Cora Collection Band 52

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HÖCHSTGEBOT FÜR DIE LIEBE von SARAH MORGAN
Nach einer bitteren Enttäuschung will Libby Westerling nichts mehr von Männern wissen. Einzige Ausnahme: Für einen guten Zweck wird ein Rendezvous mit ihr versteigert. Das Höchstgebot gibt ausgerechnet Dr. Andreas Christakos ab – der neue Chefarzt, der ihr Herz gegen ihren Willen höherschlagen lässt ...

SO KÜSST NUR DR. BALFOUR von JOANNA NEIL
Chefarzt Jake Balfour scheint nicht viel von Carys Morgan zu halten, seit sie ihn mit einem Patienten verwechselt hat. Deshalb ist die junge Assistenzärztin erstaunt, dass er ihr seine Hilfe anbietet, als ihre Schwester einen Unfall hat. Noch mehr überrascht sie sein zärtlicher Kuss ...

HOFFNUNG FÜR SCHWESTER ISABELLA von MAGGIE KINGSLEY
Ihre fröhliche Urlaubslaune ist dahin, als Schwester Isabella nach Hause zurückkehrt: Ihr Freund Steve ist ausgezogen. Und in der Notaufnahme herrscht ein neuer Chef. Trotzdem findet sie diesen schroffen Dr. Ben Farrell aufregend. Er dagegen glaubt, dass ihr Herz immer noch Steve gehört ...


  • Erscheinungstag 13.05.2022
  • Bandnummer 52
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508742
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sarah Morgan, Joanna Neil, Maggie Kingsley

CORA COLLECTION BAND 52

1. KAPITEL

„Libby, du wirst heute Abend versteigert. Als Nummer sechzehn.“

Libby schaukelte das winzige Baby in ihrem Arm und starrte die Oberschwester entsetzt an. „Sag mir bitte, dass du das nicht ernst meinst.“

„Todernst.“ Beverly warf dem Baby einen Blick zu. „Wie geht’s der Kleinen denn?“

„Schon besser. Ich versuche jetzt, ihr was zu trinken zu geben.“ Libby griff nach der vorgewärmten Milchflasche. „Hör zu, Bev, ich werde bei dieser Auktion nicht mitmachen, das habe ich dir schon gesagt.“

„Aber das musst du.“ Beverly setzte sich neben die jüngere Kollegin. „Du bist die attraktivste Frau in der Klinik. Wir bekommen bestimmt eine Menge Geld für eine Verabredung mit dir.“

„Bitte, ich bin doch kein Preisschwein, das zum Verkauf angeboten wird.“

„Vergiss nicht, dass es für einen guten Zweck ist.“

„Ich finde es absolut entwürdigend, und ich weiß nicht, wie du überhaupt auf diese Idee gekommen bist.“ Libby verzog das Gesicht.

„Es war deine Idee“, erinnerte Bev sie liebenswürdig. „Aber ich glaube, das war bevor du dich wieder einmal für immer von der Männerwelt verabschiedet hattest. Wie auch immer, es wird ein toller Abend, alle sind schon ganz aufgeregt, und wir werden jede Menge Geld für unser neues Spielzimmer einnehmen und schon in Kürze die bestausgestattete Kinderstation der Welt haben.“

„Da muss ich wohl verrückt gewesen sein“, entgegnete Libby dem Enthusiasmus ihrer Kollegin. „Ich spende gerne etwas, aber ich werde nicht mitmachen.“ Sie wandte sich wieder dem Baby zu. „Komm Schätzchen, ein kleiner Schluck für Libby.“

„Es geht doch nicht nur um das Geld, sondern um die Stimmung. Du musst dabei sein, du bist doch meine Lieblingsschwester.“

„Oh, ich komme gerne zum Gucken.“ Zufrieden registrierte Libby, dass das Kind zu saugen begann. „Braves Mädchen.“

„Wir brauchen dich auf dem Laufsteg“, sagte Bev energisch. „Das ist doch eine wunderbare Gelegenheit, einen neuen Mann kennen zu lernen! Es werden jede Menge da sein – blond, braun, groß, klein. Das Angebot wird riesig sein!“

Ein neuer Mann?

Libby schüttelte sich. „Es spielt keine Rolle, wie sie aussehen, im Inneren sind sie doch alle gleich. Danke, ich habe kein Interesse.“

Sie würde sich nicht wieder mit einem Mann einlassen. Eine Frau mit Selbstachtung konnte nur ein gewisses Maß an Enttäuschungen und Verletzungen ertragen.

Bev räusperte sich nervös. „Ich fürchte, es ist ein bisschen spät, jetzt abzusagen. Die Programme für morgen Abend sind schon gedruckt, und dein Name ist dabei.“

„O nein.“ Libby verdrehte die Augen.

„Es wird bestimmt lustig“, warf eine etwas verlegene Beverly ein. „Ein großer dunkelhaariger Fremder wird viel Geld für dich zahlen. Es ist im Grunde wie ein Blind Date.“

„Ich habe für Dates nichts übrig, ob nun blind oder nicht“, erwiderte Libby.

„Meine Liebe“, Bev sprach mit übertriebener Deutlichkeit. „Du bist neunundzwanzig Jahre alt, hübsch und steinreich. Eine Frau wie du sollte nicht allein sein. Mindestens ein paar Mitgiftjäger müssten doch hinter dir her sein.“

„Oh, das ist wirklich ermunternd. Was ist denn so falsch daran, Single zu sein? Wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert. Eine Frau kommt heute ohne weiteres allein zurecht.“

„Aber nicht du“, sagte Bev triumphierend. „Du liebst Kinder, und Kinder lieben dich. Du bist liebevoll, klug und lustig und wirst eine wunderbare Mutter sein.“

„Ja, das ist das Schöne am Beruf der Kinderkrankenschwester.“ Libby grinste. „Man genießt alle Vorteile des Familienlebens mit Kindern ohne den großen Nachteil – einen Mann.“

„Ich weiß, dass du in letzter Zeit nicht gerade gute Erfahrungen mit Männern gemacht hast, aber …“

„Nicht gerade gute Erfahrungen?“, wiederholte Libby und lachte einmal kurz auf. „Ich war mit einem verheirateten Mann zusammen.“

Beverly runzelte die Stirn. „Ja gut, aber du wusstest ja nicht, dass Philip schon eine Frau hatte.“

„Nein, das stimmt. Bis ich sie zusammen im Bett überrascht habe.“ Libby schaukelte das Baby beruhigend. „Das war nicht zu übersehen.“

Bev seufzte auf. „Ich weiß, dass es dich verletzt hat. Aber das war doch nicht deine Schuld, sondern …“

„Natürlich war es meine Schuld. Ich war viel zu gutgläubig. Er hatte nie eine Ehefrau erwähnt, deswegen bin ich davon ausgegangen, dass er auch keine hatte. Dumm von mir.“ Trotz ihres leichten Tonfalls war Libbys Betroffenheit deutlich zu spüren. Sie hatte sich selbst versprochen, keine Träne mehr wegen Philip zu vergießen, und jetzt hatte sie schon wieder einen Kloß im Hals. Wie peinlich! „Es passiert mir offensichtlich immer wieder, dass ich auf solche Schweine hereinfalle, deswegen ist es sicherer, allein zu bleiben. Also, vergiss das mit der Auktion, ich werde nie wieder freiwillig mit einem Mann ausgehen.“

„Du kannst nicht immer nur arbeiten, Libby. Du brauchst ein Privatleben. Was ist denn mit dem Sommerball nächsten Monat? Da brauchst du doch einen Partner.“

„Ich gehe nicht zum Sommerball“, erklärte Libby.

Bev riss die Augen auf. „Aber das ist das Ereignis des Jahres! Wenn du nicht gehst, wird Philip denken, dass du ihm immer noch hinterhertrauerst.“

„Soll der doch denken, was er will“, murmelte Libby nur und schob dem Baby noch einmal die Flasche in den Mund. „Er ist ein Schwein. Ich habe festgestellt, dass der Schweinefaktor sich proportional zum guten Aussehen eines Mannes erhöht.“

„Der Schweinefaktor?“ Bev schüttelte den Kopf.

„Yepp. Das ist meine offizielle Messskala für männliches Verhalten.“

Bev kicherte. „Wir sollten uns nicht in Gegenwart der Kleinen über solche Themen unterhalten. Hast du noch nie etwas über frühkindliche Prägung gehört?“

„Es ist nie zu früh, diese Dinge zu lernen“, murmelte Libby düster. „So hat sie schon einen kleinen Vorsprung. Ich musste erst erwachsen werden, um die Wahrheit über Männer zu begreifen.“

Das war nicht völlig korrekt. Das Verhalten ihres Vaters hatte ihr in der Kindheit schon einige Hinweise geliefert.

„Es sollte Packungsbeilagen für Männer geben – mit Hinweisen zu Überdosierungen und unerwünschten Nebenwirkungen.“

„Nicht alle Männer sind so.“ Bev blickte über den dunklen Korridor zu einer offenen Tür. Ein Mann saß zusammengesunken auf einem Stuhl, im Bett neben ihm ein schlafendes Kind. „Er weicht nicht von ihrer Seite, dabei hat er morgen wieder einen anstrengenden Arbeitstag vor sich.“

„Oh, Dave ist eine Ausnahme. Poppy kann froh sein, einen solchen Vater zu haben.“

Die kleine Poppy hatte Mukoviszidose und wurde gerade wegen einer Lungenentzündung behandelt. Sie war ein häufiger Gast in der Klinik, und alle Schwestern kannten sie und ihren Vater.

Bev wechselte das Thema. „Wenn du ein kurzes Kleid tragen könntest und dein Haar offen lässt, würden wir ein Vermögen mit dir verdienen. Denk doch nur daran, was das für die Kinder bedeutet: Spielzeuge, Bücher, eine schöne Einrichtung. Bitte, Libby, es ist doch keine große Sache …“

Libby hatte eine weitere Ablehnung schon auf der Zunge, aber dann überlegte sie es sich anders.

Es war wirklich ihre Idee gewesen, deswegen würde es seltsam aussehen, wenn sie jetzt nicht an der Auktion teilnahm. Aber was, wenn Philip sie ersteigerte, um endlich mit ihr sprechen zu können, weil sie sich weigerte, seine Anrufe zu erwidern?

Sie hob die Kleine an ihre Schulter, während sie über das Problem nachgrübelte. Der warme süße Babygeruch beruhigte ihre angespannten Nerven, und plötzlich fiel ihr die Lösung ein. Natürlich, so würde es gehen. Wozu hatte man schließlich Geschwister?

„Okay, okay, ich bin dabei.“ Libby lächelte die Kollegin an. „Alex wird mich kaufen, so sammeln wir jede Menge Geld, und ich bin in Sicherheit.“

Vor allem vor Philip.

Seit Libby ihn in den Armen dieser Blondine – seiner Ehefrau, deren Existenz er nie erwähnt hatte – überrascht hatte, versuchte er ständig, sie anzurufen. Sie hatte ihr Handy inzwischen schon abgestellt und allen Freunden gesagt, dass sie nur noch in der Klinik erreichbar war.

Auf gar keinen Fall wollte sie mit ihm reden.

Der Mann war verheiratet, und er hatte sie angelogen. Es gab nichts mehr zu sagen.

„Hast du für morgen noch jemanden gefunden?“ Libby wusste, dass die Personalsituation im Augenblick alles andere als gut war.

Bev schüttelte den Kopf. „Nein, beim Pflegepersonal sieht es derzeit wirklich schlecht aus, aber immerhin bekommt das Ärzteteam ab Montag Verstärkung.“

„Ich kann morgen etwas früher kommen“, bot Libby an.

„Aber du hast doch heute schon eine Doppelschicht gemacht, das kann ich nicht von dir verlangen.“

„Du verlangst es ja nicht, ich melde mich freiwillig.“

Bev umarmte ihre Kollegin kurz. „Du bist ein Schatz. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich den Höchstpreis für dich bieten.“

„Wahrscheinlich hättest du dann zu Hause eine Frau und drei Kinder, deren Existenz dir gerade entfallen war“, sagte Libby trocken. „Die dringend nötige Verstärkung im Ärzteteam – ist es eine Frau oder ein Schwein?“

Lachend erwiderte Bev: „Ein Mann, wenn du das meinst.“

„Na ja, man kann nicht alles haben.“ Libby strich dem Baby über die zarte Wange, legte es dann vorsichtig wieder zurück in das Bettchen und deckte es liebevoll zu.

Libby wünschte sich ein eigenes Kind, aber dummerweise brauchte sie dazu einen Mann.

Nur knapp vierundzwanzig Stunden später betrat Andreas Christakos die Kinderabteilung der Klinik.

Beim Anblick des großen, breitschultrigen und blendend aussehenden Mannes ließ die Nachtschwester vor Überraschung den Stapel Krankenakten fallen, den sie gerade trug.

Es war vielleicht nicht ganz fair gewesen, einfach so hier hereinzuplatzen. Lächelnd streckte Andreas die Hand aus und stellte sich vor.

„Sie sind der neue Arzt, nicht wahr? Wir haben heute noch nicht mit Ihnen gerechnet und …“ Die Schwester war immer noch ziemlich durcheinander und sammelte hektisch die Akten ein. „Wollten Sie denn … ich meine, es ist ja schon ziemlich spät …“

„Ich wollte nur schon einmal einen Blick auf die Station werfen“, erwiderte Andreas beruhigend und sah sich um. Die Wände des Stationszimmers waren mit bunten Kinderzeichnungen und Dienstplänen bedeckt. „Offiziell fange ich erst am Montag an.“

Die Nachtschwester war sichtlich erleichtert. „Gut, dann sehen Sie sich doch um. Die Akten sind alle dort vorne, wenn Sie sie anschauen wollen. Im Moment ist es sehr ruhig, deswegen sind die anderen alle bei der Auktion. Aber sie sind sicher bald zurück, ich kann auch Bescheid sagen, wenn …“

„Auktion?“ Verwirrt wiederholte Andreas das Wort. Er stammte ursprünglich zwar aus Griechenland, hatte sein Englisch aber immer für sehr flüssig gehalten. Aber jetzt schien er etwas falsch verstanden zu haben, denn wozu sollte in der Klinik eine Auktion stattfinden?

„Es ist eine große Party, auf der wir jeweils ein Date mit den Mitgliedern unseres Personals versteigern. Wir sammeln Geld für unser neues Spielzimmer.“

Diese Vorstellung machte einem eher konservativen griechischen Mann wie Andreas schwer zu schaffen, er wollte jedoch niemanden vor den Kopf stoßen. „Klingt interessant.“

„O ja.“ Die Schwester warf ihm ein freches Grinsen zu, ihre Nervosität schien sie verlassen zu haben. „Vielleicht sollten Sie sich auch versteigern lassen. Es gibt bestimmt hohe Gebote.“

Das Lächeln in Andreas’ Gesicht erlosch. „Das werde ich ganz sicher nicht tun.“

Er hatte ohnehin schon genug Probleme damit, Verehrerinnen auf Distanz zu halten, und bei einer solchen Veranstaltung würde er ganz sicher nicht die richtige Frau zum Heiraten treffen. Inzwischen zweifelte er allerdings daran, dass diese Frau überhaupt existierte.

„Sind Sie sich sicher?“ Die Schwester kicherte. „Falls Sie es sich anders überlegen, die Auktion findet in der Personalkantine im Untergeschoss statt. Dort könnten Sie auch Ihre neuen Kollegen treffen. Das halbe Krankenhaus wird da sein. Oder Sie könnten selbst ein Date für den Abend ersteigern!“

Andreas nickte nur höflich und griff nach dem ersten Krankenblatt.

Beim Durchblättern grübelte er über die eigenartigen Sitten der Engländer nach. Wie die meisten seiner Landsleute war er an das manchmal seltsame Verhalten, insbesondere der weiblichen britischen Touristen in Griechenland gewohnt, aber bei seiner Arbeit in verschiedenen englischen Krankenhäusern hatte er bisher noch nie davon gehört, dass das Personal sich selbst verkaufte, um Geld für die Klinikausstattung zu sammeln.

War die Lage des britischen Gesundheitssystems tatsächlich so verzweifelt?

Mit einem leichten Kopfschütteln konzentrierte er sich auf die Akten und studierte aufmerksam die Informationen über die verschiedenen kleinen Patienten.

Eine Stunde später fühlte er sich über die aktuelle Lage rundum informiert und verließ die Station wieder. Auf dem Weg zum Ausgang zögerte er kurz, als er ein Hinweisschild zur Personalkantine sah. Musik und laute Anfeuerungsrufe erschollen aus dem unteren Stockwerk.

Die Neugier ließ Andreas keine Ruhe, er ging die Treppe hinunter und öffnete die Tür, als gerade eine langbeinige Blondine den improvisierten Laufsteg betrat.

Seine Aufmerksamkeit war sofort gefesselt, und er blieb abrupt stehen.

Sie sah umwerfend aus.

Andreas holte einmal tief Luft, sein Blick wanderte über ihren wohlgeformten schlanken Körper. Die Frau warf ihr langes, gewelltes blondes Haar über die Schulter, und ihre blauen Augen blitzten herausfordernd.

Sie trug ein fast unanständig kurz geschnittenes rosafarbenes Kleid und so hohe Absätze, dass er Angst um ihre Gesundheit hatte, aber sie bewältigte den Gang auf dem Laufsteg mit perfekter weiblicher Eleganz.

„Und jetzt die Nummer 16“, verkündete der Auktionator im Arztkittel über das Johlen der Menge hinweg. „Was bietet ihr für unsere schöne Schwester Libby?“

Die Blondine verdrehte die Augen und nahm dann spielerisch eine verführerische Pose ein.

Für den Augenblick vergaß Andreas, dass er kein Interesse an flüchtigen Bekanntschaften mehr hatte. Wie gebannt starrte er die Unbekannte an. Sie war wirklich wunderschön. Zumindest äußerlich. Wahrscheinlich war sie hinter dieser Fassade ein herzloses Biest, aber spielte das eine Rolle? Sie würde kaum die Mutter seiner Kinder werden.

„Zehn Pfund Mindestgebot“, verkündete der Auktionator.

Andreas musterte ihn verächtlich. Hatte der Mann denn gar keinen Sinn für weibliche Schönheit?

„Hier.“ Ein großgewachsener Mann in der Menge hob den Arm, woraufhin der Gesichtsausdruck der Blondine sofort erstarrte. Die Wärme und Fröhlichkeit waren aus ihrem Blick verschwunden. Ganz offensichtlich wollte sie den Rest des Abends nicht in der Gesellschaft dieses Mannes verbringen.

Sie schaute sich hektisch im Raum um, offenbar auf der Suche nach einer bestimmten Person. Ihr Blick blieb an Andreas hängen.

Ihre Augen waren so blau wie das Meer seiner griechischen Heimat, sie schaute ihn unverwandt an und schien die Spannung zwischen ihnen ebenso wahrzunehmen wie er.

Instinktiv reagierte sein Körper auf ihren Anblick, er erwiderte ihren Blick. Jeder Gedanke daran, nach seinem letzten Erlebnis Beziehungen mit Frauen zu vermeiden, war vergessen.

Er wollte sie.

Nackt. In seinem Bett.

Kein Grieche, der etwas auf sich hielt, würde sich eine solche Gelegenheit entgehen lassen.

Es wäre eine Schande.

Er trat ein paar Schritte vor und ignorierte die neugierigen und interessierten Blicke, die er auf sich zog. Er hatte im Moment nur Augen für eine Frau.

„Eintausend Pfund.“ Er sprach mit lauter und klarer Stimme und ließ die Blondine nicht aus den Augen. Bisher hatte er noch nie ein Date gekauft, aber er würde es nicht zulassen, dass dieser blonde Kerl sie in die Finger bekam. Oder irgendein anderer Mann.

Er wollte sie für sich.

Und Andreas Christakos war daran gewohnt, das zu bekommen, was er wollte.

„Eintausend Pfund!“ Der Auktionator strahlte über das ganze Gesicht. „Na, ich wette, das wird keiner von euch überbieten, also geht Libby an den großen, dunkelhaarigen Fremden mit dem dicken Scheckheft!“

Während des folgenden Gelächters streckte Andreas Libby die Hand entgegen.

Sie schaute ihn sichtlich verwirrt an, ergriff dann aber seine Hand und verließ mit erhobenem Kopf die Bühne.

Erst als sie ihm am Ende der Stufen beinahe in die Arme fiel, wurde ihm klar, dass sie zu viel getrunken hatte.

Der blonde Mann, der zehn Pfund für sie geboten hatte, wollte sie ansprechen, aber ein eisiger Blick aus ihren blauen Augen brachte ihn zum Schweigen.

Unwillkürlich schloss Andreas seine Hand fester um ihre.

„Um keinen Preis der Welt wäre ich bereit, mit dir zu sprechen, Philip, von einer Verabredung ganz zu schweigen.“ Nachdem sie das klargestellt hatte, drehte Libby sich mit strahlendem Lächeln zu Andreas um. „Wollen wir dann?“

Flüchtig fragte er sich, wovor sie wohl davonlief, wenn sie bereit war, die Klinik mit einem völlig Fremden zu verlassen. Sie fragte nicht einmal nach seinem Namen, sondern klammerte sich an seinen Arm, als wäre er ein Rettungsring.

Er spürte den starken Wunsch, diese Frau zu beschützen. „Ja, gehen wir.“

Als er die Tür für sie aufhielt, ging sie mit langen Schritten an ihm vorbei. Angesichts ihrer hohen Schuhe und ihrer leichten Trunkenheit bewegte sie sich erstaunlich sicher.

Auf dem Weg hinaus begrüßte sie einige Kollegen mit fröhlichem Winken. Andreas spürte jedoch, dass ihre gute Laune nur aufgesetzt war.

Als sie die Klinik verließen und zum Parkplatz gingen, nahm er wieder ihren Arm.

„Sagen Sie, wie viel Alkohol haben Sie genau getrunken?“

„Nichts. Ich trinke nicht. Obwohl heute ein guter Anlass gewesen wäre. Das hätte diese Demütigung auf dem Laufsteg vielleicht erträglicher gemacht. Wie konnte ich mich nur dazu überreden lassen? Zum Glück sind Sie rechtzeitig aufgetaucht, beinahe hätte dieser Schwachkopf mich gekauft.“ Sie redete mit leicht undeutlicher Stimme vor sich hin und beugte sich dann herunter, um aus ihren Schuhen zu schlüpfen. „Sorry, diese Absätze bringen mich um.“

Hielt diese Frau ihn etwa für blöd?

Natürlich hatte sie getrunken.

„Dann wollten Sie eigentlich nicht teilnehmen?“

„Nein, lieber hätte ich eine Woche lang rund um die Uhr gearbeitet, aber ich hatte es versprochen“, entgegnete Libby. „Ich war so erleichtert, dass Sie aufgetaucht sind. Ich dachte schon, mein treuloser Bruder hätte mich vergessen. Oh, bevor ich es vergesse, ich schreibe Ihnen einen Scheck aus, ist das in Ordnung?“

Er schaute sie verständnislos an, als Libby in ihrer Handtasche kramte.

„Tausend Pfund, nicht wahr?“ Sie füllte den Scheck aus und reichte ihn Andreas. „Ganz schön großzügig, aber das ist schon in Ordnung. Vielen Dank für Ihre Mühe.“

Sie schwankte leicht, und Andreas hielt sie an den Armen fest.

„Wieso wollen Sie mir einen Scheck geben?“

Jetzt war sie an der Reihe, verständnislos zu gucken.

„Aber das war doch die Abmachung.“

Andreas hatte einige Probleme, seinen Blick von ihrem Mund zu lösen. „Was für eine Abmachung?“

„Die Abmachung, die ich mit meinem Bruder getroffen habe“, sagte sie. „Er hat mir versprochen, dass er jemanden schickt, wenn er es nicht selbst schafft. Um mich vor Philip zu retten. Und das sind Sie.“ Sie lächelte ihn wieder strahlend an. „Oder etwa nicht?“

„Ich kenne Ihren Bruder nicht einmal.“

Sie musterte ihn aus schmalen Augen. „Nicht?“ Verwirrt biss sie sich auf die Unterlippe. „Aber er hat gesagt, dass er so viel bieten würde, dass niemand sonst sich trauen würde, und deswegen dachte ich, dass Sie …“

Er hob die Hände. „Nein, ganz bestimmt nicht.“

Libby trat einen Schritt zurück. „Wer, zum Teufel, sind Sie denn dann? Und wieso zahlen Sie so viel Geld für eine völlig fremde Frau?“

„Ich dachte, das wäre der Sinn der Sache“, entgegnete er ruhig. Unter den gegebenen Umständen konnte er ihr Unverständnis durchaus nachvollziehen.

„Ja, aber doch nicht tausend Pfund.“ Sie starrte ihn noch immer an, als würde er jeden Moment auf sie losgehen. „Wenn Sie glauben, dass das Geld Ihnen … ich meine, wenn Sie jetzt erwarten, dass ich …“ Sie stotterte verlegen und warf ihm dann einen ärgerlichen Blick zu. „Also, dann machen Sie sich auf eine Enttäuschung gefasst, denn daraus wird nichts.“

Andreas versuchte seine Belustigung zu verbergen. „Es ging bei der Auktion um ein Date, Libby. Sonst nichts.“

„Und ich wette, Sie dachten, es ginge um Sex, weil Männer das immer denken, und von der Frau und den Kindern erfahre ich erst viel später etwas“, platzte sie heraus.

Er schüttelte verblüfft den Kopf. Wovon redete sie denn jetzt wieder? „Ich habe nicht die Angewohnheit, für Sex zu bezahlen. Das war bisher auch nie nötig.“

Libby betrachtete ihm mit zur Seite gelegtem Kopf. „Nein, das glaube ich gern. Und wahrscheinlich zahlen Sie normalerweise auch nicht für Dates, habe ich recht?“

„Allerdings.“ Im Gegenteil, manchmal würde er gerne bezahlen, um von Avancen verschont zu bleiben.

„Also, warum geben Sie dann so viel Geld für ein Date mit mir aus?“ fuhr sie fort.

Eine Frage, die er sich selbst auch gerade stellte.

„Weil ich es mir leisten kann und weil Sie sehr schön sind“, erwiderte er, durchaus wahrheitsgemäß.

Sie trat noch einen Schritt zurück, ihre Schuhe an die Brust gepresst. „Ich schlage vor, Sie nehmen den Scheck“, sagte sie kühl. „Ich wäre niemals mitgegangen, wenn ich nicht gedacht hätte, dass mein Bruder Sie geschickt hat. Ich verabrede mich nicht mit Männern, egal, wie viel Geld sie haben. Männer sind Schweine und Lügner.“

Andreas musterte sie von Kopf bis Fuß. Es gab wesentlich geeignetere Kandidatinnen für ein keusches Leben. Aber der Ausdruck in ihren Augen sprach eine deutliche Sprache. Sie war tief verletzt worden.

„Sie kennen eben die falschen Männer“, sagte er sanft, aber zur Antwort lachte sie nur kurz auf.

„Das habe ich auch schon festgestellt.“

Andreas konnte nicht widerstehen. „Was ist mit Sex?“

„Oh, ich bin altmodisch. Ohne Beziehung kein Sex, und da Männer für Beziehungen nicht taugen, habe ich Sex aufgegeben.“

„Sie machen mich neugierig.“ Er trat einen Schritt näher. „Wer ist denn für Ihre finstere Sicht der Dinge verantwortlich?“

„Wollen Sie die lange oder die kurze Version?“ Sie zuckte lässig die Achseln, aber es war deutlich, dass es ihr noch immer sehr nahe ging. Wieder spürte er dieses Bedürfnis, sie zu beschützen. Nicht, dass es so aussah, als würde sie sich von ihm beschützen lassen.

„Welche auch immer Sie mir erzählen wollen.“

„Nun ja, fangen wir mit meinen Eltern an, die früher nicht unbedingt ein Musterbeispiel ehelicher Freuden waren. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie sich während meiner Kindheit jemals berührt haben. Nun ja, sie müssen sich berührt haben, schließlich gibt es mich und meine Geschwister.“ Sie lächelte ihm zu. „Allerdings sind wir Drillinge, das sagt wohl alles.“

Andreas erinnerte sich an seine eigene Kindheit, an die Wärme und Liebe, die ihn umgeben hatte. Er hatte es damals wie selbstverständlich hingenommen, aber seine Arbeit als Kinderarzt hatte ihm gezeigt, wie zerstörerisch der Einfluss einer negativen häuslichen Umgebung auf ein Kind sein konnte.

„Also ist die Ehe Ihrer Eltern für Ihre Abneigung gegen Beziehungen verantwortlich?“

„Das und meine eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet“, sagte sie düster. „Das letzte Exemplar entpuppte sich als Familienvater.“

„Okay, jetzt wird mir so einiges klar. Sie sind definitiv den falschen Männern begegnet.“

„Reden Sie nicht in diesem verständnisvollen Ton mit mir“, ermahnte Libby ihn und trat leicht schwankend zur Seite. „Sie können mich nicht verführen. Ich vertraue niemandem. In Zukunft werde ich zynisch und skeptisch sein. Je attraktiver der Mann, desto skeptischer. Und ich muss Ihnen leider sagen, dass ich bei Ihnen sehr skeptisch bin.“

Bevor Andreas antworten konnte, bemerkte er, wie Libby angespannt über seine Schulter blickte.

Als er den Kopf drehte, sah er, dass der blonde, großgewachsene Mann ihnen auf den Parkplatz gefolgt war.

„O nein, da ist er schon wieder. Was muss ich nur tun, um ihn endlich loszuwerden?“ Verzweifelt schloss sie die Augen.

Andreas wusste sehr genau, wie sie ihren Verfolger loswerden konnten.

Er sagte sich, dass er einer Frau in Bedrängnis nur helfen wollte, zog sie an sich und presste seinen Mund auf ihren.

Zuerst war sie steif in seinen Armen, aber dann entspannte sie sich und erwiderte seinen Kuss. Sie duftete leicht nach Blumen, ihre Lippen schmeckten süß und verführerisch.

Seine eigene Reaktion auf diesen Kuss überraschte Andreas. Sein Körper bebte verräterisch, und er umfasste unwillkürlich ihr Gesicht mit beiden Händen, um ihr noch näher zu sein. Aber auch Libby war alles andere als unberührt, sie ließ die Schuhe fallen und klammerte sich leise seufzend an sein Jackett.

Sanft strich er über ihre Hüfte und weiter hinunter, bis er die Wärme ihrer nackten Beine unter seiner Hand spürte.

Ein Feuerwerk schien in seinem Kopf zu explodieren, dies war der sexuell aufgeladenste Kuss, den er jemals erlebt hatte, und ganz sicher hätte er es nicht bei einem Kuss belassen, hätte nicht der laute Knall einer zuschlagenden Autotür sie beide wieder auf den Boden der Tatsachen geholt.

Verwirrt hob er den Kopf und sah sich um. Bisher war er immer stolz auf seine Selbstbeherrschung gewesen, aber diese Frau, die er kaum kannte, schien ihn seiner Zurückhaltung zu berauben. Viel hätte nicht gefehlt, und er hätte sie auf die nächste Kühlerhaube gelegt, um sie hier und jetzt zu lieben.

Was war nur mit ihm los?

Ganz abgesehen davon, dass sie sich auf einem öffentlichen Gelände befanden, hatte sie zu viel getrunken, auch wenn sie das abstritt.

Keine günstigen Voraussetzungen für eine Beziehung.

Er ließ sie los und streckte dann gleich wieder die Arme nach ihr aus, als sie nach hinten stolperte.

„Schwindlig“, murmelte sie und sah ihn aus verhangenen Augen an.

Ja, Andreas war auch ziemlich durcheinander.

Er widerstand der Versuchung, sie gleich noch einmal zu küssen. Dazu gab es noch andere Gelegenheiten, und beim nächsten Mal würde er sich den Ort genauer aussuchen und dafür sorgen, dass sie nüchtern war.

„Ich bringe Sie wohl besser nach Hause.“

Und zwar bevor er seine Selbstbeherrschung wieder verlor.

Andreas bückte sich, um ihre Schuhe aufzuheben, und ging auf sein Auto zu. Bevor Libby wieder gefährlich zu schwanken begann, hob er sie einfach hoch und trug sie zu seinem Auto. Ihr weiblicher Duft hüllte ihn ein, und ihre weichen Locken kitzelten ihn an der Wange.

„Lassen Sie mich runter!“ Sie strampelte in seinen Armen. „Ich hasse Männer. Ich will kein Date, und ich will Sie nicht mehr küssen. Das war ein komisches Gefühl.“

Er setzte sie vorsichtig auf den Beifahrersitz, ihr Kleid war noch weiter hochgerutscht, und er bemühte sich, nicht zu genau hinzusehen. Sobald sie saß, fielen Libby die Augen zu.

„Was genau haben Sie eigentlich getrunken?“

„Nur ein Glas sehr, sehr leckeren Orangensaft“, murmelte sie schläfrig. Er schüttelte den Kopf.

Erwartete sie wirklich, dass er das glaubte?

„Geben Sie mir Ihre Adresse.“ Er stieg ein und seufzte auf, als er sah, dass Libby sich inzwischen neben ihm zusammengerollt hatte. Sie schlief tief und fest.

So viel dazu.

Er würde ganz sicher nicht zurück in die Klinik gehen, um herauszufinden, wo sie wohnte. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sie mit zu sich nach Hause zu nehmen.

Was sehr schwierig werden würde, da Adrienne bei ihm war.

Er murmelte leise einen griechischen Fluch vor sich hin.

Dieser Abend endete ganz und gar nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte.

2. KAPITEL

Libby erwachte mit rasenden Kopfschmerzen.

Mit einem leisen Stöhnen setzte sie sich auf und begegnete dem neugierigen Blick eines dunklen Augenpaares. Ein Mädchen saß auf ihrem Bett. Unter dem wirren braunen Haar und dem recht unprofessionell aufgetragenen Make-up schätzte Libby sie auf etwa zwölf.

„Sie sehen wirklich krank aus.“ Das Mädchen musterte sie kritisch.

Stöhnend schloss Libby wieder die Augen. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war, aber sie hatte einen grauenhaften Kater.

Was sehr eigenartig war, da sie keinen Alkohol getrunken hatte.

Zumindest nicht bewusst.

Eine Hand an den schmerzenden Kopf gepresst, sah sie sich langsam um. Ein Sonnenstrahl fiel durch weiße Vorhänge, und sie lag in einem großen, sehr eleganten Schlafzimmer.

Panik überfiel sie.

Was war gestern Nacht geschehen?

Das Mädchen hatte den Blick nicht von ihr abgewandt. „Andreas hat Yiayia versprochen, dass er nie eine Frau mitbringen würde, wenn ich hier bin. Also heißt das wohl, dass er Sie liebt.“

Wie bitte?

Wer war dieses Mädchen?

Und – wichtiger noch – wer war Andreas?

Sie durchsuchte ihre unklaren Erinnerungen an die vergangene Nacht. Breite, männliche Schultern, ein fester Mund und ein funkelndes Feuerwerk standen ihr vor Augen.

Ja, da war ein Feuerwerk gewesen.

„Wer … wer ist denn Yiayia?“

„Das ist Griechisch für Großmutter, und du hast jetzt genug geplappert, Adrienne.“ Beim Klang der kühlen Männerstimme sprang das Mädchen schnell vom Bett herunter.

„Ja, schon gut. Aber ich bin alt genug, ich weiß Bescheid.“ Sie warf Libby einen neugierigen Blick zu. „Hatten Sie Sex? Yiayia sagt, dass viele Frauen Sex mit Andreas wollen, weil er so gut aussieht und so reich ist. Frauen sind verrückt nach ihm.“

Unfähig zu sprechen, schaute Libby zu dem Mann an der Tür. Er hatte die verführerischsten Augen, die sie je gesehen hatte. Dunkel und sexy. Für gewöhnlich brachten Männer Libby nicht dazu, sie bewundernd anzustarren, aber dieser schon.

Er war groß und kräftig, sein schwarzes Haar war zurückgekämmt, und die tief gebräunte Haut ließ ihn exotisch aussehen. Er war sehr sexy, aber auch sehr arrogant und selbstsicher.

Der Blick seiner dunklen Augen verriet, dass er ahnte, was sie gerade dachte. Und im Gegensatz zu ihr auch wusste, was in der vergangenen Nacht geschehen war.

„Du redest zu viel, Adrienne.“ Er ging langsam auf das Bett zu, und Libby sah, dass er einen Becher in der Hand hielt. „Hier, trinken Sie das.“ Er stellte den Kaffee auf den Nachttisch. „Dann geht es Ihnen besser.“

Ein weiterer Beweis dafür, dass er ahnte, wie ihr zu Mute war. Entsetzt über ihr eigenes Verhalten sank Libby in die Kissen.

Auch wenn es ihr völlig rätselhaft blieb, war sie vergangene Nacht furchtbar betrunken gewesen.

Und jetzt lag sie im Bett eines fremden Mannes, der im Gegensatz zu ihr vollständig angezogen war. Das war zu viel für eine Frau mit rasenden Kopfschmerzen. Libby griff nach dem Kaffee.

Die griechische Großmutter hatte nicht ganz Unrecht, dachte sie. Über seine finanzielle Situation wusste sie zwar nichts, aber er sah unglaublich gut aus. Sie durfte nicht vergessen, dass ihn dies umso gefährlicher machte.

Das hatte sie gestern Nacht aber anscheinend getan.

Ihr Blick fiel auf das rosafarbene Kleid, das sie getragen hatte, und das nun über einer Stuhllehne hing.

Wie war es dahin gekommen? Libby konnte sich nicht daran erinnern, es ausgezogen zu haben. Und das weiße Nachthemd, das sie jetzt trug, hatte sie ganz sicher noch nie gesehen.

Was war nur geschehen?

Sie konnte sich an die Auktion erinnern und an das Glas Orangensaft, das Bev ihr in die Hand gedrückt hatte.

Und an das Feuerwerk.

Yiayia sagt, dass ein Mann und eine Frau, die die Nacht zusammen verbringen, heiraten müssen“, verkündete das Mädchen.

„Du machst dich jetzt fertig für die Schule“, sagte der Mann in scharfem Tonfall. „Und wasch dir die Farbe aus dem Gesicht, sonst schicken sie dich gleich wieder weg.“

„Deswegen hab ich’s ja gemacht“, murmelte sie, und er seufzte auf. „Ich will nicht im Internat wohnen.“

„Du weißt, dass es nicht anders geht.“ Aus seiner Stimme sprach leises Mitgefühl. „Nur bis sich alles geklärt hat. Nächste Woche suche ich eine Haushälterin.“

Adrienne verzog das Gesicht. „Wenn du heiraten würdest, dann bräuchtest du keine Haushälterin einzustellen. Natürlich nicht so jemanden wie …“

„Es reicht! Du gehst jetzt und wäschst dir das Gesicht. Sofort.“ Sein Ton duldete keinen Widerspruch. Adrienne verließ das Zimmer mit hängenden Schultern, nachdem sie Libby noch einen letzten neugierigen Blick zugeworfen hatte.

In der folgenden Stille spürte Libby, wie ihr eine verlegene Röte ins Gesicht stieg.

Sie stellte den Becher ab und schob sich die wirren blonden Haare aus der Stirn. „Ähm … wegen gestern Abend …“

Da sie keine Ahnung hatte, was vorgefallen war, ließ sie den Satz in der Luft hängen, in der Hoffnung, er wäre Gentleman genug, um ihr zu versichern, dass alles in bester Ordnung sei. Stattdessen schaute er sie nur fragend an.

Sie seufzte auf. „Hören Sie, offenbar hat jemand gestern etwas in meinen Saft gekippt, ich kann mich an nichts mehr erinnern. Nur an das Feuerwerk … das war toll. Was ist …?“ Sie räusperte sich nervös. „Nun ja, Sie haben mich anscheinend hierher gebracht, was sehr nett von Ihnen war, aber haben wir …? Ich meine, ich weiß nicht, ob wir … normalerweise tue ich so etwas nicht, aber …“

Mein Gott, warum sagte er denn nichts? Libby stöhnte auf und zog sich die Decke über den Kopf.

Wieso erklärte er ihr nicht, was passiert war?

Und was war passiert?

Sie würde nie wieder ausgehen.

Es war sooo peinlich.

Die Matratze bewegte sich, als er sich neben ihr niederließ und er mit festem Griff die Decke wegzog.

„Sie sollten zwei Dinge wissen“, sagte er sanft. Er hatte eine verführerisch tiefe Stimme und einen ganz leichten Akzent, wie Libby beunruhigt feststellte. „Erstens: Wenn ich mit einer Frau ins Bett gehe, dann erinnert sie sich am nächsten Morgen auf jeden Fall daran.“

Die Unruhe wurde stärker. Ihr Herz begann laut zu pochen, und sie konnte den Blick nicht von seinen Augen abwenden, die amüsiert funkelten.

Sie glaubte ihm völlig, dass eine Nacht mit ihm unvergesslich sein würde.

Instinktiv zog sie die Bettdecke wieder etwas höher. Sie musste sich vorsehen.

„Okay“, sagte sie unsicher. „Und zweitens?“

„Zweitens gab es kein Feuerwerk …“ Sein Lächeln sandte kleine Stromstöße durch ihren Körper. „… bis ich dich geküsst habe.“

Damit erhob er sich und verließ das Zimmer.

Andreas brachte Adrienne zu ihrer Schule und machte sich dann auf den Weg in die Klinik. Auf der Kinderstation sorgte sein Erscheinen sofort für große Aufregung, da ihn alle vom vergangenen Abend her wiedererkannten.

Sie sind der neue Arzt?“, fragte die Oberschwester. „Ich bin Bev … und Sie kommen einen Tag zu früh.“…

„Oh, ich bin meiner Zeit gerne etwas voraus.“

Bev biss sich auf die Lippe. „Ah ja. Wir haben Sie natürlich gestern schon gesehen, aber …“ Sie holte tief Luft und stellte dann die Frage, die sie eigentlich bewegte. „Was haben Sie denn mit Libby gemacht?“

Nicht das, was er vorgehabt hatte.

„Ich habe sie ihren Rausch ausschlafen lassen“, erwiderte er und trat auf den Aktenschrank zu. „Feiern Sie hier immer solche Partys?“

Bev straffte die Schultern, um ihre Kollegin zu verteidigen. „Nur zu Ihrer Information: Wir sind hoffnungslos unterbesetzt, und Libby hat gestern sechzehn Stunden hintereinander geschuftet und vorgestern auch, und zwar ohne richtige Essenspause. Kein Wunder, dass sie ein bisschen beschwipst war.“

Andreas verkniff sich die Bemerkung, dass dieses Verhalten sehr unvernünftig und Libby zudem mehr als nur ein bisschen beschwipst gewesen war.

„Wie auch immer, ich denke, Sie sollten heute nicht mit ihr rechnen“, sagte er. So blass und erschöpft wie sie vorhin ausgesehen hatte, war Libby vermutlich sofort wieder eingeschlafen, nachdem er das Haus verlassen hatte.

Der Gedanke an ihren nackten, warmen Körper und die verstrubbelten blonden Haare versetzte ihn augenblicklich wieder in Erregung, aber das war jetzt denkbar ungünstig.

„Ihre Schicht beginnt heute erst später. Glauben Sie mir, Libby hat die Konstitution eines Islandponys. Sie wird kommen.“ Bev griff nach einer Krankenakte und lächelte Andreas an. „Wenn Sie schon einen Tag früher anfangen, dann können Sie sich vielleicht eine Patientin ansehen?“

Er streckte die Hand nach der Akte aus. „Nur zu.“

Wie Bev vorausgesagt hatte, erschien Libby später am Vormittag auf der Station. Sie trug die leuchtend blaue Hose und das rote T-Shirt, das zur Uniform des Pflegepersonals gehörte, und hatte ihre Haare mit einem passenden Band zurückgebunden.

Der Kaffee hatte ihr auf die Beine geholfen. Ihr Kopf pochte noch immer, aber das lag alles an ihrer Erschöpfung. Sie hatte in letzter Zeit so viel gearbeitet, dass sie kaum noch wusste, wie ihre Wohnung aussah.

Resolut schob sie das rosafarbene Kleid und das geliehene weiße Nachthemd in ihren Spind und machte sich auf die Suche nach Bev.

„Was genau hast du gestern in meinen Saft getan?“ zischte sie der Kollegin zu, damit niemand vom übrigen Personal mithören konnte. „Jemand hat mich betrunken gemacht, und du stehst ganz oben auf der Liste der Verdächtigen.“

„Wodka“, murmelte Bev schuldbewusst.

„Was hast du dir denn dabei gedacht? Ich habe gestern praktisch nichts gegessen, ich war völlig hinüber.“

„Es sollte dich nur ein bisschen entspannen“, erwiderte Bev. „Du warst so nervös. Und es hat doch geklappt, du warst toll. Wir haben tausend Pfund für dich bekommen.“

„Das ist mir völlig egal.“ Libby bedeckte das Gesicht mit den Händen. „Ist dir klar, dass ich heute Morgen im Bett eines fremden Mannes aufgewacht bin, an den ich mich nicht einmal mehr erinnern konnte?“ Sie schaute Bev an. „Was ist los? Warum guckst du so komisch?“

Bev schaute in der Tat äußerst verlegen zur Seite. „Ähm, nun ja … es gibt etwas, was du vielleicht wissen solltest. Es wird dir nicht gefallen. Es geht um den Mann, der dich ersteigert hat. Er …“

Lautes Gebrüll unterbrach sie, und beide Schwestern schauten den Gang entlang. „Wer ist das?“

„Der kleine Markus Green“, erwiderte Bev. „Er hatte seine Leistenbruch-OP, aber seine Mutter musste nach Hause, um sich um die anderen Kinder zu kümmern.“

Das Gebrüll wurde lauter, und Libby rieb sich den schmerzenden Kopf. „Armes Häschen, ich kümmere mich um ihn. Wir reden später weiter.“

„Nein!“ Bev griff nach ihrem Arm. „Ich muss dir wirklich noch was sagen. Er …“

„Später.“ Libby lief schon mit wippendem Pferdeschwanz durch den Korridor.

Eine andere Schwester saß bereits an Marcus’ Bett. „Gut, dass du da bist. Er ist schon die ganze Zeit völlig hysterisch.“

Libby nahm das heulende Kind in die Arme und trug es vorsichtig in die mit bunten Kissen ausgestattete Kuschelecke. „So Schätzchen, nun beruhig dich.“ Sie schaukelte den kleinen Jungen hin und her. „Wollen wir eine Geschichte lesen, während wir auf deine Mummy warten? Das gefällt dir doch immer so gut.“

Langsam ging Marcus’ Schluchzen in einen Schluckauf über. „Schauen wir mal. Möchtest du lieber ‚Hänsel und Gretel‘ oder ‚Rotkäppchen‘ hören?“

„‘käppchen“, murmelte der Kleine.

„Alles klar.“ Libby schlug das Buch auf. „O nein, hast du das hier gesehen?“ Mit gespieltem Entsetzen zeigte sie auf das Bild von dem großen dunklen Wald.

Marcus schob sich den Daumen in den Mund und kuschelte sich enger an Libby, die anfing zu lesen.

„Es war einmal …“

Nachdem er die kleine Patientin untersucht hatte, ging Andreas zurück Richtung Stationszimmer. Auf dem Weg dorthin fiel sein Blick auf Libby, die inzwischen von einer kleinen Kinderschar umringt war, die ihr alle wie gebannt lauschten.

Sie war noch ein bisschen blass, aber abgesehen davon schien die vergangene Nacht keine Schäden hinterlassen zu haben.

Sie war unglaublich schön.

Bev tauchte neben ihm auf. „Ich sagte Ihnen doch, dass sie kommt“, sagte sie lächelnd. „Stören Sie sie jetzt nicht. Der kleine Junge in der Mitte ist zum ersten Mal heute ruhig. Er brauchte Trost, und darin ist Libby einfach die Beste.“

Tatsächlich?

Andreas schaute Libby unverwandt an, die gerade über eine Bemerkung der Kinder lachte. Sie war freundlich und liebevoll und schien sich rundum wohl zu fühlen. Der erste Eindruck, den er gestern Abend von ihr gehabt hatte, war wohl unzutreffend gewesen. Diese Frau war alles andere als frivol und oberflächlich.

„Sie scheint sich auf ihren Job zu verstehen“, murmelte er.

„O ja“, stimmte Bev zu. „Niemand ist besser darin, Kinder aufzumuntern. Ohne sie wäre diese Abteilung verloren.“

Während Libby gerade mit mitreißendem Mienenspiel das Schicksal des großen bösen Wolfes nachstellte, schaute sie auf. Als sie Andreas erkannte, wurde ihr Blick starr. Fragend schaute sie Bev an, und dann überlief eine verlegene Röte ihr Gesicht.

Bev zuckte nur hilflos die Achseln.

„Weiter.“ Eines der Kinder zupfte ungeduldig an ihrem Arm. „Du musst weiterlesen.“

Libby schluckte, las dann mit leicht zittriger Stimme den Rest des Märchens vor und klappte das Buch zu. Mit Marcus im Arm trat sie auf Bev und Andreas zu.

Die Oberschwester lächelte sie entschuldigend an. „Das ist Andreas Christakos, unser neuer Arzt. Andreas, das ist Elizabeth Westerling, Libby, meine ich. Also … ihr habt euch ja schon kennen gelernt und …“ Eines der kleinen Mädchen war zu ihnen herübergekommen, und dankbar über die Ablenkung wandte Bev sich ihrer Patientin zu.

Über den Kopf des kleinen Marcus hinweg, der inzwischen eingeschlafen war, funkelte Libby Andreas anklagend an. Als sie vor ihm stand, konnte er die dunklen Ringe unter ihren Augen erkennen, aber ihre Schönheit raubte ihm dennoch den Atem.

„Das war ziemlich mies, mir nicht zu sagen, dass Sie hier arbeiten“, sagte sie leise und drehte sich dann um, um den kleinen Jungen vorsichtig in sein Bettchen zu legen.

Andreas folgte ihr. „Sie haben mich nicht gefragt. Sie haben nicht einmal nach meinem Namen gefragt. Sie sind einfach eingeschlafen.“ Amüsiert beobachtete er, wie ihre zarte Haut sich leicht rötete.

„Aber Sie wussten, wer ich bin“, stellte sie fest. „Sie wussten, dass ich hier arbeite.“

„Ja, und?“

„Haben Sie sich nicht überlegt, wie unangenehm das werden kann? Pflegen Sie Privatvergnügen und Beruf immer miteinander zu vermischen?“

Er schenkte ihr ein kleines arrogantes Lächeln. „Das kommt ganz auf das Vergnügen an.“

Sie starrte ihn einen Moment lang an. „Zumindest muss ich Ihnen kein Päckchen schicken. Ihr Hemd ist in meinem Spind.“

„Mein Hemd?“

„Das Hemd, das Sie mir gestern Nacht angezogen haben, Dr. Christakos.“ Ihre Stimme war spitz. „Nachdem ich eingeschlafen war. Schon vergessen?“

Keineswegs.

Er erinnerte sich ganz deutlich daran. „Ich dachte mir, dass dieses rosa Ding etwas zu eng wäre, um darin zu schlafen.“

„Ach so, dann soll ich Ihnen wahrscheinlich noch dankbar sein?“

„Ganz ruhig“, sagte er mit gefährlich sanfter Stimme. „Ich gelobe feierlich, dass ich meine Augen die ganze Zeit geschlossen hatte. Na ja, fast die ganze Zeit.“

Libbys Mund wurde schmal. Sie griff nach Andreas’ Arm und zog ihn in einen leeren Behandlungsraum.

„Eine Sache wollen wir doch gleich klarstellen.“ Ihre blauen Augen blitzten. „Ich habe nur zugelassen, dass Sie mich ersteigern, weil ich Sie für einen Freund meines Bruders hielt. Ich hatte nicht vor, den Abend mit einem fremden Mann zu verbringen.“

Andreas hob eine Augenbraue. „Hätte ich etwa zusehen sollen, wie dieser blonde Typ Sie für zehn Pfund ersteigert?“

„Nein, natürlich nicht.“ Sie sah zur Seite.

„Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, dann haben Sie sich gestern sehr eifrig an meinen Arm geklammert.“

„Da dachte ich auch noch, mein Bruder hätte Sie geschickt, um mich zu retten“, erwiderte sie ungeduldig.

„Das hat er nicht, aber das ist doch egal.“

„Allerdings, also lassen Sie mich Ihnen endlich die tausend Pfund zurückzahlen.“

„Ich will kein Geld von Ihnen.“ Er lächelte. „Ich habe für ein Date bezahlt, und das will ich auch haben.“ Seine Stimme ließ keinen Zweifel darüber, dass er immer bekam, was er wollte.

Libby hob trotzig das Kinn. „Darauf können Sie lange warten. Ich verabrede mich nicht mehr mit Männern.“

Andreas lehnte sich lässig gegen die Wand. Hatte sie ihn eben abgewiesen? Interessant.

„Aha … Nun, dann lernen Sie mich eben ein bisschen besser kennen, und dann gehen wir zusammen aus.“

Libby schüttelte den Kopf. „An Selbstvertrauen fehlt es Ihnen nicht gerade, was?“

„Denken Sie an das Feuerwerk.“

Sie starrte ihn wortlos an und trat dann einen Schritt nach hinten, als ob ein größerer Abstand zwischen ihnen ihre flatternden Nerven beruhigen könnte. „Lassen Sie mich zufrieden. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mich vor Philip gerettet und sich um mich gekümmert haben, als es mir nicht so gut ging …“

„Sie waren betrunken“, warf er ein.

„Ich hatte nichts gegessen, und jemand hat Wodka in meinen Orangensaft … ach, das spielt doch jetzt keine Rolle mehr.“ Sie rieb sich mit den Fingern über die Schläfe. „Die Sache ist erledigt.“

Andreas sah sie aufmerksam an. Es war deutlich zu erkennen, dass der gestrige Abend sie ebenso berührt hatte wie ihn. Kein Wunder, die sexuelle Anziehung zwischen ihnen war unglaublich gewesen.

Aber er musste Geduld beweisen. Sie hatte eine sehr schlechte Erfahrung gemacht und würde sich nicht so schnell wieder auf einen Mann einlassen. „Für mich ist die Sache nicht erledigt. Sie schulden mir noch ein Date.“

„Hat Ihnen nie jemand erklärt, was das Wort ‚Nein‘ bedeutet? Männer!“ Mit einem letzten zornigen Blick auf ihn stürmte Libby zur Tür. Dann drehte sie sich noch einmal um. „Falls Sie es vergessen haben, zu Hause wartet Ihre Tochter auf Sie. Und Ihre Frau wäre vermutlich wenig begeistert, wenn sie Sie jetzt hören könnte.“

Er zuckte kurz zusammen. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre in genau diese Lage geraten, die sie gerade beschrieb. Wenn Adrienne nicht gewesen wäre …

„Ich habe keine Frau“, sagte er leise. „Und Adrienne ist nicht meine Tochter, sondern meine Nichte. Aber ich bin für sie verantwortlich, und deswegen haben Sie auch im Gästezimmer geschlafen und nicht in meinem Bett.“

Wieder stieg ihr die Röte in die Wangen. „Unter keinen Umständen hätte ich in Ihrem Bett geschlafen, Dr. Christakos. So etwas tue ich nicht.“

„Sie wussten nicht mehr, was Sie taten. Daran sollten Sie vielleicht denken, wenn Sie das nächste Mal etwas trinken.“

„Sagen Sie das der Oberschwester“, murmelte Libby, und damit war für Andreas zumindest dieses Rätsel gelöst. Kein Wunder, dass Bev so besorgt um Libby gewesen war, wenn sie ihr Wodka ins Glas gekippt hatte.

Bei ihrer nächsten Verabredung würde er dafür sorgen, dass sie stocknüchtern blieb.

„Wann endet Ihre Schicht heute?“

„Das geht Sie nichts an. Was sagte Ihre Nichte heute Morgen? Dass Frauen wegen Ihres Aussehens und Ihres Geldes hinter Ihnen her sind?“ Libby legte den Kopf zur Seite. „Normalerweise erwähne ich das nicht nach einer so kurzen Bekanntschaft, aber mein Vater ist einer der reichsten Männer in ganz England, und ich hege ein natürliches Misstrauen gegen gut aussehende Männer. Also, nein danke, ich will nichts von Ihnen.“

„Oh, denken Sie an das Feuerwerk.“ Er trat einen Schritt näher und fuhr mit dem Zeigefinger die Linie ihres schlanken Halses entlang. „Nächstes Mal wird es noch heller und bunter.“

Sie starrte ihn an wie das Kaninchen die Schlange und schien verzweifelt gegen die Anziehungskraft, die von ihm ausging, anzukämpfen. „Es wird kein nächstes Mal geben. Ich habe kein Interesse.“

Statt einer Antwort umfasste er ihr Gesicht mit beiden Händen und sah sie an. Unwillkürlich öffnete sie die Lippen und atmete ein.

Ihre blauen Augen waren weit geöffnet, und als er seinen Mund auf den ihren legte, entfuhr ihr ein leises Stöhnen.

Es war ein langsamer, sinnlicher Kuss. Als Andreas den Kopf wieder hob und sie ansah, sprach aus ihren Augen das gleiche Verlangen, das auch er empfand. „Jetzt sag mir noch einmal, dass du nicht interessiert bist.“

Er ließ ihr keine Gelegenheit zur Antwort, sondern drehte sich um und verließ das Behandlungszimmer.

Libby blieb wie angewurzelt stehen.

Sie hatte ihm deutlich die Meinung sagen wollen, aber sein Kuss hatte alle Gedanken aus ihrem Kopf gefegt.

Ihr war gerade klar geworden, dass sie vorher noch nie geküsst worden war.

Zumindest nicht richtig.

Aber Andreas Christakos hatte sie geküsst. Sein Kuss war eine einzige Verführung gewesen, und jetzt konnte sie nicht mehr klar denken. Das Verlangen, das er geweckt hatte, durchströmte ihren Körper, und sie wollte mehr.

Libby stöhnte auf. Das Schlimmste war, dass Andreas genau spürte, wie sie empfand.

Er hatte sie schwindlig geküsst und dann einfach den Raum verlassen. So ein arroganter Bastard!

Sie musste sich zusammenreißen. In Zukunft würde sie keine weiteren Küsse zulassen. Es war sehr verlockend, seinem griechischem Charme nachzugeben, aber das wäre der sichere Weg ins Verderben.

Auf gar keinen Fall würde sie mit ihm ausgehen.

Er war genau wie alle anderen. Wahrscheinlich noch schlimmer, wenn sie nur an die Worte seiner Nichte dachte. Einem Mann, der so gut aussah, konnte man einfach nicht trauen. Und wenn er dachte, dass sie sich ihm ebenso an den Hals werfen würde wie so viele andere Frauen, dann hatte er sich getäuscht.

Sie würde sich von ihm fern halten und ihm bei der nächsten Gelegenheit seinen Scheck in die Hand drücken.

Langsam fuhr sie sich mit der Hand über die Lippen. Ob man es ihr ansah, dass sie gerade geküsst worden war?

Libby holte tief Atem und schob dann die Tür auf. Sie würde es schaffen. Sie war ein Profi, sie konnte mit ihm zusammenarbeiten, auch wenn er seinerseits offenbar ein Kussprofi war.

Bev kam ihr entgegen, und Libby warf ihr einen bösen Blick. Das alles war ihre Schuld. „Verschwinde bloß, auf dich bin ich im Moment nicht gerade gut zu sprechen.“

„Libby, der Mann ist doch wundervoll, du solltest mir dankbar sein.“

„Dankbar?“ Sie lachte etwas zu schrill auf. „Dir habe ich es zu verdanken, dass unser neuer Oberarzt mich für eine hirnlose Gans hält, die sich selbst nicht im Griff hat.“

„Er hat immerhin tausend Pfund für eine Verabredung mit dir gezahlt“, stellte Bev fest. „Irgendwie scheinst du ihm ja schon zu gefallen. Und er ist definitiv der bestaussehendste Mann, der je in dieser Klinik war.“

„Eben. Darf ich dich an die Kausalverbindung von gutem Aussehen und schlechtem Charakter erinnern … Er kann kein anständiger Mensch sein.“

Bev verdrehte die Augen. „Ach was, das war doch so romantisch, wie er dich gestern von der Bühne geholt hat.“

„Es war nicht romantisch, es war peinlich. Ich will ihn am liebsten nie wiedersehen, aber jetzt muss ich auch noch mit ihm zusammenarbeiten. Aah!“ Libby hob in einer dramatischen Geste die Hände.

In diesem Augenblick kam eine der jüngeren Schwestern auf sie zu. „Libby, kannst du bitte mal nach Rachel Miller schauen? Ihre Hausärztin hat sie wegen hohen Fiebers überwiesen, und wir kriegen die Temperatur nicht herunter. Eigentlich sollte ein Arzt sie sich ansehen, aber es sind alle beschäftigt, und ich wollte den neuen Kollegen nicht gleich fragen.“

Mit einem letzten vorwurfsvollen Blick auf die Oberschwester drehte Libby sich um und ging davon. Das Baby lag reglos im Bettchen, es atmete schwer, und die Wangen waren erhitzt. Sofort vergaß Libby ihre persönlichen Probleme, dieses Kind brauchte ihre Hilfe.

Die Mutter der Kleinen stand neben dem Bett. „Sie ist sehr schwach und noch immer ganz heiß.“

„Wann hat es denn angefangen?“, fragte Libby mit ruhiger Stimme.

„Ihr ging es gestern Morgen schon nicht gut, und dann wurde es immer schlimmer. Sie lag nur so da und hatte an nichts Interesse. Ich war mit ihr bei unserer Hausärztin, und die hat uns hierher geschickt.“

„Gut, ich werde jetzt noch einmal ihre Temperatur messen, und dann kommt ein Arzt, um sie sich anzuschauen.“ Libby sprach beruhigend auf das Baby ein und griff nach einem Thermometer. „Wie sieht es denn mit ihren Impfungen aus, Mrs. Miller?“

„Nennen Sie mich Alison. Sie hat alle Impfungen bekommen.“

„Okay.“ Libby maß die Temperatur und notierte die Werte. „Das Fieber ist sehr hoch. Hat sie viel getrunken?“

„Nein, sie will gar nichts trinken, sondern liegt einfach nur da.“

Desinteresse war immer ein schlechtes Zeichen.

Libby überprüfte auch noch den Blutdruck und lächelte Alison Miller dann beruhigend an. „Wir müssen den Grund für das Fieber herausfinden. Ich bin gleich wieder da. Wenn Sie wegen irgendetwas beunruhigt sind, drücken Sie einfach den Alarmknopf.“

Sie machte sich auf die Suche nach Andreas. Unter diesen Umständen konnte sie ihm nicht aus dem Weg gehen, die Gesundheit ihrer Patientin hatte schließlich Vorrang. Die kleine Rachel brauchte einen erfahrenen Arzt.

Andreas war im Stationszimmer, wo er einige Akten durchging. Beim Anblick seines breiten Rückens und seiner dunklen Haare hatte Libby einige Mühe, sich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren.

Sie wusste, dass er wunderbar küsste, aber nun musste sie herausfinden, ob er als Kinderarzt ebenso gut war.

„Kannst du dir eine neu eingewiesene Patientin ansehen?“ Libby bemühte sich um einen neutralen Tonfall. „Es geht ihr nicht gut, und alle anderen Ärzte sind gerade beschäftigt, deswegen dachte ich, du könntest vielleicht …“

Er drehte sich um, und sie trat einen Schritt zurück. „Sicher. Was ist mit ihr?“

Libby entspannte sich etwas, als sie nebeneinander den Korridor entlanggingen. „Ihre Hausärztin hat sie überwiesen. Hohes Fieber, sonst kein Befund. Ich habe kein gutes Gefühl.“

Und sie war lange genug Kinderkrankenschwester, um sich auf ihr Gefühl zu verlassen.

Andreas schüttelte den Kopf. „Allgemeinärzte machen es sich manchmal ziemlich leicht. Wenn sie keine Ahnung haben oder zu faul für weitere Untersuchungen sind, schicken sie ihre Patienten einfach zu uns.“

„Bevor du weiterredest, sollte ich dir vielleicht sagen, dass mein Bruder demnächst eine Allgemeinarztpraxis eröffnet.“

„Aha. Etwa der Bruder, der gestern nicht aufgetaucht ist?“

Libby musste wider Willen grinsen. „Ja, das wird noch ein Nachspiel für ihn haben. Aber er ist ein sehr guter Arzt, wahrscheinlich ist er nicht gekommen, weil er sich um einen Patienten kümmern musste.“

„Zum Glück“, kommentierte Andreas mit einem Augenzwinkern.

„Hör auf damit.“

„Ich habe gerade erst angefangen, Libby.“ Er lächelte sie an und betrat dann das Behandlungszimmer. Nachdem er sich Alison Miller vorgestellt hatte, beugte er sich sofort über das Bett.

Sein abrupter Wechsel zwischen professionell und privat und wieder zurück verwirrte Libby mehr, als sie sich selbst eingestehen wollte.

Andreas jedoch wirkte gänzlich unberührt, er hatte nur Augen für seine Patientin. Sein Blick wanderte über die Brust des Babys, um die Atembewegungen zu kontrollieren, er registrierte die blasse Gesichtsfarbe und ihre schlaffen Glieder.

„Wie ist ihre Temperatur?“ wandte er sich an Libby.

„Vierzig Komma sieben, ich habe im Ohr gemessen.“

Andreas nickte und studierte das Krankenblatt. Dann befragte er die Mutter zu bisherigen Krankheiten, Allergien und Impfungen. Das Baby begann inzwischen wieder zu weinen.

„Kann ich sie auf den Arm nehmen?“, fragte Alison.

„Natürlich:“ Andreas nickte ihr zu. „Dann beruhigt sie sich ein bisschen. Ich untersuche sie gleich, vorher will ich aber noch die Überweisung der Hausärztin sehen.“

Alison warf ihm einen besorgten Blick zu. „Sie meinte, es sei wahrscheinlich ein Virus, wollte aber sichergehen und hat uns hierher geschickt.“

Libby schüttelte den Kopf. Es klang, als hätte die Ärztin Rachel nicht einmal untersucht. Sie warf Andreas einen Blick zu, aber seine Miene blieb reglos.

„Am besten, Sie halten sie auf dem Schoß, während ich sie untersuche“, sagte er zu Alison gewandt.

Libby beobachtete ihn, während er Ohren und Hals der kleinen Rachel untersuchte und sie abhorchte. „Gut, die Lunge ist frei, in Ohren und Rachen kann ich auch nichts entdecken. Wir sollten also in eine andere Richtung denken. Hatte sie schon einmal eine Blasenentzündung?“

Alison schüttelte den Kopf. „Nein, nicht dass ich wüsste. Ich dachte auch, das wäre etwas, das nur Erwachsene bekommen.“

„Nein, auch Kinder, und es kann hohes Fieber verursachen. Ich werde ein paar Tests durchführen, wir brauchen eine Urin- und eine Blutprobe.“

Libby trat hinzu. „Eine Urinprobe zu bekommen, ist bei so kleinen Kindern nicht ganz leicht.“

„Versuch es bitte. In der Zwischenzeit geben wir ihr ein mildes fiebersenkendes Mittel.“ Er machte ein paar Notizen, und Libby ging aus dem Raum, um die notwendigen Utensilien zu holen. Im Korridor holte Andreas sie ein. „Gut, dass du mich geholt hast. Der Kleinen geht es wirklich ziemlich schlecht. Sag mir Bescheid, wenn du die Urinprobe hast, dann sehen wir weiter.“

Wider Willen starrte Libby auf seinen Mund.

Der Kuss war eine völlig neue Erfahrung gewesen, die sie noch nicht richtig verarbeitet hatte, und jetzt durchlebte sie ihn in Gedanken gerade noch einmal.

„Libby?“ Seine Stimme holte sie zurück in die Realität des Krankenhauskorridors.

Verdammt.

Sie wandte sich eilig ab. „Alles klar, bin schon unterwegs.“

„Schön. Ruf mich, wenn du mich brauchst.“ Er lächelte ihr zum Abschied zu.

Mit schnellen Schritten ging sie weiter und fragte sich, wie zum Teufel sie ihren Job machen sollte, wenn er sie jeden Tag so anlächelte.

Als sie wieder bei Alison und Rachel war, konnte sie sich wieder auf ihre Arbeit konzentrieren. „Und der Arzt glaubt wirklich, dass sie eine Blaseninfektion hat?“, fragte die junge Mutter.

„Es kommt gar nicht so selten vor“, erläuterte Libby. „Und wenn das der Fall ist, müssen wir sie behandeln, damit die Entzündung sich nicht ausbreitet.“

„Aber sie kommt wieder in Ordnung?“

Libby nickte beruhigend. „Wir müssen vielleicht noch ein paar Tests machen, aber Sie haben sie ja früh hergebracht, also machen Sie sich keine Sorgen.“

Sie sprach noch ein wenig mit Alison, ließ dann die Urinprobe ins Labor schicken und machte sich auf die Suche nach Andreas.

„Sollen wir auf die Testergebnisse warten, oder willst du ihr schon Antibiotika geben?“, erkundigte sie sich.

„Sie ist dehydriert, also legen wir eine Infusion. Sobald es ihr etwas besser geht, sollten wir ihr aber Flüssigkeit oral verabreichen“, erläuterte er. „Wenn wir mehr über die Infektion wissen, bekommt sie Antibiotika.“

Libby machte sich daran, seine Anweisungen auszuführen. Während der nächsten Stunden schaute sie immer wieder nach Rachel. Andreas verbrachte den Tag damit, die Station samt Personal besser kennen zu lernen, und Libby wusste, dass er sofort da sein würde, wenn es Probleme gab.

Sie musste die vergangene Nacht vergessen und nur den kompetenten Arzt in ihm sehen. Aber das war nicht einfach, wenn er sie aus seinen dunklen Augen immer wieder beobachtete.

Er war ein Mann, und das bedeutete ihrer Erfahrung nach vor allem eins.

Schwierigkeiten.

Als Libby im Stationszimmer gerade einige Formulare ausfüllte, sah sie ein junges Mädchen, das unsicher die Station betrat.

„Adrienne?“ Sie erkannte Andreas’ Nichte und ging sofort zu ihr. „Hallo. Solltest du nicht in der Schule sein?“

Das Mädchen warf ihr einen trotzigen Blick zu, aber ihre Unterlippe zitterte verdächtig. „Ich bin weggelaufen. Und ich gehe nicht zurück. Nie wieder. Ich hasse die Schule.“

Oh, oh.

Ihr dunkles Haar war noch strubbeliger als heute Morgen, und ihre Augen waren verweint. Sie wirkte sehr jung und sehr verletzlich.

Mitfühlend fragte Libby: „Willst du mir erzählen, was passiert ist?“

Adrienne zuckte mit den Schultern und schaute auf den Boden. „Ich bin eine Außenseiterin.“

„In welcher Hinsicht?“

„Ich … ich bin eben anders.“

„Das muss doch nicht schlimm sein. Es wäre ziemlich langweilig, wenn alle gleich wären“, sagte Libby sanft.

„Es ist aber schlimm“, sagte Adrienne mit zittriger Stimme. „Ich bin einfach nicht hip. Ich sehe nicht hip aus, und ich weiß nicht, wie ich das ändern soll. Ich habe versucht, mein Haar anders zu frisieren und mich zu schminken, aber Andreas wollte, dass ich es wieder abwasche. Ich hasse ihn.“

Libby erinnerte sich nur zu gut daran, wie Adrienne heute Morgen ausgesehen hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass das der heute üblichen Vorstellung von Hipness entsprach. Andreas hatte völlig recht gehabt.

„Wie alt bist du, Adrienne?“

„Zwölf, aber ich werde bald dreizehn.“

Libby nickte verständnisvoll. „Ich weiß noch sehr genau, wie es war, so alt zu sein. Ich fand es grauenvoll.“

„Wirklich?“ Adrienne schaute sie ungläubig an.

„O ja. Ich war so dünn wie eine Bohnenstange, hatte eine Zahnspange und trug eine Brille. Und zu allem Überfluss war meine Schwester wunderschön. Glaub mir, die anderen Kinder haben mich ständig gehänselt. Ich weiß, wie es ist, anders zu sein.“

„Aber Sie sind doch total hip. Sie sehen toll aus.“

„Danke. Jetzt vielleicht, aber damals nicht.“ Libby grinste. „Mit wem gehst du denn deine Kleider kaufen?“

„Mit Yiayia … ich meine, meiner Großmutter. Sie ist ziemlich altmodisch“, sagte Adrienne düster. „Oder mit Andreas, aber er ist noch schlimmer. Er ist sehr streng und kauft mir nur Sachen, die total langweilig sind. Am liebsten würde er mich bestimmt in einen Kartoffelsack stecken.“

„Hmm, das klingt nicht so, als wärst du da in guten Händen.“ Nachdenklich schaute Libby das unglückliche Mädchen an. „Wenn du Lust hast, können wir beide mal zusammen shoppen gehen.“

Sobald sie die Worte ausgesprochen hatte, bereute sie sie auch schon. Was war nur in sie gefahren? Mit Adrienne Klamotten kaufen zu gehen, war nicht unbedingt der beste Weg, Andreas auf Distanz zu halten.

Aber der Freudenschrei des Mädchens machte jeden Gedanken an einen Rückzug sinnlos. „Echt? Das würden Sie machen?“

O ja, unglücklichen Kindern konnte sie nun einmal nichts abschlagen.

Libby lächelte. „He, ich kaufe für mein Leben gern ein. Frag meine Geschwister. Ich bin shoppingsüchtig.“

Adriennes Lächeln wurde immer breiter. „Danke, das ist so toll.“

„Kein Problem.“ Libby wusste, dass sie das Richtige getan hatte, als sie die strahlenden Augen des Mädchens sah. Bevor sie weitersprechen konnte, hatte Andreas seine Nichte gesehen und kam zu ihnen. Wie würde er wohl darauf reagieren, dass sie aus der Schule weggelaufen war? Der Jähzorn ihres eigenen Vaters war Libby noch sehr deutlich im Gedächtnis. Ob er ebenso war?

Aber Andreas sah nicht zornig aus, sondern besorgt.

„Adrienne? Was ist denn los“ Seine Stimme war ruhig und sanft. Er sagte etwas auf Griechisch zu dem Mädchen, woraufhin sie tief einatmete und dann auf Englisch antwortete.

„Ich halte es in der Schule nicht aus. Bitte, lass mich bei dir wohnen. Ich mache auch keine Schwierigkeiten, das verspreche ich. Schick mich nicht zurück.“

Der offensichtliche Kummer des Mädchens machte Libby schwer zu schaffen, und auch Andreas wirkte sehr angespannt.

„Aber du bist zu jung, um allein zu Hause zu sein. Wenn ich eine gute Haushälterin gefunden habe, brauchst du nicht mehr die ganze Woche in der Schule zu bleiben“, sagte er mit rauer Stimme.

Adrienne schlang die Arme um ihn. „Es macht mir nicht aus, allein zu sein. Ich bin lieber allein als mit diesen …“ Sie suchte nach dem passenden Begriff und drehte sich Hilfe suchend zu Libby um. „Sag ihm, dass er mich nicht zurückschicken soll. Bitte.

Libby hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Sie wollte sich nicht in diese Geschichte einmischen, aber Adrienne war offensichtlich todunglücklich.

Die Entscheidung wurde ihr zum Glück durch Bev abgenommen, die nach Andreas rief. „Dr. Christakos? In der Notfallambulanz wurde gerade ein Elfjähriger mit einem schweren Asthmaanfall eingeliefert, und sie brauchen Unterstützung.“

„Ja, natürlich.“ Andreas fuhr sich mit den langen Fingern durch das dunkle Haar. „Adrienne, wir können das jetzt nicht klären. Warte bitte dort vorne im Aufenthaltsraum, bis ich fertig bin.“

„Ich könnte sie mit zu mir nach Hause nehmen.“ Libby legte beschützend eine Hand auf Adriennes Schulter. „Das ist doch viel besser, und meine Schicht ist sowieso zu Ende. Du kannst sie bei mir zu Hause abholen. Bev gibt dir die Adresse.“

Andreas sah sie zweifelnd an. „Eigentlich müsste ich sie gleich zurück ins Internat bringen …“

„Nein“, rief Adrienne.

„Du weißt, dass ich keine Wahl habe. Es ist doch nur vorübergehend.“ Andreas klang müde und gestresst und blickte zwischen Bev, Libby und seiner Nichte hin und her. „Wenn du dir sicher bist, dass es in Ordnung geht, dann nehme ich das Angebot gerne an. Vielen Dank.“

„Kein Problem“, erwiderte Libby und fragte sich insgeheim, welche Familiengeschichte wohl hinter Adriennes Aufenthalt in England steckte. Warum lebte sie bei ihrem Onkel?

Sie schaute ihm hinterher, als er schnell Richtung Notfallstation ging, und drehte sich dann zu Bev um, die die Ereignisse gebannt verfolgt hatte. „Was ist denn?“

„Oh, nichts. Ich bewundere nur deine konsequente Art, dich von unserem neuen Arzt fern zu halten.“

„Das hat nichts mit Andreas zu tun.“

„Sicher. Ich wette, du wirst dich sehr zurückhalten, wenn er kommt, um das Mädchen bei dir zu Hause abzuholen.“

Libby schnaubte nur kurz auf und streckte Adrienne dann die Hand entgegen. „Komm, wir schauen mal, was mein Kühlschrank für zwei hungrige Mädchen hergibt.“

Es ging ihr wirklich nur darum, dem Mädchen beizustehen, sagte sie sich selbst. Die Sache hatte nichts mit Andreas zu tun.

Absolut nichts.

3. KAPITEL

Libby schloss die Wohnungstür auf.

„Ich muss sofort etwas essen, ich sterbe vor Hunger.“ Sie hängte ihren Mantel an der Garderobe auf und ging, von Adrienne gefolgt, direkt in die Küche.

Ein dunkelhaariger Mann mit blauen Augen saß am Tisch, neben sich eine Tasse Kaffee, und blätterte in einer medizinischen Fachzeitschrift.

„Mit dir habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen, mein Junge“, verkündete Libby drohend und öffnete den Kühlschrank. „Das ist übrigens Adrienne. Adrienne, darf ich dir meinen Bruder Alex vorstellen. Lass dich nicht von seinem Äußeren täuschen, er ist ein hinterlistiger Bastard, und ich werde ihm jetzt den Hals umdrehen.“

„Hallo, Adrienne.“ Alex lächelte das Mädchen freundlich an. „Schwesterherz, warum willst du mir den Hals umdrehen? Du solltest mir dankbar sein.“

Autor

Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
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