Cora Collection Band 23

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NACHT DER SÜNDE von ANNE OLIVER
In der Firma, die Tycoon Damon erst kürzlich übernommen hat, wird ihm Kate Fielding vorgestellt. Ihr nüchternes Auftreten täuscht ihn jedoch keine Sekunde. Er weiß: Letzte Nacht war sie seine sinnliche Geliebte …

SEHNSUCHT NACH GLÜCK UND LIEBE von BARBARA MCMAHON
Seit Rachel als Assistentin in seinem Schloss an der Costa Blanca wohnt, wird die Versuchung für Luis Alvares immer größer. Doch nie wird er ihr seine Liebe gestehen, aus Angst, sie könnte ihn ebenso enttäuschen wie andere vor ihr …

BALL DER TRÄUME von TRISH MOREY
Als betörende Kleopatra besucht Eve den Kostümball ihres Chefs. Der attraktive Millionär Damien DeLuca hat nur noch Augen für sie, erkennt sie jedoch nicht. In der Firma ist sie sonst Luft für ihn. Was wird er sagen, wenn er erfährt, wer sie wirklich ist?


  • Erscheinungstag 14.02.2020
  • Bandnummer 23
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728663
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Anne Oliver, Barbara McMahon, Trish Morey

CORA COLLECTION BAND 23

1. KAPITEL

Kate starrte in das Organzasäckchen, das ihr die beschwipste Sheri-Lee in Nonnentracht – alias die zukünftige Braut – eben in die Hand gedrückt hatte. Ein Kondom?

Unter dem süffisanten Grinsen der Umstehenden – lauter Freundinnen, die das offenbar lustig fanden – ballte sie verlegen die Hand zur Faust. Da hatte sie es wieder einmal: Junggesellinnenabschiede und die dazugehörigen sexuellen Anspielungen waren einfach nicht ihr Ding. Wie sollte die gewissenhafte, fleißige und wenig spielerisch veranlagte Kate Fielding den Abend überstehen, wenn ihr ein Kondom die Hand versengte? Egal, ob es als Lavendelsäckchen getarnt war oder nicht.

Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. „Äh … ich … also …“

„Nimm’s einfach mit, wenn dir danach zumute ist, Kate. Man lebt schließlich nur einmal“, verkündete Sheri-Lee munter. Während Kate immer noch perplex dastand, nahm Sheri-Lee ihr den winzigen Organzabeutel aus der Hand und schob ihn ihr unter den perlenbestickten Rockbund.

Gekicher drang an ihr Ohr. Als wäre allein die Vorstellung, dass Kate einfach tun könnte, wonach ihr zumute war, völlig absurd. Gegen ihren Willen fühlte Kate sich ein bisschen verletzt. Und mächtig verunsichert.

„Danke … ich glaube …“ Ihr entschlüpfte ein gequältes Auflachen, während sie sehnsüchtig zur Tür schaute. Dabei sah sie, dass sich einige der Mädchen im Pub unter die Hotelgäste gemischt hatten, offenbar auf der Suche nach männlicher Gesellschaft. Flucht war ihre einzige Rettung. Bevor noch jemand auf die Idee kam, sich über den bejammernswerten Zustand ihres Lebens auszulassen.

„Ich bin nur mal kurz …“ Frische Luft schnappen. Die Münzen an ihrem Bauchtänzerinnenkostüm klimperten, als sie sich an einer Amazone, die gerade mit Cleopatra plauderte, und einer russischen Spionin im 60er-Jahre-Look vorbeischlängelte.

Als ihr endlich kühlere Luft entgegenschlug, atmete Kate erleichtert auf. Hier ging es gesitteter zu. Das Pub mit seiner altmodischen, aber hübschen Einrichtung aus dem späten neunzehten Jahrhundert war in weiches Licht getaucht. Das Hotel lag nur ein paar Schritte von Kates Arbeitsplatz, einem Reisebüro in Sydneys angesagter Vorstadt Paddington, entfernt.

Mit dem Champagnerglas in der Hand, an dem sie sich seit einer geschlagenen Stunde festhielt, schlenderte Kate zu einer Wand, die mit Fotos von mehr oder weniger prominenten Leuten gepflastert war. Ohne wirklich etwas zu sehen, starrte sie auf die Fotos.

Jeder Junggesellinnenabschied weckte in ihr dieselben bitteren Erinnerungen. Wenn alles nach Plan gegangen wäre, trüge sie längst einen Ehering und hätte vielleicht sogar schon Kinder. Stattdessen würde demnächst sogar ihre kleine Schwester Rosa vor ihr heiraten. Und das war allein Nicks Schuld.

Kate schüttelte den Kopf. Nein! Sie würde jetzt nicht an Nick denken. Oder daran, dass er sie betrogen und um drei wertvolle Jahre ihres Lebens gebracht hatte. Außerdem freute sie sich, dass Rosa ihre große Liebe gefunden hatte.

War es denn wirklich so schlimm, dass sie letzten Monat dreißig geworden war und – zumindest in den Augen ihres Vaters – auf dem besten Weg, als alte Junger zu enden? Seit Nicks schmählichem Verrat hatte sich Kate nicht ein einziges Abenteuer gestattet. Und das war gut so … oder?

Das Organzasäckchen in ihrem Rockbund schien sie an vergangene Zeiten zu erinnern.

Verfluchter Mist.

Sheri-Lee hatte ihren Mr. Right gefunden. Sie würde heiraten und aufhören zu arbeiten … nächste Woche schon. Warum war die Heirat für eine Frau nur immer noch so oft gleichbedeutend mit dem Ende ihrer Karriere? Und das im einundzwanzigsten Jahrhundert! Warum konnte eine Frau nicht beides haben: einen Ehemann und finanzielle Unabhängigkeit?

Fast bedauerte Kate Sheri-Lee. Liebe schien immer Opfer zu fordern – von den Frauen. Obwohl Kate zugeben musste, dass Sheri-Lee momentan vor Glück nur so strahlte.

Vor vier Jahren wäre Kate um ein Haar in dieselbe Falle getappt. Freiwillig und in dem festen Glauben, dass Nick sie liebte. Heute war sie zum Glück klüger und wusste, dass er sie nie wirklich geliebt hatte.

Sollte sie sich vielleicht doch an Sheri-Lees Rat halten und sich von Zeit zu Zeit ein flüchtiges Abenteuer gönnen … nur für eine Nacht?

Vergiss es, Kate. Für Männergeschichten hatte sie keine Zeit. Außerdem war ihr schleierhaft, was an Wegwerfsex so prickelnd sein sollte. Obwohl … genau besehen musste sie zugeben, dass sich ihr Ego manchmal durchaus nach ein paar Streicheleinheiten sehnte.

Plötzlich schüttelte sie ein Schauer. Kate spürte, dass jemand sie beobachtete, und zwar ein Mann. Das wusste sie aus irgendeinem Grund ganz genau.

Als sie noch einmal erbebte, sah sie sich verstohlen um.

Alles klar. Kein Wunder, dass sie so reagierte. Der Typ war ein Traummann, trotz seines unpassenden Outfits. Er war sehr groß – eins neunzig reichte wahrscheinlich nicht – und trug eine olivgrüne Armeehose, ein hautenges schwarzes T-Shirt und abgewetzte, dreckige Stiefel. Braungebrannt, Dreitagebart und dunkle Haare. Die topasfarbenen Augen des Fremden taxierten sie eingehend.

Was bei ihr dieses Kribbeln auslöste.

Und Herzklopfen. Ihr Herz hämmerte plötzlich wie verrückt. Und ihre Handflächen wurden feucht. Seine Augen lösten all diese köstlichen Dinge in ihrem Körper aus. Tatsächlich hatte sie nichts, aber auch gar nichts gegen ein flüchtiges Abenteuer einzuwenden, und ihr Ego würde es begrüßen, die lang ersehnten Streicheleinheiten von ihm zu bekommen.

Immer noch mit dem Glas in der Hand, drehte sie sich langsam um und musterte ihn, vor Entdeckung durch ihren Schleier geschützt. Arbeitete er viel draußen im Freien? Sein knallenges T-Shirt betonte den breiten Oberkörper und die muskulösen, braungebrannten Arme. Er sah aus wie aus einem Abenteuerfilm.

Als ihr Blick weiter nach unten wanderte, sah sie, dass er von der Taille abwärts ebenso aufregend gebaut war, auch wenn seine bequem geschnittene Hose Einzelheiten der Fantasie überließ. Beim Aufsehen ertappte sie ihn, wie er ihren nackten Bauchnabel musterte. Gleich darauf schweifte sein Blick mit unübersehbarer Anerkennung über die durchsichtigen Stoffbahnen des langen Rocks. Kate kam es so vor, als ob seine Blicke ihre Haut versengten. Alarmiert schnappte sie nach Luft.

Noch nie hatte sie auf die Aufmerksamkeit eines Mannes so reagiert. Lüstern. Willig. Schwach. Als ob der Boden unter ihren Füßen schwankte. Er sah nicht nur gefährlich aus, er war es auch, daran zweifelte sie keine Sekunde. Schließlich spürte sie am eigenen Leib, wie gefährlich er war.

Und jetzt kam er zu allem Überfluss auch noch auf sie zu.

Instinktiv richtete Kate sich zu ihrer vollen Größe auf. Sein Outfit verriet, dass er sich um Konventionen nicht scherte. Auch wenn es im Pub keinen strengen Dresscode gab, erwartete man doch gepflegte Freizeitkleidung. Aber Kate war bereit, ein Auge zuzudrücken, weil eine ganze Reihe körperlicher Vorzüge seinen abgewetzten Aufzug mehr als wettmachten.

Nimm’s einfach mit, wenn dir danach zumute ist. Sheri-Lees Worte hallten in ihrem Kopf. Man lebt schließlich nur einmal.

Als er die Hand nach ihr ausstreckte, hatte sie sich wieder im Griff. Fast. Jetzt stand er so nah vor ihr, dass sie die grünen Einsprengsel in seinen Augen ebenso erkannte wie das Geflecht feiner Fältchen in den Augenwinkeln. Er roch aufregend nach Schweiß und Hitze und Mann.

„Kann ich irgendwas für Sie tun?“, fragte er mit einer tiefen heiseren Stimme, die umwerfend gut zu seiner sexy Erscheinung passte.

Irgendwas? Ihre so schmählich vernachlässigte Libido seufzte tief auf. Er konnte alles für sie tun. Überall, jederzeit.

„Möchten Sie einen Drink?“, präzisierte er, wobei er mit dem Kopf auf ihr halbleeres Glas deutete. „Sieht aus, als könnten Sie Nachschub vertragen.“

Wahnsinn, er sprach sie wirklich an, das war kein Tagtraum! Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch umfasste Kate ihr Glas fester. „Nein … danke, im Moment nicht.“

Sein Blick ruhte auf ihrem Mund – oder besser gesagt auf der Stelle, wo er unter dem Schleier den Mund vermutete. Dabei hob er ganz leicht die Augenbrauen. Sie sah ihm an, dass er erwog, den Schleier wegzuziehen. Darum versuchte sie schnell abzulenken. „Sie sehen aus, als kämen Sie gerade von einer Weltreise.“

Ihr vorwurfsvoller Ton entlockte ihm ein Tausend-Watt-Lächeln. Jetzt klopfte Kates Herz zum Zerspringen.

„Nicht ganz, aber fast. Ich komme direkt aus L.A. Vor genau zwei Stunden bin ich gelandet.“

Dann hatte er also noch keine Gelegenheit gehabt, sich frisch zu machen. „Sind Sie beruflich hier oder privat?“, fragte sie.

„Sowohl als auch.“ Er musterte sie lächelnd mit leicht schräg gelegtem Kopf. „Ich vermute, da drüben feiert eine geschlossene Gesellschaft, und Sie gehören dazu?“

Sie erwiderte sein Lächeln. „Ja. Ein Junggesellinnenabschied.“

Ganz leicht beugte er sich nach vorn. „Oh. Hoffentlich nicht Ihrer.“

„Nein.“ Sein Aftershave roch nach Hölzern und sehr exklusiv, ein lebhafter Kontrast zu seiner Kleidung.

„Das ist das Beste, was ich heute gehört habe.“ Bei diesen Worten legte er seine Hand auf ihre, die immer noch das Champagnerglas hielt. Über Kates Arm ging ein Funkenregen nieder. Ihre Blicke verfingen sich ineinander. Sie spürte die kräftigen Finger, als er ihre Hand mit dem Glas hob, nahm den warmen Atem wahr, während er ihre Hand quälend nah an seinen Mund zog. Gleich würde sie seine Bartstoppeln auf ihrer Haut fühlen.

Wenn es sich so ergab, würde sie die Chance ergreifen. Es könnte ihre letzte sein.

Damon Gillespie war auf einmal richtig froh, drei Tage früher als geplant in Sydney angekommen zu sein. Eigentlich hatte er sich im Pub nur noch schnell einen Absacker genehmigen wollen, aber dann hatte er sie gesehen.

Sie wirkte … nun, nicht wirklich einsam, aber allein. Definitiv allein. Genau wie er. Vielleicht hatte er sich darum auf Anhieb für sie interessiert. Sehr interessiert.

Während er sie festhielt, versuchte er, ein seltsam beunruhigendes Gefühl loszuwerden. Jetlag und Schlafmangel waren plötzlich nebensächlich. Jetzt zählte nur noch, ihre Fingerknöchel unter seiner Hand zu spüren und den orientalisch anmutenden Duft dieser Frau zu riechen.

Die Firma konnte warten.

Da sie einen Schleier aus dünnem Chiffon vor dem Gesicht trug, war er weitgehend auf seine Fantasie angewiesen. Ab und zu erhaschte er einen flüchtigen Blick auf einen schmalen geraden Nasenrücken, hohe Wangenknochen und volle Lippen.

Das knappe, mit klimpernden Münzen und glitzernden Perlen besetzte Oberteil ihres Kostüms umschloss üppige Brüste. Ihr aus vielen Chiffonlagen bestehender Rock in Safrangelb und Gold saß tief auf den Hüften und betonte die zierliche Taille, den flachen Bauch und die goldene Haut. Durch die Stofflagen konnte er die Umrisse ihrer perfekt geformten Beine erkennen. Am meisten jedoch faszinierte ihn der rubinrote Stein im Bauchnabel. Wie zum Teufel war er dort befestigt?

Als sich sein Blut mit Adrenalin anreicherte, wurde sein ganzer Körper hart. Dieses Gefühl kannte er sonst nur vom Fallschirmspringen und Drachenfliegen – auf jeden Fall hatte er es schon sehr lange bei keiner anderen Gelegenheit mehr verspürt.

Das änderte sich gerade.

Er hob das Glas – zusammen mit ihrer Hand – an seine Lippen und sah ihr tief in die Augen. So dick mit schwarzem Kajal umrahmt wirkten sie riesig – schwarze Seen, in denen unübersehbar Verlangen loderte. Spanische Augen, dachte er, während aus den Tiefen seiner Erinnerung ein anderes dunkles Augenpaar aufstieg. Er schob es entschlossen beiseite und trank einen Schluck von ihrem Champagner.

Am Rand des Glases haftete ihr Geschmack, zumindest bildete er sich das ein. Eine köstlich herbe Süße.

„Aber der Champagner perlt ja gar nicht mehr.“ Er verzog das Gesicht. „Außerdem ist er viel zu warm.“ Geschmeidig nahm er ihr das Glas ab, stellte es auf das Tablett eines vorbeikommenden Kellners und reichte Kate ein neues. Dabei streiften seine Fingerspitzen ihre Hand. „Hier.“

„Danke.“

„Was halten Sie davon, wenn wir uns ein ruhiges Eckchen suchen?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, ergriff er ihre freie Hand und zog Kate durch die Menschenmenge auf die andere Seite des Raums hinter eine hohe Pflanze. Dort wartete er darauf, dass sie den Schleier lüftete, um einen Schluck Champagner zu trinken. Aber sie hob das Glas unter dem Schleier an den Mund, und ihr Gesicht blieb weiterhin ein verlockendes Geheimnis.

„Wie heißen Sie?“

Sie trank noch einen Schluck, dann sagte sie leicht heiser: „Shakira.“

Mit dem verführerischen Tonfall goss sie noch Öl ins Feuer, sodass es sich ohne ernsthafte Anstrengungen nicht mehr löschen lassen würde.

„Okay, Shakira …“ Er machte einen Schritt auf sie zu, fuhr mit der Hand unter ihren Schleier und umfasste ihr Kinn. Dann neigte er ihren Kopf so, dass das Licht durch ihren Schleier fiel, wodurch ihr Gesicht zumindest ein paar Konturen mehr bekam. In der nächsten Sekunde legte sie ihm entschlossen eine weiche Hand auf den Unterarm und keuchte leise.

„Nein.“ Es klang alarmiert.

„Keine Angst. Dann spielen wir eben nach Ihren Spielregeln.“ Hauptsache, wir spielen. Sie lockerte den Griff und erlaubte ihm, mit dem Daumen über ihre volle Unterlippe zu fahren. Einmal, zweimal. Dann kam ihm ein Gedanke. „Es sei denn, da ist jemand, der sich hintergangen fühlen könnte.“

Augenblicklich versteifte sie sich. Wie ein gebranntes Kind, dachte er.

„Ich betrüge niemanden.“

„Gut.“ Wie sehr ihn das freute, ließ er sich nicht anmerken. „Ich auch nicht.“

Er zog sie ein Stück weiter, an eine Stelle, die für andere nicht einsehbar war, und beugte sich vor, um ihren Duft ein weiteres Mal zu genießen. Ihr Parfüm duftete nach Frangipani und Sommer. Es umschmeichelte seine Sinne wie die Chiffontücher ihre Beine.

Warum war so eine attraktive Frau ungebunden? Frag nicht lange, sondern genieß es einfach. Ohne weiter zu grübeln, liebkoste er ihren Hals und knabberte, ermuntert durch ihre Reaktion, an der duftenden Haut unter ihrem Ohr. Die Münzen, die ihren Rock schmückten, klimperten an seiner Hose, das perlenbesetzte Oberteil rieb sich an seinem Brustkorb, ihre weichen sinnlichen Kurven schmiegten sich an seinen Körper, der fast umgehend reagierte.

Damon fuhr mit einem Finger an ihrem Rockbund entlang, von einer Seite zur anderen, und streifte dabei Kates straffen Bauch. Sie bekam eine Gänsehaut und zitterte heftig.

In ihren Augen loderte dasselbe Verlangen, das in ihm brannte. Er begehrte sie so sehr, dass er höllisch aufpassen musste, um nicht alles zu verderben. Er wollte diese Haut an seiner spüren. Nackt. Wollte, dass sich ihr Körper erschauernd wand, während er sich in ihr bewegte. Und zwar sofort.

Nur unter Aufbietung aller Selbstdisziplin gelang es ihm, sich von ihr zu lösen und einen Schritt zurückzutreten. Was ihr offensichtlich genauso wenig gefiel wie ihm. Da er nicht eine Sekunde daran zweifelte, dass sie sein Verlangen teilte, nahm er sie an der Hand und sagte: „Komm mit, wir gehen.“

Kate fühlte sich wie im Traum und gleichzeitig hellwach. Geschickt lotste der Fremde sie einen Flur hinunter, wo sie einer Kellnerin begegneten, die, umweht von würzigen Düften, ein Tablett mit verlockenden Vorspeisen trug.

Nur mit Mühe konnte sie seinen langen Schritten folgen. In ihren Adern pochte die Gewissheit, dass sie gleich mit diesem Mann schlafen würde. Noch nie in ihrem ganzen Leben hatte ein Mann sie derart in seinen Bann gezogen. Genau, Sheri-Lee, du hast recht – man lebt nur einmal.

Nur einen Moment später blieb er vor einer Tür stehen, schloss auf und zog sie in das dunkle Zimmer, in dem es noch dunkler wurde, als er die Tür hinter sich zumachte.

„Wo bist du denn?“, flüsterte er.

Es dauerte nicht lange, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. „Ich bin hier.“ Kate legte ihre Hände flach auf seine Brust. Nein, falsch: Nicht sie, sondern Shakira legte ihre Hände auf seine Brust, weil Kate Fielding überhaupt nicht hier wäre. So etwas Tollkühnes hätte sie nie und nimmer gewagt. Shakira hingegen fuhr mit den Fingern langsam über sein T-Shirt und beugte sich vor, um seinen Duft ganz in sich aufzunehmen. Es war lange her, seit sie einem männlichen Körper so nah gekommen war.

Von der Straße fiel ein schwacher silberner Lichtschein ins Zimmer. Dennoch waren nicht mehr als Schemen erkennbar. Darum ließ Kate es auch zu, dass er ihr den Schleier abnahm.

Schweigend zeichnete er mit einem Finger die Konturen ihres Gesichts nach, Nasenrücken, Augenbrauen, Lippen. „Du bist so schön.“ Er hielt ihre Hände fest und zog sie an sich. „Sogar im Dunkeln bist du unwiderstehlich.“

Die Bewunderung, die in seinen sanften Worten mitschwang, wirkte wie ein Aphrodisiakum. Der harte Beweis seiner Männlichkeit drückte gegen ihren Bauch, sein Herz hämmerte unter ihren Fingerspitzen, während ihr eigenes wie Donner in ihren Ohren hallte.

Von irgendwo drang ein langes tiefes Aufstöhnen an Kates Ohr – ihr eigenes? –, dann als Antwort ein tiefes Rumpeln, das an ihren Handflächen vibrierte. Seine Lippen waren trocken und fest und sehr erfahren.

Bereitwillig öffneten sich Kates Lippen seiner Zunge, die in ihren Mund eindrang, sich jedoch sofort wieder zurückzog – ein Versprechen auf künftige Sinnenfreuden. Er schmeckte herrlich. Nach Kaffee und Pfefferminz und etwas Dunklerem … Leidenschaft. Als er den Kopf hob und sich von ihr löste, protestierte sie, indem sie ihn wieder zu sich herunterzog. Sie war noch längst nicht bereit, ihn loszulassen.

Allerdings lag ihm auch nichts ferner, als sich von ihr zu lösen. Seine Hände umfassten nun ihre nackte Taille. Sehr langsam wanderten sie von dort aus ihren nackten Oberkörper hinauf … bis der mit klimpernden Blechmünzen besetzte Rand ihres Oberteils sie stoppte.

Aber jetzt ließ Damon sich durch nichts mehr aufhalten. Seine Finger wölbten sich um Kates Brüste und schlüpften in den Ausschnitt auf ihrem Weg zu den Knospen, die sich hart gegen den Stoff drückten. Gleich darauf begann er, ihre Brustspitzen zwischen seinen Fingern zu reiben.

Von heißen Pfeilen des Verlangens durchbohrt, stöhnte Kate leise auf. Einladend beugte sie sich vor – ein Angebot, das er gern annahm. Als sie nach unten blickte, sah sie, was für einen aufregenden Kontrast die dunklen Hände zu ihren weißen Brüsten bildeten.

In seinen Augen loderte Verlangen, als seine Lippen mit ihren verschmolzen und er sie zurückdrängte, bis sie gegen die Wand stieß. Sein harter Körper prallte gegen ihren.

„Oohh!“

Er hob den Kopf. „Alles okay?“

„Jaa.“ Kam dieses sehnsüchtige Aufstöhnen tatsächlich von ihr?

Offenbar. Es entstieg ihrer Kehle als Zeichen von Erleichterung, von Ungeduld – während er sich wieder voller Verlangen an sie presste, sich an ihr rieb.

Fest umschlossen seine Hände ihre Taille und hoben sie wie ein Fliegengewicht hoch. Kates Rücken gegen die Wand gepresst, so hielt er sie fest. Ihre goldfarbenen Sandaletten fielen mit einem dumpfen Klappern zu Boden.

„Leg die Beine um meine Hüften.“

Schnell und umsichtig beseitigte er alle störenden Stoffbahnen zwischen seinen Händen und ihren Beinen. Und nur eine Sekunde später versengten zuerst seine heißen, leicht rauen Finger und dann seine harte, heiße Männlichkeit ihre samtigen Oberschenkel.

Aber noch zögerte er und fragte heiser an ihrem Ohr: „Willst du das wirklich?“

Einerseits fühlte Kate sich völlig wehrlos und gefangen. Und doch hatte sie sich noch nie lebendiger, freier und entschlossener gefühlt, die Chance des Augenblicks zu ergreifen, als in diesem Moment. „Ja.“

„Warte …“ Er kramte in seiner Tasche.

„Äh …“ Ihre zitternden Finger tasteten unter den Rockbund. „Ich habe zufällig …“ Sie zog das Organzasäckchen heraus und hielt es hoch.

Einen Moment lang musterte er sie verblüfft, bevor er ihr das Päckchen aus der Hand nahm und es aufriss.

Beinahe hätte sie ihm gesagt, dass es eigentlich nicht ihre Art war, bei jeder Gelegenheit Kondome mit sich herumzutragen, doch dann ließ sie es bleiben. Eine weltgewandte und erfahrene Frau wie Shakira war garantiert allzeit bereit. Außerdem war sie ihm keine Rechenschaft schuldig.

Er drang in sie ein. Er war groß – riesengroß – so groß, dass sie spürte, wie ihre Muskeln sich dehnten. Aber sie begrüßte ihn mit einem lüsternen Aufstöhnen.

Zur Musik der Blechmünzen an ihrem Kostüm bewegte er sich in ihr mit einer Intensität, die Kate atemlos machte. Sie umklammerte seine Schultern und krallte die Finger in sein weiches T-Shirt. Der perlenbestickte Träger ihres Oberteils zerkratzte ihren Rücken, als sich ihre rhythmischen Bewegungen beschleunigten.

Doch sie war blind und taub gegenüber ihrer Umgebung – fast. Das Einzige, was sie wahrnahm, waren seine Augen, die Umrisse seines Körpers in der grauen Dunkelheit, die keuchenden Atemzüge, die Geräusche ihrer Bewegungen. Und ihre eigenen atemberaubenden Empfindungen.

Sie kam gleichzeitig mit ihm. Großer Gott.

Nach dem Höhepunkt hielt er sie fest, bis sich ihre Atemzüge verlangsamten. Dann erst öffnete sie die Beine, die noch immer seine Hüften umschlungen. Er ließ sie an sich nach unten gleiten, bis ihre Füße den Boden berührten. Kate hatte ganz weiche Knie und fühlte sich so schwach, dass sie kaum stehen konnte.

Mit heiserer Stimme stieß Damon hervor: „Wo hast du …“ Sein Handy summte. „Entschuldige“, bat er widerstrebend und fahndete in seiner Gesäßtasche nach dem Telefon, während er mit der anderen Hand, ihre Brust streichelte. „Ja?“

Sie sah, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte und sein Blick sich verhärtete. Das Kinn wirkte wie aus Stein gemeißelt. „Und wo zum Teufel ist es dann?“ Abrupt ließ er von ihr ab und sagte: „Warte hier. Ich bin gleich wieder da.“ Mit schnellen Schritten durchquerte er das Zimmer und öffnete die Tür zum Bad. „Schön, dann setzen Sie sich mit ihm in Verbindung.“ Pause. „Ach, vergessen Sie’s, ich kümmere mich selbst darum.“ Im Bad flammte Licht auf, und Kate blinzelte geblendet, bis er die Tür hinter sich ins Schloss zog.

Schlagartig war alles anders. Mit Macht kehrte ihre Vernunft zurück. Kate lehnte sich gegen die Wand und befestigte mit zitternden Händen eilig ihren Schleier wieder, für den Fall, dass er bei seiner Rückkehr hier ebenfalls Licht machte. Dann bückte sie sich, tastete im Dunkeln nach ihren Sandaletten und schlüpfte hinein.

Oh, Gott, was war da eben passiert?

Nimm’s einfach mit, wenn dir danach zumute ist, Kate. Genau das war passiert. Sie hatte es mitgenommen. Und jetzt ließ es sich nicht mehr ändern. Was um Himmels Willen hatte sie getan? Mit einem Mann, den sie praktisch nicht kannte?

Sie wusste nicht einmal seinen Namen.

Vor Entsetzen schloss sie die Augen. Ihr gesunder Menschenverstand schien sie im Stich gelassen zu haben. Gib einfach Shakira die Schuld und denk nicht mehr dran – vorerst jedenfalls.

Als Erstes musste sie hier weg. Und zwar sofort.

An der Garderobe des Hotels ließ sie sich ihre Tasche geben und schlüpfte am Pförtner vorbei nach draußen in die frische Nachtluft.

Auf dem Weg zu ihrem Auto schickte sie Sheri-Lee eine SMS, dass sie wegen eines unerwarteten Zwischenfalls – nichts Schlimmes – leider wegmusste. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas so Verrücktes, etwas so Verantwortungsloses getan. Ein eisiger Wind vertrieb alle verbliebene Hitze aus ihrem Körper. Noch nie hatte sie mit einem Mann einfach so Sex gehabt. Ohne eine Beziehung, die auf gegenseitiger Achtung, Aufrichtigkeit und Zuneigung gründete.

Aber bei diesem Typen hatte sie nach einem einzigen Blick von ihm all ihre Grundsätze vergessen. Er hatte einen anderen Menschen aus ihr gemacht. Ein seltsames Gefühl stieg in ihr auf, sie fröstelte. Es war fast, als ob sie ihm nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Seele geschenkt hätte.

2. KAPITEL

Damon stieß einen leisen Fluch aus, als er aus dem Bad kam und sah, dass das reizvollste Geschöpf, das ihm je über den Weg gelaufen war, fort war. Eigentlich hatte er nicht gleich am ersten Abend über die Stränge schlagen wollen, aber in diesem Fall wäre jeder Widerstand zwecklos gewesen. Dafür hatte er sie viel zu sehr gewollt.

Natürlich könnte er nachsehen, ob sie noch da war, aber das hielt er für ziemlich unwahrscheinlich. Außerdem wollte sie vermutlich nicht mehr von ihm, sonst wäre sie nicht so sang- und klanglos verschwunden. Schade, aber was soll’s.

Er nahm sich ein Bier aus der Minibar und trat ans Fenster, um einen Blick auf das Gebäude zu werfen, in dem das Reisebüro untergebracht war, das er von seinem Onkel geerbt hatte. Und das, zumindest soweit er das sehen konnte, dringend ein neues Image brauchte. Natürlich nur, falls er sich durchringen konnte, es zu behalten.

Doch anstatt sich um seine Erbschaft zu kümmern, war er in ihren seelenvollen Augen ertrunken.

Plötzlich sah er Bonita vor sich. Bonita mit den schwarzen Augen, die sie von ihrem spanischen Vater geerbt hatte. Die schönen regelmäßigen Gesichtszüge stammten hingegen von ihrer ägyptischen Mutter. War es ein Wunder, dass er heute Abend auf dieselben körperlichen Merkmale reagiert hatte? Er trank einen Schluck aus der Flasche, aber das Bier schmeckte schal. Hilflos hatte er zusehen müssen, wie die Frau, die er geliebt hatte, gestorben war.

Seitdem lebte er mit der Überzeugung, dass es nur eine einzige Art gab, einem derart schmerzhaften Verlust vorzubeugen: indem man einen großen Bogen um die Liebe machte. Wie zur Bekräftigung schlug er mit der Hand aufs Fensterbrett, bevor er sein Bier abstellte und ins Bad ging, um zu duschen. Nicht nur, aber auch, um den Geruch der Frau abzuwaschen, den er immer noch an sich trug. Damon bereute nichts, allerdings wollte er auch keine Erinnerung. Er war nach Sydney gekommen, um die Hinterlassenschaft seines Onkels zu ordnen. Wenn er damit fertig war, würde er wieder verschwinden.

Am Montagmorgen war Kate zu spät dran. Das verdankte sie einer saftigen Erkältung, die sich in den frühen Morgenstunden des Sonntags unangenehm bemerkbar gemacht hatte. Ausgerechnet heute musste sie sich verspäten, wo sich für morgen doch Bryces Neffe vom anderen Ende der Welt angekündigt hatte. Bis dahin gab es noch jede Menge zu tun. Und der Verkehr an diesem Morgen glich einem Albtraum.

Eigentlich hatte sie gestern schon ins Büro fahren wollen, um sicherzustellen, dass der Mann auch ja nichts auszusetzen fand. Aber dann hatte sie den ganzen Tag verschlafen. Oder es zumindest versucht. Wenn auch erfolglos, weil ihr die Erinnerung an einen anderen Mann den Schlaf geraubt hatte.

Kate Fielding hat einen One-Night-Stand gehabt.

Und zwar einen echt heißen. Allein beim Gedanken daran bekam sie Schweißausbrüche. Sie bremste so hart vor einer roten Ampel, dass die Reifen quietschten. Der Fahrer hinter ihr hupte erbost.

Himmel. Sie putzte sich die Nase und umklammerte das Lenkrad fester. Dieses Abenteuer tat ihrer Gesundheit gar nicht gut. Und ständig an diesen Typ zu denken, erst recht nicht. Sie würde ihn sowieso nie wiedersehen. Es hatte Spaß gemacht, Ende, aus.

Wenn sie davon doch bloß ihren immer noch übersensibilisierten Körper überzeugen könnte.

Entschlossen verbannte sie die Bilder aus ihrem Kopf. Höchste Zeit, dass sie sich auf ihre Arbeit konzentrierte. Morgen früh müsste sie einem Mann gegenübertreten, den sie schon allein vom Hörensagen nicht mochte. Kate war entschlossen, ihm keinen Grund zu geben, an ihrer Arbeit herumzumäkeln.

Vor drei Wochen war ihr Chef mit erst dreiundvierzig Jahren überraschend verstorben, was für das Reisebüro eine unsichere Zukunft bedeutete. Sieben Jahre lang hatte Kate hart an ihrer Karriere gearbeitet, und kurz bevor Bryce sie zu seiner Stellvertreterin ernennen wollte, war er gestorben. Jetzt musste sie sich ein weiteres Mal beweisen, und zwar einem Mann gegenüber, den sie nicht kannte und der wahrscheinlich keine blasse Ahnung von der Touristikbranche hatte. Zumindest nicht von Aussie Essential.

Mit leicht überhöhter Geschwindigkeit fuhr sie auf ihren reservierten Parkplatz. Als sie die Zündung ausschaltete, fiel ihr Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Verdammt. Sie schnappte sich ihre Tasche und ging eilig durch den frischen Herbstwind über den Parkplatz. Dabei putzte sie sich wieder die Nase. Nur zehn Minuten Verspätung, aber immerhin.

Normalerweise kam sie nie zu spät. Zuspätkommen war unprofessionell und zeugte von mangelnder Achtung anderen gegenüber. Die Absätze ihrer flachen Schuhe klapperten ungeduldig auf dem Asphalt.

Beim Betreten des Gebäudes überprüfte sie in der Glastür kurz ihre Erscheinung. Sie zupfte am Saum der dunkelblauen Kostümjacke und rückte überflüssigerweise ihr Revers zurecht. Fuhr sich gewohnheitsmäßig mit der flachen Hand über das straff aus dem Gesicht gekämmte schwarze Haar, das eine Spange im Nacken zusammenhielt.

„Hi, Deb!“ Sie lächelte ihre Kollegin an. Die einzige Kollegin, die weit und breit zu sehen war. „Was ist hier los? Wo sind sie die anderen?“

„Hallo, Kate … äh …“ Debs Blick huschte zu dem großen Raum hinter ihnen, den sie als Besprechungsraum nutzten.

Augenblicklich beschlich Kate eine böse Ahnung. „Oh, nein! Sag bloß nicht, dass er schon da ist.“

„Er meint, er hätte gestern versucht, dich zu erreichen.“

„Ach du meine Güte …“ Kate stöhnte. „Ich habe gestern den ganzen Tag verschlafen, und heute früh war ich so spät dran, dass ich glatt vergessen habe, meine Mailbox abzuhören.“ Sie musste niesen und schaffte es gerade noch, die Explosion mit einem Taschentuch einzudämmen. Die Erkältungskapseln wirkten kein bisschen. Ihr Kopf dröhnte, und ihre Beine waren bleischwer. „Er war doch erst für morgen angekündigt.“

„Ich weiß.“ Deb zuckte die Schultern. „Er hat eine Personalversammlung einberufen. Sie sind alle da drin. Ich soll …“

Kate warf ihr Taschentuch in den Papierkorb und nahm sich eine Handvoll Papiertaschentücher aus einer Schachtel auf ihrem Schreibtisch. „Was? Sag das noch mal. Er hat eine Personalversammlung einberufen?“

„Er“ war der Mann, den Bryce nur ein paarmal nebenbei erwähnt hatte – sein Neffe. Der Weltenbummler und Abenteurer, der sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, an der Beerdigung seines Onkels teilzunehmen. Aber jetzt konnte er es offensichtlich kaum erwarten, endlich sein Erbe anzutreten.

„Ja, und ich soll unterdessen hier Wache halten. Scheint so, als hätte er das Kommando übernommen.“

Dazu hatte er kein Recht! In Bryces Abwesenheit hatte immer Kate das Reisebüro geleitet.

„Ist alles okay, Kate?“, erkundigte sich Deb besorgt.

Kate schüttelte den Kopf und zuckte zusammen, als ein scharfer Schmerz sie durchzuckte. Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab. „Na ja, ich lebe noch … irgendwie jedenfalls … aber vielleicht sollte ich da jetzt besser reingehen.“

Beruhig dich, befahl sie sich. Sei professionell, sachlich und bestimmt. Und lass keinen Zweifel an deinen Fähigkeiten aufkommen. Sie bewaffnete sich mit Notizblock und Stift.

Nachdem sie die Tür leise geöffnet hatte, trat sie ein. Die Belegschaft konzentrierte sich ganz auf den Mann im dunklen Anzug, der an der Stirnseite des Tischs eine Ansprache hielt. Seine Stimme klang tief und melodisch. Und befehlsgewohnt.

Innerlich bereitete Kate sich schon einmal darauf vor, ihre Kompetenz zu verteidigen.

Beim Sprechen wandte er ihr das Profil zu, doch als er sie hereinkommen hörte, unterbrach er sich und schaute sie direkt an. Sein Anblick traf Kate wie ein Fausthieb in den Magen. Der Blick aus topasfarbenen Augen nagelte sie fest. Möglich, dass er die Kiefer aufeinanderpresste – aber vielleicht auch nicht. Kate war schlicht zu verwirrt, um es zu entscheiden.

Heiliger Himmel, das darf doch nicht wahr sein! Ihr One-Night-Stand von Samstagabend war Damon Gillespie, Bryces Neffe? Sie bekam keine Luft mehr und wusste, dass das nicht mit ihrer Erkältung zusammenhing. Das war doch nicht möglich!

Vielleicht sah Damon Gillespie dem Fremden von Samstagabend auch einfach nur zum Verwechseln ähnlich. Genau betrachtet war es unmöglich, dass dieser ordentlich rasierte Mann in Maßanzug und Krawatte, der da vorn an der Stirnseite des Tischs stand, der abenteuerliche Fremde sein sollte, der sie nicht nur bis zur Besinnungslosigkeit geküsst, sondern sie auch – im Stehen an eine Wand gelehnt – geliebt hatte. Als sich jetzt alle zu ihr umdrehten, überschwemmte Kate eine Hitzewelle.

Reiß dich zusammen. Sie holte tief Atem und nickte ihm zu. Alle Kompetenzstreitigkeiten waren vergessen, sie wollte sich nur möglichst unauffällig auf den nächstbesten Stuhl sinken lassen und versuchen, ihre Fassung wiederzufinden.

Dummerweise gab es nur noch einen einzigen freien Stuhl, rechts neben Damon Gillespie. Mit puddingweichen Knien ging sie durch den Raum. Ganz ruhig, versuchte sie sich zu entspannen. Bestimmt erkannte er sie nicht.

Zu allem Überfluss wartete er auch noch, bis sie endlich saß, wodurch sich die allgemeine Aufmerksamkeit weiterhin auf sie richtete.

„Entschuldigen Sie …“ Sie flüsterte fast, wofür sie sich sofort verwünschte, schließlich müsste eigentlich er sich entschuldigen.

„Guten Morgen, Miss …“

Erleichtert sank sie auf ihren Stuhl. Notizblock und Stift glitten ihr aus den zitternden Fingern und landeten klappernd auf dem Tisch. Sein Aftershave wehte ihr in die Nase. Würzig und teuer.

Vertraut.

Sie legte ihre Hände fest gefaltet vor sich auf den Tisch und zwang sich, direkt in diese Augen zu schauen, die sie unter so bemerkenswerten Umständen kennengelernt hatte. Dabei sagte sie förmlich: „Kate Fielding.“

„Ah. Kate.“ Er nickte. Sein Blick hielt ihren nicht länger als ein oder zwei Sekunden fest, aber es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. „Ich bin Damon Gillespie. Ich habe gestern versucht Sie zu erreichen, leider vergebens. Hatten Sie einen netten Samstagabend?“ Sein Ton ließ den Verdacht aufkommen, dass er alles über ihren Samstagabend wusste. Oder bildete sie sich das nur ein?

Glücklicherweise erwartete er keine Antwort, da er im selben Atemzug mit seiner Ansprache fortfuhr. Er informierte die Angestellten, dass er mit jedem Mitglied der Belegschaft ein persönliches Gespräch führen wollte. Scheinbar ganz bei der Sache, begann Kate, sich Einzelheiten auf ihrem Notizblock zu notieren. Doch als sie bemerkte, wie ihre Finger zitterten, ließ sie es wieder sein.

Damon Gillespie zupfte an seinen blütenweißen Manschetten und legte die Hände mit den Handflächen nach unten vor sich auf dem Tisch. Er hatte schöne lange Finger. Kate schaffte es nicht, den Blick loszureißen. Dabei überschwemmte sie eine Flut von Erinnerungen. Diese Finger hatten sie an den intimsten Stellen gestreichelt …

Ihr Herz pochte hart und dumpf. Sie biss sich auf die Unterlippe. Warum verriet ihr Körper sie? Warum reagierte er so heftig auf einen Mann, mit dem sie nicht das Geringste verband, ja, den sie sogar ablehnte?

Als sie ihren Namen hörte, schrak sie zusammen. Ihr Kugelschreiber fiel klappernd zu Boden. Erst jetzt bemerkte sie, dass er sie erwartungsvoll ansah.

„Äh … Entschuldigung, wie bitte?“, stammelte sie verschämt.

Heiliger Himmel, dachte Damon verblüfft. Das war die Frau von Samstag, daran bestand kein Zweifel. Und sie war nicht weniger schockiert als er, seit sie wusste, wer ihr neuer Chef war.

Natürlich gab sie sich größte Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, wenn auch wenig erfolgreich. Vielleicht hoffte sie, dass er sie wegen ihres Kostüms nicht erkannt hatte. Dann allerdings hatte sie die Rechnung ohne den kleinen Schönheitsfleck unter ihrem linken Auge gemacht. Außerdem war der Schleier viel durchsichtiger gewesen, als sie wahrscheinlich glaubte.

Er bückte sich nach Kates Stift und legte ihn auf ihren Notizblock. Dabei fiel sein Blick auf ihr deprimierend praktisches, flaches Schuhwerk, obwohl selbst das der erotischen Ausstrahlung ihrer Knöchel keinen Abbruch tat. Ihre Blicke trafen sich, als sie sich mit einem verlegenen Murmeln bedankte.

„Ich wollte wissen, wer mir sagen kann, bei wem ich mich persönlich für Blumen, Spenden oder Ähnliches bedanken muss“, wiederholte Damon seine Frage.

In ihrer Stimme schwang wieder der auffallend spröde Unterton mit, als sie antwortete: „Ich habe die Unterlagen zuhause. Ebenso wie die Namensliste der Trauergäste.“

Der Vorwurf in ihrem letzten Satz war nicht zu überhören. Wahrscheinlich nahm sie es ihm übel, dass er nicht zur Trauerfeier gekommen war. Aber er war ihr keine Rechenschaft schuldig.

„Danke, Kate. Ich melde mich später bei Ihnen.“ Sie erwiderte sein Lächeln nicht, sondern schaute schnell weg.

Zum Abschluss ließ Damon den Blick über den Tisch schweifen und sagte, immer noch lächelnd: „Dann bleibt mir vorerst nicht mehr, als mich bei Ihnen zu bedanken. Und machen Sie sich keine Sorgen um Aussie Essential. Wenn wir alle mit anpacken, können wir es schaffen.“

Mit Gemurmel standen die Angestellten auf und verließen den Raum. Kate wollte ebenfalls gehen, aber er berührte ihre Hand und bat: „Schenken Sie mir noch einen Moment, Kate?“ Er ließ seine Hand kurz auf ihrer liegen und kostete es aus, die glatte Haut zu spüren, auch wenn ihre Finger sich extrem verspannten.

Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und beobachtete sie schweigend, bis sich der Raum geleert hatte. In ihren Augen lag keine Spur des dunklen Begehrens, das er vor weniger als achtundvierzig Stunden dort entdeckt hatte. Diese spröde Kate, die ihr pechschwarzes Haar mit einem straffen Knoten gebändigt hatte und die üppigen Brüste unter einer biederen, dunkelblauen Kostümjacke versteckte, hatte nichts, aber auch gar nichts mit der orientalischen Verführerin vom Samstag gemeinsam. Selbst der schlichte Name Kate beschwor ein völlig anderes Bild herauf als das exotische Shakira. Eine Frau mit zwei Gesichtern.

Die vielleicht auch zwei Leben führt, überlegte Damon, während er genüsslich beobachtete, wie sie versuchte, sich in den Griff zu bekommen. „Ich habe gehört, dass Sie und Bryce befreundet waren.“

„Ja.“ Sie zog ihre Hand unter seiner weg und legte sie fest in den Schoß, dann hob sie fast ruckartig den Kopf und erklärte mit einem kalten Glitzern in den Augen: „Er war ein fürsorglicher, großzügiger Chef. Und ein Gentleman.“

Ganz im Gegensatz zu ihm, wollte sie damit wahrscheinlich sagen. Na schön, zugegeben, am Samstagabend war er tatsächlich kein Gentleman gewesen. Aber Spaß gemacht hatte es trotzdem. Er spürte, wie ein Lächeln seine Mundwinkel leicht hob.

„Was ist so lustig?“, fragte sie verärgert, und bevor er auch nur Luft holen konnte, fuhr sie schon fort. „Lassen Sie mich raten: Ihnen ist die Firma in den Schoß gefallen.“

Ohne jeden Zweifel war sie wütend – und ganz wunderbar in ihrem Zorn.

Aber sie irrte sich. Er brauchte kein heruntergewirtschaftetes Reisebüro. Er hatte im Moment genug mit seiner eigenen Firma zu tun.

„Obwohl Sie sich nicht mal die Mühe gemacht haben, an Bryces Beerdigung teilzunehmen.“ Sie blinzelte und nieste. „Offensichtlich hat er Ihnen nichts bedeutet“, klagte sie und schnäuzte sich die Nase.

„Er war für mich so etwas wie ein älterer Bruder. Wir hatten ein gemeinsames Zuhause.“

„Und wie lange ist das her?“

Eine Ewigkeit. „Ich lebe in den Vereinigten Staaten, aber wir hatten regelmäßig Kontakt.“ Meistens wenn Bryce sich meldete, weil er wieder einmal Geld brauchte.

Die Erkältung hatte Kate offensichtlich schwer erwischt. Sie sah richtig elend aus. „Sie sind krank, ich finde, Sie sollten nach Hause gehen und sich hinlegen“, sagte er ruhig. „Ich melde mich dann später bei Ihnen.“

Aus geröteten Augen starrte sie ihn an. „Wie kommen Sie dazu, mir zu sagen, was ich tun soll? Ich war seit drei Jahren nicht mehr krank. Ich kenne mich hier am besten aus und kann meine Verantwortung nicht einfach an der Garderobe abgeben. Ich werde gebraucht.“

Offensichtlich eine sehr pflichtbewusste Lady. Die meisten Leute würden nicht zögern und einfach gehen. „Bitte, ganz wie Sie wollen. Aber niemand verübelt es Ihnen, wenn Sie es sich im Lauf des Tages doch noch anders überlegen.“

Beim Aufstehen sammelte sie ihr Notizblock ein. „Aber ich.“

„He“, sagte er leise. „Entspannen Sie sich. Falls Sie mich brauchen, ich bin in Bryces Apartment. Rufen Sie einfach an.“ Er nahm ihr den Notizblock aus der Hand und schrieb seine Handynummer unter ihre Notizen.

„Danke, aber das wird nicht nötig sein“, gab sie frostig zurück. „Ich komme zurecht.“

Er begegnete ihrem Blick. „Das bezweifle ich nicht. Nur für alle Fälle.“

Nachdem sie weg war, hörte Damon seine Mailbox ab und rief ein paar Leute an. Anschließend verschwand er unauffällig durch den Hinterausgang. Er schloss den luxuriösen BMW auf, den er geleast hatte, stieg ein und saß eine ganze Weile einfach nur so da und starrte vor sich hin. Im Radio sang Kylie Minogue.

„Du lieber Himmel, Bry, was hast du mir denn da jetzt wieder eingebrockt?“, brummte er und schaute auf die dunklen Wolkenbänke, die sich von Osten heraufschoben. Erst vor zwei Jahren hatte er Bry für seine Firma eine Finanzspritze im sechsstelligen Bereich geliehen. Du bekommst es ganz bestimmt zurück, hatte Bry damals beteuert. Was zum Teufel war mit dem Geld passiert?

Gestern, beim Blick in die Bücher, hatte er seinen Augen nicht getraut. Wenn er beschloss, Konkurs anzumelden, würden sechs Leute ihren Arbeitsplatz verlieren. Na und wenn schon? Wo gehobelt wird, fallen nun einmal Späne. Oder sollte er versuchen, das schwer angeschlagene Reisebüro zu retten?

Fragte sich nur, ob er Lust dazu hatte. Wollte er wirklich Zeit und Energie in etwas investieren, das in seinen Plänen nicht vorgesehen war? Und dann auch noch ausgerechnet hier? In Sydney?

In der Stadt, in der er bei seiner Großmutter ein zweites Zuhause gefunden hatte, nachdem er im zarten Alter von fünf Jahren von seinen Eltern erfahren musste, dass er seine Existenz eigentlich nur einem dummen Zufall verdankte. Das ließen sie ihn unentwegt spüren. Sie genossen ihr Leben in vollen Zügen und reisten kreuz und quer durch die USA, bis seine Großmutter Einspruch einlegte und darauf bestand, dass er bei ihr und dem jüngeren Bruder seines Vaters in einer stabilen Umgebung aufwuchs.

Seine Eltern setzten währenddessen ihr unstetes Leben fort, und irgendwann kehrten sie überhaupt nicht mehr von ihren ausgedehnten Reisen zurück. Zuletzt war Damon ihnen vor zehn Jahren bei der Beerdigung seiner Großmutter begegnet. Er wusste nicht, wo sie sich im Moment aufhielten, und es war ihm auch egal.

Bei diesem Gedanken fröstelte er, obwohl es warm war im Auto. „Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich früher gekommen, Bry.“

Was stimmte, obwohl sie sich nie wirklich nahegestanden hatten.

Und jetzt hatte er von Bry ein Reisebüro geerbt, das er nicht wollte. Gleichzeitig jedoch verspürte er die Verpflichtung, mit diesem Familienerbe angemessen umzugehen. Das und eine unerwünschte Sehnsucht nach einer Frau, die ihn allem Anschein nach vehement ablehnte.

Obwohl es am Samstag ganz anders ausgesehen hatte. Da hatte sie gar nicht genug von ihm kriegen können! Oder hing ihre ablehnende Haltung vielleicht damit zusammen, dass er unmittelbar nach dem Sex einen Anruf entgegengenommen hatte statt ihr süße Liebesschwüre ins Ohr zu flüstern?

Nein, wohl eher nicht. Ihre unverhüllte Feindseligkeit schien etwas mit der Arbeitssituation zu tun zu haben. Er kam von außen und maßte sich eine Autorität an, die ihm ihrer Meinung nach nicht zustand. Womit sie zugegebenermaßen ja auch nicht ganz unrecht hatte. Da sie die Mitarbeiterin mit der längsten Erfahrung war, brauchte er ihre Unterstützung, falls er Aussie Essential behalten wollte. Irgendwie musste er Kate, die Angestellte, für sich gewinnen.

Vielleicht standen die Chancen besser, wenn er das außerhalb des Büros versuchte. Er musste ihr ein Friedensangebot unterbreiten. Essen war eine gute Idee. Ob sie Pizza mochte?

Von ihrem Büroschreibtisch aus sah Kate die Tür, und sie atmete erleichtert auf, als Damon Gillespies breite Schultern im Türrahmen des Hintereingangs auftauchten und verschwanden. Konnte es noch schlimmer kommen? Sie schloss die Augen. Ja. Wenn er erkannte, wen er da vor sich hatte.

Bryces Neffe.

Und womöglich ihr zukünftiger Chef. Ein Mann, den sie durchaus zu Recht verabscheute. Ein egozentrischer Abenteurer, der drauf und dran war, ihr den Preis für sieben lange Jahre Knochenarbeit zu entreißen.

Warum schmolz sie dann bei seinem Anblick trotzdem auf der Stelle dahin? Warum konnte sie nicht einfach vergessen, was am Samstag passiert war? Der Mann, der heute hier das Kommando übernommen hatte, war nicht der fantastische Liebhaber von Samstagnacht. Sie musste strikt trennen zwischen ihrem Arbeits- und ihren Privatleben, auch wenn sich beides gerade hoffnungslos verhedderte.

Von Damon Gillespie konnte man halten, was man wollte, auf den Kopf gefallen war er bestimmt nicht. Wie lange mochte es wohl noch dauern, bis ihm dämmerte, wer da vor ihm stand?

3. KAPITEL

Gerade als Kate beschlossen hatte, sich zum Abendessen in der Mikrowelle den Rest Hühnersuppe vom Vortag aufzuwärmen, klingelte ihr Telefon.

„Kate.“

„Ja …“ Mehr bekam sie nicht heraus, weil ihr beim Klang seiner Stimme das Herz in den Hals sprang. Es war, als ob er direkt neben ihr stünde. Sie glaubte fast, seinen heißen Atem auf ihrer Haut zu spüren. Was wollte er nur? Stimmt … die Teilnehmerliste von der Beerdigung. Er hatte seinen Anruf ja angekündigt.

„Was macht die Erkältung?“

„Es geht mir schon besser.“ Nachdem sie ein Grippemittel genommen und zwei Stunden geschlafen hatte, fühlte sie sich tatsächlich wohler. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr und bemerkte vorwurfsvoll: „Aber es ist halb neun, Mr. Gillespie. Ich habe längst Feierabend.“

„Ja, tut mir leid, eigentlich wollte ich mich schon früher melden. Ich hoffe, Sie sind hungrig.“

Ihr Magen knurrte. Was sollte die Frage? Sie schaute an sich herunter, auf die ausgeleierte schwarze Jogginghose, die sie unter dem orangefarbenen Nachthemd trug, und die alten rosa Plüschlatschen, die sie schon letzten Winter hatte ausrangieren wollen. „Nein, überhaupt nicht. Ich vermute, Sie rufen wegen der Beerdigungsgäste an“, fuhr sie hastig fort. „Ich bringe die Liste morgen mit ins B…“

„Sie müssen anständig essen, Kate. Haben Sie denn etwas zu Mittag gegessen?“

„Nein, ich …“ Es klopfte an ihrer Wohnungstür. Kate atmete auf. Gerettet. „Verzeihung, aber ich muss Schluss machen, ich bekomme Besuch. Ich melde mich später noch einmal.“ Dann würde es hoffentlich zu spät sein, um ihn noch zurückzurufen …

Sie legte auf und ging eilig durchs Wohnzimmer zur Tür. „Oh …“

Vor ihr stand Damon Gillespie – immer noch mit dem Handy am Ohr. Heute Abend trug er wieder Khakihosen und diesmal ein weißes T-Shirt. In seiner freien Hand balancierte er einen Pizzakarton und eine kleine Tüte. Ohne sie aus den Augen zu lassen, schaltete er sein Telefon aus und verstaute es in seiner Hosentasche. „Hallo.“

Als er auf ihre Hausschuhe sah, krümmte sie vor Verlegenheit die Zehen. Und unter dem orangefarbenen Nachthemd trug sie keinen BH. Dieselben Brüste, die er so geschickt gestreichelt hatte, reckten sich ihm entgegen. „Ich habe niemanden erwartet“, murmelte sie.

Seine Augen funkelten belustigt. „Das klang aber eben nicht so.“

„Na ja … ich dachte, es wäre meine Schwester …“ Dabei wusste sie, dass er sie durchschaute. „Kommen Sie rein.“ Sie wandte sich ab und ging in die Küche. „Aber essen kann ich wirklich nichts.“

„Auch keine Gourmetpizza von Dominic Amigo?“

Überrascht hob sie die Augenbrauen. „Ich dachte, Sie sind eben erst in der Stadt angekommen.“

„Das war ein Tipp von Sandy. Sie sagte, Sie seien irgendwann mit einem Kunden dort gewesen.“

„Erinnern Sie mich morgen daran, dass ich mich ganz herzlich bei ihr bedanke“, murmelte sie, während sie Teller aus dem Schrank nahm und nach einem Steakwender Ausschau hielt. Obwohl sie versuchte, die köstlich duftende Pizza zu ignorieren, weigerte sich ihr Magen zu kooperieren. Er knurrte und gurgelte laut.

„Hm, gar nicht hungrig, was?“ Lächelnd stellte Damon die Schachtel auf dem kleinen Tisch ab und zog sich einen Stuhl heraus.

Dieses Lächeln hatte sie seit Samstagabend nicht mehr gesehen. Und da war sie so hingerissen gewesen, dass sie nicht mehr gewusst hatte, was sie tat.

Sie riss ihren Blick von ihm los und musterte die Tüte, die er ebenfalls mitgebracht hatte. „Und was ist da drin?“

„Frischer Ingwer und zwei ätherische Öle – Pfefferminz- und Teebaumöl. Grandmas Hausmittel, wenn Bry und ich erkältet waren. Ich habe die Gebrauchsanweisung notiert, sie liegt bei.“

Er hatte ihr ein altes Hausrezept von seiner Großmutter mitgebracht? Wärme breitete sich in ihrer Brust aus und brachte das Eis in ihr zum Schmelzen. Oder hatte sie etwas falsch verstanden? Kate wusste nicht, was sie sagen sollte, bis sie schließlich stotterte: „Das … das ist wirklich nett. Danke.“

„Gern geschehen, nichts zu danken.“

Sofort packte sie alles aus, samt der handgeschriebenen Gebrauchsanweisung. Kühne, gleichmäßige Schriftzüge. „Sie wenden es immer noch an?“

„Ich bin nie erkältet. Überhaupt fehlt mir nie etwas.“

Das sah man ihm an, er strotzte förmlich vor Gesundheit. Sie riss sich von dem beunruhigenden Anblick los. Als sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden, steckte sie schnell den Kopf in den Kühlschrank, um nach etwas Trinkbarem für ihn zu suchen.

„Ah, zwei Teller“, sagte er. „Heißt das, dass Sie mir doch Gesellschaft leisten?“

„Na ja … vielleicht werde ich schwach.“

„Sie werden begeistert sein.“

Sie holte eine Flasche aus dem Kühlschrank und hielt sie hoch. „Ist Mineralwasser okay?“

„Absolut.“

„Gut. Wir können beim Essen reden.“ So schlug sie zwei Fliegen mit einer Klappe und war ihn schneller wieder los. Nachdem sie zwei Gläser auf den Tisch gestellt und gefüllt hatte, setzte sie sich ihm gegenüber.

„Reden ist gut, aber nicht über die Firma.“ Er hob den Deckel und schnupperte. „Dafür ist nach dem Essen auch noch Zeit.“ Er legte ihr ein Stück Pizza auf den Teller. „Hier, für Sie.“

Nachdem sie ihren Widerstand aufgegeben hatte, stellte Kate überrascht fest, dass sie richtig hungrig war. Sobald sie etwas im Magen hatte, fühlte sie sich viel besser. „Das mit Bryce war bestimmt ein Schock für Sie“, bemerkte sie nach einer Weile.

„Ja, wer rechnet schon damit, dass ein gesunder Mann im besten Alter einfach tot umfällt?“ Er nahm sich noch ein Stück Pizza. „Natürlich ist es ein Schlag, wenn man den einzigen Verwandten verliert.“

Das war für Kate unvorstellbar. Ihre Familie bedeutete ihr alles. „Ihre Eltern …?“

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, er presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, und das Licht in seinen goldenen Augen erlosch. „Ich weiß nicht einmal, ob sie noch am Leben sind. Ich habe seit Jahren nichts von ihnen gehört.“

Die Bitterkeit in seinen Worten machte Kate verlegen. Sie war so mit ihren eigenen Problemen beschäftigt gewesen, dass sie keinen Gedanken an ihn verschwendet hatte. „Es tut …“

„Sagen Sie nichts.“ Verärgert über sich selbst unterbrach Damon sie mit einer Handbewegung. Was zum Teufel tat er nur? Wie kam er dazu, sich vor Kate Fielding verletzlich zu zeigen? Wo er doch sonst solche Anstrengungen unternahm, diesen Teil von sich unter allen Umständen zu verbergen? War es denn damals nicht schlimm genug gewesen, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf aus Wut und Selbstmitleid herauszuziehen?

Um sich abzulenken, konzentrierte er sich auf seine Pizza. Sie schmeckte besser als alles, was er je gegessen hatte. „Gar nicht übel, was?“, fragte er und deutete auf seinen Teller.

Nachdem Kate genüsslich gekaut und geschluckt hatte, fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die glänzenden Lippen. „Ja, sie schmeckt wirklich gut“, stimmte sie zu.

In seinen Lenden regte sich Verlangen. Heute Abend wirkte sie ganz anders. Viel zugänglicher als die spröde Karrierefrau, als die sie sich ihm heute Morgen präsentiert hatte. Obwohl sie ihn unglaublicherweise selbst da angetörnt hatte. Plötzlich sah er vor seinem geistigen Auge, wie er sie auf den großen Schreibtisch legte und ihr diese unmögliche Kostümjacke auszog. Er knöpfte ihre Bluse auf, schob den BH nach unten … Teufel! Seine Erregung wuchs und wuchs.

Und dann war da auf einmal Shakira – geheimnisvoll verschleiert und atemberaubend sexy mit einem tiefen Dekolletee und glatter nackter Haut. Der faszinierende rubinrote Stein, der in ihrem Bauchnabel glitzerte. Er konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob sie ihn immer noch trug und es vielleicht ein Piercing war.

Und jetzt dieser Aufzug hier. Privat, sehr privat. Aber nicht weniger aufreizend. Zum ersten Mal sah er sie mit offenen Haaren. Sie fielen ihr lang über Schultern und Rücken wie ein glänzender schwarzer Wasserfall. Da sie über der Jogginghose ein Nachthemd trug, war sie offensichtlich bereits bettfertig.

Denk nicht daran, warnte er sich selbst, während er an sie zwischen zerwühlten Laken dachte. Vorn auf ihrem Nachthemd stand in Glitzerbuchstaben Diamonds Are A Girl’s Best Friend.

„Ist das auch Ihr Motto?“ Er deutete mit seinem Stück Pizza auf ihre Brust.

Sie hörte auf zu kauen, und er sah, dass sich unter dem dünnen Stoff ihre Brustknospen abzeichneten. „Was?“

„Na, das da.“

Sie schaute verständnislos an sich herunter, dann hellte sich ihr Gesicht auf. „Ach das! Du meine Güte, das ist einfach nur so ein Spruch.“ Nachdem sie Atem geholt hatte, fügte sie hinzu: „Aber falls ich irgendwann dem Mann begegnen sollte, der ihn ad absurdum führt, sage ich Ihnen gern Bescheid. Wo genau leben Sie noch einmal?“

„Immer da, wo ich gerade arbeite.“ Oder wo er sich seine Kicks holte.

„Und was machen Sie beruflich?“

Ausweichend hob er die Schultern. „Dies und das.“

Ihre unübersehbare Missbilligung verschaffte ihm eine gewisse Genugtuung. Er hob sein Glas und trank langsam einen großen Schluck. Damon war ein Entwurzelter. Aber das gehörte ebenfalls zu den Dingen, die er für sich behielt.

„Soso, dies und das. Und dazu wollen Sie jetzt auch noch ein Reisebüro übernehmen.“ Sie spitzte die Lippen und nahm sich noch ein Stück Pizza. Verdammt, er wollte diese Lippen wieder küssen. Er wollte sie wieder, alles von ihr – sogar in diesen ausgeleierten Jogginghosen und dem Nachthemd. Oder ohne alles. Und nach seinem Eindruck schien das Interesse ganz und gar nicht einseitig zu sein.

Trotzdem hat sie etwas gegen mich, dachte er, während sie beide weiter aßen.

Offenbar gehörte Kate zu den Frauen, die ganz wild darauf waren, Verantwortung zu übernehmen. Eine Frau, die nur für ihre Arbeit lebte. Vielleicht hatte sie aus Prinzip nur flüchtige sexuelle Abenteuer. Welche Frau trug schon ständig ein Kondom mit sich herum?

„Kochen Sie gern?“, erkundigte er sich, einfach um irgendetwas zu sagen.

„Kommt drauf an. Wenn ich Gäste habe, probiere ich ganz gern etwas Neues aus. Aber jeden Tag kochen zu müssen, finde ich schrecklich.“

Ah, jetzt taute sie ein bisschen auf. Er lehnte sich zurück. „Müssen Sie in Ihrem Job eigentlich viel reisen?“

„In der Regel fahre ich einmal im Jahr nach Übersee, um mich in den verschiedenen Urlaubsgegenden umzusehen. Aber Bryce hatte mir versprochen, dass ich dieses Jahr mal etwas Aufregenderes machen dürfte.“

„Na, das wird dann auch Zeit. Was halten Sie von Trekking in Nepal?“ Nachdem der letzte Bissen in seinem Mund verschwunden war, streckte er die Hand nach einer Serviette aus.

„Um Himmels Willen.“ Ihr entschlüpfte fast so etwas wie ein leises Auflachen. „So aufregend nun auch wieder nicht. Da ziehe ich einen Urlaub in einem Fünf-Sterne-Hotel schon vor.“

„Dann vielleicht eine Tour durch die heißesten Nachtclubs Europas?“

„Nachtclubs sind eigentlich nicht so mein Ding.“ Sie stellte die Teller zusammen. „Ich bin eher ein Familienmensch. Ich verbringe meine Abende meistens zu Hause oder bei meiner Schwester. In der Regel jedenfalls.“

Bei ihrem letzten Satz hatte sich ihr Tonfall leicht verändert.

„Aber manchmal erlauben selbst Sie es sich, ein bisschen über die Stränge zu schlagen?“

Jetzt leuchtete in ihren Augen fast so etwas wie Panik auf. „Ja, macht das nicht jeder?“ Prompt sprach sie wieder mit diesem frostigen Unterton. Sie stand abrupt auf und stellte mit ruckartigen Bewegungen die Teller in die Spüle und den Pizzakarton neben den Mülleimer.

„So, gegessen haben wir.“ Sie warf ihm einen Blick zu. „Fangen wir an?“

Ihm schoss alles Mögliche durch den Kopf, womit sie anfangen könnten. Zuerst einmal würde er ihr Nachthemd hochheben und ein für alle Mal klären, was es mit diesem rubinroten Schmuckstein in ihrem Nabel auf sich hatte. Und dann würde er seine Finger in ihrem seidenweichen Haar vergraben und diese ungeschminkten, verführerischen Lippen …

„Hier ist die Liste.“ Ihre schroffe Stimme unterbrach seinen Gedankenfluss. Gleichzeitig warf sie eine Art Heft auf den Tisch und breitete einige beschriftete Notizzettel vor sich aus. „Das sind die Leute, bei denen Sie sich vielleicht bedanken möchten … fast alles Geschäftspartner.“

Verdammt! Er musste es einfach wissen. „Sie sagen, dass Sie mit Bry befreundet waren, Kate. Was bedeutet das?“

Sie schaute auf und begegnete seinem Blick. „Na ja, befreundet ist vielleicht übertrieben. Wir sind jeden Freitag zusammen essen gegangen, um in einer entspannten Umgebung die Geschäftswoche Revue passieren zu lassen. Das war alles rein beruflich.“

Seltsam erleichtert nickte er. „Lassen Sie mich raten … gleiche Uhrzeit, gleicher Ort?“

Sie lachte leise. „Ja.“

Typisch Bryce, dachte Damon, höchst berechenbar.

Es dauerte über eine Stunde, bis sie mit allem durch waren. Damons Augen – wie flüssiger Bernstein – ließen Kate den ganzen Abend über nicht los. Was die Befürchtung in ihr weckte, dass er sie vielleicht doch wiedererkannt hatte. Denn an ihrem sexy Outfit lag es bestimmt nicht, dass er sie dauernd anstarrte. Aber fragen konnte sie schlecht.

Am Ende legte sie ihre Notizen zu einem ordentlichen Stapel zusammen und verkündete: „So, das hätten wir.“

„Danke.“

Als er seine Hand auf ihre legte, war es, als ob sie einen Stromschlag bekäme. Unmittelbar darauf fuhr er mit dem Daumen über die Innenseite ihres Handgelenks. Ihr Puls begann zu rasen.

Sie zwang sich, ihm in die Augen zu schauen. „Ich hoffe es hilft.“ Ihr Nacken kribbelte. „Die Informationen, meine ich.“

„Ich weiß, was Sie meinen.“ Mit einem Lächeln hielt er immer noch ihre Hand.

Sie bewegte sich nicht. Seit Samstagabend hatte er sie nicht berührt – nicht absichtlich jedenfalls –, bis auf heute Morgen, als er seine Hand auf ihren Arm gelegt hatte. Er erwiderte ihren Blick, und einen Moment befürchtete sie, er könnte sich erinnern. Aber dann zog er die Hand auch schon wieder weg.

„Ich lasse Sie jetzt besser allein, damit Sie schlafen können“, sagte er, während er aufstand. „Und vergessen Sie die ätherischen Öle nicht.“

„Nein, bestimmt nicht. Nochmals vielen Dank.“

An der Küchentür drehte er sich noch einmal um. „Morgen komme ich übrigens erst später ins Büro, ich habe einen Termin beim Notar.“

„Ich bin sicher, dass wir es auch ohne Sie schaffen.“

Da lachte er. „Ich auch. Kate … Sie machen gute Arbeit, danke.“

Das war die Gelegenheit. „Bryce wollte mich zu seiner Stellvertreterin machen … ab nächstem Monat.“

„Hatte er vor, für längere Zeit zu verreisen?“

„Ich weiß nicht genau. Er sagte nur, dass er beabsichtige, eine Auszeit zu nehmen.“

Damon runzelte die Stirn. „Wir müssen einige Entscheidungen treffen. Dazu brauche ich Ihre Kenntnisse und Ihre Erfahrung.“

Was sollte denn das nun wieder heißen? Sie nickte widerstrebend.

„Gute Nacht, Kate.“ Aber er blieb stehen.

Sein Aftershave hüllte sie ein. Oh, Gott, er wollte sie doch nicht etwa küssen? Erst als seine bronzefarbenen Augen im Licht, das vom Flur hereinfiel, aufblitzten, merkte sie, dass sie unbewusst einen Schritt zurückgewichen war. „Was ist?“

„Nichts.“

Heute war er vom Scheitel bis zur Sohle ein Gentleman, ganz anders als der rücksichtslose Abenteurer von Samstagabend. Es war nicht ganz einfach, diese beiden Persönlichkeiten in Übereinstimmung zu bringen. Wie auch, wenn sie dauernd an nichts anderes als an Sex dachte?

Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. „Gute Nacht.“

Aufatmend schloss sie die Tür hinter ihm und lehnte sich dagegen. Wenig später hörte sie eine Autotür ins Schloss fallen, dann sprang ein Motor an.

Kate lauschte, bis das Motorengeräusch verklungen war. Erst dann stieß sie den Seufzer aus, den sie schon seit einer ganzen Weile zurückgehalten hatte. Er war richtig nett gewesen heute Abend, ganz anders als am Vormittag im Büro, wo er ständig versucht hatte, alles an sich zu reißen. Er hatte ihr nicht nur eine Pizza mitgebracht, sondern auch ein altes Hausmittel von seiner Großmutter. Welcher Mann tat so etwas für eine Frau, die er kaum kannte? Machten das Männer, die auf anonymem Sex standen?

Männer konnten gewisse Dinge in ihrem Leben eben fein säuberlich trennen. Ihr Ex bot dafür den besten Beweis. Nie wieder würde sie einem Mann über den Weg trauen. Ihrer eigenen Menschenkenntnis allerdings auch nicht. Fehler machte jeder, aber denselben Fehler zweimal zu machen, wäre mehr als töricht.

4. KAPITEL

Am Dienstag fuhr Kate extra früh ins Büro, nur falls Damon es sich anders überlegt hatte und doch unerwartet auftauchte. Sonst fand er sie für eine Stellvertreterposition womöglich ungeeignet.

Gestern Abend hatte sie die ätherischen Öle benutzt und sich ein heißes Schaumbad gegönnt. Anschließend hatte sie sich erstaunlich gut gefühlt, fast wie neugeboren. Diese Besserung ihres Gesundheitszustands verdankte sie eindeutig ihm.

Was jedoch nicht hieß, dass sie ihn darum jetzt ausschließlich in einem positiven Licht sah. Heute war sie wieder die ehrgeizige Karrierefrau. Arbeit und Freizeit waren eben nicht dasselbe. Sag es noch einmal: Arbeit und Freizeit sind nicht …

„Und? Wie ist er?“ Sandys Stimme störte sie bei der Wiederholung des Mantras.

Kate schaute von ihrem Computer auf. Als sie das verträumte Gesicht der Kollegin sah, wusste sie sofort Bescheid. Trotzdem fragte sie: „Wer?“

„Na, unser neuer Chef. Damon.“

Die Art, wie Sandy seinen Namen aussprach – nein, hauchte –, ärgerte Kate. Als ihr das bewusst wurde, ärgerte sie sich noch mehr, und zwar über ihre eigene Humorlosigkeit.

„Genau genommen ist er noch nicht unser Chef, Sandy.“ Während sie ungerührt weiter tippte, bemerkte sie, dass ihr Körper unter der blütenweißen gestärkten Bluse glühte. „Bis jetzt hat er noch nichts entschieden.“

„Aber einiges hat er schon verändert.“

Jetzt hörte Kate auf zu tippen und musterte Sandy überrascht. „So, was denn?“

„Na, zum Beispiel die neue Kaffeemaschine! Hast du sie noch gar nicht bemerkt?“

Eine Kaffeemaschine? Wann war die denn geliefert worden? Und wo nahm er das Geld dafür her? „Ich bin noch nicht dazu gekommen, mir einen Kaffee zu machen. Ich muss vorher unbedingt diese Gruppenreise buchen, und die blöde Fluglinie schickt mich von Pontius zu Pilatus. Außerdem brauchen wir keine neue Kaffeemaschine“, brummte sie mürrisch.

„He, was ist los mit dir, Kate? Warum schimpfst du nur über ihn? Ist doch voll cool, der Typ.“

„So cool nun auch wieder nicht, aber was soll’s. Du hast mir übrigens gar nicht erzählt, dass er gestern Nachmittag hier angerufen hat und mich sprechen wollte.“

„Oh, sorry, hab ich total vergessen. Entschuldige.“

„Du hast behauptet, ich wäre bei einem Kunden. Dabei habe ich zu Hause gearbeitet, um niemanden mit meiner Erkältung anzustecken.“

Sandy zuckte die Schultern und verkniff sich ein Lächeln. „Da muss ich wohl irgendwas falsch verstanden haben. Tut mir leid.“ Sie sprang auf. „Aber warte, ich mache es wieder gut. Gleich bekommst du den besten Kaffee der Welt. Man kann sogar Cappuccino …“

„Nein!“, fiel Kate ihr ins Wort, um gleich darauf freundlicher hinzuzufügen: „Danke, Sandy. Ich mache mir später selbst einen.“

Eine Kaffeemaschine! Sie schnaubte verärgert, während sie zum hundertsten Mal die Nummer der Fluglinie wählte und prompt wieder in der Warteschleife landete. Das machte er doch nur, um sich bei der Belegschaft einzuschmeicheln.

Direkt nachdem sie die Gruppenreise endlich gebucht hatte, klingelte ihr Telefon. „Guten Morgen, Aussie Essential Reisen, Kate Fielding. Was kann ich für Sie tun?“

„Ihnen auch einen guten Morgen, Kate. Sie klingen heute schon viel besser.“

Natürlich hatte er es nicht nötig, sich mit seinem Namen zu melden! Als würde jeder seine Stimme auf Anhieb erkennen. Am liebsten hätte sie sich dumm gestellt, aber das würde er ihr wahrscheinlich nicht abnehmen.

„Damon.“ Ihre eigene, professionelle Stimme rutschte unversehens eine Oktave tiefer, ihr Pulsschlag beschleunigte sich. Besorgt warf sie Sandy einen kurzen Blick zu, die aber zum Glück nichts bemerkt hatte, weil sie ebenfalls telefonierte. „Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

Eine vielsagende Pause, ein Knacken in der Leitung.

„Ich bräuchte Sie heute Nachmittag“, sagte er endlich. „Sind Sie um drei verfügbar?“

„Ist … ist das ein Arbeitsauftrag?“

„Selbstverständlich.“

Kate räusperte sich. „Schön, dann also um drei.“

„Wir werden ein Stück zu Fuß gehen“, kündigte Damon an, als Kate auf dem Beifahrersitz seines silbernen BMWs Platz genommen hatte. „Ich hoffe, Sie tragen bequeme Schuhe.“

„Das wissen Sie doch“, lautete die knappe Antwort. Vor dem Einsteigen hatte er einen langen Blick auf ihre Schuhe geworfen. Eine angeborene leichte Fehlstellung ihrer Hüften machte es ihr unmöglich, schmerzfrei hohe Absätze zu tragen. Obwohl sie es gern getan hätte. Eilig wechselte sie das Thema. „Ganz schöner Nobelschlitten, den Sie da fahren. Ist das ein Mietwagen?“ Oder hatte er bereits einen Teil seiner Erbschaft verjubelt?

„Ich habe ihn geleast. So wie es aussieht, muss ich wohl eine Weile bleiben.“

Das stimmte. Genau wie es leider stimmte, dass von seinen Entscheidungen Kates Karrieresprung, auf den sie so hartnäckig hingearbeitet hatte, abhing.

Damon parkte neben einem Spielplatz in der Nähe eines Reiseveranstalters, zwei Häuserblocks von Aussie Essential entfernt.

„Ich möchte, dass wir uns ein Bild von der Konkurrenz machen“, erklärte er. „Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir wissen, wie unsere Mitbewerber ticken.“

„Darauf hat Bryce immer sehr geachtet. Außerdem müssen wir uns dafür nur die Websites der verschiedenen Reiseveranstalter anzusehen.“

„Direkt vor Ort bekommt man einen besseren Eindruck. Weil man das gesamte Umfeld sieht.“

„Na schön, aber dafür brauchen Sie mich doch nicht“, brummte sie. „Das können Sie auch allein.“

Er lächelte. „Aber allein macht es nicht halb so viel Spaß.“

Sie wandte sich ab, um dem provozierenden Glitzern in seinen Augen auszuweichen. Dabei bemühte sie sich, darüber hinwegzusehen, dass ihr Körper schon wieder auf seine Nähe reagierte. „Man wird uns wegen Herumlungerns anzeigen.“

Aber hoffentlich nicht wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, weil sie ihre gesamte Willenskraft aufbieten musste, um nicht näher an ihn zu rutschen und die Geschmeidigkeit seiner Lederjacke zu überprüfen. Zu überprüfen, wie hart und heiß sich der Brustkorb darunter anfühlte …

„Verraten Sie mir was Sie gerade denken, Kate?“

Das würde dir so passen! „Ich denke, dass ich von hier aus nicht mal das Firmenschild lesen kann.“

„Dafür gibt es Ferngläser.“ Er öffnete das Handschuhfach.

„Die Windschutzscheibe ist völlig beschlagen, außerdem wird man uns gleich wegen Stalking anzeigen. Es reicht.“ Sie wandte sich zu ihm, mehr als ärgerlich über sich selbst, weil sie sich auf diesen absurden Ausflug eingelassen hatte. Und wütend auf Damon, weil er sie für so blöd hielt. „Was zum Teufel soll das? Wollen Sie mich für dumm verkaufen?“

Das belustigte Glitzern verschwand aus seinen Augen, deren Farbe jetzt an dunklen Honig erinnerte. „Na schön. Ich wollte mit Ihnen reden, und zwar allein.“

„Sie haben mich unter falschen Voraussetzungen hierhergelockt“, keuchte sie überrascht und presste wütend die Lippen zusammen. „Ihnen geht es gar nicht darum herauszufinden, was die Konkurrenz macht. Sie wollen nur …“

„Ich will Ihre ehrliche Meinung über Aussie Essential hören, ohne dass irgendwer etwas mitbekommt.“

Oh. Dann hatte sie sich also geirrt. Gut so. Zumindest redete sie sich ein, dass es gut war. Während Kate sich eine Antwort auf seine Frage überlegte, atmete sie langsam aus. „Oberflächlich gesehen scheint alles in Ordnung zu sein“, begann sie etwas zögernd. „Aber … Bryce hat sich geweigert, die Buchhaltung aus der Hand zu geben. Nach seinem Tod habe ich mir die Bücher angesehen und … na ja … bis jetzt konnte ich mir noch keinen richtigen Reim darauf machen. Ich verstehe nicht wirklich etwas von Buchhaltung, aber ich fürchte, wir müssen jemanden einstellen, der sich genau damit befasst.“

„Ja, und zwar so schnell wie möglich“, brummte Damon. Er hatte sich gestern nur flüchtig die Zahlen vom letzten Monat angesehen und festgestellt, dass sie nicht mit den Kontoauszügen übereinstimmten. „Ich will ganz offen zu Ihnen sein, Kate. Es sieht nicht besonders gut aus für Aussie Essential, und es wird viel Arbeit kosten, die Firma wieder auf Vordermann zu bringen.“

„Und das können Sie wirklich beurteilen?“

„Überrascht?“

„Ehrlich gesagt, ja.“

„Sie scheinen keine besonders hohe Meinung von mir zu haben.“

Weil sie spürte, wie sie errötete, sah Kate stur geradeaus. „Ich kenne Sie bei weitem nicht gut genug, um mir eine Meinung bilden zu können.“

Doch er legte eine Hand unter ihr Kinn und drehte ihren Kopf so, dass sie gezwungen war, ihn anzusehen. „Versuchen Sie es doch einmal, Kate. Sagen Sie einfach ganz offen, wie Sie mich einschätzen. Ich verspreche auch, es Ihnen nicht übel zu nehmen.“

War das eine Art Test? Kate überlegte einen Moment, bevor sie antwortete. „Sie sind ein ruheloser Mensch, würde ich vermuten. Wenn sich eine günstige Gelegenheit ergibt, greifen Sie zu, aber das passiert eher zufällig.“

Aha. Vor seinem geistigen Auge blitzte Kate in ihrem Bauchtänzerinnenkostüm auf.

„Und sobald Sie eine Sache langweilt, machen Sie, dass Sie weiterkommen.“

Noch immer hielt er ihr Kinn fest, aber jetzt lockerte sich sein Griff, während er gegen eine Dunkelheit ankämpfte, die ihn seit vielen Jahren immer wieder zu verschlingen drohte. „So kann man es auch ausdrücken.“

„Und warum sollte es diesmal anders sein?“

„Es geht hier um die Firma meines Onkels. Indem ich das Erbe angenommen habe, bin ich eine Verpflichtung eingegangen, der ich so gut wie möglich nachkommen werde.“ Er schaute sie wieder an. „Was haben Sie gegen mich?“

Darauf erwiderte sie nichts, und er drängte sie auch nicht. Trotzdem konnte er es sich nicht erklären. Und doch hatten sie Sex miteinander gehabt. Leidenschaftlichen, heißen Sex. Den heißesten Sex aller Zeiten.

Das wusste sie. Sie wusste ganz genau, wer er war. Sie wusste nur nicht, dass auch er wusste, wer sie war. Zeit, die Karten offen auf den Tisch zu legen.

Die in der Luft liegende Spannung war plötzlich mit Händen zu greifen. Dass das Gespräch eine unerwartete Richtung genommen hatte, lag einzig und allein an ihm. Er stieß die Autotür auf. „Gehen wir ein paar Schritte.“

„Aber es regnet.“ Sie nagte an ihrer Unterlippe.

Mit Mühe riss er den Blick von ihrem verführerischen Mund los. „Das sind doch nur noch ein paar Tropfen. Kommen Sie, leben Sie ein bisschen.“

Der Kinderspielplatz war menschenleer, die Regentropfen in den Bäumen glitzerten wie Diamanten im weichen Sonnenlicht. Damon streifte mit der flachen Hand das Regenwasser vom Sitz einer Schaukel ab, setzte sich und stieß sich ab.

Derweil blieb Kate auf dem Rasen stehen, mit akkurat zugeknöpfter Kostümjacke, das Haar straff zurückgekämmt, und schaute missbilligend. Sie wirkte so deplatziert, dass er lachen musste. „Na los, Miss Fielding, da ist noch eine Schaukel.“

Sie sah auf ihre Uhr. „Wir verschwenden unsere Zeit.“

„Ist es Zeitverschwendung, wenn man etwas tut, was einfach nur Spaß macht?“

„Seien Sie nicht albern. Vielleicht macht Ihnen so etwas Spaß, aber mir nicht.“

„Weil Sie es nicht zulassen.“

Daraufhin musterte sie zuerst ihr Kostüm, dann die Schaukel, und schließlich schüttelte sie den Kopf. „Der Sitz ist nass.“

„Das haben wir gleich.“ Er stand auf, zog die Lederjacke aus und legte sie über die Sitzfläche der Schaukel. Als Kate sich immer noch nicht vom Fleck rührte, schlenderte er zu ihr. „Seien Sie doch wenigstens ein einziges Mal albern.“ Er nahm ihre glatte kühle Hand und suchte ihren Blick. „Sie wissen ganz genau, dass Sie es wollen.“

Schließlich gab sie nach und ließ sich von ihm zur Schaukel ziehen, wo sie sich auf seine Lederjacke setzte. Als sie sich mit den Schuhspitzen vom Boden abstieß, erhellte ein kleines Lächeln ihre Mundwinkel. „Das habe ich nicht mehr gemacht, seit ich zwölf war.“

Auch Damon setzte sich wieder und schaukelte. Eine Weile bewegten sie sich auf den zwei Schaukeln in perfekter Harmonie, jeder versunken in seine eigenen Kindheitserinnerungen.

„Sie fürchten um Ihren Arbeitsplatz“, sagte er endlich. „Das brauchen Sie nicht.“

„Sie haben gut reden. Ihr Einkommen steht ja auch nicht zur Disposition. Wenn es stimmt, was Sie sagen, wird es Probleme geben. Und damit meine ich nicht nur für mich. Wir sind zu sechst.“

„Ich gelobe, alles in meinen Kräften Stehende zu tun, um Ihre Arbeitsplätze zu erhalten.“

„Ich werde Sie beim Wort nehmen.“ Mit einem Blick auf die Uhr fuhr sie fort: „So, jetzt muss ich aber wirklich zurück, ich habe heute noch eine Menge Arbeit.“ Das vergnügte Funkeln, das sich in ihre Augen gestohlen hatte, erlosch.

Autor

Barbara Mc Mahon
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