CORA Collection Band 33

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Hunde - die besten Freunde der Menschen. Manchmal müssen sie Herrchen oder Frauchen auch in Sachen Liebe auf die richtige Fährte führen!

VERBOTEN SEXY, DIESER MANN! von CATHERINE MANN

Seit Megan ihrem Hund das Skateboardfahren beigebracht hat, ist sie engagierte Tierschützerin. Dumm nur, dass Whit Daltry ausgerechnet dort bauen will, wo sie mit ihrer Tochter sowie zahlreichen Hunden und Katzen lebt. Obendrein ist der Tycoon empörend sexy. Wird Megan ihm seine Pläne ausreden können, ohne seiner starken Anziehungskraft zu erliegen?

HOT NEWS - SÜNDIGE SCHLAGZEILEN von CANDACE HAVENS

Im strömenden Regen versucht die Schöne, den Riesenhund in ihr Auto zu bugsieren - und Blake Michaels verliebt sich auf den ersten Blick in sie. Doch dann merkt er, dass Journalistin Macy etwas vor ihm verheimlicht …

LIEBE IST KEIN BEINBRUCH von MARION LENNOX

Stürmischer hätten Dr. Harry McKay und seine Vertretungsärztin Lizzie Darling nicht zusammenstoßen können: Als sie sich zu ihrer Hündin im Auto hinunterbeugt, fährt sie ihn an! Doch während Lizzie sein gebrochenes Bein verarztet, spürt er zärtliche Gefühle - wunderbarer als je zuvor …


  • Erscheinungstag 20.11.2020
  • Bandnummer 33
  • ISBN / Artikelnummer 9783733728762
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Catherine Mann, Candace Havens, Marion Lennox

CORA COLLECTION BAND 33

1. KAPITEL

Ein scharfer Schmerz durchzuckte Megan Maguire, als der Airbag sich blitzschnell aufblies und sie gegen den Sitz drückte. Ihr war, als würde ihr die Luft aus der Lunge gepresst, und vorübergehend war sie einer Ohnmacht nahe. Dann überfiel sie Panik. Was war das? Erst nach ein paar Schrecksekunden begriff sie, was geschehen war. Ein Baum war auf ihre Kühlerhaube gefallen, hatte die Windschutzscheibe zersplittert und den Wagen abrupt stoppen lassen. Das hatte den Airbag ausgelöst. Dreißig Zentimeter weiter, und der Baum hätte das Autodach zerschmettert. Was dann von ihr übrig geblieben wäre, darüber wollte sie lieber nicht nachdenken.

Oh Gott, auch das noch! Sie war bereits auf dem Weg zum Kindergarten ihrer Tochter, als die Tornadosirenen losheulten. Kein Wunder, dass die Straßen wie leer gefegt waren. Sie war offenbar die Einzige in ganz Royal, die wahnsinnig genug war, trotzdem weiterzufahren. Aber sie musste zu ihrer Tochter, unbedingt. Jetzt dringender denn je.

Megan schob den schlaffen Airbag beiseite und versuchte die Fahrertür zu öffnen, was ihr mit einiger Mühe auch gelang. Sie stemmte sich gegen den starken Wind, der herabprasselnde Regen hatte sie im Nu durchnässt. Aber sie musste weiter, sie musste zu Evie.

Wenn sie bloß rechtzeitiger aus dem Tierheim weggefahren und mit Evie um eins ins Kino gegangen wäre, wie sie es geplant hatte. Dann wäre das Kind jetzt wenigstens bei ihr. Aber es war etwas dazwischengekommen, und Megan nahm ihren Beruf als Geschäftsführerin des Tierheims sehr ernst. Auch weil sie den Job brauchte. Evies Vater hatte sich sofort aus dem Staub gemacht, als sie ihm von der ungeplanten Schwangerschaft erzählt hatte. Das war sehr bitter, und ihr erster Impuls war gewesen, das Kind zur Adoption freizugeben. Doch als sie im vierten Monat die ersten Bewegungen ihres Babys spürte, hatte sie die Formulare nicht mehr ausfüllen können und beschlossen, das Kind allein aufzuziehen.

Jetzt war Evie vier Jahre alt und der Mittelpunkt in Megans Leben. Sie musste sie finden. Entschlossen strich sie sich das nasse Haar zurück und machte sich auf den Weg. Der Kindergarten war nur eine knappe Meile entfernt. Hoffentlich, hoffentlich hatte das Gebäude nichts abgekriegt. Ihr wurde ganz elend, wenn sie an das kleine Holzhaus dachte, das ihr gleich so gut gefallen hatte. Aber natürlich hatte sie bei ihrer Wahl nicht an so etwas wie einen Tornado gedacht. Wenn das Cottage nun zusammengebrochen war und die Kinder unter sich begraben hatte …

Das durfte nicht sein. Entschlossen kämpfte sie sich vorwärts. Die Stadt hatte es schlimm erwischt, viele Häuser waren zerstört, Autos lagen auf dem Dach, Bäume waren entwurzelt und versperrten den Weg. Der Tornado war wie ein riesiger Rasenmäher durch die Stadt gefegt und hatte alles, was ihm in die Quere gekommen war, dem Erdboden gleichgemacht. Doch Megan ließ sich nicht davon abhalten. Evie … Sie kletterte über jedes Hindernis, vorwärts, nur vorwärts …

Der Regen peitschte ihr ins Gesicht, doch sie achtete nicht darauf. Das Heulen des Sturms übertönte alle anderen Geräusche. Aber hatte sie da nicht eben etwas gehört? Megan, Megan … Hatte da gerade jemand ihren Namen gerufen, oder halluzinierte sie bereits? Sie blieb stehen und sah sich hastig um. Zwanzig Meter entfernt stand eine Gruppe von Menschen vor einem Haus, das erstaunlicherweise verschont geblieben war. Ein Mann sah in ihre Richtung. Es war … tatsächlich: Whit Daltry, der Besitzer von Daltry Property Management! Ausgerechnet er! Seit dreieinhalb Jahren nervte er sie, und sie versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen, wann immer es möglich war.

Aber diesmal konnte sie ihm nicht entgehen. Das Schicksal meinte es wirklich nicht gut mit ihr.

„Megan! Megan!“ Das war wieder Whits Stimme. „Kommen Sie schnell hier ins Haus!“

„Nein!“, schrie sie zurück. „Ich kann nicht!“

„Was?“ Mit einer Hand drückte er sich den Stetson auf den Kopf und rannte auf sie zu. Er war groß und kräftig, und Megan wusste, sie konnte ihn nicht abschütteln. Und so war es auch. Er packte sie beim Arm. „Sind Sie verrückt geworden? Bei diesem Wetter unterwegs zu sein! Was denken Sie sich dabei?“

„Ja, was glauben Sie wohl?“, stieß Megan wütend hervor. „Ich bin auf der Suche nach Evie! Ich war bereits auf dem Weg zum Kindergarten, als die Tornadowarnung kam. Dann fiel ein Baum auf meine Kühlerhaube, und ich musste zu Fuß weiter.“

Whit stieß einen leisen Pfiff aus. „Wo ist denn Ihre Tochter?“

„Im Kindergarten Little Tots. Ich muss zu ihr! Lassen Sie mich los!“ Entschlossen befreite sie sich aus seinem Griff. Ausgerechnet Whit Daltry wollte sie aufhalten – der Mann, der schuld daran war, dass das Tierheim und der Kindergarten so weit auseinanderlagen. Als die Stadt sich dreieinhalb Jahre zuvor nach einem neuen Grundstück für das Tierheim umgesehen hatte, hatte Megan ihre ersten schlechten Erfahrungen mit diesem Daltry gemacht. Er hatte verhindert, dass sie ein Grundstück ganz in der Nähe des Kindergartens kaufen konnten, und dafür gesorgt, dass sie in das Gewerbegebiet ausweichen mussten, das außerhalb der Stadt lag. So verlor Megan jeden Tag viel Zeit, wenn sie ihre Tochter abholte.

Und in einer solch dramatischen Situation wie dieser konnte sie das teuer zu stehen kommen. Wenn Evie nun etwas passiert war, weil ihre Mutter nicht rechtzeitig da gewesen war …

Wieder packte Whit sie beim Arm. „Ich hole Ihre Tochter. Sie bleiben hier im Haus. Draußen ist es viel zu gefährlich.“

Wieder riss sie sich los. „Ich denke nicht daran. Wenn Sie glauben, dass ich hier seelenruhig warte, bis Sie wiederkommen, haben Sie sich geschnitten. Evie hat wahrscheinlich Todesangst. Sie braucht mich.“

„Sehen Sie sich doch um. Die Straßen sind unpassierbar. Nur ein SUV oder ein Pick-up kommt noch durch.“

„Mir egal. Und wenn ich auf allen vieren kriechen muss. Es ist ja nicht mehr weit.“

„Verdammt! Nun seien Sie doch nicht so stur. Okay, dann fahren wir eben beide. Mein Pick-up ist wahrscheinlich doch etwas schneller als Sie zu Fuß.“

„Danke.“ Vor Erleichterung wurden ihr die Knie weich. Evie …

Whit, der das bemerkte, legte ihr den Arm um die Schultern. „Kommen Sie. Mein Wagen steht hinter dem Haus.“ Mit der Fernbedienung öffnete er die Tür eines großen blauen Pick-ups, und Megan kletterte schnell hinein. Der Wagen war erstaunlich sauber und aufgeräumt. Keine Sporttasche, keine Papiere, keine Werkzeuge lagen herum, wie es sonst bei Männern üblich war.

Als er den Motor anließ, spürte sie die warme Luft, zitterte aber trotzdem. Ihre Zähne schlugen aufeinander. War das die Kälte oder der Schock? Was auch immer, Hauptsache, sie konnte bald ihre Tochter in die Arme schließen. „Danke, Whit“, wiederholte sie leise.

Er nickte nur, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. „Das ist doch selbstverständlich. Auch wenn wir bisher nicht immer einer Meinung waren, in Notsituationen müssen wir zusammenhalten. Ihrer Tochter ist bestimmt nichts passiert. Das Gebäude des Kindergartens ist klein, aber solide gebaut. Entspricht genau dem vorgeschriebenen Standard. Also machen Sie sich keine Sorgen.“

„Das ist leichter gesagt als getan. Mein Verstand sagt mir auch, dass alles gut ist. Aber mein Herz …“

„Das ist verständlich. Sie sind ihre Mutter.“ Whit konzentrierte sich ganz auf die Straße und versuchte, die größten Schutthaufen zu umfahren. „Wie hat denn das Tierheim den Tornado überstanden?“

„Ich habe keine Ahnung. Ich war ja bereits unterwegs, um Evie abzuholen, als die Sirenen losgingen. Ich habe zwar gute Leute, denen ich voll vertraue, aber wenn der Tornado wirklich … nicht auszudenken! Und da mein Telefon gerade nicht funktioniert, kann ich nicht mal nachfragen!“

Megan starrte aus dem Fenster. Noch regnete es, aber der Sturm hatte bereits nachgelassen. Kaum zu fassen, was in einer solch kurzen Zeit alles geschehen konnte. Und dabei stand ihr vielleicht noch das Schlimmste bevor … Nein, das durfte nicht sein. Evie durfte nichts passiert sein.

Tränen traten ihr in die Augen, und sie versuchte, gegen die Panik anzukämpfen, die sie zu überfallen drohte. „Ich wollte eigentlich den Nachmittag freinehmen und mit Evie ins Kino gehen.“ Sie schluckte. „Aber dann wurde nichts daraus, weil eine meiner Mitarbeiterinnen sich nicht gut fühlte und nach Hause gehen musste. Und dann wurde noch eine Hündin bei uns abgegeben, die kurz davor war, ihre Jungen zu kriegen. Da konnte ich natürlich nicht weg. Wenn ich Evie wie versprochen früher abgeholt hätte, dann …“

„Hören Sie auf, sich zu quälen. Sie konnten doch nicht wissen, was passiert. Sie haben getan, was Sie tun mussten. Versuchen Sie, tief durchzuatmen, und nehmen Sie sich zusammen. Ihrem Kind zuliebe.“

Mit dem Handrücken wischte Megan sich über die Augen. „Sie haben recht. Ich muss stark für mein Kind sein. Sie ängstigt sich sonst zu Tode, wenn sie mich in diesem Zustand sieht.“

„Genau.“ Whit bog in die Straße ein, in der der Kindergarten lag, und hielt nach wenigen Metern. Das Gebäude stand noch, hatte aber einiges abgekriegt. Das Aluminiumdach hatte sich zusammengefaltet wie ein Akkordeon und sich halb über die offene Veranda geschoben. Einige Stützpfeiler des Verandadachs waren gebrochen und verbarrikadierten den Eingang. Bisher war es den Umstehenden, hauptsächlich Eltern von Kindergartenkindern, nicht gelungen, den Eingang frei zu räumen.

„Oh, nein …“ Entsetzt starrte Megan auf das Bild der Zerstörung, das sich ihr bot. Das zusammengefaltete Dach, der blockierte Eingang. Und Evie da drinnen, in Todesangst … In diesem Augenblick öffnete Whit die Beifahrertür von außen. Megan wollte aussteigen, aber ihre Beine trugen sie nicht. Doch Whit war gleich neben ihr und fing sie auf. „Keine Sorge, ich halte Sie fest.“

Sie wand sich in seinen Armen. „Lassen Sie mich los! Ich muss zu Evie! Ich muss zu meiner Tochter!“

Er setzte sie ab, hielt sie aber fest. „Das mache ich schon. Ich habe Erfahrung in solchen Dingen. Wir müssen vorsichtig sein, dass nicht noch mehr zusammenbricht.“

Erst jetzt fiel ihr auf, dass die anderen Eltern sich offenbar nicht trauten, die Blockade zu entfernen, sondern wie erstarrt davorstanden. „Ja, Sie haben recht. Sagen Sie mir, was ich tun kann.“

„Vorsichtig, Leute“, rief er den Männern zu, die wieder angefangen hatten, den Schutt vor der Veranda wegzuräumen. „Nicht die angebrochenen Balken berühren. Ich versuche, von hinten reinzukommen.“

Er zog Megan mit sich um das Haus herum, und ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie die Spielgeräte sah, die wie von Riesenhand zerbrochen waren. Die Kürbisse für Halloween, von den Kindern liebevoll bemalt, lagen überall verstreut herum, die meisten aufgeplatzt. Oh Evie … Ihr durfte nichts passiert sein. Sie konnte sich ein Leben ohne ihre Tochter nicht vorstellen. Schon als sie ihr nach der Geburt das erste Mal ins Gesicht gesehen hatte, war sie ihr in tiefer Liebe verbunden gewesen. Und jetzt war die Kleine vier Jahre alt, hatte die gleichen roten Locken wie sie, ihre Mutter …

Schon standen sie vor der Hintertür, die glücklicherweise noch intakt war. Megan entriss Whit die Hand und klopfte an die Tür. Durch die Scheibe konnte sie die Kinder und die Kindergärtnerinnen sehen, die auf dem Boden saßen. Aber wo war Evie?

„Sue Ellen …“ Megan packte die ältere Frau beim Arm, die die Tür öffnete. „… wo ist Evie?“

„Sie ist hier, und es geht ihr gut. Sie ist mit der Praktikantin und anderen Kindern zusammen. Sie waren gerade auf dem Weg in die Küche, als der Alarm losging. Sie ist … äh … auf der anderen Seite des Gebäudes.“

„Ja, und?“, drängte Megan, als Sue Ellen schwieg. „Was ist mit ihr? So reden Sie doch!“

„Einige Dachbalken sind durchgebrochen, haben die halbe Decke mitgenommen und blockieren den Weg. Aber die Praktikantin ist bei den Kindern und beruhigt sie.“

Megan presste sich die Hand aufs Herz, ihr Atem kam stockend. „Was? Die Kinder sind vorn in der Nähe der Veranda? Wo das Dach zusammengebrochen ist?“

Als Sue Ellen nickte, griff Whit nach Megans Hand. „Kommen Sie! Keine Sorge, das kriegen wir hin.“ Er zog sie mit sich den Flur entlang, bis Balken, halbe Gipswände und abgebrochener Putz ihnen den Weg versperrten. Auf der anderen Seite der Barriere saß die Praktikantin mit den Kindern – und auch Evie mit ihren leuchtend roten Locken.

„Evie“, rief Megan sofort, „Evie! Schätzchen, Mommy ist hier!“

„Mommy?“ Das klang zögernd. „Oh Mommy, ich will nach Hause …“ Die Kleine schluchzte.

Megan wollte vorstürzen, aber Whit schob sie grob zurück. „Bleiben Sie stehen, verdammt noch mal!“ Er ließ sich auf die Knie nieder und sah sich genau um. „Bleibt, wo ihr seid“, rief er den Kindern zu. „Ich komme zu euch.“

Vorsichtig fing er an, das Hindernis beiseitezuräumen, langsam und sehr bedacht, wobei er immer wieder kurze Pausen einlegte, um sicherzugehen, dass nichts von oben nachrutschte. Schließlich hatte er eine Art Tunnel geschaffen, der breit und hoch genug war, dass man hindurchkriechen konnte. Eins nach dem anderen krabbelten die Kleinen hindurch, und schließlich war auch Evies sommersprossiges Gesichtchen zu sehen. Whit streckte die Arme aus. „Evie, ich bin ein Freund deiner Mommy. Komm, ich hebe dich hoch.“

Die Kleine nickte eifrig, und Whit zog sie die letzten zwanzig Zentimeter heraus, hob sie hoch und stand mit ihr zusammen auf. Während er sie kurz an die Brust drückte, ließ Megan den Blick nicht von ihrem Kind. Evie schien nichts passiert zu sein. Sie hatte einen kleinen Kratzer am Arm, ihr Prinzessinnenkleid war am Ärmel etwas eingerissen, und ihr staubiges Gesicht zeigte Tränenspuren, aber das war auch alles.

Als sie das Kind von Whit entgegennahm, war ihr vor Erleichterung beinahe schwindelig. Evie legte ihr die dünnen Ärmchen um den Hals und schmiegte sich so fest an sie, als wollte sie sie nie wieder loslassen. „Alles in Ordnung, Schätzchen?“

„Ja, Mommy. Ich hatte gar keine Angst. Miss Vicky hat gesagt, was wir tun sollen. Meine Freundin Caitlyn hatte Angst, und ich habe ihre Hand gehalten, als wir unter der Treppe saßen.“

„Das war ganz toll von dir, Evie. Ich bin sehr stolz auf dich.“ Megan küsste die Kleine auf die Stirn. Ihr Haar roch immer noch nach Himbeershampoo. Evie liebte Himbeershampoo. „Ich hab dich so lieb.“

„Ich dich auch, Mommy.“

Whit half auch den anderen Kindern, durch den Tunnel zu kriechen. Als er das letzte kleine Mädchen herausgezogen hatte, führte er die Gruppe in den Teil des Hauses, der nicht betroffen war und in dem Sue Ellen mit den anderen Kindern saß. Sie versuchte, die Kleinen, die noch nicht von den Eltern abgeholt worden waren, mit Büchern, Musik und Keksen abzulenken, was der erfahrenen Kindergärtnerin auch gut gelang. Währenddessen machte eine Krankenschwester die Runde, vergewisserte sich, dass niemand ernsthaft verletzt war, und half mit Pflaster aus.

Whit wandte sich zu Megan um. „Vielleicht sollte sich die Schwester auch Ihre Kratzer mal ansehen. Sie haben außerdem Hautabschürfungen vom Airbag. Die sollten sich möglichst nicht entzünden.“

„Nicht jetzt“, wehrte Megan ab. „Im Augenblick hat sie genug mit den Kindern zu tun.“

Evie wand sich in ihren Armen. „Kann ich auch einen Keks haben, Mommy? Ich hab so Hunger!“

„Aber klar.“ Sie ließ die Kleine hinunter, und Evie rannte strahlend auf Sue Ellen zu, als habe sie bereits vergessen, dass vor Kurzem buchstäblich die Welt über ihr zusammengebrochen war.

Whit lachte leise. „Tapferes kleines Ding.“

„Ja, anders als ihre Mutter.“ Seufzend ließ Megan sich auf einer Bank nieder.

„Kein Wunder. Evie weiß nur, dass es allen gut geht und ihre Mutter hier ist. Mehr braucht sie nicht, um glücklich zu sein.“ Whit setzte sich dicht neben Megan, und seine Nähe und Wärme waren irgendwie tröstlich. „Vielleicht sollten wir auch für Sie einen Keks und etwas Saft organisieren“, meinte er lächelnd.

„Nein, nicht nötig.“ Megan richtete sich auf und ließ die Schultern kreisen. „Wir sollten lieber draußen beim Aufräumen helfen.“ Sie sah ihn kurz an. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie so mit Beschlag belegt habe. Das war sehr selbstsüchtig von mir.“

„Ach was!“ Er lachte. „Die Kinder sind alle da und werden sicher in der nächsten halben Stunde von ihren Eltern abgeholt. Und das Aufräumen sollten wir auf morgen verschieben. Es ist ja schon fast dunkel.“

„Wenn Sie meinen. Dann werde ich mich mit Evie auf den Weg zum Tierheim machen. Sicher ist da viel zu tun, bei all den herrenlosen Hunden und Katzen.“

Immer noch waren die Sirenen von Krankenwagen und Feuerwehr zu hören. Whit stieß Megan leicht mit der Schulter an. „Ich fürchte, das ist nicht möglich. Für die Zivilbevölkerung sind die Straßen noch gesperrt. Außerdem haben Sie kein Auto.“ Er grinste. „Sie können also gar nichts anderes tun, als hier sitzen zu bleiben und sich auszuruhen. Sie haben es nötig.“

Mit seinen braunen Augen sah er sie an, und sie erkannte, dass er sich wirklich Sorgen um sie machte. Sein Blick hüllte sie ein wie eine warme Decke, war tröstlich und erregend zugleich. Ihre Reaktion irritierte sie. Sicher, dass er sexy war und gut aussah, war ihr schon immer bewusst gewesen. Frauen verfielen ihm reihenweise, und auch das war ein Grund, weshalb sie sich immer von ihm ferngehalten hatte.

Aber an diesem Tag war er nicht der Verführer, sondern ein Mann, der gut und hilfsbereit war. Und so schwer es ihr auch normalerweise fiel, Hilfe anzunehmen, diesmal war sie heilfroh gewesen. Sie ließ sich zurücksinken. „Ich bin Ihnen so dankbar für Ihre Hilfe. Ich weiß, das würden Sie für jeden tun, aber es ist alles andere als selbstverständlich.“

Wieder musterte sie ihn. Wie hatte sie ihn nur so falsch beurteilen können? Er war eben nicht nur der gerissene Geschäftsmann. „Was Sie für mich und mein Kind getan haben, werde ich Ihnen nie vergessen“, fügte sie leise hinzu.

Lächelnd zwinkerte er ihr zu. „Heißt das, dass Sie mir vergeben haben? Dass ich das Tierheim nicht hier in der Nähe haben wollte?“

Hm, das ist ja nun wieder etwas ganz anderes … Sie lachte kurz. „Ich bin Ihnen zwar dankbar, leide aber nicht an Gedächtnisverlust.“ Spontan wandte sie ihm das Gesicht zu und wollte ihn auf die Wange küssen. In diesem Augenblick drehte auch er den Kopf, sodass sich ihre Lippen berührten. Kurz, sehr kurz, und dennoch hatte sie das Gefühl, als würde sie von einem Blitz getroffen.

Ihr stockte der Atem, sie starrte Whit kurz an, dann rückte sie schnell zur Seite. „Ich … äh … ich muss Evie holen. Danke noch mal.“ Sie sprang auf und lief zu ihrer Tochter. Nur weg, weg von diesem Mann, dessen Nähe sie total verwirrte.

Damit hatte sie nicht gerechnet. Obwohl sie es hätte besser wissen sollen. Ihr war doch klar, wie sexy er war, dazu jetzt noch der Glorienschein des Retters in der Not … Aber dass sie genauso leicht zu verführen war wie ihre Mutter, erschütterte sie. Doch hatte sie nicht selbst schon diese Erfahrung gemacht? Auch sie hatte sich schließlich mit einem Mann eingelassen, der sich als unzuverlässig entpuppt hatte. Nein, ihre Tochter verdiente ein besseres Vorbild. Dieser Teufelskreis der schwachen Frauen in ihrer Familie musste endlich durchbrochen werden.

Auch wenn das bedeutete, gehörigen Abstand zu Whit Daltry zu halten.

2. KAPITEL

Sechs Wochen später

Autsch! Whit Daltry fluchte leise, als die halbwilde Katze ihre Krallen in seine Schulter schlug. Sie war an diesem Morgen vor seiner Türschwelle in Pine Valley aufgetaucht, ohne Halsband, das Fell verdreckt. Glücklicherweise kannte er die Geschäftsführerin von Safe Haven, dem Tierheim in Royal. Eine sehr attraktive Frau …

Er packte die Katze fester, stieg aus seinem Pick-up und drückte die Tür mit der Schulter zu. An diesem strahlend schönen Tag konnte man sich kaum vorstellen, dass eineinhalb Monate zuvor ein schwerer Tornado über die Stadt gefegt war und sie schwer verwüstet hatte. Das Tierheim hatte es glücklicherweise nicht getroffen, aber Royal würde noch lange unter den Nachwirkungen zu leiden haben.

Was waren da schon ein paar Kratzer einer verängstigten Katze?!

Aber er hätte so etwas wie eine Transportkiste mitnehmen sollen. Wenn das Tier sich aus seinen Armen befreite, würde es schwer sein, es wieder einzufangen. Zumindest für ihn, der daran nicht gewöhnt war. Das konnte Megan Maguire sicher besser.

Megan … Bei der Vorstellung, sie gleich wiederzusehen, wurde ihm ganz warm, und sein Herz klopfte schneller, als er auf das einstöckige Backsteingebäude zuging. Seit dem Kuss nach der Rettungsaktion – na ja, eigentlich hatten sich ihre Lippen nur kurz berührt – hatte er sie wiedersehen wollen, aber einfach nicht die Zeit gehabt. Einige seiner Apartmenthäuser waren vom Tornado nicht verschont geblieben. Und so hatte er alle Hände voll damit zu tun gehabt, seine Mieter zu beruhigen, die er vorübergehend hatte woanders unterbringen müssen, und die notwendigen Reparaturarbeiten anzustoßen.

Andererseits tat es ihm gut, dass er vor Arbeit kaum zum Nachdenken kam. Denn der Tod von Craig Richardson, einem seiner besten Freunde, machte ihm schwer zu schaffen. Er hatte versucht, Craigs Witwe zu helfen, so gut es ging, aber der Verlust belastete ihn sehr. Wie sollte er nur den Gedenkgottesdienst durchstehen, der in der Woche nach Thanksgiving angesetzt war?

Also hatte er sich mit ganzer Kraft darauf gestürzt, Royal beim Wiederaufbau zu helfen. Er hing sehr an der Stadt, denn hier hatte er sich das erste Mal in seinem Leben zu Hause gefühlt – nach einer Kindheit, in der er fast ständig mit seinen Eltern unterwegs gewesen war. Während der Aufräumarbeiten musste er immer wieder an die Stunden nach dem Sturm denken, an die Rettungsaktion im Kindergarten … und an Megans Kuss.

Eigentlich wusste er, dass der nichts zu bedeuten hatte. Denn sie hatte ihm nur danken wollen. Mit einem Kuss auf die Wange. Und dennoch war er sicher, dass auch sie dabei mehr empfunden hatte als nur Dankbarkeit.

Irgendwie hatte Megan ihn schon immer sehr interessiert – trotz ihrer Streitereien in den vergangenen drei Jahren. Aber er hatte seine Gefühle im Zaum gehalten, weil sie ihm eindeutig klargemacht hatte, dass sie nicht viel von ihm hielt. Doch nach dem Kuss hatte er Mut gefasst. Vielleicht war da doch mehr … Und jetzt bot die Katze ihm einen idealen Vorwand, Megan einen Besuch abzustatten.

Diesmal konnte sie ihm nicht aus dem Weg gehen, so wie die letzten dreieinhalb Jahre, nachdem er ihr das Grundstück vor der Nase weggeschnappt hatte. Erstaunt sah er sich um. Das Haus sah sehr einladend aus, das Gelände rundherum war sauber eingezäunt und bot den herrenlosen Tieren viel Auslauf. Whit packte die Katze fester und betrat die Eingangshalle, die gefliest und pieksauber war. Aber was ist das? Verblüfft sah er sich um. An den Wänden reihte sich ein Drahtkäfig an den anderen, in denen Katzen und kleine Hunde untergebracht waren.

Und ich komme jetzt auch noch mit einer Katze … Whit hatte ein schlechtes Gewissen. Er hatte zwar gehört, dass viele Tiere nach dem Sturm ihr Zuhause verloren hatten. Aber so schlimm hatte er es sich nicht vorgestellt. Wahrscheinlich hatten Megan und ihre Leute alle Hände voll zu tun, die Tiere irgendwo unterzubringen, sauber zu halten und mit dem Nötigsten zu versorgen.

Whit schloss die Tür hinter sich. Die Katze, nervös geworden durch den Geruch der anderen Tiere, fuhr wieder ihre Krallen aus. Whit zuckte zusammen und ging schnell auf eine ältere Frau zu, die hinter dem Empfangstresen saß. Sie telefonierte und machte Whit gestenreich klar, er solle sich einen Augenblick gedulden. Sie war offensichtlich eine der freiwilligen Hilfskräfte, denn er kannte sie. Sie hatte im Rathaus gearbeitet und war seit ein paar Jahren pensioniert.

Sowie sie den Telefonhörer sinken ließ, zog er den Hut. „Guten Morgen, Miss Abigail. Ich …“

Weiter kam er nicht, denn sie unterbrach ihn sofort. „Guten Morgen, Whit. Wie schön, dass Sie ein Tier adoptieren wollen. Unsere Hunde sind hier rechts untergebracht. Die großen allerdings sind draußen und genießen den Auslauf.“ Dann erst sah sie, dass sich eine Katze an ihm festklammerte. „Ach so, Sie haben es eher mit Katzen. Das hätte ich nie gedacht. Also, unsere Kätzchen sind hier an der anderen Seite des Raumes und auch nebenan, wo sie frei herumlaufen können. Wenn Sie eine finden, die Ihnen gefällt, können Sie sie in einem Extraraum mit Ihrem Liebling hier zusammenbringen. Um herauszufinden, ob die beiden sich mögen. Und …“

„Ich bin wegen einer Spende hier“, unterbrach Whit Abigails Redeschwall. Das war eigentlich nicht sein Plan gewesen, aber ihm war klar geworden, wie dringend hier Geld gebraucht wurde.

„Eine Spende? Wunderbar. Ich sage gleich unserer Geschäftsführerin Bescheid. Oh, da ist Megan ja schon.“

Whit wandte sich um. Megan trat aus dem Flur in die Eingangshalle. Sie hatte einen Beagle an der Leine und blieb überrascht stehen, als sie Whit sah. Dann kam sie verhalten lächelnd auf ihn zu.

Das genügte schon, um sein Herz schneller schlagen zu lassen. Diese Lippen … Sie hatte die roten Locken im Nacken zusammengebunden. Ob sich ihr Haar so weich und seidig anfühlte, wie es aussah? Und die helle Haut? Wie gern hätte er es gleich hier und jetzt überprüft … Unmöglich, ich bin wirklich unmöglich, schoss es ihm durch den Kopf. Zwar hatte er diese Gedanken schon gehabt, als sie sich das erste Mal als streitende Parteien in einem Anwaltsbüro begegnet waren, aber ihm musste doch klar sein, dass sie ihn nicht mochte. Und dass sie seine Politik der Stadterweiterung ablehnte, vor allem wenn er eins der Feuchtbiotope trockenlegen ließ, um Bauland daraus zu machen.

Eigentlich kam sie mit jedem in der Stadt gut aus, warum also nicht mit ihm, der doch viel für Royal tat? Irgendwo mussten die Menschen ja schließlich wohnen, und er achtete peinlich genau darauf, dass die Bebauung nicht überhandnahm.

„Megan“, fing Abigail vorsichtig an. „Mr. Daltry ist hier und will uns …“

„Eine Katze bringen“, unterbrach Megan sie schroff. „Darauf haben wir auch dringend gewartet.“

„Nein, nein.“ Nur mit Mühe hielt Whit die Pelzkugel fest, die versuchte, seinem festen Griff zu entkommen. „Ich komme für alle Auslagen auf und schreibe Ihnen gern einen größeren Scheck. Aber ich kann die Katze nicht behalten. Sie hat kein Halsband und scheint ziemlich ausgehungert zu sein.“

„Wahrscheinlich hat sie während des Tornados ihr Zuhause verloren und versucht jetzt, sich in der Wildnis durchzuschlagen. Waren Sie schon beim Tierarzt mit ihr? Ist sie gechipt?“

„Nein. Ich habe gehofft, dass Sie mir in der Beziehung helfen können. Hat sich schon jemand nach ihr erkundigt?“

„Leider nein. Sind Sie sicher, dass es ein Weibchen ist?“

„Nein, aber ich vermute es.“

„Hoffentlich ist sie nicht gerade rollig. Oder vielleicht sogar trächtig.“

Mist. Daran hatte er nicht gedacht. Megan gab ihm die Hundeleine in die Hand und nahm ihm die Katze ab. Dabei berührten sich kurz ihre Hände, gleichzeitig nahm er einen Hauch von Zimt wahr. War das ihre Seife? Oder ihre Creme? Auf alle Fälle musste er gleich wieder an den flüchtigen Kuss denken.

Megan schluckte einmal kurz, hielt aber die Augen gesenkt, sodass er nicht sicher war, ob auch sie etwas Ähnliches empfunden hatte. „Hallo, Prinzessin“, flüsterte sie und hielt das Tier mit geübtem Griff. „Dann wollen wir mal sehen, ob du einen Chip hast.“ Sie kniete sich hin und zog einen kastenförmigen Apparat unter dem Tisch hervor. Mit einem Scanner tastete sie den Nacken der Katze ab, dann den ganzen Körper. „Manchmal wandert der Chip durch den Körper“, erklärte sie, schüttelte dann aber den Kopf. „Nichts.“

„Als ich sie gestern fand, war sie ziemlich verfilzt. Ich habe sie dann gebürstet, was sie gar nicht mochte. Und seitdem ist sie sauer auf mich.“

Megan warf ihm einen verblüfften Blick zu. „Sie haben die Katze gebürstet?“

„Ja. Sie hatte es dringend nötig.“

„Das war sehr nett von Ihnen.“

„Überrascht Sie das? Halten Sie mich denn für ein herzloses Ungeheuer?“

Sie lachte. „Nein. Nur für einen Großgrundbesitzer, der die Feuchtbiotope zerstört.“

Schmunzelnd hob er beide Hände. „Ich bekenne mich schuldig. Aber könnten Sie trotzdem etwas von meinem schmutzigen Geld gebrauchen?“

Sie nickte und ließ die Schultern sinken. „Die Situation ist mehr als dramatisch. Wir sind das einzige städtische Tierheim. Viele Menschen haben ihren Besitz verloren und wohnen in Notunterkünften, wo Tiere nicht erlaubt sind. Andere haben die Stadt verlassen und es aufgegeben, weiter nach ihren Tieren zu suchen.“

„Schrecklich. Ich habe zwar den Aufruf gehört, Tierfutter zu spenden, aber mir war nicht klar, was hier alles auf Sie und Ihre Leute zukommt.“

„Am besten kommen Sie mal eben mit in mein Büro, bevor mir Ihre Katze doch noch entwischt. Evie ist auch da. Ich habe sie heute nicht in den Kindergarten geschickt. Aber Abigail wird sicher kurz auf sie aufpassen, damit wir in Ruhe reden können.“ Sie wandte sich um. „Würden Sie das tun, Abigail?“

„Aber selbstverständlich. Mit Vergnügen.“

„Danke. Kommen Sie, Whit.“

Er folgte ihr und bewunderte den sanften Schwung ihrer Hüften. „Tut mir leid, dass ich Ihnen nun auch noch ein Tier bringe. Aber mit der finanziellen Unterstützung ist es mir wirklich ernst.“

„Danke.“ Megan öffnete ein Kindergitter und ließ den Beagle von der Leine. In ihrem kleinen Büro hatten gerade einmal ein Schreibtisch und ein Bücherregal Platz. An den Wänden hingen zwei gerahmte Aquarelle. Das eine stellte einen schwarzen Hund, das andere eine orangefarbene Katze dar. Evie hatte sie signiert.

Da streckte die Kleine schon den Kopf unter dem Schreibtisch hervor. Sie war wirklich das exakte Ebenbild ihrer Mutter. „Hallo, Mr. Whit.“ Sie kroch aus ihrem Versteck und stand auf. Die roten Rattenschwänzchen standen ihr fast waagerecht vom Kopf ab. Offenbar liebte sie es, sich zu verkleiden, denn sie trug eine Art Ritterkostüm und dazu eine Tiara, obwohl Halloween schon längst vorbei war.

Megan strich ihr zärtlich über den Kopf. „Abigail möchte gern, dass du ein paar Minuten zu ihr kommst. Ist das okay? Ich bin hier gleich fertig.“

Evie nickte und rannte in die Eingangshalle.

Megan schloss die Tür hinter Whit. Noch immer hatte sie die Katze auf dem Arm. „Sie sagten, Sie wollen uns finanziell unterstützen. Dafür bin ich sehr dankbar. Sie können den Scheck gleich hier ausstellen. Ich hole Ihnen eine Quittung, dann können Sie die Summe von der Steuer absetzen.“

„Aber was machen Sie mit der Katze, wenn Sie keinen Platz mehr haben?“

„Sie muss vorläufig hier im Büro bleiben.“ Megan seufzte leise. „Ich kann nur hoffen, dass sie sich mit dem Hund verträgt.“ Langsam ging sie in die Knie. Der Beagle kam neugierig näher, die Katze drückte sich fester an Megan, fuhr aber nicht die Krallen aus. „Vielleicht klappt es.“ Megan richtete sich wieder auf und setzte die Katze in ihren Schreibtischsessel.

„Hunde sind ihr offenbar sympathischer als ich“, meinte Whit lächelnd.

Megan grinste und krauste die sommersprossige Nase. „Vielleicht ist nicht jedes weibliche Wesen so scharf darauf, sich in Ihre Arme zu kuscheln.“

Er lachte. „Vielleicht. Trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen, Ihnen noch ein Tier aufzubürden. Brauchen Sie vielleicht mehr Leute? Ich bin sicher, dass einige meiner Freunde vom Texas Cattleman’s Club, unserem TCC, gern einspringen.“

„Zusätzliche Helfer können wir immer gebrauchen.“

„Gut. Ich setze mich gleich mit unserem Präsidenten Gil Addison in Verbindung. Vielleicht will der eine oder andere auch ein Tier adoptieren.“

„Das wäre toll.“ Sie streichelte die Katze, die sich daraufhin fest gegen ihre Hand drückte und laut schnurrte. „Ich will auch versuchen, ein paar Tiere nach Oklahoma zu verlagern. Sofern sich keine Eigentümer finden. Und ein Tierheim in Colorado hat sich auch schon gemeldet und würde Tiere aufnehmen. Ich weiß nur noch nicht, wie ich sie da hinschaffen kann.“

„Mit meinem Privatflugzeug“, sagte er ohne Zögern.

Überrascht riss sie die Augen auf. „Was? Sie haben ein Flugzeug? Ich weiß zwar, dass Sie nicht gerade arm sind, aber …“

Unwillkürlich machte sie einen Schritt zurück und sah ihn misstrauisch an. Sosehr ihm auch gefiel, dass sie sein Reichtum nicht beeindruckte, dass sich zwischen ihnen wieder so etwas wie eine Mauer aufrichtete, passte ihm gar nicht. „Eben. Das sollten Sie nutzen. Sowie Sie wissen, wohin die Tiere sollen, können wir los. Natürlich müssen die Tiere in Reisekisten verfrachtet werden, das ist Ihnen bestimmt nichts Neues.“

„Nein, das nicht, aber …“ Sie runzelte die Stirn. „Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll …“

„Da gibt es nichts zu danken. Das ist doch selbstverständlich.“ Er konnte den Tieren helfen und hätte außerdem bei Megan einen Stein im Brett … Außerdem würde er auf diese Art und Weise mit ihr zusammen sein können.

„Aber die Kosten …“

„Kann ich absetzen. Und Sie sparen eine Menge Zeit. Also, wenn Sie wissen, wohin mit den Tieren, sollten Sie mein Angebot unbedingt annehmen.“

„Danke, das mach ich gern. Diese Art von Wunder brauchen meine Tiere, wenn ich sie vor Weihnachten noch irgendwo unterbringen will.“ Sie schloss kurz die Augen und strich sich das Haar zurück. „Aber jetzt muss ich dringend telefonieren, auch mit Tierheimen, an die ich bisher noch nicht gedacht habe, weil sie zu weit entfernt sind.“

„Und was geschieht mit diesem kleinen Wesen?“ Whit strich der Katze sanft über den Kopf.

„Wollen Sie sie wirklich nicht behalten?“

„Ich kann nicht. Ich bin den ganzen Tag unterwegs. Das würde dem Tier nicht gerecht werden.“

„Verstehe.“ Enttäuscht sah Megan ihn an.

Und das, obwohl er ihr doch gerade ein so großzügiges Angebot gemacht hatte … Andererseits, ihr sein Flugzeug zur Verfügung zu stellen war einfach. Aber für ein lebendiges Wesen zu sorgen? Das war nicht so leicht. „Gut, dann sollten Sie jetzt Ihre Anrufe machen.“ Er nahm eine seiner Visitenkarten aus der Brieftasche und schrieb zwei Nummern auf. „Das eine ist meine Handynummer, das andere die Nummer meiner Sekretärin. Sie können mich jederzeit anrufen.“

Er reichte ihr die Karte, und erneut verspürte er ein elektrisierendes Kribbeln, als ihre Finger sich kurz berührten. Ob Megan auch etwas gemerkt hatte? Forschend sah er sie an.

Ja, ihre Augen leuchteten kurz auf, und sie zog schnell die Hand zurück. „Noch einmal herzlichen Dank.“ Unschlüssig drehte sie die Karte zwischen den Fingern. „Wollen Sie Ihrer Katze nicht einen Namen geben?“

„Es ist nicht meine Katze.“

„Ich weiß. Aber sie braucht trotzdem einen Namen. Wir haben in den letzten Wochen so viele herrenlose Tiere getauft, dass uns einfach nichts mehr einfällt.“

Minutenlang dachte er nach. „Tallulah“, sagte er dann plötzlich und war selbst überrascht.

„Tallulah?“ Lächelnd sah sie ihn an. „Das ist ein sehr hübscher Name. Wie, um alles in der Welt, kommen Sie darauf?“

„Meine Mutter hatte eine Katze, die so hieß.“ Nach dem Tod der Mutter war das die Familienkatze gewesen, aber nur für kurze Zeit. Als sie wieder einmal umzogen, lief die Katze weg. Und der Vater wollte keine Haustiere mehr.

Er wandte sich zur Tür, doch Megan rief ihn zurück. „Whit, was da passiert ist, nachdem Sie mir geholfen haben, Evie wiederzufinden …“

Meinte sie den Kuss? Musste sie auch immer daran denken? „Ja …?“

„Was Sie damals für mich getan haben … ich kann Ihnen gar nicht genug dafür danken. Und jetzt wollen Sie mir wieder helfen. Wie kann ich das jemals wiedergutmachen?“

„Gar nicht“, stieß er brummig hervor. Ein Kuss aus Dankbarkeit, das wäre nun wirklich das Allerletzte. Sollten sie sich noch einmal küssen, und er war ziemlich sicher, dass das geschehen würde, dann nur aus purer Leidenschaft.

Unter Whit Daltrys Blicken erschauerte Megan und verspürte ein angenehmes Prickeln, das selbst dann noch anhielt, als Whit mit langen Schritten über den Parkplatz zu seinem Pick-up ging. Unwillkürlich rieb sie sich die Arme. Dass er so plötzlich hier aufgetaucht war, hatte sie total verwirrt. Und dann noch dieses super großzügige Angebot … Sie wusste einfach nicht, was sie davon halten sollte.

Sechs Wochen hatten sie sich nicht gesehen, sechs Wochen, in denen sie immer wieder an diesen flüchtigen Kuss hatte denken müssen. Und nun würden sie mehr Zeit miteinander verbringen. Warum war er gekommen? Die Katze war doch nur ein Vorwand. Hatte er damals den Eindruck gewonnen, dass Megan mehr von ihm wollte? Nein, sie hatte gar keine Zeit und Nerven für mehr. Sie hatte einen anstrengenden Beruf und eine Tochter. Beide forderten sie sehr – nach dem Tornado mehr denn je.

Apropos Tochter, Abigail hatte lange genug auf Evie aufgepasst. Megan wollte ihre Hilfsbereitschaft nicht überstrapazieren, obwohl sie wusste, dass Abigail es gern tat. Sie hatte auch an manchen Abenden ausgeholfen, wenn Megan überraschend wegmusste. Denn Evie wollte auf keinen Fall allein bleiben.

Das konnte Megan gut verstehen. Auch sie hatte noch immer Albträume wegen des Tornados. Etwa dass sie Evie nicht rechtzeitig erreichte, dass das Dach über dem Kindergarten zusammenbrach. In manchen Träumen nahte dann der edle Retter in Gestalt von Whit … und sie küssten sich …

Megan starrte dem Pick-up hinterher, der sich langsam entfernte. Wie einfach wäre es, sich an diese breiten Schultern zu lehnen und jede Hilfe, die er anbot, anzunehmen. Doch wie viel schwerer wäre es danach, wieder allein zurechtzukommen. Seufzend wandte Megan sich vom Fenster ab und ging in die Eingangshalle. Evie, die auf Abigails Schoß saß, winkte ihr fröhlich entgegen.

Megan streckte die Arme aus. „Komm her, mein Schätzchen.“

Evie rutschte von Abigails Schoß und rannte in Megans Arme. Megan hob sie hoch und drehte sich ein paarmal mit ihr im Kreis. Nicht mehr lange, und Evie wäre zu schwer, um sie auf den Arm zu nehmen. Mein Kind, mein wunderbares Kind … Bald kam Thanksgiving, dann Weihnachten … Und wieder wurde Megan bewusst, dass Evie niemand anderen hatte als ihre dreißigjährige alleinerziehende Mutter, die selbst keine Eltern und keine Geschwister hatte.

Aber glücklicherweise war sie in Royal, dieser kleinen und ganz besonderen Stadt, gelandet, wo sie viele gute Freunde gefunden hatte. „Ich danke Ihnen für all Ihre Hilfe, Abigail. Ich hoffe, dass Evie bald wieder in den Kindergarten gehen kann. Die Reparaturarbeiten sind abgeschlossen. Jetzt muss sich nur noch der intensive Farbgeruch verziehen.“

Abigail lehnte sich lächelnd zurück. „Das mach ich doch gern. Sie ist so eine Süße. Rufen Sie mich an, wann immer Sie mich brauchen. Vielleicht kommt ja auch Mr. Daltry morgen wieder. Wäre doch nett, wenn er regelmäßig aushelfen würde.“

„Oh, ja!“ Evie drückte ihrer Mutter einen schmatzenden Kuss auf die Wange. „Warum ist denn der nette Mann gekommen?“

„Er hat uns ein Kätzchen gebracht.“

Schmollend schob Evie die Unterlippe vor. „Wir mögen doch keine Leute, die hier einfach ihre Tiere loswerden wollen.“

„Aber er wollte sie nicht einfach loswerden. Es war nicht seine. Er hat sie vor der Tür gefunden und gerettet, als sie halb erfroren und hungrig war.“ Dennoch schade, dass er sie nicht behalten will, dachte Megan. Typisch reiche Leute. Andererseits durfte sie nicht ungerecht sein. Whit hatte hart für sein Vermögen gearbeitet, das wusste sie. „Tallulah hat offensichtlich ihr Zuhause verloren. Wir müssen versuchen, eine neue Familie für sie zu finden.“

„Lulah?“

„Ja, so heißt sie.“

„Sie kann doch mit zu uns kommen und bei uns wohnen.“

„Das geht leider nicht, Schätzchen. Wir haben doch schon drei Katzen und zwei Hunde. Aber du kannst Tallulah hier besuchen, solange sie noch keiner zu sich genommen hat.“

Evie nickte eifrig. „Und dann sage ich Mr. Whit, dass er Lulah mitnehmen muss, Mommy. Das tut er bestimmt.“

Wenn es nur so einfach wäre … „Ich muss jetzt noch ein bisschen arbeiten, und dann fahren wir nach Hause. Ich mach uns eine Pizza.“

„Kann Mr. Whit mit uns essen?“

Abigail lachte leise. „Er würde wohl gern noch ganz andere Sachen mit euch machen.“

„Was denn?“, fragte Evie sofort.

Genervt sah Megan Abigail an, während sie Evie absetzte. „Mr. Whit leiht uns sein Flugzeug, damit wir ein paar von unseren Hunden und Katzen zu neuen Familien bringen können.“

„Das ist aber nett. Aber jetzt will ich im Büro weiterspielen. Darf ich, Mommy?“

Als Megan nickte, stürzte die Kleine davon, und Megan wandte sich zu Abigail um. „Ich möchte nicht mehr auf Whits Besuch angesprochen werden, Abi. Und behalten Sie Ihre Spekulationen bitte für sich. Ich hasse Klatsch.“

In diesem Augenblick kam Beth Andrews in die Halle, Megans beste Freundin. „Klatsch? Was für Klatsch? In diesem Ort wird doch nie getratscht, oder?“ Sie lachte.

Beth selbst konnte Geheimnisse sehr gut für sich behalten. Und sie war Megan eine große Hilfe. Ihr gehörte Green Acres, eine kleine Farm, auf der sie organisches Gemüse und Obst anbaute und auf einem Marktstand daneben verkaufte. Ihr kleiner Betrieb hatte unter dem Tornado schwer gelitten. Umso mehr wusste Megan den Einsatz der Freundin zu schätzen. Beth war eine schlanke Schönheit, aber so nett, dass selbst die schlimmsten und neidischsten Klatschtanten nichts gegen sie vorbringen konnten.

„Das ist vielleicht ein bisschen übertrieben“, meinte Abigail lächelnd. „Aber ich bin immer wieder überrascht, wie sehr die Menschen hier zusammenhalten, wenn Not am Mann ist. Selbst Whit Daltry ist heute vorbeigekommen und hat einen dicken Scheck hiergelassen.“

Verblüfft sah Beth die Freundin an. „Whit Daltry? Ich dachte, den kannst du nicht leiden.“

Megan zuckte mit den Schultern, hielt aber den Blick gesenkt. „Was bleibt mir übrig? Das Geld können wir gut gebrauchen. Für das Wohl meiner Tiere tu ich alles.“

„Das kann ich verstehen“, meinte Beth. „Der Tornado hat für uns alle das Unterste zuoberst gekehrt. Jeder muss sehen, wie er zurechtkommt. Man kann froh sein, mit dem Leben davongekommen zu sein. Unser Freund Craig hatte nicht das Glück. Und er war doch noch so jung. Auch der Bürgermeister ist schwer verletzt. Und die arme Skye Taylor …“

„Ja, das war wirklich tragisch. Nach vier Jahren ausgerechnet an dem Tag zurückzukommen, an dem der Tornado zuschlug. Schrecklich.“ Fröstelnd rieb Megan sich die Arme. Bewusstlos und schwer verletzt war Skye aufgefunden worden. Ihr Baby kam zu früh auf die Welt, konnte aber gerettet werden. Was für ein Schicksal. Obwohl sie die Frau nicht persönlich kannte, fühlte Megan mit ihr. Sich vorzustellen, dass sie, da sie im Koma lag, ihr eigenes Kind noch nicht gesehen hatte, ja, nicht einmal wusste, dass sie ein Kind hatte, war einfach grausam.

Was für ein Glück, dass Evie nichts passiert war. Wer weiß, wenn Whit nicht gewesen wäre …

„Ja, furchtbar.“ Auch Beth nahm das Schicksal der jungen Frau mit. „Drew hat sich mit der Familie in Verbindung gesetzt. Skye liegt wie gesagt im Koma, und das kleine Mädchen ist auf der Frühchenstation.“

„Und man weiß immer noch nicht, wer der Vater der kleinen Grace ist?“, mischte Abigail sich ein.

„Ich kenne Skye nicht persönlich, aber ich habe gehört, dass sie damals mit dem jungen Holt durchgebrannt sein soll“, sagte Megan langsam. „Weil ihre Eltern wohl total gegen die Verbindung waren. Ich gehe eigentlich davon aus, dass der junge Holt der Vater ist.“

„Ich auch.“ Beth nickte. „Stimmt es, Abigail, dass zwischen den Taylors und den Holts schon seit Generationen Feindschaft herrscht? Haben Sie eine Ahnung, warum?“

„Leider nein. Ich vermute, die Familien wissen es selbst nicht mehr.“

„Das kann gut sein.“ Traurig schüttelte Beth den Kopf. „Seit Generationen verfeindet zu sein … Was für ein Wahnsinn. Doch nun was ganz anderes.“ Sie blickte die Freundin forschend an. „Was war das? Whit Daltry war hier, und du bist nicht schreiend aus dem Raum gerannt?“

„Das würde ich nie tun!“ Megan tat entrüstet, denn sie musste zugeben, dass die Freundin nicht so ganz falsch lag. „Aber vielleicht sollten wir alle nach den letzten Ereignissen ein paar Vorurteile abbauen. Wenn er helfen will und sogar sein Privatflugzeug für den Tiertransport anbietet, kann ich doch nicht Nein sagen.“

„Was für ein Tiertransport?“

„Verschiedene Heime in nicht betroffenen Gegenden haben angeboten, herrenlose Tiere aufzunehmen. Safe Haven platzt doch aus allen Nähten.“

„Ach so.“ Beth lachte leise. „Sehr schlau. So hat er Gelegenheit, dich wiederzusehen.“

Aus großen Augen sah Megan die Freundin an. „Das ist doch …“ Ja, was? Ihr fiel einfach keine Erwiderung ein, und so nahm sie schnell ihre Tochter bei der Hand und zog sich mit ihr ins Büro zurück. Doch als sie die Tür schloss, ärgerte sie sich bereits. Wieso hatte sie der Freundin nicht Kontra gegeben, sondern sich feige zurückgezogen? Sie ließ sich doch sonst nicht einschüchtern.

Dieser verdammte Whit Daltry! Ein intensiver Blick aus seinen dunklen Augen, die tiefe weiche Stimme – und schon war sie verunsichert wie ein kleines Schulmädchen.

3. KAPITEL

Whit fuhr seinen Pick-up in die Garage, die Platz für vier Wagen bot. Auch das Haus, das nach seinen eigenen Plänen gebaut worden war, war eigentlich viel zu groß für ihn. Den ganzen Tag hatte er hart gearbeitet und trotzdem immer an Megan denken müssen. Dass er sie sehr bald wiedersehen würde, erfüllte ihn mit Freude und Energie. Nach den traurigen Wochen und deprimierenden Erlebnissen war es so gut, sich wieder lebendig zu fühlen!

Er öffnete die Fahrertür und stieg aus. Trotz des Motorrads, des Schnellboots und des schnittigen Sportwagens war immer noch Platz in der Garage. Er liebte seine „Spielzeuge“ – vor allem das Gefühl, dass er sich einen solchen Luxus leisten konnte. Seit er von zu Hause ausgezogen war, hatte er nie etwas auf Pump gekauft. Selbst sein Studium hatte er sich selbst verdient, zumindest das, was nicht durch Stipendien abgedeckt war. Schulden zu machen kam für ihn nicht infrage.

Das hatte seine Gründe. Wenn der Vater Geld gehabt hatte – woher auch immer –, hatte er die Familie mit Geschenken überhäuft. Die leider nur zu oft gepfändet wurden oder überstürzt zurückgelassen werden mussten, wenn die Familie auf der Flucht vor den Gläubigern war. Mittlerweile waren seine Eltern schon viele Jahre tot. Sein Vater war an einem Schlaganfall gestorben, seine Mutter wohl eher an gebrochenem Herzen, weil die ewigen Enttäuschungen sie allmählich zermürbt hatten.

Immer wenn sie umgezogen waren, hatte seine Mutter gehofft, dass diesmal alles anders würde. Diesmal würde der Vater nicht das ganze Geld verspielen, sondern sie könnten endlich ein Zuhause aufbauen und ein echtes Familienleben führen. Aber immer wieder wurden ihre Hoffnungen zerstört. Nach wenigen Monaten saßen sie schon wieder auf der Straße und waren auf der Flucht.

Umso mehr genoss Whit jetzt das Gefühl, sein Haus aus eigener Kraft erbaut zu haben. Nie wieder wollte er in die Situation kommen, nicht zu wissen, wo sein Zuhause war. Er hatte sich geschworen, nie Schulden zu machen, mochte kommen, was da wollte.

Als er in die Halle trat, dachte er daran, mit wie wenig Platz jetzt diejenigen auskommen mussten, die ihr Haus verloren hatten. Deshalb setzte er sich auch besonders bei den Aufräumarbeiten ein und hatte schon eine Menge Geld gespendet. Auch dem Tierheim. Doch den enttäuschten Blick von Megan konnte er nicht vergessen. Natürlich brauchte sie Geld für das Tierheim. Aber noch wichtiger waren Menschen, die bereit waren, Tiere bei sich aufzunehmen. Und was hatte er getan? Ihr noch eine weitere Katze gebracht. Sicher, es stimmte schon, dass er keine Zeit für ein Haustier hatte. Aber er hatte auch ihre Bitte, sich wenigstens vorübergehend um einen ihrer Schützlinge zu kümmern, abgelehnt.

Wahrscheinlich hatte sie das noch in der negativen Meinung bestärkt, die sie von ihm hatte.

Und wenn er nun nicht nur eine, sondern gleich mehrere Katzen aufnahm, die sich gegenseitig Gesellschaft leisten könnten? Hm, vielleicht … In Gedanken versunken ging er in die Küche und schreckte auf, als sein Handy klingelte. Er blickte auf das Display. Megan Maguire? Sofort beschleunigte sich sein Puls. Verdammt noch mal, er musste seine Gefühle endlich wieder in den Griff kriegen. Während er das Handy langsam ans Ohr hob, atmete er tief durch. Ein Flirt, nichts weiter … „Hallo, schöne Frau! Was kann ich für Sie tun?“

„Was soll das?“, konterte sie nüchtern. „Melden Sie sich immer so?“

„Oh Megan, Sie sind’s! Und ich dachte, meine Großmutter sei dran.“

Sie lachte leise, rau und verdammt sexy. „Sie haben eine Oma?“

„Wieso denn nicht? Mich hat nicht der Storch gebracht. Selbstverständlich habe ich Verwandte.“ Die allerdings wegen seines Vaters schon sehr früh jede Verbindung mit der Familie abgebrochen hatten. „Meine Großmutter ist allerdings schon vor zehn Jahren gestorben. Die schöne Frau war nur auf Sie gemünzt. Aber irgendwie ist das nicht gut angekommen. Also lassen Sie uns noch mal von vorn anfangen.“ In jeder Beziehung. Vielleicht keine schlechte Idee. Vergessen wir die letzten dreieinhalb Jahre …

„Okay“, sagte Megan lachend. „Hallo, Whit, hier ist Megan Maguire. Ich hoffe, ich störe Sie nicht beim Abendessen.“

„Oh, hallo, Megan.“ Whit öffnete den Kühlschrank und nahm sich ein Bier heraus. „Was für eine angenehme Überraschung, von Ihnen zu hören. Worum geht es?“ Er setzte sich an den Tresen und zog den Warmhaltebehälter mit dem Essen näher an sich heran. Da er nicht kochen konnte, ließ er sich das Essen immer von einem Restaurant bringen. Er öffnete die Bierflasche und wartete.

„Äh … also, ich habe gerade meinen Geschirrspüler eingeräumt, als mich plötzlich eine Art Panik überfiel.“

„Aber warum denn?“ Er trank einen Schluck Bier.

„Bei dem Gedanken, dass Sie Ihr Angebot mit dem Tiertransport gar nicht ernst gemeint haben.“

„Wie kommen Sie denn auf die Idee? Ich stehe zu meinem Wort.“ Im Gegensatz zu seinem Vater, der den Leuten immer das Blaue vom Himmel versprochen hatte.

„Das ist gut.“ Ihr fiel offenbar ein Stein vom Herzen. „Denn ich habe schon Pläne mit einem Tierheim in Colorado und dem dortigen Tierarzt gemacht. Sie können zwölf unserer Katzen nehmen, eine riesige Entlastung für uns. Was meinen Sie, wann könnte der Transport stattfinden? Ich würde den Tieren so gern noch vor Thanksgiving ein neues Zuhause bieten. Oder ist das zu kurzfristig für Sie?“

„Nein, keineswegs.“ Heute war Donnerstag und in einer Woche Thanksgiving. Am folgenden Tag hatte er ein Meeting, das er nicht ausfallen lassen konnte. Für Megan blieb dann das ganze Wochenende – ein sehr verführerischer Gedanke. So etwas Ähnliches hatte er sich zwar erhofft, aber dass es tatsächlich so schnell klappen würde, kam für ihn dann doch überraschend. Wunderbar.

„Ich freue mich, dass die so schnell Platz schaffen können. In Safe Haven ist ja wirklich jede Ecke besetzt.“

„Das kann man wohl sagen.“ Sie seufzte leise. „Hinzu kommt, dass unsere Mittel es eigentlich nicht zulassen, so viele Tiere zu versorgen. Durch den Neubau sind wir mit unseren Finanzen ziemlich am Ende.“

Am liebsten wäre er sofort zu ihr gefahren und hätte sie tröstend in die Arme genommen. Tröstend? Ja, auch … „Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass die Mitglieder vom TCC gern helfen würden. In jeder Beziehung, nicht nur mit Geld. Wir sind besser als unser Ruf, glauben Sie mir.“

„Ich glaube Ihnen“, sagte sie leise. „Und ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen für Ihre Großzügigkeit danken soll. Vor allem für Ihr Angebot, die Tiere zu transportieren.“

„Das tu ich doch gern. Wie ist es, können die Katzen übermorgen reisefertig sein? Am Sonnabend könnte ich sie nach Colorado fliegen.“

„Sie fliegen die Maschine selbst? Ich dachte, Sie hätten einen Piloten, der das macht.“

Whit überlegte blitzschnell. Offenbar hatte er nicht erwähnt, dass er selbst fliegen würde. Ob sich für Megan dadurch etwas änderte? Vielleicht hatte sie keine Lust, das Wochenende mit ihm zu verbringen, und schickte ihre Vertretung? Und er saß da mit einer vollkommen fremden Person … Dennoch, er hatte versprochen, ihr zu helfen. Und dieses Versprechen würde er halten.

„Ja, ich habe selbstverständlich jemanden, der mich fliegt, wenn ich auf Geschäftsreise bin. Aber ich habe einen Pilotenschein und bin selbst ziemlich viel mit der Maschine unterwegs. Also, was meinen Sie? Wir könnten uns doch ein schönes Wochenende in Colorado machen.“

„Ein gemeinsames Wochenende?“ Sie war schockiert, das konnte er selbst durchs Telefon hören. „Wollen Sie mich unter Druck setzen?“

„Wie können Sie so was sagen!“ Das tat weh. Hatte sie wirklich eine derartig schlechte Meinung von ihm? „Ich gebe zu, dass ich Sie gern wiedersehen wollte und Ihnen deshalb die Katze gebracht habe. Die mir aber wirklich zugelaufen war. Den Transport der Katzen übernehme ich gern, weil Ihr Tierheim nicht weiß, wohin mit den Tieren, und unsere Stadt schon genug Probleme hat. Das ist sogar einem Egoisten wie mir aufgefallen. Wenn Sie immer noch misstrauisch sind, bringen Sie doch Ihre Tochter mit. Übrigens ein prima Mädchen.“

Megan schwieg lange, und mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde Whit nervöser. Ihre Antwort war ihm wichtiger, als er sich eingestehen wollte. Verdammt, er wollte mehr Zeit mit ihr verbringen. War, um es ehrlich zu sagen, scharf auf sie. Immer schon. Seit dem Tornado sah er die Dinge anders. Das Leben war zu kurz. Das, was man erreichen wollte, sollte man zielstrebig angehen. Und er musste unbedingt herausfinden, ob da etwas zwischen ihnen war. Der flüchtige Kuss war auf jeden Fall sehr vielversprechend gewesen.

„Was ist nun mit Samstag, Megan?“ Whit hielt die Spannung nicht mehr aus.

„Evie hätte sicher große Lust, uns zu begleiten. Sie ist noch nie aus Royal rausgekommen. Ich habe weder Zeit noch Geld für große Reisen. Und sie mag nicht gern mit einem Babysitter allein gelassen werden.“ Sie machte eine Pause. „Okay, dann also Sonnabend …“

„Abgemacht!“ Das klappt ja fantastisch … „Wenn Sie wollen, können Sie auch gern versuchen, einen Teil Ihrer Hunde woanders unterzubringen. Ich habe nichts gegen einen wöchentlichen Trip.“ Als sie schwieg, fügte er schnell hinzu: „Nicht dass Sie wieder das Schlimmste dahinter vermuten. Selbstverständlich können Sie später auch einen Ihrer Mitarbeiter mit den Tieren mitschicken.“

Sie lachte kurz auf. „Nicht so hastig. Erst mal sehen, wie es am Wochenende läuft.“

Doch Whit war sicher, dass sie dieses Angebot nicht ablehnen konnte. „Ach, noch was: Der Flug ist relativ lang, sodass wir über Nacht in Colorado bleiben müssen. Vergessen Sie also nicht, Nachthemd und Zahnbürste einzupacken.“

Megan stand in der kleinen Maschine und hakte ab, welche Katzen bereits ins Flugzeug verfrachtet worden waren. Normalerweise hatten mindestens zwölf Personen Platz, doch die Sitze waren leer. Die Käfige befanden sich unter den Sesseln oder waren mit Gurten unter dem Tresen der kleinen Bar festgezurrt.

Alle Katzen hatten ein leichtes Beruhigungsmittel bekommen, und die meisten hatten sich in ihren Käfigen zusammengerollt und schliefen. Doch bei dreien hatte das Mittel noch nicht gewirkt, und sie starrten Megan mit weit aufgerissenen Augen misstrauisch und ängstlich an. Sheba, eine schwarze Perserkatze, war von ihrem Frauchen, die ihre Katze über alles geliebt hatte, sehr verwöhnt worden. Doch nach deren Tod hatte die Verwandtschaft das Tier ins Tierheim abgeschoben, was Sheba einen Schock versetzt hatte, von dem sie sich noch immer nicht erholt hatte. Sie musste unbedingt wieder eine liebevolle Familie finden.

Skittles, eine rote Kurzhaarkatze, war in einem Einkaufszentrum aufgegriffen worden. Sie hatte weder Halsband noch Mikrochip, und Megan fürchtete, dass Skittles sich nicht mehr an Menschen gewöhnen könnte, wenn sie nicht bald in gute Hände kam. Und Sebastian, ein wunderschöner, großer grauer Kater, brauchte Platz und war in dem beengten Raum nicht glücklich, den das Tierheim bot.

Wenn die Leute in Colorado nur annähernd so nett waren wie Megans Kontaktperson und die Tierärztin, mit denen sie gesprochen hatte, dann würden die Katzen gleich erst einmal in liebevolle Pflegefamilien kommen, bis sich genügend Adoptionswillige gefunden hatten.

Megan stützte sich auf einem der Käfige ab und ließ die Schultern sinken. Jetzt, da Hilfe in Sicht war, holte sie die Erschöpfung des vergangenen Monats ein. Immer noch konnte sie kaum glauben, dass sie auf dem Weg nach Colorado war und Safe Haven entlastet wurde. Und das auch noch dank Whit Daltry! Er war wirklich der Allerletzte, dem sie eine solche Geste zugetraut hätte. Auch wenn er ihr bereits geholfen hatte, ihre Tochter wiederzufinden.

Evie … Zärtlich warf sie einen Blick auf die Kleine, die auf einem der Ledersofas schlief. Kein Wunder, dass sie müde war. Sie waren schon früh aufgestanden, um die Katzen reisefertig zu machen. Heute hatte Evie sich wie ein Cowgirl angezogen, trug aber auch ihre über alles geliebte Tiara.

Jetzt hörte Megan feste Schritte, und Whit erschien in der Tür. Himmel, sah der Mann wieder gut aus in dem karierten Hemd und mit den hochgekrempelten Ärmeln! Diese breiten Schultern, die kräftigen Unterarme, die schmalen Hüften und langen Beine in der verwaschenen Jeans. So etwas müsste verboten werden … Megan wurde der Mund trocken, als Whit den Hut abnahm und vor ihr stehen blieb.

„Wir sind startbereit und können los, sowie Sie und Evie sich angeschnallt haben.“

„Äh … gut“, stieß sie hervor und machte schnell einen Schritt zurück. Dieser Duft nach herber Männerseife ließ Bilder in ihr aufsteigen, die sie schnell verdrängen sollte, Bilder von einer gemeinsamen Dusche nach einer heißen Nacht … Und das, wo sie die nächsten zwei Tage mit ihm zusammen sein würde. Sie blickte auf ihr Clipbord und tat beschäftigt.

Lächelnd trat Whit dicht vor sie und schob die Hände in die Hosentaschen. „Wollen wir darüber reden?“

Ruckartig hab sie den Kopf. „Reden? Worüber denn?“ Diese markanten Züge, das kräftige Kinn … Am liebsten hätte sie ihm über die frisch rasierte Wange gestrichen. Dabei konnte sie ihn doch im Grunde nicht leiden. Aber weshalb eigentlich nicht? Sie konnte sich einfach nicht mehr daran erinnern.

„Über deinen Kuss.“

„Psst …“ Sie deutete auf Evie. „Sie darf uns nicht hören.“ Sonst machte sie sich gleich wieder Hoffnungen. Evie war der Hauptgrund dafür, dass Megan sehr vorsichtig sein musste, was Männerbekanntschaften betraf.

Sofort senkte er die Stimme. „Ist es so besser?“

Sie nickte nur, denn sie konnte nicht gleich antworten. Bei seinem dunklen weichen Tonfall stieg eine betörende Erregung in ihr auf, ihre Brüste prickelten, und die Spitzen wurden hart. Schnell presste sie sich das Clipbord an den Oberkörper. „Ich habe dich nicht geküsst. Jedenfalls nicht richtig.“

„Das erinnere ich aber ganz anders. Unsere Lippen haben sich berührt. Das nenne ich einen Kuss.“ Er grinste, und seine Augen funkelten triumphierend. „Aber damit wir uns nicht missverstehen, ich erwarte nichts von diesem Trip.“

„Ich wollte dich auch nur auf die Wange küssen. Aus Dankbarkeit. Und dann hast du den Kopf gedreht …“

„Und du hast so wunderbar nach Zimt geduftet und wie ein kleines Kätzchen geschnurrt. Das werde ich nie vergessen.“

Oh, ja, auch sie erinnerte sich sehr gut daran und erschauerte prompt. „Ich dachte, du hast diesen Tiertransport aus edlen selbstlosen Gründen übernommen.“

„Hab ich auch.“

„Was soll dann die Flirterei?“

„Ich kann eben vieles gleichzeitig tun.“ Er lachte. „Aber jetzt sollten wir uns anschnallen und endlich los.“

Eine Stunde später legte Megan entspannt den Arm auf die Sofalehne und betrachtete die Wölkchen am strahlend blauen Himmel. Bisher war der Flug absolut ruhig verlaufen, wie sanft abgefedert von den weißen Polstern.

Kurz nach dem Start hatte Evie gefragt, ob sie sich nicht neben Whit setzen könne. Megan wollte schon ablehnen, als Whit nickte und das Kind nach vorn winkte. Stolz saß die Kleine in dem Sessel des Co-Piloten, und Megan ließ sich entspannt zurücksinken. Als alleinerziehende Mutter war sie so sehr daran gewöhnt, allein für das Wohl ihrer Tochter verantwortlich zu sein, dass sie es jetzt sehr genoss, mal für sich zu sein und ihren Gedanken nachhängen zu können. Auch um die Katzen brauchte sie sich momentan nicht zu kümmern. Selbst bei Sheba, Skittles und Sebastian hatte das Beruhigungsmittel endlich gewirkt. Auch sie schliefen entspannt in ihren Käfigen.

Megan warf einen zärtlichen Blick auf ihre Tochter, die sich lebhaft mit Whit unterhielt. Seine Haltung machte deutlich, dass er sich dennoch ganz auf den Flug konzentrierte und sich von Evies Geplapper nicht ablenken ließ.

„Ich bin nämlich ein Cowgirl“, erklärte Evie mit wichtiger Miene.

„Ich weiß. Genauso siehst du nämlich auch aus“, sagte er geduldig. „In der letzten Woche warst du ein Ritter mit einem Schwert.“

„Nein, eine Prinzessin, die auch ein Ritter ist“, korrigierte die Kleine ihn etwas ungehalten.

„Ach ja“, gab Whit zu. „Du hattest ja diese hübsche Tiara auf.“

Unwillkürlich musste Megan lächeln. Der Mann hat wirklich eine Engelsgeduld.

„Jetzt können mir die Monster nichts tun, weil ich mein Lasso mithabe.“ Stolz wies sie auf das kleine Seil an ihrer Seite.

„Sehr gut. Dann willst du die Monster mit dem Seil fangen?“

Megan war gerührt. Wie ernsthaft er auf die Ängste des Kindes einging.

„Ja.“ Evie nickte so heftig mit dem Kopf, dass ihre Tiara verrutschte. „Ich fange sie, und dann werfe ich sie in den Müll.“

„Du bist wirklich ein tapferes kleines Mädchen.“

Evie zuckte mit den schmalen Schultern. „Irgendjemand muss es ja tun.“

Megan hätte beinahe laut losgelacht, denn das war einer ihrer Lieblingssätze.

Whit warf der Kleinen einen schnellen Blick zu. „Deine Mommy passt sehr gut auf dich auf, Evie. Du brauchst keine Angst mehr zu haben.“

„Aber keiner passt auf Mommy auf.“

Darauf wusste Whit nicht gleich eine Antwort. Megan traten Tränen in die Augen, als ihr klar wurde, womit ihre kleine Vierjährige schon zurechtkommen musste.

Evie spielte mit dem Klettverschluss ihrer neuen Sneakers. „Ich weiß noch nicht, was ich das nächste Mal bin“, sagte sie versonnen. „Muss mal gucken, was ich sonst noch so habe und womit ich die Monster ordentlich erschrecken kann.“

„Was sind denn das eigentlich für Monster?“, fragte Whit ruhig.

„Sie kommen mit dem Wind vom Himmel.“ Mit ihren kleinen dünnen Ärmchen beschrieb Evie Kreise in der Luft. „Ich muss sie unbedingt fangen, bevor sie andere Kinder erschrecken.“

Megan legte den Kopf zurück, um die Tränen zurückzuhalten. Und sie hatte geglaubt, dass diese kleine Reise eine gute Abwechslung für das Kind war. Stattdessen rief der Flug bei Evie Ängste hervor. Aber vielleicht war das ganz gut. Immerhin hatte Whit mit seinen wenigen Bemerkungen schon mehr aus dem Kind herausgekitzelt, als es Megan in den letzten Wochen möglich gewesen war.

Jetzt strampelte Evie fröhlich mit den Beinen. „Ich habe neue Schuhe. Sie blinken beim Gehen.“

„Super.“

„Meine Prinzessinenschuhe sind bei dem Tora … bei dem Too-nado kaputtgegangen.“

Wieder warf Whit ihr einen kurzen Blick zu. „Das tut mir aber leid.“

„Das waren meine Lieblingsschuhe. Aber solche haben wir nicht mehr gefunden. Doch die mit den Lichtern sind auch gut. Im Kindergarten war es ganz dunkel bei dem Too-nado. Aber da hatte ich sie noch nicht.“

Megan wurde das Herz schwer. Würde für Evie in Zukunft alles mit dem Tornado verbunden sein? Als sie mit ihr Schuhe kaufen war, schien die Kleine fröhlich zu sein. Und doch hatte sie immer an den Tornado gedacht und überlegt, was ihr in der Situation helfen könnte.

„Mommy hat gesagt, dass viele Kinder ihre Schuhe verloren haben und wir froh sein müssen, dass wir noch welche haben.“

„Deine Mutter ist eine kluge Frau.“

Dabei sah er Megan kurz aus den Augenwinkeln an, oder hatte sie sich das nur eingebildet? Auf alle Fälle überlief es sie heiß.

„Ich weiß“, sagte Evie eifrig. „Und ich möchte so gut wie Mommy sein, damit Santa Claus auch zu uns kommt.“

„Santa hat sicher mitgekriegt, dass du ein gutes Kind bist.“

„Nicht so gut wie Mommy.“

So? Megan runzelte überrascht die Stirn. So etwas hatte Evie noch nie zu ihr gesagt. Erstaunlich, was heute alles herauskam. Offenbar hatte Whit die Gabe, das Vertrauen von Kindern zu wecken. Das hätte sie zwar niemals vermutet, war aber äußerst dankbar dafür. Allerdings machte sie der Gedanke nervös, dass er dadurch immer wichtiger für sie und ihre Tochter wurde.

Auch Whit dachte über Evies letzte Bemerkung nach. „Wie kommst du darauf, Kind?“

Evie schüttelte den Kopf, dass ihre Zöpfchen flogen. „Weiß nicht. Ist egal. Hab ich dir schon gesagt, dass Caitlyn und Bobby meine besten Freunde sind? Bist du jetzt Mommys bester Freund?“

4. KAPITEL

Als die Sonne unterging, hatten Whit und Megan auch die letzte Katze bei ihrer Pflegefamilie abgeliefert. Megan hatte darauf bestanden, sich jedes einzelne Haus anzusehen, und war danach sehr erleichtert. Die Katzen würden es gut haben, da war sie sicher.

Ein langer, anstrengender Tag lag hinter ihnen, und es war ziemlich kalt in Colorado. Es waren sogar schon ein paar Schneeflocken heruntergekommen. Whit drehte die Heizung in dem großen SUV hoch und sah im Rückspiegel, wie Megan ihre Tochter anschnallte. Das ließ sie sich auch nach dem zwölften Stopp nicht nehmen. Nein, sie hatten sogar dreizehnmal angehalten, zwölfmal wegen der Katzen und einmal, um für Evie einen Schneeanzug und warme Stiefel zu kaufen. Mit einem solchen Temperatursturz hatte Megan nicht gerechnet. Natürlich hatte sich die Kleine anfangs geweigert, die Sachen anzuziehen. Erst als Whit ihr klarmachte, dass selbst Cowboys im Winter etwas überziehen müssten, ließ sie sich überreden.

Megan klopfte sich die Schneeflocken von der Jacke, bevor sie vorn einstieg, und rieb sich die Hände. „Brr, ist das kalt! Da lob ich mir Texas. Wenn ich mich noch mal über unseren Winter beklage, brauchst du mich nur an diesen Tag zu erinnern.“

Whit warf ihr kurz einen überraschten Blick zu. Das bedeutete doch wohl, dass sie auch in Zukunft Kontakt haben würden. Nicht schlecht … Im Verhältnis zu früher war das ein echter Fortschritt. Ob das bedeutete, dass sie ihm nicht mehr böse war, weil er ihr damals das Land vor der Nase weggeschnappt hatte? Aber danach würde er sie jetzt nicht fragen, das war zu riskant. Stattdessen sollten sie irgendetwas Schönes unternehmen. Das hatte sie weiß Gott verdient.

Sie trug große Verantwortung, nicht nur für ihre Tochter, sondern auch für das Tierheim und ihre Mitarbeiter. Und sie hing an jedem einzelnen Tier, das war ihm heute so richtig klar geworden, als sie die Katzen zu den Pflegefamilien brachten. Aber wer sorgte für sie, nahm ihr Entscheidungen ab und richtete sie auf, wenn sie erschöpft und deprimiert war?

„Du hast eine Menge erledigt an diesem einen Tag“, sagte er lächelnd und stellte die Düsen so ein, dass die warme Luft direkt auf Megan zielte.

„Ja, ich hätte auch nicht gedacht, dass wir die Tiere so schnell unterbringen können.“ Sie drehte sich zu Evie um und griff nach ihrer kleinen Hand. „Wie fandest du den Tag?“

Evie schaukelte fröhlich mit den Beinen. „Gut. Das Flugzeug war toll und der Schnee. Und meine Stiefel von Mr. Whit.“

„Prima, Schätzchen. Wir essen jetzt noch was, und dann fahren wir in unser Quartier.“ Sie wandte sich zu Whit um, sah ihn aber nicht direkt an. „Danke, dass du alles organisiert hast.“

Er nahm den Blick nicht von der Straße. „Hab ich gern gemacht. Und wie ist es mit weiteren Hilfsaktionen? Kennst du noch mehr Heime, die Tiere aufnehmen würden?“

„Ja.“ Sie nickte eifrig und richtete die grünen Augen auf ihn. „Einige nehmen nur bestimmte Rassen auf. Das wäre was für unsere Beagles und den Schäferhund.“ Sie legte ihm kurz die Hand auf den Arm. „Aber ich kann wirklich nicht erwarten, dass du deine Arbeit vernachlässigst, um mit meinen Tieren durch die Weltgeschichte zu fliegen.“

„Ich muss ja nicht selbst fliegen. Und wenn du alles gut abgesprochen hast, kannst du die Tiere wahrscheinlich auch ohne Begleitung losschicken.“ Klar, dass er lieber diese gemeinsamen Wochenenden fortgesetzt hätte. Andererseits musste er vorsichtig bei Megan vorgehen, wenn er ihr Herz gewinnen wollte. „Es müssen ja nicht immer wir sein, die gemeinsam die Tiere irgendwo abliefern. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte …“ Kurz sah er sie an. „Was ist denn? Du wirkst überrascht.“

„Das bin ich auch.“ Megan lächelte. „Du würdest wirklich deinen teuer bezahlten Piloten losschicken, um ein oder zwei Hunde wegzubringen?“

„Warum nicht? Allerdings könnte ich auch meine Freunde fragen, die eine kleine Privatmaschine haben. Die würden bestimmt auch ein paar Transporte übernehmen. Alle wollen gern helfen, wissen nur manchmal nicht, wie.“

Verwirrt schüttelte Megan den Kopf. „Du verblüffst mich wirklich. Selbst wenn du weißt, dass zwischen uns …“ Sie warf schnell einen Blick auf die Rückbank, aber Evie war total mit ihrem iPad beschäftigt. „Ich meine, auch wenn weiter nichts zwischen uns läuft, würdest du dich so einsetzen?“

„Selbstverständlich. Ich kann Arbeit und Privatleben sehr gut trennen, auch von dem, was ich fürs große Ganze tue.“ Er hielt kurz inne. „Oder nur für eine Person.“ Wieder sah er sie an. „Manchmal kommt auch beides zusammen. Wie heute.“

Glücklicherweise stieß Evie jetzt ungeduldig mit den Füßen gegen Megans Rückenlehne, sodass sie nicht reagieren musste. Was ihr schwergefallen wäre. „Mommy, ich habe Hunger! Können wir bald was essen?“

Whit lachte. „Aber klar! Sofort. Und nach dem Essen habe ich noch eine Überraschung für euch.“

Megan runzelte die Stirn. „Was denn für eine Überraschung?“

„Wenn du nichts dagegen hast, gehen wir nach dem Essen aufs Eis.“

„Aufs Eis?“

„Ja, es gibt hier eine sehr schöne Eisbahn.“

Schlittschuhlaufen – was für eine Idee! Einem reichen Mann wie Whit Daltry hätte Megan nie zugetraut, dass er mit ihr und Evie in ein ganz normales Familienrestaurant gehen würde, auch wenn die Hamburger extrem gut waren, und anschließend auf die Eisbahn. Aber es gefiel ihr.

Vor allem auch, dass er dabei an Evie gedacht hatte, etwas, das die wenigsten Männer tun würden, die den Abend mit ihr verbringen wollten. Aber wollte er das tatsächlich? War das hier so etwas wie ein Date?

Sie saß auf einer Bank und sah zu, wie Whit Evie an beiden Händen hielt und sie vorsichtig über das Eis zog. Die Kleine hatte noch nie auf Schlittschuhen gestanden, hatte aber offensichtlich viel Spaß daran. Wieder bewunderte Megan Whit für seine liebevolle Geduld im Umgang mit Kindern. Evie schien unentwegt auf ihn einzureden. Ihr Mund stand nicht still, das konnte Megan daran sehen, dass sich in kurzen Abständen weiße Atemwölkchen bildeten. Hin und wieder nickte Whit und behielt das gemäßigte Tempo auch dann bei, wenn andere Schlittschuhläufer an ihnen vorbeizischten.

Dann blieben beide plötzlich stehen. Whit ging in die Hocke und hörte Evie aufmerksam zu. Was für ein Bild! Megan wurde ganz warm ums Herz. Ihre Kleine in ihrem pinkfarbenen Schneeanzug und der große sexy Mann in seinem leuchtend blauen Parka. Doch dann stand Whit wieder auf, nahm Evie auf den Arm und drehte ein paar schnelle Runden mit ihr. Als Evie vor Vergnügen jauchzte, spürte Megan plötzlich ein heißes Glücksgefühl, das ihr beinahe den Atem nahm. Oh Gott, was ist das? Erschrocken legte sie sich die Hand aufs Herz. Daran sollte sie sich nicht gewöhnen. Sie durfte nicht davon ausgehen, dass diese Situation ewig währte. Und doch sehnte sie sich danach …

Sehnte sich nach ihm.

Nein, auf keinen Fall. Entschlossen atmete sie tief durch und nahm die Schultern zurück. Im selben Augenblick hielt Whit direkt vor ihrer Bank. Evie hatte rote Backen und lächelte die Mutter strahlend an, zum ersten Mal seit dem Tornado … Whit ließ die Kleine herunter, die gleich auf die Bank kletterte und sich fest an ihre Mutter schmiegte.

Lächelnd sah Megan zu Whit hoch. „Für einen Texaner kannst du aber erstaunlich gut Schlittschuh laufen.“

„Danke.“ Whit setzte sich neben Evie. „Meine Eltern sind sehr oft umgezogen, eigentlich quer durch die Vereinigten Staaten. Und Schlittschuhlaufen habe ich auf kleinen zugefrorenen Teichen gelernt. Für die Eisbahn hätten wir sowieso nie das Geld gehabt.“

Aha, deshalb hatte er keinen starken texanischen Akzent. Aber dass er in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen war, wunderte sie doch – zumal er perfekt zu all den anderen Millionären im TCC passte. Offenbar jedoch hatte er sich als Kind immer wieder in fremden Umgebungen zurechtfinden müssen. Das, was er hatte und darstellte, hatte er sich wohl selbst erarbeitet. Wie gut sie das verstehen und nachempfinden konnte.

„Und was hast du noch so gelernt? Ich meine, bei den ständigen Ortswechseln?“

„Das musst du selbst herausfinden.“ Schmunzelnd lehnte er sich zurück, streckte die Arme auf der Banklehne aus und spielte mit Megans roten Locken.

„Wie geheimnisvoll.“ Sie spürte seine Hand und die Wärme seines kräftigen Arms. Ihr Herz schlug schneller, und sie hätte am liebsten den Kopf in diese große Hand geschmiegt.

„Ich muss doch dein Interesse wachhalten. Sonst verlässt du mich.“

Erschreckt sah Evie die Mutter an. „Wo willst du denn hingehen, Mommy?“

„Nirgendwohin, Schätzchen“, beruhigte Megan sie und zog den kleinen warmen Körper fest an sich. „Ich bleibe immer bei dir.“

Doch Evie starrte sie mit ihren großen grünen Augen an. „Wirklich?“

„Großes Ehrenwort.“

Immer noch nicht ganz überzeugt, kaute die Kleine auf ihrer Unterlippe und starrte nachdenklich vor sich hin. Doch plötzlich hob sie den Kopf und strahlte Whit an. „Du hast doch gesagt, ich darf mir was in dem Laden aussuchen.“

„Aber Evie!“ Megan war entsetzt. „Du kannst doch Mr. Daltry nicht einfach fragen, ob er dir was kauft. Er war schon so großzügig mit dem Flug, dem Essen und jetzt mit dem Schlittschuhlaufen.“

Whit legte Megan die Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. „Evie hat recht. Ich habe es ihr versprochen. Und was man verspricht, muss man halten.“

„Na gut.“ Megan verdrehte lächelnd die Augen. „Ich gebe mich geschlagen.“

„Super!“, jubelte Evie.

Whit hob sie hoch. „Hast du dir schon was ausgesucht?“

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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<p>Bestsellerautorin Catherine Mann schreibt zeitgenössische Liebesromane, die im militärischen Milieu spielen. Ihr Mann, der bei der US Air Force arbeitet, versorgt sie mit allen nötigen Informationen, sodass sie keine Recherche betreiben muss. In der Zeit vor ihren Romanveröffentlichungen machte sie ihren Bachelor in Bildender Kunst auf dem College von Charleston...
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