Collection Baccara Band 402

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BESCHÜTZT IN STARKEN ARMEN von ORWIG, SARA
Ein tragischer Unglücksfall hat Tom und seine Ehefrau Emily einander entfremdet. Er ist bereits ausgezogen, als Emily Opfer eines anonymen Erpressers wird. Auch wenn Tom nur als ihr Beschützer zurückkehrt, steigt die erotische Spannung mit jedem Tag, mit jeder Nacht … und sie kommen sich prompt wieder näher. Hat ihr Glück womöglich doch noch eine Chance?

EINE UNFASSBAR SINNLICHE SCHEINEHE von ROCK, JOANNE
Hotelbesitzer Gabe McNeill überredet seine Mitarbeiterin und gute Freundin Brianne zu einer Zweckehe auf Zeit. Selbstverständlich nur, damit sein kleiner Sohn Anrecht auf sein Erbe hat - nicht weil es zwischen der schönen Brianne und ihm so verführerisch heiß knistert. Denn nach seiner letzten Beziehung hat er der Liebe für immer abgeschworen!

VERLANGEN, DAS MAN NIE VERGISST von LAURENCE, ANDREA
Bei einer Charity-Veranstaltung trifft Aidan die sexy Unbekannte wieder, mit der er vor über einem Jahr ein unvergesslich leidenschaftliches Wochenende verbracht hat. Sofort ist die erregende Anziehung wieder da. Doch Violet behauptet, ihn nicht zu kennen! Oder spielt sie ihren Gedächtnisverlust nur? Dass Aidan der Vater ihres Babys ist, ist unübersehbar …


  • Erscheinungstag 29.01.2019
  • Bandnummer 402
  • ISBN / Artikelnummer 9783733725587
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sara Orwig, Joanne Rock, Andrea Laurence

COLLECTION BACCARA BAND 402

SARA ORWIG

Beschützt in starken Armen

Ein tragischer Unglücksfall hat Tom und seine Ehefrau Emily einander entfremdet. Er ist bereits ausgezogen, als Emily Opfer eines anonymen Erpressers wird. Auch wenn Tom nur als ihr Beschützer zurückkehrt, steigt die erotische Spannung mit jedem Tag, mit jeder Nacht … und sie kommen sich prompt wieder näher. Hat ihr Glück womöglich doch noch eine Chance?

JOANNE ROCK

Eine unfassbar sinnliche Scheinehe

Hotelbesitzer Gabe McNeill überredet seine Mitarbeiterin und gute Freundin Brianne zu einer Zweckehe auf Zeit. Selbstverständlich nur, damit sein kleiner Sohn Anrecht auf sein Erbe hat – nicht weil es zwischen der schönen Brianne und ihm so verführerisch heiß knistert. Denn nach seiner letzten Beziehung hat er der Liebe für immer abgeschworen!

ANDREA LAURENCE

Verlangen, das man nie vergisst

Bei einer Charity-Veranstaltung trifft Aidan die sexy Unbekannte wieder, mit der er vor über einem Jahr ein unvergesslich leidenschaftliches Wochenende verbracht hat. Sofort ist die erregende Anziehung wieder da. Doch Violet behauptet, ihn nicht zu kennen! Oder spielt sie ihren Gedächtnisverlust nur? Dass Aidan der Vater ihres Babys ist, ist unübersehbar …

1. KAPITEL

Tom Knox eilte den Korridor des Texas Cattleman’s Club hinunter. Der dicke Teppich dämpfte seine Schritte. An den holzvertäfelten Wänden hingen alte Ölgemälde und zwei große Spiegel mit reich verzierten Rahmen. Zwischen Palmen in großen Blumentöpfen standen mit Satin bezogene Sessel. Tom war so an dieses Ambiente gewöhnt, dass er es kaum noch wahrnahm. Erst eine Frau, die ebenfalls auf den Korridor einbog, erregte seine Aufmerksamkeit.

In ihm zog sich alles zusammen, als er Emily erkannte. Emily Archer Knox – seine vom ihm getrennt lebende Ehefrau. Wie immer löste ihr Anblick Verlangen in ihm aus.

Ihr Gesicht wurde von gewelltem honigblondem Haar umrahmt. Er wusste, dass es sich weich anfühlte. Die Erinnerungen kamen ganz automatisch, ganz gleich, wie sehr sie ihn schmerzten oder aufwühlten. Emily trug ein rotes Leinenkostüm mit passender Leinenbluse und roten High Heels. Der kurze Rock brachte ihre wohlgeformten Beine bestens zur Geltung. Seine Fantasie schuf Bilder von ihr ohne dieses Kostüm. Verlangen paarte sich mit Schuldgefühlen. Er hatte sie enttäuscht. Auf die schrecklichste Weise.

Immer wenn er Emily sah, musste er daran denken, dass es ihm nicht gelungen war, das Leben ihres vierjährigen Sohnes zu retten. Sie hatten zusammen mit Ryan einen Skiurlaub in Colorado verbracht. Bei einer Fahrt mit dem Tourbus war es passiert. Seither waren fünf lange Jahre voller Schuldgefühle vergangen, und zwischen Tom und Emily herrschte nur noch kalte Bitterkeit. Toms Leben war etwas leichter geworden, als er im vergangenen Jahr das gemeinsame Haus verlassen hatte und in das Gästehaus der Ranch gezogen war. Jetzt konnten Wochen vergehen, ohne dass sich ihre Wege kreuzten.

In vieler Hinsicht war es besser, getrennt zu sein, weil er dann die Last der Schuld etwas weniger drückend empfand. Nach der Katastrophe war er für drei Jahre zu den Army Rangers gegangen. Erst der Tod seines Freundes Jeremy bewegte ihn dazu, auf die Ranch zurückzukehren. Er konnte nicht mit Emily zusammen sein, ohne daran denken zu müssen, wie sehr er sie enttäuscht hatte und wie unglücklich sie mit ihm gewesen war.

Emilys grüne Augen weiteten sich, als sie ihn erkannte. Ihr Lächeln war höflich. Ein Lächeln, wie sie es einem Fremden schenken würde.

„Hi, Tom“, sagte sie leise.

„Guten Morgen. Du siehst wunderbar aus.“ Er konnte sich das Kompliment nicht verkneifen.

Ihr Blick fiel auf die Tasche in seiner Hand. „Hast du ein Meeting?“

„Ja, der Finanzausschuss. Und du?“

„Ich bin mit einer Freundin zum Essen verabredet.“

Sie wahrten die höfliche Fassade, aber in ihm tobte ein Sturm der Gefühle. So war es jedes Mal, wenn er Emily sah oder mit ihr redete.

„Hab eine schöne Zeit“, wünschte er ihr.

Ihr Parfum weckte Erinnerungen daran, wie er sie in seinen Armen gehalten und sie geküsst hatte. Er ärgerte sich über sich selbst. Wieso konnte er nicht loslassen? Sie hatten sich getrennt. Es gab nichts mehr, das sie verband. Nur eines war nie verschwunden: das Verlangen, das ihn jedes Mal befiel, wenn er sie sah. Er verstand es nicht und wollte nicht weiter darüber nachdenken.

Er wusste, dass sie die Chemie, die immer noch zwischen ihnen war, ebenso registrierte wie er. Eigentlich brauchten sie beide eine Chance für einen neuen Start im Leben. Wahrscheinlich wäre es am besten, die Scheidung einzureichen und ganz aus ihrem Leben zu verschwinden.

Nach dem Mittagessen im Klub und einem Nachmittag in ihrem Fotostudio im Zentrum von Royal fuhr Emily zurück zu Knox Acres, der Ranch, die zur Hälfte ihr und zur Hälfte Tom gehörte. Immer wieder ging ihr die kurze Begegnung im Texas Cattleman’s Club durch den Kopf. Sie fühlte sich zu Tom hingezogen, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Damals war sie sechzehn gewesen. Auch heute noch löste sein Anblick prickelnde Schauer in ihr aus – in guten Zeiten wie in schlechten Zeiten. Tom hatte sie gleich bei ihrer ersten Begegnung verzaubert. Sie hatte keinen Vergleich, aber das spielte keine Rolle: Für sie war Tom der attraktivste Mann, den sie je kennengelernt hatte.

Irgendwann hatten andere Aspekte ihrer Ehe das Begehren verdrängt. Sie verloren das Wichtigste – die Einheit ihrer Herzen. Die Freude aneinander.

Ihr Glück zerstob in jener Nacht, als ihr Tourbus auf einer vereisten Straße in Colorado ins Schleudern geriet und in einen zugefrorenen See rutschte. Tom war fast daran gestorben, als er Ryan aus dem eisigen Wasser zog. Tom kam mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus, mit einer tiefen Schnittwunde am Knie, einem gebrochenen Schlüsselbein sowie mehreren gebrochenen Rippen und einer Milzruptur.

Nach drei Tagen war Tom transportfähig, und man flog ihn, Emily und Ryan in ein großes Krankenhaus nach Denver. Auch dort konnte man Ryan nicht helfen. Nach acht weiteren Tagen erlag er schließlich seinen Verletzungen. Bei aller Trauer fanden sie noch die Kraft, Ryans Organe zu spenden, um anderen Eltern die Qual zu ersparen, ihr Kind zu verlieren.

Der Urlaub war auch ein Treffen von Toms Familie gewesen. Dreiundzwanzig Mitglieder seiner Familie saßen mit in diesem Bus. Neben Ryan starb auch Toms Tante. Drei weitere Businsassen, die nicht zur Familie gehörten, kamen um, darunter zwei Kinder.

Aus Wochen wurden Monate, aus Monaten Jahre. Ihre Erinnerungen wurden immer kostbarer. Um wieder zueinander zu finden, bemühten sie sich, ein weiteres Kind zu bekommen, aber vergebens. Emily hatte das Gefühl, versagt zu haben. Es war ein weiterer Schlag für ihre Ehe. Zuerst hatten sie ihren Sohn verloren, dann ihre Liebe. Ihre Beziehung litt, bis Tom auszog und sie sich kaum noch sahen.

Die meisten ihrer Bekannten wussten, dass sie sich getrennt hatten. Das schockierte sie manchmal ebenso sehr wie alles andere, was ihnen zugestoßen war. Emily hatte Tom damals so sehr geliebt, als sie geheiratet hatten. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass es einmal so weit kommen würde, dass sie einander kaum noch sahen.

Um Tom aus ihren Gedanken zu verdrängen, kümmerte sie sich um Snowball, den großen weißen Kater, den Ryan als Katzenbaby zu seinem vierten Geburtstag bekommen hatte. Sie fütterte ihn und setzte sich dann an den PC, um ihre Mails zu lesen.

Eine Betreffzeile sprang ihr ins Auge. So hart und knapp wie der folgende Text:

Heute nur für dich zu lesen – morgen für ganz Royal!

Du warst wohl nicht Frau genug, um sein Interesse zu halten. Hier ist seine richtige Familie. Seine heimliche Familie. Bis jetzt.

Maverick.

Emily erstarrte. Sie hatte keine Ahnung, wer Maverick war. Niemand kannte die Identität dieses verhassten Trolls, der seit Monaten Unruhe in Royal schürte, indem er Menschen bedrohte und erpresste. Es gab Gerüchte, dass Maverick etwas mit den sogenannten „drei Hexen“ zu tun hatte: Cecelia Morgan, Simone Parker und Naomi Price. Sie waren schon seit Highschool-Zeiten unter diesem Namen bekannt, weil sie dazu neigten, anderen das Leben zur Hölle zu machen. Die Frauen waren erst unlängst in den Texas Cattleman’s Club aufgenommen worden und benahmen sich, als gehöre der Klub ihnen. Wie auch die ganze Stadt. Sie vermittelten Emily immer das Gefühl, sie sei ihnen nicht gut genug.

Voller Unbehagen öffnete Emily den Anhang der Mail. Es war ein Foto. Und es traf sie wie ein Schlag: Tom an der Seite einer lächelnden rothaarigen Frau, die ihr Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Vor ihnen zwei niedliche Kinder. Der Junge mochte um die vier sein – im selben Alter wie ihr Sohn Ryan, als sie ihn verloren hatten. Neben ihm auf der einen Seite ein kleines rothaariges Mädchen, auf der anderen ein Golden Retriever. Im Hintergrund ein Traumhaus. Eine perfekte Familie.

Als professionelle Fotografin wusste Emily sofort, dass die Aufnahme echt war.

Dies war also Toms Familie. Sie war wie vom Donner gerührt. Sie und ihr Mann hatten sich im Laufe der vergangenen fünf Jahre auseinandergelebt. Und hier sah sie nun einen zusätzlichen Grund dafür. Wut kochte in ihr hoch. Das war eine Seite, die sie nie an Tom gesehen hatte, eine unehrliche, unaufrichtige Seite. Sie hatte ihm blind vertraut.

Sie starrte das Foto an. Ein Beweis, dass ihre Ehe nur noch auf Lügen basierte. Tom hatte eine andere Familie. Er führte ein Doppelleben. Diese Vorstellung war unerträglich.

Wenn Emily einen Beweis gebraucht hatte, dass ihre Ehe unwiderruflich am Ende war, dann hatte sie ihn jetzt. Es gab keinen Grund mehr, nicht den letzten Schritt zu tun. Sie war so wütend auf Tom, dass sie keine Perspektive mehr sah: Sie würde die Scheidung einreichen. Er sollte frei sein, ganz offen mit der Familie zusammenzuleben, die er liebte.

Bebend vor Wut beugte sie sich näher an den Bildschirm, um das Foto genau zu betrachten. Die Frau kam ihr bekannt vor, aber sie wusste nicht, woher. Lebte sie etwa mit ihren Kindern in Royal?

Stimmte der Text der Mail? War sie, Emily, nicht Frau genug, um Tom zu halten? Natürlich. Maverick hatte recht. Sie konnte Tom nicht die Familie schenken, die er haben wollte.

Es war Toms Idee gewesen, in das Gästehaus zu ziehen. Er hatte gesagt, eine Trennung würde ihnen beiden die Chance geben, sich über die Zukunft klar zu werden. Er war derjenige gewesen, der gesagt hatte, sie müssten auf Distanz gehen, um ihre Gefühle füreinander klären zu können.

Es verletzte Emily zutiefst, jetzt den wahren Grund dafür zu sehen, wieso er das Haus verlassen hatte.

Ihr Blick glitt über die Mail. Sie hatte keine Ahnung, wer Maverick war. Konnte es sein, dass Cecelia Morgan, Simone Parker und Naomi Price dahintersteckten? Ihr Spitzname – die drei Hexen – sprach Bände, aber sie waren alle drei erfolgreiche Geschäftsfrauen. In vieler Hinsicht schien es unwahrscheinlich, dass sie sich mit dieser Art von Drohung befassten. Sie mochten arrogant und dominant sein, aber das hieß nicht, dass sie sich auf eine solche Ebene der Boshaftigkeit herabließen.

Jemand wollte Toms Geheimnis lüften. Emily konnte sich vorstellen, was dann auf sie zukam: Man würde sie bemitleiden, und viele würden sich hinter ihrem Rücken über sie lustig machen. Das war jedoch alles nichts verglichen mit dem Schmerz, den sie über Toms Betrug empfand. Wie konnte er ein solches Doppelspiel betrieben haben? Das passte gar nicht zu dem Mann, den sie kannte und liebte.

Würde Maverick auch Tom eine Mail schicken und ihm drohen? Hatte er oder sie vielleicht schon versucht, Geld von Tom zu erpressen? Würde Tom sich Mavericks Schweigen erkaufen? So wie sie Tom kannte, würde er den Mann zum Teufel schicken.

Emily konnte die Flut der Tränen nicht mehr zurückhalten, als die Gefühle sie überwältigten. Die ganze Zeit hatte Tom eine Frau gehabt, die er liebte und die seine Liebe erwiderte. Er hatte Kinder gehabt und ein Zuhause. Kein Wunder, dass Emily und er den Weg zurück zueinander nicht gefunden hatten.

Sie hatte vor, Tom mit der Wahrheit zu konfrontieren. Ihre Ehe war am Ende. Vorbei! Sie brauchte die Scheidung, um ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Sie hatte ihren Sohn verloren, und offenbar hatte sie auch Tom schon vor Jahren verloren. Er führte ein Doppelleben. So etwas hätte sie nie von ihm erwartet. Sie hatte nicht einmal ansatzweise etwas geahnt. Tom war immer vollkommen ehrlich erschienen. Doch wie hatte er sie zum Narren gehalten! Sie hätte ihn jetzt gern angeschrien und ihm an den Kopf geworfen, was sie von seiner Verlogenheit hielt. Sie wollte ihn nicht mehr in ihrem Leben haben.

Nach einer schlaflosen Nacht fuhr Emily am nächsten Tag nach Royal. Verbittert und verletzt reichte sie die Scheidung ein.

Tom hatte nach seiner Zeit bei den Rangern die Leitung der Ranch übernommen. Sie hatte ihr Fotostudio und ein Haus in Royal. Tom und sie konnten also problemlos getrennte Wege gehen.

Nach der Arbeit fuhr sie zu dem großen Haus, das sie geerbt hatte. Es hatte ihrem Onkel Woody gehört, bei dem sie aufgewachsen war. Das Haus war alles, was ihr von ihrer Familie geblieben war. Sie wollte es wieder herrichten, sodass sie dort leben konnte. Dort war sie nahe bei ihrem Studio und weit genug entfernt von der Ranch. Weit genug von Tom. Sie wollte nicht mehr in dem großen Haus auf der Ranch leben, das sie beide gebaut hatten, bevor Ryan geboren wurde.

Tom hatte den ganzen Tag draußen auf der Ranch gearbeitet, als er am Abend zurück zum Gästehaus fuhr. Schwere körperliche Arbeit war das ideale Mittel, um schmerzliche Erinnerungen zu vertreiben. Zumindest für den Augenblick. Es war früher März, und die Tage wurden länger und wärmer. Frühling war eine Zeit, die früher voller Verheißungen gewesen war. Jetzt war ein Tag wie der andere, und Tom überlegte, wie seine Zukunft wohl aussehen mochte.

Im Moment wollte er nur eine Dusche und ein Bier. Er wollte, er hätte irgendjemanden, einen Freund vielleicht, mit dem er den Abend verbringen könnte. Seine Abende waren lang und einsam. Am schlimmsten waren die Wochenenden.

Erstaunt sah er einen Wagen neben seinem Haus stehen. Emilys Wagen!

Wieso war sie hier? Sie besuchte ihn doch sonst nicht. War etwas passiert? Emily hatte keine Familie mehr, nur ein paar Cousins, zu denen sie keinen Kontakt hatte. Er parkte den Wagen und stieg aus. Sie verließ ihren Wagen ebenfalls. Sie trug Stilettos mit schwarzen Riemchen. Die enge Jeans betonte ihre langen Beine. Dazu trug sie ein hellblaues, kurzärmeliges Shirt, das ihre weiblichen Rundungen vorteilhaft zur Geltung brachte. Kurz: Sie sah einfach atemberaubend aus. Das Haar trug sie offen, wie er es am liebsten hatte.

Sein Puls ging schneller, als er sie so betrachtete. Trotz all ihrer Probleme miteinander fühlte er sich zu ihr hingezogen wie eh und je. Sie war eine attraktive Frau – das hatte er früher gefunden, und so dachte er immer noch. Im Geiste sah er vor sich, wie er sie in seinen Armen gehalten und geküsst hatte. Er sehnte sich nach ihr. Sie hatten heiße Liebesnächte gehabt und glückliche Tage. Doch leider eine Zeit, die jetzt so unendlich weit fort zu sein schien und die es nie wieder geben würde. Er hatte versagt. Ihre Liebe war am Ende. Sie hatten zu viel Leid hinter sich, um das wiederfinden zu können, was sie einmal gehabt hatten.

Dennoch blieb sein Verlangen nach Emily. Er musste an ihre Küsse denken. An ihren weichen Körper. Er hätte gern die Hände nach ihr ausgestreckt. Sie war so nah – und doch so fern.

Es musste ein Problem geben, das sie hierher geführt hatte. Ein Blick in ihre großen grünen Augen verriet ihm, dass sie wütend war.

„Hallo“, sagte er. „Was führt dich hierher?“

Emily bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick und drückte ihm ein paar Papiere in die Hand. „Viel Vergnügen damit“, fauchte sie.

Tom sah sie verwirrt an. „Vergnügen? Womit? Was ist das?“ Er warf einen Blick auf die offiziell wirkenden Formulare und sah sie dann wieder fragend an. Ihre grünen Augen blitzten vor Zorn.

„Du kannst dich bei mir bedanken. Ich habe dir gegeben, was du wolltest: deine Freiheit. Jetzt kannst du die Mutter deiner Kinder heiraten.“

„Was redest du denn da?“ So kannte er sie gar nicht. Sie regte sich selten über etwas auf, aber jetzt kochte sie erkennbar vor Wut.

„Dein Geheimnis ist gelüftet, Tom“, sagte sie wütend. „Du hast deine Familie gut versteckt. Hast du Maverick dafür bezahlt, dass er dein Geheimnis gewahrt hat? Oder weiß es schon die ganze Stadt?“

Verblüfft sah er, wie sie einerseits vor Wut bebte, aber gleichzeitig auch mit den Tränen kämpfte. „Wovon zum Teufel redest du? Und was sind das für Formulare? Was hat das alles mit Maverick zu tun? Was weißt du von Maverick?“

„Ich glaube, die Antworten auf einige dieser Fragen weißt du selbst“, sagte sie angespannt. „Das sind die Scheidungspapiere. Du sollst frei sein für deine andere Frau.“

„Was für eine andere Frau?“ Tom sah sie fassungslos an. „Emily, was soll das alles? Es gibt keine andere Frau …“

„Oh, bitte! Ich habe Beweise. Ich habe das Foto von dir und deiner Familie gesehen.“ Sie wollte sich abwenden.

Tom packte sie beim Arm. Sie riss sich los. Mit drei langen Sätzen hatte er sie eingeholt und packte sie erneut, diesmal fester. „Ich verstehe nicht, was das soll, Emily. Du gehst nicht eher, bis du mir das alles erklärt hast.“

„Du kannst jetzt aufhören zu lügen. Ich kenne die Wahrheit.“

Er drehte sie zu sich herum. „Ich weiß nicht, wovon du redest und wieso es jetzt plötzlich um die Scheidung geht, ohne dass wir noch einmal darüber gesprochen hätten.“

„Es ist vorbei, und du weißt es. Grund ist deine andere Familie. Ich weiß alles. Von Maverick.“ Sie entriss ihm ihren Arm und wollte sich in den Wagen setzen.

Doch er trat dazwischen. „Du kannst hier nicht einfach auftauchen und von Scheidung reden und dann so wieder verschwinden. Sag mir, worum es geht. Und was ist mit dieser Mail von Maverick? Du meinst diesen Troll, der schon andere in der Stadt erpresst hat? Wann hast du die Mail bekommen?“

„Geh mir aus dem Weg“, zischte sie.

„Du fährst erst, wenn du mir alles erklärt hast. Es gibt keine geheime Familie. Das ist alles Unsinn.“

„Tatsächlich? Wie konntest du so verlogen sein, Tom?“ Sie zog ein zerknittertes Papier aus der Tasche und wedelte es in seine Richtung. „Hier ist der Beweis, Tom. Hier ist das Foto, das dich mit deiner Familie zeigt. Du hast den Arm um deine geheime Frau gelegt. Wie konntest du mich so betrügen?“ Emily hatte jetzt Tränen in den Augen und ihre Wangen waren gerötet. „Wie konntest du mir das antun?“, wiederholte sie. „Du hast mich wieder verletzt, aber dies war garantiert das letzte Mal!“

„Gib mir das.“ Er nahm das Papier und strich es glatt. Während er abgelenkt war, schob sie sich an ihm vorbei und öffnete die Wagentür.

Erneut drängte er sie beiseite und stellte sich so vor die Tür, dass sie keine Chance hatte, ihm zu entkommen. „Du fährst nirgendwohin, Emily, bis wir diese Sache nicht geklärt haben.“

„Du hast mir gar nichts zu sagen“, schimpfte sie.

Er beachtete sie nicht, während er sich auf den Computerausdruck konzentrierte. Überrascht stellte er fest, dass er das Foto kannte.

2. KAPITEL

Toms Ärger wich der Neugier. „Das ist das Foto, das du mit dieser Mail bekommen hast?“, fragte er Emily. „Das ist Natalie Valentine mit ihren Kindern. Sie ist die Witwe von Jeremy. Ihr gehört das Cimarron Rose Bed &  Breakfast. Wieso hast du ihretwegen die Scheidung eingereicht?“

Emily sah ihn groß an. „Jeremy Valentine?“, wiederholte sie wie benommen. „Das ist seine Frau?“

„Richtig. Ich habe dir doch erzählt, dass er bei einem Einsatz gefallen ist und dass ich ihm versprochen habe, mich um seine Familie zu kümmern, falls er es nicht schafft.“

„Ich erinnere mich.“ Emily klang wie vom Donner gerührt. „Sie kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich stand so unter Schock, dass ich einfach nicht weiter nachgedacht habe.“ Sie ließ sich gegen den Wagen sinken.

„Jeremy hat eine Schusswunde abbekommen“, erinnerte Tom sie. „Wir waren auf einem Einsatz im Irak und sollten drei Geiseln befreien. Dabei wurde er getroffen.“ Tom verstummte, während seine Gedanken zurück zu der schrecklichen Szene wanderten. Er erlebte alles noch einmal: das Blut, die Schüsse, das Brüllen der Männer.

Emily war blass geworden. Ihr Blick spiegelte Unsicherheit. Er war sicher, dass sie sich an das erinnerte, was er ihr über Jeremys Tod erzählt hatte.

„Er hat sich solche Sorgen um seine Familie gemacht. Er hat geahnt, dass er es nicht schaffen würde. Und ich habe versprochen, ich würde für sie da sein.“ Tom hielt ihr das Foto hin. „Das ist Natalie. Sie ist sehr tapfer und gibt alles für ihre beiden Kinder.“

„Großer Gott, Tom“, flüsterte Emily. „Das sind die Kinder von Jeremy Valentine? Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht.“

„Jeremy war ihr Dad. Die Kinder sind wirklich super. Colby ist vier – genau wie unser Ryan, als wir ihn verloren haben. Er ist Autist. Er hat sich bereits an mich gewöhnt und ist ziemlich entspannt in meiner Gegenwart. Lexie ist zwei und benimmt sich, als wäre sie siebzehn. Sie ist ausgesprochen niedlich. Ich helfe ihnen, wo ich kann. Irgendetwas muss immer repariert werden im B & B. Ich versuche, die Rolle des Mannes im Leben der Kinder zu spielen und übernehme Jeremys Aufgaben. Jeremy war wirklich ein toller Kerl.“

Emily sah ihn durchdringend an. „Hast du mit Natalie geschlafen?“

„Natürlich nicht“, versicherte er ihr spontan. „Darum geht es hier nicht. Ich helfe ihr, weil ich es Jeremy versprochen habe. Das ist alles. Er war mein Freund, und er ist für sein Land gefallen.“ Tom sah ihr in die Augen. Er war sich nicht sicher, ob sie ihm glaubte oder nicht. „Vielleicht wäre es gut, wenn ihr beiden euch kennenlernt. Natalie hat eine sehr nette Familie.“

„Oh, Tom.“ Emily wirkte, als habe sie einen Schlag bekommen. Ihre Schultern sanken herab. Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Ich habe wirklich einen großen Fehler gemacht“, wiederholte sie.

„Das hast du“, stimmte er ruhig zu. „Aber nichts, was sich nicht wiedergutmachen ließe.“

Emily nickte. „Ich muss mich bei dir entschuldigen, weil ich es geglaubt habe – auch wenn es dir überhaupt nicht ähnlich sah. Das Foto war einfach ein Schock für mich.“

„Vergiss es. Was mich betrifft, haben wir die Sache jetzt ausgebügelt. Ich werde ein Treffen zwischen dir und Natalie arrangieren.“

„Du hast mir nie erzählt, dass du ihnen hilfst. Wieso eigentlich nicht, wenn es nur darum ging, dein Versprechen einzulösen? Ich hätte ihnen auch helfen können.“

Er reagierte ungehalten. „Du hast dich schon lange nicht mehr für das interessiert, was ich mache. Wir reden ja kaum noch miteinander. Ich weiß genauso wenig darüber, was du machst, wie du über mich. Wir leben getrennte Leben.“ Er sah auf die Formulare in seiner Hand. „Die Scheidung war wohl unausweichlich.“

Sie nickte mit zusammengepressten Lippen. „Das stimmt. Ich verstehe jetzt, wieso du es mir nicht gesagt hast.“ Sie runzelte die Stirn. „Dann hat dieser Troll die Mail nur geschickt, um mich zu verletzen“, sagte sie mehr zu sich, als an ihn gewandt, aber er hörte sie trotzdem.

„Das war das Foto, das Maverick geschickt hat?“

„Genau.“

„Verdammt.“ Tom spürte Zorn in sich aufsteigen, als er daran dachte, dass sich jemand hinter einem fremden Namen versteckte, um Hass zu säen und die Menschen zu verletzen. Und nun traf es ausgerechnet Emily, die ohnehin schon mehr als genug gelitten hatte! Einmal hatte er sie schon im Stich gelassen, noch einmal sollte es nicht passieren.

„Wir brauchen so etwas in Royal nicht. Maverick!“ Er sprach den Namen voller Verachtung aus. „Ich werde dafür sorgen, dass er dich nicht noch einmal verletzt. Falls du Nathan noch nicht angerufen hast, informiere ich ihn jetzt.“ Tom zog sein Smartphone aus der Tasche.

„Du meinst Sheriff Battle?“

„Genau. In dieser Woche bekommst du eine anonyme Nachricht. Wer weiß, was Maverick sich in der nächsten Woche einfallen lässt? Aus irgendeinem Grund will er oder sie dich verletzen, sonst hättest du die Mail nicht bekommen. Dabei kann ich mir wirklich nicht vorstellen, dass du irgendwo auf der Welt einen Feind hast.“

„Offen gestanden habe ich nicht daran gedacht, den Sheriff einzuschalten, Tom. Ich war mehr mit uns beschäftigt.“

„Es freut mich, dass du das sagst. Falls du noch eine Nachricht von Maverick bekommst, lass es mich sofort wissen.“

„Die Mail hat genau den wundesten Punkt getroffen“, sagte sie leise, und sein Zorn wuchs, als er den Schmerz in ihrem Ton hörte.

„Es war eine gemeine Lüge, die dich verletzen sollte. Ich rufe Nathan jetzt an.“

Es frustrierte Tom, dass er nicht mehr machen konnte. Als Nathan sich meldete, schilderte Tom ihm rasch die Situation. Nach einem Moment wandte er sich an Emily. „Nathan würde gern deinen Rechner holen. Er weiß, dass wahrscheinlich nichts dabei herauskommt, aber er möchte keine Möglichkeit ausschließen.“

„Es ist mir recht, wenn er den Rechner untersuchen will“, sagte sie. „Meine Güte, ich habe nichts zu verbergen. Ich fahre sowieso zurück in die Stadt. Da kann ich ihn ihm bringen.“

Tom unterhielt sich noch kurz mit dem Sheriff, bevor er das Gespräch beendete. „Wir fahren zu ihm ins Büro. Ich helfe dir, den Rechner zu holen.“

„Was glaubst du, wie Maverick an das Foto gekommen ist? Weißt du noch, wer es gemacht hat?“

„Das war ein Mann, so um die siebzig, der im B & B übernachtet hat. Er hat fotografiert. Ich bin sicher, er kannte niemanden von uns.“

„Und wie ist das Foto dann bei Maverick gelandet?“

„Der Mann hat eine Kamera benutzt, kein Smartphone. Vielleicht hat er die Fotos in einem Laden entwickeln lassen. Dort gehen sie durch mehrere Hände. Es wäre nicht schwer, an einen Abzug zu kommen.“ Er sah sie fragend an. „Hast du heute Abend schon etwas vor?“

„Nein, nichts.“

„Gut. Ich ziehe wieder bei dir ein“, erklärte Tom in einem Ton, der sie irgendwie an die Ranger erinnerte. „Ich möchte in deiner Nähe bleiben. Kein Mensch kann wissen, was dieser Maverick vorhat.“

Emily sah Tom überrascht an. „Vielen Dank für dein Angebot, aber ich glaube, das ist nicht nötig. Ich bleibe nicht länger auf der Ranch. Ich will das Haus von Onkel Woody wiederherrichten und dort einziehen. Ich habe in einem der Schlafzimmer eine Liege aufgestellt und wohne schon in Royal.“

„Du wohnst nicht mehr auf der Ranch?“ Tom runzelte die Stirn. „Hör mal, Maverick erhält nicht die Reaktion von dir, die er sich erhofft hat. Das wird seinen Hass auf dich nur noch erhöhen. Zieh wieder auf die Ranch, bis Maverick gefasst ist. Hier bist du sicherer.“

Sie hätte vielleicht getan, was er wollte – nur dass er die falschen Argumente aufsagte. Sie würde nicht nur wegen einer E-Mail zurückkommen. Da sie nun die Wahrheit kannte und Tom immer noch der Tom war, den sie einmal geliebt hatte, war auch ihr Zorn verraucht. Geblieben waren alle die Probleme, die sie während der vergangenen fünf Jahre gehabt hatten. Sie würde in der Stadt wohnen, und Tom würde sie nicht davon abhalten.

Je mehr Emily sich beruhigte, desto mehr kehrten all die alten Gefühle zurück. Sie bemerkte wieder Toms dichtes schwarzes Haar, das ihm in die Stirn fiel. Sie erinnerte sich nur zu gut daran, wie es sich anfühlte, ihre Finger hindurchgleiten zu lassen. Ihr Blick wanderte tiefer, zu seinen starken Armen, die sie gehalten und an seine Brust gedrückt hatten.

Sie seufzte, weil die Erinnerungen eine Qual waren. Ein Windhauch fuhr ihm durch das Haar und bewegte es leicht. Sie sehnte sich danach, sich an ihn zu lehnen und festzuhalten. Sie hatte ihn immer attraktiv gefunden, aber mit den Jahren schien er ihr attraktiver denn je. Oder ging es ihr nur so, weil er jetzt tabu für sie war? Sie würde unter gar keinen Umständen hier auf der Ranch bleiben, wo sie zusammen so unglücklich gewesen waren. Mit dem großen Haus verbanden sich zu viele schlechte Erinnerungen.

„Ich werde in der Stadt schon keine Probleme haben.“ Sie wusste, dass sie dort am besten aufgehoben war. „Ich arbeite jetzt vier Tage die Woche im Studio, und an den anderen Tagen kann ich am Haus arbeiten.“

„Gut, dann hole ich mir meinen Schlafsack und bleibe bei dir in Royal. Du kannst nicht wissen, ob von diesem Mann eine Gefahr ausgeht. Nur, weil in der Vergangenheit nichts passiert ist, muss das nicht heißen, dass es in der Zukunft auch so bleibt.“

Sie sah ihn erschreckt an. „Du kannst nicht in Royal leben. Du musst dich um die Ranch kümmern.“ Die Vorstellung, so eng mit ihm zusammen zu sein, erfüllte sie mit Panik. Ganz gleich, was sie für Probleme miteinander haben mochten – wenn sie zusammen waren, war das Verlangen nacheinander nach wie vor da. Emily hatte versucht, über ihn hinwegzukommen und ein neues Leben für sich aufzubauen. Wenn sie im selben Haus wohnten, würde sie ihm nicht widerstehen können, das wusste sie.

„Es ist doch vollkommen überflüssig, dass du die ganze Zeit jeden Tag von der Ranch nach Royal fährst und zurück.“ Trotzdem freute es sie, dass er sich Sorgen um sie machte und seine Hilfe angeboten hatte. Noch mehr freute es sie jedoch, dass Tom immer noch der vertrauenswürdige Mann war, als den sie ihn immer gekannt hatte. Trotz allem blieb die Panik. Wenn sie in seine braunen Augen mit den dichten Wimpern sah, musste sie unwillkürlich an seine Küsse denken, die sie dahinschmelzen lassen konnten.

„Wenn dir in Royal etwas passiert, während ich hier draußen auf der Ranch bin, dann könnte ich damit nicht leben“, sagte er. „Bestimmt würdest du dasselbe auch für mich tun.“

Die Vorstellung, den Bodyguard für Tom abzugeben, brachte sie zum Lächeln. „Das ist so weit hergeholt, dass meine Fantasie dafür nicht ausreicht. Denk nicht mal daran, nach Royal zu ziehen. Aber vielen Dank für das Angebot. Das ist wirklich nett von dir.“ Spontan berührte sie dabei seinen Arm und bedauerte es augenblicklich. Sie hatte es als freundschaftliche Geste der Dankbarkeit gemeint, aber kaum spürte sie seine starken Muskeln unter ihren Fingerspitzen, als sie erneut daran dachte, wie es sein würde, seine Arme um sich zu spüren.

Sie atmete tief durch. Sah, wie er die Augen zusammenkniff. Entweder spürte er es auch, oder er wusste, was sie gefühlt hatte. Vielleicht auch beides.

Sie ließ die Hand sofort sinken und wich zurück. „Danke, aber es ist wirklich nicht nötig.“

„Denk noch mal darüber nach. Nach allem, was wir wissen, könntest du in Gefahr sein. Der sicherste Ort für dich wäre im Gästehaus. Dort könnte ich dich am einfachsten beschützen.“

„Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Nach allem, was ich gehört habe, hat Maverick bisher nichts weiter getan, als Leute zu erpressen und für Unruhe zu sorgen. Ich muss in der Stadt arbeiten, und ich möchte nicht pendeln. Vielen Dank, dass du dir Sorgen machst, aber du brauchst nicht bei mir zu bleiben“, sagte sie mit fester Stimme.

„Ich habe schon einen der wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren. Ich will nicht, dass dir auch noch etwas passiert.“ Sein Blick hatte sich verdunkelt. „Ich werde Nathan bitten, dass sich jemand um Natalie kümmert, damit sie und ihre Familie geschützt sind.“ Tom zog sein Smartphone aus der Tasche. Emily hörte, dass er mit ihrem Vorarbeiter sprach.

„Hey, Gus. Ich bin eine Weile nicht auf der Ranch.“

Sie schüttelte den Kopf, aber sie wusste, dass Widerstand zwecklos war. Wenn Tom sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann konnte ihn nichts davon abbringen. Frustriert ging sie beiseite, während er Gus Anweisungen gab. Wie sollte das Zusammenleben funktionieren? Vielleicht konnte er unten wohnen und sie oben oder umgekehrt.

„So.“ Er beendete das Gespräch mit dem Vorarbeiter. „Ich hole meinen Schlafsack, und dann ziehe ich zu dir in das alte Haus. Ich werde dir nicht im Weg sein. Vielleicht kann ich dir ja bei den Renovierungsarbeiten helfen.“

Einerseits war sie von seiner bestimmenden Art genervt, andererseits wusste sie, dass gerade sein dominantes Verhalten sie von Anfang an angezogen hatte. Er war entschlussfreudig und hatte sein Leben im Griff. Das hatte sie schon in der Highschool angesprochen. Aber im Moment wollte sie einfach nicht, dass er sich in ihr Leben einmischte.

Ihr Puls ging unwillkürlich schneller, wenn sie sich vorstellte, die Nacht mit ihm unter einem Dach zu verbringen. Wenn er bei der Renovierung des alten Hauses helfen wollte, dann würden sie zusammenarbeiten. Sie konnte sich selbst nicht trauen, wenn es um Tom ging. Er würde ihr unterdrücktes Verlangen wieder zu neuem Leben erwecken. Tom war ein ausgesprochen männlicher Typ. Männlich und sexy. Von seiner Zeit bei den Rangern und von der Arbeit auf der Ranch war sein Körper absolut fit und durchtrainiert.

Tom drehte sich zu ihr herum. Er hatte die Hände in die Seiten gestemmt. Am Kinn zeigte sich der Schatten eines Bartes, und sein zerzaustes Haar verstärkte den Eindruck von Verwegenheit. Er wirkte attraktiver denn je, auf eine raue, sinnliche Art. Sie merkte, in welche Richtung ihre Gedanken abdrifteten, und versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was er sagte.

„Du kennst Case Baxter, den Vorsitzenden des Klubs. Nathan will mit ihm zusammen nächste Woche eine außerordentliche Sitzung einberufen. Maverick kann nur gestoppt werden, wenn wir herausfinden, wer er ist. Ich werde zu diesem Meeting gehen, und ich möchte, dass du auch mitkommst.“

„Natürlich kann ich mitkommen. Aber ich glaube nicht, dass ich in irgendeiner Weise helfen kann.“

„Es kann ja nicht schaden. Je mehr von uns Bescheid wissen und Kontakt zu Nathan halten, desto größer ist die Chance, dass er Maverick enttarnt. Wenn du da bist, vergiss nicht, dass er vielleicht auch dort ist.“

„Oh Gott, das ist ja unheimlich!“

„Wir können nur hoffen, dass seine Mails und Drohungen in den sozialen Medien nicht in tatsächliche Gewalt umschlagen, aber das kann niemand vorhersagen. Was er im Moment macht, ist ja schon schlimm genug. Er hat uns nicht wirklich geschadet, aber er hätte es tun können, so wie er auch anderen schaden könnte.“

Nach kurzem Zögern steuerte Emily das Gespräch auf ein weiteres unangenehmes Thema. „Tom, sobald sich alles beruhigt hat, müssen wir uns zusammensetzen und über die Scheidung reden. Darüber, wie wir alles aufteilen wollen. Ich war so wütend, als ich sie eingereicht habe. Das Foto war so überzeugend.“

Er nickte. „Ich glaube nicht, dass wir ein Problem damit haben, die Ranch, das Haus, die Autos oder den Flieger aufzuteilen.“

„Auf jeden Fall kannst du das Flugzeug haben“, erklärte sie spontan, und sie tauschten ein Lächeln aus.

„Natürlich unterschreibe ich die Papiere. Wir waren ja sowieso schon an diesem Punkt. Wenn wir geschieden sind, kannst du dir ein neues Leben aufbauen.“

Sie wandte sich ab, bevor er ihre Tränen sehen konnte. Er hatte recht. Sie waren schon so gut wie geschieden. Sie konnte ihm keine Kinder schenken. Ihre Ehe war mit grauenvollen Erinnerungen behaftet. Und dennoch tat es weh, die Scheidung nun auch wirklich durchzuziehen. Sie hatte den Antrag gestellt, und nun waren die Papiere bei ihm. Ein weiterer großer Verlust in ihrem Leben. Ein Verlust, für den sie selbst die Verantwortung trug, weil sie nicht in der Lage gewesen war, wieder schwanger zu werden. Sie hätte Tom zu gern ein weiteres Kind wie Ryan geschenkt. Sie hatten über Adoption gesprochen – Tom war bereit dazu –, aber das war nicht dasselbe. Sie war dagegen. Sie wollte nur eines: noch ein Kind wie Ryan.

Jetzt waren Tom und sie getrennt, und wenn sie sich auch offiziell scheiden ließen, konnte jeder sein eigenes Leben leben. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, je einen anderen Mann zu lieben.

Unter den Umständen war es nicht hilfreich, dass sich Mavericks Beschuldigungen als falsch erwiesen hatten und Tom sogar noch versuchte, ihr zu helfen. Es war ihr leichtgefallen, die Scheidung einzureichen, solange sie geglaubt hatte, Tom hätte sie hintergangen. Jetzt war es schmerzhaft, da sie wusste, dass er immer noch derselbe Mann war, den sie immer geliebt und dem sie vertraut hatte.

„Emily?“

Sie schrak aus ihren Gedanken hoch. „Tut mir leid, Tom. Ich habe einen Moment nicht zugehört, ich war mit den Gedanken bei Maverick.“ Sie war vor Verlegenheit rot geworden. Wahrscheinlich ahnte er, was in ihr vorging.

„Du hast gesagt, du willst wieder nach Royal fahren. Ich hole rasch meinen Schlafsack und ein paar Sachen. Dann fahre ich dich.“

Sie wollte protestieren, aber er winkte ab. „Ich fahre dich nach Royal. Morgen kommen wir zurück und holen deinen Wagen. Die Leute sollen uns so schnell wie möglich zusammen sehen. Mit etwas Glück sieht dieser verdammte Troll uns und begreift, dass seine Mail keinen Schaden angerichtet hat. Ganz im Gegenteil. Wie findest du den Plan?“

Sie zuckte die Schultern. „Ich glaube nicht, dass du mir eine Wahl lässt. Auch wenn es mir nicht gefiele, würde es so laufen. Und wahrscheinlich hast du recht: Es wäre gut, wenn Maverick uns zusammen sieht. Irgendwie gibt es mir ein Gefühl, als hätte ich ihm damit eins ausgewischt.“

„Wir können ja betonen, dass wir zusammen sind. So etwas spricht sich in Royal schnell herum.“

„Stimmt. Es ist gut, wenn wir zusammen gesehen werden, aber das heißt nicht, dass du bei mir wohnen musst“, widersprach sie noch einmal. „Ich bin dort in der Stadt und kann jederzeit Hilfe bekommen. Es ist immer jemand in der Nähe.“

„Ich bleibe, Emily. Wir haben es mit jemandem zu tun, der unberechenbar ist, und du stehst auf seiner Liste. Hinter dieser Mail steckte ziemlich viel Hass. Sieh dir doch das Ergebnis an: Du hast die Scheidung eingereicht. Hätte das Gerücht die Runde gemacht, hatte es Natalie verletzen können, und das wiederum hätte ihren Kindern geschadet. Offen gestanden bin ich nicht bereit, mich scheiden zu lassen, wenn der einzige Grund ein Haufen Lügen von irgendeinem perversen Bastard ist.“

„Da hast du recht, Tom.“ Insgeheim wünschte sie sich sowieso, er hätte die Scheidung überhaupt nicht gewollt. „Mir ist da eine Idee gekommen. Maverick muss jemand sein, der in Royal lebt oder zumindest bis vor kurzem gelebt hat – sonst hätte er nicht von dir und Natalie wissen können. Und sonst wäre er nicht auf die Idee gekommen, mir das Foto zu schicken.“

„Stimmt.“ Sein Blick glitt über seine staubigen Stiefel und die verschmutzten Jeans. „Wie wäre es, wenn du dich auf die Veranda setzt, während ich rasch dusche? Ich beeile mich.“

„Wenn wir zusammen geduscht haben, hast du dich nie beeilt“, neckte sie ihn und errötete sofort. „Ich weiß auch nicht, was das jetzt sollte. Vergiss es!“

„Das vergesse ich ganz bestimmt nicht.“ Sein Ton war weich geworden. „Du hast mich geneckt wie früher immer, und das ist erlaubt, Emily. Warum sollten wir nicht Spaß haben? Lass es zu! Wir haben zu viel Ernstes hinter uns. An diesem Punkt unseres Lebens kann es nicht schaden, wenn wir auch einmal lachen.“

Sie nickte. „Du hast wohl recht.“ Er war wieder so, wie er früher einmal gewesen war, bevor ihre schlechten Zeiten begonnen hatten. Entspannt, verständnisvoll und sexy. Sie hatten so viel Spaß zusammen gehabt. In jeder Hinsicht. „Geh duschen, Tom. Ich kann in der Zwischenzeit meinen Rechner holen.“

„Ausgeschlossen. Ich werde dich begleiten. Dieser Maverick beunruhigt mich offen gestanden. Ich begreife einfach nicht, wieso irgendjemand etwas gegen dich haben könnte. Du hast ein gutes Herz, bist großzügig …“

„Großer Gott! Dank dieses gestörten Typen entwickeln wir uns hier schon zu einem beiderseitigen Fan-Klub!“

„Das hat nichts mit diesem verdammten Typen zu tun. Es wird Zeit, dass es zwischen uns wieder etwas gibt, das nicht traurig ist, und sei es nur für fünf Minuten.“

„Du hast wirklich recht, Tom. Für ein paar Minuten war es wieder so wie früher. Wenigstens ein bisschen.“ Sie war ernst geworden. Alles war besser, als nicht miteinander zu sprechen oder einander aus dem Weg zu gehen. „Ich weiß, wir können die Zeit nicht zurückdrehen, aber wir können zumindest zivilisiert miteinander umgehen.“

„Richtig. Bitte geh nicht, während ich dusche.“ Er hielt ihr die Tür auf. „Es sei denn, du möchtest mit hineinkommen und mit mir zusammen duschen …“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke.“

Er grinste. „Nach deiner Bemerkung war es einen Versuch wert.“ Er verschwand ins Haus.

„Bring mich nicht dazu, mich wieder in dich zu verlieben“, flüsterte sie und rang die Hände. Sie versuchte, an den Termin bei Nathan Battle zu denken und an das, was sie sonst noch zu erledigen hatte. Alles war gut, um sie von dem Gedanken an Tom unter der Dusche abzulenken.

Keine zehn Minuten später erschien er wieder. Sein Haar war noch feucht. Er trug jetzt ein frisches blaues T-Shirt, frische Jeans, schwarze Stiefel und seinen schwarzen Stetson. Er hatte seinen aufgerollten Schlafsack dabei und einen Rucksack. „Ich fahre den Truck in die Garage und hole meinen Wagen. Dann kümmern wir uns um deinen Rechner.“

Sie wartete vor dem Haus, bis er mit einem schwarzen Sportwagen vorfuhr und ihr die Tür aufhielt. Ihre Blicke trafen sich. Ihr stockte der Atem. Für einen Moment vergaß sie all ihre Probleme. Sah nur noch den Mann, den sie begehrte.

Es kostete sie ihre ganze Selbstbeherrschung, den Blick von seinem zu lösen. In diesem kurzen Moment hatte sie sich nichts mehr ersehnt, als seine Arme um sich zu spüren und seine Lippen auf ihren.

„Danke“, sagte sie und hasste es, dass ihre Stimme so verräterisch rau klang. Sie ließ sich auf den Sitz gleiten und sah zu, wie er um den Wagen herumging. Ein attraktiver, starker Mann. Sie war sicher, dass er bald wieder heiraten würde. Tom war zu attraktiv, um allein zu leben, und er mochte Frauen. Die Vorstellung, dass er wieder heiraten würde, tat weh, obwohl es keine gemeinsame Zukunft für sie beide gab.

Schweigend legten sie die kurze Fahrt zum Haupthaus der Ranch zurück, wo sie so lange zusammengelebt hatten. Dort waren sie glücklich gewesen – bis sie ihren Sohn verloren hatten. Sie wollte dort nicht allein leben. Das Haus war so groß und leer ohne Tom. Er schien es mit seiner ganzen Persönlichkeit zu füllen, wenn er nach Hause kam. Und als sie dann Ryan bekamen, erfüllten seine kindliche Stimme und sein Lachen die Räume mit Leben. Im Moment erschien es ihr einfach nur verlassen und traurig. Das war nicht mehr ihr Zuhause.

Das Haus hatte eine ernüchternde Wirkung auf sie, und Tom schien es ähnlich zu gehen. Er hatte noch einen Schlüssel und hielt ihr die Tür auf. Plötzlich musste sie daran denken, wie Ryan vor dem Haus herumgerannt war, als er noch klein war. Rasch musste sie sich die Tränen fortwischen. Ein Blick zu Tom zeigte, dass auch er bedrückt war. Er war seit fast einem Jahr nicht mehr hier gewesen.

Er rieb sich die Augen – der toughe, hoch ausgezeichnete Ranger, der im Kampf seinen Mann gestanden hatte, verwundet worden war und bis zu seiner Flucht in Kriegsgefangenschaft. Sein Schmerz ließ ihren noch schwerer werden. Stumm weinend wandte sie sich ab und versuchte, ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Tom legte seinen Arm um sie.

„Komm“, flüsterte er. Schluchzend drehte sie sich zu ihm, und sie hielten einander. Es fühlte sich wunderbar an, seine starken Arme zu spüren. Sie drückte ihn fest an sich, als versuchte sie, etwas von seiner Kraft auf sich zu übertragen. Er war ihr ein Trost, und sie hoffte, es auch für ihn zu sein. Sie ließ ihre Hand über seinen Rücken gleiten und genoss es, ihn zu spüren. Es war so lange her, seit sie das letzte Mal in seinen Armen gelegen hatte.

„Es tut mir leid, Tom. Manchmal gehen die Gefühle einfach mit mir durch, und ich nehme an, dir geht es ähnlich. Es hilft, dich hier zu haben.“ Sie wischte sich die Tränen ab.

Er sah ihr in die Augen. „Ich bin gern für dich da. Wir können der Trauer nicht entkommen.“

Sie vermisste das Gefühl, seine Arme um sich zu fühlen, als er sie losließ. „Es geht schon wieder. Danke.“

Sie gingen durch das Haus zu dem großen Raum, den sie als ihr Büro nutzte. „Ich baue den Rechner für dich ab“, erbot er sich. „Ich bin sicher, es kommt nichts dabei heraus, aber wir müssen die Chance nutzen und ihn Nathan geben, damit er ihn untersucht.“

„Während du das machst, packe ich schnell ein paar Sachen für Royal.“

„Wo ist der weiße Kater?“

„Ich habe ihn bei deiner Köchin gelassen, bis ich mich in Royal eingerichtet habe. Das macht dir doch nichts aus, oder?“

„Nein, natürlich nicht.“

Es dauerte keine halbe Stunde, und sie waren auf dem Weg nach Royal. Sie waren beide in ihre Gedanken versunken. Obwohl sie schwiegen, war Emily sich seiner sehr bewusst. Sie war lange nicht mehr mit ihm zusammen gewesen. Wie sollte sie unter einem Dach mit ihm leben, ohne sich nach ihm zu sehnen?

Ihr Blick fiel auf seine Hand auf dem Steuer. Er hatte eine Narbe auf dem Handrücken, die lange verheilt war. Überhaupt war sein ganzer Körper aus seiner Zeit beim Militär mit Narben übersät.

Seine Hände waren wohlgeformt, die Nägel gepflegt. Sie erinnerte sich noch zu gut daran, wie es war, wenn er seine Hände über ihren Körper gleiten ließ. Starke Hände, die sie ins Paradies bringen konnten.

Sie begriff, dass ihre Gedanken einen Bereich berührten, den sie meiden wollte. „Ich glaube, du hast recht, was die Scheidung betrifft“, sagte sie laut. „Es wird dazu kommen – das ist unausweichlich –, aber ich finde auch, dass nicht Maverick der Grund sein sollte.“

„Lass uns das Thema für den Moment vertagen. Ich will sehen, ob ich herausfinden kann, wie viel Zeit Nathan mit der Suche nach diesem Troll investiert. Das Meeting im Klub am Montag könnte auch einiges bringen. Wenn wir uns nicht scheiden lassen und beide im Haus in Royal wohnen …“

„… dann weiß Maverick, dass du mein Bodyguard bist.“ Emily schüttelte den Kopf.

„Nicht unbedingt. Wenn ich dir helfe, das alte Haus zu renovieren, dann sieht es so aus, als wären wir wieder zusammen. Die Leute könnten doch denken, wir richten es her, damit du es verkaufen kannst. Vielleicht sollten wir für ein paar Wochen Stillschweigen darüber wahren, dass ich mir Sorgen um deinen Schutz mache und dass wir nicht mehr wirklich zusammen sind.“

„Das ist mir recht. Alles ist gut, wenn es sich gegen Maverick richtet. Offen gestanden wundert es mich immer noch, dass ich eines seiner Opfer bin. Ich mag nicht die Sanftmut in Person sein, aber an sich komme ich doch gut mit allen aus. Mit den Leuten, die ich kenne und mit denen ich arbeite, mit den Nachbarn oder den Leuten von der Kirche.“

„Ich stelle dir jetzt die Frage, die Nathan dir stellen wird: Hast du Feinde? Gibt es irgendjemanden, der dich nicht mag oder den du verärgert hast?“

Sie lachte leise. „Tom, es mag Leute geben, die mich nicht mögen, aber wenn es so ist, weiß ich nichts davon. Ich kenne niemanden.“

„Alle mögen dich“, bemerkte er. „Ich wette, genau das wird Nathan dir sagen.“

„Der einzige Mensch, den ich wirklich unglücklich gemacht habe, bist du“, sagte sie leise. Als sie zu ihm hinübersah, bemerkte sie, dass seine Hände das Steuer fester umklammerten.

„Hey, Emily, ich habe dich über alles geliebt, aber es ist einfach so viel passiert, dass wir nicht zurückkönnen in das Leben, das wir einmal hatten. Als ich dich nach Feinden gefragt habe, meinte ich richtige Feinde.“

„Ich weiß. Wir sind nicht wirklich Feinde.“

„Danke dafür, Em. Denk nach. Gibt es irgendjemanden, den du so verärgert haben könntest, dass er sauer ist auf dich?“

Sie lachte. „Darla aus meiner Klasse in der Highschool. Gott, sie war so verliebt in dich. Wäre dies alles passiert, als wir sechzehn waren und nicht heute, dann würde sie mir als Erste einfallen. Aber soweit ich gehört habe, ist sie inzwischen verheiratet und hat drei Kinder.“

„Ich sage es ja nur ungern, aber ich erinnere mich nicht einmal an dieses Mädchen.“

„Eines von deinen Groupies.“

„Ich hatte keine Groupies.“

„Jeder süße Football-Captain hat Groupies.“

„Das mag dir so erscheinen, aber ich hatte keine. Und niemand hat mich mehr süß genannt, seit ich fünf war.“

„Du warst süß. Darin waren sich alle Mädchen einig. Lange Wimpern, breite Schultern, einen knackigen Hintern, sexy …“

„Hör auf!“ Er lachte. „Hätte ich das damals gewusst! Davon hast du mir nie etwas erzählt, als wir noch in der Schule waren.“

„Natürlich nicht. Es wäre dir nur zu Kopf gestiegen – oder sonst wohin.“

„Ich finde, diese Unterhaltung hätten wir vor langer Zeit führen sollen.“ Er grinste. Und wieder einmal fühlte sie sich für einen Moment in alte Zeiten zurückversetzt.

„Spaß beiseite, Emily, denk mal nach. Es ist wichtig. Könnte es etwas mit deinem Beruf zu tun haben?“

„Ich mache Fotos von Kindern und Familien. Total harmlos. Ich habe noch nie einen Kunden gehabt, der wütend auf mich war.“

„Das glaube ich. Du bist ja auch eine sehr gute Fotografin.“

„Mavericks Schuss ist danebengegangen, also wollen wir uns im Moment keine Gedanken darum machen.“ Sie legte Tom eine Hand auf das Knie. Die Geste hätte früher einfach Vertrautheit signalisiert, nicht aber jetzt. Er sah sie durchdringend an und atmete tief durch.

Hastig zog sie die Hand zurück und sah aus dem Fenster. Nur gut, dass er nicht ahnen konnte, wie ihr Puls raste.

„Ich versuche ja, nachzudenken, aber mir fällt beim besten Willen niemand ein. Ich weiß, ich muss etwas übersehen haben, sonst hätte ich ja diese Mail nicht bekommen.“

„Richtig, also denk weiter nach.“

Sie verfielen erneut in Schweigen.

„Tom, vielleicht ging es gar nicht um mich. Vielleicht wollte Maverick dich treffen. Durch mich.“

„Der Gedanke ist mir auch schon gekommen, und ich habe mir überlegt, wen ich mir zum Feind gemacht haben könnte. Offen gestanden sind mir durchaus ein paar Namen eingefallen. Ich habe Cowboys entlassen, die nicht arbeiten wollten. Ich war bei den Rangern. Das gefällt sicher einigen nicht. Es kann natürlich auch sein, dass sie politisch nicht mit mir einer Meinung sind. Dann gibt es da Konkurrenten aus Schulzeiten. Oder vom Sport. Ich werde mal mit Nathan darüber reden. Er muss diesen Mann finden. Es muss ein von Grund auf gehässiger Mensch sein, wenn er dir so etwas antut. Nach allem, was du schon hinter dir hast.“

„Ich habe nicht mehr hinter mir als du auch“, sagte sie leise.

„Doch das hast du“, widersprach er nach einem Moment des Schweigens. „Du hast nicht nur Ryan verloren, sondern auch deinen Onkel. Dein Vater ist gegangen, als du zwei warst. Du warst neun, als deine Mutter gestorben ist. Der Mann, bei dem du aufgewachsen bist, ist im vergangenen Jahr gestorben, und du hast kein zweites Kind bekommen. Du hast so viel durchgemacht, dass du niemanden brauchst, der dir noch mehr zusetzt.“

Tom hatte in allem recht. Emily schwieg.

Wie sollte es jetzt weitergehen?

Mit Maverick?

Und viel wichtiger noch: mit ihr und Tom?

3. KAPITEL

Tom parkte den Wagen vor dem Büro des Sheriffs und trug den Rechner ins Haus.

Nathan schüttelte ihnen zur Begrüßung die Hand. „Wir haben bisher keinerlei verwertbare Spuren von Maverick, und ich erwarte auch nicht, auf eurem Rechner etwas zu finden, das mir weiterhilft, aber ich will nichts unversucht lassen. Ich hoffe, ihr kommt beide zu dem Treffen am Montag.“

„Das haben wir vor“, versicherte Tom ihm. „Ich helfe, wo auch immer ich kann. Sag mir einfach Bescheid.“

„Danke.“ Nathan war ein großer, kräftiger Mann mit freundlichen braunen Augen. „Ich möchte mich zuerst mit jedem von euch allein unterhalten. Wollen wir anfangen, Emily?“

„Natürlich.“ Sie lächelte ihn an. Er war etwas älter als Tom und sie, aber sie kannte ihn und seine Frau schon seit Jahren. Amanda betrieb das Royal Diner, eine Institution in der Stadt.

Emily nahm in Nathans Büro Platz und versuchte, seine Fragen zu beantworten. Das Gespräch war nur kurz. Dann unterhielt er sich mit Tom, und auch hier dauerte es nicht länger.

„Falls euch beiden irgendetwas einfällt, was uns vielleicht weiterhelfen könnte, lasst es mich wissen. Ihr könnt mich jederzeit anrufen. Ich will, dass wir diesen Maverick erwischen.“

„Ich glaube, das möchten die meisten hier in Royal“, sagte Emily.

„Das glaube ich auch. Bitte kommt am Montag zum Meeting. Ich bin wirklich schockiert, dass Emily ein Ziel dieses Mannes war. Es könnte natürlich sein, dass er über Emily dich treffen wollte, Tom. Aber wieso dich? Du hast hier keine Feinde.“

„Das kann man nie wissen. Man kann sich jemanden zum Feind machen, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Es gibt ja inzwischen mehrere hier, die eine Mail von Maverick erhalten haben. Ich würde sagen, es muss ein ziemlich verbitterter Typ sein, der einen Hass auf die Menschen hat.“

„Das denke ich auch. Ich will ihn unbedingt erwischen – oder sie. Ich bin sicher, Emilys PC gibt nicht mehr her als die anderen. Wir können die Spur nicht zurückverfolgen. Maverick mag ein Troll sein, aber er ist nicht dumm.“

Sie standen noch eine Weile vor dem Büro in der Nachmittagssonne. „Emily, du bist ja jetzt in das Haus deines Onkels hier in der Stadt gezogen. Bitte ruf an, falls du irgendetwas brauchst. Ich bin froh, dass du jetzt auch hier bist, Tom. Das nimmt uns ein paar Sorgen.“

„Wir bleiben in Kontakt“, versprach Tom, während er Emilys Arm nahm. Es war nur eine leichte Berührung, aber sie hatte dennoch ihre Wirkung auf Emily. Wie konnte das sein, wenn ihre Liebe längst erloschen war und die Scheidung bevorstand? Es gab keine gemeinsame Zukunft für sie. Sie ärgerte sich darüber, dass er sich in ihr Leben einmischte und bei ihr wohnen wollte. Und dennoch ließ es sich nicht leugnen: Schon die kleinste Berührung hatte eine elektrisierende Wirkung auf sie. Sie konnte nur hoffen, dass niemand es bemerkte.

„Lass uns zum Diner fahren und einen Burger essen“, schlug Tom vor, als sie sich von Nathan verabschiedet hatten und im Wagen saßen.

„Warum nicht?“ Sie nahm an, dass Tom Hunger hatte, vermutete aber, dass er das Essen auch vorschlug, damit die Leute sie zusammen sahen.

Alles erinnerte sie an die alten Zeiten mit ihm. Einerseits machte es sie traurig, aber gleichzeitig genoss sie seine Gesellschaft.

Sie fuhren die Main Street hinunter und parkten am Royal Diner. Es weckte Erinnerungen an ihr früheres Leben, als noch alles aufregend war und sie sich liebten. Es machte ihr nur einmal mehr deutlich, dass all ihre Erwartungen an das Leben zerstört worden waren. Es gab kein Zurück für ihre Ehe. Vielleicht konnte sie Maverick täuschen. Aber es würde sie um ihren Seelenfrieden bringen, wenn Tom jetzt wieder in ihrer Nähe war.

Sie setzten sich in eine der Nischen. Die Bänke waren mit rotem Lederimitat bezogen wie in den Fünfzigerjahren. „Wie oft haben wir hier schon gegessen?“, entfuhr es ihr.

„Stimmt.“ Er sah sie lächelnd an. „Ich weiß nicht, wie oft es war. Ich weiß nur, dass meine Gedanken nie beim Essen waren, sondern immer bei dir.“

„Ich glaube, das war bei mir genauso“, gestand sie. „Bei unserem ersten Date hast du mich hierher eingeladen.“

„Nachdem du mich angefahren hattest.“ Er lachte leise.

„Es war eine meiner ersten Fahrten allein am Steuer. Ich habe dich einfach nicht gesehen, als ich aus der Parkbucht der Schule fuhr. Nur gut, dass du so schnell reagiert hast, sonst wäre der Schaden noch größer gewesen.“

„Das scheint schon ewig her zu sein. Dein Onkel Woody war sehr verständnisvoll. Seine Versicherung hat den Schaden übernommen. Er hatte Vertrauen zu dir. Er wusste, du würdest das Fahren lernen. Ich nehme an, er ging davon aus, dass du nach diesem Malheur vorsichtiger sein würdest.“

„Das war ich, das kannst du mir glauben.“

„Irgendwie war ich gar nicht unglücklich über die Situation. Ich habe es sehr genossen, dass du mich jeden Morgen abgeholt und mit zur Schule genommen hast, solange mein Wagen in der Werkstatt war.“

„Ich auch.“ Sie liebte sein Lächeln. Die traurigen Zeiten, die hinter ihnen lagen, hatten alles Lachen und Lächeln vertrieben, aber davor hatte sie mit Tom mehr Spaß gehabt als mit irgendeinem anderen Menschen. „Ich habe dich gern mitgenommen, auch wenn es etwas peinlich war, weil sich mein Fahrfehler dadurch gleich herumgesprochen hat. Und natürlich kochte die Gerüchteküche, was uns beide betraf.“

Er lehnte sich über den Tisch und senkte die Stimme. „Erinnerst du dich an unseren ersten Kuss? Ich weiß es noch ganz genau.“

Sie musste tief durchatmen, als sie seinen Schlafzimmerblick sah. Sie konnte den Blick nicht von seinen Lippen wenden. Erinnerte sich an jede Einzelheit seiner Küsse. Sehnte sich danach, ihn wieder zu küssen. „Natürlich erinnere ich mich, aber es überrascht mich, dass du es noch weißt.“

„Wie sollte ich das vergessen? Was glaubst du wohl, wieso ich dich wieder hierher eingeladen habe?“ In seinen Augen blitzte ein Lachen.

„Es war alles so aufregend, Tom.“ Sie seufzte.

„Vielleicht sollten wir nur die schönen Erinnerungen aufbewahren und alles andere vergessen.“

„Danke, Doktor.“ Sie sah ihn lächelnd an.

Die Burger wurden gebracht. Emily schaffte ihren nur zur Hälfte. Sie war sicher, dass dies das letzte Mal war, dass sie zusammen im Diner aßen. Sie sah zu Tom auf, als sie hinausgingen. Wieso tat die Vorstellung so weh, dass sie bald von ihm geschieden sein würde? Schließlich wollten sie es doch beide.

„Hast du Lust, dir mein Studio anzusehen?“, fragte sie spontan.

„Ja, gern.“

„Dann bieg an der nächsten Ecke ab.“ Minuten später hielten sie. Das Studio hatte zur einen Seite ein Anwaltsbüro als Nachbarn, zur anderen eine beliebte Bäckerei, die köstliches, frisches Brot verkaufte. Tom blieb vor ihrem Schaufenster stehen und betrachtete die Fotos von Babys, Hunden und Familien, die sie ausgestellt hatte.

„Sehr schön, Em. Du hast dein Hobby zu einem guten Geschäft gemacht. Du bist wirklich gut.“

„Danke.“ Dennoch hatte sie das Gefühl, dass er einfach nur höflich war.

„Ich glaube, ich bleibe einfach hier stehen und genieße den Duft des frischen Brotes“, stöhnte er.

„Es schmeckt unglaublich gut. Wir können uns ja nachher eins mitnehmen. Jetzt komm rein. Das Studio ist nur klein, aber groß genug für mich.“

Er betrachtete die Fotos an den Wänden. Einige der Personen erkannte er, viele nicht, insbesondere die Kinder. Er stieß auf ein großes gerahmtes Foto ihres Sohnes, als er zwei Jahre alt war.

„Em! Was für ein schönes Foto von Ryan! Davon hätte ich gern einen Abzug.“

„Ich mache dir einen. Es freut mich, dass es dir gefällt. Es macht mich glücklich, wenn ich hier hereinkomme und sein Bild sehe.“

Tom sah sich weiter um. Ein besonders beeindruckendes Foto zeigte Royal nach dem Tornado. Drei Etagen des Rathauses waren zerstört, aber der Turm mit der Uhr stand noch. „Du hast einen guten Blick“, sagte er, während er weiterging zum nächsten Foto, das ein schwarzes Pferd auf einer Weide zeigte. Der Wind ließ die Haare des Schwanzes fliegen. Das seidige schwarze Fell glänzte in der Sonne.

„Sieht aus wie mein Hengst Grand.“

„Das ist er. Er ist ausgesprochen fotogen.“

„Wow! Von dem Foto hätte ich auch gern einen Abzug.“ Er beugte sich vor. „Ich sehe nirgends einen Preis.“

„Vergiss es. Ich schenke dir die Abzüge.“

„Das musst du nicht.“

„Aber ich würde es gern tun“, versicherte sie ihm lächelnd.

„Danke. Das ist eine super Aufnahme von ihm.“

„Sieh dir den Raum an, wo ich die Fotos mache, und meinen Arbeitstisch.“

Er warf einen Blick durch die Kamera, die auf einem Stativ stand. Als Hintergrund diente das Foto einer Wiese.

„Tom, lass mich ein Foto von dir machen“, bat sie spontan.

Er grinste. „Du machst wohl Witze. Du weißt doch, wie ich aussehe.“

Sie nahm ihn beim Arm. „Stell dich dorthin und lass mich machen. Vielleicht brauche ich es an einem kalten Winterabend, wenn du nicht bei mir bist.“

Sein Lächeln verflog. „Du meinst es ernst. Also gut, du darfst das Foto machen – wenn ich dafür ein Foto von dir mit meinem Smartphone machen darf.“

Sie lachte. „Warum nicht?“

„Aber versprich mir, dass du mich nicht ins Fenster hängst.“

„Das würde mir nicht im Traum einfallen. Dein Foto ist für mein Schlafzimmer.“ Sie erwartete irgendeinen flapsigen Kommentar, aber er schwieg. Was mochte in ihm vorgehen? „Stell dich dahin“, bat sie.

Von der Kamera aus dirigierte sie ihn ein wenig hin und her. „Und nun dreh dich leicht und wirf mir einem Blick über die Schulter zu. Lächeln!“

„Em, ich komme mir blöd vor.“

„Lächle! Dafür kaufe ich dir nachher auch ein leckeres Brot.“

„Das ist Erpressung“, protestierte er, kam ihrer Bitte aber nach.

„Willst du deine Fotos jetzt sehen? Ich kann dir Abzüge machen, wenn du willst.“

„Nein, Fotos von mir interessieren mich nicht, wohl aber das leckere Brot.“

Kurze Zeit später schlossen sie das Studio hinter sich ab und versorgten sich mit duftendem Brot, bevor sie wieder in den Wagen stiegen.

„Stell dich auf einen Schock ein“, bat Emily. „Das Haus ist in einem schrecklichen Zustand. Zuletzt war Onkel Woody so krank, dass er sich um nichts mehr kümmern konnte.“

„Emily, ich wollte dir schon immer sagen, wie leid es mir tut, dass ich bei seiner Beerdigung nicht dabei sein konnte.“

„Ich weiß, dass du zu der Zeit geschäftlich in Wyoming warst. Ich habe dich nie gefragt, ob du die Ranch gekauft hast.“ Wieder einmal wurde ihr deutlich, wie weit ihre Leben auseinandergedriftet waren. Früher wäre er während der letzten Stunden ihres Onkels und während der Beisetzung an ihrer Seite gewesen. Früher hätte sie gewusst, ob Tom eine zweite Ranch in Wyoming gekauft hatte oder nicht. Früher hätte er über diese Entscheidung mit ihr gesprochen. Jetzt entfernten sie sich immer weiter voneinander. Im Moment blieben sie nur noch zusammen, um Mavericks Pläne zu durchkreuzen.

„Nein, ich habe sie nicht gekauft. Falls ich eine weitere Ranch kaufe, dann irgendwo hier in der Nähe. Ich glaube, es ist keine gute Idee, die Ranch von jemand anderem leiten zu lassen. Ich muss selbst vor Ort sein.“

Sie schwieg, während sie in die Straße einbogen, in der sie von ihrem neunten Lebensjahr an gewohnt hatte, bis zu ihrer Heirat mit Tom. Große Ahornbäume und Eichen standen zu beiden Seiten. Einige Platten des Gehwegs wurden von den Wurzeln der Bäume bereits angehoben. Tom bog auf die Auffahrt des zweistöckigen Hauses ein. Gras wuchs aus den Rissen der Betonplatten, die zum Teil von Unkraut überwuchert waren.

„Ich lasse den Wagen hier vor dem Haus stehen, damit ihn jeder sehen kann“, entschied er. „Falls dich jemand beobachtet hat, wird er wissen, dass das nicht dein Wagen ist. Maverick soll wissen, dass ich hier bei dir bin und dass seine Mail nicht gewirkt hat.“

„Es schaudert mich bei dem Gedanken, dass jemand mich beobachten könnte“, gestand sie. „Ich habe nie darüber nachgedacht.“

„Du bist eben sehr vertrauensselig.“

Sie blieben im Wagen sitzen und betrachteten das Haus. Früher einmal war es weiß gestrichen gewesen, aber nun blätterte die Farbe überall herunter. Einige Schindeln auf dem Dach mussten ersetzt werden. Die Fenster des runden Turms an der Ostseite waren zerbrochen, ebenso alle Scheiben im Erdgeschoss. Ein typischer Fall von Vandalismus. Eine Veranda lief um das ganze Haus herum. Die einstmals schönen Verzierungen der Fensterläden waren über die Jahre verwittert und zum Teil auseinandergefallen.

Deprimiert zog Emily Bilanz: abblätternde Farbe, beschädigte oder fehlende Fensterläden, zerbrochene Scheiben, bröckelnde Betonstufen. In ihren Erinnerungen sah sie etwas ganz anderes.

Eines Abends hatte Tom sie nach Hause gebracht und hier auf der Auffahrt geparkt. Sie waren ausgestiegen, und er hatte sie unter dem Maulbeerbaum geküsst. Aus dem einen Kuss wurden mehrere. Dann hatte er sie gebeten, seine Frau zu werden. Sie hatten beide noch ein Jahr im College vor sich, und sie beschlossen, dieses eine Jahr noch zu warten mit der Hochzeit. Aber an diesem Abend hatte er ihr den Antrag gemacht.

„Woran denkst du?“, fragte er.

Erschreckt drehte sie sich zu ihm herum. Hatte er erraten, welche Erinnerungen ihr gekommen waren? „Daran, dass ich viele Fenster ersetzen muss“, log sie.

„Richtig.“ Seine Stimme war rau. Erinnerte er sich an dieselben Momente wie sie?

„Hier willst du also wohnen statt in dem Haus auf der Ranch. Es wird einiges dazugehören, das wieder in Schuss zu bringen. Einen unsichereren Ort hättest du dir kaum aussuchen können.“

„Aber wir sind hier in Royal, und Royal ist eine friedliche Stadt.“

„Eine friedliche Stadt, in der ein Troll seine Hassbotschaften verbreitet.“

„Ich weiß, dass hier viel Arbeit nötig ist, aber ich arbeite jetzt in der Stadt, und das Haus ist meine einzige Verbindung zu meiner Familie. Die Menschen, die mir wirklich nahestanden, sind alle nicht mehr da. Meine Cousins kenne ich kaum. Sie leben in Oregon und Vermont. Ich habe so gut wie keinen Kontakt zu ihnen. Dieses Haus verbindet mich mit meiner Mom und Onkel Woody.“

„Es ist grundsätzlich ein schönes altes Haus, aber dein Onkel hat es nicht geschafft, es in Schuss zu halten. Es wird eine große Belastung für dich sein.“

„Er wollte nicht, dass ich Handwerker kommen ließ, also habe ich nichts getan.“

„Es war sicher ehrenwert, seine Wünsche zu respektieren. Wir können es renovieren und Leute damit beauftragen, uns einen Teil der Arbeit abzunehmen.“

„Nicht wir, Tom. Es ist nicht dein Haus, und es ist nicht dein Problem. Du brauchst dir deswegen keine Gedanken zu machen. Ich finde immer noch, dass du wieder zur Ranch fahren solltest.“

Er runzelte die Stirn und schwieg. Die glücklichen Momente, die sie gehabt hatten, waren vorbei. Es war besser so. Es war nicht nötig, dass Tom bei ihr blieb. Das würde für sie beide alles nur noch komplizierter machen. Er musste sich um die Ranch kümmern, und sie wollte ihn nicht ständig in ihrer Nähe haben.

„Die Leute werden uns zusammen gesehen haben und auch deinen Wagen hier vor dem Haus. Sie werden darüber reden. Du brauchst wirklich nicht zu bleiben“, wiederholte sie, als er nichts sagte.

„Ich bleibe.“ Er blieb störrisch. „Betrachte mich als deinen Bodyguard, dann kannst du meine Anwesenheit vielleicht ertragen.“

„Wie du willst.“

Sie wollte den Wagen verlassen, aber er hielt sie zurück.

„Du solltest nicht in dieses große leere Haus gehen. Es gibt hier nicht einen Hauch von Sicherheit. Jeder könnte dort auf dich warten. Jeder könnte jederzeit durch die kaputten Fenster im Erdgeschoss einsteigen. Schließt du überhaupt ab?“

„Nein, wozu? Es ist ja ohnehin alles offen.“

„Warte hier im Wagen, während ich mich im Haus umsehe. Behalte die Wagenschlüssel.“

„Tom …“

„Ich weiß, ich bin sehr vorsichtig, aber es dauert nur ein paar Minuten, und wir haben ja die Zeit. Ich fühle mich einfach besser. Also bleib im Wagen. Falls du jemanden siehst, ruf mich sofort. Und falls jemand versucht, in den Wagen einzudringen …“

„Dann überfahre ich ihn.“ Sie musste es einfach ins Lächerliche ziehen, weil sie fand, dass er maßlos übertrieb.

Er blieb ernst. „Emily, ich habe mit ansehen müssen, wie ein Mann ein Haus betreten hat und ihm die Kehle durchgeschnitten wurde. Ich weiß, wir sind hier in Royal, aber ich sehe keinen Grund, wieso wir ein Risiko eingehen sollten.“

„Bisher hat Maverick nur Mails verschickt.“ Sie winkte ab. „Gut, ich tue, was du sagst. Geh ins Haus und sieh dich um.“ Sie wusste, dass er wieder im Militär-Modus war und dass es keinen Zweck hatte, mit ihm zu streiten.

Er stieg aus und schloss die Tür leise hinter sich.

Sie konnte sich beim besten Willen keine Gefahr vorstellen. Aber sie hätte sich auch nicht vorstellen können, je eine solche Mail zu bekommen. Nun war sie also wieder unter einem Dach mit Tom. Das schien noch die größte Bedrohung, wenn auch nur für ihr Herz. Dabei war sie gerade dabei gewesen, sich ein neues Leben ohne ihn aufzubauen.

Er verschwand ins Haus. Draußen herrschte noch die Dämmerung, aber im Haus war es jetzt dunkel. Sie stellte sich vor, wie Tom einen Raum nach dem anderen kontrollierte. Gründlich und leise.

Ihre Nerven waren angespannt, als endlich das Licht im Haus anging und sie Tom aus der Küche kommen sah. Sie nahm seine breiten Schultern wahr und seinen energischen Schritt. Sie wusste, sie würde sich vollkommen sicher fühlen mit ihm im Haus. In der Vergangenheit hatte sie sich in seiner Nähe immer sicher gefühlt. Aber damals hatte sie sich auch nie Gedanken wegen irgendwelcher Gefahren machen müssen.

Das Licht im vorderen Wohnzimmer ging aus. Als Nächstes erlosch das Licht im Korridor. Sie begriff, dass Tom unten alles Licht ausschalten und die Räume im Dunkeln lassen wollte.

Sie sah ihn erst, als er an die Scheibe des Wagens klopfte.

Er hielt ihr die Wagentür auf. „Danke, dass du mir die Zeit gelassen hast. Jetzt fühle ich mich wohler.“ Er half ihr beim Aussteigen. „Emily, du hast hier keinerlei Sicherheitsvorkehrungen. Es gibt im Erdgeschoss nur ein einziges heiles Fenster, und das ist im Bad. Man kann jederzeit sehen, wo du dich aufhältst. Hast du irgendwo Gardinen oder Laken?“

„Ja, Laken.“

„Okay, dann los. Wir müssen einige der Fenster verhängen. Du musst dich oben aufhalten.“

Autor

Sara Orwig
<p>Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...
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