich nicht abschütteln.

„Okay, Mädels. Ich habe ein ernstes Problem.“ Calla saß an ihrem Laptop und war mit ihren beiden besten Freundinnen per Skype verbunden.

„Lass mich raten“, meinte Victoria und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee. „Antonio hat schlechte Laune und will nicht so, wie du es gern hättest.“

Shelby, hinter deren Rücken die Schweizer Berge in all ihrer Pracht zu sehen waren, runzelte die Stirn und sah Calla besorgt an. „Ist alles in Ordnung mit Devin? Warum war er nicht auf der Hochzeit?“

„Oh, Leute, hier herrscht totales Chaos.“ Schnell erzählte Calla ihren Freundinnen, was geschehen war – von der Körperverletzung bis hin zu Devins Suspendierung. „Wir müssen ihm unbedingt helfen.“

„Natürlich“, pflichtete Shelby ihr bei, ohne auch nur einen Moment zu zögern.

„Will er denn, dass wir ihm helfen?“, gab Victoria zu bedenken. „Er scheint mir nicht gerade der hilfsbedürftige Typ zu sein.“

„Er braucht uns“, erwiderte Calla, obwohl sie wusste, dass Victoria vermutlich recht hatte. „Vor ein paar Minuten ist er zwar Hals über Kopf hier rausgestürmt, aber das lag wahrscheinlich daran, dass ich ihn geküsst habe.“ Sie schlug die Augen nieder.

„Was? Du hast ihn geküsst?“, rief Shelby überrascht.

„Wurde auch Zeit“, bemerkte Victoria trocken.

„Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sich nicht mehr daran erinnern konnte, ob wir miteinander geschlafen haben oder nicht. Er hielt meine Hand, und da überkam es mich plötzlich …“

„Moment mal”, unterbrach Victoria. „Er wusste nicht mehr, ob ihr Sex hattet?“

„Er war ziemlich betrunken gestern Abend. Aber darum geht es gar nicht. Ich habe ihn geküsst. Zuerst hat er den Kuss erwidert, und es schien ihm auch zu gefallen. Aber dann ist er plötzlich zur Tür herausgestürmt.“

Victoria schüttelte den Kopf. „Ich hab’s ja immer gesagt, Devin ist total verkorkst.“

„Das hilft jetzt auch nicht weiter”, mischte sich Shelby ein. „Er ist völlig durcheinander. Deshalb hat er dich auch weggestoßen. Wenn du ihm helfen willst, darfst du nicht aufgeben. Du musst dranbleiben. Stell dir vor, es würde um ein Exklusivinterview gehen, das du unbedingt führen willst.“

„Da geb ich dir recht“, stimmte Victoria zu.

„Na ja, sehr ermutigend war seine Reaktion nicht“, murmelte Calla.

„Aber er will dich. Das sieht jeder. Dein Timing war nur nicht so gut“, bemerkte Shelby aufmunternd.

„Gestern Abend, als er betrunken war, hat er mich ständig angemacht, aber das zählt vermutlich nicht.“

„Natürlich zählt das. Der Alkohol hat seine Hemmschwelle gesenkt, und er hat rein instinktiv gehandelt. Du musst hartnäckig bleiben. Wenn ich aus der Schweiz zurückkomme, lassen wir uns was einfallen.“

Calla war froh, dass sie ihre Freundinnen angerufen hatte. Sie fühlte sich schon viel besser. „Das wäre toll, wenn ihr mir helfen würdet. Er wird einen guten Anwalt brauchen. Victoria, kannst du mit deinem Dad reden, damit er uns jemanden empfiehlt?“

„Klar, aber ein guter Anwalt ist teuer.“

„Oje, ich glaube nicht, dass Devin sich das leisten kann.“ Calla klang bedrückt.

„Was ist mit dem Kerl, mit dem du letztes Jahr auf Victorias Weihnachtsfeier warst?“, wollte Shelby wissen.

„Howard? Ich weiß nicht so recht. Er hat mir bereits beim zweiten Date einen Heiratsantrag gemacht. Es hat lange gedauert, bis ich ihn abschütteln konnte.“

„Apropos Heiratsantrag“, Shelby grinste. „Wie läuft’s denn bei dir und Jared so, Victoria?“

„Gut. Aber keine Heiratsanträge. Darüber sind wir uns einig.“

Am langen Labor-Day-Wochenende hatte Victoria einen Abenteurer aus Montana kennenlernt, und die beiden hatten sich Hals über Kopf ineinander verliebt. Obwohl sie völlig verrückt nach ihm war, hatte sie Angst, ihre Unabhängigkeit zu verlieren, und wehrte sich mit aller Kraft gegen eine feste Beziehung.

„Kennt Jared irgendwelche Rechtsanwälte?“, wollte Calla wissen.

„Nein, ich glaube nicht.“

„Womit wir wieder bei Detective Devin Antonio wären“, seufzte Shelby. „Hat seine Suspendierung etwas mit den Problemen von vor ein paar Jahren zu tun?“

„Keine Ahnung.“

„Das wirst du ihn fragen müssen“, erinnerte sie Victoria.

„Ja, ja, mach ich.“ Calla war nicht begeistert darüber, aber wenn sie ihm helfen wollte, gab es keinen anderen Weg.

„Zunächst müssen wir wissen, wie schwerwiegend die Anklage gegen ihn ist“, meinte Shelby in sachlichem Ton.

„Und wer ist dieser Zeuge, der ihn der Körperverletzung bezichtigt?“, fragte Victoria. „Devin ist vielleicht launisch, aber er würde nie irgendeinen Fremden zusammenschlagen.“

„Die Polizei lässt nichts raus.“ Irgendwie, das wusste Calla, mussten sie mehr herausfinden, wenn ein Anwalt Devin helfen sollte. Allerdings war er auch noch nicht angeklagt worden. Vielleicht war alles gar nicht so schlimm. „Devin glaubt, dass sein Chef zwar auf seiner Seite ist, er aber den offiziellen Weg einhalten muss. Sie haben ihm seine Dienstmarke abgenommen. Wie erniedrigend!“

Calla hatte auf einmal einen Kloß im Hals.

„Hat er denn Freunde bei der Polizei? Jemanden, der wirklich zu ihm hält? Wir brauchen einen Insider.“

„Das werde ich ihn fragen, sobald ich ihn finde“, antwortete Calla.

Victoria stöhnte. „Geh du ihn ja nicht suchen. Er muss auf dich zukommen.“

„Mädels, ich muss los. Mein Gatte wartet auf mich. Und Trevor ist zwar sehr geduldig, aber irgendwann hat auch er genug von Frauengesprächen.“

„Danke euch beiden für die aufmunternden Worte.“

„Richte Devin einen schönen Gruß aus. Ich koche ihm was Leckeres, wenn ich wieder zurück bin“, sagte Shelby augenzwinkernd.

„Und wenn Devin genug von der Polizeiarbeit haben sollte, bin ich mir sicher, dass Jared ihn sofort in seiner Firma anstellen würde“, fügte Victoria in aufmunterndem Ton hinzu.

„Ihr beide seid die besten Freundinnen, die man sich wünschen kann. Nächste Woche lade ich euch zum Kaffee ein, ja?“

„Super, wir sehen uns die Hochzeitsfotos an und denken darüber nach, wie wir einem Freund aus der Klemme helfen können. Das hört sich doch gut an. Bis später“, verabschiedete sich Victoria von den beiden anderen.

Calla legte auf und lehnte sich auf dem Sofa zurück. Sie und ihre Freundinnen hatten schon so einiges zusammen hinbekommen. Da konnte es doch wohl nicht so schwer sein, die Polizei von Devins Unschuld zu überzeugen. Oder?

Aber wem wollte sie hier eigentlich etwas vormachen? Seit Monaten lebte sie in einer Fantasiewelt, was Devin betraf. Seine merkwürdige SMS und der impulsive Kuss heute Morgen waren der einzige Beweis dafür, dass auch er an ihr interessiert war.

Vielleicht hatte er ja recht. Sie sollte ihn vermutlich einfach in Ruhe lassen und sich nicht in seine Angelegenheiten mischen. Er konnte sich wahrscheinlich selbst am besten helfen.

Frustriert stand Calla auf. Sie brauchte jetzt eine große Tasse Tee.

Auf dem Weg in die Küche blieb ihr Blick an der Medikamentenpackung hängen, die auf dem Tisch neben der Wohnungstür stand. Devins Schmerzmittel.

Victoria lag offensichtlich richtig mit ihrer Einschätzung. Er würde wiederkommen.

4. KAPITEL

Devin stand vor Callas Wohnungstür und trat unsicher von einem Fuß auf den anderen. Was war eigentlich mit ihm los? Er war doch sonst nicht so unentschlossen.

Die Kopfverletzung war eine schwache Ausrede, und er wollte auch nicht jammern, weil er vorübergehend suspendiert worden war. Die Tatsache, dass ihn der Kuss einer schönen Frau überwältigt hatte, war einfach nur peinlich.

Was blieb dann noch übrig? Bedauern?

Nein, das konnte nicht der Grund für seine Nervosität sein. Er hatte bisher immer nach dem Motto gehandelt: Was passiert ist, ist passiert, man kann es sowieso nicht ändern. Das Leben geht weiter.

Doch er konnte Callas Berührungen nicht vergessen, und ihr Duft hing noch immer in der Luft. Er sehnte sich nach der Geborgenheit, die er in ihren Armen empfunden hatte. Zu gern hätte er sich unter kühlen Laken an sie gekuschelt und ihren Atem auf seiner Haut verspürt.

Aber sie war viel zu perfekt für ihn. Devin hatte eine eher dunkle Vergangenheit und wollte sie nicht verderben. Sie war in einer heilen Welt aufgewachsen, hatte immer genug zu essen gehabt und nie frieren müssen. Ihren Vater stellte er sich als großen, starken Mann mit Cowboyhut vor, der stolz auf seine Tochter war, die schon so viele Modelwettbewerbe gewonnen hatte.

Sein Vater hingegen hatte wegen bewaffneten Raubüberfalls lange Zeit im Gefängnis gesessen. Vor etwa acht Jahren hatte er 400 Dollar von Devin geschnorrt und war seither wie vom Erdboden verschluckt.

Devin lehnte sich an die Wand. Schon einmal hatte er dummerweise seinem Verlangen nachgegeben, und dabei war nichts Gutes herausgekommen.

Sein Kopf hämmerte. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ausnahmsweise brauchte er jetzt mal jemanden, mit dem er seine Last teilen konnte. Calla. Vorsichtig klopfte er.

Mit einer Jeans und einem grauen Pulli bekleidet, öffnete sie die Tür und blickte ihn nur finster an.

„Ich hätte nicht einfach gehen sollen“, stammelte er verlegen.

Calla zog die Augenbrauen hoch. „Das ist ja beinahe eine Entschuldigung.“

Oje, hatte er sich ihr gegenüber wirklich so idiotisch verhalten? Unsicher sah er sie an. „Tut mir leid. Ich habe mich … Ich find’s schön, dass du mir helfen willst.“

„Aha. Hast du dich womöglich auch ganz plötzlich daran erinnert, dass ich deine Schmerztabletten habe?“

Devin zuckte zusammen. „Ja, das auch.“

Sie schwieg kurz, trat dann einen Schritt zurück und forderte ihn auf reinzukommen.

„Ich schulde dir noch was für gestern Abend.“ Er schloss die Tür hinter sich.

„Ach was, du hast uns auch oft geholfen. Ich würde sagen, wir sind quitt.“ Calla nahm zwei Tabletten aus der Packung, füllte ein Glas mit Wasser und hielt ihm beides hin.

Dankbar nahm er die Pillen und schluckte sie hinunter. Sie würden ihn zwar etwas benebelt machen, aber alles war besser als der Presslufthammer, der schon den ganzen Morgen erbarmungslos in seinem Kopf dröhnte.

Calla setzte sich aufs Sofa und nahm einen Notizblock in die Hand. „Also, wer will dir was anhaben?“

„Wer nicht, wäre eine bessere Frage. Ich habe in den letzten fünfzehn Jahren viele Leute festgenommen.“ Devin nahm neben ihr Platz.

Ungeduldig verdrehte sie die Augen. „Ich brauche Einzelheiten. Namen, Daten, genauere Umstände.“

„Das würde Tage dauern, bis ich dir das alles erzählt habe.“

„Hast du etwas Besseres vor?“

Er schielte zu dem Notizblock hinüber. Sie hatte dort in chronologischer Reihenfolge alles aufgeschrieben, was er ihr von letzter Nacht erzählt hatte. „So etwas machen normalerweise nur Polizisten, wenn sie einen Fall lösen wollen.“

„Autoren machen das auch. Schieß los.“

„Ich war bei Hunderten, wenn nicht sogar Tausenden von Festnahmen dabei. Dazu müsste ich die Akten einsehen.“

„Wie hoch sind die Chancen, dass Meyer dir darin Einsicht gewährt?“

„Gleich null.“

„Du hast doch bestimmt Freunde bei der Polizei, die dir Insiderinformationen zu deinem Fall geben können, oder?“

Langsam schüttelte er den Kopf. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand seinen Job für mich riskieren würde. Darum würde ich auch niemanden bitten.“

„Du hast also keine Freunde“, stellte sie nüchtern fest.

„Nicht jeder ist so vertraut wie du mit deiner Gang.“ Er lächelte spöttisch.

„Wir sind keine Gang. Mach dich nicht lustig über uns. Du wirst schon sehen, du wirst uns in den nächsten Wochen noch brauchen.“

Was meinte sie mit Wochen? Bereits in den paar Stunden, die er mit Calla allein verbracht hatte, war sein Entschluss, sich von ihr fernzuhalten, ins Wanken geraten. Wie sollte er es dann erst wochenlang aushalten?

Vielleicht bewertete er das mit ihr ja auch über. In den letzten Wochen hatte er beinahe pausenlos gearbeitet. Vermutlich brauchte er nur … Kameradschaft. Sollte er seinen Trieben nachgeben, damit er klarer denken konnte? Aber …

„Hey, kannst du mir noch folgen, oder träumst du?“ Calla wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht hin und her.

„Keine Sorge, die ganze Sache wird sich in ein paar Tagen aufklären. Diesem Zeugen wird sowieso niemand glauben.“ Was vermutlich gut war, denn Devins Weste war nicht gerade blütenweiß. „Sie müssen eindeutige Beweise finden, und das werden sie nicht. Denn ich habe den Kerl nicht angerührt.“

„Meinst du Beweise wie die Kratzer auf deinen Fingerknöcheln?“

Erschrocken sah er auf seine rechte Hand. „Die habe ich noch gar nicht bemerkt.“

„Kein Wunder, du bist ja auch völlig durcheinander.“

„Nein, das hätte mir doch auffallen müssen. Warum habe ich das nicht gesehen?“

„Der Arzt meinte, der Schlag auf deinen Kopf hätte ein paar Nebenwirkungen. Schock und Verwirrtheit hat er dabei zuerst erwähnt. Ist dir auch schwindlig? Vermutlich solltest du dich eine Weile hinlegen. Wir können auch später weiterreden.“

„Mir ist nicht schwindlig“, brummte Devin. Er wollte von Calla nicht wie ein kleines Kind oder, noch schlimmer, wie ein Opfer behandelt werden.

Alle Fehler aus seiner Vergangenheit rächten sich nun. Seine Akte hatte bereits einen großen Schandfleck. Dass sein Chef wieder zu ihm halten würde, war eher unwahrscheinlich.

Wütend und beschämt stand er auf, geriet aber ins Schwanken und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Sofort stand sie neben ihm und legte ihm den Arm um die Taille. „Ich habe dich.“

Wehrlos ließ Devin es geschehen, schloss die Augen und ließ sich wieder aufs Sofa fallen.

„Du wirst dich irgendwann an alles erinnern“, beruhigte ihn Calla, setzte sich neben ihn und nahm seine Hand in ihre. „Manche Leute, die schwer traumatisiert sind, erinnern sich allerdings …“

„Ich bin nicht traumatisiert.“

„Wie du meinst.“

Toll, was war nur passiert? Er erinnerte sich noch, wie er ihr gestern im Taxi die Hand zwischen die Oberschenkel geschoben hatte und wie sie ihn von sich geschoben hatte. Er hatte sich wie ein Idiot benommen. Es war vermutlich besser, wenn er sofort gehen würde, bevor er sich hier noch lächerlicher machte.

Als sie ihm sanft mit dem Daumen über den Handrücken strich, erregte ihn das allerdings bereits über alle Maßen. Oh, nein, das durfte doch wohl nicht wahr sein!

„Möchtest du dich hinlegen oder lieber weiter über das reden, was gestern passiert ist?“, fragte sie mit leiser Stimme.

„Lieber reden“, sagte er schnell. Wenn er sich hinlegte, bedeutete das ein Bett, kühle Laken und …

„Ich muss das so schnell wie möglich aufklären, damit ich wieder in mein normales Leben zurückkehren kann.“

Ihre Blicke trafen sich. Callas Augen waren strahlend und schön. Sie war ein so guter Mensch, und er hatte ihre Loyalität nicht verdient.

„Irgendwie gefällt es mir, dass du mir ausgeliefert bist“, meinte sie und zwinkerte ihm zu.

„Ich mag es nicht, auf jemanden angewiesen zu sein.“

„Ach, wirklich?“ Das war eindeutig ironisch gemeint. Sie sah auf seine Hände hinab, nahm den Notizblock und setzte sich auf einen Barhocker in die andere Ecke des Zimmers. „Der Kerl, der dich geschlagen hat, will, dass du wegen Körperverletzung angeklagt, aus dem Dienst entlassen wirst und womöglich noch ins Gefängnis kommst. Gibt es jemanden aus deiner Vergangenheit, der dafür infrage kommen würde?“

„Na ja, diejenigen, die ich festgenommen habe, waren nicht gerade begeistert darüber.“

„Gut, sie waren in diesem Moment sauer. Aber das hier ist was ganz anderes. Das ist eiskalte, brutale Rache. Jemand hat diese Sache geplant.“ Calla sah ihn besorgt an. „Der oder die Täter haben sie sorgfältig vorbereitet, vielleicht schon seit längerem. Dein Job wurde gegen dich verwendet.“

Offensichtlich begannen die Tabletten zu wirken, denn Devin wusste auf einmal überhaupt nicht mehr, worauf sie hinauswollte. „Wie meinst du das?“

„Na ja, der falsche Dieb und der Angreifer haben dafür gesorgt, dass du deine Pflicht erfüllst, und haben dich dafür büßen lassen, so wie Kriminelle für etwas büßen müssen. Das ist doch irgendwie symbolisch.“

„Die meisten Verurteilten denken aber nicht so weit. Die wollen sich schnell rächen. Du dramatisierst das viel zu sehr.“

„Vermutlich hast du recht“, gab Calla zu. „Da geht wohl die Fantasie etwas mit mir durch. Typisch Autorin eben.“

„Du schreibst Reiseberichte, keine Krimis.“ So leicht konnte er aber den Gedanken, dass das Ganze möglicherweise ein abgekartetes Spiel war, nicht abtun. „Du meinst also, dieser Kerl tut so, als wäre er ein Taschendieb, und rennt an mir vorbei. Aber woher wusste er, dass ich zu dem Zeitpunkt in dieser Bar bin? Wie konnte er so sicher sein, dass ich ihm hinterherlaufen würde?“

„Er hat dich beobachtet.“

„Das schafft niemand, ohne dass ich es merke.“

„Aber gestern warst du abgelenkt. Du hattest frei, das Fußballspiel hat dich beschäftigt, du wolltest auf die Hochzeit. Ganz alltägliche Dinge haben dich beschäftigt. Du warst nicht im Polizistenmodus.“

„Als Polizist ist man immer im Polizistenmodus. Selbst wenn man nicht im Dienst ist.“ Das Einzige, was ihn gestern wirklich abgelenkt hatte, war der Gedanke, dass er Calla sehen würde. Aber das wollte er auf keinen Fall preisgeben.

Konnte es wirklich sein, dass ihn jemand verfolgt hatte? Er hatte die letzten paar Tage sehr viel zu tun gehabt, Papierkram und Gerichtstermine. Am Donnerstag hatten sie bis spät in die Nacht eine polizeiliche Überwachung durchgeführt, und am Freitag hatten sie jemanden festgenommen. Aber sein Dienstplan war in der letzten Woche nicht viel anders gewesen als sonst. Er hätte es sicher gemerkt, wenn irgendjemand hinter ihm her gewesen wäre.

„Komm, wir fangen mit den potenziellen Tätern an.“ Calla schrieb etwas auf ihren Notizblock. „Mit denen, die eine größere Rechnung mit dir zu begleichen hatten.“

„Nein“, Devin stand auf. Er war zwar immer noch wacklig auf den Beinen, aber er war trotzdem Polizist. Es wurde Zeit, sich auch so zu benehmen. „Wir fangen mit dem Tatort an.“

Kurze Zeit später stand Calla in einer schäbigen Gasse in Midtown und durchsuchte mit Devin Müllcontainer. Wenn der Chinese, dessen Abfall sie gerade durchwühlten, die Tür aufmachen würde, würden sie sich etwas einfallen lassen müssen.

Seit sie Devin kannte, hatte er seine Position immer dazu benutzt, den Menschen zu helfen und der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Er befand sich nun plötzlich auf der anderen Seite des Gesetzes, und sie hatte den leisen Verdacht, dass ihre Freundinnen und sie unter Umständen seine einzige Chance waren. Ob er wollte oder nicht, sie würde ihm helfen, das war sie ihm schuldig.

Devin schien völlig vergessen zu haben, dass sie auch da war. Voll konzentriert kniete er auf dem Boden und strich mit den Fingerspitzen über den Teer. „Hast du was?“, fragte Calla.

Ohne hochzuschauen, schüttelte er den Kopf. „Ich weiß noch, wie ich ihm bis hierher hinterhergerannt bin. Was danach passiert ist, keine Ahnung.“

„Also war er derjenige, der dich geschlagen hat?“

„Nein.“ Langsam richtete er sich auf. „Als ich geschlagen wurde, ist er weggelaufen.“

„Der Komplize lag also auf der Lauer und hat dir eine von hinten übergezogen.“

„Ich kann den Schlag jetzt noch spüren.“ Mit der Hand fuhr er sich über den Hinterkopf.

„Wirken die Medikamente denn nicht?“

„Doch, ich sehe dich doppelt, also müssen sie wirken.“ Obwohl er sich von ihr abwandte, hörte sie ihn noch murmeln: „Ist nicht gerade schlecht, dich doppelt zu sehen.“

Sie ignorierte das Kompliment. Wer weiß, womöglich rannte er ja sonst wieder weg, wenn sie darauf reagierte. „Und du hattest nie das Gefühl, dass jemand hinter dir her war? Eine Bewegung? Ein Schatten?“

„Nein, nichts dergleichen.“

„Weißt du noch, was dich getroffen hat? Es war ja wohl nicht nur die Hand des Typen, oder?“

„Irgendwas Hartes. Ein Baseballschläger vielleicht.“

Calla stemmte die Hände in die Hüften. „Also, da spaziert ein Kerl mit einem Baseballschläger die Ninth Avenue herunter und rennt dann in irgendeine Gasse. Und das fällt niemandem auf?“

„Es war dunkel und kalt.“ Devins Augen waren nur noch Schlitze. „Vielleicht hatte er einen Mantel an.“

„Und? Hatte er?“

„Woher soll ich das …“ Plötzlich schwieg er und legte den Kopf zur Seite. „Unter Umständen bin ich ja an jemandem vorbeigegangen, als ich aus dem Lokal kam.“

„Bist du das?“

„Ich weiß es nicht mehr.“ Irritiert drehte er sich um. „Ich war … abgelenkt.“

„Wovon denn?“

„Von dir“, stieß er seufzend hervor. „Ich wollte dich sehen.“

„Oh!“ Calla war baff. Was wäre passiert, wenn er dem Dieb nicht über den Weg gelaufen wäre? Hätten sie die Nacht vielleicht auf ganz andere Weise miteinander verbracht?

„Ich muss gehen“, brummte er, „ich brauche etwas Zeit für mich.“

Als er an ihr vorbeigehen wollte, packte sie ihn am Arm. „Du kannst nicht allein durch die Stadt laufen. Komm, ich bring dich heim.“

Devin schüttelte ihre Hand ab und ging weiter. „Ich nehme mir ein Taxi.“

Calla sah ihm nach und spürte, dass der Abstand zwischen ihnen größer war als je zuvor. Immer war er für sie und ihre Freundinnen da gewesen. Selbst wenn sie sich nicht ganz gesetzestreu verhalten hatten, hatte er zu ihnen gestanden.

Verdammt, der Kerl war so was von stur! Trotzdem folgte sie ihm zur Straße.

Auf einmal bemerkte sie an einem Busch einen Fetzen goldglänzenden Stoff. Er konnte noch nicht lange dort hängen, dem Aussehen nach. Stammte er eventuell sogar von Devins Verfolger? Aber warum sollte dieser etwas aus goldenem Stoff tragen?

Die Polizei hatte den Tatort bestimmt schon abgesucht. Dass der Stoff irgendwas mit Devins Fall zu tun hatte, war also höchst unwahrscheinlich. Dennoch stopfte sie den Fetzen in die Tasche ihrer Jeans. Vielleicht konnte ihn sich jemand bei Gelegenheit ja einmal etwas genauer anschauen.

Am Ende der Gasse wartete ein Taxi. Neben der offenen Tür stand Devin und streckte die Hand nach ihr aus. „Komm, ich lade dich zum Mittagessen ein“, schlug er vor, während sie einstiegen.

Kurze Zeit später saßen Calla und Devin bei ihm zu Hause am Küchentisch und aßen eine scharfe Salamipizza, die sie auf der Heimfahrt beim Italiener gekauft hatten.

Devins geräumige Dreizimmerwohnung befand sich im dritten Stock. Von hier aus hatte man einen schönen Ausblick auf die von Bäumen gesäumte Straße. Die Wohnung war nur spärlich eingerichtet, an den Wänden hingen ein paar Landschaftsbilder. Ein dickes Buch über Gerichtsmedizin lag aufgeschlagen auf der Couch.

„Das mit vorhin tut mir leid.“ Devin schob seinen leeren Teller von sich und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Nichts von alldem ist deine Schuld.“

„Deine aber auch nicht“, entgegnete sie.

Er schwieg.

„Unter diesen Umständen nehme ich dir deine Launen nicht übel“, fügte sie hinzu und versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. „Obwohl du auch sonst nicht besonders heiter bist.“

„Und du bist immer süß und gut gelaunt“, antwortete er und grinste sie an.

„Spar dir den Sarkasmus. Ich bin auf deiner Seite, vergiss das nicht.“

„Das war kein Sarkasmus, sondern durchaus ernst gemeint.“

„Aha, ich bin also süß, und du bist düster und grüblerisch“, lachte Calla.

Auch wenn das dumm klang, irgendwie hatte sie das Gefühl, dass genau dieser Unterschied der Grund war, warum er Abstand zu ihr hielt. „Läufst du immer vor netten Frauen weg, die dich küssen?“

Devin stand auf. „Nette Frauen küssen mich nicht.“ Schmunzelnd drehte er sich um.

„Bin ich also … etwas Besonderes?“

Wortlos räumte er das Geschirr in die Spülmaschine. „Ja“, gab er schließlich leise zu. „Aber ich finde, wir brauchen etwas Abstand.“

„Warum?“

„Weil ich nicht …“ Er hielt inne und schlug die Spülmaschine zu. „Ich fände es schön, wenn du mir hilfst. Ich habe sonst niemanden. Aber ich kann mich im Moment auf niemanden einlassen. Erst muss ich meine Dienstmarke zurückhaben. Nur das zählt für mich.“

Calla ignorierte den kleinen Stich, den ihr seine Worte versetzten. „Ich werde dir zur Seite stehen. Immer.“

„Gestern Abend …“, begann er.

„Wie viel von gestern Abend weißt du denn noch?“ Sie musterte ihn neugierig.

„Nur Bruchstücke.“ Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, dann sah Devin weg. „Ich habe dich angemacht, und du hast mich abgewiesen. Gute Entscheidung.“

„Du warst total betrunken. Ich wollte nicht, dass das ein übles Nachspiel hat. Du hättest vielleicht noch gesagt, dass du dich nur wegen des Alkohols und der Gehirnerschütterung zu mir hingezogen fühlst.“

„Glaubst du etwa, ich fühle mich zu dir hingezogen?“

„Ja.“ Davon war Calla inzwischen fest überzeugt. Obwohl er es sich nicht eingestehen wollte, wusste sie genau, dass er sie begehrte. „Sonst gibt es also niemand?“

„Ich hatte eine Menge Affären. Im Moment brauche ich nur eine gute Freundin.“

Mit diesem Satz machte er ihr höflich, aber bestimmt klar, dass romantische Gefühle für ihn derzeit nicht so wichtig waren. Irgendwie konnte Calla das verstehen, so viel war in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert.

„Du hast nicht nur eine, sondern drei gute Freundinnen.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Fünf, wenn man die Männer mitzählt.“

Seufzend verschränkte er die Arme auf der Brust. „Aber bitte sag ihnen, dass sie nichts Illegales tun dürfen.“

Sie wollte gerade widersprechen, doch Devin ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Das hier ist mein Fall. Die Polizei und ich sind zwar im Moment anderer Meinung, wer hier das Sagen hat, aber bitte haltet euch auf jeden Fall an meine Anweisungen.“ Er öffnete die Tür zur Speisekammer und begann, nach irgendetwas zu suchen. „Wir werden eine Überwachung starten. Du beobachtest den Taschendieb.“

„Sobald du weißt, wer er ist“, erwiderte sie mit deutlicher Ironie.

Als Devin sich kurz darauf zu ihr umdrehte, fuhr Calla erschrocken zusammen. In der Hand hielt er eine Pistole.

„Wo kommt denn die her?“ Sie konnte den Blick nicht von der Waffe abwenden.

„Aus meinem Safe.“ Er schob ein Magazin hinein. „Das ist eine Neun Millimeter Beretta.“

„Und was hast du damit vor?“

Devin schnallte sich ein Schulterhalfter um. „Jemand ist hinter mir her, da treffe ich Vorsichtsmaßnahmen.“

„Aber du darfst doch nicht …“, Calla verstummte, als sie seinen wütenden Blick sah. Was hatte er mit der Pistole vor? Sie räusperte sich und zwang sich weiterzureden. „Du darfst nicht mit einer Waffe in der Stadt herumspazieren.“

„Unbewaffnet laufe ich auch nicht herum.“

„Das musst du aber.“

„Waffengesetze sind im Moment nicht mein Problem.“

„Okay.“ Calla beschloss, nichts mehr zu dem Thema zu sagen. „Lass uns erst einmal deine letzten Fälle abarbeiten. Gab es jemanden, der dich direkt bedroht hat? Sobald wir mehr von der Polizei wissen, können wir hoffentlich gezielter vorgehen.“

„Und wie willst du das von der Polizei erfahren?“

„Wir werden sie einfach fragen.“

5. KAPITEL

Wie Calla es angestellt hatte, wusste Devin zwar nicht, aber sie hatte es innerhalb von wenigen Tagen geschafft, Zugriff auf geheime Akten zu bekommen und die wichtigsten von ihnen zu kopieren. Dafür war er ihr sehr dankbar.

Allerdings nur bis zu dem Moment, in dem sie seine Wohnung in einen Frauenklub verwandelt hatte. Hochzeitsfotos, Rezepte und Männergeschichten wurden ausgetauscht, was Devin bereits nach zehn Minuten zu viel wurde. Im Moment backten Shelby, Victoria und Calla Kekse in seiner Küche.

Genervt holte er sich ein Bier aus dem Kühlschrank.

„Es ist noch nicht mal vier Uhr nachmittags!“ Calla sah ihn vorwurfsvoll an.

„Ich bin nicht im Dienst“, entgegnete er und öffnete die Bierflasche ungerührt.

„Was idiotisch ist“, meldete sich Victoria zu Wort. „Ich bezahle mit meinen Steuergeldern dafür, dass gute Polizisten auf den Straßen sind.“ Sie sah die anderen finster an. „Blöde Bürokratie! Wir scheißen auf die Polizei. Es gibt bestimmt eine Anwaltskanzlei in dieser Stadt, die einen guten Ermittler braucht.“

Calla schüttelte den Kopf. „Das wäre wohl nichts für Devin. Irgendwelchen verheirateten Männern oder Frauen beim Fremdgehen hinterherzuspionieren.“

„Aber bei seiner mürrischen Art und den drohenden Blicken kommen die Leute bestimmt gleich freiwillig mit zur Gerichtsverhandlung“, lachte Shelby.

„Ihr wisst schon, dass ich auch hier bin, oder?“, unterbrach Devin die drei Frauen. „Und ich habe bereits einen Job.“ Er stibitzte einen Keks von dem Backblech, das Shelby gerade aus dem Ofen holte.

„Ich find’s ganz schön mies von deinen Arbeitgebern, gegen dich zu ermitteln. Sie sollten lieber diesen dubiosen Dieb und sein abgekartetes Spiel näher unter die Lupe nehmen“, meinte Victoria und blickte wütend in die Runde.

„Sie müssen sich schließlich an die Vorschriften halten“, wiederholte Devin bestimmt zum zehnten Mal.

Die drei Frauen schienen allerdings von Regularien nicht viel zu halten. Sie nahmen die Dinge lieber selbst in die Hand. Dabei erzielten sie Ergebnisse, und genau die brauchte Devin jetzt. Moral und Konsequenzen waren erst einmal nicht so wichtig.

Und wer hätte ihre Motivation, die Regeln zu umgehen, besser verstehen können als er? Als Kind war es in seinem Zuhause gewalttätig zugegangen. Er hatte die Lehrer und Sozialarbeiter verachtet, die nicht gemerkt hatten, was dort wirklich vor sich gegangen war, und die ihn nicht aus dieser Hölle gerettet hatten.

Aber als er schließlich seine Dienstmarke bekam, hatte er die Vorschriften akzeptiert und sich von da an daran gehalten. Er hatte sich geschworen, ein guter Polizist zu sein und etwas zu bewirken. Doch jetzt, wo es darum ging, seine eigene Haut zu retten, war er auf einmal nicht nur bereit dazu, sondern regelrecht scharf darauf, all diese guten Vorsätze über Bord zu werfen.

„Blöde Vorschriften“, winkte Calla verächtlich ab.

Wow! Diese heiße blonde Texanerin. Er war ganz verrückt nach ihr.

Genau deshalb war er auch ein wenig überrascht, dass sie seinen Vorgesetzten noch nicht dazu gebracht hatte, die Identität des Diebes preiszugeben. All ihr Bitten und ihr verführerisches Lächeln hatten bisher zu nichts geführt. Selbst die Schokokekse, die sie für den Lieutenant gebacken hatte, und der kurze Minirock hatten nichts bewirkt. Devin konnte nicht nachvollziehen, dass sein Chef ihr überhaupt widerstehen konnte.

Die letzten paar Tage war sie ständig um ihn herum gewesen, und er hatte ihre Anwesenheit genossen. Eigentlich hatte er sich ja vorgenommen, Abstand zu ihr zu halten. Aber dieser schwand mit jedem Augenblick, in dem sie in seiner Nähe war, immer mehr. Sollte er seinem Verlangen nachgeben? Nur ein einziges Mal? Wenn sie ihre körperliche Lust gestillt hatten, konnten sie ja so weitermachen wie bisher.

Und dann war da noch seine vorläufige Suspendierung. Warum hatte das Dezernat für interne Ermittlungen ihn noch immer nicht zu der ganzen Sache vernommen? Irgendetwas Großes ging hier vor. Warum dauerte alles so lang?

Seine Kumpel bei der Polizei wollte er nicht um Hilfe bitten. Erstens wäre das für ihn erniedrigend gewesen, und zweitens wollte er nicht, dass sie mit hineingezogen wurden.

Devin schnappte sich noch einen Keks.

„Träumst du, oder was?“, unterbrach Calla seine Gedanken.

Träume? Ja, davon hatte er viele. Aber sie handelten alle von einer Frau.

„Devin, wir versuchen, hier zu arbeiten“, fuhr sie fort. „Könntest du uns helfen, deine Notizen zu entziffern? Deine Schrift ist schrecklich.“

Als er sich über Calla beugte, um ihr dabei zu helfen, seine Notizen zu lesen, stieg ihm der Duft ihres Parfüms in die Nase. Wie gern hätte er sie an sich gezogen! Er hatte Mühe, sich auf den Ordner zu konzentrieren, der vor ihr lag.

„SW steht für Schusswunde“, erklärte er ihr.

„Wieso Schusswunde? Der Mann hat eine Schlange geklaut, die kann doch nicht schießen!“ Verwundert sah Calla ihn an.

Gott, wie war sie süß! „Ein Viper ist ein Sportwagen und keine Schlange.“

„Oh“, erwiderte sie erstaunt.

„Aber das ist sowieso nicht der Kerl, den ich verfolgt habe. Sieh dir mal sein Gewicht an. Einhundertunddreißig Kilo. Der Handtaschendieb war klein, drahtig und schnell. Ich habe mehr als einen Block gebraucht, um ihn einzuholen.“

Victoria reichte Devin einen anderen Ordner. „Sehen wir uns den mal an.“

Schweigend untersuchten sie noch ein paar andere Fälle.

„Meine Damen, wir treten hier doch nur auf der Stelle“, sagte Devin nach einer Weile. „Wenn das Dezernat für interne Ermittlungen mich vernimmt, werden sie mir schon verraten, wer mich anklagen will.“

Aber wollte er wirklich noch mal mit den Ermittlern dieses Dezernats zusammentreffen? Die letzte Begegnung war schließlich nicht sehr angenehm gewesen.

Victoria sah ihn erstaunt an. „Warum solltest du angeklagt werden?“

„Wegen Körperverletzung.“

„Du bist Polizist! Du darfst Verbrecher doch schlagen“, meinte Shelby verwundert.

„Ja, aber nur, wenn sie zuerst zuschlagen.“

„Aber der Typ hat dich verletzt.“

„Sie werden denken, dass ich mir das selbst zugefügt habe, um die Körperverletzung an einem Verdächtigen zu vertuschen.“

Victoria verdrehte die Augen. „Das gibt’s doch nicht.“

Ehe Devin noch etwas dazu sagen konnte, vibrierte sein Handy. Eine SMS von einem Kollegen: Halte dich bereit. Das Dezernat für interne Ermittlungen kommt heute vorbei.

Als er den Frauen von der SMS erzählte, sank die Stimmung in seiner Wohnung auf den Tiefpunkt.

Wenig später klopfte es. Ohne Calla oder die anderen anzusehen, ging Devin zur Tür. Einerseits wünschte er sich, sie wären nicht da, andererseits wusste er, dass er es allein nicht schaffen würde.

Ein Typ in dunkelblauem Anzug stand vor ihm. Er hielt seine Dienstmarke hoch und stellte sich vor. „Ich bin Lieutenant Colin Reid, Dezernat für interne Ermittlungen.“

„Kommen Sie rein.“ Devin trat zur Seite und schloss die Tür hinter ihm.

Die Haare des Polizisten waren perfekt gestylt, und er bewegte sich stocksteif. Irgendwie hatte Devin das Gefühl, dass er mit diesem Mann nicht gut auskommen würde.

Als er mit Reid in die Wohnküche trat, waren alle Ordner wie vom Erdboden verschwunden. Shelby und Victoria standen am Herd, und Calla war in eine Zeitschrift vertieft.

„Ich muss mit Ihnen unter vier Augen reden“, verkündete der Ermittler, als er die drei Frauen sah.

Sofort schlug Calla die Zeitschrift zu und erhob sich. „Und ich möchte bleiben.“

„Sie haben das Recht auf einen Anwalt“, wandte sich Reid an Devin.

„Brauche ich denn einen?“

„Gesetzliche Vertreter sind immer besser als Freunde.“

„Calla soll bleiben“, erwiderte Devin, ohne zu zögern.

Schweigend starrte Reid die beiden anderen Frauen an.

„Wir müssen sowieso zum Bäcker.“ Shelby hakte sich bei Victoria ein und bugsierte sie aus dem Zimmer.

„Ich habe Sie schon vor Tagen erwartet“, begann Devin, als die Tür hinter den beiden ins Schloss fiel.

Reid zog ein kleines Aufnahmegerät aus seinem Aktenkoffer. „Wir hatten noch andere Fälle zu bearbeiten.“

„Können Sie auch klare Antworten geben?“ Calla war hörbar verärgert.

Reid sah sie überrascht an. „Ich stelle hier die Fragen.“ Auch er hatte sie, wie so viele andere vor ihm, aufgrund ihres engelhaften Aussehens unterschätzt.

Devin und Calla saßen nebeneinander auf der Couch. Reid ließ sich gegenüber auf einem Sessel nieder. Das Aufnahmegerät hatte er auf den Couchtisch zwischen ihnen gestellt.

Zunächst leierte er die üblichen Warnungen in Bezug auf Aussage und gesetzliche Vertretung herunter. Danach stellte er Devin ein paar Fragen über seine Position und seine Dienstjahre. Anschließend gingen sie die Ereignisse von Samstagabend durch. Devin war froh, dass Calla ihn dazu ermutigt hatte, alles gleich am nächsten Tag aufzuschreiben. Selbstbewusst berichtete er, was geschehen war.

„Wie viel hatten Sie getrunken, bevor Sie den mutmaßlichen Dieb beobachteten?“, wollte Reid wissen.

„Ein Bier. Ich war außer Dienst.“

„Und außer dem angeblichen Dieb haben Sie niemanden in der Gasse gesehen?“

„Nein“, antwortete Devin ruhig, obwohl er das bereits auf der Polizeiwache ausgesagt hatte.

„Kurz nachdem Sie die Gasse betreten haben, wurden Sie also angeblich geschlagen.“

Calla sprang auf. „Angeblich? Sehen Sie sich doch mal die riesige Beule an seinem Hinterkopf an! Was sind Sie eigentlich für ein Polizist? Devin ist ein Kollege von Ihnen. Vernehmen Sie lieber den Mann, den er verfolgt hat.“

Autor

Ann Major

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