Cora Collection Band 40

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Sara Craven
Das Geheimnis des Millionärs

Am liebsten würde die schöne Designerin Adrien dem selbstzufriedenen Chay eine Ohrfeige verpassen! Doch sie hat sein ungeheuerliches Angebot angenommen: Wenn sie seine Geliebte wird, ist der reiche Immobilienmakler bereit, ihre Schulden zu bezahlen, die ihr untreuer Verlobter ihr hinterlassen hat! Auf was hat sie sich da nur eingelassen?


Jacqueline Baird
Für kein Geld der Welt

Sie waren ein so wunderbares Paar: Das Model Katy und der Millionär Jake Granton. Dass sie ihn vor Jahren verließ, hat Jake deshalb nie verwunden. Nun endlich scheint seine Chance gekommen, sie wieder an sich zu binden: Er würde mit seinem Vermögen sofort die Firma ihres Vaters retten, wenn sie nur zurückkäme. Nimmt sie sein unmoralisches Angebot an?


Emilie Rose
Unwiderstehlich charmant

Eigentlich ist Stacy vom Charme des reichen Philippe Bouger hingerissen. Bei einem romantischen Dinner in Monte Carlo kommen sie einander näher. Doch dann macht Philippe ihr ein unglaubliches Angebot: Für eine Million Euro soll sie seine Geliebte sein, bis ihr Urlaub in Monaco endet …


  • Erscheinungstag 04.06.2021
  • Bandnummer 40
  • ISBN / Artikelnummer 9783751502177
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sara Craven, Jacqueline Baird, Emilie Rose

CORA COLLECTION BAND 40

1. KAPITEL

Diese Tageszeit genoss Adrien am meisten – die ruhigen Stunden am frühen Morgen, wenn sie das Haus ganz für sich allein hatte. Bevor die Maler und Handwerker kamen, um Wildhurst Grange zu seiner alten Pracht zu verhelfen.

Dann wanderte sie mit Bedacht von Raum zu Raum, stieß die Fensterläden auf und zog die Vorhänge beiseite, um die fahle Spätsommersonne hereinzulassen. In Gedanken malte sie sich aus, wie sie und Piers als Ehepaar hier zusammen lebten. Bald schon war es so weit! Sie konnte es kaum erwarten, nicht mehr nur die Innenarchitektin, sondern die Hausherrin zu sein. Und Piers’ Frau.

Allein die Vorstellung raubte ihr den Atem. Noch immer konnte sie ihr Glück kaum fassen. Wie wunderbar sich doch alles in ihrem Leben gefügt hatte.

Vor Jahren hatten sie sich auf Wildhurst Grange kennengelernt. Damals war Piers zu ihrer Rettung geeilt, als sie in Schwierigkeiten steckte. Und jetzt hatte das Haus sie wieder zusammengebracht. Nach dem Tod seines Onkels Angus Stretton hatte Piers das heruntergekommene Anwesen geerbt und nach einem Innenarchitekten für die Restauration gesucht.

Bald wären die Arbeiten fertig, und sie und Piers könnten als Mann und Frau in dem Haus leben. Damit schloss sich der Kreis.

Adrien bedauerte nur, dass Piers die Verwandlung ihres zukünftigen Heims nicht miterlebte, weil er gerade in Portugal arbeitete.

„Es tut mir ja auch leid, Liebling“, hatte er ihr an ihrem letzten gemeinsamen Abend gesagt. „Aber es geht nicht anders. Abgesehen von den Kosten für die Renovierung wird auch der Unterhalt von The Grange eine Menge kosten. Dafür muss ich das nötige Geld verdienen. Schließlich wollen wir uns doch nicht mit der zweiten Wahl zufriedengeben. Für meine schöne Frau will ich nur das Beste.“

„Wir könnten doch Schritt für Schritt vorgehen und zuerst die Räume renovieren, die wir auch benutzen“, widersprach sie.

Doch Piers wollte nichts davon hören.

Also schrieb Adrien ihm jede Woche ausführlich über die Fortschritte der Arbeiten, schickte Farb- und Stoffmuster, und er rief regelmäßig an, oder sie bekam E-Mails und Faxe.

Und vermisste ihn fürchterlich.

„Wenn die Firma aufgebaut ist, werde ich dich nie wieder verlassen“, hatte er ihr ins Ohr geflüstert. „Und stell dir nur vor, was für ein großartiges Aushängeschild The Grange für dein Können bedeutet. Du wirst dich vor Aufträgen nicht retten können, sobald wir hier die ersten Gesellschaften geben.“

Adrien hatte gelacht und sich an ihn geschmiegt, in Gedanken schwor sie sich, dass Wildhurst Grange immer zuallererst ihr Zuhause wäre, ihre ganz private Zuflucht.

Außerdem wusste sie gar nicht, ob sie eine zusätzliche Flut von Aufträgen bewerkstelligen könnte. Schon vor dem Wiedersehen mit Piers lief ihr Geschäft gut. Eigentlich war es ein Zwei-Frau-Unternehmen, bestehend aus ihr als Designerin und Zelda March, einer sagenhaft fingerfertigen und brillanten Schneiderin. Seit Gründung der Firma herrschte bei „A-Z Design“ kein Mangel an Aufträgen.

Dabei gehörte ein eigenes Innenarchitekturbüro nicht zu ihren Zukunftsplänen, als sie ihre Ausbildung begann. Genauso wenig wie die Rückkehr in das stille kleine Städtchen auf dem Land. Doch als ihre Mutter vor drei Jahren plötzlich gestorben wae, änderte sich für Adrien vieles …

Adrien verließ London und realisierte, dass sie nun ganz allein auf der Welt stand. Allerdings erbte sie Listow Cottage und erhielt eine größere Geldsumme aus der Lebensversicherung ihrer Mutter. Das verschaffte ihr eine gewisse Unabhängigkeit.

Dennoch hatte sie zu dem Zeitpunkt keine Pläne – bis sie auf der Beerdigung Zelda traf. Früher waren sie in dieselbe Klasse gegangen, allerdings ohne sich besonders gut zu kennen, da Zelda als ausgesprochen rebellisches Mädchen galt. Ständig geriet sie in Schwierigkeiten mit der Polizei, wegen unerlaubten Rauchens, öffentlichen Alkoholgenusses und weil sie mit den Dorfjungen herumlungerte. In der Abschlussklasse überraschte sie dann jeden, weil sie den ersten Preis im Handarbeitswettbewerb gewann. Kurz darauf, noch keine siebzehn, ließ sie sich mit dem Automechaniker im Dorf ein und wurde schwanger. Die hastig geschlossene Ehe ging ebenso schnell wieder in die Brüche.

Erstaunt, Zelda bei der Trauerfeier ihrer Mutter zu sehen, lud Adrien die ehemalige Klassenkameradin ins Cottage ein.

„Ich mochte deine Mutter sehr“, sagte Zelda, nachdem die anderen Trauergäste gegangen waren. Traurig sah sie sich in dem kleinen Salon um. „Erst vor ein paar Monaten habe ich diese Überwürfe und die Vorhänge für sie geschneidert.“

Äußerlich hatte Zelda sich nicht verändert, das kurze schwarze Haar stand ihr noch immer wild in alle Richtungen vom Kopf, aber während der Unterhaltung merkte Adrien, dass sie viel reifer und ruhiger geworden war.

„Du arbeitest selbstständig?“

„Schön wär’s. Nein, ich bearbeite die Aufträge bei Beasley & Co. in Enderton, nur zahlen die nicht viel. Ich habe zwar versucht, zu Hause zu arbeiten, aber da ich wieder bei meinen Eltern lebe, reicht der Platz dafür einfach nicht. Zumal Smudge auch noch da ist.“

„Smudge?“

„So nenne ich meinen Sohn. Eigentlich heißt er Kevin, wie sein Vater. Aber an den möchte ich lieber nicht erinnert werden.“

„Kann ich mir vorstellen.“ Adrien biss sich auf die Lippe. „Schade, dass du nicht selbstständig arbeiten kannst. Du bist wirklich gut.“

„Keine Chance“, winkte Zelda sofort ab. „Mein Dad dreht durch, wenn er die Nähmaschine hört. Und dass Smudge ihm ständig vor die Füße läuft, findet er auch nicht so toll. Also halte ich mich lieber bedeckt.“

Die kurze Unterhaltung ging Adrien im Kopf herum. In den darauffolgenden Tagen stellte sie einen Geschäftsplan auf. In ihrer Heimatstadt gab es eindeutig eine Marktlücke. Beasley & Co. war keine wirkliche Konkurrenz, und im Umkreis von Meilen bot sonst niemand komplette Einrichtungspläne an. Wenn sie die ansässigen Handwerker unter Vertrag bekäme und mit Zelda als Partnerin …

Das passende Gelände bereitete ihr Probleme. Doch dann sah Adrien sich auf Listow Cottage um. Das Cottage selbst war nicht groß, aber dahinter standen alte Ställe und Nebengebäude, seit Jahren unbenutzt. Sie ließen sich mit wenig Mühe in Arbeitsräume, ein Büro und sogar eine kleine Wohnung umwandeln …

„Meinst du das wirklich ernst?“, fragte Zelda ungläubig, als Adrien ihr den Plan unterbreitete. „Das hört sich zu schön an, um wahr zu sein.“

„Jedes Wort.“ Adrien nickte. „Die Wohnung hat zwei Zimmer, also genügend Platz für dich und Smudge.“

„Unsere eigene Wohnung“, flüsterte Zelda ergriffen. „Ein Traum wird wahr.“

Der Traum entpuppte sich jedoch bald als Albtraum. Bei den Renovierungsarbeiten tauchten unvorhergesehene Probleme auf, die Kosten überstiegen schnell das eingeplante Budget. Adrien nahm eine Hypothek auf das Cottage und einen Privatkredit auf, und Zelda bestand darauf, die kleine Abfindung beizusteuern, die sie von ihrem Exehemann erhalten hatte.

Der Glaube an ihr Projekt beflügelte sie. Und vom ersten Tag an trudelten Aufträge ein, sie mussten sogar Hilfskräfte einstellen, um die Nachfrage befriedigen zu können.

„Vielleicht hätten wir gar nicht so klein anfangen sollen“, scherzte Adrien, „sondern gleich ein Angebot für The Grange abgeben sollen.“

„The Grange steht nicht zum Verkauf.“ Zelda war in einen Katalog für Stoffmuster vertieft. „Eine Schande, dass ein so hübsches Haus leer steht.“

„Ja.“ Adrien seufzte. „Als Kind war ich oft dort, wenn mein Vater und Mr. Stretton Schach gespielt haben. Dann habe ich in der Bücherei gesessen und gelesen oder im Park gespielt.“

„Ganz allein?“

„Nein, nicht immer“, sagte Adrien nach einem kurzen Zögern. „Manchmal war Mr. Strettons Neffe da, Piers. Seine Mutter hatte wohl jemanden geheiratet, den ihre Familie nicht akzeptierte. Einen Brasilianer. Das führte zu einem ziemlichen Streit. Aber schließlich musste Mr. Stretton einsehen, dass Piers das Anwesen irgendwann erben würde, und hat ihn eingeladen. Auch wenn er nichts mit seinem Schwager zu tun haben wollte. Meine Eltern sagten, er verabscheue den Mann zutiefst und nenne ihn ‚von Grund auf verdorben‘.“

Zelda krauste die Nase. „Familien! Glaubst du, Mr. Stretton kommt zurück?“

„Nein, er ist wegen des Klimas nach Spanien übergesiedelt. Dabei gehört The Grange seit Jahren seiner Familie. Und Piers hatte er gerade erst richtig kennengelernt.“

„Vielleicht hält er ihn ja für ‚von Grund auf verdorben‘.“

„Niemals!“ Adrien holte tief Luft. „Piers ist einer der nettesten Menschen, die ich je getroffen habe. Er hat mich einmal vor einer Lungenentzündung bewahrt. Oder noch Schlimmerem.“

Zelda legte den Katalog ab. „Wie das?“

„Es gab ein Baumhaus im Wald hinter dem Haus. Ich muss ungefähr neun gewesen sein und bin hinaufgeklettert. Jemand hat die Leiter weggenommen, und ich saß dort oben für Stunden fest, frierend und panisch vor Angst. Piers hat mich gefunden. Noch heute traue ich mich auf keine Leiter. Und das ist noch nicht alles“, fuhr sie fort. „Zu meinem achtzehnten Geburtstag hat Mr. Stretton eine Party für mich auf The Grange gegeben und mir eine Kette mit einem wunderschönen alten Granatanhänger geschenkt. Während der Party wurde die Kette gestohlen. Piers fand sie wieder, aber es war trotzdem schrecklich. Der Diebstahl hat die Party komplett überschattet.“

„Ein Hoch auf Piers!“, kommentierte Zelda trocken. „Was ist aus ihm geworden?“

„Kurz danach ist Mr. Stretton nach Spanien gegangen. Und Piers wohl nach Brasilien zurückgekehrt.“

„Schade. Wer hat übrigens die Kette gestohlen?“

„Einer der Dienstboten“, erwiderte Adrien knapp. „Völlig unwichtig.“ Piers musste jetzt ungefähr zweiunddreißig sein, und der andere auch. Der, dessen Namen sie nie in den Mund nahm. Weil sie dann Albträume bekam …

Nun, das lag weit hinter ihr. Die Vergangenheit konnte ihr nichts mehr anhaben. Doch sie bereute es, dass sie die Tür zu den Erinnerungen nur einen Spaltbreit geöffnet hatte.

Irgendwann erreichte die Neuigkeit das Städtchen, dass Mr. Stretton in seiner spanischen Villa verstorben sei und in Spanien beerdigt werden würde. Trotzdem setzte der Vikar des Städtchens einen Termin für eine Totenmesse fest, und zu jedermanns Erstaunen tauchte Piers in der Kirche auf. Alle nahmen an, dass er gekommen war, um seinem Onkel die Letzte Ehre zu erweisen, und danach das Anwesen verkaufen würde …

Wir haben uns alle geirrt, dachte Adrien mit einem Lächeln und ging den langen Korridor zur Hauptsuite entlang. Piers kam zurück, wir haben uns wiedergesehen, und plötzlich war alles anders und wundervoll.

Sie öffnete die Tür zum großen Schlafzimmer. Daran schlossen sich ein Ankleidezimmer und ein eigenes Bad, aber noch war der große Raum nicht möbliert. Der Geruch nach frischer Farbe hing in der Luft, das Parkett war abgeschliffen und neu versiegelt. Adrien wünschte, Piers hätte die Möbel seines Onkels behalten. Dazu gehörten viele antike und sicherlich sehr wertvolle Stücke, vor allem aber hätten sie wunderbar in die Zimmer gepasst. Doch Piers wollte alles neu haben.

Allerdings hatte sie ein Bett gefunden, auf einer Versteigerung. Ein wunderbares Vierpfostenbett, das – von einem Fachmann restauriert und mit dem Behang, den Zelda nähte – ein Traum wäre.

Drei Monate noch, dachte sie. In drei Monaten werde ich mit Piers in diesem Bett schlafen, in einem cremefarbenen Satinnachthemd, nicht in diesem alten Morgenmantel, der schon bessere Tage gesehen hat. Mit weichem offenem Haar. Ich werde zum Fenster gehen und die Vorhänge beiseiteziehen, um die Morgensonne ins Zimmer zu lassen, und dann kehre ich zum Bett zurück und wecke Piers mit einem Kuss …

Noch beschleunigte nur ein Fantasiebild ihren Puls, doch das würde sich schon bald ändern.

Sie ging zum Fenster und sah hinaus in den Park, genoss den Ausblick, den sie so lieb gewonnen hatte …

… und schlug nach Luft schnappend die Hand vor den Mund.

Unten auf dem Rasen stand ein Mann und sah zum Haus auf. Ein Mann, ganz in Schwarz gekleidet, mit einem Umhang auf den Schultern, der ihm bis zu den Knöcheln reichte. Im Nebel des frühen Morgens wirkte er wie eine Gestalt aus einer anderen Zeit. Er stand so still, dass sie für einen Moment dachte, jemand hätte sich einen Scherz erlaubt und eine Statue auf den Rasen postiert, doch dann bewegte der Wind die Schöße seines Umhangs und fuhr ihm durch das dunkelblonde Haar.

Nein, es war ein Mann aus Fleisch und Blut, nur leider nicht Piers. Enttäuschung verdrängte den Schreck, gemischt mit Neugier. Wer war dieser Mann? Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Und was wollte er hier?

Viele Leute kamen, um The Grange zu besuchen, die meisten, um zu sehen, wie die Bauarbeiten vorangingen. Allerdings kamen die wenigsten um diese Tageszeit, und normalerweise meldeten sie sich vorher an.

Adrien schluckte. Ein so früher Besucher konnte nichts Gutes im Schilde führen. Vielleicht ein Dieb auf Erkundungsgang? Sie hatte gehört, dass einige leer stehende Häuser bis auf den Putz ausgeräumt worden waren. Unten war bereits die neue Küche eingebaut, und in Angus Strettons Bücherei standen die deckenhohen Regale noch immer voller Bücher.

„Dieses Haus ist nicht unbewohnt“, stieß sie entschlossen aus. „Und du wirst hier nicht ein Stück ergattern.“

Sie rannte zur Tür und weiter den Korridor entlang, flog die breite Eichentreppe hinunter. Der Salon lag auf der Rückseite des Hauses, breite Flügeltüren führten auf die Terrasse und in den Park hinaus. Dorthin wollte sie, während sie den Schlüsselbund in der Tasche ihres Morgenmantels umklammerte.

Erst die kalten Terrassensteine unter ihren nackten Fußsohlen brachten sie zur Besinnung. Sie hielt inne und sah sich um. Die schwarz gekleidete Gestalt war verschwunden, aber dann hörte Adrien einen Motor aufheulen. Der Eindringling musste seinen Wagen an der Seite des Hauses geparkt haben, wo man ihn nicht sehen konnte. Woher hatte er das gewusst?

Adrien merkte plötzlich, dass sie die ganze Zeit den Atem angehalten hatte. Als nun der gesunde Menschenverstand wieder einsetzte, holte sie gierig Luft.

Was hatte sie sich nur gedacht? Wie eine Wilde hier herauszustürmen, nur mit einem Schlüsselbund bewaffnet und mit nichts als einem abgetragenen Morgenmantel bekleidet. Kaum die passende Ausrüstung, um einen Dieb zu stellen! Mit einem Ruck band sie den Gürtel fester. Wie gut, dass der Fremde verschwunden war.

Warum war sie nicht im Haus geblieben und hatte per Handy die Polizei alarmiert? Wie hatte sie nur so dumm sein und ein solches Risiko eingehen können?

Er hatte gewusst, dass sie hier war, das spürte sie. Er hatte sie am Fenster gesehen.

Aber das ist ja verrückt, schalt sie sich. Deine Fantasie geht mit dir durch. Wahrscheinlich handelte es sich um eine arme Seele, die die ganze Nacht durchgefahren und vor Müdigkeit in das falsche Tor eingebogen ist.

Einigermaßen beruhigt, ging Adrien nach oben, um zu duschen und sich anzuziehen.

Beim Frühstück prüfte sie ihre Notizen für die heutigen Arbeiten. Die Handwerker mussten noch die Wandfliesen über der Küchenanrichte anbringen, in der Waschküche sollten heute die Anschlüsse installiert werden. Das frühere Blumenzimmer diente jetzt als Garderobe und sollte einen farbigen Anstrich bekommen, sobald der Putz trocken war. Fast alle Schlaf- und Gästezimmer erstrahlten bereits in neuem Glanz, bis auf den Raum, den sie mit ihrem Campingbett belegte.

Dort würde sie heute anfangen, die Tapeten abzuziehen, beschloss Adrien. Die Arbeit mit dem Dampfgerät machte zwar viel Dreck, aber Spaß.

Als Piers ihr das Haus nach all den Jahren wieder gezeigt hatte, wäre sie bei seinem verwahrlosten Anblick fast in Tränen ausgebrochen. Solange Mr. Stretton noch hier lebte, war alles tadellos in Ordnung gewesen, doch nun blätterte der Putz von den Wänden, Wasser tropfte von den Decken, und es roch nach Schimmel.

„Vielleicht ist es einfacher, den Kasten abzureißen“, meinte Piers.

„Nein.“ Sie drückte seine Hand. „Wir richten es wieder her. Es wird so schön wie früher. Das verspreche ich dir.“

Und sie hielt Wort. Nach all den Jahren erstrahlte The Grange nun wieder. Fast alle Arbeiten, die nun noch anstanden, waren kosmetischer Natur, letzte Kleinigkeiten. Was bedeutete, dass die nächsten Rechnungen im Vergleich zu denen, die Adrien gerade beglichen hatte, bescheiden ausfallen würden.

Sie hob das Dampfgerät und nahm die Tapeten in Angriff. Erst nach einer ganzen Weile fiel ihr auf, dass immer noch kein einziger Handwerker arbeitete.

Mit einem Stirnrunzeln wollte sie gerade ihr Handy zücken, als es klingelte. Erschreckt zuckte sie zusammen.

„A-Z Design“, meldete sie sich. „Guten Morgen.“

„Miss Lander? Gordon Arnold hier.“

Der Bauleiter. Adrien atmete erleichtert durch. „Ich wollte Sie gerade anrufen, Gordon. Wo bleiben Sie denn? Ist etwas dazwischengekommen?“

„So könnte man sagen.“ Die Stimme am anderen Ende sprach langsam und vorsichtig. „Es gibt ein Problem.“

Doch nicht schon wieder mit dem Lastwagen? Gordon sollte sich endlich ein Transportmittel anschaffen, das auch funktionierte! „Dann finden Sie schnell eine Lösung“, sagte sie knapp. „Hier gibt es nämlich noch viel zu tun.“

„Sehen Sie, das ist es ja.“ Gordon klang seltsam verlegen. „Wir haben unsere Arbeit gemacht, und Sie haben uns bezahlt, wie immer. Nur … dieses Mal hat die Bank die Schecks platzen lassen.“

Adrien erstarrte, ihr war plötzlich eiskalt. Aber sie nahm sich zusammen. „Da muss jemand einen Fehler gemacht haben.“

„Das habe ich mir auch gesagt. Ein Fehler.“ Er klang jetzt fast eifrig. „Also bin ich zur Bank gegangen, aber die wollten nicht mit mir reden, sondern meinten, ich müsse mich an Sie halten.“

„Ich werde mit der Bank reden. Wahrscheinlich ist irgendetwas mit dem Computer schiefgelaufen.“

„Ja, bestimmt. So was passiert ja häufig. Aber … solange nicht sicher ist, ob wir bezahlt werden, können wir natürlich nicht weiter für Sie arbeiten, Miss Lander. Schließlich warten noch andere Aufträge auf uns.“

„Ja, natürlich. Ich regle das sofort, Gordon. Also, bis dann“, sagte sie zuversichtlicher, als sie sich fühlte, und klappte das Handy zusammen.

Ein Fehler, ein Missverständnis. Es konnte gar nicht anders sein. Doch plötzlich tauchte wieder das Bild der schwarz gekleideten Gestalt auf dem Rasen vor ihr auf, wie ein böses Omen.

Sei nicht albern, ermahnte sie sich. Du gehst jetzt zur Bank und klärst die Sache.

Für die Geldangelegenheiten nutzten Piers und sie ein einfaches System. Er hatte bei der Bank ein Konto auf ihren Namen eröffnet, für das sie die alleinige Vollmacht und das Scheckbuch besaß. Jeden Monat schickte sie ihm eine genaue Aufstellung der Kosten, und er deponierte eine ausreichende Summe auf dem Konto, damit sie die Rechnungen begleichen konnte.

„Du bist zu vertrauensselig“, neckte sie ihn.

„Ich liebe dich“, erwiderte er. „Und wenn man liebt, vertraut man auch.“

Während der letzten vier Monate hatte dieses System reibungslos funktioniert. Ausgerechnet wenn die höchsten Rechnungen anstehen, muss es ins Stocken geraten, dachte Adrien frustriert und startete den Jeep.

In der Bank herrschte reger Publikumsverkehr, und Adrien beschlich das ungute Gefühl, dass man sie verstohlen anstarrte, während sie auf den Empfangsschalter zusteuerte. Wahrscheinlich formulieren sie schon die Entschuldigung, weil sie es verbockt haben, dachte sie und zuckte unmerklich mit einer Schulter.

„Oh, Miss Lander.“ Die Empfangssekretärin schaute sie perplex an. „Wir haben den ganzen Morgen versucht, Sie zu erreichen. Aber zu Hause bei Ihnen meldet sich nur der Anrufbeantworter.“

„Richtig.“ Das hörte sich ja fast wie ein Vorwurf an! „Ich übernachte auf The Grange, um die letzten Arbeiten zu beaufsichtigen.“ Nicht, dass es dich etwas anginge.

„Das erklärt es natürlich. Setzen Sie sich doch bitte einen Moment. Mr. Davidson möchte dringend mit Ihnen reden.“

Mit leicht unsicheren Knien ging Adrien zu der Sitzgruppe, dankbar, dass sie sich setzen konnte. Das klang nämlich keineswegs nach der Einleitung für eine unterwürfige Entschuldigung, im Gegenteil.

Adrien wünschte, sie hätte sich umgezogen. Rock und Bluse oder ein Kleid, elegante Pumps und Make-up. Denn inzwischen machte sich das mulmige Gefühl in ihrem Magen breit, dass sie alle Hilfe brauchen könnte. Und in ihrem momentanen Aufzug sah sie wie knapp sechzehn aus.

„Miss Lander?“ Mr. Davidson kam zu ihr. „Kommen Sie bitte mit ins Besprechungszimmer.“ Ein schmales Lächeln und ein kurzer Blick. Als sie das Konto eingerichtet hatten, war seine Reaktion um einiges begeisterter gewesen.

Nicht zum ersten Mal wünschte Adrien, Piers hätte das Baukonto bei ihrer Bank eröffnet, wo man sie kannte und schätzte.

Mr. Davidson schloss die Tür hinter ihr, und Adrien nahm auf dem Stuhl Platz, auf den er zeigte.

„Mr. Davidson, ich musste soeben erfahren, dass Ihre Bank einige meiner Schecks zurückgewiesen hat.“

„Mir blieb nichts anderes übrig, Miss Lander. Das Konto ist leider nicht gedeckt.“

Ihre Kehle schnürte sich zu, das Herz begann schnell zu pochen. „Dann hat sich die Einzahlung wohl aus irgendeinem Grund verzögert“, sagte sie mit erzwungener Ruhe. „Vielleicht könnten Sie eine gewisse Kulanz zeigen, bis ich mit meinem Verlobten gesprochen habe.“

„Ich fürchte, mir sind die Hände gebunden, Miss Lander. Uns wurde mitgeteilt, dass keine weiteren Einzahlungen auf dieses Konto eingehen. Hat Mr. Mendoza Sie denn nicht informiert?“

„Keine Einzahlungen mehr?“ Ihre Lippen fühlten sich taub an. „Aber das ist doch unmöglich!“

„Leider nicht, Miss Lander.“ Er hielt inne und schien seine Worte mit Bedacht zu wählen. „Und ich muss Ihnen noch eine schlechte Nachricht überbringen. Ich habe soeben erfahren, dass Mr. Mendoza nicht mehr der Eigentümer von Wildhurst Grange ist. Er hat das Anwesen an eine Immobilienfirma verkauft.“

Der Raum schien sich plötzlich zu drehen, in Adriens Ohren summte es laut. „Unmöglich, das kann nicht sein. So etwas … so etwas würde er nie tun. Nicht, ohne mir etwas davon zu sagen …“

„Ich kann Ihnen leider nichts anderes mitteilen. Der Eigentümer der Firma sitzt in diesem Augenblick in meinem Büro, um … Miss Lander, wo wollen Sie denn hin?“

Adrien stürmte hinaus, zum Büro des Bankmanagers. Noch während sie die Tür aufstieß, ahnte sie, wen sie in dem Zimmer erblicken würde – und fürchtete sich davor, recht zu haben …

Er stand beim Fenster, groß und beeindruckend, in eleganten schwarzen Hosen mit passendem Rollkragenpullover aus feinster Wolle. Der lange schwarze Umhang lag achtlos über einer Stuhllehne. Das dunkelblonde Haar war perfekt gekämmt und reichte ihm bis in den Nacken. Ein schmales Gesicht mit markanten Zügen, einem kräftigen Kinn und vollen Lippen. Die Augen, mit denen er sie jetzt ansah, waren grau wie die Nordsee und strahlten ebenso viel Kälte aus.

Und eine Wange verunzierte eine kleine dreieckige Narbe.

Adrien kannte diese Narbe. Schließlich verdankte er sie ihr. Damals war sie neun, halb erfroren und zu Tode verängstigt. Weil er sie absichtlich auf einer wackeligen Plattform in einem hohen Baum gefangen hielt, damit sie dachte, dass sie dort oben sterben würde.

Also nahm sie einen Stein und warf nach ihm. Er zog zwar rechtzeitig den Kopf ein, doch der Stein traf ihn an der Wange. Und als sie das Blut über seine Wange laufen sah, war sie froh, denn sie hasste ihn, und er verdiente diese Strafe.

Damals hatte er sie nur stumm mit diesen kalten grauen Augen angesehen, genau wie jetzt. Voller Verachtung und eisiger Arroganz. Mitleidlos.

Damals war sie vor Angst halb gestorben, und heute ging es ihr nicht anders. Aber heute war sie kein Kind mehr. Und auch keine Achtzehnjährige, der er die Geburtstagsfeier durch einen Diebstahl ruiniert hatte.

All die Jahre hatte sie ihn aus ihrer Erinnerung verbannt, überzeugt, dass sie ihn nie wiedersehen würde.

Doch sie hatte sich geirrt. Er stand ihr direkt gegenüber.

Und sie erstarrte wieder vor Panik, wie damals. Ohne einen Ausweg.

2. KAPITEL

„Es ist lange her, Adrien.“

Seine Stimme klang tiefer, aber dieses raue Timbre hätte sie überall wiedererkannt. Dennoch, sie würde ihm nicht die Genugtuung gönnen, vor ihm zusammenzubrechen. Nicht zum dritten Mal.

Also schob sie trotzig das Kinn vor. „Grundgütiger.“ Ganz bewusst hielt sie ihren Ton gelangweilt-überheblich. „Der Haddon-Junge.“

„Nicht mehr. Der Haddon-Mann“, korrigierte er sie. „Ein Unterschied, den ich dir rate zu beachten.“

„Soll das etwa eine Drohung sein? Aber darin warst du ja schon immer gut.“

„Und du hattest schon immer einen Hang zu Anschuldigungen. Selbst, als du noch Zöpfe trugst. Und später auch.“ Die grauen Augen musterten sie von oben bis unten. „Sehr verändert hast du dich nicht.“

„Das kann ich von dir nicht sagen. Ich hätte dich nicht erkannt.“

Er lachte leise. „Bist du sicher? Lag da heute Morgen nicht der Schimmer des Erkennens in deinen Augen, als du aus deinem Elfenbeinturm auf mich herunterstarrtest?“

„Du bist wirklich der letzte Mensch, den zu sehen ich erwartet hätte“, erwiderte sie brüsk. „Für eine Begrüßung bist du ja nicht lange genug geblieben.“

„Ich hatte anderes zu tun. Außerdem wusste ich, dass wir uns bald sehen würden. Ich wollte mir die Vorfreude auf den angenehmen Augenblick nicht verderben. Den ersten von vielen, wie ich hoffe.“

„Was machst du hier? Wieso bist du zurückgekommen?“

„Vielleicht wollte ich dich überraschen.“ Sein Lächeln zehrte an ihren Nerven. Er sah an ihr vorbei, als Mr. Davidson den Kopf zur Tür hineinsteckte.

„Ist alles in Ordnung, Mr. Haddon?“

„Ja, alles bestens, danke.“ Der plötzliche Umschwung zu Autorität und Charme erstaunte Adrien. „Würden Sie uns bitte fünf Minuten allein lassen? Miss Lander und ich frischen gerade unsere alte Bekanntschaft auf.“

„Ja, natürlich.“ Mit einer Verbeugung zog Mr. Davidson sich wieder zurück.

Am liebsten hätte Adrien ihm nachgerufen, er möge bleiben. Doch eine solche Schwäche würde sie nie öffentlich zeigen.

„Wie aufmerksam von ihm“, meinte sie stattdessen beißend. „Es überrascht mich, dass er dich nicht ‚Sir‘ genannt hat.“

„Das kommt noch, keine Sorge. Ich gedenke nämlich, ein sehr wichtiger Kunde dieser Bank zu werden.“

„Weiß er, dass du der Sohn einer Haushälterin bist?“ Sofort schämte sie sich für ihre Frage. Denn sie hatte Mrs. Haddon sehr gemocht. Chays Mutter war immer warm und herzlich zu Adrien gewesen, wenn sie mit ihrem Vater The Grange besuchte.

„Ich habe nicht die geringste Ahnung“, erwiderte er ruhig. „Es wäre aber auch egal. Geld stinkt nicht. Heutzutage bewirkt es mehr als dein altmodischer Snobismus.“

Ein Hauch Röte legte sich auf ihre Wangen. „Dann hast du es wohl nach oben geschafft.“

„Ich habe hart gearbeitet und festgestellt, dass es sich lohnt. Daher werde ich weiterhin hart arbeiten, damit ich alles bekomme, was ich möchte.“

„Wie zum Beispiel Wildhurst Grange?“

„Unter anderem, ja.“

„Das glaube ich nicht. Piers würde nie sein Erbe verkaufen, vor allem nicht an dich.“

„Piers würde seine eigene Großmutter verkaufen, um sich aus den Schwierigkeiten zu retten, in denen er steckt.“

„Wie kannst du es wagen! Aber du hast ihn schon immer gehasst. Du warst neidisch auf ihn …“

„Ich hatte nicht den geringsten Grund, ihn zu mögen“, unterbrach er sie. „Aber neidisch war ich nie auf ihn. Er hatte nichts, was ich haben wollte. Damals.“

„Aber jetzt willst du The Grange. Also hast du es ihm irgendwie gestohlen. Nun“, sie sah ihn verächtlich an, „einmal ein Dieb, immer ein Dieb.“

„Wie bedauernswert engstirnig du doch geworden bist, Adrien. Wahrscheinlich durch den Umgang mit Mr. Mendoza. Aber ich bin sicher, du wirst dich davon erholen.“

„Warum sollte ich? Oder glaubst du wirklich, ich ließe Piers fallen, nur weil ihm The Grange nicht mehr gehört? Wir bleiben zusammen, ganz gleich, was auch passiert. Sobald ich wieder zu Hause bin, rufe ich ihn an und …“

„Bedenke die Zeitverschiebung.“ Er sah auf seine Armbanduhr. „In Brasilien ist es noch mitten in der Nacht. Und du willst ihn doch nicht in den Flitterwochen stören, oder?“

Die plötzliche Stille im Raum hüllte Adrien ein, drückte ihr das Herz zusammen. Benommen starrte sie den Mann vor sich an. Sein Bild begann sich zu verzerren, die dunklen Konturen lösten sich auf …

„Setz dich.“ Der Befehl kam von ihm. „Halte den Kopf zwischen die Knie, und atme tief durch.“

Sie gehorchte, weil ihre Beine sie auf einmal nicht mehr trugen.

„Du lügst“, sagte sie nach dem Schwindelanfall.

„Nein, es ist die Wahrheit. Piers ist in Portugal mit einem Mädchen ausgegangen, und dann wurde sie schwanger. Ihr Vater, ein einflussreicher Brasilianer, bestand auf einer Heirat. Und für Piers bedeutete das wohl eine sicherere Option als London oder Lissabon.“ Er hielt inne. „Glaub mir, es macht mir keinen Spaß, dir das mitteilen zu müssen.“

Böse funkelte sie ihn an. „Nein, das glaube ich dir nicht. Du hast lange auf deine Rache gewartet, weil du damals meinetwegen weggeschickt wurdest. Hätte man dich doch eingesperrt!“

„Nur eingesperrt?“, hakte er spöttisch nach. „Ich dachte, deiner Ansicht nach sollte ich besser in der Hölle schmoren.“

„Die Hölle ist noch zu gut für dich!“ Sie stand auf und schwankte prompt.

„Vorsicht.“ Er wollte nach ihrem Arm fassen, doch sie zuckte zurück.

„Fass mich nicht an!“, stieß sie heiser aus. „Wage es nicht, Chay Haddon!“

„Erst Anschuldigungen und jetzt eine Herausforderung.“ Ein dünnes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Zu schade, dass ich weder Zeit noch Lust habe, darauf einzugehen. Im Moment nicht. Ich nehme an, dass du unser Treffen liebend gern beenden willst. Darf ich fragen, was du zu tun gedenkst?“

„Ich rufe Piers an und rede mit ihm. Dann wird sich zeigen, was für ein Lügner und Betrüger du bist!“

„Mit dem ‚Betrüger‘ wäre ich an deiner Stelle vorsichtig, Adrien“, sagte er grimmig. „Vor allem, da du selbst überall hier in der Gegend offene Rechnungen ausstehen hast. Und komm gar nicht erst auf den Gedanken, dich nach Brasilien abzusetzen, mal davon ausgehend, du könntest irgendwo das Geld für das Flugticket auftreiben. Deine Gläubiger wären sicher nicht begeistert, und Piers’ Frau noch weniger.“ Höflich hielt er ihr die Tür auf. „Man sieht sich.“

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, stolzierte Adrien an ihm vorbei. Sie hörte Mr. Davidson nach ihr rufen, doch auch ihn ignorierte sie.

Nur ein Gedanken beherrschte sie – Piers zu erreichen. Sie musste unbedingt mit ihm reden. Um diese ungeheuerliche Anschuldigung zu widerlegen, die Chay Haddon ihr aufgetischt hatte.

Nichts anderes zählte mehr.

Die nächste Stunde glich einem Albtraum. Piers’ Faxanschluss in Portugal existierte nicht mehr, und auch seine E-Mail-Adresse war abgemeldet. Adrien wählte seine Telefonnummer, doch niemand meldete sich.

Immer mehr drohte die Panik sie zu überwältigen. Sie gab jede Nummer in ihr Telefon ein, die Piers ihr je gegeben hatte. Irgendwann nahm tatsächlich jemand ab, ein fremder Mann, der nur gebrochen Englisch sprach. Als sie nach Piers fragte und er ihr begreiflich machte, dass Piers für den Rest seines Lebens in Brasilien weilte, lachten Stimmen im Hintergrund, als hätte er einen exzellenten Witz gemacht. Und auf sein „Viel Glück“ folgte eine weitere Lachsalve.

Mit hämmerndem Herzen legte Adrien das Telefon ab. So unfassbar es auch sein mochte, Chay Haddon sagte die Wahrheit. Piers hatte ihm The Grange verkauft und war verschwunden.

Eine Welle des Schmerzes wollte über ihr zusammenschlagen, doch sie drängte sie zurück. Für persönliches Elend fehlte ihr im Moment die Zeit, es gab viel wichtigere Dinge zu überdenken.

Dank Piers steckte sie bis zum Hals in Schulden, weit über ihre Hypothek und den aufgenommenen Kredit hinaus. Überall hier in der Gegend gab es Leute, die Geld für geleistete Arbeit von ihr bekommen sollten, und Adrien besaß nicht die Mittel, um sie zu bezahlen.

Benommen sah sie sich in dem kleinen Salon um, betrachtete die vertrauten Möbel und Gegenstände. Das Cottage war immer Teil ihres Lebens gewesen, doch bald wäre es wohl verloren. Zusammen mit ihrer Firma.

Sie machte sich keine Illusionen über den Ausgang der Katastrophe. Ihr stand der Bankrott bevor, und dieser Bankrott zöge alle um sie herum in Mitleidenschaft. Zelda und Smudge würden ihr Zuhause verlieren. Die Frauen, die für sie arbeiteten, mussten entlassen werden.

Und das alles nur, weil sie sich verliebt hatte.

Sie hatte Piers vertraut, und er hatte sie hinterlistig und skrupellos getäuscht. Ihr Name stand auf einem überzogenen Konto, sie allein trug die Verantwortung. Sie hielt nichts Schriftliches in Händen, keine Vereinbarung mit Piers, also hatte sie auch keinerlei rechtliche Handhabe gegen ihn, selbst wenn man seiner in Brasilien habhaft werden sollte. Ihre Naivität konnte sie jetzt alles kosten.

Wie ferngesteuert ging sie in die Küche und brühte sich einen starken Kaffee. Um das Ausmaß des Verlusts festzustellen, brauchte sie einen klaren Kopf. Sie musste die genaue Höhe ihrer Verpflichtungen herausfinden und wissen, welche Aufträge bei „A-Z Design“ anstanden.

Außerdem müsste sie zu Mr. Davidson zurückkehren und auch mit ihrer eigenen Bank reden. Versuchen, noch mehr Geld aufzunehmen, und sich dann Schritt für Schritt aus den Schwierigkeiten herausarbeiten.

Leicht würde es nicht, aber irgendwo musste sie ja anfangen und versuchen, das Schlimmste abzuwenden, bevor Zelda und den anderen die Gerüchte zu Ohren kamen, die bestimmt schon kursierten.

Ich darf sie nicht im Stich lassen, sie hängen alle von mir ab …

Adrien holte Block und Stift und begann, sich Notizen zu machen …

Bis zum Mittag hatten sich Adriens schlimmste Befürchtungen bestätigt.

Ihr eigener Bankmanager, so viel Verständnis er auch für ihre Lage zeigte, konnte ihr nur mitteilen, dass ihr Kreditrahmen völlig ausgelastet war. Und Mr. Davidson schaute nur über seinen Brillenrand und fragte, wie sie gedenke, das unzulässige Minus auf ihrem Konto auszugleichen.

Schlimmer noch … beide rieten ihr, sich mit einem Insolvenzberater in Verbindung zu setzen. Und erinnerten sie daran, dass sie ihre persönliche Habe sofort aus dem Haus zu entfernen und den Schlüssel an Mr. Haddons Anwälte zu übergeben hätte.

Innerhalb weniger Stunden hatte Adrien sich von einer glücklichen jungen Frau, die einer rosigen Zukunft entgegenblickte, in eine groteske Marionette verwandelt, an deren Fäden andere zogen.

Das Schlimmste an dieser Erkenntnis jedoch, das, was ihr Übelkeit verursachte und ihre Haut zum Brennen brachte, war die Tatsache, dass Chay Haddon die Fäden in den Händen hielt.

Jede Begegnung mit ihm brachte ein Trauma für sie mit sich. Wieso war er zurückgekommen? Seine Erinnerungen an The Grange konnten unmöglich glückliche sein. Der Sohn der Haushälterin, zuerst ins Internat geschickt, nachdem er sie auf dem Baumhaus festgesetzt hatte, und nach dem Diebstahl der Kette auf immer des Hauses verwiesen.

Wollte er etwa späte Rache an Angus Stretton üben? Weil Mr. Stretton nicht nur ihn davongejagt, sondern auch seine Mutter entlassen hatte, die der Familie so lange Jahre treu und redlich gedient hatte?

Im Grunde sogar verständlich. Adrien schlang zitternd die Arme um sich. Piers hatte sein Erbe verloren, und sie … sie stand vor den Scherben ihrer Beziehung und dem finanziellen Ruin.

Der Dieb war als Räuberbaron zurückgekehrt.

Wildhurst Grange lag in der strahlenden Nachmittagssonne, die Ziegelsteine schimmerten sanft.

Adrien schluckte tapfer den Kloß in ihrer Kehle hinunter und fuhr um das Haus. Zu ihrer Erleichterung sah sie keinen anderen Wagen auf dem Anwesen.

Sieh dich nicht um, hol nur deine Sachen aus dem Haus.

Wenn sie bisher durch die große Eingangshalle und die breiten Treppen hinaufgelaufen war, hatte der warme Schimmer des Besitzerstolzes in ihr geglüht. Jetzt fühlte sie nicht einmal einen Funken Befriedigung über gut geleistete Arbeit.

Chay Haddon bekam nicht nur ein renoviertes Haus. Mit dem Haus bekam er auch all die Hingabe und Mühe, die sie hineingesteckt hatte.

All ihre Liebe.

Plötzlich schluchzte sie auf, sie brachte es nicht über sich, das Haus zu betreten. Stattdessen drehte sie sich auf dem Absatz um und hastete über den Rasen, den Kiesweg entlang zu dem einstigen Nutzgarten, wo jetzt nur Unkraut wucherte. Sie zwang sich, nicht an die Vorfreude zu denken, die sie bei dem Gedanken empfunden hatte, dieses Stück Land wieder urbar zu machen und eigenes Gemüse zu ernten, sondern rannte weiter durch das Gartentor, hin zu dem Wald, der hinter dem Haus lag.

Seit sechzehn Jahren hatte sie diesen Teil des Anwesens bewusst gemieden. Doch jetzt, in dieser Lebenskrise, bekam sie plötzlich das Gefühl, sie müsse sich ihren Kindheitsängsten stellen und sie ein für alle Mal besiegen.

Adrien suchte nach einer alten Eiche, der einzigen Eiche im Wald, mit weit ausladenden Ästen, stark genug, um ein Baumhaus zu tragen.

Wo treibt sich der Haddon-Junge eigentlich den ganzen Tag herum? Piers’ Stimme kehrte durch die Jahre zurück. Wo versteckt er sich? Weißt du das?

Und sie, erpicht darauf, den dunkelhaarigen, gut aussehenden Jungen, der zum ersten Mal seinen Onkel besuchte, zu beeindrucken, zeigte es ihm, wohl wissend, dass sie dieses Geheimnis nicht verraten dürfte.

Sie kannte das Baumhaus, weil Chay ihr davon erzählt hatte, als er sie einmal durch sein Fernglas sehen ließ. Er erzählte ihr auch, dass er dort hinaufkletterte, um Vögel zu beobachten. Oder um allein zu sein und über Dinge nachzudenken. Er hatte Bücher dort oben, einen Zeichenblock und Stifte und eine alte Keksdose.

Einmal fragte sie ihn: „Ist es denn nicht unheimlich, so ganz allein dort oben zu sitzen?“

Daraufhin sah er sie mit ernstem Gesicht an. „Manchmal ist es gut, allein zu sein. Man muss mit sich selbst zurechtkommen, bevor man in der Gesellschaft anderer glücklich sein kann.“

Damals verstand sie seine Worte nicht, und das musste sich auf ihrem jungen Gesicht widerspiegeln, denn er lachte und zupfte leicht an einem ihrer Zöpfe. „Ist die Vorstellung denn so schrecklich, niemanden zu haben, mit dem man reden kann?“

„Ich würde mich da oben fürchten.“ Der Wind hatte in den Blättern geraschelt. „So ganz allein.“

Ich selbst habe es ihm damals gesagt, dachte sie jetzt, ich habe ihm die Waffe in die Hand gegeben, um mich zu bestrafen, weil ich sein Geheimnis verraten habe.

Adrien fand die Eiche, allerdings ohne Leiter und Baumhaus und auch ohne eine Spur von dem kleinen Mädchen, das weinend und zitternd auf der Plattform hockte. Heute stand dort einfach nur ein großer alter Baum.

„Es ist schon lange weg“, erklang eine Stimme hinter ihr. „Angus hat damals den Gärtner beauftragt, es abzubrechen und zu verbrennen. Ich musste dabei zusehen.“

Adrien wirbelte erschreckt herum. Sie hatte Chay nicht kommen hören. „Was tust du hier?“

„Schon vergessen? Mir gehört das Anwesen.“ Er musterte sie, in ihrem eleganten grauen Leinenkostüm und der weißen Seidenbluse. „Was ist aus der frechen Göre von heute Morgen geworden?“

„Die ist erwachsen geworden“, antwortete sie knapp. „Ich meinte, woher wusstest du, wo du mich findest? Ich komme nie hierher.“

„Dein Jeep parkt vor dem Haus, aber die Tür ist verschlossen. Da bin ich meinem Instinkt gefolgt.“

Wahrscheinlich hätte sie das Gleiche getan, und genau das wurmte sie. Sie hob das Kinn. „Ich dringe hier unbefugt ein, dafür muss ich mich entschuldigen. Ich wollte nur meine Sachen abholen.“

„Du hast im Wald campiert? Sehr couragiert.“

„Nein, es ist alles im Haus. Ich hole es jetzt, wenn du nichts dagegen hast.“

Er zuckte mit den Schultern. „Bitte, bedien dich.“

Sie bedachte ihn mit einem kühlen Lächeln. „Das hieße wohl, die Gastfreundschaft zu weit zu treiben.“

„Um genau zu sein, lebst du bereits seit über einer Woche unter meinem Dach.“

Mit weichen Knien ging sie den Pfad zurück Richtung Haus. „Der Verkauf liegt schon eine Woche zurück? Und man hat mir nichts gesagt? Oh, ich nehme an, das ist alles in Portugal passiert.“

„Nein. Ich war in London. Piers übrigens auch. Er kam, um die Papiere zu unterzeichnen, und ist dann nach Brasilien geflogen.“

Das verschlug ihr die Sprache. Piers war in England gewesen, und sie wusste nichts davon. Er hatte sich nicht mit ihr in Verbindung gesetzt, sie nicht gewarnt. Am liebsten wäre sie in die Knie gesunken und hätte ihr Elend laut herausgeschrien.

Chay ließ sie nicht aus den Augen. „Offensichtlich hat er sich nicht bei dir gemeldet.“

Aber er hatte ja schon heute Morgen ihren Schock miterlebt und wusste bereits, wie sie getäuscht worden war.

Adrien reckte die Schultern. „Eigentlich verständlich. Ich hätte es nicht sonderlich gut aufgenommen – zu erfahren, dass ich sitzen gelassen worden bin und zudem mit einem Berg Schulden. Da ist es besser, wenn ich es erst höre, wenn er in sicherer Entfernung ist. Brasilien kann man wohl eine sichere Entfernung nennen. Außerdem muss es dir doch enormen Spaß gemacht haben, mir die Nachricht zu überbringen.“

Ein Muskel zuckte in seinem Gesicht. „Du hast eine seltsame Vorstellung davon, was mir Spaß macht.“

Abrupt drehte sie sich zu ihm um. „Du brauchst mir nicht zu folgen. Ich habe zwar jeden Penny nötig, den ich kriegen kann, aber ich gedenke nicht, das Haus auszurauben.“

„Mach dich nicht lächerlich, wir haben nur zufällig den gleichen Weg.“

„Nein! Nein, den haben wir nicht und werden ihn niemals haben. Könntest du bitte irgendwo warten, während ich meine Sachen zusammensuche? Dann verschwinde ich so schnell wie möglich.“

„Tut mir leid.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich will mir ansehen, was fertig ist und was nicht.“

„Steht alles in einer Datei auf dem Computer. Ich schicke dir einen Ausdruck.“

„Das ist sicherlich nützlich.“ Er ging neben ihr. Der Pfad war nur schmal, und Adrien konzentrierte sich darauf, Chay nicht zufällig zu berühren. „Aber ich ziehe eine persönliche Führung mit detaillierten Erklärungen von der verantwortlichen Person vor. In diesem Falle also von dir.“

Sie blieb stehen und schnappte empört nach Luft. Sie hatte The Grange als Heim für sich und Piers eingerichtet, all ihre Träume und Hoffnungen waren in jeden Raum geflossen. Das alles jetzt Chay zu zeigen hieße, sich vor ihm völlig zu entblößen.

„Ich habe einen besseren Vorschlag. Heuere ein anderes Team an, das die Arbeiten zu Ende bringt. Obwohl, wahrscheinlich könntest du The Grange schon jetzt verkaufen und einen ansehnlichen Profit herausschlagen.“

Er betrachtete sie mit undurchdringlichem Blick. „Wie kommst du darauf, dass ich verkaufen will?“

Nicht ich, sondern mein Steuerberater, dachte sie. Sie hatte Mark angerufen und sich – wie sie hoffte – ganz lässig nach Haddon Developments erkundigt.

„Chay Haddon ist ein Immobilienhai“, erklärte Mark ihr. „Er kauft Bauprojekte, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten, für einen Spottpreis auf, bringt die Arbeiten zu Ende und verkauft sie dann sofort wieder mit Megaprofit. Warum willst du das wissen?“

„Oh, jemand erwähnte zufällig seinen Namen“, wiegelte sie ab.

Mark lachte. „Freund oder Feind? Angeblich soll es gut sein, Haddon auf seiner Seite zu haben, aber als Gegner ist er mit äußerster Vorsicht zu genießen.“

„Danke für die Warnung“, sagte sie und fügte in Gedanken hinzu, dass sie sechzehn Jahre zu spät kam.

Jetzt sah sie ihren Gegner an. „Ist es nicht das, was du tust? Aufkaufen, aufräumen und verkaufen?“

„Nicht immer“, erwiderte Chay. „Dieses Mal nicht. Ich will hier leben.“

„Aber das geht nicht!“ Die Worte platzten heraus, bevor sie nachdenken konnte.

„Warum nicht?“

„Du wohnst doch woanders.“ Die Information stammte ebenfalls von Mark. „Du hast ein Loft über der Themse und ein altes Bauernhaus in Suffolk.“

„Respekt, du hast deine Hausaufgaben gemacht. Sollte das mit der Innenarchitektur abflauen, kannst du immer noch zum Nachrichtendienst gehen.“

„Ein Junge aus dem Dorf schafft es ganz nach oben. So etwas ist immer ein gefundenes Fressen für lokale Schlagzeilen. Selbst wenn es sich um den Sohn der Haushälterin handelt.“

„Vor allem, wenn es sich um den Sohn der Haushälterin handelt“, korrigierte er spöttisch.

Sie warf ihm nur einen giftigen Blick zu und ging weiter.

„Ich habe das von deinen Eltern gehört“, sagte er leise neben ihr. „Mein Beileid. Ich weiß, wie nahe ihr euch standet.“

„Ich bin also nicht die Einzige, die ihre Hausaufgaben gemacht hat“, erwiderte sie, und damit legten sie den Rest des Weges in Schweigen zurück.

Vor dem Haus blieb Adrien stehen und holte tief Luft. „Wenn es dir lieber ist, dich allein umzusehen, komme ich ein andermal, um meine Sachen abzuholen.“

„Nein, hol sie ruhig jetzt. Das heißt, wenn du wirklich nicht mit mir herumgehen willst.“

„Nein, wirklich nicht. Außerdem bist du doch der Experte. Da brauchst du mich nicht, um dich auf Dinge aufmerksam zu machen.“ Sie trat über die Schwelle. „Ich finde den Weg allein hinaus, wenn ich fertig bin.“

Dann stieg Adrien die Treppe hinauf und ging zu dem Raum, in dem sie geschlafen hatte. Viel bewahrte sie hier nicht auf, ihre Tasche war schnell gepackt. Als sie gerade den Schlafsack zusammenrollte, erschien Chay im Türrahmen.

„Diesen Raum hast du also gewählt?“ Er sah sich um, sein Blick fixierte das schmale Campingbett. „Ich hätte ja gedacht, das große Schlafzimmer sei angebrachter für die Hausherrin. Ist es hier nicht ein bisschen eng für so viel Leidenschaft? Oder mag Piers es, wenn du stillhältst?“

Heiße Röte überzog ihre Wangen. „Du Ekel! Du hast doch keine Ahnung, von nichts! Piers und ich waren verlobt.“

„So?“ Flüchtig sah er auf ihre unberingten Finger. „Na, zumindest sparst du dir das Porto, wenn du ihm keinen Ring zurückschicken musst, zwecks … äh … Recycling.“

Jähe Stille breitete sich aus, dann sagte Adrien heiser: „Diese Bemerkung war völlig unnötig und unverzeihlich.“

„Ja“, stimmte er zu. „Aber zwischen uns gibt es so vieles, was unverzeihlich ist. Und unverziehen.“

Adrien hob ihre Reisetasche auf und wollte zum Zimmer hinausmarschieren, doch Chay blockierte die Tür.

„Lässt du mich bitte durch?“, sagte sie gepresst.

„Gleich. Aber erst möchte ich dir einen Vorschlag unterbreiten.“

Gott, er will mir vorschlagen, die Arbeiten am Haus zu Ende zu bringen. Es würde ihr das Herz brechen, es ständig vor Augen zu haben. Andererseits könnte sie mit dem Honorar die ersten Zahlungen an ihre Gläubiger leisten. Durfte sie sich eine solche Chance entgehen lassen?

„Und?“ Sie klang nicht sehr ermunternd und hasste es gleichzeitig, wie der Blick aus seinen grauen Augen ihren gefangen hielt, sodass sie weder wegschauen noch sich rühren konnte.

„Siehst du“, begann er leise. „Mir scheint, abgesehen von den noch zu erledigenden Arbeiten fehlt dem Haus etwas – eine Frau. Und mir übrigens auch. Du, meine süße Adrien, wärst die perfekte Kandidatin. Vielleicht können wir uns ja einigen. Nun, was hältst du davon?“

3. KAPITEL

„Das soll ein Witz sein“, sagte Adrien belegt.

„Lache ich etwa?“

Nein. Nein, Chay lachte nicht. Im Gegenteil, die grauen Augen blickten sie herausfordernd und kühl an, ja sogar unverschämt. Ohne das geringste Anzeichen eines Lächelns. So schockierend es sein mochte, er meinte es ernst.

„Nicht nur habe ich den Schaden, jetzt muss ich mich auch noch von dir beleidigen lassen.“ Sie wollte lachen, doch es blieb ihr in der Kehle stecken. „Die Jahre haben dir nichts anhaben können, was? Du bist immer noch der gleiche gemeine Kerl wie früher.“

Er lächelte dünn. „Eigentlich sehe ich mich eher als den edlen Ritter, der der holden Maid zur Rettung eilt.“

„So galant …“ Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus.

„Das nicht. Ich bin Geschäftsmann, und du behauptest, Geschäftsfrau zu sein. Du hast finanzielle Probleme, ich biete dir eine Lösung an.“ Er starrte auf ihre Lippen, dann wanderte sein Blick zu den Brüsten. „Einen ganz persönlichen Kredit, sozusagen.“

„Als Bankmanager sollte Mr. Davidson mehr Wert auf Diskretion legen“, zischte sie wütend.

„Der gute Mr. Davidson hat keinen Ton gesagt. Das brauchte er gar nicht, die Situation war offensichtlich. Und als ich heute Vormittag hier ankam, tauchten ein Putzer und ein Elektriker auf, mit unbezahlten Rechnungen. Ich wage zu behaupten, dass sie nur die Spitze des Eisbergs ausmachen. Du steckst also in gravierenden Schwierigkeiten.“

Adrien hob das Kinn. „Selbst wenn. Irgendwie werde ich schon damit fertig. Auf deine besondere Art von Ritterlichkeit kann ich verzichten.“

„Dann viel Glück“, wünschte er ihr geradezu liebenswürdig. „An deiner Stelle würde ich aber nicht mit einer Überweisung aus Brasilien rechnen. Vielleicht solltest du anfangen, Lotto zu spielen.“

„Du Fiesling! Du hast jetzt alles, was du willst, nicht wahr? Wie musst du diesen Triumph genießen!“

„Darauf habe ich auch lange genug gewartet. Sagt man nicht, Rache sei ein Gericht, das man am besten kalt serviere?“

„Erstick dran!“, schleuderte sie ihm entgegen. „Und jetzt lass mich gehen!“

Sofort gab er den Türrahmen frei. „Jederzeit. Oder meinst du, ich würde dich hier in Ketten als eine Art Sexsklavin halten? Was für eine blühende Fantasie du doch hast, meine Liebe.“

Er besaß sogar die Stirn, auch noch amüsiert zu klingen! Adrien kochte vor Wut. „Du brauchst gar nicht so harmlos zu tun! Was du mir gerade vorgeschlagen hast, läuft nicht unter normalen Geschäftsvereinbarungen.“

„Im Gegenteil. Für dich würde sich nur wenig ändern.“

Das meinte er wahrlich und wahrhaftig ernst, dachte sie fassungslos.

„Schließlich hast du ja bereits hier gelebt.“

„Kurzfristig.“

„Das könntest du nun ausdehnen. Und außerdem deine Schulden abzahlen und das Haus nach deinen Wünschen fertig gestalten. Du hättest Personal, das sich um den Haushalt kümmert, während du weiterhin dein Geschäft führst. Und wenn ich Gäste einlade, übernimmst du die Rolle der Gastgeberin.“

„Was denn, alles ganz ohne Gegenleistung?“, fragte sie beißend.

„Nein, natürlich nicht. Ich bin geschäftlich viel unterwegs. Auf manchen Reisen erwarte ich, dass du mich begleitest, doch nicht bei allen.“

„Diese Unterhaltung ist völlig aberwitzig.“ Entgeistert starrte sie ihn an.

„Ich lege nur gern die Regeln fest, bevor ich mich auf ein Unternehmen einlasse“, meinte er sachlich. „Wenn ich unterwegs bin, kannst du kommen und gehen, wie du willst. Du kannst Freunde einladen, dein Leben leben.“

„Das hört sich zu schön an, um wahr zu sein. Problematisch ist nur, du kommst nach den Geschäftsreisen immer wieder zurück, nicht wahr?“

„Natürlich.“ Er lächelte dünn.

„Und dann? Was erwartest du dann?“

„Du bist kein Kind mehr, Adrien.“ Plötzlich klang seine Stimme hart. „Oder ein romantischer Teenager, der von der ersten Liebe träumt. Dann erwarte ich, dass du deinen Teil des Deals erfüllst.“

„Allein bei der Vorstellung wird mir übel“, spie sie aus.

„Früher einmal hast du anders gedacht“, meinte er leise.

„Was willst du damit andeuten?“

„Es war dein Geburtstag, dein achtzehnter“, sagte er leise. „Deine Augen strahlten wie Sterne. Als ich dir gratuliert habe, bist du mir um den Hals geflogen und hast mir deine Lippen zum Kuss angeboten. Schon vergessen?“

Adrien schwieg lange. Dann sagte sie: „Ein kurzer Moment der Verwirrung, der lange zurückliegt.“

„Also erinnerst du dich?“ Nachdenklich schaute er auf ihre Lippen, als müsse auch er jetzt daran denken, und ihre Haut begann plötzlich zu prickeln.

„Außerdem war das, bevor ich herausfand, was für ein hinterhältiger und gemeiner Dieb du bist.“

„Nun, zumindest machen wir uns dann keine Illusionen übereinander, nicht wahr? Das sind doch die besten Voraussetzungen für diese Verbindung, meinst du nicht auch?“

„Meine Meinung interessiert dich doch gar nicht. Und dank dir habe ich auch keine Zukunft mehr.“

„Wie kommst du darauf?“

„Du sagst, ich kann mein Leben leben, aber was für ein Leben würde ich denn führen, wenn ich hierbliebe als die Frau, die du dir hältst? Wer würde sich danach noch mit mir einlassen?“

„Unsinn. Du bist doch keine viktorianische Jungfrau, auf immer ruiniert vom bösen Pachtherrn. Welche Bedeutung sollte es schon für die anderen haben?“

„Für die anderen vielleicht nicht, aber für mich.“

„Bei Piers Mendoza hat es dir nichts ausgemacht, dich zu verkaufen.“

Diese verächtliche Bemerkung versetzte Adrien in Rage. Sie holte aus und wollte ihn ohrfeigen, doch er fing ihr Handgelenk ab und hielt es mit hartem Griff.

„Die Göre mag erwachsen geworden sein, doch ihr Temperament hat sie noch immer nicht unter Kontrolle. Du solltest lernen, dich besser zu beherrschen. Nur weil du eine Frau bist, darfst du dir nicht alles erlauben.“ Damit ließ er sie los.

Sie rieb sich die Stelle, wo seine Finger zugepackt hatten, und funkelte ihn wütend an. „Ich dachte, das ist genau das, worauf du es abgesehen hast.“

„Mag sein, aber zu meinen Bedingungen, nicht zu deinen“, erwiderte er kalt.

„Die ich nicht akzeptiere. Kauf dir jemand anders, der dir dein Bett wärmt! Ich werde es jedenfalls nicht tun.“

„Natürlich, das bleibt dir überlassen, Adrien. Geh ruhig, such nach anderen Möglichkeiten. Aber wundere dich nicht, wenn alle Wege zurück zu mir führen.“

„Das hättest du wohl gern. Aber wenn ich mich schon erniedrigen muss, dann tue ich es auf meine Art.“

„Wie du wünschst.“ Er hielt inne. „Mein Angebot steht, allerdings nur für eine Weile. Solltest du also deine Meinung ändern, lass dir nicht zu viel Zeit. Du erreichst mich im ‚King’s Arms‘.“

„Was denn? Im Hotel? Ich hätte gedacht, der neue Herr des Hauses würde sich sofort auf seinem Besitz niederlassen.“

Spöttisch sah Chay zu dem Campingbett. „Ich ziehe Bequemlichkeit vor, Darling. Und Bewegungsfreiheit.“ Er lachte leise, als sie rot anlief. „Ich erwarte deinen Anruf.“

„Da kannst du lange warten.“ Mit geradem Rücken marschierte sie an ihm vorbei.

„Du kommst zurück.“

„Niemals.“

„Und wenn es nur ist, um die hier abzuholen.“

Adrien schwang herum. Vor lauter Wut hatte sie glatt vergessen, ihre Reisetasche mitzunehmen! Und er stand da und hielt sie hoch, ein Grinsen auf den Lippen.

„Hier, fang.“ Damit warf er ihr die Tasche zu.

Nicht gerade elegant erwischte sie die Tasche. Mit einem letzten vernichtenden Blick auf ihn drehte sie sich wieder um und ging zur Treppe.

Immer schön langsam, ermahnte sie sich. Er darf nicht merken, dass er dir unter die Haut geht.

Trotz des festen Vorsatzes zitterte sie, als sie endlich in ihrem Jeep saß. Ihre Finger umklammerten das Lenkrad, während sie versuchte, sich zu beruhigen.

Irgendetwas musste sie doch tun können, sie musste einen Ausweg finden. Aber zuallererst wollte sie nur weg von hier. Sie gönnte Chay die Befriedigung nicht, sie hier wie erstarrt hinter dem Steuer sitzen zu sehen.

Mit eiserner Konzentration fuhr Adrien nach Hause. Sie entspannte sich erst, als sie auf die Einfahrt des Cottage bog. Als sie den Motor abstellte, kam eine Gruppe Frauen aus dem Werkraum und winkte ihr fröhlich zu.

Schon bald werde ich sie nach Hause schicken müssen, dachte Adrien niedergeschlagen, während sie den Gruß erwiderte. Als sie aus dem Jeep stieg, rollte ihr ein Fußball vor die Füße, und gleich darauf kam Smudge angerannt, das sonst eher blasse Gesichtchen leuchtend vor Aufregung.

„Adrien, rate mal! Wir kriegen einen Hund. Mum hat gesagt, jetzt am Wochenende gehen wir und suchen uns einen aus!“

Eine eiskalte Hand griff nach ihr, doch sie zwang sich zu einem Lächeln. „Na, das ist ja toll.“

Schon vor zwei Wochen hatte Zelda Adrien gefragt, ob sie etwas dagegen hätte, wenn sie einen Hund anschafften. „Smudge möchte so gern einen Hund haben, und ich auch. Mein Dad hat keine Haustiere erlaubt.“

„Was soll es denn sein?“, fragte Adrien. „Hast du an eine bestimmte Rasse gedacht?“

„Oh, eine reinrassige Promenadenmischung“, erwiderte Zelda lachend. „Im Tierheim ist gerade ein ganzer Wurf abgegeben worden.“

Ich muss mit Zelda reden, dachte Adrien mit sinkendem Mut. Sie vorwarnen, dass sie vielleicht nicht mehr lange hierbleiben kann. Weil das Cottage möglicherweise zwangsversteigert wird.

Die Tür zu Zeldas kleiner Wohnung stand weit offen, der Duft von frischem Kaffee hing in der Luft. Zelda stand an der Küchenanrichte und putzte Gemüse. Als Adrien den Kopf durch die Tür steckte, sah sie mit einem Lächeln auf.

„Hi. Ich hab schon gesehen, dass Smudge dich überfallen hat. Ist das noch immer okay mit dem Hund?“ Sie bedeutete Adrien, sich zu setzen, und nahm zwei Kaffeebecher aus dem Schrank.

Die Küche aus Fichtenholz strahlte eine wunderbar gemütliche Atmosphäre aus. Bei den Stoffen hatte Zelda satte Erdtöne gewählt, die gut zum Steinboden passten. Überall hingen Smudges Zeichnungen an den terrakottafarbenen Wänden. Viele von ihnen, so bemerkte Adrien jetzt mit einem schmerzhaften Stich, zeigten kleine Hunde.

Zeldas dunkles Haar stand nicht mehr wirr ab, sondern war zu einer feschen Frisur geschnitten. Sie trug schwarze Leggings und eine weite Tunika – ihre Arbeitsmontur, in der sie schick und entspannt wirkte, wie eine Frau, die die Kontrolle über ihr Leben in der Hand hielt. Was würde mit ihrem frisch entwickelten Selbstbewusstsein passieren, wenn sie zurück ins Elternhaus ziehen musste, zurück zu den ständigen Nörgeleien und Einschränkungen ihres Vaters?

Und wie würde Smudge damit fertig werden? Bei ihrer ersten Begegnung war er ein stiller, in sich zurückgezogener Junge gewesen. Ein Kind, das kein eigenes Zimmer kannte. Das nie im Garten spielen durfte, weil es ja die preisgekrönten Begonien zertreten könnte, die sein Großvater jedes Jahr stolz in der hiesigen Gartenschau ausstellte.

„Alles in Ordnung mit dir?“ Zelda sah Adrien forschend an. „Du bist so still.“

„Mir geht im Moment vieles im Kopf herum.“

„Kann ich mir vorstellen.“ Zelda grinste. „The Grange muss fertig werden … und dann ist da ja auch noch die Hochzeitsplanung. Meinst du, du kannst das Westbrook Hotel da noch irgendwie hineinquetschen? Sie haben nämlich meinen Kostenvoranschlag für die Vorhänge und Tagesdecken in den Zimmern akzeptiert, aber jetzt wollen sie auch noch die Lounge und den Speisesaal verändern. Maisie Reed sagt, sie kann die Regency-Streifen nicht mehr sehen. Ich habe ihnen zugesichert, dass du dich mit ihnen in Verbindung setzt.“

„Ja, natürlich. Zu wann brauchen sie es denn?“ Wenn sie sich schon im Herbst um den neuen Auftrag kümmerten, könnte Adrien ihre Gläubiger vielleicht eine Weile beruhigen. Dann hätte sie auch mehr Zeit, um eine Lösung zu finden.

„Sie wollen im Januar und Februar schließen, um Ostern die große Wiedereröffnung zu feiern. Es wäre eine prima Werbung für uns.“

„Ja“, murmelte Adrien. „Stimmt.“

„Du schäumst ja richtig über vor Begeisterung“, frotzelte Zelda und kam mit Kaffeekanne und Milch an den Tisch. Dann allerdings wurde sie ernst. „Weißt du, da draußen existiert eine große, weite Welt außerhalb The Grange. Und die brauchen wir auch.“

„Du hast ja recht.“ Adrien wappnete sich. „Es ist nur … es gibt ein Problem.“

„Ein größeres oder kleineres?“

„Ein ziemlich großes sogar.“ Sie nahm einen Schluck Kaffee, um ihren Mut zu sammeln. „The Grange ist verkauft worden. An einen Immobilienspekulanten namens Chay Haddon.“

„Der es abreißen und auf dem Gelände einen Vergnügungspark bauen will.“ Zelda griff über den Tisch nach Adriens Hand. „Oh Liebes, das tut mir so leid. Ich weiß, wie du dich fühlen musst.“ Sie hielt inne und kniff die Augen zusammen. „Wann hat Piers es dir gesagt?“

„Gar nicht.“ Adrien zog die Hand zurück und umklammerte den Kaffeebecher. „Das hat er bequemerweise Chay Haddon überlassen. Und dem Bankmanager.“

Zelda schnappte nach Luft. „Und wo ist Piers jetzt?“

„In Brasilien. Wie ich gehört habe, macht er gerade Flitterwochen.“

„Ach du großer Gott!“ Zelda schwieg nachdenklich, bevor sie vorsichtig sagte: „Weißt du, du willst das bestimmt nicht hören, aber … meiner Meinung nach bist du ohne ihn besser dran, wirklich. Wer ist die andere?“

„Irgendeine reiche Brasilianerin. Ich nehme an, er steckt in finanziellen Schwierigkeiten.“

Einen langen Moment sah Zelda sie eindringlich an. „Ist es wirklich so schlimm, wie es sich anhört?“

„Schlimmer.“ Adrien brauchte noch einen Schluck Kaffee, bevor sie weiterreden konnte. „Piers zahlt nichts mehr auf das Konto ein, und die Bank hat die Schecks platzen lassen. Da das Konto auf meinen Namen läuft, bin ich verantwortlich. Ich … ich bin pleite.“

Zeldas Gesicht verlor alle Farbe, wodurch die Sommersprossen auf ihrer Nase umso stärker hervortraten. „Und der neue Eigentümer … muss er dann nicht die ausstehenden Rechnungen übernehmen?“

„Nein.“ Adrien kaute an ihrer Lippe. „Und außerdem habe ich das Grange-Projekt aufgegeben. Er bricht das Haus nicht ab, sondern will darin wohnen.“ Sie lächelte schief. „Da wäre mir ein Abriss lieber.“

„Chay Haddon“, meinte Zelda nachdenklich. „Der Name kommt mir bekannt vor.“

„Er hat früher auf The Grange gelebt. Seine Mutter war Mr. Strettons Haushälterin.“

„Ja, jetzt erinnere ich mich. Er kam manchmal in die Stadt. Blond, sexy, aber nicht sehr gesprächig.“

„Nun, in der Beziehung hat er aufgeholt“, lautete Adriens eisiger Kommentar.

„Aber dann musst du ihn doch gut kennen, oder?“

„Schon. Doch wir waren nie … Freunde.“ Aber für eine Weile, damals als kleines Mädchen, war er ihr Held.

„Zu schade. Hätte von Vorteil sein können.“ Zelda sah sich in ihrem Heim um und schluckte unmerklich. „Also, was machen wir jetzt? Alles abstoßen und wieder bei null anfangen?“

„So schlimm kommt es hoffentlich nicht“, beeilte Adrien sich zu sagen. „Ich finde schon eine Lösung. Ich wollte es dir nur sagen, bevor du es von anderen hörst.“

„Ja, sicher.“ Zelda lächelte bemüht. „Danke.“

Als hätte jemand ein Licht in ihr ausgeschaltet, dachte Adrien bedrückt, als sie zum Cottage hinüberging. Und Smudges Enttäuschung schmerzte sie noch mehr. Als er hereinkam und aufgeregt über den neuen Hund plapperte, der ja nun bald käme, da legte Zelda einen Arm um seine Schultern und erklärte ihm sanft, dass er vielleicht doch noch etwas länger auf den Hund warten müsse. Die meisten Kinder hätten aufbegehrt, doch Smudge sagte keinen Ton. Sein kleines Gesicht verschloss sich, und mit stoischem Schweigen akzeptierte er die schlechte Nachricht, so als wären Enttäuschungen nichts Neues für ihn.

So sollte es nicht sein, das hat er nicht verdient, dachte Adrien ärgerlich. Und Zelda auch nicht.

Es wunderte sie nicht, dass das Licht am Anrufbeantworter blinkte. Die Handwerksfirmen wollten wissen, wann sie mit ihrem Geld rechnen konnten, und einige Anrufer klangen ziemlich aggressiv.

Solange sie ihnen keine Lösung anbieten konnte, machte es keinen Sinn zurückzurufen. Und im Moment gab es keinen Ausweg. Zumindest keinen, den sie ernsthaft zu überdenken gedachte.

Also versuchte sie noch einmal eine Liste aufzustellen, doch die Zahlen passten irgendwie nicht zusammen, und die Endsumme schockierte sie. Selbst wenn sie das Geschäft, einschließlich Zeldas Anteils, und das Cottage verkaufte, könnte sie die Forderungen nicht decken.

Ich bin ruiniert. Wir alle sind ruiniert. Und das ist Chay Haddons Schuld. Mit seiner Rückkehr hat er sich in unser Leben gedrängt. Zitternd schlang sie die Arme um sich. Piers, schrie sie in Gedanken gequält auf. Warum hast du nichts gesagt? Dann hätte ich die Arbeiten am Haus abgebrochen.

Er hat dich betrogen, nicht nur mit dem Geld, sondern auch mit einer anderen Frau, erinnerte eine kleine Stimme in ihrem Kopf sie. Diese Affäre in Portugal konnte sie nun wirklich nicht Chay Haddon anlasten. Sie sitzen zu lassen und eine andere zu heiraten, das lag allein in Piers’ Verantwortung.

Wie eine dunkle Welle schlug der Schmerz über ihr zusammen, machte ihr das Atmen schwer und ließ sie aufschluchzen. Mit letzter Kraft stolperte sie zu einem Stuhl am Tisch, sank darauf nieder und legte die Stirn auf die glatte Tischplatte.

Adrien weinte, bis keine Tränen mehr kamen, und blieb auch danach noch weiter zusammengesunken sitzen, während Schauer über ihren Rücken liefen. Sie fühlte sich ausgelaugt und leer. Als sie schließlich aufstand, trugen ihre Beine sie kaum mehr.

Kein Wunder, seit dem Frühstück hatte sie nichts gegessen. Und die beiden Scheiben Toast schienen zu einem anderen Leben zu gehören. Ich brauche jetzt etwas Stärkeres als Tee oder Kaffee, dachte sie plötzlich und ging in den Keller, um sich eine Flasche Weißwein zu holen. Mit Flasche, Korkenzieher und Glas setzte sie sich in einen Sessel vor dem offenen Kamin und lehnte den Kopf zurück an die Lehne.

Das Tageslicht schwand rapide, und abends wurde es bereits empfindlich kühl. Es riecht nach Herbst, sagten die Leute, hängten schwere Vorhänge an Fenster und Türen und zündeten das Feuer im Kamin an. Die Vorfreude auf Weihnachten wuchs, erste Pläne für die festliche Zeit entstanden. All die normalen Dinge eben …

In diesem Jahr wäre es nicht so, nicht für sie und auch nicht für Zelda. Ein einziger Tag reichte, um ihr Leben komplett aus den Fugen zu heben. Es gab keine Sicherheit mehr. Mit leerem Blick starrte Adrien vor sich hin und trank einen Schluck Wein. Das kühle, fruchtige Nass beruhigte ihre trockene Kehle.

Auf dem Regal neben dem Kamin, zwischen den Büchern, stand ein Radio. Adrien schaltete es ein und suchte einen Sender. Schon bald erfüllte klassische Musik den Raum – Debussys „Mädchen mit den goldenen Haaren“.

Mit geschlossenen Augen stellte Adrien sich das Mädchen vor. Sein goldenes Haar schimmerte im Sonnenlicht, während es über die Wiese auf ein solides altes Bauernhaus zulief. Vielleicht träumte es von seiner Hochzeit. Sein Leben verlief sicher und beständig und war voller Hoffnung.

Mir dagegen bleibt keine Hoffnung. Ich werde alles verlieren. Jeden Traum, den ich gehabt habe.

Vielleicht sollte ich mein Haar blond färben, dachte sie mit bitterer Selbstironie. Es hieß doch, Blondinen hätten mehr Spaß.

Adrien füllte ihr Glas nach.

So viele Pläne für ihre Zukunft hatten mit Piers zusammengehangen. Fast unmöglich, sich jetzt vorzustellen, dass er nicht mehr zu ihrem Leben gehörte.

Piers hatte sie betört, schon damals. Er sah blendend aus und war anders als die anderen. Und als Chay sie so schändlich behandelte, schenkte sie Piers ihr Vertrauen.

Ich war eine leichte Beute für ihn, dachte sie. Ich habe ihm alles geglaubt, ganz gleich, was er auch sagte.

Wie ein Tier war sie ihm blind in die Falle getappt.

Und jetzt fühlte sie sich wie ausgehöhlt, wie eine leere Hülle. Als wäre nichts mehr wichtig, als besäße sie nicht mehr die Fähigkeit zu fühlen und zu empfinden. Als existiere das Mädchen von früher nicht mehr.

Adrien trank das zweite Glas, spürte, wie der Wein wärmend durch ihre Adern floss. Und plötzlich sah sie ihre schwierige Lage mit neuer Klarheit.

Sie musste nicht als Verlierer dastehen. Sie hatte eine Wahl. Keine angenehme, aber eine ernstzunehmende Option.

Piers wollte sie nicht, aber es gab einen Mann, der sie wollte. Sie brauchte nur seinen Bedingungen zuzustimmen, und all ihre Probleme wären gelöst. Zumindest die meisten.

Chay hatte ihr eine geschäftliche Abmachung vorgeschlagen. Was hieß, dass sie keine Gefühle für ihn heucheln musste. Er konnte die leere Hülle haben, zu der sie geworden war. Denn etwas anderes gab es nicht mehr.

Adrien leerte das Glas, schenkte nach und starrte vor sich hin. Sie würde ihm zur Verfügung stehen. Für eine gewisse Zeit. Zu wissen, dass es sich um ein zeitlich begrenztes Arrangement mit absehbarem Ende handelte, wäre der einzige Weg, um die Tage – und die Nächte – zu ertragen.

Sie erschauerte. Das hörte sich so … so kaltblütig an. Aber der Vorschlag kam ja von ihm. Wenn sie darauf einginge, wären ihr Geschäft, das Haus, Zelda und Smudge wieder in Sicherheit.

Viele gute Gründe, um sich zu verkaufen. Und gegen jedes Prinzip zu verstoßen.

In ihrer Lage konnte sie sich keine Prinzipien leisten! Jetzt war pragmatisches Denken gefordert. Das Notwendige musste getan werden. Und ich sollte es sofort tun, bevor der Mut mich verlässt, setzte sie in Gedanken hinzu.

Adrien stand so hastig auf, dass ihr schwindelte, und ging zum Telefon. Sie wählte die Nummer vom King’s Arms, bevor sie Zeit hatte, es sich anders zu überlegen. Oder sich an ihre Vernunft zu erinnern.

Eine weibliche Stimme meldete sich höflich. „King’s Arms. Was kann ich für Sie tun?“

Adrien räusperte sich. „Ich würde gern mit Mr. Haddon sprechen.“

„Es tut mir leid, Madam, aber Mr. Haddon ist im Moment nicht im Haus. Kann ich ihm etwas ausrichten, wenn er zurückkommt?“

Sicher, sagen Sie ihm, dass ich mit ihm schlafe, wenn er die Rechnungen zahlt, dachte Adrien und fühlte ein hysterisches Kichern in ihrer Kehle aufsteigen. Sie riss sich zusammen. „Würden Sie ihm bitte sagen, dass Miss Lander angerufen hat?“

Autor

Emilie Rose
Ihre Liebe zu romantischen Geschichten hat Emilie bereits im Alter von zwölf Jahren entdeckt. Zu der Zeit las sie einen Liebesroman nach dem anderen, sodass ihre Mutter die Bücher bald unter den Sofakissen versteckte, sobald Emilie ins Wohnzimmer kam.

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