Collection Baccara Band 361

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EISKALTE NÄCHTE, FEURIGES VERLANGEN von LABRECQUE, JENNIFER
Nick Hudson ist der heißeste Kerl, der jemals ihr Restaurant betreten hat! Eigentlich hat Köchin Gus sich geschworen, Männern aus dem Weg zu gehen. Sie hat sich schon mal die Finger verbrannt. Aber mit Nick würde sie zu gern ein paar ganz spezielle Rezepte ausprobieren …

AUS SEHNSUCHT NACH HEIßEN KÜSSEN von PERRIN, KAYLA
Fassungslos sieht Brianne, wer vor ihrer Tür steht: Alex! Dass er es wagt, sie zu besuchen, wo sie ihm doch die Schuld am Tod ihres Verlobten gibt! Trotzdem öffnet sie - und wünscht sich bald, sie hätte es nicht getan. Doch da liegt sie bereits in seinen starken Armen …

VERFÜHRT VON MEINEM FEIND? von LAURENCE, ANDREA
Wade Mitchell ist an harte Verhandlungen gewöhnt. Mit Victoria gestalten sie sich jedoch besonders schwierig. Denn die sexy Schönheit hat nicht vergessen, dass er sie damals skrupellos gefeuert hat. Wenn ihn Argumente nicht weiterbringen - ist Verführung dann eine Option?


  • Erscheinungstag 08.12.2015
  • Bandnummer 0361
  • ISBN / Artikelnummer 9783733723545
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Jennifer LaBrecque, Kayla Perrin, Andrea Laurence

COLLECTION BACCARA BAND 361

JENNIFER LABRECQUE

Eiskalte Nächte, feuriges Verlangen

Ausgerechnet in Alaska begegnet Reisejournalist Nick Hudson seiner Traumfrau. Die schöne Gus Tippens, Sterneköchin und Besitzerin eines Restaurants, weckt in eiskalten Nächten heiße Lust in ihm. Doch warum erzählt sie ihm nie etwas über ihre Vergangenheit? Nick forscht nach – und kommt allmählich hinter das Geheimnis seiner verführerischen Geliebten …

KAYLA PERRIN

Aus Sehnsucht nach heißen Küssen

Alex weiß, warum Brianne nichts mit ihm zu tun haben will: Sie gibt ihm die Schuld daran, dass ihr Verlobter vor drei Jahren bei einer Wandertour mit ihm spurlos verschwand. Aber als er Brianne jetzt wiedersieht, flammt unerwartet brennende Leidenschaft zwischen ihnen auf. Plötzlich ist ihr Hunger nach Liebe stärker als die Schuld …

ANDREA LAURENCE

Verführt von meinem Feind?

Victoria fand ihren Boss unwiderstehlich. Bis Wade Mitchell sie feuerte! Jetzt kreuzen sich ihre Wege erneut. Noch immer ist Wade verboten sexy – und dazu noch der Verführer in Person. Aber nur, weil er es auf ihr Land abgesehen hat, das ist Victoria sofort klar. Rache ist so süß: Sie wird ihn küssen – ihm jedoch niemals geben, was er wirklich will …

1. KAPITEL

Ein Elch im Weihnachtsmannkostüm, komplett mit Mütze und Bart, stand direkt neben einem mit Elch-Kugeln verzierten Christbaum. Wo hatten sie bloß einen lebensgroßen Plüschelch aufgetrieben? Nick Hudson ließ die Atmosphäre in der Lobby des kleinen Flugplatzes auf sich wirken. Alaska und Good Riddance gefielen ihm jetzt schon. Auf genau so etwas hatte er gehofft: Es war anders, fast ein bisschen verschroben und würde gerade deshalb die Leser seines Blogs faszinieren.

Die Sonne war bereits untergangen. Draußen wirbelten Schneeflocken im eisigen Wind umher, aber hier drinnen war es warm und gemütlich. In der Luft lag der Duft von frisch gebrühtem Kaffee, Zimtschnecken und Holzfeuer.

Die Wände waren übersät mit gerahmten Fotos, vor den Fenstern bauschten sich dicke Vorhänge. In der Ecke, dicht am Kanonenofen, saßen zwei alte Männer, die konzentriert auf ein Schachbrett starrten. Aus dem Fernseher dröhnte Elvis’ „Blue Christmas“.

„Okay, Mr Hudson …“

Er drehte sich zu der Frau am Tresen herum. „Bitte, nennen Sie mich Nick!“

„Gerne, ich bin Merrilee.“

Bevor sie sich um einen Telefonanruf kümmern musste, hatte sie ihm bereits ihren Namen verraten. Sie hieß Merrilee Danville Weatherspoon, war Betreiberin des örtlichen Flugplatzes, Chefin des Bed & Breakfast, Stadtgründerin und Bürgermeisterin.

Nick schätzte sie auf etwa Mitte Fünfzig, und obwohl sie ihm erzählt hatte, dass sie schon seit mehr als fünfundzwanzig Jahren in Alaska lebte, hörte man immer noch einen überraschend deutlichen Südstaatenakzent.

„Wir erledigen nur schnell die Formalitäten, und dann zeige ich Ihnen Ihr Zimmer“, setzte sie ihr Gespräch jetzt fort. „Wir freuen uns sehr, dass Sie bei unserem Chrismoose-Festival dabei sind.“

„Ich freue mich auch“, antwortete Nick.

„Wissen Sie eigentlich, wie das mit dem Weihnachtselch angefangen hat?“, fragte Merrilee. Offenbar konnte sie es kaum abwarten, ihm die Geschichte zu erzählen.

„Nur zum Teil“, antwortete er. Der Freund eines Freundes hatte ihm von dem skurrilen Brauch berichtet, und er hatte daraufhin entschieden, darüber zu schreiben.

„Die Geschichte wird Ihnen gefallen“, setzte Merrilee an und lächelte. „Draußen in der Wildnis gab es mal einen Einsiedler, sein Name war Chris, den Nachnamen kannte niemand. Alle paar Monate kam er in die Stadt, um sich mit Vorräten einzudecken. Er blieb immer für sich, tauchte kurz auf, kaufte ein und verschwand wieder. Vor fünfzehn Jahren dann, zwei Tage vor Weihnachten, kam er wieder, und uns allen fiel die Kinnlade herunter: Chris ritt auf einem Elch!“

„Auf einem echten Elch?“

„Hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, dann hätte ich es auch nicht geglaubt“, erwiderte Merrilee. „Er hatte ein verwaistes Elchbaby gefunden und großgezogen. Und da war er plötzlich, ritt in einem Weihnachtsmannkostüm mit einem Sack voller Geschenke auf dem Elch durch die Stadt.“

„Das war sicher ein Bild für die Götter.“

Merrilee führte ihn zu der Wand mit den Fotos. Mitten in dem bunten Durcheinander hing das Bild eines Mannes, der ein Weihnachtsmannkostüm trug und auf einem Elch saß. „Das ist so ziemlich das Verrückteste, was ich je gesehen habe“, sagte Nick und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Geht mir genauso“, erwiderte Merrilee. „Sehen Sie den Sack auf seinem Rücken? Chris hatte Holzspielzeug für die Kinder geschnitzt. Sagte nur, er wolle sichergehen, dass jedes Kind ein Geschenk bekommt – falls der Weihnachtsmann es nicht bis zu uns schaffen würde. Seitdem kam er jedes Jahr, und neben den Kindern freuten sich auch die Erwachsenen auf ihn. Und dann, in einem Jahr, tauchte er plötzlich nicht auf“, fuhr sie fort. „Weihnachten kam und ging, aber keine Spur von Chris und seinem Elch. Wir wussten nur ungefähr, wo er lebte, also haben sich ein paar von uns auf den Weg gemacht. Als wir ihn fanden, war er tot, offenbar schon eine ganze Weile. Im darauffolgenden Frühling haben wir dann auch den Elch gefunden, ebenfalls tot. Chris hatte ihn wie ein Haustier gehalten und gefüttert. Der Elch ist einfach gestorben, weil er nie gelernt hatte, allein in der Wildnis zu überleben. Wir haben Chris hier begraben, denn wir wussten nicht, wo er herkam oder ob er eine Familie hatte“, erzählte Merrilee weiter. „Doch diese schöne Tradition sollte nicht mit ihm sterben. Also setzten wir sie fort und riefen den Weihnachtselch ins Leben. Über die Jahre hat es sich zu einem regelrechten Festival entwickelt.“

„Was für eine schöne Geschichte“, erwiderte Nick.

Merrilee lächelte erfreut. „Nicht wahr? Mittlerweile kommen jedes Jahr eine Menge Besucher. Wenn Sie sich umsehen, werden Sie die vielen Wohnmobile am Stadtrand bemerken. Manche sind 800 Kilometer und mehr gefahren, nur um bei dem Spektakel dabei zu sein.“

„Das ist beeindruckend.“

„Auf Ihrem Zimmer liegt ein Programmheft, aber Sie finden auch eins in jedem Laden der Stadt.“ Plötzlich verdüsterte sich ihr Gesicht. „Leider hat die Grippewelle in diesem Jahr ziemlich früh und ziemlich heftig zugeschlagen, und wir haben ein paar Probleme deswegen. Wir ermahnen jeden, sich die Hände zu waschen und sich nicht ständig ins Gesicht zu fassen, aber … – was soll’s, genug davon.“ Merrilee wedelte mit den Händen, als wolle sie die unliebsamen Gedanken verscheuchen. „Von wie weit weg kommen Sie?“, fragte sie jetzt. „Wir sind mit unseren Aufzeichnungen hier sehr genau.“

Bevor Nick antworten konnte, flog die Tür auf und eine Frau mit blondem Pferdeschwanz stürzte herein. Als sie ihn erblickte, stoppte sie abrupt und starrte ihn an.

„Oh mein Gott!“, sagte sie und zwinkerte heftig, als würde sie ihren Augen nicht trauen. „Sind Sie Nick Hudson?“

Nick musste lachen. In New York erkannten ihn die Menschen manchmal, aber in einem Kaff im hintersten Winkel von Alaska hatte er nicht damit gerechnet. „Der bin ich“, antwortete er und streckte ihr die Hand entgegen. „Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.“

„Ich bin Teddy, Teddy Monroe“, erwiderte die Blonde, packte seine Hand und schüttelte sie enthusiastisch. „Ich kann kaum glauben, dass Sie wirklich hier sind. Das ist der Hammer.“

Vorsichtig versuchte Nick, seine Hand aus ihrem Griff zu befreien.

„Anscheinend habe ich hier etwas nicht mitbekommen“, mischte sich Merrilee ein. „Ich wusste nicht, dass Sie berühmt sind, Mr Hudson.“

„Nick, bitte. Und ich bin nicht berühmt, glauben Sie mir.“

„Er ist der bekannteste Reisejournalist der New York Times“, fiel Teddy ihm ins Wort. „Er reist durch die ganze Welt und schreibt in seinem Blog über Orte abseits der ausgetretenen Touristenpfade.“ Sie wandte sich an ihn und strahlte ihn an. „Und jetzt schreiben Sie über uns. Das ist so cool.“

Er musste über ihre Begeisterung grinsen. „Ich bin wegen der Weihnachtsfeierlichkeiten hier“, erwiderte er. „Ich finde, das ist eine interessante Geschichte.“

„Tatsächlich?“ Nick war es gewohnt, Leute genau zu beobachten, ansonsten wäre ihm das alarmierte Flackern in Merrilees Augen sicherlich entgangen. „Die New York Times, ziemlich beeindruckend.“

„Es zahlt die Miete.“

„Wie bescheiden“, sagte Teddy. „Er hat direkt nach dem College dort angefangen – das steht zumindest in Ihrer Biografie“, sagte sie nun wieder in seine Richtung.

Er nickte. „Ich hatte Glück. Meine Eltern hatten ein Restaurant und der Reiseredakteur der Times kam oft zum Essen vorbei. Er hat mich gefördert und mir einen Praktikumsplatz verschafft. Der Rest ist Geschichte …“

„Nicht, dass Sie jetzt denken, ich wäre so eine Art Stalker“, beeilte Teddy sich zu sagen. „Ich liebe nur einfach New York und möchte nächstes Jahr dort zur Schauspielschule gehen.“

„Teddy ist unsere aufstrebende Schauspielerin und der größte New York-Fan unter der Sonne“, erklärte Merrilee lächelnd.

„Meine Chefin stammt aus New York, vielleicht kennen Sie sie. Sie hat dort ein Küchenteam geleitet, bevor sie hierhergezogen ist und das Restaurant übernommen hat.“ Teddy zeigte mit dem Daumen über ihre Schulter in Richtung der Tür, durch die sie eben hereingestürzt war. „Gus Tippens?“

„Tut mir leid, der Name sagt mir nichts, aber ich freue mich auf ein leckeres Essen in ihrem Restaurant. Außerdem klingt das nach einer guten Story“, fuhr er fort. „Es gibt sicher nicht viele New Yorker Köche, die ausgerechnet in Alaska ein Lokal eröffnen.“ Nick war überzeugt, dass Gus Tippens sich gut in seiner Story machen würde, zumal bestimmt einige Leser ihren Namen kannten oder den der Restaurants, in denen sie gearbeitet hatte.

„Sie hat in Paris gelernt“, erklärte ihm Teddy, nur um sicherzugehen, dass er auch angemessen beeindruckt war.

„Wolltest du eigentlich etwas Bestimmtes, Teddy?“, fragte Merrilee jetzt. Nick hatte den Eindruck, als sei ihr das Gespräch unangenehm.

„Stimmt, ja“, erwiderte Teddy etwas verlegen. „Gus will wissen, ob ihre Trüffel mit dem Flugzeug gekommen sind.“

„Sind sie.“ Merrilee wies auf ein Paket. „Ich wollte sie rüberbringen, sobald ich Nick sein Zimmer gezeigt habe.“

Teddy griff sich den Karton. „Ich sehe Sie dann heute Abend beim Essen“, sagte sie im Gehen. „Ich meine, nicht so – aber Sie essen ja sicherlich hier, und ich arbeite hier, also …“

Nick biss sich auf die Lippen, um nicht laut zu lachen. Er wollte die Gefühle der jungen Frau nicht verletzten. „Ja klar, wir sehen uns dann“, sagte er stattdessen.

Sie winkte ihm zum Abschied und stieß die Tür auf, durch die sie hereingekommen war. Für einen kurzen Moment erhaschte Nick einen Blick auf eine dunkelhaarige Frau, und es durchfuhr ihn wie ein Blitz: Sie sah umwerfend aus.

Die kleine Blonde war wirklich niedlich, aber nichts für ihn. Doch diese Gus, wie er vermutete, war etwas Besonderes, das sah er sofort. Auf einmal konnte er es kaum erwarten, heute Abend im Restaurant zu essen.

„Wir müssen uns etwas einfallen lassen, und zwar schnell“, sagte Merrilee und versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken, während sie aufgeregt vor der Ladentheke von Bull Swensons Eisenwarenladen auf und ab lief. Bull war damit beschäftigt, die letzte Bestellung für das fast fertige Bürgerzentrum einzupacken. Normalerweise fand sie den Geruch nach Holz beruhigend, aber heute funktionierte das nicht – sie war viel zu besorgt.

Bull strich sich über seinen Bart. Sie waren einander vor fünfundzwanzig Jahren begegnet und hatten sich sofort verliebt. Seitdem waren sie unzertrennlich.

„Er schreibt also für die New York Times und hat bereits gesagt, dass er über Gus berichten will?“, fragte er jetzt nachdenklich.

„Ganz genau. All die Jahre ist es gut gegangen. Doch kaum fühlt sie sich sicher, kommt dieser Typ daher und droht, alles zu zerstören.“ Merrilee rieb sich die Schläfen, hinter denen der Kopfschmerz lauerte. „Was sollen wir bloß tun? Wenn er die Wahrheit herausfindet …“

„Wo ist er jetzt?“

„Er sieht sich zusammen mit Dalton die Stadt an. Die beiden waren sofort ein Herz und eine Seele.“

Es irritierte sie, dass sowohl Teddy als auch Dalton den Fremden zu mögen schienen, denn sie konnte ihn nicht leiden. Doch wenn sie ehrlich war, ging es nicht um Nick persönlich, sondern um das, was er Gus antun würde. Auf jeden Fall war es ihr Job, dafür zu sorgen, dass er so schnell wie möglich den nächsten Flieger nach Anchorage bestieg und verschwand. Aber das hier war ein freies Land, und sie konnte ihn nicht zwingen.

„Ich habe ihr versprochen, dass sie bei uns sicher ist, und kann sie jetzt nicht im Stich lassen“, sagte sie leise.

Es war eine schlimme Zeit gewesen. Als Gus in Good Riddance angekommen war, hatte sie wie ein Häufchen Elend ausgesehen. In New York war sie mit Troy Wenham verlobt gewesen, dem Sohn eines bekannten Politikers, der aus einer berühmten Politiker-Dynastie stammte. Die Familie war reich – und mächtig.

Sie hatten Gus von Anfang an nicht gemocht und ihr unterstellt, nur hinter seinem Geld her zu sein. Troy war mit der Zeit immer besitzergreifender geworden, und schließlich hatte Gus die Verlobung gelöst. Troy war außer sich gewesen und hatte die Trennung einfach nicht akzeptieren wollen.

Merrilee kannte keine Details, wusste aber, dass Troy angefangen hatte, Gus zu stalken. Sie hatte sich an die Polizei gewandt, doch seine Familie hatte ihren Einfluss geltend gemacht und so hatte ihr niemand geholfen.

Sie wechselte die Arbeitsstelle und zog sogar um. Doch nichts half. Er spürte sie immer wieder auf und drohte, dass er sie niemals gehen lassen würde.

Es war viel Vorbereitung nötig gewesen, um Lauren Augustina Matthews von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Bis heute hatte Troy vergeblich nach ihr gesucht, denn er wusste nichts von Merrilees Existenz. In Good Riddance glaubten alle, Gus wäre Merrilees Nichte, aber in Wahrheit waren sie und Gus’ Mutter seit ihrer Kindheit beste Freundinnen gewesen. Jenny, Gus’ Mutter, war gestorben, bevor Gus und Troy sich kennengelernt hatten.

Als Gus sich damals an sie gewandt hatte, war Merrilee sofort bereit gewesen, ihr dabei zu helfen, in Good Riddance ein neues Leben anzufangen. Wenn Nick Hudson über sie und ihr Restaurant ausgerechnet in der New York Times berichten würde, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis Troy sie aufgespürt hätte. Dann würde der Terror von Neuem losgehen.

„Wie ich das sehe, haben wir drei Möglichkeiten“, unterbrach Bull ihre trüben Gedanken. „Wir kennen ihn nicht, also können wir ihm nicht vertrauen. Ihm einfach die Wahrheit zu sagen, wäre zu riskant.“ Bull und sie waren die einzigen, die Gus’ wahre Geschichte kannten. „Die zweite Möglichkeit wäre, ihn einfach umzulegen“, fuhr Bull todernst fort. „Aber heutzutage ist es fast unmöglich, mit so etwas unentdeckt durchzukommen. Außerdem ist er ja mehr oder weniger zufällig in diese Situation geraten – er hat also keine bösen Absichten. Deshalb bleibt eigentlich nur Möglichkeit Nummer drei: Sie bittet ihn, nicht über sie oder ihr Restaurant zu schreiben.“

Merrilee rieb sich erneut die pochenden Schläfen. „Er ist Journalist. Das wird ihn erst recht neugierig machen. Wie viel kann er herausfinden, was denkst du?“

„Es lässt sich recht leicht herausfinden, dass sie nicht ihren richtigen Namen benutzt. Und auch, dass das Restaurant und die Bar mir gehören. Doch darüber hinaus wird er nicht weit kommen.“

„Warum musste er bloß hier auftauchen. Es lief so gut für sie.“ Vor lauter Frust hätte sie am liebsten laut geschrien.

„Hast du schon mit ihr geredet?“

„Nein. Ich bin so schnell wie möglich hergekommen. Ich wollte mit dir sprechen, bevor wir mit Gus reden. Aber vermutlich weiß sie ohnehin schon Bescheid – Teddy hat es ihr bestimmt sofort erzählt.“

Bull stand auf. „Ich schließe ab, und dann gehen wir zu Gus hinüber. Sie soll wissen, dass wir auf ihrer Seite stehen.“

„Fühlst du dich auch wirklich gut?“, fragte Merrilee besorgt, als Gus sie und Bull zur Tür begleitete.

Sie fühlte sich genauso, wie sie sich in den vergangenen vier Jahren gefühlt hatte.

„Alles okay“, antwortete sie deshalb. „Danke, dass ihr gekommen seid. Ihr beide habt mir das Leben gerettet. Ich hoffe, ihr wisst, wie viel mir das bedeutet.“

„Wissen wir. Und du weißt, dass wir dich lieben.“

Gus nickte, und plötzlich stiegen ihr Tränen in die Augen. Ihre Mutter war tot, und ihr Vater hatte sie schon als Kind verlassen. Die beiden waren die einzige Familie, die sie noch hatte.

„Alles wird gut“, sagte Merrilee jetzt und umarmte sie fest. „Stürz dich einfach in die Arbeit.“

„Das werde ich.“

Als die beiden gegangen waren, schloss Gus die Tür und lehnte sich von innen dagegen. Troy würde sie wieder verfolgen. Sie spürte, wie die altvertraute Angst in ihr hochkroch. Sie war nie ganz verschwunden, doch die meiste Zeit schaffte Gus es, die bösen Gedanken zu verdrängen. Ganz egal, wie weit sie flüchtete, sie würde sich nie von ihm befreien können. Am schlimmsten war es nachts. Dann war sie nicht länger von anderen Dingen abgelenkt und wurde von Albträumen gequält. Die Erlebnisse hatten sie zweifellos stärker gemacht, aber auch tiefe Narben hinterlassen.

Sie hatte Merrilee und Bull nie die ganze Wahrheit erzählt. Sie konnte nicht darüber sprechen, dass sie eines Nachts nach Hause gekommen war und ihre Laken zerfetzt gefunden hatte – und mit roter Farbe beschmiert, die wie Blut aussah. Trotzdem hatte die Polizei nichts unternommen. Die Wenhams waren für New York, was die Kennedys für Massachusetts waren.

Gus sog die Luft tief durch die Nase ein. Die Technik hatte sie beim Yoga gelernt. Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung und spürte, wie sie allmählich ruhiger wurde. Sie dachte an Nick Hudson. Als Teddy mit den Trüffeln und den Neuigkeiten aufgetaucht war, dass ein New Yorker Reporter ins Restaurant kommen würde, war ihr das Herz in die Hose gerutscht. Gus wusste genau, wer er war. Sie und Troy hatten seine Reiseberichte sehr gemocht.

Nicks Artikel waren geistreich und einfühlsam. Damals hatte sie sich sogar eingebildet, ein wenig in ihn verliebt zu sein – oder zumindest in das, was er schrieb. Sie hatte sich vorgestellt, dass seine Texte ihr einen Blick in seine Seele gewährten. Und ihr gefiel, was sie dort zu sehen glaubte. Dass er auch noch umwerfend attraktiv war, hatte ihre Fantasie zusätzlich beflügelt.

Seit sie in Alaska lebte, hatte sie keinen seiner Artikel mehr gelesen. Wozu auch. Dieser Teil ihres Lebens war vorbei. Sie konnte weder ihren Pass noch ihren Führerschein benutzen, denn beide liefen auf ihren echten Namen.

Als Teddy mit den Neuigkeiten herausplatzte, wusste sie also ganz genau, wer Nick Hudson war. Deshalb hätten eigentlich all ihre Alarmglocken läuten müssen. Aber stattdessen verspürte sie einen Schauer der Erregung. So etwas wie freudige Erwartung durchströmte sie und erinnerte sie daran, dass sie seit mehr als vier Jahren mit keinem Mann zusammen gewesen war. An Angeboten hatte es nicht gemangelt, aber sie war nicht interessiert gewesen. Doch jetzt hatte eine kurze Erwähnung von Nick ausgereicht, um ihre alberne Schwärmerei für ihn zu neuem Leben zu erwecken.

Sie schüttelte den Kopf. Wenn sie klug war, hielt sie sich von ihm fern. Zum Glück würde sie über die Feiertage alle Hände voll zu tun haben. Es sollte ihr deshalb nicht allzu schwerfallen, ihm aus dem Weg zu gehen.

Sie straffte die Schultern und eilte die Treppe hinunter. Sie hatte schließlich ein Restaurant zu führen.

2. KAPITEL

Nick wich lachend ein paar Kids aus, die mit Besen und einem Stück Eis auf der Straße Hockey spielten. Auch Dalton Saunders musste grinsen. „Wegen des Festivals sind alle total aufgeregt“, erklärte er. „Mit dem Trubel in New York lässt sich das wohl nicht vergleichen, aber für Good Riddance ist richtig viel los.“

Es gab eine Menge zu sehen und zu erleben in den kommenden Tagen: Feuerwerk, Eisfischen, Schlittenhunderennen, Cross-Country-Skifahren, Schneemobilrennen, ein Wettbewerb im Elch-Burger-Braten und diverse Ausstellungen mit örtlichem Kunsthandwerk. Zu den Höhepunkten gehörten ganz sicher der Mister-Wilderness-Contest, die Wahl zur Miss Chrismoose und natürlich die Parade, auf der Spielzeug verteilt werden würde. Im Anschluss daran gab es ein gemeinsames Abendessen, zu dem jeder etwas beisteuern musste.

„Unser größtes Problem sind momentan die fehlenden Unterkünfte. Die Pension ist voll. Ich vermiete eine Hütte an ein Paar aus Anchorage, und viele Besucher kommen bei ihren Familien oder Freunden unter.“

Dalton deutete auf ein Geschäft auf der anderen Straßenseite. „Curls Laden sorgt immer für Heiterkeit bei den Touristen.“

Nick las das Schild im Fenster und musste grinsen. ‚Tierpräparation, Friseur, Schönheitssalon & Leichenbestatter‘ – „Das ist ja mal ’ne gute Mischung.“

„Er sagt, dass er die Tiere an den Anfang gesetzt hat, weil das die Kunden anlockt.“

Nick schoss ein Foto. Seine Leser würden es lieben.

„Ansonsten haben wir hier so ziemlich alles, was man in jeder anderen Kleinstadt auch findet. Waschsalon, Kurzwarenhandlung, Eisenwaren, Bank und eine Arztpraxis.“

Er deutete mit dem Kopf vage nach links. „Skye, meine Verlobte, ist die Ärztin hier. Ich würde Sie ja vorstellen, aber damit täte ich Ihnen keinen Gefallen. Wir haben nämlich pünktlich zum Festival eine Grippewelle.“

„Das habe ich schon von Merrilee gehört“, antwortete Nick und warf einen Blick durch das Fenster in das vollbesetzte Wartezimmer. „Ich verzichte. Es ergibt sich ja sicher noch eine andere Gelegenheit, Skye kennenzulernen. Stammen Sie eigentlich aus Alaska?“

„Nein, ich bin aus Michigan. Vor acht Jahren habe ich meinen Job geschmissen, den Pilotenschein gemacht und hier neu angefangen.“

„Es scheint Ihnen zu gefallen.“

„Ich möchte nirgendwo anders leben“, entgegnete Dalton. „Schon gar nicht, seit ich Skye getroffen habe. Seit ich sie kenne, ist mein Leben perfekt.“

„Das ist cool, herzlichen Glückwunsch.“ Nick fand es wirklich cool. Er wünschte sich, auch endlich die Frau zu finden, die sein Leben perfekt machte. Aber bislang war sie noch nicht aufgetaucht. Seine Eltern und Geschwister hatten ihm erzählt, dass sie es sofort gewusst hätten, dass es einfach ‚Klick‘ gemacht hätte – doch er wartete immer noch auf dieses Klick. Verdammt, er hatte seit Monaten keine Verabredung mehr gehabt. Das ganze Dating-Theater ging ihm auf die Nerven. Dann fiel ihm plötzlich die Frau wieder ein, von der er vorhin nur einen kurzen Blick erhascht hatte.

„Danke“, antwortete Dalton. Sie gingen weiter und kamen zu einem größeren Holzgebäude. „Das ist unser neues Gemeindezentrum“, erklärte er, „und damit haben wir so ziemlich alle Sehenswürdigkeiten von Good Riddance abgeklappert.“

„Dann sage ich vielen Dank für die Tour!“

„Gern geschehen. Vielleicht möchten Sie ja Ihre Ruhe haben, aber falls nicht, essen Sie doch heute Abend mit uns bei Gus. Wir schaffen es nicht ganz so früh, weil Skye sehr viel zu tun hat. Aber wäre sieben Uhr für Sie okay?“

„Er müsste jeden Moment hier sein“, bemerkte Teddy und sah gespannt zur Tür.

Gus war der Ansicht, dass sie selbst große Beherrschung zeigte, denn sie hätte Teddy am liebsten auf der Stelle erwürgt. Das wäre allerdings nicht besonders klug, denn sie waren dabei, das Essen zu servieren, und sie brauchte Teddys Hilfe. Der Laden war bis auf den letzten Platz mit Festival-Besuchern besetzt. Gus konnte nicht gleichzeitig in der Küche, an der Bar und im Gastraum sein. Andererseits … Teddys nicht enden wollendes Geplapper über Nick Hudson raubte ihr den letzten Nerv. Dieser Mann könnte sie erneut in die Schusslinie von Troy bringen. Aber vielleicht erinnerte Teddys naive Begeisterung sie auch nur zu sehr an ihr altes Selbst.

„Entspann dich einfach, Teddy“, sagte sie deshalb. „Du musst lediglich auf die Fanfaren warten, mit denen die Boten sein Eintreffen ankündigen.“

Teddy verdrehte die Augen und schnitt eine Grimasse. „Ich halte ja schon die Klappe. Aber schließlich kommen nicht jeden Tag irgendwelche Promis zu uns.“

Gus wollte gerade erwidern, dass der Mann kein Promi war, bloß weil er für eine bekannte Zeitung schrieb, doch dann verkniff sie sich die Bemerkung. Schließlich hatte Teddy keine Ahnung, was das Auftauchen von Nick für Gus’ Leben bedeuten konnte. Wahrscheinlich wäre sie selbst unter anderen Umständen ebenso aufgeregt gewesen, ihn zu treffen. Also drückte sie Teddy mit einem gezwungenen Lächeln nur zwei Teller in die Hand. „Da hast du wohl recht, Promis sehen wir hier wirklich selten.“

Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und wandte sich wieder dem Herd zu. Die Geräusche aus dem Restaurant drangen leise in die Küche, und sie spürte, wie sie sich entspannte. Ganz egal, was um sie herum geschah: Das Klappern des Bestecks gegen die Teller, die Gespräche und das Lachen der Gäste vor dem Hintergrund der leisen Musik hatte etwas ungemein Beruhigendes.

Gus rührte gerade gedankenverloren in der Sauce, als jemand anders als Teddy ihren Namen rief. Erschrocken fuhr sie herum und ließ dabei ihren Löffel fallen.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“ Am Tresen, der die Küche vom Gastraum trennte, stand Jenna – ebenfalls ein Neuzuwachs von Good Riddance.

Jenna war zusammen mit Merrilees Ex-Mann Tad aufgetaucht, hatte aber schnell herausgefunden, was für ein Widerling er war und sich von ihm getrennt. Dann hatte sie beschlossen, dass Good Riddance der richtige Ort für sie war und erfolgreich ihr eigenes Nagelstudio eröffnet.

„Bist du mit jemanden verabredet?“, fragte Gus jetzt und musterte amüsiert Jennas Aufmachung. „Oder kann ich dir irgendwie weiterhelfen?“ Sie mochte Jenna, hatte heute Abend allerdings keine Zeit für einen gemütlichen Plausch.

„Nein, ich wollte nur mal vorbeischauen“, entgegnete Jenna, blickte dabei aber immer wieder zur Tür, als würde sie auf jemanden warten.

„Wir sehen uns dann später“, sagte Gus und drehte sich erneut zu ihrem Herd um, „ich habe alle Hände voll zu tun.“

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Nelson Sisnuket kam herein, einer von Gus’ absoluten Lieblingen. Er war indianischer Abstammung und trug seine langen schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Bei seinem Stamm galt er als angehender Schamane. Außerdem hatte er eine ungemein positive Ausstrahlung und einen feinen Sinn für Humor.

Heute Abend sah er müde und abgekämpft aus. Doch Gus wusste, dass das an den vielen Grippekranken lag, die er und Skye in der Praxis versorgten.

„War nett, mit dir zu reden“, sagte Jenna jetzt und wandte sich schnell um. Fast wäre sie mit Nelson zusammengestoßen. „Hey Nelson, schön dich zu sehen. Wie geht’s?“

Nelson winkte Gus einen kurzen Gruß zu. „Mir geht’s gut, Jenna, und dir?“

Gus hoffte, dass sie nicht mit offenem Mund auf das ungleiche Paar starrte. Jenna hatte also auf Nelson gewartet. Er war natürlich ein attraktiver Mann, aber Gus hätte nicht gedacht, dass er Jennas Typ wäre. Außerdem würde die Geschichte für Jenna kein gutes Ende nehmen, falls sie sich wirklich in Nelson verliebt hatte – der Liebeskummer war quasi vorprogrammiert.

Ehen zwischen Ureinwohnern und Weißen wurden in Good Riddance nicht gern gesehen. Nelsons Cousin Clint, der als Fremdenführer arbeitete, hatte sich in Tessa Bellingham verliebt und sich mit ihr verlobt. Das hatte in seiner Familie für ziemlichen Wirbel gesorgt, und die beiden hatten schwer darum kämpfen müssen, dass Clints Großmutter die Verbindung akzeptierte. Für Nelson, den angehenden Schamanen des Stammes, käme die Verbindung mit einer Weißen noch viel weniger in Betracht.

Gus nahm sich vor, in den nächsten Tagen mit Jenna zu reden. Sie hasste es, ihre Seifenblase zum Platzen zu bringen, doch Nelson war einfach nicht der richtige Mann für sie.

Dabei verstand sie das Dilemma, in dem Jenna steckte, nur zu gut. Während der vergangenen Monate war ihr selbst schmerzlich bewusst geworden, dass sie seit vier Jahren in einer sexuellen Wüste lebte. In Good Riddance gab es einfach keinen passenden Mann für sie. Sie liebte ihr Leben hier, das tat sie wirklich. Aber nach der langen Zeit fühlte sie sich manchmal wie ein Fisch ohne Wasser. In Good Riddance war es eine heikle Sache, sich mit jemandem zu verabreden oder besser gesagt, mit jemandem zu schlafen. Wenn es nämlich nicht funktionierte, konnte es peinlich werden. In so einer kleinen Stadt war es schlichtweg unmöglich, sich anschließend einfach aus dem Weg zu gehen. Und man konnte die Sache schon gar nicht für sich behalten. Hier würde jeder wissen, was los war – und zwar bevor etwas passiert wäre.

Sie hatte zwei weitere Teller auf dem Tresen bereitgestellt und sich wieder dem Herd zugewandt, als sie plötzlich ein seltsames, prickelndes Gefühl überfiel. Sie schüttelte verwundert den Kopf. Vielleicht eine Art statische Aufladung … Oder schlimmer, bekam sie jetzt etwa auch diese verfluchte Grippe? Doch sie fühlte sich nicht krank, sondern merkwürdig kribbelig.

Hinter sich hörte sie Teddy sagen: „Wie schön, dass Sie es noch geschafft haben.“

„Ja, habe ich“, antwortete eine männliche Stimme, dunkel und samtig wie Zartbitterschokolade. Gus fühlte einen leichten Schauer in sich aufsteigen.

Sie wusste es sofort – noch bevor sie sich umdrehte. Das war Nick Hudson, der Mann, der ihr Leben zerstören könnte.

Sie zwang sich zu einem Lächeln und wandte sich zu ihm um. Ihr stockte der Atem. Natürlich erkannte sie ihn. Sie hatte Fotos von ihm gesehen. Er war älter geworden, aber das stand ihm gut. Sein dunkles Haar war kürzer als auf den Bildern. Seine blauen Augen waren von feinen Lachfältchen umgeben und stachen aus einem markanten, attraktiven Gesicht hervor, das ihr wohlvertraut war.

Doch das war es nicht. Etwas in ihr erkannte ihn, und eine Welle sexuellen Verlangens durchströmte sie. Er war der Mann, den sie wollte. Und er war der Mann, dem sie aus dem Weg gehen sollte, solange er sich in der Stadt aufhielt.

Nick fühlte sich, als hätte er einen Schlag in die Magengrube bekommen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie eine derartige Wirkung auf ihn haben würde.

Er hatte Gus Tippens vorher kurz gesehen und sich darauf gefreut, sie zu treffen, aber …

Sie wirkte auf ihn wie eine Studie in Schwarz und Weiß. Ihr kurzgeschnittenes Haar war so dunkel, dass es beinah schwarz aussah. Nur eine einzelne Strähne war strahlend weiß. Ihre schrägstehenden Augen verliehen ihr ein fast exotisches Flair, das durch die außergewöhnliche Farbe noch betont wurde. Ein seltsamer Grauton, der beinah silbern wirkte und von dichten Wimpern beschattet wurde. Doch was ihn fast um den Verstand brachte, war ihr Mund. Er war perfekt geschwungen, und der rote Lippenstift betonte noch seine Sinnlichkeit. Unter ihrer Schürze trug sie schmale schwarze Hosen und ein weißes Top. Sie war nicht nur schön, sie war einfach umwerfend. Sie erschien ihm wie eine Orchidee in einem Feld voller Gänseblümchen.

Er war so in ihren Anblick versunken, dass er beinah zusammengezuckt wäre, als Teddy sie miteinander bekannt machte. „Nick, das ist Gus Tippens“, stelle sie vor, „Gus, Nick Hudson.“

„Hallo“, sagte sie und ihre Stimme war wie Wasser, das über glatte Steine floss. „Ich habe schon viel von Ihnen gehört.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen“, antwortete Nick. „Ich bin schon sehr auf das Essen gespannt. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus. Es duftet köstlich. Meine Eltern hatten ein Restaurant in New York, und ich weiß eine gute Küche zu schätzen. Und hier duftet es einfach köstlich.“ Mist, das hatte er eben bereits gesagt. „Es ist sicher hervorragend.“

Er hätte sich am liebsten in den Hintern getreten. Was war bloß mit ihm los? Er hatte die ganze Welt bereist und immer gedacht, dass er eine gepflegte Unterhaltung führen könnte. Doch hier und jetzt stammelte er nur dummes Zeug.

Sie lächelte ihn freundlich an, aber er glaubte, eine gewisse Vorsicht zu spüren. „Auch Ihnen eilt ein Ruf voraus“, sagte sie. „Ich hoffe, das Essen schmeckt Ihnen.“ Dann wandte sie sich an ihre Mitarbeiterin. „Teddy, führe Mr Hudson bitte an seinen Tisch.“

„Nennen Sie mich doch einfach Nick.“

Sie nickte, und ein leichtes Lächeln umspielte ihre roten Lippen. „Sie können sich bestimmt vorstellen, dass wir hier nicht viel Wert auf Formalitäten legen. Teddy, bringst du Nick bitte zu seinem Tisch?“

„Ja klar. Er war heute mit Dalton unterwegs, also isst er mit der Crew“, antwortete Teddy. „Er wollte dir vorher nur kurz Hallo sagen.“

„Dann sind Sie ja in bester Gesellschaft, Nick“, erwiderte Gus. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden …“ Damit kehrte sie an ihren Herd zurück.

Nick wollte seinen peinlichen Auftritt so schnell wie möglich beenden. „Ich habe Dalton bereits gesehen“, sagte er deshalb zu Teddy. „Sie müssen mich nicht zu meinem Tisch bringen. Aber ein Whiskey wäre schön.“

„Schon unterwegs“, antwortete sie und verschwand hinter der Bar.

Er schlängelte sich durch den vollbesetzten Raum zu dem großen Tisch, an dem bereits drei Paare saßen. Als er auf dem letzten freien Stuhl Platz genommen hatte, machte Dalton ihn mit den anderen bekannt.

Die beiden Ureinwohner waren Cousins. Clint Sisnuket arbeitete als Fremdenführer, während Nelson in der Arztpraxis mithalf. Dann war da noch Daltons Verlobte, eine hübsche Rothaarige namens Skye Shanahan. Clint war mit Tessa Bellingham verlobt – einer kleinen Blondine, die vor wenigen Wochen nach Good Riddance gezogen war, nachdem sie hier zuvor ein Video gedreht hatte. Jenna Rathburne, eine klassische Schönheit, war ebenfalls neu in der Stadt und hatte ganz offensichtlich ein Auge auf Nelson geworfen.

Teddy brachte seinen Whiskey und nahm ihre Bestellungen entgegen.

„Lasst uns anstoßen“, sagte Clint und erhob sein Glas. „Auf Good Riddance, den Ort, an den du kommst, um deine Sorgen hinter dir zu lassen.“

Sie stießen an und nippten an ihren Drinks.

Skye Shanahan sah ihn über den Tisch hinweg an. „Sind Sie Single, Nick?“

„Oh, herzlichen Dank“, sagte Dalton und zwinkerte Nick zu, „ich sitze auch hier.“

Nick musste lachen. „Ich bin ungebunden und frei wie ein Vogel.“

Skye wechselte einen vielsagenden Blick mit Tessa. „Sagen Sie hinterher nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt“, fuhr sie fort. „Ich wollte nur zwei Wochen bleiben, und jetzt schauen Sie sich das an.“ Sie hob ihre Hand, damit er ihren Verlobungsring sehen konnte.

Tessa lachte. „Ich war nur fünf Tage hier und dann …“ Sie hob ebenfalls die Hand, an der auch ein Ring funkelte.

„Ich nicht“, sagte Jenna jetzt und zeigte ihre nackten Finger. „Ich bin mit meinem Verlobten hergekommen und habe ihn dann abserviert. Falls Sie also demnächst einen Verlobungsring brauchen, könnte ich Ihnen ein gutes Angebot machen.“

Nick lachte. „Ich fühle mich hinreichend gewarnt“, erwiderte er dann mit gespieltem Ernst. Sein Blick schweifte zur Küche, in der Gus sich so konzentriert über ihre Arbeit beugte, dass er nur ihren Hinterkopf sehen konnte.

Eine Stunde später hatte Nick das beste Gericht seines Lebens gegessen – am liebsten hätte er noch den Teller abgeleckt. Er beobachtete, wie Gus die Küche verließ und langsam von Tisch zu Tisch ging. Als sie näher kam, begann sein Herz schneller zu schlagen. Angestrengt versuchte er zu hören, was sie mit den anderen Gästen besprach. Plötzlich stand sie an ihrem Tisch. „Hallo Leute, wie war das Essen?“

Ein Chor der Bewunderung schallte ihr entgegen. Dann wandte sie sich direkt an ihn. „War alles zu Ihrer Zufriedenheit, Nick?“

Das Essen und der Schnaps waren so ziemlich das Beste, was er je gekostet hatte. Und instinktiv wusste er, auch sie wäre das Beste, was er je bekommen könnte. Die Frau brachte ihn völlig durcheinander. „Das Beste, was ich je hatte“, antwortete er lächelnd.

„Freut mich zu hören. Außerdem freut mich, wenn man meine Privatsphäre respektiert. Deshalb wüsste ich es sehr zu schätzen, wenn Sie nichts über mich oder mein Restaurant schreiben würden.“ Sie nahm die Rechnung vom Tisch und riss sie in der Mitte durch. „Heute geht alles aufs Haus.“

Verdammter Mist. Sie hatte ihn geschickt in die Enge getrieben – und das vor einem Tisch voller Zeugen.

Als Teddy ihm erzählt hatte, Gus wäre aus New York hierhergezogen, war er zunächst nur neugierig gewesen. Dann hatte er sie kennengelernt und war überaus interessiert gewesen. Doch jetzt faszinierte sie ihn schlichtweg.

Er musste unbedingt mehr über diese Frau erfahren.

3. KAPITEL

Gus konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie hatte den ganzen Abend viel zu tun gehabt. Außerdem war sie angespannt gewesen, nicht zuletzt wegen Nick Hudson. Es war, als ob er ständig auf ihrem inneren Radar auftauchte, als ob sie immer genau wüsste, was er machte. Mehr als einmal hatte sie sich verstohlen in seine Richtung gedreht und gesehen, dass er sie mit seinen unglaublich blauen Augen anstarrte. Ein Blick von ihm hatte gereicht, um ihren Herzschlag zu beschleunigen.

„Gott sei Dank haben wir es für heute geschafft“, sagte sie zu Teddy. Ihre Mitarbeiterin hatte begonnen, die Stühle auf die Tische zu stellen, damit sie den Boden wischen konnten. „Ich bin völlig erledigt.“

„Ich bin auch ziemlich fertig“, erwiderte Teddy.

Die Antwort riss Gus für einen Moment aus ihren Gedanken über Nick Hudson. Teddy hatte normalerweise einen unerschöpflichen Vorrat an Energie. Und Gus ging es genauso, doch sie war den ganzen Tag über so nervös gewesen, und dann quälten sie auch noch die Erinnerungen an Troy – jetzt fühlte sie sich einfach total erschöpft. Vielleicht hatte sie deshalb so auf Nick reagiert.

Gus begann, die Küche zu schrubben. Teddy war zum Glück ungewöhnlich still. Wahrscheinlich, weil sie den ganzen Tag über Nick geredet hatte.

Vier Jahre. Vier Jahre waren vergangen, seit Troy sie verfolgt und so terrorisiert hatte, dass sie fast zusammengebrochen wäre. Aber nur fast. Stattdessen war es ihr gelungen, ihm zu entkommen. Als Erinnerung an diese Zeit war ihr die weiße Strähne in ihren dunklen Haaren geblieben. Der Anblick im Spiegel war eine tägliche Mahnung daran, was passieren konnte, wenn man einem Mann erlaubte, die Kontrolle zu übernehmen.

Vier Jahre lang hatte sie nicht die geringste sexuelle Erregung in der Gegenwart eines attraktiven Mannes verspürt. Es kam ihr wie Ironie des Schicksals vor, dass ein Blick auf Nick Hudson genügte, um sie mit heftigem Verlangen zu erfüllen. Verdammt noch mal. Sie hatte heute Abend getan, was nötig gewesen war. Jetzt musste sie halt einfach versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen.

Sie begann, die gerade geputzten Flächen mit klarem Wasser abzuspülen. Ein Blick auf ihn hatte gereicht, um sie von männlichen Fingern auf ihrer Haut träumen zu lassen, von zärtlichen Lippen an der empfindsamen Innenseite ihrer Schenkel. Doch genau genommen war das nicht richtig. Sie sehnte sich nicht nach irgendeinem Mann, sie sehnte sich nach Nick.

Den ganzen Tag über hatte sie sich vorgestellt, wie es wäre, ihn zu küssen, sich gegen seinen harten Körper zu pressen und seine Bartstoppeln auf ihrer Wange zu spüren … Aber diese Gedanken führten nirgendwo hin. Sich mit ihm einzulassen, wäre total dumm, und Gus war nicht dumm.

„Gus.“ Als sie ihren Namen hörte, sah sie auf. Sie merkte sofort, dass mit Teddy etwas nicht stimmte. Sie war blass und ihre Augen glänzten fiebrig. „Ich glaube, ich bin krank.“

Teddy taumelte zum Waschbecken und übergab sich. Als sie aufhörte zu würgen, reichte Gus ihr ein Handtuch und legte ihr sachte die Hand auf die Stirn.

„Mein Gott, du glühst ja. Du hast die Grippe.“

„Ich fürchte, ich kann nicht selbst nach Hause fahren.“

„Natürlich nicht, ich fahre dich.“

Teddy schüttelte den Kopf. „Du hast schon genug um die Ohren. Ruf Marcia an, sie wird mich sicher abholen.“

Teddy lebte mit ihrer Schwester Marcia und deren Freundin Sybil in einem Haus am Stadtrand. Ihre Mutter war gestorben, als Teddy vierzehn Jahre alt war, und kurz darauf hatte auch der Vater die kleine Familie verlassen.

Gus telefonierte mit Marcia, die schon wenige Minuten später durch die Tür gestürzt kam. Die Sorge um ihre Schwester stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Komm Kleines, wir bringen dich nach Hause und ins Bett.“ Dann wandte sie sich an Gus. „Danke! Sybil ist mitgekommen, sie fährt Teddys Wagen nach Hause.“

„Gute Besserung“, rief Gus, bevor sich die Tür hinter den beiden Schwestern schloss.

Arme Teddy. Erschöpft betrachtete Gus das leere Lokal. Sie würde alles noch einmal putzen müssen, bevor sie endlich ins Bett gehen konnte. Grippeviren und Restaurantgäste waren eine denkbar ungünstige Kombination.

Sie straffte den Rücken und atmete tief ein. Es hatte ja keinen Sinn, die Sache noch weiter hinauszuzögern. Und Schlaf wurde ohnehin überbewertet.

Sie wollte gerade anfangen, als sich die Tür zwischen ihrem Lokal und der Lobby des kleinen Flugplatzes öffnete und Merrilee hereinkam.

„Ich dachte, ich sehe mal nach dir“, sagte sie und blickte sich um. „Wo ist Teddy?“

„Marcia und Sybil haben sie gerade abgeholt. Sie hat die Grippe.“

Merrilee schüttelte den Kopf. „Das ist gar nicht gut. Absolut nicht. Und jetzt musst du hier alles noch einmal sauber machen, oder?“

„Ja. Alles muss gereinigt werden, auch das Geschirr, die Gläser und das Besteck. Wir haben heute Abend beide gespült.“

Merrilee krempelte die Ärmel hoch. „Na dann mal los.“

„Du kannst doch nicht …“

„Und ob ich kann“, antwortete die ältere Frau resolut. „Ich lass dich doch nicht den ganzen Laden alleine schrubben. Wenn wir das zusammen erledigen, sind wir im Handumdrehen fertig. Also, worauf wartest du?“

In einträchtigem Schweigen putzten, schrubbten und polierten sie, bis schließlich alles glänzte. „Du solltest morgen früh als erstes Darlene anrufen“, sagte Merrilee, als sie dabei waren, die Putzsachen zu verstauen.

Darlene Pritchford hatte in den vergangenen Jahren hin und wieder im Restaurant ausgeholfen. Sie war nicht so flink wie Teddy, aber man konnte sich auf die verlassen.

Gus schüttelte den Kopf. „Ich habe gehört, dass Darlene ebenfalls mit Grippe im Bett liegt.“

Merrilee verzog das Gesicht. „Ich kann bedienen und das Geschirr abräumen, doch in der Küche bin ich hoffnungslos. Könnten nicht Lucky oder Mavis einspringen?“

Daran hatte Gus auch schon daran gedacht. Aber sie wollte sich auf keinen Fall an Lucky wenden. Schließlich sorgte er bereits für das Frühstück und das Mittagessen. „Lucky hat über die Feiertage Besuch von seiner Familie und trotzdem nicht gefragt, ob er frei bekommen kann. Ich kann ihn jetzt nicht bitten, Überstunden zu machen. Und Mavis ist mit ihren Enkeln und den Feierlichkeiten mehr als ausgelastet. Ich kriege das schon irgendwie hin.“ Sie wusste zwar nicht genau wie, doch wo ein Wille war, da gab es auch einen Weg.

Und ein Gutes hatte die ganze Sache: Sie würde so beschäftigt sein, dass sie keine Probleme hätte, Nick Hudson aus dem Weg zu gehen. Die Erschöpfung würde ihr außerdem dabei helfen, die Gedanken an Troy aus ihrem Kopf zu verbannen … und an den Reiz, den Nick auf sie ausübte.

Am nächsten Morgen schwang Nick die Beine aus dem Bett. Nachdem er geduscht und sich rasiert hatte, streifte er schnell ein paar warme Sachen über. Die Fenster seines Zimmers zeigten auf die Hauptstraße. Neugierig warf er einen Blick hinaus.

Es war noch dunkel, was ihn allerdings nicht überraschte. Im Dezember war es in Alaska nur wenige Stunden am Tag wirklich hell. Trotzdem brummte die kleine Stadt bereits vor Geschäftigkeit. Auf der Straße waren schon einige Pickups unterwegs, und ein paar Hunde trotteten hinter einer dick vermummten Gestalt über den Gehweg. Aus hell erleuchteten Fenstern fiel warmer Lichtschein auf die tief verschneite Straße.

Er hatte gestern Abend den ersten Beitrag für seinen Blog geschrieben und wollte vor dem Frühstück noch seine Emails lesen. Clint Sisnuket würde ihn erst in einer Stunde abholen. Sie wollten eine Ureinwohner-Siedlung besuchen. Er beantwortete die wichtigsten Anfragen und loggte sich aus seinem Mailprogramm aus. Dann begann er, im Internet nach Gus zu recherchieren. Sie hatte ihn gestern gebeten, nichts über sie oder ihr Lokal zu schreiben, und diese Bitte respektierte er. Aber das bedeutete nicht, dass er keine weiteren Details über sie erfahren wollte. Und dafür gab es kaum eine bessere Quelle als das World Wide Web.

Er gab ihren Namen ein und drückte auf Enter. Nichts. Das war merkwürdig. Teddy zufolge hatte ihre Chefin doch in New York gearbeitet. Dann musste sie einfach in irgendeinem Artikel erwähnt werden. Er versuchte es mit einer anderen Schreibweise ihres Namens – ohne Erfolg. Nun war seine journalistische Neugier geweckt. Er kombinierte ihren Namen mit Begriffen wie „Koch“, „Küchenchef“, „Restaurantkritik“, „Gastro-Tipps“ und „New York“.

Nicht ein einziger Treffer. Das konnte nicht sein. Jetzt hielt ihn nichts mehr auf. Er meldete sich bei einer Seite an, auf die nur Mitarbeiter der Times Zugriff hatten. Hier konnte man jeden finden, der jemals gelebt und geatmet hatte, denn die Seite war mit einem landesweiten Geburtenregister verknüpft. Bingo: Drei Augustina Tippens.

Nick stutzte und rechnete kurz im Kopf nach. Eine der Frauen war heute 94, die andere drei Jahre alt und die dritte Augustina Tippens angeblich 51.

Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Er suchte im Staatsarchiv nach Good Riddance. Angeblich gehörten ihr das Restaurant und die Bar nebenan. Aber es gab weder einen Eintrag im Handelsregister noch eine Besitzurkunde. Nicht mal eine Telefonnummer von ihr war irgendwo zu finden.

Wer immer sie auch sein mochte, sie war auf jeden Fall nicht Augustina Tippens. Und sie hatte gestern Abend mehr als deutlich gemacht, dass sie nicht in seinem Artikel erwähnt werden wollte. Langsam wurde die Sache interessant.

Nick schaltete den Computer aus und ging in den Frühstücksraum hinunter. Auf der Treppe hörte er Merrilees Stimme.

„Teddy hat die Grippe, Darlene auch. Lucky hat Besuch von seiner Familie und kann deshalb die Abendschicht nicht übernehmen. Gus sitzt wirklich in der Klemme. Ich kann servieren und abräumen, aber in der Küche bin ich ganz sicher keine Hilfe.“

„So ein Mist“, entgegnete Dalton, als Nick durch die Tür trat.

„Die arme Gus.“ Merrilee sah auf und begrüßte Nick. „Guten Morgen, wie haben Sie geschlafen?“

„Guten Morgen“, erwiderte er an die beiden gewandt. „Wie ein Stein. Das Bett ist sehr bequem.“

„Das freut mich. Möchten Sie einen Kaffee? Ich habe ihn gerade gekocht.“

Heute schien Merrilee ihm gegenüber nicht mehr ganz so reserviert zu sein wie gestern Abend. Aber er wusste genau, dass er sich ihre ablehnende Haltung nicht nur eingebildet hatte. Noch eine Sache, die merkwürdig war. Doch einen Kaffee konnte er gut gebrauchen.

„Kaffee wäre toll“, antwortete er deshalb. „Einfach schwarz, ohne alles.“

Merrilee reichte ihm seinen Kaffee in einem großen Becher, und er umschloss das warme Gefäß mit beiden Händen. „Habe ich das richtig gehört, Teddy hat die Grippe?“

„Ja, leider.“ Merrilee nickte betrübt. „Gestern Abend, nachdem das Restaurant geschlossen hatte, ging es ganz plötzlich los. Sie musste sich übergeben und hatte Fieber. Jetzt ist sie zuhause im Bett.“

„Das hört sich nicht gut an“, erwiderte Nick und nippte an seinem Kaffee. „Dann ist das Restaurant jetzt unterbesetzt?“

„Unterbesetzt ist gar kein Ausdruck.“

Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Die Idee war gar nicht so schlecht, genau genommen sogar perfekt. Er wollte mehr über Gus herausfinden, und sie brauchte dringend Unterstützung. Er hatte von klein auf im Restaurant seiner Eltern mitgeholfen. Also würde er ihr jetzt ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen konnte.

„Ich wollte schon immer mal den Ritter in schimmernder Rüstung spielen“, sagte er zu Merrilee und Dalton.

Bevor sie ihn fragen konnten, was zum Teufel er damit meinte, war er schon halb zur Tür raus. Merrilee brauchte sicher ihre ganze Selbstbeherrschung, um ihm nicht neugierig hinterherzulaufen. Er hatte sie zwar erst gestern kennengelernt, aber in der kurzen Zeit klar erkannt, dass sie gerne über alles Bescheid wusste.

Als er das Restaurant betrat, stand Gus in der Küche und war in ein Gespräch mit dem Koch vertieft. Obwohl weniger Betrieb als gestern Abend herrschte, waren dreiviertel der Tische und die Hälfte der Plätze an der Bar besetzt.

Nick lehnte sich über den Tresen, der die Küche vom Restaurant trennte. Gus stand mit dem Rücken zu ihm. Heute Morgen trug sie dunkelgraue Hosen und einen Pullover in hellerem Grau. Die Kleidung war locker geschnitten, doch der feine Stoff ließ viel von ihren Kurven erkennen.

Lucky nickte in seine Richtung, und Gus drehte sich um. Die dunklen Schatten unter ihren Augen verrieten ihm, dass sie schlecht geschlafen hatte. Sie betrachtete ihn mit einem Blick, in dem sowohl Vorsicht als auch Sehnsucht lagen. Ob es ihr nun gefiel oder nicht, sie fühlte sich zu ihm hingezogen – und er sich zu ihr. Die Anziehungskraft zwischen ihnen war so stark, das er fast glaubte, sie greifen zu können.

„Hallo“, sagte sie. „Kann ich Ihnen helfen?“

„Guten Morgen“, entgegnete er, und bevor sie oder Lucky antworten konnten, redete er weiter. „Ich habe gehört, dass Teddy mit Grippe im Bett liegt und Sie dringend Unterstützung brauchen.“

Sie betrachtete ihn misstrauisch, nickte aber. Gus Tippens war nicht dumm, und sie wusste, dass er etwas vorhatte. „Ja, stimmt.“

„Vielleicht erinnern Sie sich nicht, doch ich habe Ihnen gestern erzählt, dass meine Eltern ein Restaurant hatten. Ich habe also jede Menge Erfahrung in der Küche und hinter einer Bar und würde gerne für Teddy einspringen.“

Lucky grinste erleichtert. „Siehst du, Gus? Problem gelöst.“

Eine Sekunde lang glaubte Nick, so etwas wie Panik in ihren Augen aufflackern zu sehen. „Das kann ich nicht …“

„Oh nein, ich bestehe darauf. Ich brauche nur etwas Zeit für meinen Bericht über das Festival, ansonsten gehöre ich ganz Ihnen.“

Von dieser Vorstellung schien sie alles andere als begeistert zu sein. „Ich bin im Lager“, sagte sie zu Lucky, als Nick gegangen war.

„Alles klar, Boss“, entgegnete Lucky und wendete fachmännisch einen Pfannkuchen in der Luft.

Gus schloss die Tür hinter sich. Hier im Lager konnte sie am besten nachdenken. Aufgewühlt lief sie zwischen den Regalen voller Dosen und Flaschen hin und her. Wie konnte sie sein Angebot ablehnen, ohne als komplette Idiotin dazustehen? Schließlich benötigte sie ganz dringend Unterstützung.

Und dann war da noch die offensichtliche Anziehungskraft zwischen ihnen. Er musste nur in den Raum kommen, und schon fühlte sie Erregung in sich aufsteigen.

Noch bevor Lucky in seine Richtung nickte, hatte sie gewusst, dass Nick hinter ihr stand. Sie hatte ihn so deutlich gespürt, als ob er sie berührt hätte. Und sie hatte gehofft, dass er wieder verschwinden würde, wenn sie so tat, als ob er nicht da wäre. Obwohl er auf der anderen Seite des Tresens gestanden hatte, waren heiße Schauer durch ihren Körper gelaufen. Wie sollte sie bloß mit ihm zusammen in ihrer Küche arbeiten?

Im Stillen verfluchte sie ihn. Hätten sie beide unter vier Augen miteinander gesprochen, dann hätte sie sein Angebot einfach ablehnen können. Aber er hatte das Gleiche getan, wie sie gestern, er hatte für Zeugen gesorgt. Jeder würde glauben, sie habe den Verstand verloren – allen voran Lucky, der von der Idee mehr als begeistert war.

Die Tür zum Lager öffnete sich, und Merrilee steckte ihren Kopf herein. „Lucky sagte, ich würde dich hier finden. Kann ich dir Gesellschaft leisten?“

„Ja sicher, komm herein.“

Merrilee betrat den engen Raum und schloss die Tür hinter sich. „Ich habe eine Überraschung für dich!“

Und zum zweiten Mal an diesem Morgen fühlte Gus sich überrumpelt. „Du hast was?“

„Ich habe dir bei Jenna einen Termin für Maniküre und Pediküre besorgt.“ Merrilee strahlte sie an. „Zurzeit ist so viel los, dass du bestimmt eine kleine Auszeit vertragen kannst. Und hier gibt es nicht so viele Möglichkeiten, eine Frau zu verwöhnen. Außerdem habe ich gehört, dass du heute Abend mit Unterstützung rechnen kannst.“ Merrilee schnaubte entrüstet. „Ich habe Dalton von dem Dilemma erzählt, und Nick hat es zufällig aufgeschnappt. Bevor ich irgendwas tun konnte, war er auch schon zur Tür raus und auf dem Weg zu dir. Ich hatte keine Chance, ihn aufzuhalten.“

Gus schlüpfte in ihren Mantel und zuckte die Schultern. „Mach dir deshalb keine Gedanken.“ Dann kam ihr eine Idee, und sie lächelte böse. „Das wird ihm noch leidtun.“

„Wirklich?“

Sie war schließlich die Chefin, oder nicht? „Ganz sicher. Auf ihn warten tonnenweise Zwiebeln, die klein geschnitten werden müssen.“

Merrilee lachte, doch dann wurde sie ernst. „Sei vorsichtig, Gus – der Mann ist gefährlich.“

„Ich weiß.“ Merrilee würde ausflippen, wenn sie wüsste, wie gefährlich Nick wirklich für sie wirklich war. Schließlich drohte Gus, total die Kontrolle zu verlieren, sobald er in ihre Nähe kam. Sie hatte während der vergangenen Jahre viele Männer getroffen. Warum musste ausgerechnet er ihr den Kopf verdrehen? Und warum jetzt? Ein Wort über sie in seinem Artikel und Troy wüsste auf der Stelle, wo er sie finden konnte.

Sie wusste nur, dass er sehr verstörende Gefühle in ihr weckte. Ja, Merrilee hatte allen Grund, sich Sorgen zu machen. Sie stülpte sich die Mütze über den Kopf und ging in die Küche. „Ich bin kurz mal weg“, sagte sie zu Lucky, dem das zum Glück völlig schnuppe war. Er machte in der Küche gerne alles auf seine Art, was sie gut verstehen konnte.

Merrilee klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter. „Los jetzt. Entspann dich ein bisschen und genieß es. Du arbeitest wirklich mehr als hart.“

„Vielen Dank, das werde ich“, antwortete Gus. Spontan streckte sie die Arme aus und drückte die ältere Frau fest an sich.

„Gern geschehen, meine Süße.“

Merrilee ging zum Flugplatz zurück. Gus winkte Lucky zum Abschied hinterher und trat dann durch die Tür nach draußen. Sie hoffte, in der kalten, frischen Luft einen klaren Kopf bekommen.

Wegen der zweiten Putzrunde hatte sie erst spät ins Bett gehen können. Trotzdem war sie schon früh aufgewacht. Sie hatte kurz mit sich gekämpft, dann aber doch ihr Laptop aufgeklappt und es sich im Bett gemütlich gemacht. Es war das erste Mal seit vier Jahren, dass sie Nicks Kolumne las.

Seine Artikel waren immer noch hervorragend. Der Text offenbarte einen feinen Sinn für Humor und malte ein lebendiges Bild, ohne die Leser mit weitschweifigen Beschreibungen zu langweilen. Außerdem hatte Nick einen Blick für das Außergewöhnliche. Nach so langer Zeit wieder einen seiner Artikel zu lesen, weckte den Wunsch nach einem anderen Leben in ihr. Bei dem Gedanken überfielen sie schlagartig Schuldgefühle.

Als sie damals einen Ort gesucht hatte, an dem sie sich vor ihrem früheren Verlobten verstecken konnte, war Good Riddance für sie ein sicherer Hafen gewesen. Troy hatte sie unerbittlich verfolgt. Als er sie das letzte Mal aufgespürt hatte, wäre es fast zu einer Vergewaltigung gekommen. Mittlerweile konnte sie daran denken, ohne in Panik auszubrechen. Doch damals war ihr klar geworden, dass sie alles tun musste, um von ihm wegzukommen – oder einer von ihnen würde sterben.

Sie mochte die Leute hier sehr gern, auch wenn sie niemanden dicht an sich heranließ. Und obwohl sie mit ihrem Leben zufrieden war, weckte Nicks Artikel die Sehnsucht nach dem geschäftigen Treiben von New York. Sie vermisste richtige Jahreszeiten. Sie vermisste das hektische Treiben einer Großstadt. Und ob sie wollte oder nicht – sie vermisste auch den Sex.

Sex, Reisen und New York. Das mit dem Sex könnte sie irgendwie hinbekommen, auch wenn sie bislang wenig erfolgreich gewesen war. Aber Reisen und New York waren für sie unwiderruflich vorbei. Es war einfach zu riskant. Das nächste Mal, wenn Troy sie fand, würde irgendwer ernsthaft verletzt werden. Und sie zweifelte keine Sekunde daran, dass sie diejenige wäre.

Sie holte tief Luft. Eigentlich konnte sie mit dem, was sie hier erreicht hatte, zufrieden sein. Es war ein gutes Leben. Sie lächelte über die drolligen Elchköpfe, die an den Strommasten hingen. So etwas gab es schließlich auch nicht überall.

Als sie den Laden betrat, schauten Donna und Jenna auf und begrüßten sie fröhlich.

„Wir sind fast fertig“, sagte Jenna, „dauert nur noch eine Minute.“

„Immer mit der Ruhe“, erwiderte Gus und schälte sich aus Mantel, Schal und Mütze. Sie warf ihre Sachen über einen leeren Friseurstuhl und nahm in einem anderen Platz.

„Du kannst schon mal Schuhe und Strümpfe ausziehen. Ich mache hier nur schnell Ordnung“, fuhr Jenna fort.

„Lass dir Zeit“, antwortete Gus, während sie aus ihren dicken Stiefeln und warmen Socken schlüpfte. Die kalte Luft im Laden streifte ihre nackten Füße. Vielleicht war es ganz gut, Nick in der Nähe zu haben. Hieß es nicht, man solle seine Feinde im Auge behalten? Er war ja nicht wirklich der Feind, aber … Sie fühlte sich sexuell bestimmt nur deshalb zu ihm hingezogen, weil sie jetzt schon vier Jahre wie eine Nonne lebte. Und damals hatte sie lediglich für seine Artikel geschwärmt. Wenn sie erst mal Zeit mit dem echten Nick verbrachte, würde sich ihre Begeisterung sicher schnell legen. Sie würde erkennen, dass er nicht der Mann war, den sie wegen seiner Texte in ihrer Fantasie aus ihm gemacht hatte.

„Es kann losgehen“, sagte Jenna und riss sie damit aus ihren Gedanken.

Sie ließ sich in den Stuhl gegenüber von Jenna sinken. Diese griff nach den Händen ihrer Kundin und runzelte die Stirn, als sie die Nägel genauer betrachtete.

„Keine Sorge, das bekommen wir wieder hin.“

Gus hatte keine Ahnung, worum es ging. Sie hatte sich bislang nicht den kleinsten Gedanken um ihre Nägel gemacht. „Dann zaubere mal“, antwortete sie deshalb nur, und lehnte sich zufrieden zurück.

„Ich mache dir umwerfende Nägel, wo du doch heute Abend so eine sexy Aushilfe in deiner Küche hast.“

Gus wunderte sich nicht im Geringsten darüber, dass Jenna bereits Bescheid wusste. So lief das nun mal in Good Riddance. Nichts blieb lange verborgen. Ausgenommen ihr Geheimnis …

Und genau so sollte es auch bleiben, wenn es nach ihr ging.

4. KAPITEL

Clint war ein netter Typ, dachte Nick, als sie die vereiste Straße entlangfuhren. Und sein Hund Kobuk, der auf der Rückbank saß und aus dem Fenster blickte, war auch nett. Aber bis jetzt hatte Nick eigentlich jeden gemocht, den er hier kennengelernt hatte. Das galt vor allem für die Gruppe, mit der er sich gestern Abend zum Essen getroffen hatte. Sie alle waren freundlich, intelligent und hatten interessante Geschichten zu erzählen. An Orten wie Good Riddance war das natürlich nicht verwunderlich. Wer sich in einer derart abgeschiedenen Gegend niederließ, hatte meist eine interessante Geschichte.

„Fichten?“, fragte er jetzt mit einem Kopfnicken zu den Bäumen vor ihnen.

„Gut geraten“. Clint lachte. „Bist du das erste Mal in Alaska?“

„Kaum zu glauben, oder? Da schreibe ich seit acht Jahren einen Reise-Blog und bin noch nie hier gewesen. Das war längst überfällig.“

Clint lächelte. „Tessa fand es toll, sich gestern Abend mit dir über Reiseabenteuer auszutauschen.“

„Ja, es ist ziemlich cool, dass wir beide in Palenque waren.“ Er traf eher selten jemanden, der auch die unbekanntere der Maya-Ruinen im mexikanischen Dschungel besucht hatte. „Und auf diese Reisen verzichtet sie jetzt, um ausgerechnet hier zu bleiben … Tut mir leid, das ist jetzt irgendwie falsch rübergekommen.“ Nick schämte sich einen Augenblick lang, hatte aber tatsächlich Schwierigkeiten, Tessas Entscheidung nachzuvollziehen.

„Schon gut, ich verstehe dich.“ Clint zuckte mit den Schultern. „Ich habe ihr angeboten umzuziehen, doch sie sagte, sie gehöre hierher.“

„Eure Geschichte ist auf jeden Fall interessant“, antwortete Nick. „Aber das gilt wohl für die meisten, die hier oben gestrandet sind.“

„Mag sein. Alaska eignet sich nicht für jeden – und das Buschland schon gar nicht.“

Nick war besonders an der Geschichte einer grauäugigen Frau mit sinnlichem Mund interessiert, die er anscheinend nicht aus seinem Kopf bekam. Er versuchte, unbeteiligt zu klingen. „Und was ist Gus’ Geschichte?“ Er brauchte nur ihren Namen auszusprechen und war bereits erregt – es war wirklich jämmerlich.

Clint musste lachen. „Ich dachte schon, du fragst nie.“

Nick fühlte sich ertappt. „Ist es so offensichtlich?“

„Mehr als das.“

„Also?“ Clint dachte offenbar nicht im Traum daran, die Sache einfacher für ihn zu machen.“

„Sie lebt seit etwa vier Jahren hier. Zuvor hat sie in New York gearbeitet, den ganzen Stress aber irgendwann nicht mehr ausgehalten. Also ist sie hierher und in die Nähe ihrer Tante Merrilee gezogen. Am Anfang hat sie sich ziemlich abgeschottet, sie ist immer für sich geblieben.“

„Ihr Restaurant scheint in der Stadt eine echte Institution zu sein.“ Es war merkwürdig. Obwohl sie für jeden ein freundliches Wort hatte und ihr Laden in Good Riddance eine zentrale Rolle spielte, spürte er bei ihr eine gewisse Zurückhaltung.

„Stimmt, das Gus’ ist der angesagteste Laden weit und breit.“

„Wem hat es vorher gehört?“

„Einem Typen namens Hargood Winters. Aber da hatte es längst nicht die jetzige Klasse.“ Das überraschte Nick nicht im Geringsten – Gus war schließlich eine Frau mit Klasse. „Gus hat damals alles drangesetzt, ihn rauszukaufen und den Laden zu übernehmen.“

Doch Nick wusste es besser. Sie hatte den Laden nicht gekauft. Zumindest tauchte ihr Name in keinem offiziellen Dokument auf. Er war neugierig, wem das Restaurant tatsächlich gehörte, und nahm sich vor, noch mal einen genaueren Blick auf die Unterlagen zu werfen.

„Sie ist eine Wahnsinnsköchin“, sagte er zu Clint. „So gut wie gestern habe ich selten gegessen.“ Draußen begann es leicht zu schneien.

„Ja, das finden alle. Sie war in New York sehr erfolgreich.“ Clint zuckte mit den Schultern. „Doch dann wurde ihr wohl alles zu viel.“

„In welchem Restaurant hat sie denn gearbeitet?“

„Keine Ahnung. Aber da ich noch nie in New York gewesen bin, würde mir der Name sowieso nichts sagen.“

Nick hätte wetten können, dass es in ganz Good Riddance niemanden gab, der den Namen des Restaurants kannte. Er zweifelte nicht an der Geschichte, die er gerade gehört hatte. Doch er hätte schwören können, dass man sie dort nicht unter dem Namen Gus Tippens kannte.

„Bleibt sie immer noch eher für sich?“, fragte er jetzt.

Clint grinste. „Wenn du wissen willst, ob sie einen Freund hat, lautet die Antwort nein. Ich glaube, sie hatte noch keine einzige Verabredung, seit sie hier wohnt. Am Anfang hat Dalton ein paar Mal versucht, mit ihr auszugehen – er wäre sogar mit ihr nach Anchorage geflogen. Schließlich kann man in Good Riddance kaum etwas anderes machen, als bei Gus abzuhängen.“

Nick musste lachen. „Das stimmt wohl. Und – ist sie mit ihm ausgegangen?“

„Sie war sehr nett und höflich, hat ihn allerdings abblitzen lassen.“

Nick freute sich über diese Antwort. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie verliebt Dalton in Skye Shanahan war. Trotzdem fühlte er sich auf lächerliche Art erleichtert, dass der andere Mann keine Chance bekommen hatte, Gus’ volle Lippen zu küssen oder ihre dunklen Haare zu streicheln. „Und nein. Ich glaube nicht, dass sie eine Lesbe ist“, riss Clint ihn aus seinen Gedanken.

Im ersten Augenblick war Nick überrascht, aber dann musste er lachen. „Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht.“

„Wenn ich du wäre, würde ich es langsam angehen lassen“, sagte Clint jetzt und warf ihm einen flüchtigen Blick zu. „Merrilee und Bull passen auf sie auf wie die Schießhunde.“

Nick zog fragend eine Augenbraue in die Höhe.

„Keine Ahnung, wieso. Vielleicht, weil sie Merrilees Nichte ist. Oder weil sie in einer ziemlich üblen Verfassung war, als sie hier ankam.“

In ziemlicher übler Verfassung? Was sollte das heißen? Nicks journalistische Neugier meldete sich – zusammen mit einem Beschützerinstinkt, den er nur sehr selten spürte. Er hatte ein ganz schlechtes Gefühl.

„Was heißt denn ‚üble Verfassung‘?“

Clint sah ihn scharf an. Die Anspannung war seiner Stimme wohl anzuhören. „Na mental – oder emotional. Schon was von Alopezie gehört?“

„Nein, klingt aber nicht gut.“

„Dabei fallen einem die Haare aus, manche Menschen werden völlig kahl. Einer der Auslöser ist Stress. Die weiße Strähne in Gus Haar wurde dadurch verursacht. An der Stelle sind ihr die Haare ausgefallen, und als sie wieder nachgewachsen sind, waren sie weiß.“

„Verdammt.“ Nick wusste, dass die Küchenchefs in New York unter großem Druck standen. Doch er hatte Gus bei ihrer Arbeit beobachtet: Auch als sehr viel zu tun gewesen war, hatte sie tüchtig und entspannt gewirkt. Sie machte auf ihn nicht den Eindruck einer Frau, der vor lauter Stress die Haare ausfielen und die sich in Alaska versteckte, weil ihr Job sie überforderte. Sein Gefühl sagte ihm, dass mehr dahintersteckte.

„Ja. Das war ziemlich übel.“

Es erschien Nick ein wenig seltsam, dass ein schweigsamer Mann wie Clint plötzlich so freigiebig mit Gus’ Geschichte rausrückte. Er hielt nichts davon, lange um den heißen Brei herumzureden, also sagte er geradeheraus, was ihm durch den Kopf ging. „Warum erzählst du mir das alles? Du bist doch sonst nicht gerade der redselige Typ.“

Clint nickte. „Da hast du recht. Aber eins solltest du wissen: In Good Riddance passen wir aufeinander auf. Es ist dir deutlich anzumerken, dass du dich für Gus interessierst. Sie hat sehr harte Zeiten hinter sich. Das soll sich nicht wiederholen – darum erzähle ich dir das.“

Eigentlich hätte Nick jetzt beleidigt sein müssen, doch er nahm es nicht persönlich. Genauso hatte er empfunden, wenn seine Schwestern eine Verabredung hatten. Jetzt waren sie verheiratet, und er konnte ihren Männern nur raten, sie anständig zu behandeln. Gus hatte hier Menschen, die auf sie aufpassten – und das war gut so.

„Die Botschaft ist angekommen, klar und deutlich.“

Er würde behutsam vorgehen. Das Letzte, was er wollte, war Gus zu verletzen. Aber er wollte sie. Er hatte sie vom ersten Augenblick an gewollt, und jede Begegnung mit ihr hatte seine Gefühle für sie verstärkt. Außerdem war er sich ganz sicher: Hinter der Vorsicht in ihren grauen Augen hatte er ein Feuer schwelen sehen – und dieses Feuer würde er zum Lodern bringen.

Gus hatte gerade alle Zutaten für das abendliche Menü zusammengesucht, als Nick auftauchte. Sie hatte die Tür gehört, aber sie fühlte seine Anwesenheit in dem Augenblick, als er den Raum betrat. Es war, als bestünde eine besondere Verbindung zwischen ihnen.

„Melde mich gehorsamst zum Dienst“, sagte er hinter ihrem Rücken, seine Stimme klang tief und sanft. Sie drehte sich um und sah ihm direkt in die Augen. Ihr stockte der Atem, als sie die Begierde darin erkannte. Im Bruchteil einer Sekunde spürte sie, wie ihr Körper sich anspannte, als bereite er sich auf eine Berührung von ihm vor. Schon ein Blick von ihm hatte genügt, um ihr Verlangen zu wecken.

„Im Lager ist noch eine Schürze, wenn Sie möchten“, sagte sie und zeigte vage mit dem Finger zur Tür.

„Gute Idee“, erwiderte er und durchmaß den Raum mit schnellen Schritten. Seine Bewegungen waren geschmeidig, und sie konnte nicht umhin, seinen knackigen Hintern zu bemerken.

Er band sich die saubere Schürze um und blickte sie erwartungsvoll aus seinen unglaublich blauen Augen an. „Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung. Sagen Sie mir einfach, was ich für Sie tun kann.“

Was er für sie tun konnte. Ihre Finger schlossen sich fester um den Griff des Topfes, den sie gerade in der Hand hielt. Sie stellte sich vor, wie seine Lippen auf ihre trafen, ihre Zungen sich berührten und ihre Körper sich aneinanderpressten. Seine Augen verdunkelten sich, und Gus hätte schwören können, dass ihm die gleichen Gedanken durch den Kopf gingen – ganz besonders, als sein Blick an ihrem Mund hängen blieb. Ohne nachzudenken, fuhr sie sich mit der Zunge über die Unterlippe und konnte seine Anspannung förmlich mit Händen greifen.

Mit einem lauten Scheppern stellte sie den Topf auf den Herd und brach damit den Bann – oder was immer es sein mochte, das eben zwischen ihnen gewesen war. Sie nickte in Richtung der Zwiebeln, die auf dem untersten Brett des Küchenwagens lagen.

„Die Zwiebeln müssten klein geschnitten werden.“

Sein Grinsen löste merkwürdige Gefühle in ihr aus. Er wusste genau, was sie vorhatte. „Klar, kein Problem. Fein gehackt, gewürfelt oder in Scheiben geschnitten?“

„Die eine Hälfte gewürfelt, die andere in Scheiben geschnitten, falls es Ihnen nichts ausmacht.“

„Wenn es das ist, was sie wollen, bekommen Sie es auch. Ich möchte nur, dass Sie zufrieden sind.“

Ihr wurde heiß und kalt, und das lag ganz sicher nicht an der Grippe. „Keine leeren Versprechungen bitte.“

Er lehnte sich leicht über den Arbeitstisch, der zwischen ihnen stand, und blickte erneut auf ihre Lippen. „Dann lassen Sie mich Ihnen beweisen, wie gut ich …“, hier stockte er kurz und grinste sie frech an, „… im Schneiden und Würfeln bin.“

Gus musste trotz ihrer Verlegenheit lachen. Es fühlte sich herrlich an, mal wieder mit einem Mann zu flirten und seine Bewunderung zu spüren. Sie wusste, dass sie das Ganze auf der Stelle beenden und ihn auf Distanz halten sollte. Aber sie konnte einfach nicht. Er war schlichtweg unmöglich, doch sie fühlte sich beinah magisch zu ihm hingezogen.

Sie mochte ihre Gäste, aber sie liebte auch diese Tageszeit. Mittagessen gab es bis halb drei, dann ging Lucky nach Hause. Gus kam um drei und um halb sechs öffneten sie wieder. Für zweieinhalb Stunden war sie dann mit Teddy allein. Und heute eben mit Nick.

Es war merkwürdig, wie er die Küche auszufüllen schien. Er war ein großer Mann, sicher an die eins neunzig, mit breiten Schultern. Doch da war noch mehr. Er hatte eine Präsenz und eine Energie, die den Raum um ihn herum mit Leben erfüllte und auch sie durchdrang.

Gus wusste genau, dass er ihr Löcher in den Bauch fragen würde, wenn sie ihm nicht zuvorkam. Außerdem war sie neugierig. Sie wollte wissen, welcher Mann hinter den Artikeln steckte.

„Ihre Eltern hatten also ein Restaurant in New York?“, eröffnete sie deshalb das Gespräch.

„Ja, bis vergangenes Jahr, da haben sie es verkauft. Vorher hat es meinen Großeltern gehört. Ich bin quasi dort aufgewachsen.“ Er lachte. „Wenigstens hat es mich von der Straße ferngehalten.“

Während sie beide ihrer Arbeit nachgingen, erzählte er ihr Geschichten über seine Familie und lustige Anekdoten, die sich mit Kunden zugetragen hatten. Er brachte sie zum Lachen, und sie mochte den Tonfall und den Rhythmus seiner Stimme. Er war der geborene Geschichtenerzähler.

„Jetzt versteh ich es“, sagte sie und gab noch etwas Würze an die Füllung für das Huhn.

„Was verstehen Sie?“ Er blickte sie über den Arbeitstisch hinweg erwartungsvoll an.

„Warum Sie so gut in Ihrem Job sind. Sie können hervorragend Geschichten erzählen.“

Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Er sah aus, als ob sie ihm gerade einen Orden verliehen hätte. „Sie finden, ich bin gut in dem, was ich tue?“

„Natürlich sind Sie gut, und das wissen Sie selbst ganz genau. Wenn dem nicht so wäre, hätten Sie schon längst keinen Job mehr.“

„Da haben Sie wohl recht. Ich glaube, es liegt am Restaurant. Dort hatte ich von klein auf eine Bühne. Ich konnte ja schlecht dort arbeiten und nicht mit den Gästen reden.“

Autor

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